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2.3 Dynamik der Angebotsentwicklung

Der wirtschaftliche und soziale Strukturwandel erzeugt Weiterbildungsbedarf in den Berufsfeldern und Organisationen, und er lässt neue Weiterbildungsbedürfnisse bei den Erwerbstätigen entstehen.

Die Weiterbildungsbranche definiert dazu passende Kompetenzziele und stellt Curricula und Qualifikationsverfahren bereit, die den Bedarf decken und für Erwerbstätige und Gesellschaft eine existenzielle Aufgabe erfüllen. So jedenfalls versteht die Weiterbildung seit jeher ihre Funktion, wie die Analyse ihrer einschlägigen Diskurse zeigt (Rosenberg 2015, 134). Die Weiterbildung begründet dies mit der in den 1970er-Jahren entstandenen Einsicht, wonach die in der Jugend erworbene formale Bildung den neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anforderungen nicht mehr genüge und aktualisiert werden müsse.

Pfadabhängigkeit, Expansion und Ausdifferenzierung

Das aktuelle Weiterbildungsangebot ist jedoch nicht als direkte Antwort auf manifeste Bedarfe und Bedürfnisse zu verstehen, es ist eine systembedingte Antwort auf den Strukturwandel. »Systembedingt« heißt: Bei der Entwicklung neuer Weiterbildungsangebote wirken jeweils etablierte Angebotsstrukturen und Leistungskapazitäten der Branche, Marktdynamiken, politische Vorgaben und Finanzierungsmechanismen mit. Die Vorstellung, das Angebot resultiere aus einer einfachen Bedarfsfeststellung und der daraus folgenden Planung von Weiterbildung, ist unangemessen, denn die Voraussetzungen solcher Steuerung fehlen. Das Weiterbildungssystem ist kontextbestimmt und pfadabhängig, d. h., seine weitere Entwicklung vollzieht sich in Abhängigkeit von bereits aufgebauten Binnenstrukturen. Es entzieht sich daher einer simplen Funktionsbestimmung.

Hinzu kommen starke eigendynamische Momente der Expansion und Ausdifferenzierung des Angebots (der Formen und Inhalte) und der institutionellen Strukturen. Treiber dieser Entwicklung sind die Deregulierung der (internationalisierten) Weiterbildungsmärkte, die technische Diversifizierung von Lerndienstleistungen und die dadurch verschärfte Konkurrenz der Anbieter. Mit der Vielfalt der Anbieter und Geschäftsfelder steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Diskrepanzen unter den Segmenten des Weiterbildungssystems sowie zwischen diesem und dem Beschäftigungssystem kommt (Heintz 1971, 2). Denn etablierte Institutionen verfolgen eigene Bestandsinteressen: Sie beanspruchen formelle Anerkennung, Marktanteile, Erträge und Subventionen und rechtfertigen dies mithilfe von Konstrukten (»Ideologien«, a.a.O., 4), welche die Nützlichkeit des Angebots für Wirtschaft und Berufe hervorheben und das institutionelle Eigeninteresse in den Hintergrund treten lassen. So erhalten vereinfachende Deutungen der Weiterbildungsfunktion gerade in Phasen des Wachstums und der Ausdifferenzierung der Branche neuen Auftrieb.

Was die inhaltliche Ausrichtung des expandierenden Angebots der berufsorientierten Weiterbildung betrifft, so fällt es angesichts der heterogenen Marktstrukturen und Institutionen schwer, allgemeine Aussagen zu treffen oder gar Gesetzmäßigkeiten auszumachen. Dies gilt auch für andere Länder (Tippelt 2011, 454). Dennoch gibt es typische Entwicklungsmuster in Angebotssegmenten. So stellen wir erstens einen engen Bezug zu beruflichen Funktionen in der berufsorientierten Weiterbildung mit Abschluss fest; und zweitens eine große Vielfalt, teilweise gar Beliebigkeit der Themen in der allgemeinen berufsorientierten Weiterbildung.

Funktionsbezug der berufsorientierten Weiterbildung mit Abschluss

Die Angebotsprogramme der berufsorientierten Weiterbildung mit Abschluss sind in den letzten Jahrzehnten ausgebaut und zugleich feiner gegliedert und gestuft worden (Weber 2013, 28f.). Diese Entwicklung hat in der höheren Berufsbildung und in der Hochschulweiterbildung stattgefunden, hier am stärksten bei den Fachhochschulen und etwas weniger ausgeprägt bei Universitäten (Fischer 2014, 31f.). Treibende Kräfte dieser Entwicklung waren und sind Veränderungen in den beruflichen Tätigkeitsfeldern, die bessere vertikale Durchlässigkeit im beruflichen Bildungssystem, ebenso die Interessen seiner Akteure. Für fast jedes zusammenhängende Aufgabenbündel und jede Qualifikationsstufe, die in beruflichen und betrieblichen Funktionen identifiziert sind, werden neue Curricula und Qualifikationsverfahren entwickelt, sofern sich dafür Anzeichen einer Nachfrage finden lassen – selbst wenn davon auszugehen ist, dass sie unter Umständen bei einer nächsten Veränderung infrage gestellt werden.[9]

So entsteht ein enger Bezug der Ausbildungsgänge zu beruflichen und/oder betrieblichen Funktionen, obschon die Ausbildung eigentlich auf allgemeine Abschlüsse mit breiten Anwendungsmöglichkeiten hinführen sollte. Der Funktionsbezug der Curricula kommt zum einen dadurch zustande, dass die Unternehmen immer spezifischere, in ihren Branchen und Geschäftsfeldern direkt verwertbare Qualifikationsbündel nachfragen. Zum anderen bringt er die Standesinteressen von Berufs- und Branchenorganisationen und die wirtschaftlichen Interessen der Weiterbildungsanbieter zum Ausdruck. Letztere setzen neue Qualifikationsprofile rasch in marktgängige Produkte um und stellen damit deren »Markttauglichkeit« auch gegenüber Bewilligungs- und Akkreditierungsinstanzen unter Beweis. Wie jedoch Kompetenzen zu polyvalenteren, im Strukturwandel beständigen und entwicklungsfähigen Profilen zusammenzufügen wären und wie neben den fachlichen auch allgemeine kulturelle und politische Fertigkeiten besser integriert werden könnten – solche Fragen werden höchstens in größeren zeitlichen Abständen aufgeworfen; etwa bei Reformen im Berufsbildungssystem.

Volatilität der allgemeinen berufsorientierten Weiterbildung

Gewissermaßen als Korrektiv zum engen Funktionsbezug der berufsorientierten Weiterbildung mit Abschluss hat die allgemeine berufsorientierte Weiterbildung in Themenbereichen wie Arbeitsmethoden, Kommunikation, Management, Führung und Persönlichkeit ebenfalls eine starke Ausweitung und Differenzierung erfahren. Denn im marktgesteuerten, flexiblen Arbeitsverhältnis soll die Arbeitskraft – wie in Kapitel 1.1 beschrieben – nicht nur innerhalb der ihr zugewiesenen beruflichen und betrieblichen Funktionsgrenzen kompetent handeln, sondern im gesamten Geschäftsprozess Verantwortung übernehmen. Sie soll zum Beispiel in wechselnden Teams mitwirken, Aufträge von Anfang bis Ende selbstständig bearbeiten, mit Kunden kommunizieren. Das kommerzielle Weiterbildungsgeschäft reagiert situativ auf Themen und Problemstellungen, die einzelne oder institutionelle Kundinnen und Kunden beschäftigen. Es reagiert außerdem auf die Profilierungsbedürfnisse und Nöte der »Arbeitskraftunternehmerinnen und -unternehmer«, indem es in seinen Angeboten Modethemen anspricht, also z. B. den persönlichen Auftritt, das angemessene Outfit oder Fähigkeiten des Selbstmarketings und der psychischen »Resilienz« (Widerstandskraft).

Das allgemeine Weiterbildungsangebot ist daher im Unterschied zu jenem der höheren Berufsbildung und der Hochschulweiterbildung durch eine ausgeprägte Vielfalt und Flüchtigkeit der Formen und Themen gekennzeichnet. Es nimmt Bezug auf wechselnde Themen der betrieblichen Führung und Organisation, aber genauso des individuellen Lebensentwurfs und der Konsumsphäre. Die Differenzierung nach Themen, Konsumstilen, Preisniveaus, Zielgruppen oder Vorwissen der Teilnehmenden ist nahezu unbegrenzt. Seine Rechtfertigung sucht das flüchtige Angebot nicht unbedingt im Weiterbildungsbedarf etablierter Rollen und Niveaus des Berufssystems, sondern in Trends und Herausforderungen, die oft erst in Umrissen erkennbar sind.

Fazit: Heterogene Angebotsstrukturen, schwierige Orientierung

Der Weiterbildungsmarkt zeigt eine expansive und sich ausdifferenzierende Entwicklung, deren Dynamik durch das Angebotssegment geprägt ist. Während der wirtschaftliche Strukturwandel in den Berufen und Beschäftigungsbereichen unablässig neue Qualifikationsanforderungen und Bedürfnisse entstehen lässt, reagieren die Segmente darauf mit Angeboten, die ihrem bisher verfolgten Entwicklungspfad entsprechen. Die berufsorientierte Weiterbildung mit Abschluss befähigt Teilnehmende, berufliche Rollen und betriebliche Funktionen zu übernehmen; ihr Angebot fügt sich in gewachsene Qualifikationssysteme ein und ist an typische »Abnehmer« – Berufsfelder, Wirtschaftsbranchen, Unternehmenstypen – adressiert. Die allgemeine berufsorientierte Weiterbildung reagiert auf Trends der Arbeits- wie der Konsumwelt mit einem stärker situativen Angebot, das von aktuellen beruflichen, betrieblichen oder individuellen Bedürfnissen bestimmt ist. Dieses Angebot ist flüchtig und lässt in der Regel weder weiterführende Bildungsziele noch anschlussfähige Bildungswege erkennen, zielt aber auch nicht unbedingt auf solche Kohärenz.

Das Gesamtsystem der berufsorientierten Weiterbildung zeigt somit eigendynamische, heterogene und sprunghafte Entwicklungen. Es entzieht sich einfachen Funktionsbestimmungen und bietet keine klare Orientierung. Erschwerend kommt hinzu, dass die Fachdiskussion zur Aus- und Weiterbildung in den letzten Jahrzehnten Kernbegriffe des Lernens neu definiert hat. Diese beziehen sich nicht mehr auf den Wissenserwerb in klar abgrenzbaren bildungsbiografischen Phasen, sondern auf die ganze Lebensgeschichte und den Erwerb von Kompetenzen in vielfältigen Lernkontexten. Die Begriffe erfassen die gesellschaftliche Realität der Bildung besser, verlieren aber an definitorischer Schärfe. Dies schlägt sich in weiteren Differenzierungen am Angebotsmarkt nieder – und macht es für die Nachfrage, das heißt für Teilnehmende und Abnehmer der Weiterbildung, eher noch schwieriger, sich zurechtzufinden.

Genauso stellt sich aber die Frage nach der Orientierungsfähigkeit der Anbieter von Weiterbildung: Wie kann es ihnen gelingen, in dem Marktumfeld, dessen Dynamik sie selber vorantreiben, sich zu orientieren und mit ihren Angeboten Verantwortung zu übernehmen für sinnhaftes, aufbauendes Lernen? Und inwieweit ist das gesamte System der berufsorientierten Weiterbildung heute in der Lage, Anforderungen und Bedarfe der Gesellschaft richtig zu erkennen, ein kohärentes und nachvollziehbares Angebot bereitzustellen und das Lernen breitester Zielgruppen aller Qualifikationsstufen wirksam zu unterstützen?

3 Gesellschaftliche Wirksamkeit des Weiterbildungssystems

Das System der berufsorientierten Weiterbildung umfasst den Weiterbildungsmarkt, die Angebotsstrukturen und Institutionen der Anbieter, das Ordnungssystem der Weiterbildung (Wege, Stufen, Zertifikate), die Träger (Branchen-, Berufs- und Fachverbände), sodann Politik, Behörden und Gesetze der Weiterbildung. Im vorangehenden Kapitel wurde die Entwicklung dieser Elemente im Weiterbildungssystem der Schweiz beschrieben. Von ihrem Zusammenwirken hängt ab, welche Beiträge die Weiterbildung zur Bewältigung des Strukturwandels in Wirtschaft und Gesellschaft leisten kann.

Dieses Kapitel fragt nun nach der Wirksamkeit des Weiterbildungssystems, wiederum am Beispiel der Schweiz. »Wirksamkeit« ist ein komplexes, mehrdimensionales Konzept und wird hier anhand von vier ausgewählten bildungssoziologischen Dimensionen untersucht:

–Deckung von Qualifizierungsbedarf (Kapitel 3.1): Ist die berufsorientierte Weiterbildung in der Lage, Bedürfnisse und Bedarfe der Arbeitswelt richtig zu erkennen und mit passenden Leistungen zu decken?

–Kohärenz von Angebot und Bildungswegen (Kapitel 3.2): Ist das Angebot gut strukturiert, sind die Bildungswege horizontal und vertikal integriert?

–Regulierungs- und Steuerungsfähigkeit (Kapitel 3.3): Werden Weiterbildungsmärkte und Wettbewerb wirksam reguliert, Leistungsprozesse und Ergebnisse gesteuert?

–Egalisierung der Bildungschancen (Kapitel 3.4): Vermag Weiterbildung primäre Ungleichheiten, die im Bildungs- und Beschäftigungssystem angelegt sind, zu korrigieren?

In jedem Abschnitt werden zuerst begriffliche Grundlagen der Dimension geklärt, dann die Merkmale des Weiterbildungssystems analysiert. Die ­Analyse fokussiert ausgewählte Problemstellungen; sie stützt sich auf Befunde der ­Weiterbildungsforschung, auf Fallbeispiele und auf Beobachtungen im Weiterbildungsgeschäft. Die Einschätzungen zur Wirksamkeit sind evidenzbasiert und summarisch; die Folgerungen werden jeweils als Thesen formuliert. Sie verweisen auf Ansatzpunkte für vertiefende bildungs- und sozialwissenschaftliche Forschung.

Kapitel 3.5 kommt zum Schluss, dass die berufsorientierte Weiterbildung heute ein großes und differenziertes Angebot bereitstellt, dass seine Umsetzung jedoch durch heterogene geschäftliche Strategien bestimmt und in seiner Wirksamkeit eingeschränkt ist. Dies gilt für öffentlich-rechtliche Angebote genauso wie für privatwirtschaftliche. Es fehlt ein intersubjektiv verbindlicher Orientierungsrahmen, der erlaubte, die Angebotspolitik nicht bloß nach dem geschäftlichen Potenzial, sondern auch nach dem gesellschaftlichen Wertbeitrag zu bewerten. Der Ansatz der Bildungswertschöpfung liefert einen möglichen Orientierungsrahmen: Er fragt nach den in der Weiterbildung geschaffenen Werten für Lernende und Anbieter, für Wirtschaft und Gesellschaft. Damit befasst sich Teil II des Buches.

3.1 Deckung von Qualifizierungsbedarf

Ist die berufsorientierte Weiterbildung in der Lage, den laufend entstehenden Qualifizierungsbedarf in den beruflichen Praxisfeldern richtig zu erkennen und ihn mit passenden Leistungsangeboten wirksam und zukunftsbezogen zu decken? Befähigt sie Erwerbstätige und Betriebe dazu, Anforderungen zu bewältigen und im wirtschaftlichen Wandel handlungsfähig zu bleiben? Bei der Klärung dieser Fragen beziehen wir uns auf die Praxis in den gewichtigen Angebotssegmenten: in der berufsorientierten Weiterbildung mit Abschluss und in der allgemeinen berufsorientierten Weiterbildung (Segmente 1–3, vgl. Kapitel 2.2).

Begriffsklärung: Qualifizierungsbedarf, Bedarfsdeckung

Das bestehende, reichhaltige und stark differenzierte Weiterbildungsangebot hat für alle beteiligten Akteure und für die Versorgung der Arbeitsmärkte unbestreitbare Vorteile: Es eröffnet erstens für die Erwerbstätigen vielfältige Möglichkeiten, nach der Grundausbildung ihre Qualifikation den veränderten Anforderungen anzupassen, sich weiterzuentwickeln und zu spezialisieren; es stellt zweitens für die Wirtschaft und ihre Beschäftigungsbereiche laufend aktualisiertes Know-how bereit; und es hält drittens die Weiterbildungsanbieter dazu an, in ihrem Angebot für Anschluss- und Vertiefungsmöglichkeiten zu sorgen, woraus wieder neue Geschäftsfelder der Weiterbildung hervorgehen.

Lässt sich daraus folgern, dass die berufsorientierte Weiterbildung die Qualifizierungsbedarfe der Arbeitswelt wirksam und zukunftsbezogen deckt, indem sie vielfältige Produkte bereitstellt?

Voraussetzung dafür wäre die enge, kontinuierliche Abstimmung zwischen Weiterbildungsangebot und Anforderungen der beruflichen Praxis: Die Beteiligten müssen sich zu Beginn auf eine präzise Beschreibung des Qualifizierungsbedarfs verständigen, um die richtigen Maßnahmen abzuleiten; Maßnahmen müssen auf aktuelle und auf absehbare künftige Anforderungen zugeschnitten werden; ihre Ergebnisse sind im Praxisfeld periodisch zu beurteilen, Korrekturen sind einzuleiten usw. Die Deckung von Qualifizierungsbedarf ist keine lineare, sondern eine iterative, der Lösung schrittweise sich annähernde Tätigkeit.

Die expansive Marktdynamik der berufsorientierten Weiterbildung, insbesondere ihres Massengeschäfts (vgl. Kapitel 2.3), lässt jedoch Zweifel aufkommen, ob Bedarfe stets systematisch ermittelt und durch ein abgestimmtes Angebot gedeckt werden. Im Bestreben, Märkte zu erschließen und den Absatz zu erweitern, tendiert das Weiterbildungsgeschäft dazu, Schritte der Bedarfsermittlung und iterativen Bedarfsdeckung zu vernachlässigen und durch Marketing wettzumachen. Dieses führt den Abgleich von Angeboten und Bedarf mit symbolischen Mitteln herbei, d. h., es präsentiert selbst Standardangebote als bedarfsgerecht. Die nachfolgende Analyse zeigt, wie das Weiterbildungsmarketing dies bewerkstelligt: indem es den Qualifizierungsbedarf pauschal festlegt und mit dem Angebot kompatibel macht; indem es »Praxisnähe« zum höchsten Prinzip erklärt; und indem es sich auf aktuellste Trends bezieht und ständige Innovationsbereitschaft bekundet.

Wie die Weiterbildung Bedarf und Angebot »zur Deckung« bringt

1. Marktanalyse statt Ermittlung des Qualifizierungsbedarfs: Die Fachdiskussion der Weiterbildung formuliert methodische Standards, wie bei der Ermittlung von Qualifizierungsbedarf, bei der Ableitung von Qualifizierungsschritten und der Auswahl geeigneter Maßnahmen respektive Angebote vorzugehen sei. Die Logik der Praxis ist jedoch eine andere: Das ausdifferenzierte, auf berufliche Funktionen ausgerichtete Weiterbildungsangebot gibt eine Kategorisierung »geeigneter« Qualifizierungsbedarfe vor, es nimmt insofern Einfluss auf die Bedarfsdefinition und konditioniert die Nachfrage nach Weiterbildung. Beispielsweise werden berufliche und betriebliche Entwicklungsbedarfe so gefasst, dass sie auf bestehende Angebotssortimente und definierte Qualifikationsniveaus »hinführen«. An die Stelle einer methodisch geleiteten Bedarfsermittlung in den beruflichen Funktionsfeldern tritt die Marktanalyse, d. h. die Abschätzung der zu erwartenden Nachfrage nach bereitgestellten Kategorien von Qualifizierungsangeboten. Dieser Fokus prägt heute zunehmend die Ausbildung und das professionelle Selbstverständnis von Weiterbildungsverantwortlichen (vgl. Beispiel nächste Seite). Eine angebots- und anbieterunabhängige Bedarfsfeststellung ist so nicht gewährleistet, was eine bedarfsgerechte Qualifizierung nach professionellen Standards erschwert.

Das differenzierte, nach Bedarfen kategorisierte Weiterbildungsangebot schafft neue Inflexibilitäten in der beruflichen Qualifizierung: Bei Veränderungen im Tätigkeitsfeld können sich Beschäftigte oft nicht selbstständig in neue Funktionen einarbeiten; sie müssen für die neue Funktion den dafür vorgesehenen Bildungsgang absolvieren und das Zertifikat erwerben. Dies ist für einzelne Funktionsbereiche angemessen, für andere ist es eine unnötige Einschränkung. Verantwortlich dafür sind nicht immer die Weiterbildungsanbieter, sondern ebenso Berufsverbände, die Personalpolitik der Unternehmen und Erwartungen ihrer Kunden.

Beispiel

Ausbildungsgang »Eidgenössisches Diplom Ausbildungsleiter/in«

Das Diplom und der darauf vorbereitende Ausbildungsgang sind Teil der höheren Berufsbildung der Schweiz. Die Absolventinnen und Absolventen sind als Bildungsverantwortliche in Unternehmen, Schulen und Kurseinrichtungen oder als selbstständige Bildungsanbieterinnen und -anbieter tätig. Ausbildungsgang und Diplomabschluss werden von der Fachbehörde beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) bewilligt und überwacht. In den letzten Jahren kam es zu einer marktgetriebenen Fokusverlagerung.

In einer ersten Phase (2005–2009) war der Ausbildungsgang auf erwachsenenbildnerische, konzeptuelle und strategische Kernkompetenzen der Ausbildungsleitung sowie auf Kontexte ihrer Tätigkeit ausgerichtet (Arbeitswelttrends, Genderfragen, Rollenkonzepte). Das Qualifikationsverfahren (Diplomprüfung) war unter Aufsicht der Bildungsbehörden von einer landesweiten Kommission erarbeitet worden; es prüfte vor allem marktbezogene Fertigkeiten wie die Schnellkonzeption von Standardangeboten, das individuelle »Verkaufsgespür« und die Durchsetzungsfähigkeit gegenüber Wettbewerbern. Es passte nicht zum Ausbildungskonzept, was zu Problemen führte. In der Folge wurde eine Revision eingeleitet. Da sich Einbrüche in der Nachfrage abzeichneten, wurde jedoch nicht das (unpassende) Qualifikationsverfahren revidiert, sondern das Ausbildungskonzept. Es wurde aufgrund der »Marktsignale« stärker auf Marketing, Management und Führung ausgerichtet, zulasten der erwachsenenbildnerischen Kompetenz und der Kontextthemen. Große Anbieter versprachen sich von dem neuen, weniger bildungsspezifischen Profil ein marktgängigeres Produkt, was sich bald als Irrtum erweisen sollte.

Die zweite Angebotsphase (ab 2010) war nur noch von kurzer Dauer. Schon nach drei Jahren nahmen die meisten Anbieter das Angebot vom Markt mit der Begründung, es fehle die Nachfrage. Fachhochschulen sprangen rasch in die Lücke, indem sie das neue Profil mit eigenen Managementausbildungen abdeckten und prestigeträchtigere Titel verliehen.

2. »Praxisnähe« als curriculares Leitprinzip: An den Weiterbildungsmärkten be­­steht die kaum hinterfragte Erwartung, dass berufsorientiertes Lernen, selbst in der Vorbereitung auf staatlich anerkannte Abschlüsse, einen starken Praxisbezug aufweisen müsse. Curricula werden daher eng auf Funktionen, Aufgaben und Tätigkeiten zugeschnitten; die Ausschreibung verspricht regelmäßig, dass erworbene Fähigkeiten im Betrieb direkt anwendbar und wirtschaftlich verwertbar seien (vgl. Kapitel 2.3). Praxisnähe gilt als Garant für Bedarfsdeckung, und Weiterbildungsanbieter werben gezielt damit. Kundinnen und Kunden erwarten folglich direkten Transfer zwischen Lern- und Praxisfeld. Das pädagogische Fachpersonal versucht, solche Erwartungen mit didaktischen Kunstgriffen einzulösen, da im Lernsetting des Kursbetriebs das Praxisfeld nicht integriert ist und der Lerntransfer höchstens »geübt« werden kann. Andere wichtige Aspekte der betrieblichen Praxis, etwa die Gestaltung von Arbeits- und Lernbedingungen, Mitbestimmung, betriebliche Macht und Diskriminierung, werden dagegen in der Weiterbildung – außer in der gewerkschaftlichen – kaum reflektiert.

Wird »Praxisnähe« in den Curricula auf direkte Verwertbarkeit reduziert, nicht auf eigenständiges Reflektieren und Handeln ausgelegt, so kann das die kognitive Verarbeitung und den selbstständigen Transfer von Gelerntem in neue Erfahrungsbereiche behindern. Kommt es im Funktionsbereich oder Berufsfeld zu Wandel, können allzu gebrauchsfertige Kompetenzen ihren Verwendungsbezug rasch verlieren (Weber 2013, 36). Das Versprechen direkter Verwertbarkeit fördert zwar kurzfristig den Absatz von Weiterbildungsleistungen, sie stellt aber unter Umständen die sinnhafte Integration von Lernschritten infrage. Mit Blick auf solche Tendenzen warnen Kommentatorinnen und Kommentatoren vor einem Fast-Food-Trend in der Weiterbildung.

3. Ausrichtung des Angebots an Megatrends: Teile der berufsorientierten Weiterbildung richten sich speziell an die Bedürfnisse von Arbeitskraftunternehmerinnen und -unternehmern. Das Angebotsmarketing beruft sich dabei auf gleichsam naturgesetzliche Megatrends – Globalisierung, Entgrenzung, Flexibilisierung, Wettbewerb –, die Qualifizierungsbedarfe schaffen und selber keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Labels wie »Mein Auftritt«, »Führungserfolg« oder »Emotionale Kompetenz« bewirtschaften gezielt Werte der beruflichen Identität, der Sinngebung in instabil gewordenen Umgebungen (vgl. die Kritik von Geißler & Orthey 1998, 31f.). Sie sprechen Zielgruppen als Karrieresubjekte an und offerieren Trainings für den Wettbewerb um berufliche Positionen. Gebrauchsfertige Persönlichkeitsanalysen, Instant-Charaktertests und Stärken-Schwächen-Profile gehören zur Grundausrüstung solcher Module. Da Megatrends aber Deutungsschwankungen unterliegen, sind auch die Angebote flüchtig. Sie dokumentieren weniger die Modernität als vielmehr die Orientierungslosigkeit der betreffenden Sparten der Erwachsenenbildung. Statt Lerngegenstände kritisch zu hinterfragen und Diskurse zu analysieren, rückt die Erwachsenenbildung den subjektiven Zugang, die »Konstruktion« und affektive Aneignung ins Zentrum.

Allzu selten ist Weiterbildung darauf ausgelegt, Erwerbstätige darin zu unterstützen, soziale und Geschlechterstereotype, die Typisierung von »Charakteren«, zugemutete Rollen und Karrierenormen infrage zu stellen und an solchen Themen ihre Urteils- und Handlungsfähigkeit zu stärken. Als »erfolgreich« gilt im Weiterbildungsdiskurs vielmehr eine Laufbahn, die sich sogar an sinnwidrige Anforderungen und Zumutungen, an Strukturbrüche, an die kompetitive Logik des Systemumfelds ohne »Beschädigung« anpasst. Symptomatisch dafür sind etwa die sich vervielfachenden Kursangebote zum Thema Resilienz, d. h. Trainings zur Stärkung der persönlichen Widerstandskraft und der innerpsychischen Ressourcen für die Bewältigung »schwieriger« Situationen.

4. Bekunden steter Innovationsbereitschaft: Wie jeder andere Wirtschaftssektor steht auch die Weiterbildung unter dem Druck, sein Angebot zu erneuern. Für eine dynamische, auf veränderliche Märkte reagierende Weiterbildung ist wichtig, dass sie Nachfragetrends rasch in marktgängige Angebote umsetzt, also die time to market minimiert; weshalb laufend neue Weiterbildungsangebote auftauchen und andere verschwinden. In einem transparenten Markt wäre dies – theoretisch betrachtet – kein unlösbares Problem, da Informationen verfügbar wären und Marktteilnehmende ersehen könnten, welchen Qualifizierungsbedarf ein neues Angebot deckt, welche Kompetenzziele es verfolgt und welche Anschlussmöglichkeiten und anerkannten Qualifizierungsschritte es eröffnet. Am bestehenden Weiterbildungsmarkt wird Transparenz jedoch nur so weit hergestellt, wie sie die Kaufentscheidung der Konsumentinnen und Konsumenten beschleunigt, etwa mit Produktübersichten und Preis-Leistungs-Vergleichen.

Im intransparenten Umfeld kann sich Weiterbildungsinnovation auf die Innovation des Produktmarketings beschränken: Was als neues Programm am Markt auftritt, ist oft genug aus bestehenden Modulen unter neuem Label arrangiert. Nach diesem Muster wurden in den letzten Jahren in der neu geordneten Fachhochschullandschaft Dutzende von Weiterbildungsangeboten entweder zu neuen Einheiten aggregiert oder umgekehrt in marktgängige Teilangebote zerstückelt mit dem Ziel, im Verdrängungswettbewerb mit einem breiten Sortiment Marktanteile zu sichern. Aus der Optik gesellschaftlicher Bildungswertschöpfung (vgl. Kapitel 6) wäre dies als Scheininnovation zu bezeichnen. Auch Anbieter betrieblicher oder arbeitsmarktbezogener Weiterbildung folgen solchen Mustern und verkürzen ihre Innovationszyklen, um Trendthemen rascher als die Konkurrenz zu besetzen und Ertragspotenziale auszuschöpfen.

Marketing und Kommunikation tragen somit dazu bei, Weiterbildungsangebot und Qualifizierungsbedarf symbolisch zur »Deckung« zu bringen. Bedarfe und »Megatrends« werden so gedeutet, dass das Weiterbildungsangebot als passende Antwort erscheint. So wird die Weiterbildungsnachfrage konditioniert, werden die Erwartungen von Einzelnen und Betrieben auf die Produkte im Sortiment gelenkt. Was auf den ersten Blick die Verkaufsposition der Anbieter stärkt, kann jedoch ihre bildungsfachliche und methodische Kompetenz beeinträchtigen: Wer primär auf Marketing und Markterschließung setzt, verliert unter Umständen die Fähigkeit, Qualifizierungsbedarfe in den beruflichen Feldern zu erkennen, sie mit Zielgruppen und Betrieben abzustimmen und das Lernangebot daran auszurichten. Wer sich nur an abstrakten Trends orientiert, Bedarfe pauschal festlegt und für vorgefertigte Standardangebote Märkte und Kunden sucht, beansprucht Definitionsmacht, riskiert aber Steuerungsprobleme: Flüchtige Marktsignale, nicht präzise erfasste und akzeptierte Bedarfe, bestimmen die Angebotsentwicklung.

Auch die enge Ausrichtung des Weiterbildungsangebots an beruflichen und betrieblichen Funktionen birgt Risiken (vgl. Kapitel 2.3). Die abschlussorientierte Weiterbildung macht sich abhängig von veränderlichen Karriereerwartungen und betrieblichen Zielen. Wenn Weiterbildung ihre Aufgabe vorrangig darin sieht, wirtschaftlich verwertbare Kompetenzprofile und Titel zu »produzieren« und sich den Marktbewegungen anzupassen, leidet die Nachhaltigkeit der erworbenen Kompetenzen. Zudem riskiert die Weiterbildung, Modetrends des Karrierestrebens oder unproduktive Suchbewegungen des betrieblichen Managements mitzumachen. Dessen Rekrutierungs- und Personaleinsatzstrategie ändert kurzfristig, Veränderungen in den Ausbildungscurricula beanspruchen hingegen längere Zeiträume. Denn zu klären ist bei jeder Veränderung, was ein neues Qualifikationsprofil sinnvollerweise beinhalten soll, inwieweit es von den Abnehmern akzeptiert ist, wie es sich in die gegebene Bildungssystematik einfügt usw. Mangelnde Distanz zu den Praxisfeldern in Wirtschaft und Berufssystem kann somit zu Steuerungsproblemen in der Weiterbildung führen, in diesem Fall zu einer Übersteuerung der Angebotsentwicklung durch interessierte Kreise.

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9783035507379
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