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Wahrheit ohne Angst

Seit Griechenland in dem Käfig der nicht rückzahlbaren Schulden steckte, hatte man mich als Narr hingestellt. Das Establishment nannte mich so, weil ich mich weigerte anzuerkennen, dass ein Nein zu ihren Rettungspaketen den Ausschluss aus dem Euro bedeutete. In einer Demonstration von anrührender Überparteilichkeit bezeichneten mich viele Linke aus exakt dem gleichen Grund ebenfalls als Narr: Für sie war mein Ziel, Griechenland innerhalb der Eurozone zu emanzipieren, ein Hirngespinst.

Dieser unwahrscheinliche Konsens über Parteigrenzen hinweg signalisierte den Griechen, dass sie vor einer einfachen Wahl standen: entweder weiter schweigend im Schuldgefängnis leiden, um die letzten Euros zu behalten, die sie noch in der Tasche hatten, oder die Eurozone verlassen, möglicherweise auch die Europäische Union. Die Troika und ihre Anhänger in Griechenland, die griechische Kommunistische Partei und die Mitglieder der Linken Plattform von Syriza waren sich zwar uneins, welche der beiden Optionen vorzuziehen war, aber in einem Punkt stimmten sie überein: Varoufakis ist bestenfalls ein nützlicher Idiot, der Griechenlands rebellische Volksmassen in eine schreckliche Niederlage führen wird (die beharrliche Behauptung der Linken), und schlimmstenfalls ein gefährlicher Narzisst, möglicherweise ein Agent satanischer Kräfte, der zusammen mit George Soros und anderen amerikanisch-jüdischen Feinden des Euro Europa destabilisieren möchte (die Behauptung des Establishments). Diese beiden Denkschulen schafften das Unmögliche: ein und dieselbe Person zugleich als Feind von Griechenlands Platz in Europa und als Handlanger Brüssels hinzustellen.

Weil ich mir der realen Gefahren bewusst war, die dieser mächtige Konsens heraufbeschwor, schrieb ich Anfang 2014 ein Buch mit dem Titel Die Entstehung von Bailout-Griechenland, das nur auf Griechisch erschien. Darin formulierte ich noch einmal das Argument, das ich seit Jahren wiederholte: Griechenland durfte nicht den Grexit anstreben, sondern sollte sich um eine praktikable Vereinbarung bemühen, die seinen Verbleib in der Eurozone sicherte. Eine solche Vereinbarung war möglich, aber keinesfalls sicher, sofern wir uns nicht durch die Drohung mit einem erzwungenen Grexit einschüchtern ließen.

Eine Woche vor der Parlamentswahl am 25. Januar 2015 präsentierte ich das Buch im Megaro Musikis, der Athener Musikhalle, vor Hunderten Menschen vor Ort und weiteren zweihunderttausend, die die Veranstaltung per Videostream im Internet verfolgten. Das sollte meine einzige Wahlkampfveranstaltung sein, deshalb nutzte ich sie, um den Wählern meine Verhandlungsziele und meine Strategie darzulegen, genau wie ich es bei Alexis, Pappas und Dragasakis getan hatte. Ich schloss mit folgenden Worten:

Wir können nur eine Schlussfolgerung ziehen: dass es sinnlos ist, mit der EU und dem IWF zu verhandeln, wenn wir die Kapitulation nicht mehr verabscheuen als den Grexit. Wenn Syriza tief im Innersten glaubt, dass der Grexit schlimmer ist als eine weitere Rettungsvereinbarung, dann sollte sie gleich am Anfang kapitulieren – oder am besten die Wahl gar nicht erst gewinnen. Das bedeutet nicht, dass wir den Grexit wollen oder darauf hinarbeiten sollen. Es bedeutet, dass der einzige Weg zu einer tragfähigen Vereinbarung innerhalb der Eurozone darin besteht, unseren Gläubigern maßvolle Vorschläge für eine neue Vereinbarung zu unterbreiten, während wir zugleich entschlossen sind, nicht vor der Drohung mit dem Grexit zu kapitulieren.

Wenn ich mir überlege, was unsere Gläubiger vermutlich wollen, glaube ich wirklich, dass der Grexit eine leere Drohung ist, denn er wird die EU rund eine Billion Euro an staatlichen und privaten Schulden kosten, die sie abschreiben müssen, und in Europas Finanzlabyrinth wird es zu einer Kettenreaktion von Insolvenzen kommen. 2010 wurde ich kritisiert, weil ich auszusprechen wagte, dass die Regierung Papandreou Nein zu Berlin und Brüssel hätte sagen können, weil ein Grexit 2010 die französischen und deutschen Banken hätte explodieren lassen. Heute, fünf Jahre später, schelten mich dieselben Leute, weil ich eine Strategie vorschlage, die 2010 hätte funktionieren können. Nun, ich habe Nachrichten für sie: Ich hatte damals recht, wie sie heute selbst einräumen, und ich dürfte ziemlich sicher heute recht haben. Der Grexit wird sie immer noch teuer zu stehen kommen, trotz allem, was sie getan haben, um sich gegen seine Schockwellen abzuschirmen – und deshalb glaube ich, dass er eine leere Drohung ist.

Natürlich kann es sein, dass ich mich irre. Vielleicht fürchten sie einen Kompromiss mit uns mehr als den Grexit. Aber selbst wenn ich mich irre, stellt euch die Frage: Trotz der zweifellos hohen Kosten eines Grexit – ist die weitere Mitgliedschaft im Euro in dauerhafter Schuldknechtschaft und ewiger Rezession die bessere Lösung?

Meine Damen und Herren, genau wie ein friedliebendes Volk den Krieg nicht will, aber seine Freiheit nicht aufgeben wird, wenn es mit Krieg bedroht wird, ist es absolut rational, den Grexit abzulehnen, wie ich es tue, und trotzdem nicht bereit zu sein, in einem Staat mit einer dauerhaften Wirtschaftskrise zu leben, nur weil man uns mit dem Grexit droht.17

Weil die Wahlen näher rückten und das Gerücht die Runde machte, ich werde der nächste Finanzminister sein, balancierte ich auf einem Drahtseil. Finanzminister gehen traditionell sparsam mit der Wahrheit um. Es wird sogar als ihre Pflicht angesehen, geplante Veränderungen abzustreiten wie Änderungen bei Zinssätzen oder Wechselkursen, selbst wenn sie so etwas bereits vorbereiten. Das soll schädliche vorweggenommene Reaktionen der Märkte verhindern, die den gewünschten Effekt der Veränderung zunichtemachen könnten. In meinem Fall musste ich dem griechischen Volk die Wahrheit über die bevorstehende finanzielle Aggression unserer Gläubiger sagen, ohne den Bankensturm auszulösen, der mich daran hindern würde, im Namen des Volkes einen anständigen Deal mit den Gläubigern auszuhandeln.

Ich wählte die Strategie, zu sagen, wie die Dinge standen, mit einem Schuss Optimismus, dass alles gut ausgehen würde, wenn wir bei unserem Pakt blieben. In einem Interview im Privatfernsehen sagte ich an jenem Morgen: »Wenn Syriza nicht entschlossen ist, Mario Draghis Drohungen, die Banken zu schließen und die Geldautomaten zu sperren, mit der Erinnerung zu kontern, dass so eine Aggression den Geist und die Verträge der Europäischen Union verletzt, und dann den Hörer aufzulegen, hat es keinen Sinn, dass wir gewählt werden. Unser Volk muss auf solche Drohungen der EZB gefasst sein, die genau das mit den Iren und den Zyprioten gemacht hat.«

Das waren nicht eben tröstende Worte von jemandem, der ins Finanzministerium strebte, aber weil das Volk unser einziger Verbündeter war, konnte ich es mir nicht leisten, es im Dunkeln zu lassen. Es musste auf den schlimmsten Fall vorbereitet sein. Gleichzeitig musste ich ihm Mut machen. Auf die Frage in einem weiteren Fernsehinterview, ob die EZB unsere Banken schließen würde, antwortete ich taktisch: »Wenn wir unsere Karten richtig ausspielen, ist die Chance, dass das passiert, genauso groß wie die Aussicht, dass die Sonne am nächsten Tag nicht wieder aufgehen wird.«

In einem Artikel, den ich einen Tag nach diesem Fernsehinterview veröffentlichte, war ich freimütiger. Ich warnte, dass während unserer Verhandlungen die Aktienkurse und alle finanziellen Kennzahlen in schwere Turbulenzen geraten würden. Gleichzeitig versuchte ich, Optimismus zu verbreiten: »Während die Verhandlungen laufen, werden die Märkte und die Spekulanten kurz vor einem Schlaganfall stehen. Aber wenn sie abgeschlossen sind und Griechenland als zahlungsfähiges Land wiederaufersteht, dann werden die Märkte harmonisch nach unserer Melodie tanzen.«18

Die richtige Balance zu finden – wie informiert man, ohne zu alarmieren, wie warnt man, ohne Angst zu verbreiten – war ein schreckliches Dilemma.

Einige andere Dilemmata waren sehr viel einfacher zu lösen.

Die Waffen des Feindes ablehnen

Viele meiner Freunde in der ökonomischen Zunft – die mutmaßten, dass ich drauf und dran war, den schlimmsten Job im Universum zu ergattern – versicherten mich per E-Mail oder per Telefon ihrer Unterstützung. Einige schlugen vor, ich sollte an meinem ersten Tag im Amt Kapitalverkehrskontrollen einführen. Das heißt, statt zu warten, dass die EZB unsere Banken schließen und unsere Geldautomaten sperren würde unter dem Vorwand, den Bankensturm aufzuhalten, den sie gerade ausgelöst hatte, könnten wir ihnen zuvorkommen und Restriktionen verhängen, wie viel Bargeld Konteninhaber abheben und ins Ausland überweisen konnten. Die Idee dahinter war, dass wir, wenn wir den Bankensturm abschwächten, mehr Zeit gewinnen könnten, bevor die Banken geschlossen wurden, Zeit, um unter ruhigeren Umständen zu verhandeln. Gegen diesen Vorschlag sprachen drei Überlegungen.

Erstens wäre die Verhängung von Kapitalverkehrskontrollen der offensichtliche erste Schritt, der anzeigte, dass die Partei beabsichtigte, zu einer nationalen Währung zurückzukehren, um sie dann abzuwerten und damit wieder wettbewerbsfähig zu werden: In dem Fall würden Kapitalverkehrskontrollen verhindern, dass Geld abfloss, weil die Menschen eine Abwertung erwarteten. Mit anderen Worten: Die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen wäre nur dann der richtige Schritt, wenn wir vorhätten, die Eurozone zu verlassen – wenn wir den Grexit wollten –, und würde deshalb sowohl meinen Verhandlungszielen widersprechen wie meiner Strategie, zu vermitteln, dass wir es mit unseren Zielen ernst meinten. Selbst wenn wir es schaffen sollten, Brüssel davon zu überzeugen, dass wir den ernsthaften Wunsch hatten, im Euro zu bleiben, würden Kapitalverkehrskontrollen signalisieren, dass wir bereit waren, innerhalb der Eurozone zu Bürgern zweiter Klasse zu werden, zu Nachzüglern, die zwar Euros hatten, aber damit nicht tun konnten, was sie tun wollten. Und ich wollte genau das gegenteilige Signal aussenden.

Zweitens wurde die Zeit, die für Verhandlungen zur Verfügung stand, durch unseren Terminplan für die Schuldenrückzahlungen bestimmt, deshalb konnten wir mit Kapitalverkehrskontrollen nicht wirklich Zeit kaufen. Die Rückzahlungen sollten im April 2015 beginnen und bis August weitergehen, darum brauchten wir allerspätestens im Juni 2015 eine neue Vereinbarung. Selbst wenn ich einen Zauberstab hätte, um den Bankensturm zu stoppen, müssten die Verhandlungen trotzdem innerhalb von höchstens vier bis fünf Monaten abgeschlossen sein. Kapitalverkehrskontrollen würden daran nicht das Geringste ändern.

Drittens passten Kapitalverkehrskontrollen nicht zu einer Währungsunion, sie verstießen gegen ihren Geist und gegen ihre Realität. Das Argument für die Eurozone oder einen anderen gemeinsamen Währungsraum ist gerade, dass das Geld ungehindert zirkulieren kann. Würde ich am ersten Tag unserer Regierungszeit Kapitalverkehrskontrollen einführen, wie könnte ich dann die EZB dafür kritisieren, dass sie uns eben damit drohte? Würde ich das tun, wären alle Vorwürfe gegen mich und die Syriza-Regierung – dass wir antieuropäisch seien, dass wir Griechenland auf den Grexit vorbereiteten, dass wir die Einheit der Eurozone untergruben – gerechtfertigt. Mehr noch, unser eigenes Volk wäre verwirrt: Warum hindert uns eine Regierung, die für eine gute Vereinbarung in einem gemeinsamen Währungsraum kämpft, daran, dass wir unser Geld von unseren Bankkonten holen und in andere Länder desselben Währungsraums überweisen? Wir hätten das Schwarze-Peter-Spiel verloren, bevor die Verhandlungen überhaupt begonnen hätten.

Einen weiteren Vorschlag, wie man einer Syriza-Regierung helfen könnte, während der Verhandlungen Zeit zu kaufen, brachte unter anderem Thomas Mayer vor, der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank. Er hatte die Idee, in Griechenland eine zweite Währung parallel zum Euro einzuführen, um mehr Liquidität und für uns mehr Handlungsspielraum zu schaffen. Die Idee war interessant, aber ich hatte sie schon 2010 als Lösung für die Eurokrise geprüft und verworfen.19 Im Kern bedeutete sie, dass Lohnerhöhungen, die die Austerität beenden sollten, in einer neuen Währung gezahlt werden sollten, die durch Staatsschulden gedeckt wäre. Die neue Währung würde natürlich sofort gegenüber dem Euro an Wert verlieren. Während also die Löhne und Renten der griechischen Arbeitnehmer ein bisschen steigen würden, würden die griechischen Stundenlöhne in Euro im Verhältnis zu deutschen, französischen und portugiesischen sinken, wodurch Griechenland an Wettbewerbsfähigkeit gewinnen würde.

Ich nannte Thomas Mayer zwei Gründe, warum ich eine Parallelwährung nicht unterstützte. Erstens: »Parteien und Interessen, die gegen uns sind, erzeugen bereits ein Klima des Terrors, indem sie behaupten, wir hätten eine heimliche Agenda, Griechenland aus dem Euro zu führen, die Ersparnisse des Volks zu plündern und Griechenland zu einem zweiten Argentinien zu machen. Der Propagandawert Ihres Vorschlags für unsere Gegner wäre unermesslich.« Zweitens bestand keine Notwendigkeit dafür, weil das parallele Zahlungssystem, an dem ich arbeitete, uns die nötige Flexibilität bringen würde.

Monate später ging mir auf, dass Deutschlands Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble die beiden Vorschläge – Kapitalverkehrskontrollen und eine Parallelwährung – gegen mich verwenden würde. Die rasche Entscheidung, die Waffen des Feindes abzulehnen, war also richtig gewesen. Trotzdem wurde mir bald nach meinem Rücktritt als Finanzminister im Juli 2015 vorgeworfen, ich hätte teuflische Pläne geschmiedet, beides einzuführen!

So ist das Leben in Bailoutistan.

Maßvolle Sturheit

Als der Wahltag näher rückte, mussten wir unbedingt zwei Signale an Mario Draghi und die übrigen Verantwortlichen von EU und IWF aussenden, ein Zeichen der Mäßigung und ein Zeichen, dass wir es ernst meinten: Ihr könnt mir glauben, dass ich eine Umschuldung vorschlage, die substanziell ist und klug zugleich, die Griechenland eine Chance gibt, aber nicht gegen die Regeln der EZB verstößt und, ganz wichtig, die Angela Merkel nervösen Bundestagsabgeordneten als ihre eigene wunderbare Idee präsentieren kann. Aber täuscht euch nicht: Selbst wenn ihr Griechenlands Banken zusperrt, wird uns das nicht zurück in unser Gefängnis treiben.

Am 17. Januar 2015, eine Woche vor der Wahl, gab ich in meiner offiziellen Eigenschaft als Abgeordnetenkandidat für den Großraum Athen eine Presseerklärung heraus, in der ich meine Vorschläge für eine Umstrukturierung der griechischen Schulden skizzierte. Zuerst sollten wir sie in vier große Tranchen aufteilen:

1. Geld, das Griechenland der EZB in Form der 2010/2011 erworbenen Anleihen schuldete (die sogenannten SMP-Anleihen, die 2012 einen Haircut um 90 Prozent erlitten hätten, wenn die EZB sie nicht aufgekauft hätte);20

2. die größte Tranche (60 Prozent der Gesamtsumme), die wir dem Rest Europas aus den beiden Rettungspaketen schuldeten;

3. eine kleinere Tranche, die wir dem IWF schuldeten (rund 10 Prozent des Schuldenbergs);

4. Geld, das wir nach dem Haircut von 2012 immer noch privaten Investoren schuldeten (rund 15 Prozent der Gesamtsumme).

Und Folgendes schlug ich für die vier Tranchen vor: Unsere Schulden gegenüber dem IWF (3) und gegenüber privaten Investoren (4) sollten vollständig beglichen werden. Letztere waren zu gering, als dass es sich lohnen würde, Hedgefonds gegen uns aufzubringen; das könnte sich zu einem internationalen Konflikt ähnlich wie in Argentinien auswachsen, mit nur geringem potenziellen Nutzen. Abgesehen davon hatten sie einen Schuldenschnitt von 90 Prozent der Summe, die wir ihnen 2012 schuldeten, bereits geschluckt. Der IWF hatte Brüssel und Berlin geholfen, Griechenland in die Schuldknechtschaft zu zwingen, indem er wissentlich falsche Vorhersagen verbreitete. Trotzdem wollten wir die Vereinigten Staaten nicht auch noch verärgern (die den IWF als ihr Eigentum ansehen), wo wir es schon mit Berlin zu tun hatten. Außerdem würde ein Haircut bei den Krediten des IWF auch nicht-europäische Länder wie Malaysia und Japan treffen, die mit Europas internen Querelen nichts zu tun hatten und vielleicht unserer Regierung ein offenes Ohr schenken würden.

Das Geld, das wir der EZB schuldeten (1), das Trichet-Vermächtnis, wie ich es nach dem damaligen Präsidenten der EZB nannte, der die SMP-Anleihen gekauft hatte, war eine absurde Schuld. Wir schuldeten es nur, weil die EZB den Fehler gemacht hatte, nach Griechenlands Insolvenz griechische Staatsanleihen zu rund 70 Prozent ihres Nennwerts zu kaufen, während ihr Marktwert bei nicht viel mehr als 10 Prozent gelegen hatte. Seit damals waren wir in dem jämmerlichen Ritual gefangen, das in Kapitel 3 ausführlich beschrieben wurde (siehe »Erfolgsgeschichte«), dass wir uns von der EZB Geld liehen, um damit der EZB diese Anleihen zurückzuzahlen, und gleichzeitig behaupteten, das nicht zu tun. Dieser Schwindel musste aufhören.

In einem rationalen Europa wäre diese absurde Schuld einfach abgeschrieben worden. Doch leider erlaubt die Satzung der EZB das nicht. Um der Satzung Genüge zu tun, orientierte ich mich am Vorbild des britischen Schatzamts. Die britische Regierung praktizierte schon lange das Verfahren, unbefristete oder ewige Anleihen auszugeben. Sie bringen Zinsen, aber die Regierung kann entscheiden, wann sie die Kreditsumme zurückzahlt und ob sie sie überhaupt zurückzahlt. Ewige Anleihen, die während der Südseeblase in den 1720er-Jahren ausgegeben wurden oder später von Neville Chamberlain und Winston Churchill während und kurz nach dem Ersten Weltkrieg, hat das britische Schatzamt erst Ende 2014 und Anfang 2015 zurückgezahlt. Ich schlug vor, dass unsere Regierung neue ewige Anleihen ausgeben sollte mit dem gleichen Nennwert wie die Anleihen im Besitz der EZB; sie sollten geringe Zinsen abwerfen, aber kein Fälligkeitsdatum besitzen. Diese Anleihen könnten gegen die Anleihen der EZB getauscht werden und würden dann sauber und ordentlich für alle Zeiten in den Büchern der EZB stehen und ein wenig Zinsen abwerfen. Mario Draghi könnte so seine Satzung einhalten, denn die griechischen Schulden würden nie komplett oder auch nur teilweise abgeschrieben werden.

Schließlich schlug ich für die größte Tranche der Schulden (2), die aus den zwei Rettungspaketen stammten und deren Gläubiger Europas Steuerzahler waren, eine andere Art von Tauschgeschäft vor. Bestehende Schulden gegenüber dem europäischen Rettungsfonds sollten gegen neue griechische Staatsanleihen mit dreißigjähriger Laufzeit eingetauscht werden, die ebenfalls den gleichen Nominalwert haben würden (deshalb handelte es sich formell nicht um einen Haircut), aber mit zwei Bedingungen verbunden wären: Erstens würden die jährlichen Zahlungen so lange ausgesetzt bleiben, bis die Wirtschaftsleistung sich über einen bestimmten Schwellenwert erholt hätte. Zweitens sollte der Zinssatz an die Wachstumsrate der griechischen Volkswirtschaft gekoppelt werden. Auf diese Weise würden unsere Gläubiger Partner bei der Erholung Griechenlands werden und hätten ein Interesse daran, dass der Kuchen, aus dem sie ihr Geld zurückerhalten würden, größer wurde.

Diese Vorschläge für einen Schuldentausch, die ich vor den Wahlen vorlegte, sollten die Grundlage meines Verhandlungsangebots an Griechenlands Gläubiger sein, wenn ich im Amt wäre. Sie waren maßvoll und für die Gläubiger politisch verlockend, weil sie keinen richtigen Schuldenschnitt beinhalteten. Sie signalisierten der Öffentlichkeit und potenziellen Investoren, dass die EU eine neue Rolle annahm: Sie war nicht länger der unnachgiebige Gläubiger eines insolventen Staates, sondern würde ein Partner bei Griechenlands Wachstum werden, weil ihre Renditen proportional zu Griechenlands BIP steigen würden. Die Vorschläge würden einen Strom neuer Investitionen nach Griechenland lenken, wo die Investitionen beinahe versiegt waren. Sie würden die griechische Rezession beenden, und dabei würde es nur Gewinner geben, mit Ausnahme der Kakerlaken, die sich in dem Schmutz tummelten, den das lange Elend verursacht hatte.

Kein Vertreter von EU oder IWF formulierte jemals Kritik an der Logik dieser Vorschläge. Wie hätten sie das auch können? Der CEO einer der größten amerikanischen Investmentbanken kommentierte sie so: »Sie bieten ihnen einen Deal an, der von einem auf Insolvenzrecht spezialisierten Anwalt von der Wall Street hätte kommen können.« Ganz genau. Es musste erst eine radikal linke Regierung in Griechenland gewählt werden, damit Athen in Brüssel, Frankfurt und Berlin maßvolle Schuldenvorschläge vorlegte – ein Indiz für den organisierten Wahnsinn, in den die Europäische Union nach Beginn der Eurokrise versunken war.

Doch damals, im Januar 2015, glaubte ich keinen Augenblick, dass die unbestreitbare Logik und offensichtliche Mäßigung meiner Vorschläge die Gläubiger überzeugen würde. Wie ich Alexis seit 2012 immer wieder sagte, würde jeder Vorschlag von uns, der dem Programm der Troika für Griechenland widersprach, mit offener Aggression und der Drohung beantwortet werden, die Banken zu schließen. Auf Logik kam es nicht an. Die wechselseitigen wirtschaftlichen Vorteile spielten keine Rolle. Die Gläubiger wollten ihr Geld nicht zurück. Für sie war ihre Autorität wichtig, und die wurde infrage gestellt, wenn eine linke Regierung mit der Aushandlung einer neuen Vereinbarung für ihr Land Erfolg haben sollte. Für die Gläubiger war das der größte Albtraum, denn andere Europäer, die unter der gleichen Krise und den gleichen irrationalen politischen Maßnahmen litten, könnten dadurch auf neue Ideen kommen.

Maßvolle, vernünftige, technisch durchdachte Vorschläge für einen Schuldentausch waren wichtig, aber nicht ausreichend. Bevor ich die Schwelle zum Finanzministerium überschritt, musste ich ein Signal an die andere Seite aussenden, dass sie einen Preis für ihre Aggression würde zahlen müssen, dass ich in dem Augenblick, in dem sie unsere Banken schließen würden, unsere wichtigste Abschreckung, das parallele Zahlungssystem, aktivieren würde, wie in meinem informellen Pakt mit Syriza vereinbart. Ich sandte mein Signal im Rahmen eines BBC-Interviews im Januar 2015.

Mein Rat an den nächsten Finanzminister [von Griechenland] ist: Wenn die EZB damit droht, die Banken des Landes zu schließen, sollte er umgehend mit einem Schuldenschnitt der griechischen Staatsanleihen im Besitz der EZB reagieren. Für sie gilt immer noch griechisches Recht, deshalb müsste die EZB Griechenland vor griechischen Gerichten verklagen und nicht in London oder Luxemburg. Gleichzeitig sollte er oder sie ein Zahlungssystem installieren, das parallel zu den Banken funktionieren kann, um damit eine in Euro lautende, einheimische Liquidität zu schaffen und vor allem dafür zu sorgen, dass die Wirtschaft weiter läuft, wenn die EZB sich entschließt, die Banken zuzumachen.

Wie ich später feststellte, kam die Botschaft an. Die Frontlinien waren gezogen.21

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9783956142185
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