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Der Pakt

Ganz oben auf der Agenda müsse eine echte Umschuldung stehen.10 Wir müssten darin übereinstimmen, dass dies das A und O einer Syriza-Regierung sein würde. Griechenland aus dem Schuldgefängnis herauszuholen sei sehr viel wichtiger, als Privatisierungen zu verhindern und andere Ziele auf der Agenda von Syriza. Sie stimmten zu.

Mit einer Umschuldung könnten wir endlich die Spirale aus Austerität und Deflation durchbrechen und einen kleinen Haushaltsüberschuss anstreben – ich nannte als Zielmarke höchstens 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das würde massive Kürzungen bei der Mehrwertsteuer und der Körperschaftssteuer bedeuten, um den privaten Sektor umzustrukturieren.

»Warum sollten Unternehmen weniger bezahlen?«, protestierte Alexis.

Ich erklärte, dass meiner Ansicht nach der private Sektor insgesamt mehr Steuern zahlen sollte, dass sich das aber in einer Zeit, in der die Unternehmen praktisch keine Umsätze machten und die bankrotten Banken selbst profitablen Firmen keinen Kredit geben konnten, nur durch eine Senkung der Körperschaftssteuer erreichen ließ. Dragasakis meldete sich und sagte, er stimme mir zu. Offensichtlich wollte er Alexis und Pappas beruhigen.

Beim Thema Privatisierungen, fuhr ich fort, müssten wir Zugeständnisse machen, wenn wir eine Einigung mit der EU und dem IWF anstrebten. Statt Privatisierungen prinzipiell abzulehnen, müsse Syriza dazu übergehen, jeden Fall einzeln zu prüfen. Überstürzte Verkäufe von öffentlichem Eigentum müssten aufhören, aber einige Vermögenswerte wie Häfen und Eisenbahnstrecken sollten wir zum Verkauf stellen unter der Bedingung, dass ein Minimum an Investitionen getätigt wurde, dass der Käufer sich bereit erklärte, den Beschäftigten anständige Verträge zu geben, und ihnen das Recht auf gewerkschaftliche Vertretung zugestand. Außerdem sollte der Staat weiterhin einen Minderheitsanteil halten, aber einen erheblichen, und die daraus fließenden Dividenden sollten für die Stützung von Pensionsfonds verwendet werden. Die Vermögenswerte, die in Staatsbesitz bleiben würden, sollten auf eine neue staatliche Entwicklungsbank übertragen werden, die sie dann als Sicherheiten verwenden könnte, um Geld für Investitionen in eben diese Vermögenswerte aufzutreiben und so ihren Wert zu steigern, Arbeitsplätze zu schaffen und künftige Einnahmen zu generieren. Sie stimmten auch diesem Punkt zu.

Als Nächstes kam das heikle Thema von Aris, Zorba und ihren Bankerkollegen. Ich erinnerte mich an das unangenehme Gespräch mit Alexis im Schatten des Steinschiffs und wählte in Gegenwart von Dragasakis meine Worte vorsichtig. Ich fragte sie, inwieweit sie bereit wären, sich mit Bankern vom Schlag von Aris und Zorba anzulegen und sie zu zwingen, dass sie die Kontrolle über ihre Banken abgaben, die im Wesentlichen Eigentum der Steuerzahler waren. Ich erinnerte sie an die seltsame Allianz zwischen unseren Bankern und der Europäischen Zentralbank, die ihre Banken durch Schuldverschreibungen, für die Staaten bürgten, am Leben erhielt. Sowohl die einen wie die andere konnten einer Syriza-Regierung die Luft zum Atmen nehmen.

Pappas platzte förmlich vor revolutionärem Eifer und forderte, alle Banker müssten ihre Koffer packen. Alexis war vorsichtiger, stimmte aber prinzipiell zu und betonte, deshalb sei es so wichtig, dass jemand in der Position des stellvertretenden Regierungschefs – gemeint war Dragasakis – die Banker kontrollierte.

Waren sie auch bereit, fragte ich, meinen Vorschlag zu übernehmen, dass die bankrotten Banken in den Besitz der EU überführt und ihrer Kontrolle unterstellt würden? Ich wusste, dass das für eine linke Partei, die unbedingt den Bankensektor verstaatlichen wollte, eine außerordentliche Herausforderung war. Es folgte bedrohliche Stille.

Schließlich brach Alexis das Schweigen mit der unvermeidlichen Frage: »Aber warum können nicht wir die Banken verstaatlichen? Der Staat besitzt sowieso schon die Mehrheit der Anteile. Können wir nicht ein Gesetz verabschieden, das aus unseren stimmrechtslosen Anteilen stimmberechtigte Anteile macht?«

Ich erwiderte, wenn wir nicht bereit seien, die Banken auf die Europäische Union zu übertragen, würden wir den griechischen Staat nicht von den Lasten befreien können, die mit ihrer trügerischen Rekapitalisierung verbunden seien. Die Verstaatlichung der Banken wäre nur bei einem Grexit sinnvoll. »Aber wir haben uns doch darauf verständigt, dass wir den Grexit nicht wollen, richtig?«

»Richtig«, erwiderte Alexis wie aus der Pistole geschossen.

»Können wir uns in dem Fall auf folgende Verhandlungsposition bei den Banken einigen: Die Anteile der Banken sowie die Verbindlichkeiten aus ihrer Rekapitalisierung sollen auf die Europäische Union übertragen werden, sie sollen neue Verwaltungsräte bekommen, die nicht mehr von griechischen Bankern beherrscht werden?«

Alexis und Pappas stimmten zu, aber ich bemerkte, dass Dragasakis sich lieber nicht direkt äußerte. Er sagte lediglich, es sei wichtig, innerhalb der Grenzen der Legalität zu bleiben – eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Dass er dieser Frage auswich, bestätigte meinen Verdacht. Bis zu diesem Punkt schienen alle drei mit der Agenda zufrieden zu sein. Trotzdem fand ich, ich sollte noch einmal rekapitulieren, auf welche Ziele wir uns geeinigt hatten.

»Die Umschuldung ist das Wichtigste. Zweitens, ein Primärüberschuss von nicht mehr als 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung und keine neuen Austeritätsmaßnahmen. Drittens, eine erhebliche Senkung von Umsatz- und Körperschaftssteuer. Viertens, strategische Privatisierungen unter Bedingungen, die die Rechte der Arbeitnehmer schützen und Investitionen fördern. Fünftens, die Errichtung einer Entwicklungsbank, die die verbliebenen staatlichen Vermögenswerte als Sicherheit nutzt, um heimische Investitionen zu generieren; die Dividenden fließen in staatliche Pensionsfonds. Sechstens, die Übertragung von Besitzanteilen und Verwaltung der Banken auf die Europäische Union, während eine staatliche ›Bad Bank‹ sich um die notleidenden Kredite der Banken kümmert. So werden Zwangsräumungen und die massenhafte Enteignung kleiner Unternehmen durch Heuschrecken verhindert.«

Wieder stimmten sie zu, und diesmal klang es überzeugender.

Aber ich war noch nicht fertig. Sie mussten auch der von mir vorgeschlagenen Verhandlungsstrategie zustimmen inklusive dem zentralen Argument zur Abschreckung: der Drohung mit einem Schuldenschnitt bei den SMP-Anleihen und der Einrichtung eines parallelen Zahlungssystems, das uns Zeit kaufen würde, falls die Banken geschlossen werden sollten. Ich ging auch diese Punkte durch, und sie stimmten ebenfalls zu.

Dann kam mein letzter, dringlichster Punkt. »Wir werden nur dann eine anständige Vereinbarung bekommen, wenn wir uns einig sind, dass wir gegenüber der Troika nicht bluffen. Sind wir da einer Meinung?«

Dragasakis fragte, was ich meine. War das eine echte Frage oder taktische Amnesie? Egal, ich freute mich, dass ich den entscheidenden Punkt noch einmal wiederholen konnte, den Punkt, auf den ich seit unserer allerersten Begegnung Wert legte: »Es ist kein Bluff, eine Absichtserklärung abzugeben, wenn man die Absicht hat, sich daran zu halten, unabhängig davon, was die andere Seite tut.«

Alexis begriff: »Wir haben es verstanden. Du willst damit sagen, dass wir nicht unterschreiben, selbst wenn sie uns mit dem Grexit drohen. Richtig?«

Ich bestätigte, dass das genau mein Punkt sei: Es hatte keinen Sinn, in harte Verhandlungen mit den mächtigsten Kreditgebern der Welt zu gehen, wenn wir nicht eine tragfähige Vereinbarung innerhalb des Euro wollten, nichts taten, was eine solche Vereinbarung gefährden konnte, aber auch immer ganz klar vor Augen hatten, dass wir uns für den Grexit entscheiden würden, wenn wir nur die Wahl zwischen Unterwerfung unter eine verlängerte Bestrafung mit dem Schuldgefängnis und dem Grexit haben sollten.

»Sind wir uns in diesem Punkt einig?«, wiederholte ich meine Frage noch einmal.

»Das versteht sich von selbst«, erwiderte Alexis. Pappas stimmte enthusiastisch zu, Dragasakis sagte demonstrativ nichts, lächelte nur freundlich und müde. Wir hatten praktisch einen Pakt geschlossen.

Nun musste ich eine Entscheidung treffen.

Ja oder nein?

Die Stunde der Wahrheit war gekommen. Vor mir lag ein Angebot, das ich ablehnen konnte. Die Risiken, wenn ich es annahm, waren klar und gewaltig. Ich mochte Alexis und wollte an ihn glauben, aber die Ereignisse des Jahres 2012 und, aktueller, seine beiläufige Missachtung unserer Steinschiff-Vereinbarung, mich in die Formulierung von Syrizas Programm von Thessaloniki einzubinden, hatten mir mehr als ausreichend Grund für Skepsis geliefert. Und wie Danae nach meiner Rückkehr nach Austin sagte: Sie konnten mich ausnutzen, weil ich entbehrlich war. »Wenn du einen anständigen Deal aushandelst, werden sie den Erfolg für sich reklamieren. Wenn nicht, werden sie dir die Schuld geben.«

Ich war ein Outsider, sowohl im Verhältnis zu Syriza wie gegenüber dem Establishment, und damit ein ideales Ziel für die Geschosse und Pfeile der Troika, des heimischen Establishments, der Anhänger und Parteimitglieder von Syriza. Sie würden mich treffen statt Alexis und seinen engsten Kreis. Es machte mir nichts aus, die Zielscheibe zu spielen, Finanzminister tun das in der Regel für ihre Ministerpräsidenten und Kabinette. Es wäre die Sache wert, aber nur so lange, wie unser Pakt galt und allen klar war, dass dieser Kampf sich nur lohnte, wenn wir bereit waren, ihn bis zum Letzten auszufechten. Ich war dazu bereit. Waren sie es auch? Ich hatte nicht genug Anhaltspunkte, um diese Frage zu beantworten.

Gleichzeitig stand ich vor einem moralischen Dilemma. Hatte ich das Recht, Alexis’ Angebot abzulehnen? Der künftige Ministerpräsident bot mir eine Gelegenheit, meinen Worten Taten folgen zu lassen: die Verhandlungsstrategie und das Reformprogramm umzusetzen, für die ich von der Seitenlinie aus immer plädiert hatte, seit Griechenland in diesem speziellen Gefängnis steckte. Sokrates hat gesagt, ein gutes Leben heiße, dass man auf dem Sterbebett nichts zu bereuen habe. Wie würde ich mich später, im Alter, fühlen, wenn ich an den Augenblick zurückdachte, in dem ich diese Gelegenheit ausgeschlagen hatte?

Wenn ich nur mit Danae darüber sprechen könnte, dachte ich. Aber da uns Tausende Kilometer trennten und nachdem wir so lange in Alexis’ Wohnung beraten hatten, musste nun eine Entscheidung fallen. Und so traf ich eine Entscheidung. Aber bevor ich zusagte, hatte ich eine letzte Bedingung: dass ich ins Parlament gewählt wurde. Ich war nicht bereit, ein weiterer Finanzminister ohne Abgeordnetenmandat zu werden wie Stournaras und sein Nachfolger.11

»Aber Yanis, du hast noch nie bei einer Wahl kandidiert«, wandte Alexis ein. »Du hast nicht die Infrastruktur vor Ort, du lebst in Texas, und die Wahl wird bald stattfinden!«

Pappas schaltete sich mit einem Kompromissvorschlag ein: Ich könnte auf der Liste für einen der Parlamentssitze stehen, die der Parteiführer verteilt.12 Alexis schlug dann vor, mir weit unten auf der Liste einen »Ehrenplatz« zu geben. Damit würde ich keinen Parlamentssitz erringen, aber es wäre ein Signal, wie hoch ich bei Syriza geschätzt war.

Ich blieb hart. »Das reicht nicht. Entweder bekomme ich ein Direktmandat von den Wählern, ohne Einmischung der Führung, oder ich bin raus.« Es war keine Frage der Ehre. »Wenn ich Wolfgang Schäuble in der Eurogruppe gegenübertreten soll, einem erfahrenen Politiker, der seit Jahrzehnten die Unterstützung seines Volks besitzt, dann brauche ich Tausende von Wählerstimmen, die mich unterstützen. Ansonsten würde mir die nötige Legitimität fehlen.«

»Aber was passiert, wenn du nicht gewählt wirst?«, beharrte Alexis.

»Dann hat das Volk gesagt, dass es nicht von mir in der Eurogruppe vertreten werden will. Ganz einfach! Die Vorstellung, dass Technokraten im Namen der unwissenden Massen Wirtschaftsverträge aushandeln, ist aus meiner Sicht abstoßend und gehört in den Papierkorb.«

»In welchem Wahlkreis willst du antreten?«, fragte Dragasakis.

»Ich habe mein ganzes Leben im Großraum Athen gewählt, deshalb soll es der Großraum Athen sein.« Mir schien das auf der Hand zu liegen.

»Der Großraum Athen ist brutal, Yanis«, erwiderte Alexis. »Bist du sicher?«

»Ich bin sicher.«

Die meisten Wahlkreise in Griechenland wählen jeweils mehr als ein Mitglied des Parlaments. Der Großraum Athen ist der größte Wahlkreis im Land, mit mehr als 1,5 Millionen registrierten Wählern, die 44 Prozent der dreihundert Abgeordneten wählen. Ich war mir absolut bewusst, dass es auch der Wahlkreis von Pappas und Dragasakis war.13

Pappas, der merkte, dass es mir ernst war, versicherte: »Er wird problemlos gewählt werden.« Damit beendete er die Diskussion, aber nicht mein Unbehagen.

Dass sie mich nicht als Mitglied von Syriza wollten, war einleuchtend. Beunruhigender war es, wenn sie meine Wahl ins Parlament ablehnten, weil es sehr dafür sprach, dass mein Nutzen für Alexis sich umgekehrt proportional zu meiner eigenen politischen Legitimität verhielt. Aber es konnte genauso gut sein, dass Alexis einfach besorgt war, ich könnte bei den Wählern nicht gut genug ankommen. Dieser Gedanke plus der Pakt, den wir soeben geschlossen hatten, machte es unmöglich, das Angebot abzulehnen, obwohl ich in einem Meer aus Zweifeln schwamm.

Auf dem Weg zur Tür sagte Alexis nachdenklich zu mir: »Du wirst ein Team zusammenstellen müssen für den Fall, dass sie uns aus der Eurozone werfen. Fang bald damit an.«

»Das mache ich, Alexis«, erwiderte ich. Das war die Geburtsstunde dessen, was als Plan X bekannt wurde – der nur aktiviert werden sollte, wenn und nachdem Berlin und die EZB ihren Plan Z aktivierten, um Griechenland über die Grexit-Klippe zu stoßen.14 »Aber eines sollst du wissen, Alexis«, fügte ich noch hinzu. »Der beste und einzige Weg, uns langfristig in der Eurozone zu behaupten, ist, unsere Gläubiger mit Zeichen der Mäßigung zu überschütten und ihnen gleichzeitig zu signalisieren, dass wir unerschütterlich entschlossen sind, unsere Abschreckungsstrategie zu aktivieren, sollten sie versuchen, uns zu zerschmettern.«

Alexis nickte zustimmend. Dragasakis, der sehr müde aussah, lächelte schwach und bat mich, ihn auf dem Laufenden zu halten. Ich versprach es.

Chronik eines angekündigten Hinterhalts

Nach jenem Tag spät im November 2014 legte die Zeit den Schnellgang ein. Danae und ich begannen sofort mit der Planung unseres Umzugs zurück nach Athen Ende Januar, rechtzeitig für einen möglichen Wahltermin im März. Doch Ministerpräsident Samaras hatte einen anderen Plan.

Am 8. Dezember kündigte er an, dass er die Präsidentschaftswahl vorziehen werde. Der erste – rein formale – Wahlgang sollte neun Tage später stattfinden, am 17. Dezember, der zweite, ebenfalls formale, Wahlgang am 22. Dezember und der dritte – entscheidende – am 27. Dezember.15 Als ich die Nachrichten hörte, dachte ich, er müsse einen Weg gefunden haben, um zwei weitere Jahre an der Regierung bleiben zu können. Warum sonst sollte er eine Wahl vorziehen, die seine Amtszeit um zwei ganze Monate verkürzen konnte?

Am nächsten Tag überprüfte ich meine Theorie. Am 9. Dezember beantragte der griechische Finanzminister bei der Eurogruppe eine Verlängerung der zweiten Rettungsvereinbarung, die am 31. Dezember 2014 auslaufen sollte, um zwei Monate. Warum nur zwei Monate, während die Troika doch eine Verlängerung um sechs Monate vorgeschlagen hatte? Wenn Samaras damit rechnete, weitere zwei Jahre im Amt zu bleiben, hätte er sicher mindestens sechs Monate haben wollen, bevor er dem Parlament einen dritten Rettungskredit vorlegte, den die Politik der Troika erforderlich machen würde. Warum verkürzte er die Zeit so sehr? Mir fiel nur eine Erklärung ein: Er verkürzte die Zeit nicht für sich, sondern für uns.

Ich rief aus Austin Pappas und Alexis an und erzählte ihnen, was ich vermutete. Samaras wusste, dass er sich nicht halten konnte, er hatte sich damit abgefunden, dass Ende Januar Wahlen stattfinden würden, die er verlieren würde, aber er rechnete damit, dass die Troika mit dem Auslaufen der Rettungsvereinbarung, nach der Verlängerung am 28. Februar 2015, die griechischen Banken schließen würde. Das wäre dann das Ende der gerade seit vier Wochen amtierenden Syriza-Regierung. Und damit wäre der Weg frei, dass eine technokratische Administration wie die von 2012 eine dritte Rettungsvereinbarung schließen und er selbst im Triumphzug in die Villa Maximos zurückkehren könnte. Unter uns bezeichneten wir das als Samaras’ Plan für ein »linkes Zwischenspiel«.

Zwei Entwicklungen bestätigten unsere Theorie. Erstens verbreiteten Samaras und seine Minister in Reaktion auf die Meinungsumfragen, die einen Sieg von Syriza voraussagten, dass am Morgen nach dem Sieg die Banken geschlossen würden. Damit rief die amtierende Regierung praktisch zu einem Bankensturm auf. Am 15. Dezember sagte Stournaras, bis Juni Samaras’ Finanzminister, inzwischen Leiter der Zentralbank des Landes, in einer offiziellen Rede folgenden Satz, der in der Geschichte der Zentralbanken einmalig ist:

Im Rahmen meiner Pflichten als Gouverneur der Bank von Griechenland und in meiner Eigenschaft als Mitglied des Rats der Europäischen Zentralbank muss ich feststellen, dass sich die Krise der letzten Tage zuspitzt, dass die Liquidität auf den Märkten rasch abnimmt und nicht nur das Risiko besteht, dass das kürzlich begonnene Wirtschaftswachstum wieder zurückgeht, sondern auch, dass die griechische Volkswirtschaft insgesamt irreparabel Schaden nimmt.16

Nie zuvor hatte ein Zentralbanker so eklatant sein Mandat verletzt, für finanzielle Stabilität zu sorgen. Die Zentralbanken wurden geschaffen, um in Zeiten schrumpfender Liquidität einen Bankensturm zu verhindern, indem sie den Märkten versicherten, dass ausreichend Liquidität vorhanden sein würde. Mit diesem Satz hatte Stournaras das Gegenteil getan: Er hatte den von der amtierenden Regierung ausgelösten Bankensturm beschleunigt, um eine künftige Syriza-Regierung zu destabilisieren.

Am 20. Dezember brachte die Regierung Samaras die zweimonatige Verlängerung der Vereinbarung über das zweite Rettungspaket durch das Parlament und meißelte damit den 28. Februar als den Tag in Stein, an dem die Banken schließen würden, wenn keine neue Vereinbarung mit EU und IWF zustande kommen sollte. Eine Woche später scheiterte der Präsidentschaftskandidat von Ministerpräsident Samaras. Für den 25. Januar 2015 wurden Neuwahlen angesetzt. Die Würfel waren gefallen. Ich musste schnellstmöglich nach Athen zurückkehren, um den ersten Wahlkampf meines Lebens zu führen in einem Land, in dem ich seit drei Jahren nicht mehr lebte.

Während ich all das von Austin aus beobachtete, erkannte ich ganz klar den Hinterhalt, der mich erwartete. Es war keine Überraschung. Und doch gibt es Zeiten im Leben, da erfüllt es das Herz mit Traurigkeit, wenn eine Boshaftigkeit, obgleich erwartet, tatsächlich eintritt. Ein alter Witz fiel mir ein: Zwei Golfer erzählen sich ihre Lebensgeschichten, während sie von einem Loch zum nächsten wandern. Der erste gesteht, dass er sein Vermögen gemacht hat, als seine Fabrik abbrannte und er die Versicherungssumme kassierte. Der zweite Golfer bekennt, dass er zu seinem Geld kam, als eine Flutwelle sein Unternehmen vernichtete und er einen hübschen Scheck von der Versicherung erhielt. Der erste Golfer schaut ihn verblüfft an: »Aber wie hast du das mit der Flut gemacht?«

Ministerpräsident Samaras und Zentralbankchef Stournaras hatten bei uns zu Hause Feuer gelegt in Form eines Bankensturms, und wir würden das Feuer löschen müssen, während wir gleichzeitig mit mächtigen ausländischen Gläubigern verhandeln mussten, die ihr Geld eigentlich gar nicht zurückhaben wollten. Unterdessen würden unsere Zentralbank, die Europäische Zentralbank, die griechische Oligarchie und die Medien Öl ins Feuer gießen. Unser einziger Verbündeter gegen eine solche Allianz würde ein geschlagener, deprimierter, aber hoffentlich entschlossener demos sein.

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9783956142185
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