Читать книгу: «Die Suche nach Tony Veitch», страница 3

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6

ALS ER ZURÜCKKAM, hatte Ena sich bereits ein altes Drehbuch zurechtgelegt. Sie verkörperte Rom und er Attila, den Hunnenkönig. Seine Portion Lasagne war während seiner langen Abwesenheit ungenießbar geworden, im eigenen Fett erstarrt. Die Gäste waren gegangen. Ena deutete an, es habe sich ein tiefgründiges Gespräch entsponnen, das er verpasst habe. Der letzte Blick in Ecks totes Gesicht war noch frisch in Laidlaws Erinnerung, und so fiel es ihm schwer, sich an seinen Text zu erinnern.

Sie fing wieder mit seinem angeblich mangelnden sozialen Fingerspitzengefühl an. Er zeige sich so charmant wie King Kong. Sie geziert, wie in ein Mustertuch gestickt. Dagegen er ein Monument der Selbstsucht. Wer Sorgen habe wie sie, müsse an Frostbeulen sterben. Jedenfalls habe er alles dafür getan, dass Donald und Ria ihn nicht ausstehen konnten. Wer Feinde hatte wie diese beiden, wer brauchte da noch Freunde?

Nach dem Kabarett der gegenseitigen Vorwürfe ging Ena ins Bett, und Laidlaw schenkte sich ein halbes Glas Antiquary ein, füllte es mit Wasser auf. Er ging ans Telefon, hoffte jemanden dranzubekommen, den er kannte und mit dem er klarkam, was nicht ganz einfach war, wie er schuldbewusst dachte. Er hatte Glück. Der diensthabende Staatsanwalt war Robbie Evans.

»Hallo, Jack. Was gibt’s Neues von der Front?«

Laidlaw erzählte ihm von Eck.

»Du glaubst, sein Tod hatte keine ausschließlich natürlichen Ursachen?«

»Möglich.«

»Welche zum Beispiel?«

»Gift?«

»Wie willst du das feststellen? Hat er sich nicht seit Jahren selbst vergiftet?«

»Wenn er’s mal wirklich alleine gewesen ist. Es wird eine Obduktion geben. Ich würde nur gerne sichergehen, dass es so schnell wie möglich passiert. Noch Morgen Vormittag. Anscheinend hat er ziemlich lange im Sterben gelegen. Wenn ihm das jemand angetan hat, gehen uns Spuren verloren, je länger es dauert. Ich würde mich gerne vergewissern, bevor er im Kühlhaus landet.«

»Ich kümmer mich drum. Hat dir den Abend verdorben, oder?«

»Ja, schon. Aber Eck ist es nicht besser ergangen.«

»Ruf morgen wieder an, Jack.«

»Danke.«

Er trank ein paar Schluck Antiquary und ging hoch, um nach den Kindern zu sehen. Wenn er Schlimmes erlebt hatte, war das für ihn fast wie ein Zwang. Er erinnerte sich, wie er einmal vor vielen Jahren, als er noch Uniform getragen hatte, als Erster am Tatort eines Mordes eingetroffen war, nicht in Glasgow. Das Opfer, ein Homosexueller, war von zwei jungen Männern, die er auf einer öffentlichen Toilette getroffen und mit nach Hause in seine Wohnung genommen hatte, zu Tode gefoltert worden. Einer der Männer war Fleischer-Lehrling und hatte den Jungen zum krönenden Abschluss, nachdem sie ihn bereits stranguliert hatten, von der Leiste bis zum Brustknochen aufgeschlitzt und ausgeweidet wie ein Huhn. Später hatte der Fleischer ausgesagt: »Der war nicht normal.«

Damals war Moya gerade erst auf der Welt und Laidlaw merkte, dass er so oft nach ihr sah, dass es ihm schon wie ein Wachdienst vorkam. Große böse Welt, ich behalte dich im Auge.

Heute Abend war alles gut. Moya schlief mit ihren elf Jahren beinahe lächelnd, als habe sie ein Geheimnis. Dem Anschein nach ein sinnliches. Ihr Körper wurde dieser Tage weicher und ihr Gesichtsausdruck zog sich in Nachdenklichkeit zurück. Gute Probleme kamen auf sie zu. Mit zehn sah Sandra jünger aus, als sie war, und schien immer noch den Ehrgeiz zu besitzen, als Junge durchzugehen. Jackie lag wie immer ausgestreckt und selbstvergessen wie ein Unfall in der Kammer. Er war sieben. Ihnen ging es gut.

Er stieg die Treppe runter und stürzte sich kopfüber auf seinen Drink, schenkte sich gleich einen weiteren ein. Er überlegte, ob er lesen sollte. Aber alles schien ein bisschen zu weit vom toten Eck im Royal entfernt. Er dachte über ihn nach. Entfernt verspürte er das Bedürfnis, jemandem davon zu erzählen, der sich dafür interessierte. Für jeden Toten sollte es mindestens einen geben, der sich für ihn interessiert. Je mehr Menschen etwas darüber wissen wollen, desto näher kommt man einer Art humanistischen Erlösung. Und für eine andere fehlte Laidlaw der Glaube.

Er erinnerte sich, dass er Eck seit Beginn seiner Zusammenarbeit mit Brian Harkness ein paar Mal getroffen hatte. Brian hatte beim Fall Bryson zum ersten Mal mit ihm zu tun gehabt.

Laidlaw ging zum Telefon. Es war inzwischen früh am Morgen, aber er rief trotzdem an. Er musste es einige Male klingeln lassen, bevor Brians Vater abnahm. Brian war nicht zu Hause. Laidlaw entschuldigte sich. Brians Vater war ein netter Mann, der Laidlaw von seiner generellen Abneigung gegen Polizisten auszunehmen schien, obwohl er ihm nur einmal begegnet war. Er nahm die Nachricht über den Toten entgegen und erklärte, er wolle Brian ausrichten, dass Laidlaw ihn früher treffen wollte. Aber natürlich hatte er Eck nicht gekannt.

Laidlaw legte auf und nahm Ecks Zettel aus der Hosentasche. Da fiel ihm das Geld ein. Dass Eck sieben Pfund in der Tasche hatte, war genauso ungewöhnlich für ihn wie ein Hauptgewinn im Fußball-Toto. Die Nummer musste eine Telefonnummer sein, drei Ziffern Vorwahl. Er wählte sie, ließ es fünfzehn Mal klingeln. Niemand hob ab.

Dieser wenig überraschende Umstand zog Laidlaw in seiner Niedergeschlagenheit noch weiter runter. Wenn er auf der Intensivstation schon ganz unten angekommen war, dann hing er jetzt in den Schlaglöchern. Das Schweigen am anderen Ende der Leitung wirkte auf ihn so absolut, als hätte er Gott angerufen. Immer wieder lockte ihn die Verzweiflung über gegenseitiges Desinteresse in einen Hinterhalt und machte jegliches Gefühl, etwas geleistet zu haben, zunichte.

Entweder war jeder etwas wert oder niemand. Er erinnerte sich, als Teenager hochfliegende Gedanken gehegt zu haben, als wäre er der Erste, dem sie je in den Sinn kamen. Rückblickend nannte er das seine »Warum sind wir auf der Welt«-Phase, während derer er manchmal mit einem Kopf herumlief, der einer Titelseite mit der Schlagzeile glich: Gibt es Gott? Heute konnte er darüber lachen, aber sein Lachen klang reumütig.

In Wirklichkeit verfolgten ihn einige der Unmöglichkeiten, mit denen er damals zu kämpfen hatte, bis heute. Er erinnerte sich, den Glauben an eine übergreifende Bedeutung des Lebens aufgegeben zu haben, weil eine solche unteilbar, unwiderruflich und allgemeingültig hätte sein müssen und jeder schwebenden Feder und jedem Fitzelchen Papier gleichermaßen und unvoreingenommen Bedeutung verliehen hätte.

Eck war wie ein solches Fitzelchen Papier. Man konnte nicht behaupten, der Sinn sei anderswo und Eck spiele keine Rolle. Das wäre Verrat. Wir haben nur einander, und wenn wir Waisen sind, können wir ehrenhalber nichts anderes machen, als einander zu adoptieren, der Sinnlosigkeit des Lebens mit der Sorge füreinander trotzen. Das ist, was uns adelt.

Laidlaw versuchte, seine Energie wieder aufzufüllen, indem er beim Whisky allen Gewalttätern den Krieg erklärte, allen, die sich nicht für andere interessierten. Doch allein der Gedanke war ihm peinlich. Er wäre ein solch verhinderter Held, ein Gescheiterter, der sich Gescheiterten entgegenstellt. Er musste sich eingestehen, dass er in diesem Moment Jan im Burleigh Hotel anrufen wollte und deshalb gleich ein doppelt schlechtes Gewissen hatte. Einerseits, weil er damit der Versuchung erliegen würde, Jan als Trösterin zu missbrauchen, obwohl er sie kaum an seinem Leben teilhaben ließ. Und andererseits, weil er Ena betrog. Der Kompromiss seines Lebens, mit dem er andere so sehr verletzte, widerte ihn an.

Doch ihm fiel niemand ein, dem Eck genug bedeutete, um herausfinden zu wollen, was ihm zugestoßen war. Laidlaw musste es versuchen. Erbärmlicherweise, wie ihm schien, fielen ihm nur kleine Dinge ein. Er würde die Adresse und die Namen überprüfen und die verfluchte Nummer so lange wählen, bis jemand abnahm. Und morgen würde er die Ergebnisse der Obduktion bekommen.

Wenigstens konnte er Brian morgen davon erzählen, einem, der den Toten gekannt hatte. Damit wurde die Liste der Trauernden um einen weiteren Namen verlängert. Doch auch dieser Gedanke vermochte nicht, seine wütende Traurigkeit zu vertreiben.

7

HARKNESS WACHTE MIT einem ganz eigenen Problem auf. Im Vorzimmer des anbrechenden Tages war es in letzter Zeit sein ständiger Begleiter. Wann sollte er heiraten? Die Antwort wurde durch eine zweite Frage, die sich der ersten stets wie ein siamesischer Zwilling anschloss, erheblich verkompliziert: Wen sollte er heiraten?

Müde durchlief er sein frühmorgendliches Gedankenprogramm, das er statt Liegestützen absolvierte. Er hatte genug von der Herumtreiberei. Er wollte heiraten. Er mochte Morag. Er mochte Mary. Morag wollte er auf keinen Fall den Laufpass geben. Mary auch nicht. Aber er wollte heiraten. Und hatte genug von der Herumtreiberei.

Seine gegenwärtige Situation bestätigte dies. Er lag in Unterhose unter einer Decke auf jemandes Couch. Die Couch war ein Garant für Schlaflosigkeit. Sie war so konstruiert, dass der Kopf im rechten Winkel zum Körper unter der einen Armlehne eingeklemmt lag, während die andere ein wildes Muster in die Waden prägte. Seine Füße guckten unter der Decke hervor, und der große Zeh seines rechten Fußes – schwarz angelaufen, seitdem er ihn sich bei einem Spiel des Crime Squad gestoßen hatte – schien ihm vorzuwerfen, jünger erscheinen zu wollen, als er tatsächlich war. Er war nämlich schon siebenundzwanzig. Und sein Fußnagel sah aus, als würde er abfallen. Auch das noch.

Jetzt wusste er wieder, wo er war. Zuerst hatte er geglaubt, bei einem Mädchen zu Hause. Gestern Abend war er im »Joanna’s« gewesen, einer Disco. (Was hatte er da gewollt? Nach einer dritten Möglichkeit Ausschau halten?) Aber dann erkannte er die unnachahmliche Einrichtung von Milligans kleiner Wohnung, eine Art Wartezimmer-Barock.

Die Wände waren graubraun und schmucklos, die Möbel so anheimelnd wie in einem Gebrauchtwarenlager und überall verstreut dazwischen Klamotten. Weniger ein Zimmer als ein Koffer mit Türen.

Aus der winzigen Küche drang das Brutzeln von etwas, das in einer Pfanne gebraten wurde, und dann hörte er Milligan vergnügt »My Way« massakrieren.

Harkness grinste. Seit er vor seiner Versetzung zum Crime Squad unter Detective Inspector Milligan bei der North Division gearbeitet hatte, war er mit der ansteckend-nervösen Fröhlichkeit Milligans vertraut. Der Mann benahm sich, als wäre die Welt eine Parade zu seinen Ehren. Wenn er an Laidlaws Angespanntheit dachte, verstand Harkness, weshalb sein neuer und sein alter Vorgesetzter einander nicht leiden konnten. Ihre Charaktere widersprachen sich.

Milligan tapste durchs Zimmer, trug einen dunkelblauen Frotteebademantel von Marks & Spencer. Vermutlich aus der Grabbelkiste. Er deckte den Tisch. Harkness, der immer eine Weile brauchte, um zurück an die Oberfläche zu gelangen, wollte zumindest guten Willen beweisen. Er machte den Mund auf, um zu sprechen, doch heraus kam nur ein verzerrtes Gähnen, ein »Narrgh«. »Darf ich dich damit zitieren?«, fragte Milligan. »Du hast gestern Abend ganz schön getankt. Was war los? Bist du in ein Fass gefallen?«

»Hab meine Probleme in Alkohol ertränkt.«

»Welche Probleme? Dein einziges Problem ist, dass du nicht genügend hast.«

Beim Anblick von Milligan, der die zahlreichen ihn umhüllenden Hektar Frottierstoff sprengte und dessen breites Gesicht aussah, als hätte es mehr Gegenwind bekommen als Beachy Head, kam sich Harkness, was Probleme anging, allerdings naiv vor. Milligan hatte eine gescheiterte Ehe und eine verhinderte Karriere hinter sich, er war ein Überlebender, der selbst bei einem Luftangriff noch fröhlich pfiff.

»Ich bilde mir aber ein, dass ich welche habe«, sagte er kleinlaut und stand auf. Seine Füße waren eiskalt. »Danke, dass du mich gestern Nacht aufgenommen hast.«

»Dachte, du hast vielleicht noch ein Mädchen dabei. Wie ein Take-away.«

Harkness ging ins Badezimmer und wusch sich, benutzte Milligans letzte Rasierklinge, die sich wie eine Metallsäge auf der Haut anfühlte, und fragte, ob er das Telefon benutzen dürfe.

»Wenn’s nicht abgestellt ist.«

Er rief seinen Vater an, um sich zu erkundigen, ob jemand eine Nachricht für ihn hinterlassen hatte. Dann ärgerte er sich, weil er nicht da gewesen und mit Laidlaw über Eck gesprochen hatte. Er versicherte seinem Vater, dass noch Zeit genug war, um Laidlaw pünktlich zu treffen. Kurz überlegte er, ob er in Simshill anrufen sollte, aber da es auf seiner Uhr bereits fünf vor acht war, ließ er es bleiben.

Das Frühstück war eine einzige Selbstkasteiung. Der Schinken und die Eier waren fraglos gut, aber er hatte sich die Zähne nur mit dem Zeigefinger geputzt, und die Reste der vergangenen Nacht in seinem Mund ließen alles nach Federn schmecken. Milligans grausame Heiterkeit machte es nicht besser.

»Ich glaube, ich werde heiraten«, sagte Harkness mehr oder weniger zu sich selbst und unterbrach damit Milligans Monolog.

»Warum machst du nicht was Vernünftigeres und spielst Russisch Roulette?«

»Kannst du die Ehe nicht empfehlen?«

»Ich hoffe, das soll kein Antrag sein. Nur weil ich ein gutes Frühstück zustande bringe. Eigentlich bin ich auch vergeben. Meine Frau und ich überlegen, ob wir uns nicht wieder versöhnen wollen. Ehrlich. Letzte Woche hab ich zwei oder drei Stunden mit ihr verbracht und sie kein einziges Mal schlagen wollen. Das muss Liebe sein. Sie hat immer noch nicht die Scheidung eingereicht, weißt du? Eine Schande ist das. Wenn die sich erst mal auf mich einlassen, sind sie für andere verdorben.«

»Wann soll das passieren?«

»Gib ihr Zeit. Sie wird schon klein beigeben. Die Kinder treiben sie in den Wahnsinn. Machen das Haus zum Abenteuerspielplatz. Denen fehlt die starke Hand des Vaters. Wobei’s schade ist, wenn ich aus meiner hübschen kleinen Jungesellenbude rausmuss.«

»Zwing dich.«

»Könnte das letzte Mal sein, dass du hier gepennt hast. Und das ist erst der Anfang. Ich werde diesen Arschgesichtern zeigen, was ein richtiger Polizist ist. Die werden gar nicht mehr anders können, als mich zu befördern.«

»Wie meinst du das?«

»Kennst du Paddy Collins?«

»Im Victoria Infirmary? Der bei einer Messerstecherei verletzt wurde?«

»Verletzt? Er ist durchlöcherter als Haggs Castle. Die wussten nicht, ob sie ihn verbinden oder eine Runde auf ihm spielen sollen. Seit Tagen war er schon so gut wie tot. War nur eine Frage der Zeit, bis er’s zugeben musste. Letzte Nacht war’s dann so weit.«

»Weißt du, wer’s getan hat?«

»Nein, aber ich krieg’s raus. Ich war ein paar Mal bei ihm, leider war er nie bei Bewusstsein. Weißt du, wer er war?«

»Paddy Collins.«

»Klar. Und Hitler war Anstreicher. Ich meine, ob du weißt, mit wem er verwandt war? Cam Colvin ist sein Schwager. Und weißt du, was das bedeutet?«

»Paddy Collins bleibt vielleicht nicht der einzige Tote.«

»Kann eine große Sache werden.« Milligans unverhohlener Enthusiasmus irritierte Harkness, wie eine Touristenführung im Leichenschauhaus. »Stell dir das vor. Ich hab Cams Schwester im Krankenhaus gesehen. Sie macht auf trauernde Witwe, übt schon seit Tagen. Allmählich hat sie’s richtig gut drauf. Toll, oder? Ihr Mann war schon immer so voller Scheiße wie zwei Tonnen Kompost. Gemein zu Frauen, gemein zu Männern. Hat nur von Cam Colvins Ruf gelebt. Jeder, der ihn kannte, hätte gesagt, er hat’s verdient, als Leiche zu enden. Aber kaum liegt er im Krankenhaus mit einem Schlauch in der Nase, fangen die Engelschöre an zu singen. Sie wird dafür sorgen, dass es einem vorkommt wie ein Weltuntergang. Und Cam wird das nicht gefallen. Er wird ihr ein Leichentuch zum Tränentrocknen reichen. Mit einem Toten drin. Das kann er nicht auf sich sitzen lassen.«

Harkness schüttelte den Kopf, dachte an die Konsequenzen.

»Drängt Jacks Sorgen in den Hintergrund«, sagte er.

»Wer? Laidlaw? St. Francis aus Simshill. Was treibt er so?«

»Hab gerade meinen Vater angerufen. Jack hat sich bei mir gemeldet. Eck Adamson ist gestern Nacht im Royal gestorben.«

»Und deshalb hat er Sorgen? Das ist ungefähr so traurig, wie wenn eine Flasche Brennspiritus zerbricht. Der muss doch inzwischen aus reinem Alkohol bestanden haben. In Laidlaws Augen war er natürlich das Paradebeispiel einer Not leidenden Kreatur. Du lieber Himmel, wir haben alle unsere Probleme, schon wahr. Außerdem war Eck als Spitzel ungefähr so viel wert wie ein Kanarienvogel. Der war ja nicht mal in der Lage zu wiederholen, was man ihm vorgesagt hat, geschweige denn, dass er einem was verraten hätte. Aber ich hab einen echten Spitzel. Kannst du dich an Macey erinnern?«

Harkness nickte. Als er mit Milligan gearbeitet hatte, war er Benny Mason ein paar Mal begegnet. Macey war das, was Polizisten unter einem »guten Halunken« verstehen – professionell, nicht gewalttätig. Er hielt den Ball flach und nahm die Dinge wie sie kamen, ohne sich zu beschweren. Seine Berufung zum Informanten schien er als selbst gewählte Beförderung zu betrachten. Und er machte sich gut in seiner neuen Rolle, schien nervlich unbelastet von den Risiken eines Lebens im kriminellen Schwebezustand. Harkness hatte jüngst gehört, Macey habe bei einem Einbruch seelenruhig zu einem unaufgeklärten Polizisten, der ihn festnehmen wollte, gesagt: »Nicht schnappen. Ich hab euch von dem Ding erzählt. Ich bin der, der knapp entkommt.« Und das ist er dann auch.

»Du arbeitest immer noch mit ihm?«

»Hab nicht vor, damit aufzuhören«, sagte Milligan. »Hab seine Eier im Schraubstock. Der gehört mir. Steckt mit Hook Hawkins unter einer Decke. Hab ihm schon gesagt, dass ich Informationen über Paddy Collins von ihm erwarte. Ich bin sicher, dass er welche hat. Besser wär’s.«

»Pass nur auf, dass er sich nichts ausdenkt.«

Milligan lachte.

»Dann kann er gleich seinen Grabstein bestellen. Nee. So blöd ist Macey nicht. Der wird mir den kleinen Gefallen tun. Heute Abend treffe ich ihn. Rate mal wo?«

Harkness zuckte mit den Schultern.

»The Albany.«

»The Albany? Du machst Witze. Das ist ein scheiß Treffpunkt für einen Spitzel.«

»Na, und wie.«

»Kannst ihn gleich bitten, es auf Plakatwände zu schreiben.«

»Ja, oder? Er wollte absagen. Konnte’s kaum fassen. Hat ins Telefon gebrüllt. Aber ich hab ihn gezwungen, einzuwilligen. Ich wette, der musste durch seine eigenen Exkremente waten, um aus der Telefonzelle rauszukommen.«

»Wozu?«

»Ich will, dass er sich angreifbar fühlt. Als hätte er seinen Deckmantel zu Hause vergessen.« Milligan zwinkerte. »Hast du’s eilig?«

»Ja«, sagte Harkness. »Jack will mich schon früher treffen.«

»Spülst du noch die Teller? Ich muss mich fertig machen. Hab heute viel vor. Hör zu. Später am Nachmittag bin ich im ›Admiral‹, wenn du Zeit hast. Wir könnten einen trinken. Wenn sich dein Magen erholt hat.«

Als sie raus auf die Straße traten, blickte Harkness in einen Himmel so schwarz wie eine Mülltonne. Passte zu seinem Kater. Er wünschte gerade, er könnte sich Milligans Heiterkeit zu eigen machen, als dieser von einem langhaarigen Mann in Jeans angerempelt wurde. Der junge Mann sah Milligan an, ohne sich zu entschuldigen.

»Verpiss dich, bevor ich dich zertrampele«, sagte Milligan und brach in schallendes Gelächter aus.

Harkness erinnerte sich an das, was Laidlaw über Milligans Lache gesagt hatte – »klingt, als würden Knochen brechen«.

Dann vertiefte er sich wieder in seinen Kater.

8

DER »GAY LADDIE«, John Rhodes’ Lieblingsbar in Calton, am Anfang – und wie einige meinten auch am Ende – des Glasgower East End, war gerammelt voll. Jedenfalls kam es einem so vor. Macey, Dave McMaster und Hook Hawkins waren da. Außerdem John Rhodes.

Trotz seiner Erfahrenheit ließ sich Macey immer noch von John einschüchtern. Das hatte keinen bestimmten Grund. Nicht seine beachtliche Größe. Nicht die irre Strahlkraft seiner Augen, so blau wie eine Ansichtskarte vom Meer. Äußerlich gab es nichts, womit man das Gefühl hätte erklären können. Vielleicht hatte es etwas mit der Gewalt zu tun, die John in der Vergangenheit auf sich gezogen und angesammelt hatte, den schlimmen Orten, die er besucht und von denen er wieder zurückgekehrt war. Auf Macey wirkte er wie eine drohende Gefahr, als würde er mit Flüssigsauerstoff jonglieren. Und immer wieder widerlegte seine gelassene Natürlichkeit diesen Eindruck.

Wenn er sich John jetzt so ansah, wie er den Tee, den Dave hinten aufgegossen hatte, in vier Becher schenkte, war sich Macey erneut der explosiven Widersprüche bewusst, die John Rhodes ausmachten. Dass sie hier waren, gehörte dazu. Sie trafen sich in dem Pub, weil John nicht duldete, dass die brutalen Methoden, mit denen er sein Geld verdiente, in sein Zuhause einbrachen und sein Familienleben störten, das er mit seiner Frau und den beiden Töchtern führte, als wäre er der Geschäftsführer einer Bank.

Der befremdende Gedanke fand Widerhall in der Befremdlichkeit der Kneipe. Es war circa halb zehn Uhr morgens, und durch die hohen Fenster, die kaum mehr als drahtverstärkte Glasschlitze waren, drangen Lichtstrahlen voll wirbelnder Staubpartikel, was dem fast leeren Pub eine verstörende Feierlichkeit verlieh, ähnlich einer Kapelle mit Baugerüst. Als das Teeritual beendet war, sprach der Hohepriester.

»Hook«, sagte er. »Sag die Wahrheit. Weißt du, was Cam Colvin vorhat?«

Hook Hawkins blickte auf. Sein erhobener Kopf bewegte sich, als wollte er absichtlich die Narbe betonen, die sich von seiner linken Wange bis unter sein Kinn zog. Manche behaupteten, sein Spitzname rühre daher, denn er habe sie einem Mann mit einer Hakenhand zu verdanken. Andere behaupteten, der Name stamme aus seiner kurzen Karriere als Boxer.

Macey dachte an sein Treffen mit Ernie Milligan später am Abend und hatte außer seiner angeborenen Neugierde weitere Gründe, aufmerksam zuzuhören. Er wusste, dass Hook und Paddy Collins zerstritten waren, hatte aber nie erfahren warum. Er fragte sich, ob es um etwas ging, das noch nicht ausgestanden war. Aber er fand Hooks Darbietung überzeugend.

»Bei Gott, ehrlich. Ich weiß nicht, worum’s geht, John. Keine Ahnung.«

»Paddy Collins ist tot«, sagte John. »Weißt du was darüber?«

»Wir waren Freunde.«

»Nicht immer.«

»Ist lange her, John.«

»Vielleicht sieht Cam das anders. Ist dieser Sammy auch ein Freund von dir, Macey?«

»Ja. Na ja, ein Bekannter, John. Der ist harmlos.«

John sah Dave McMaster an. Macey bereute seine letzte Bemerkung. Er hatte nur John gegenüber klarstellen wollen, dass er keinen Unruhestifter in dessen Pubs einführen würde. Aber er begriff jetzt, dass er Daves Situation damit verschlimmert hatte, weil er ihm unterstellte, er würde zulassen, dass Unschuldige belästigt werden. Hoffentlich würde Dave es ihm nicht übel nehmen.

»Dem geht’s gut«, ergänzte Macey beschwichtigend. »Ist nichts passiert. Nur die Jacke sieht jetzt aus, als wär sie gebatikt.«

Wenn er in Stimmung war, ließ sich John ebenso leicht unterhalten wie das Publikum im Glasgow Empire an einem regnerischen Dienstag. Immer noch ruhte sein Blick auf Dave. So angeguckt zu werden, dachte Macey, ist, als würde man einem Schmelzofen zu nahe kommen. Man weicht automatisch zurück.

»Was macht Mickey Ballater hier oben? Wer will diesen Abschaum hier haben? Und Panda Paterson? Wenn ich scheiße, kommt was Besseres raus als der.«

»Der war kein Problem, John«, sagte Dave. »Aber ohne dein Okay wollte ich mich nicht mit Cam anlegen. Jetzt wird’s ernst. Das ist alles.«

John starrte ihn an.

»Das will ich hoffen«, sagte er. »Auf einen Laden aufpassen heißt auch, dass man sich um alle kümmert. Wenn du einem Arschloch erlaubst, dir ins Gesicht zu pissen, kommt der Nächste gleich mit ner ganzen Busladung vorbei, und die wollen dann alle mal. Kann ganz schnell einreißen, wenn sich rumspricht, dass man sich im ›Crib‹ was erlauben kann.«

Er trank seinen Tee. Eigentlich fällte er gar keine Entscheidung. Er ließ sie fällen. Bedachtsamkeit war nicht seine Stärke. Dafür Wut. Als er dort saß, lockte er sie aus ihrem Zwinger, legte ihr Bruchstücke des Geschehenen vor, als wollte er sie auf eine Fährte setzen.

»Einen zweiten Durchbruch zur Straße?«, sagte er. »Ich glaube kaum, dass das klappt. Wir müssen mal sehen, wie er’s haben will. Wenn er uns so kommt, verpass ich ihm einen Durchbruch in den Brustkorb. Ich hau Löcher rein, da können Vögel drin nisten.«

Er sah Macey an.

»Mach was mit ihm aus.«

»Wann, John?«

»Jetzt.«

»Hier?«

»Nein. Er soll sich’s aussuchen. Egal wo. Aber komm gleich wieder. Ich will ihn gleich sehen.«

Macey ließ den Tee stehen, den er kaum angerührt hatte, und ging zur Tür.

»Macey. Am besten irgendwo in der Nähe von einem Krankenhaus.«

John Rhodes grinste, ein Ereignis, so freundlich wie eine Sonnenfinsternis im Winter.

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