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1.3 Bildungssystem im Fokus der Politik

Zwischen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktdynamik auf der einen und dem Bildungssystem auf der anderen Seite bestehen komplexe Wechselwirkungen, keine einfachen Kausalbeziehungen. Weder ist die Wirtschaft in der Lage, die berufliche Bildung der Arbeitskräfte nach eigenen Bedürfnissen direkt zu steuern, noch vermag das Bildungssystem seine Weiterentwicklung in konsistenter Weise zu lenken, sei es auf eigene Ziele hin oder auf solche der Wirtschaft. Dennoch haben einige Reformen zu mehr Kohärenz geführt. Durchschlagende Wirkung zeigen aber vor allem die regulierenden Kräfte der nationalen und internationalen Bildungspolitik. Diese gibt zunehmend Standards vor, welche bei größeren Bildungsreformen als Leitlinie dienen und längerfristig auch die Erwartungen der Wirtschaft beeinflussen. Standards betreffen etwa die Modularisierung von gestuften Bildungsgängen, die Ausrichtung der Curricula an messbaren Kompetenzen, die einheitliche Leistungsbewertung oder die Qualitätssteuerung. Solche regulativen Instrumente finden auch in der berufsorientierten Weiterbildung Anwendung. Es stellt sich indessen die Frage, ob damit die Steuerbarkeit und der gesellschaftliche Nutzen des Bildungssystems verbessert werden.

Reformen im Zeichen von Kohärenz und Durchlässigkeit

Der Wandel von Arbeitsverhältnissen und Arbeitsmärkten stellt neue Anforderungen an die Curricula in der beruflichen Aus- und Weiterbildung. Er gibt Impulse für die inhaltliche Gestaltung und Neuordnung von Ausbildungsbereichen. Das Bildungssystem nimmt sie auf und setzt sie in Veränderungsprozessen um, die durch systemeigene Ordnungen, Funktionslogiken und Zeithorizonte geprägt sind. Immerhin führten Reforminitiativen der letzten Jahrzehnte auch in der Schweiz dazu, dass Berufsausbildungen weniger eng definiert und im Berufsfeld breiter abgestützt sind, beispielhaft die Polymechanik-Ausbildung. Die berufliche Grundbildung wurde neu gestuft (Berufsattest und Fähigkeitszeugnis); für den beruflichen Bildungsweg wurde der Hochschulzugang via Berufsmaturität bzw. Fachabitur geschaffen; Fachschulausbildungen wurden auf das Hochschulniveau verlagert (z. B. im Fall von Gesundheitsberufen), und das Hochschulsystem wurde auf die zweistufige Bologna-Struktur umgestellt. Schließlich wurden neue Verfahren definiert, die den Nachweis und die formale Anerkennung von erworbenen beruflichen Kompetenzen auf alternativen Wegen erlauben (z. B. Kompetenzbilanzierung im Bereich der Grundkompetenzen, Gleichwertigkeitsbeurteilung in der höheren Berufsbildung).

Die Reformen verstehen sich als Antworten auf gesellschaftliche Anforderungen. Sie erfolgen aber nicht geradlinig, sondern bewegen sich in bestehenden Ordnungssystemen und entfalten auch unbeabsichtigte Wirkungen. Denn neue Bildungswege und Zugänge zu beruflichen Positionen stellen ganze Qualifikationshierarchien infrage und führen regelmäßig zu Abgrenzungsproblemen bei etablierten Qualifikationsgruppen. Rückblickend kann man aber doch feststellen, dass die Rationalität des beruflichen Bildungssystems in den letzten Jahrzehnten in einigen Punkten verbessert wurde, auch wenn die Reformen komplex, schwer zu steuern und oft umstritten waren:

–Das Bildungssystem ist durchlässiger geworden und nimmt neue Bedarfe im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umfeld rascher auf.

Beispiele: Hochschulzugang über den beruflichen Bildungsweg; Anerkennung des erfahrungsbasierten Kompetenzerwerbs in geregelten Nachweisverfahren.

–Curricula werden in der Tendenz nachvollziehbarer und bedürfnisgerechter gestaltet.

Beispiele: erweiterte Wahlmöglichkeiten durch modularisierte Studienstrukturen; Ausrichtung der Curricula auf berufsrelevante Zielkompetenzen; Individualisierung des Lernens und Förderung des Lerntransfers.

–Ausbildungsorganisation, Lernzeiten und Lernorte sind den Lernbedürfnissen Erwachsener besser angepasst.

Beispiele: Vernetzung der Lernorte, virtuelle Lernräume, flexiblere Gestaltung von Lehrgängen, Wahl des Studienmodus je nach Lebenssituation (z. B. Fern-, Teilzeitstudium).

Obwohl aber im System der Berufsbildung weiterführende und flexiblere Bildungswege geschaffen wurden, nehmen die Zielgruppen die Option eines Wechsels zwischen formalen Bildungsniveaus seltener als erwartet wahr. So sind die Quoten derjenigen, die beispielsweise nach der Berufsmaturität ein Fachhochschulstudium oder gar – über eine den Anschluss herstellende »Passerelle« – ein universitäres Studium aufnehmen oder die nach einem Fachhochschulabschluss an der Universität weiterstudieren, bescheiden geblieben (Weber 2013, 29f.; Gonon 2012). Die Erstausbildung, die in der Schweiz seit jeher die Erwerbskarriere stark vorbestimmt, bewahrt offensichtlich ihre hierarchisch ordnende Kraft, und das Hochschulsystem bleibt gespalten in ein beruflich ausgerichtetes und ein akademisches Segment (Kiener 2013, 347f.).

Internationale Regulierung und Steuerung von Bildung

Die schweizerische Bildungspolitik hat sich in ihren Reformen den internationalen Regulierungsbestrebungen im Bildungswesen frühzeitig angeschlossen und neue Modelle rasch umgesetzt. Dies betrifft vor allem die Richtlinien für den Europäischen Hochschulraum (Bologna-Prozess, vgl. Müller 2012, 247), aber auch die Einrichtung eines »europäischen Raums der beruflichen Bildung« (Kopenhagen-Prozess). Weitere Formen der internationalen Regulierung zielen auf die standardisierte Messung von Schülerinnen- und Schülerleistungen (z. B. PISA) oder die länderübergreifenden Referenzrahmen zur Einstufung beruflicher Kompetenzniveaus (Europäischer bzw. nationale Qualifikationsrahmen, Dehnbostel 2008, 167f.). Auch in der beruflichen Bildung wurden Standards der Modularisierung, Kompetenzorientierung und Individualisierung in die Lernorganisation der Bildungsgänge aufgenommen, besonders zügig bei der Neuordnung der Fachhochschulen und höheren Fachschulen.

Als wichtige Regulierungsinstrumente erweisen sich die Normierung der Studienstrukturen und die Einführung der standardisierten Leistungsbemessung mit ECTS-Leistungspunkten auf Hochschulebene respektive mit ECVET-Leistungspunkten in der höheren Berufsbildung.[4] Leistungspunkte werden in Abhängigkeit von der Anzahl der absolvierten Module, Kompetenz- und Praxisnachweise an die Gesamtleistung angerechnet. Der Stand der zertifizierten Leistungsergebnisse zeigt an, wo die Lernenden im Curriculum stehen und welche Verwertungsoptionen für den Einstieg in andere Ausbildungen oder Berufsfelder bestehen. Wichtiger jedoch ist die wirtschaftliche Funktion solcher Regulierung. Sie soll die Mobilität der Qualifikationsträgerinnen und -träger auf den internationalisierten Bildungs- und Arbeitsmärkten erhöhen und – in wettbewerbspolitischer Perspektive – ein optimal entwickeltes und quantifizierbares Humankapital für die Wirtschaft am jeweiligen Standort verfügbar machen. In diesem Sinne hat die EU bereits in ihrer Lissabon-Strategie im Jahr 2000 die Vorstellung eines offenen Europäischen Bildungsraums festgeschrieben, mit dem hochgesteckten Ziel, Europa zum weltweit wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum zu machen (Knust & Hanft 2009, 40f.).

Gestärkt wurde seit den 1990er-Jahren auch die politisch-administrative und die betriebswirtschaftliche Steuerung im Bildungssektor (Dehnbostel 2013, 42f.). Zum einen verlagerte sich die Steuerung von der Inputseite (Budgetplanung) hin zu Leistungsprozessen und Output, wobei der Auftraggeber Leistungsziele (Umsatzziele, Abschlussquoten, Zufriedenheitsergebnisse) vorgibt und überprüft. Zum anderen wird indirekt über Qualitätsvorgaben und Zertifizierungsverfahren gesteuert. Im Hochschulbereich müssen sich Bildungsanbieter gemäß staatlichen und internationalen Richtlinien akkreditieren lassen, das heißt: Sie müssen den Nachweis erbringen, dass sie Standards einhalten und Vorkehrungen treffen, um formale Leistungs- und Qualitätsziele zu erreichen. Diese Veränderungen zielen bei Weitem nicht nur auf die Steuerungseffizienz in der Institution, sie führen ein neues Regime ein, unter dem sich jede einzelne Fachhochschule bzw. Universität als unternehmerische Einheit versteht (Kiener 2013, 346f.).

Internationale Regulierung, politisch-administrative und betriebswirtschaftliche Steuerung haben Auswirkungen auf die berufsorientierte Weiterbildung, nicht nur auf die ohnehin stark regulierte höhere Berufsbildung, sondern auch auf die anderen Segmente. So finden beispielsweise Standards der Curriculumentwicklung, der Leistungsmessung und Zertifizierung auch in der Weiterbildung Beachtung. Allerdings folgt ihre Anwendung oft einer anderen Systematik; zudem gibt es für die Qualitätsentwicklung vielfach nur Empfehlungen (vgl. Kapitel 3.3).

Kohärenz der Bildung aus gesellschaftspolitischer Sicht

Wie sind die Veränderungen im Bildungssystem gesellschaftspolitisch einzuschätzen? Verfügt die Bildungspolitik über eine kohärente Orientierung, die ihr erlaubt, auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Problemlagen differenziert zu reagieren? Mit Bezug auf die berufliche und schulische Grundbildung und die primäre Integration junger Erwachsener in den Arbeitsmarkt kann die Frage für die Schweiz in der Tendenz positiv beantwortet werden, auch im Vergleich mit anderen Ländern. Die institutionellen Träger der beruflichen Grundbildung sind heute mit der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Sektor eng vernetzt.

Einschränkungen sind jedoch beim Zugang zur beruflichen Grundbildung zu machen: Der Übergang von der obligatorischen Bildung in die berufliche Grundbildung, auch in die Erwerbstätigkeit fällt Schülerinnen und Schülern mit schwächeren Leistungen oder mit Migrationshintergrund nach wie vor nicht leicht. Sondermaßnahmen (»Brückenangebote«) lösen dieses Problem nicht zureichend, es kommt öfter zum Abbruch von Bildungslaufbahnen (Künzli & Scherrer 2013).

Probleme gibt es ferner bei der beruflichen Nachholbildung Erwachsener ohne Berufsabschluss. Nach Lindenmeyer (2013) werden die gesetzlich vorgesehenen Wege der Nachholbildung via Erfahrungsjahre, spezielle Bildungsgänge und Validierungsverfahren auch deshalb wenig genutzt, weil es den Betroffenen an Selbstlernkompetenzen mangelt, aber auch weil Begleitung und finanzielle Überbrückungshilfen fehlen.

Weitere Vorbehalte sind mit Bezug auf die soziale Selektivität der höheren Bildung anzubringen. Zwar sind Fortschritte bei der institutionellen Durchlässigkeit der Bildungswege zu verzeichnen (siehe oben). Der Zugang zur höheren Bildung ist jedoch nach wie vor in hohem Maße abhängig von der sozialen Herkunft, und zwar besonders ausgeprägt auf dem akademischen Niveau. Die Segregation des Bildungssystems nach Geschlecht ist in den letzten Jahrzehnten insofern schwächer geworden, als sich der Zugang von Frauen zu höheren Ausbildungsniveaus deutlich verbessert hat; dies schlägt sich aber nach wie vor nicht in einem gleichberechtigten Zugang zu Führungspositionen am Arbeitsmarkt nieder. Die Selektivität der höheren Bildung zeigt sich auch daran, dass im Lehr- und Forschungsbetrieb der Hochschulen Fragestellungen der Geschlechterforschung und des Feminismus nach wie vor nur am Rande existieren (Fankhauser & Schöni 2013).

Der Beitrag der Bildung zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen könnte also in vielen Bereichen gezielter und wirksamer gestaltet werden. Über die Ansatzpunkte allfälliger Korrekturen besteht allerdings wenig Einigkeit. Vielmehr werden auf dem Gebiet der Bildung grundsätzliche gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen geführt. Sie betreffen etwa die Gewichtung des schulischen und des beruflichen Bildungswegs, der Wirtschaftsbedürfnisse und der sogenannten Akademisierung (vgl. Strahm 2014). In der Analyse dieser Konfliktpunkte ist zu beachten, dass der Bildungssektor längst selber ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Seine Akteure haben keineswegs nur den Bildungsauftrag oder die Kohärenz der Bildung im Blick, sie verfolgen vielmehr eigene Einfluss- und Wachstumsinteressen.

Fazit: Das Bildungssystem nimmt Probleme der Arbeitswelt auf, um sie zu bearbeiten und Wege der Qualifizierung anzubieten. In der Abstimmung der Bildungswege und in der Steuerung der Bildungsleistungen sind in den letzten Jahrzehnten Fortschritte erzielt worden. Zunehmend definiert das Bildungssystem aber auch selber Probleme und Lernbedürfnisse, für die es »passende« Angebote bereitstellt und damit neue Geschäftsfelder besetzt. Als Folge haben die Bildungsmärkte, ob staatlich reguliert oder kommerziell, ihr Sortiment stark erweitert. So entstanden neben den großen Bereichen der formalen (Grund-)Bildung ausgedehnte zielgruppenspezifische Angebotsprogramme: Karrieremodule für Arbeitskraftunternehmerinnen, Lebensgestaltungstools fürs breite Publikum, arbeitsmarktliche Zwangsmaßnahmen für Problemgruppen usw.

Die Expansion zeitigt ambivalente Folgen. Sie kann in Teilbereichen die berufliche Handlungskompetenz der Erwerbstätigen stärken. Zugleich festigt sie bei ihnen jedoch die Vorstellung, dass Probleme der Erwerbsarbeit, der wirtschaftlichen Entwicklung oder der sozialen Beziehungen sich ohne die Teilnahme an Lernveranstaltungen nicht lösen lassen; und dass alles nur eine Frage des passenden Lernangebots sei. Werden gesellschaftliche Problemlagen in dieser Weise »pädagogisiert«, wie die Bildungswissenschaftler K. A. Geißler und F. M. Orthey schon vor einigen Jahren diagnostizierten (1998, 33f.), birgt dies das Risiko, dass nur thematisiert wird, was sich mit pädagogischen Mitteln und marktgängigen Angeboten bearbeiten lässt.

2 Weiterbildungspolitik und Weiterbildungsmärkte

Die Veränderung von beruflichen Funktionen, Geschäftsprozessen und Arbeitsmarktstrukturen verlangt, dass erworbene Kompetenzen aktualisiert, erweitert und vertieft werden. Wie das Weiterbildungssystem auf den Bedarf reagiert und welche Angebote es bereitstellt, ist indessen nicht allein durch den Bedarf bestimmt. Zum einen kann, was als »Bedarf« gilt, selber Resultat der Einschätzung und Interpretation sein. Zum anderen reagiert das Weiterbildungssystem immer auf der Grundlage von bereits aufgebauten Angebotsstrukturen und Kapazitäten, von Geschäftskonzepten der Anbieter, von Marktdynamiken und Vorgaben der Bildungspolitik. Weiterbildung deckt folglich nicht einfach Bedarfe »im Dienste der Wirtschaft« oder »im Dienste der Lernenden«. Ihre Tätigkeit steht vielmehr im Spannungsfeld sich überlagernder Strukturen, Politiken und Akteursinteressen.

Dieses Kapitel untersucht die politischen Rahmenbedingungen und die Entwicklung der Weiterbildungsbranche. Wie verändert sich das Geschäft der berufsorientierten Weiterbildung, welche Angebotsstrukturen sind etabliert, wie werden die Weiterbildungsbranche und ihre Teilmärkte reguliert? Die Ausführungen nehmen Bezug auf die schweizerische Weiterbildungslandschaft. Ihre Begriffskategorien und Fragestellungen sind jedoch auch auf andere Länder und Bildungskontexte anwendbar, vor allem im deutschsprachigen Raum.

Kapitel 2.1 beginnt mit einem kurzen Abriss der Weiterbildungspolitik in der Schweiz. Der Fokus liegt auf der Entstehung der Erwachsenen- und Weiterbildung, auf den ordnungspolitischen Vorstellungen zur Weiterbildung und auf der Entwicklung ihrer institutionellen und gesetzlichen Grundlagen. Danach wird in Kapitel 2.2 dargelegt, welche Segmente bzw. Geschäftsfelder heute zur berufs­orientierten Weiterbildung zu zählen und wie Marktvolumen und Branchentrends einzuschätzen sind. Kapitel 2.3 beschreibt Dynamiken der Angebotsexpansion und Angebotsdifferenzierung in den wichtigen Geschäftsfeldern der berufsorientierten Weiterbildung. Ziel der Analysen ist es, Trends der Weiterbildungspolitik und der Weiterbildungsmärkte zu identifizieren.

Auf dieser Basis fragt das 3. Kapitel nach der Wirksamkeit des Weiterbildungssystems: Inwieweit ist es in der Lage, angemessene Antworten auf die Veränderungen der Arbeitswelt zu geben, geforderte Kompetenzen zu stärken, kohärente Bildungswege aufzubauen und die Ungleichheit der Bildungschancen zu vermindern? Darauf folgt die Analyse der Wertschöpfung im Weiterbildungsgeschäft.

2.1 Weiterbildungspolitik in der Schweiz

In der Schweiz steht die Weiterbildung politisch-ideologisch in einer liberalen Tradition, sofern die über Jahrzehnte dominierende Verbindung aus bildungspolitischer Zurückhaltung und generalisiertem Marktvertrauen überhaupt eine Tradition begründen kann. Konstanten dieser Ideologie sind das »eigenverantwortliche Individuum« und der »freie Markt«, während dem Staat nur subsidiäre Aufgaben zukommen (Fischer 2014, 15; Weber & Tremel 2008, 3f.). Die Schwäche der staatlichen Steuerung bedeutet aber nicht, dass die Weiterbildung nur den Lernbedürfnissen und der Nachfrage in Wirtschaft und Gesellschaft folgen würde.

Ursprünge und Professionalisierungsschritte

Die Anfänge der Weiterbildung stehen unter expliziten politischen Vorzeichen. So geht die außerschulische »Erwachsenenbildung« auf die aufklärerische Initiative der politischen Arbeiterbewegung, der sozialreformerischen und konfessionellen Bewegungen im 19. Jahrhundert zurück (Furrer 2005). Ausgehend von diesen Entstehungskontexten, verläuft die weitere institutionelle Entwicklung der Erwachsenenbildung großenteils in getrennten Segmenten, was nicht nur für die Schweiz gilt (Nuissl 2011, 330f.). In den Kämpfen um soziale Gerechtigkeit, Bürgerrechte, Frauenrechte und eine Demokratisierung des politischen Systems übernimmt die Erwachsenenbildung Aufgaben der politischen Bildung für breite Bevölkerungsschichten. Substanzielle politische Mitbestimmung wird allerdings noch für längere Zeit verweigert, den Frauen sogar bis in die 1970er-Jahre.

Im 20. Jahrhundert konsolidiert sich die Erwachsenenbildung mit erweiterten Zwecksetzungen zunehmend als Domäne spezialisierter Bildungsorganisationen. Volkshochschulen, gemeinnützige Verbände, Gewerkschaften, Branchen- und Berufsorganisationen bauen ein Programmangebot auf, teils für ein breites Zielpublikum, teils speziell für Verbandsmitglieder. Zur politischen Bildung und Allgemeinbildung kommt nun auch die berufs- und arbeitsmarktbezogene Weiterbildung hinzu, also die Weiterentwicklung einmal erworbener beruflicher Grundqualifikationen (Schläfli & Sgier 2008, 15f.). »Arbeitsmarktfähigkeit« tritt damit programmatisch zunehmend an die Stelle der politischen und sozialen Emanzipation.

Erwachsenenbildnerische Tätigkeit erfährt einen Professionalisierungsschub. Für die Qualifizierung der Ausbildenden entstehen Ausbildungsgänge, zunächst in einzelnen Professionen, dann im Berufsbildungssystem. Die Erforschung der Erwachsenenbildung etabliert sich als Teildisziplin der Erziehungs- und Bildungswissenschaften in der akademischen Lehre und Forschung. Daraus entstehen Standards für die Praxis der Erwachsenenbildung, die über einzelne Segmente hinaus Geltung erhalten. Im Zuge dieser Konsolidierung wird Erwachsenen- und Weiterbildung von kommerziellen Anbietern, auch von international agierenden, als Geschäftsfeld entdeckt. Aus den unterschiedlichen Entwicklungssträngen entsteht die heutige ausgedehnte und fragmentierte Weiterbildungslandschaft aus privaten, gemeinnützigen und staatlichen Bildungsträgern (Furrer 2005).

Traditionen: Marktliberalismus, Korporatismus, schwache Regulierung

Der Weiterbildungsmarkt ist heute durch langfristig aufgebaute Anbieterstruk­turen und korporatistische Interessenverbünde geprägt. Diese entsprechen dem bürgerlichen, auch in weiterbildungspolitischen Diskursen stets hochgehaltenen Idealmodell des »freien« Marktes nur sehr bedingt. Sie werden aber als »Kräfte der Selbstorganisation« und des »Marktes« positiv gewertet und liefern über Jahrzehnte die ideologische Rechtfertigung dafür, dass die politische und gesetzliche Regulierung der Weiterbildung dem Grundsatz der Subsidiarität folgt, also kaum in Erscheinung tritt. Der schweizerische Bundesstaat übernimmt bis in die 1970er-Jahre kaum Aufgaben der zentralen Koordination. Er steuert die Weiterbildung nur in den ihm vom Gesetz zugewiesenen hoheitlichen Handlungsfeldern – so in der Berufsbildung, in der Arbeitssicherheit, im Umweltschutz oder Verkehr. Im Übrigen bestehen föderalistisch abgestufte und disparat ausgelegte gesetzliche Zuständigkeiten auf den nationalen und kantonalen Ebenen (Fischer 2014, 15f.).

Doch auch die Kantone nehmen ihre regulative Tätigkeit recht spät auf, etwa mit der Schaffung kantonaler Weiterbildungsgesetze in den 1990er-Jahren. Sie gestalten ihre Rolle in der Weiterbildung überdies sehr unterschiedlich. Koordinative Aufgaben liegen in der Regel bei den Fachkommissionen und paritätischen Gremien der Wirtschaftssektoren und Berufsfelder. Konglomerate von Anbietern, Verbänden und Branchenorganisationen bestimmen insgesamt die Entwicklung der Weiterbildungsbranche.

In den 1980er-Jahren setzen auf Bundesebene breit angelegte Initiativen im Bereich der beruflichen Weiterbildung ein. Die Weiterbildung an Fachhochschulen und Eidgenössischen Technischen Hochschulen erhält gesetzliche Grundlagen. Und die »Weiterbildungsoffensive« des Bundes legt ab 1990 landesweit thematische Förderungsschwerpunkte fest, zum Beispiel die technische Weiterbildung an Fachhochschulen, die Weiterbildung von Berufsleuten, von Frauen, von Ausländerinnen und Ausländern. Seither expandiert die Weiterbildung auch in der höheren Berufsbildung und an den Hochschulen. Die Aktivitäten der Fachhochschulen geraten dabei auch in Konkurrenz zur höheren Berufsbildung.

Nach der Jahrtausendwende verstärken sich auf nationaler Ebene die Bestrebungen, die Weiterbildung bundesgesetzlich zu regeln. Im Jahr 2006 stimmt die Bevölkerung einem neuen Verfassungsartikel zu, der Weiterbildung als Aufgabenbereich des Bundes erstmals in der Verfassung verankert. Jahre später beginnen die Arbeiten am Bundesgesetz über die Weiterbildung, das die neue Weiterbildungspolitik des Bundes begründen soll. Es versteht Weiterbildung »als Teil des lebenslangen Lernens im Bildungsraum Schweiz«, so ein Kommentar des zuständigen Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI zum damaligen Gesetzesentwurf (SBFI 2013a).

2 501,89 ₽
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452 стр. 37 иллюстраций
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9783035507379
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