Читать книгу: «Die Suche nach Tony Veitch», страница 4

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DEN URBANEN BEDUINEN gibt es in Glasgow wie in jeder anderen Stadt. Aufgrund der Orientierungslosigkeit des Alkoholikers verändert er ständig seinen Standort, aber sein Vagabundieren folgt eingefahrenen Handelswegen. In einer Saison sind bestimmte Orte angesagt, die irgendwann aufgegeben werden, wie Kurorte, deren Brunnen versiegt sind.

Laidlaw hatte Eck gut genug gekannt, um eine grobe Vorstellung von seinen Präferenzen zu haben. Über kurze Zeiträume hinweg – und in den vergangenen Jahren sehr unregelmäßig – war er hin und wieder, wie einige meinten, in Wohlanständigkeit abgetaucht, hatte in richtigen Häusern gelebt. Aber natürlich war er immer wieder auf der Straße gelandet, meist in einem Mantel, der mehr oder weniger einer Müllhalde mit Knöpfen glich.

Wenn er gerade keinen Ausflug machte, wusste man meist, wo er zu finden war. Selbst Zerfall kann zur Routine werden. Die Winter verbrachte er im Talbot House oder dem Great Eastern Hotel, dessen Name eine Absteige in der Duke Street zierte wie ein Zylinder einen Scheißhaufen. Bei freundlicherem Wetter zog es ihn meist ins East End, in die Nähe des Glasgow Green und die verkommene, noch immer nicht sanierte Gegend südwestlich der Gorbals Street.

Harkness machte sich Sorgen um Laidlaw, seit sie das Büro zu Fuß verlassen hatten. Er kannte Laidlaws Überzeugung, die »Straße in sich aufnehmen« zu müssen, als ließen sich Fälle durch Osmose lösen. Abgesehen von der zweifelhaften Effizienz dieser Methode, lief man sich die Füße wund. Die geistesabwesenden Gespräche, die damit einhergingen, machten es nicht besser. Man sah einem Hamster im Laufrad zu, der verzweifelt nirgendwohin gelangt.

»Paddy Collins steht auf Ecks Zettel. Paddy Collins ist tot. Was hat Eck mit Paddy Collins’ Tod zu tun? Hat dir Milligan noch was erzählt?«

»Nein. Nur das.«

»Hat er gesagt, ob jemand ins Victoria gekommen ist, als er da war?«

»Paddys Frau. Und, ich denke, Cam.«

Sie gingen an einer Telefonzelle vorbei.

»Seltsam. Warte, ich versuch’s noch mal unter der Nummer.«

Beide quetschten sich in die Zelle und Laidlaw wählte aus dem Gedächtnis. Harkness wusste warum. Seit sie losgegangen waren, hatte er es schon drei Mal versucht. Dieses Mal wurde beim zwölften Tuten abgenommen. Laidlaws Augen strahlten wie die eines kleinen Jungen an Weihnachten. Er warf Geld ein und nickte Harkness gleichzeitig zu, damit dieser sein Ohr an den Hörer hielt.

»Hallo«, sagte Laidlaw.

»Hallo?« Eine Frauenstimme.

»Hallo. Wer spricht da bitte?«

»Hallo, hallo?« Sie klang etwas älter.

»Wer spricht da bitte?«

»Hallo. Hier ist Mrs Wotherspoon. Wer sind Sie, junger Mann?«

»Verzeihung«, sagte Laidlaw und zwinkerte Harkness zu. »Ich will nur sichergehen, dass ich die richtige Nummer habe. Wie lautet Ihre Adresse?«

»Die Adresse? Das ist eine öffentliche Telefonzelle, junger Mann. Ich bin nur vorbeigekommen und hab’s klingeln hören. Bin auf dem Weg zur Fußpflege. Meine Füße bringen mich um. So wie ich gehe, brauch ich zehn Minuten, bis ich an der Telefonzelle vorbei bin. Wahrscheinlich hab ich’s deshalb gehört.«

Harkness keuchte leise, war knallrot im Gesicht vor Anstrengung, sich das Lachen zu verkneifen, er zwinkerte zurück. Laidlaw guckte, als hätte er einen Strumpf voller Asche zu Weihnachten bekommen.

»Wo steht die Telefonzelle, meine Liebe?«, fragte er.

»Ist eine von zweien an der Ecke Queen Margaret Drive und Wilton Street. Worum geht’s denn, junger Mann? Wollen Sie jemanden erreichen? Kann ich helfen?«

»Meine Liebe«, sagte Laidlaw. »Tut mir leid, dass ich Sie belästigt habe. Ist die falsche Nummer. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«

»Keine Ursache.«

»Ich hoffe, Ihren Füßen geht’s bald besser.«

»Das hoffe ich auch, junger Mann. Allerdings. Im Moment fühlen sie sich an wie zwei Laib Toastbrot. Machen Sie’s gut, junger Mann.«

»Cheerio.«

Als sie weitergingen, hatte Laidlaw nichts gegen Harkness’ Frotzeleien. Sie hielten ihn aber nicht davon ab, sich sofort wieder in Gedanken zu verlieren.

»Immerhin etwas«, sagte er. »Das hätten wir erledigt. Paddy Collins fällt aus. ›The Crib‹ ist zu allgemein, als dass es im Moment von Bedeutung sein könnte. Bleibt die Adresse in Pollokshields und die geheimnisvolle Lynsey Farren. Mal sehen, was dabei herauskommt, wenn wir sie überprüfen.«

Laidlaw und Harkness hielten sich zunächst auf der Nordseite des Flusses. Gingen ein kurzes Stück durch den Park und kamen hinter der seltsam verzierten Fassade von Templeton’s Teppichfabrik wieder heraus.

»In dieser Stadt gibt’s ein paar fantastische Gebäude«, sagte Harkness. »Aber man guckt fast nie hin.«

Laidlaw stimmte ihm zu.

»In unserem Job bekommt man einen Tunnelblick«, sagte er.

Betreten gingen sie weiter. Harkness machte sich jetzt noch mehr Sorgen um Laidlaw. Es hatte etwas Zwanghaftes, wie Laidlaw immer weiterlief. Schonungslos. Er sprach Fremde an, beschrieb Eck und erkundigte sich, ob ihn in letzter Zeit jemand gesehen hatte. Harkness war es peinlich.

So hatte man ihm das in der Polizeischule nicht beigebracht. Ähnlich schlau wie nackt über die Straße rennen. Und trotzdem funktionierte es irgendwie. Niemand erschrak. Harkness überlegte, dass einem Offenheit in Glasgow am besten freies Geleit sicherte. Versuchte man Glasgower zu überrumpeln, fielen sie aus allen Ecken über einen her. Sie hassen es, an der Nase herumgeführt zu werden. Begegnet man ihnen ehrlich, ist ihre Toleranz riesengroß.

Für einen Mann galt dies ganz besonders. Er war klein, hatte ein lahmes Bein und trug etwas, das aussah wie ein Beutel mit Brötchen. Als Laidlaw ihn ansprach, nickte er weise.

»Du lieber Gott, ja. Der Junge vom großen Tammy Adamson. Kein Problem. Das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Als Big Tammy den Laden in Govanhill verkauft hat, ist Alec zur See gefahren. Bei der Handelsmarine. Soweit ich weiß, ist er da immer noch. Netter Junge, aber groß. Fast eins neunzig.«

»Nein«, sagte Laidlaw. »Das ist nicht der, den wir meinen.«

»Klingt aber nach ihm. Trotzdem viel Glück. Einen anderen Eck Adamson kenne ich nicht.«

»Danke«, sagte Laidlaw.

»Wofür? War froh, dass mein Bein mal Pause hatte. Tschüs, Jungs.«

Auf ihren Wegen begegneten sie auch ein paar Mal Obdachlosen und unterhielten sich mit ihnen. Einige, die um ein Feuer herumsaßen, schickten sie auf die Südseite des Flusses. Die Information war wahrscheinlich ebenso hilfreich wie ein hölzerner Kompass. Aber etwas anderes hatten sie nicht.

Sie überquerten den Fluss auf der Suspension Bridge. Eine Zeit lang passierte gar nichts. Nachdem sie weitergegangen waren, entdeckten sie fünf Leute hinter der Caledonia Road Church. Ein bemerkenswerter Moment. Vier Männer und eine Frau, die sich verschworen hatten, einer hatte eine Flasche in der Hand. Sie führten eine tiefgründige Diskussion. Platon hatte es nicht schwerer gehabt.

Mit der Kirche im Rücken, wirkten sie klein, und doch relativierten sie deren Größe. Die Außenmauern des in den Sechzigerjahren ausgebrannten Gebäudes waren ein Mahnmal der Zuversicht, die bröckelnde Gewissheit, dass Gott gut ist. Wie eine konkurrierende Glaubensgemeinschaft stritten sie lebhaft in ihrem Schatten

»Hallo zusammen«, sagte Laidlaw, womit er den Tag für Harkness auf eine andere Wellenlänge hob. Laidlaws Unterhaltung ähnelte dem Versuch, mit einem auf dem Atlantik sinkenden Schiff von der Küste aus zu kommunizieren.

»V’pissich«, sagte einer von ihnen, ein kleiner Mann, dessen Gesicht durch alkoholbedingte Zerfallsprozesse zum Wasserspeier geworden war. »V’pissich, das is uns.«

Die Frau schmunzelte, ein gespenstisch kokettes Kichern, das eigentlich hinter einen Fächer gehörte. Sie sah den Kleinen voll schelmischer Bewunderung an, als hätte er gerade einen seiner besten Sinnsprüche von sich gegeben. Die anderen drei ignorierten Laidlaw und Harkness.

»V’pissich«, wiederholte der Kleine.

Er näherte sich Laidlaw auf gleichermaßen bedrohliche wie rührende Weise, schleppte einen Stil, an den er sich kaum noch erinnerte, wie eine ungeladene Pistole mit sich herum.

»Ich will Sie nur etwas fragen«, sagte Laidlaw. »Hat hier jemand Eck Adamson gekannt? Sie, ich kenne Sie.« Laidlaw zeigte auf den Mann mit der Flasche. »Ich habe Sie mit ihm zusammen gesehen.«

Alle verstummten. Der Mann mit der Flasche schwankte, zog seine Würde wie einen Opernumhang fester um sich. Seine Iris wirkte pelzig.

»Ich weiß alles, was man über Boote wissen kann«, sagte einer. »Ich kann Boote zum Sprechen bringen.«

»Verzeihen Sie, Captain«, sagte der Mann mit der Flasche. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

Die Höflichkeit der Nachfrage wirkte bizarr vor dem Hintergrund seines grausamen Niedergangs.

»Sie haben Eck Adamson gekannt, ist das richtig?«, fragte Laidlaw.

Der Mann schien mental in einem umfänglichen Terminkalender zu blättern.

»Ich freue mich, ihn zu meinen Bekannten zählen zu dürfen.«

»Sie durften. Er ist tot.«

»Hat nie genug gekriegt«, sagte jemand.

»Ich bin erschüttert«, sagte der Mann mit der Flasche. »Erschüttert.«

Er nahm einen Schluck und reichte die Flasche der Frau. Während die anderen tranken, erklärte Laidlaw, was geschehen war, und fragte den Mann, ob er wusste, wo sich Eck in letzter Zeit herumgetrieben hatte. Aber es kamen nur Bruchstücke bei ihm an.

»Einer unserer Lieblingsplätze«, sagte der Mann und setzte sich in Bewegung. Laidlaw und Harkness kamen mit, während die anderen hinterhertrotteten.

Weit mussten sie nicht gehen. Er blieb an einer Brache stehen, wo die Asche eines erloschenen Feuers auf ein verlassenes Lager verwies. Der Mann nickte. Die anderen stellten sich dazu.

»Haben Sie gesehen, dass ihn jemand angesprochen hat?«, fragte Laidlaw. »Ein Fremder vielleicht?«

»Ein junger Mann. Möglicherweise ein Wohltäter.«

Harkness verstand Laidlaws Gesichtsausdruck. Wahrscheinlich heizten seine Fragen die kreative Fantasie des Mannes an. Außerdem war ihm die verstörende Angewohnheit des Säufers eigen, zwischen einzelnen Bemerkungen in eine Art Winterschlaf zu verfallen.

»Ja, da war ein junger Mann. John? David? Alex? Patrick?«

»Danke«, sagte Laidlaw. »Erinnern Sie sich auch an seinen Familiennamen?«

»Wir verwenden hier keine Familiennamen.«

»Hat nie was abgegeben«, sagte der Kleine.

»Was meinen Sie?«

»Wenn der eine Flasche hatte, wollte er nichts abgeben. Basta.«

Laidlaw gab dem Gediegenen fünfzig Pence.

»Vielen Dank. Derzeit fehlt es mir an finanziellen Mitteln.«

Die Versammlung löste sich auf wie Nebel.

»Nützliche Informationen«, sagte Harkness.

Sie standen ziellos auf der Brache herum.

»Lass uns suchen«, sagte Laidlaw.

»Wonach? Einer Visitenkarte?«

»Egal. Such!«

Sie suchten. Eine dreckige halbe Stunde später drehte Harkness eine Flasche in einer mit losen Backsteinen verstopften Mauernische herum. Lanliq mit Schraubverschluss. Darin befand sich etwas Dunkles.

Vorsichtig fasste Laidlaw die Flasche am Hals, schraubte den Deckel ab und roch. Nichts ihm Bekanntes. Er sah Harkness an.

»Wir müssen sowieso zurück aufs Revier und einen Wagen holen. Wir nehmen die Flasche mit.«

»Klar«, sagte Harkness. »Vielleicht gibt’s ja noch Pfand dafür.«

»Darauf spare ich mir die Entgegnung. Wir nehmen ein Taxi.«

An sich war die Idee einfach, aber sie führte zu einem jener unvorhergesehenen Momente Glasgower Kabarettkunst, vor der die Stadt nur so strotzt. Laidlaw winkte das Taxi heran und nannte mit dem ihm instinktiv eigenen Gespür für Unauffälligkeit ein Ziel unweit der Pitt Street. Kurz nachdem sie angefahren waren, scherte ein grüner Wagen ohne Vorwarnung direkt vor ihnen auf die Fahrbahn.

»Weg mit dir!«, brüllte der Taxifahrer. »Hoffentlich fallen dir die Räder ab.«

Er wirkte wie Ende dreißig, sein lockiges Haar wurde bereits schütter und offensichtlich litt er extrem unter jener zeitgenössischen Krankheit, dem urbanen Wutausbruch.

»Arschloch«, sagte er und warf den Kopf hin und her, als müsse er den Fausthieben der Welt ausweichen.

Er gehörte zu den Taxifahrern, die ihren Wagen wie ein kleines Häuschen auf Rädern ausstaffieren. Ein schicker Teppich lag auf dem Boden, und statt Werbung hingen an den Sitzlehnen Landschaftsbilder aus den Highlands, die Three Sisters of Glencoe und die Ballachulsih Ferry, bevor die Brücke gebaut wurde. Am Rückspiegel baumelten zwei Bommeln, und Plastikfußballer, Rangers und Celtic, thronten auf dem Armaturenbrett. Wie bei einer Spazierfahrt durch die Psyche eines anderen.

»Wollt ihr ein bisschen Musik, Jungs?«

Der Anblick seiner Augen im Spiegel ließ vermuten, dass Abwehr einem Kapitalvergehen gleichkam. Sie nuschelten etwas Unverbindliches und er legte eine Kassette ein.

»Magisch, oder? James Last. In dem Job braucht man was Beruhigendes.«

Eine fast volle Flasche Irn Bru klemmte verkehrt herum zwischen Taxiuhr und Gepäcktür. Während er weiterredete, entstand der Eindruck, dass er damit nicht nur seinen Durst löschte.

»Ich sag euch, wo ich nicht hinfahre.« Er erklärte dies, als seien sie eigens gekommen, um sich nach seinen persönlichen Tabuzonen zu erkundigen. »Nicht mehr jedenfalls. Blackhill und Garthamlock. Auf keinen Fall. Wisst ihr warum? Garthamlock. Hab so einen Wichser da rausgefahren. Hinten drin hat er gesessen mit dem größten Schäferhund, den ich je gesehen hab. Rin Tin Tin mit Elefantiasis. Wir kommen an, er hat kein Geld. Will mir seinen Hund auf den Hals hetzen. Ich steig aus dem Taxi. Bevor ich Jack Robinson sagen kann, hat er mir auch schon einen Tritt voll in die Eier verpasst. Aus dem Nichts. Mein Sack war dick wie eine Wassermelone. Eine Woche bin ich gelaufen wie ein Cowboy. Aber clever war er nicht. Hab ja ungefähr gewusst, wo er wohnt, richtig? Bin mit ein paar Kumpels bei ihm vorbei, hab auf ihn gewartet. Und mit seinem Kopf Fußball gespielt. Keine Sorge. War ein großer Kerl. Hat geschrien wie ein Schwein. Sein Gesicht hat ausgesehen wie ein Puzzle. Als wir fertig waren, hatte er Nasenlöcher in den Ohren. Korrekt. War schön, Jungs.«

Er drehte die Musik auf und summte kurz mit.

»In dem Job trifft man Irre.«

Harkness beobachtete die Augen des Fahrers, der auf den wahnsinnigen Vorfall mit einer kosmischen Verdauungsstörung zu reagieren schien. In der Erkenntnis, dass sie ihr Ziel fast erreicht hatten, lag eine gewisse Erleichterung. Jetzt konnte er sein Lachen nicht länger unterdrücken.

»Ja. Man lernt, niemandem zu vertrauen. Gibt Leute, die massieren dir die Fresse mit ner Flex, schneller als du gucken kannst. Die Welt ist ein Schlachtfeld.«

»Das Trinkgeld ist ja auf der Uhr schon drauf«, sagte Laidlaw, als er bezahlte.

Harkness merkte, dass Laidlaw recht hatte. Mit seinem Gerede hatte er sie abgelenkt und war eine unnötig umständliche Strecke gefahren. Der Mann sah Laidlaw an, als überlege er, sich mit ihm zu duellieren.

Er schaltete sein Taxischild ein und fuhr los. Harkness stellte sich vor, dass er wie ein manischer Radiomoderator auf Rädern durch Glasgow fuhr, Radio Armageddon, die Taxiuhr tickte wie eine Zeitbombe.

»Wir bringen das hier ins Labor«, sagte Laidlaw und lachte plötzlich.

Er zeigte hilflos auf das davonrauschende Taxi und schüttelte den Kopf. Harkness nickte, krümmte sich.

»Was war das denn?«, brachte Harkness gerade so mit Mühe noch heraus.

»Wie eine Fahrt im Taxi über die Niagarafälle.«

»Ich frage mich, was in Blackhill los war?«, sagte Harkness.

10

DER »TOP SPOT« WAR im selben Gebäude untergebracht wie das Theatre Royal und hatte sich seit der Übernahme des Theaters durch die Scottish Opera verändert. Durch die nach wie vor bestehende Nähe zum neuen Haus von Scottish Television kam immer noch sehr viel Kundschaft von dort. Bob Lilley ging an der Bar vorbei nach unten, die gewölbten Kellernischen und mit Löwenbräuwappen geschmückten Bierfassdeckel an den Wänden wirkten wie Kulissen der Operette The Student Prince.

In der Lounge war angenehm viel los. Er entdeckte Laidlaw und Brian Harkness an einem der Tische. Harkness sagte etwas, womit Laidlaw augenscheinlich nicht einverstanden war. Als Bob sich vor ihnen aufbaute, wartete Laidlaw ein paar Minuten und fragte dann: »Was muss man tun, um hier ein Getränk zu bekommen? Sich schminken?«

Harkness und Laidlaw hatten erneut über die Autopsie gesprochen, der Laidlaw am Vormittag beigewohnt hatte. Harkness war froh, dass Bob gekommen war.

Als Laidlaw an der Bar wartete, schüttelte Harkness den Kopf. Bob setzte sich und schaute zu Laidlaw rüber. Er sah einen großen, gut aussehenden Mann, der nicht wie ein Polizist wirkte, auch nicht wie vierzig, er betrachtete die kopfüber hinter dem Tresen hängenden Flaschen, als könne er sein Schicksal daran ablesen. Laidlaws intensive Gedankenverlorenheit war Bob so vertraut, dass er sich fragte, weshalb Harkness sie beunruhigend fand.

»Jack hat keine fixen Ideen«, sagte Harkness, »das sind schon Wahnvorstellungen.«

Bob teilte sich ein Büro mit Laidlaw und stand ihm näher als alle anderen, abgesehen vielleicht von Harkness, wobei sich Harkness selbst in diesem Punkt nicht so sicher war. Er kannte Laidlaw jetzt seit ungefähr einem Jahr und fand ihn im Umgang immer noch unberechenbar, jede beiläufige Bemerkung konnte erstaunliche Entgegnungen provozieren. Er war ähnlich undurchsichtig wie der Louisiana Purchase. Gegenüber den Kollegen beim Crime Squad hatte sich Bob selbst zu Laidlaws Verteidiger erkoren, wobei ihm diese Funktion manchmal wie ein Vollzeitjob vorkam.

»Was ist los?«, fragte Bob.

»Fruchtlose Tage liegen hinter uns. Ich denke, das ist es. Jack glaubt, er kann herausfinden, wer Eck Adamson auf dem Gewissen hat.«

»Wurde Eck denn ermordet?«

»Jack ist davon überzeugt.«

»Wie?«

»Das musst du ihn fragen. Wäre ja gut und schön, wenn er die Augen offen halten und hoffen würde, dass sich was ergibt. Aber das genügt ihm nicht. Ich merke, dass ihm der Fall zur Obsession wird. Und es ist hoffnunglos, oder? Als stünde man im Schneesturm und würde rufen: ›Siehst du die Flocke da hinten am Ende der Straße. Geh und hol sie dir.‹ Es ist aussichtslos. Und du weißt ja, wie Jack ist, wenn er sich was in den Kopf gesetzt hat. Auch wenn’s ein sinnloses Unterfangen ist. Man kann ihn ebenso wenig ignorieren wie einen singenden Aufmarsch der Heilsarmee. Alle werden die Köpfe schütteln.«

»Inzwischen sollten sie sich an ihn gewöhnt haben.«

»Wer gewöhnt sich schon an Jack? Du weißt, was ich meine. Ich mag ihn. Ich wünschte nur, jemand würde ihm einen Laster voll Valium zu Weihnachten schenken.«

Laidlaw brachte Harkness’ Lager, einen Whisky für Bob und nahm einen Schluck von seinem Soda and Lime. Bob beschloss Harkness zu helfen.

»Wurde Eck ermordet?«, fragte Bob.

Laidlaw nickte.

»Lungenfibrose. Verdacht auf Paraquat-Vergiftung.«

»Paraquat? Ach, komm«, sagte Bob. »Wie kommst du dann auf Mord? Eck hat nicht mal vor Pferdepisse haltgemacht, wenn er Durst hatte. Der war wählerisch wie ein öffentliches Pissoir. Hat getrunken, was ihm in die Quere kam. Fertig. Wieso willst du behaupten, dass es Mord war?«

»Er hat so eine Bemerkung gemacht.«

»Jack! Du hast Eck doch gekannt. Pat the Liar ist George Washington dagegen. Das darf nicht dein Ernst sein. Du kannst solchen Bemerkungen kein Gewicht beimessen.«

»Doch, ich denke schon. Er hat gesagt: ›Der Wein, den der mir gegeben hat, das war gar keiner.‹ Ich glaube, jemand hat ihm Unkrautvernichter untergejubelt.«

»Woher willst du das wissen?«, fragte Bob. »Konnte Paraquat nachgewiesen werden?«

»Nein, das ist nicht mehr nachweisbar. Die eigentliche Vergiftung war wohl schon eine ganze Weile her. Der Stoff verursacht proliferative Veränderungen.«

»Und was heißt das?«, fragte Harkness.

»Ich weiß es nicht genau. Ich glaube, auch wenn die Substanz nicht mehr nachweisbar ist, verschlimmern sich trotzdem die verursachten Schäden. Und diese weisen auf Paraquat hin. Kein schöner Tod.«

»Hast du ihn gesehen?«

Laidlaw nickte.

»Na gut, Jack«, sagte Bob. »Dann ging’s ihm also schlecht. Er tut dir leid, aber Mitleid ist kein Ersatz für gesunden Menschenverstand. Reiß dich zusammen, bitte. Du musst lernen, dich zufriedenzugeben mit dem, was du tun kannst.«

»Gut, Bob«, sagte Laidlaw. »Ich glaube, ich hab mir von Brian schon genug gute Ratschläge aus dem Police College anhören müssen. Meinst du, das weiß ich nicht? Wenn du das perfekte Verbrechen begehen willst, ein Verbrechen um des Verbrechens willen, wie gehst du vor? Du bringst einen Penner um. Hab ich recht? Und zwar aus zwei Gründen: Keiner schert sich um ihn. Gleichgültigkeit brandet dir entgegen. Und du versuchst dagegen anzuschwimmen. Zweitens: Um ein Verbrechen aufzuklären, musst du mit den Nachbarn, den Angehörigen und den Freunden sprechen. Was hat ein Penner schon für Freunde? Höchstens andere Penner. Den telefonischen Nachrichtendienst könnte man besser ins Kreuzverhör nehmen. Nachbarn? Die Tauben im Park. Angehörige? Wenn sie nicht schon ins östliche Nekropolis gezogen sind, halten sie sich bedeckt. Darauf kannst du dich verlassen. Wie ist das abgelaufen? Wer weiß das schon? So nachvollziehbar wie die Flugbahn eines Pin-Ball. Und immer hat man das Gefühl, dass es nur zum Spaß geschehen ist. Jemand wollte eine Mücke zerquetschen. Als würde man kreuz und quer über die Hope Street laufen und mitten auf der Straße eine Fliege mit ausgerissenen Flügeln finden. Wird jemand versuchen, den Täter aufzuspüren? Ich weiß, Bob. Ich weiß.«

»Wieso zum Teufel nimmst du’s nicht einfach mal so hin?«

»Und warum nimmst du’s hin? Ich weiß nicht, was du von deinem Job hältst. Aber ich fühl mich damit so wohl wie im Büßerhemd. Schön, ich mache meine Arbeit. Weil ich manchmal das Gefühl habe, dass sie wichtig ist. Aber nicht, wenn ich einfach nur als besserer Straßenkehrer unterwegs bin. Barlinnie vollstopfe wie einen Müllcontainer. Man muss doch auch mal was anderes machen als immer nur Steuergelder verbraten. Ich will was zurückgeben. Wenn ich nicht mehr tun kann, als im Auftrag des Establishments den Deckel draufzuhalten, dann scheiß drauf. Ich kündige. Aber ich glaube, dass man mehr machen kann. Lernen gehört zu den in unserem Beruf unerlässlichen Dingen. Nicht nur, wie man Verbrecher fängt, sondern auch, wie sie ticken und vielleicht sogar warum. Ich bin kein Wachhund, bin nicht auf Pfeifkommandos trainiert, jage nicht, egal auf wen man mich ansetzt. Und ich misstraue nicht den Menschen, deren Spur ich aufnehme. Ich misstraue denen, in deren Auftrag ich das mache. Und ich habe nicht vor, mich zu ändern.«

»Und?«

»Wäre Wee Eck in einem Penthouse gestorben, hätte ich dich gerne dasselbe sagen hören. Du weißt, was für ein Leben er hatte. Torquemada war sein Schutzheiliger. Seinen Tod nicht gleichgültig zu betrachten ist das Mindeste, was wir tun können. Verstehen wollen, was geschehen ist. Als würden wir einen kleinen Kranz aus Plastik auf sein Grab legen. Apropos Grab. Er wird nicht mal eins haben. Sein Leichnam geht direkt in die Anatomie-Abteilung der Glasgow University. Ich weiß noch, dass mir Eck vor Jahren erzählt hat, er habe seinen Körper dort für fünf Pfund verkaufen wollen. Er wusste nicht, dass der Körper nach dem Tod den nächsten Angehörigen gehört. Und sie ihn deshalb umsonst bekommen. Sogar da hat er den Kürzeren gezogen.«

»Seit wann bist du Mitglied der Bürgerwehr, Jack?«

»Überhaupt nicht. Ich veranstalte keine Hexenjagd. Ich denke nur, dass wir ihm schuldig sind, das Geschehene zu verstehen. Die Wahrheit ist das einzig gesunde Klima.«

Harkness sagte: »Und wie kommen wir da hin, großer weißer Jäger?«

Laidlaw lachte.

»Bitte keine unangenehmen Fragen.«

Bob sagte: »Du könntest eine Anzeige schalten: Geständiger gesucht. Ich würde sagen, das ist deine einzige Chance.«

»Ich möchte lieber was Praktisches tun«, sagte Laidlaw.

Die attraktive junge Bedienung kam rüber und nahm Laidlaws leeres Glas. Sie hatte langes schwarzes Haar und Augen, die immer knapp neben dem Gesicht ihres Gegenübers etwas zu sehen schienen, vielleicht Schuppen auf der Schulter. Sie war dunkel und interessant auf eine Art, dass man sie länger anstarrte, als nötig war. Die Frau blieb stehen – wartete sie darauf, eine Bestellung entgegenzunehmen, oder wollte sie entdeckt werden?

»Nein, danke, meine Liebe«, sagte Laidlaw.

Die anderen beiden bestätigten dies. Die Kellnerin ging wieder. An einem Tisch in der Nähe saß ein bekanntes Fernsehgesicht und benahm sich wie ein bekanntes Fernsehgesicht. Die Gruppe drum herum legte die Spontaneität eines Studiopublikums an den Tag.

»Noch ein Soda and Lime«, sagte Laidlaw, »und ich geh rauf zum Vorsingen. Von dem Zeug wird man blöd im Kopf. Außerdem haben wir noch einen Besuch zu machen.«

»Jetzt bin ich aber erleichtert«, sagte Harkness. »Hab schon gedacht, du willst den Fall allein durch Reden aufklären.«

»Wir besorgen uns was zu essen und fahren nach Pollokshields.«

»Jack«, sagte Bob. »Übertreib’s nicht.«

»Ignorier ihn«, sagte Laidlaw. »Er verbringt sehr viel Zeit hier. Ich sollte dem Geschäftsführer Bescheid sagen.«

Bob kam mit vor die Tür. Die Kellnerin hätte fast Cheerio gesagt. Draußen hatte die Stadt die Laune gewechselt. Warm war es immer noch nicht, aber immerhin war der Himmel jetzt klar. Harkness, der seinen Kater inzwischen überwunden hatte, empfand mal wieder, dass das Wetter etwas sehr Subjektives war. Bob meinte, er wolle ins Büro: »Zurück in die Zurechnungsfähigkeit.«

Bevor sie in die Stewart Street gingen, um sich einen Wagen zu holen, blieb Laidlaw am Eingang zum Theatre Royal stehen und betrachtete das Programm.

»Ich wünschte, das Leben wäre der Oper ähnlicher«, sagte Laidlaw.

»Warum?«

»Weil dann niemand ohne ausführliche Erklärung sterben würde. Hätte Wee Eck eine Arie im Royal gesungen, wäre alles klar.«

Sie gingen weiter und überquerten die Cowcaddens Road. Harkness, kurzzeitig geblendet von der Helligkeit des Tages, dachte darüber nach.

»I-hiii-ich ha-ha-haaaabe das Gii-hihihihi-hift von He-hector McGobleeee-gin bekommen.«

»Na ja«, sagte Laidlaw. »Vielleicht war’s ganz gut, dass er keine Arie gesungen hat.«

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