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Mitunter besteht professionelle sowie nichtprofessionelle, vom sozialen Umfeld geleistete Hilfe weniger in im eigentlichen Sinne kausaler Hilfe, sondern darin, einfach zuzuhören. Oft reicht das aus, kann sogar das Entscheidende sein. Es ist wichtig, die Ängste, Nöte und Belastungen des anderen wahr- und ernst zu nehmen.

professionelleBegleitung

Fragt man sich, inwieweit soziale oder pädagogische Begleitung auf den drei hier beschriebenen sozialen Ebenen im Gefolge von Krankheit hilfreich sein kann, so gilt zunächst festzuhalten, dass nicht jeder kranke Mensch der Hilfe von Sozialarbeitern oder Heilpädagogen bedarf. Zur Aufgabe von Sozialarbeit und Heilpädagogik werden Krankheiten und die mit ihnen verbundenen Krisen erst dann, wenn die Selbsthilferessourcen des Betroffenen und seiner Bezugsgruppe – zumindest nach ihrer Ansicht – ausgeschöpft sind und die Toleranzschwelle überschritten ist. Aber die Unterstützung durch Sozialarbeiter und Heilpädagogen kann immer nur punktuell sein. Eine Hilfe für alle Probleme mit allen denkbaren methodischen Instrumenten der Päd-agogik ist eine Überforderung sowohl für das Klienten-System wie auch für den beruflichen Helfer. Folglich sind Entscheidungen darüber notwendig, welches das zentrale Problem im Klienten-System ist, dessen Bearbeitung am ehesten Entlastung erwarten lässt – aber auch Entscheidungen darüber, welches die hierfür geeignete Methode und Vorgehensweise ist.

Die Aufgabe der Medizin besteht in der Besserung oder möglichst der Heilung von Krankheiten. In sozialer Arbeit und Heilpädagogik geht es hingegen um die Mobilisierung vorhandener Kräfte, die Wiederherstellung oder Erhaltung der Handlungsfähigkeit im sozialen Umfeld sowie die Veränderung menschlicher Beziehungen. Nicht die Heilung oder medizinisch-pflegerische Betreuung des „Patienten mit Schlaganfall“ ist Aufgabe der Heilpädagogik, sondern Hilfen zu geben, sich mit den veränderten Gegebenheiten unter Ausschöpfung eigener und externer Ressourcen im sozialen Umfeld zu behaupten.

Kompetenzen

Pädagogen und Sozialarbeiter intervenieren hierbei vor dem Hintergrund instrumenteller Kompetenz (z. B. sozialmedizinischem Basiswissen), reflexiver Kompetenz (der bewussten Einbeziehung ihrer eigenen Persönlichkeit) und Sozialkompetenz (u. a. die Fähigkeit, Nähe und Distanz herzustellen). Dabei können Heilpädagogen und Sozialarbeiter auf der individuellen Ebene sowie der Mikro-, Meso- und Makroebene intervenieren:

■Bezogen auf den individuellen Bereich können sie beispielsweise rekonvaleszenten Krebspatienten ebenso wie chronisch-psychotisch Erkrankten unterstützend zur Seite stehen.

■Auf der Ebene des Mikrosystems wird die Familie und ihre Organisation, beispielsweise Regeln und Grenzen einer Kinder misshandelnden Familie, fokussiert.

■Auf der Ebene des Mesosystems finden sich Einrichtungen des sozialen Netzwerks, z. B. Nachbarschaftshilfe, Selbsthilfegruppen etc., ebenso wie Organisationen und Institutionen des Gesundheitssystems, z. B. Krankenhaus, Beratungsstellen etc.

■Zum Makrosystem gehören gesellschaftliche Rahmenbedingungen – beispielsweise der Zustand der deutschen Psychia-trie nach der Psychiatrieenquette.

Die hierzu notwendige instrumentelle, reflexive und soziale Kompetenz sollte im Rahmen des Studiums, adäquat begleiteter Praktika nebst Supervision und durch die beruflichen Erfahrungen vermittelt werden. Im Rahmen dieses Lehrbuchs gilt es auch, die wichtigsten psychosozialen Faktoren heilpädagogisch besonders relevanter Krankheitsbilder vorzustellen. Hierzu gehören z. B. unterschiedliche Behinderungsformen, die erfahrungsgemäß mit besonderen sozialen Problemen und Stigmata einhergehen können. Hinsichtlich des Kindes- und Jugendalters sind Entwicklungsstörungen, Gewalterfahrungen und Jugendkrisen zu nennen, wenn es um die pädagogische Begleitung in sozialen Krisen geht.

Es bleibt festzuhalten, das sowohl bei der Entstehung, als auch beim Verlauf und Erleben sowie bei der Überwindung von Krankheit bzw. bei der Bewältigung bleibender Krankheitsfolgen nicht nur körperliche und psychische, sondern zum großen Teil auch soziale Faktoren eine nicht zu verleugnende Rolle spielen. Solche sozialen Faktoren lassen sich auf der Ebene des Individuums, seiner unmittelbaren sozialen Umgebung (z. B. Familie), der sozialen Mesoebene, in der der Patient lebt, sowie im soziokulturellen Kontext (Makroebene) feststellen. Aufgabe der Heilpädagogik ist es auch, bei subjektiver oder objektiver Überforderung des Kranken und seiner sozialen Umgebung die Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien) durch spezifische Methoden und Konzepte zu fördern. Dadurch trägt sie dazu bei, dass der kranke oder behinderte Mensch trotz bzw. mit seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ein menschenwürdiges, ihm angemessenes und ihn zufrieden stellendes Leben führen, sich adäquat entfalten und weiterentwickeln kann, dass er befriedigende soziale Bindungen und Interaktionen erfährt und am sozialen und kulturellen Leben teilnimmt.

2.5Das kranke Kind

Krankheit ist ein Phänomen, das auch im Kindesalter untrennbar zum menschlichen Leben gehört. Sie wird zunächst als Belastung, vielleicht sogar als Not erlebt. Hilflos müssen bis dato vitale Kinder damit umgehen, dass sie an das Bett gefesselt sind, Schmerzen haben, an Vitalität verlieren oder zunehmend wieder abhängig werden. Ebenso hilflos müssen Eltern erleben, wie ihr geliebtes Kind an einer vielleicht noch nicht zu diagnostizierenden Krankheit erkrankt und mehr oder weniger gefährdet ist. Vielleicht werden auch medizinische Maßnahmen nötig, die eine Trennung von Kind und Eltern (und sei sie nur vorübergehend) erforderlich machen – für beide Teile oft seelisch schmerzhaft. Nur zu verständlich, dass Eltern ihren Kindern Krankheiten ersparen wollen und Kinder in Krankheit ein ungerechtes Phänomen sehen.

Aber andererseits ist Kindheit ohne Krankheit nicht denkbar. Denn in der Kindheit kommt der Körper mit vielen Krankheitserregern zum ersten Mal in Kontakt. Das sich erst entwickelnde und stabilisierende Immunsystem ist sozusagen auf Krankheit angewiesen, um zu seinen Funktionen ausreifen zu können. Nicht umsonst sprechen wir von „Kinderkrankheiten“, an denen sich Kinder im Vorschulalter gehäuft anstecken.

Aber nicht nur körperlich, sondern auch seelisch (emotional wie geistig) wachsen Kinder in der Auseinandersetzung mit Krankheit. Eltern und Großeltern wissen ebenso wie erfahrene Kinderärzte zu berichten, dass Kinder nach durchstandener körperlicher Krankheit auch emotional wie kognitiv einen Entwicklungsschub durchmachen, dass sie „nachreifen“ und an Autonomie und Selbständigkeit gewinnen. Man hat fast den Eindruck, dass die Erfahrung einer überstandenen Krankheit und die Lust an der wiedergewonnenen Vitalität auch in ganz anderen Bereichen menschlichen Erlebens einen solchen Wachstumsschub auslösen kann. Vor allem die Erfahrung, in tiefer Regression und krankheitsbedingter Erschöpfung nicht allein gelassen zu werden, sondern liebevolle Zuwendung und Hilfe zu bekommen, verbunden mit der Erfahrung, dass auch tiefe Erschöpfung und Apathie ein zu überwindender menschlicher Zustand ist, sowie das Erleben der wieder neu gewonnenen Vitalität und Kraft ermöglichen es dem Kind, auch in späteren Krankheitssituationen nicht die Hoffnung zu verlieren.

Mit anderen Worten: Ob wir krank werden dürfen, ob wir Zeit zur Gesundung haben, ob wir Schonraum einerseits, liebevolle Zuwendung und Versorgung andererseits und ein langsames Hineinführen an unsere kindspezifischen Aufgaben nach Gesundung erfahren, prägt wesentlich, wie wir im Erwachsenenalter mit Krankheit (und auch sonstigen Krisen) umgehen. Die Erinnerungen an die Krankheiten unserer Kindheit sind dabei oft sehr detailliert und vor allem sehr emotionsbesetzt: Vermutlich werden Sie sich an die Krankheiten ihrer Kindheit, insbesondere an Krankenhausaufenthalte erinnern. Dagegen sind andere, durchaus auch bedeutende Ereignisse ihrer Kindheit demgegenüber eher verblasst.

Wie Kinder Krankheit erleben

Das kindliche Erleben von Krankheit ist ein anderes als das im Erwachsenenalter. Das hängt vor allem mit der allgemeinen kognitiven und emotionalen Entwicklung im Kindesalter zusammen.

kognitives Krank-heitsverständnis

Hinsichtlich der kognitiven Entwicklung kann man nach Piaget ein präoperationales Entwicklungsstadium von einem konkret operationalem sowie einem formal-operationalen Stadium unterscheiden:

■Im präoperationalen Stadium des Drei- bis Sechsjährigen konzentrieren sich Kinder auf das unmittelbar wahrnehm- und beobachtbare, hinsichtlich der Krankheit also auf sichtbare oder fühlbare Symptome. Kinder dieses Alters haben kaum Verständnis für Zusammenhänge zwischen Ereignissen, also ein funktionsfähiges Verständnis für Ursache und Wirkung. Dies führt zu einer wenig realistischen Vorstellung über Krankheitsursachen und Verläufe. So kann beispielsweise ein Diabetes mellitus „als Strafe für Naschen“ interpretiert werden, ein Bruch als Konsequenz eines „zappeligen Verhaltens“, auch wenn dies jeglicher Realität entbehrt.

Auch haben Kinder Schwierigkeiten, mehrere Zustände gleichzeitig zu betrachten, so dass sie wenig Verständnis für Prozesshaftigkeit von Erkrankungen aufbringen. Ihr Egozentrismus im Denken (ihr eigener Blickwinkel steht im Mittelpunkt und sie können sich schlecht in die Perspektive anderer hineindenken) macht es ihnen schwer, in der möglicherweise schmerzhaften Intervention eines Arztes (dem „Pieks“) die helfende Absicht zu sehen: Sie interpretieren das für sie schmerzhafte Erlebnis aus ihrem kindlichen Empfinden heraus.

■Im Alter von sieben bis elf Jahren, dem konkret operationalen Entwicklungsstadium, liegt demgegenüber ein vermehrtes Verständnis für einfache Zusammenhänge zwischen Sachverhalten vor, so dass hier Krankheitsursache und -wirkung auf einer sehr konkreten Ebene verstanden werden: So mag ein Neunjähriger verstanden haben, dass Bakterien mit Antibiotika bekämpft werden können – und solange dies sehr drastisch und plastisch geschieht, weiß er das auch einzuordnen.

Zunehmendes Verständnis für Prozesshaftigkeit von Erkrankungen lassen Kinder dieses Alters auch schon unangenehme therapeutische Verfahren in Kauf nehmen, um einen späteren Heilungserfolg zu erreichen. Allerdings müssen diese Maßnahmen noch konkret sichtbare Verbindungen miteinander aufweisen, sollen sie von Kindern verstanden und emotional akzeptiert werden. So verstehen sie insbesondere konkrete Sachverhalte, die ebenso konkret beschrieben werden, also konkrete Symptome, konkrete Therapien etc., während die Abstraktionsfähigkeit noch wenig ausgeprägt ist.

■Erst jenseits des zwölften Lebensjahres, im formal-operationalen Entwicklungsstadium des Jugendalters, haben sie Verständnis auch für komplexe Funktionszusammenhänge. Sie erlangen die Fähigkeit, abstrahierte Modelle (auch Krankheitsmodelle) zu verstehen und zu übertragen, sowie die Fähigkeit, Sachverhalte aus verschiedensten Perspektiven zu betrachten: So ist eine Jugendliche mit Anorexia nervosa möglicherweise in der Lage, ihre Krankheit nicht nur individualbezogen, sondern auch aus gesellschaftlicher oder feministischer Perspektive zu interpretieren.

Todesvorstellungen

Auch die Vorstellung von der Endlichkeit des eigenen Lebens unterliegt Entwicklungsschritten: Erst ab dem neunten Lebensjahr entwickeln Kinder eine ungefähre Vorstellung von der Endgültigkeit des Todes. Zuvor können sie bei Geburtstagen auf einen Angehörigen warten, auf dessen Beerdigung sie gewesen sind, oder sie verbinden mit dem Begriff des Todes eine Assoziation, die dem des Schlafs ähnlich ist. Aber erst jenseits des zwölften Lebensjahres begreifen Kinder, dass der biologische Tod etwas Unwiderrufliches, Unumkehrbares und Endgültiges ist und dass (glaubensabhängige) Jenseitsmodelle sich zwar mythologisch aus Erlebtem speisen, letztlich aber nicht vorstellbar sind.

Objekt und Raum

Entwicklungsbedingt ist auch der Objektbegriff: Bis etwa zum Ende des zweiten Lebensjahres kann sich ein Kind nicht vorstellen, dass seine Eltern auch außerhalb seines Sehfeldes existieren. So ist beispielsweise für ein Kleinkind, dessen Eltern jenseits der Besuchszeit das Krankenhaus verlassen, nicht deutlich, dass die Eltern weiterhin existieren und verlässliche Bezugspersonen sind. Eng mit dem Objektbegriff ist auch das Raumdenken verbunden. Erst sehr langsam dehnt sich das Begreifen von Raum von dem unmittelbaren Nahbereich des Zimmers, der Wohnung auf das Zuhause und das nähere Umfeld aus: Je kleiner das Kind, desto schwerer die Gewöhnung an neue Räumlichkeiten, was insbesondere bei längeren Krankenhausaufenthalten zu beachten ist.

Kausalität und Zeit

Das kausale Denken entwickelt sich mit zweieinhalb bis drei Jahren. Jetzt fangen Kinder an, nach dem Warum zu fragen, und können in Ansätzen begreifen, dass z. B. Eltern nicht immer im Krankenhaus sein können. Deren Abwesenheit wird jetzt zunehmend nicht mehr als Bestrafung des Kindes, sondern als Sachzwang anderer Genese verstanden. Doch wird dieses noch keineswegs immer tragfähig akzeptiert.

Dasselbe gilt auch für den Zeitbegriff: Die menschliche Fähigkeit, in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu leben, entwickelt sich relativ spät. Erst am Ende des dritten Lebensjahres taucht die Frage des „Wann“ auf. Das Zeitgefühl orientiert sich zunächst am Tagesrhythmus, größere Zeitabstände (z. B. das Wiedergesundwerden nach absehbarer Zeit) können frühestens ab dem vierten Lebensjahr ansatzweise begriffen werden. Regelmäßige Rhythmen und eine verlässliche Tagesstruktur sind also bei gesunden, erst recht bei kranken Kindern sehr wichtig. Größere Zeitabläufe wie Wochenperioden oder monatliche bzw. jahreszeitliche Rhythmen werden erst jenseits des vierten Lebensjahres als solche erkannt: Brauchtumsriten, Adventskalender etc. können hier wichtige Hilfen zur Etablierung des Zeitbegriffes darstellen.

Hinsichtlich des kranken Kindes im Krankenhaus heißt dies, dass Kinder schon bei geringfügigen Verspätungen oder Veränderungen des Tagesrhythmus panisch reagieren können: Hat sich ein Kind erst einmal daran gewöhnt, dass der Vater grundsätzlich um 15.00 Uhr – nämlich immer dann, wenn nachmittags der Kuchen verteilt wurde – zu Besuch kommt, kann es kaum verstehen, geschweige denn akzeptieren, dass der Vater sich wegen eines Verkehrsstaus um 20 Minuten verspätet.

emotionalesKrankheitserleben

Kinder können sich Krankheiten nicht logisch erklären. Daher neigen sie dazu, Krankheiten einer äußeren Urheberschaft zuzuschreiben. Sie empfinden sich bei Schmerzen schlecht behandelt, bedroht oder bestraft. Je nach der Vorstellung, mit der Schmerzen assoziiert wurden, kann das Kind auch mit Ärger, Wut, Unterwerfung und Schuldgefühlen reagieren. Manche Kinder kapseln sich ab und ziehen sich zurück, andere erwarten in besonderer Weise Aufmerksamkeit und Liebe von den Bezugspersonen. Schuldgefühle (objektiv völlig fehl am Platze, subjektiv jedoch sehr häufig) resultieren teilweise aus frühkindlichen Vorstellungen von „Bestrafung“ durch Krankheit – ein Phänomen, dass wir gelegentlich selbst bei Erwachsenen vorfinden, wenn sie in kindliche Krankheitsbewältigungsschemata regredieren. Elterliche unbedachte Äußerungen können ein ihres tun, solche Fehlentwicklungen zu fördern. Stattdessen ist es wichtig, in kindgemäßer Art und Weise andere Erklärungsmus-ter für die Krankheitsentstehung anzubieten.

Bewegungs-einschränkung

Letztlich bietet Krankheit eine Belastung durch die Einschränkung des natürlichen Bedürfnisses eines Kindes nach ständiger Bewegung. Folglich werden Kinder im Krankheitsfall oft ungeduldig, zappelig oder quengelig. Mitunter können sie auch aufgrund ihrer Bewegungsarmut aggressiv werden. Vor allem die Abhängigkeit von pflegenden Personen (auch den Eltern) kann von den Kindern als narzisstische Kränkung erlebt werden.

Symbole

Wichtig ist schließlich, dass sich Kinder in und über Krankheit vor allem symbolisch äußern: Im Spielen, auch im Rollenspiel, im Umgang mit Kasperle u. a. Puppen, in Zeichnungen, in den Reaktionen auf vorgelesene Geschichten und in vielen anderen kindgemäßen und kindadäquaten Interaktionen können Kinder ihre Nöte, ihre Ängste und ihr Erleben von Krankheit und Gesundung viel besser ausdrücken als in rein verbalen Gesprächen. Dies zu berücksichtigen ist eine wichtige Aufgabe begleitender Heilpädagogik.

Krankheitsgruppen

Natürlich bestehen große Unterschiede, ob ein Kind vorübergehend an einer zwar heftigen, letztlich aber harmlosen Kinderkrankheit wie z. B. den Masern erkrankt oder eine lebensbedrohliche Leukämie aufweist. Es ist hier nicht der Ort, jedes einzelne Krankheitsbild, das im Kindesalter auftreten könnte, dezidiert zu besprechen: Dazu wird auf die weiter unten angeführte Fachliteratur verwiesen. Stattdessen soll ein erster Überblick über mögliche Krankheitsgruppen gegeben werden, der den Studierenden eine erste Orientierung bietet.

Akut bedrohliche Krankheiten: Akut bedrohliche Krankheiten können (anders als häufig bei Erwachsenen) im Kindesalter sehr plötzlich und akut auftreten und häufig genug ebenso schnell wieder verschwinden. Beispiele hierfür sind die Austrocknung (Exsikkose) und der Pseudo-Croup.

Exsikkose

Die Austrocknung (Exsikkose) kann schon nach ein bis zwei Tagen heftigen Erbrechens, Nahrungsverweigerung, Flüssigkeitsverlust durch Fieber und Schwitzen sowie wässrige Durchfälle auftreten. So können Säuglinge, die mehrere Tage diese Symptome aufweisen, 10% ihres Körpergewichts verlieren, was sie in einen lebensbedrohlichen Zustand versetzt (Erwachsene würden Vergleichbares gar nicht mehr überleben können). Säuglinge mit eingefallenen Augen, trockener Haut, trockener Zunge, der Unfähigkeit, zu speicheln oder Tränen zu produzieren, sind also hochgradig gefährdet und gehören sofort in die Klinik. Dort lässt man ihnen eine Flüssigkeitssondierung oder eine Infusionsbehandlung zuteil werden, und oft sind sie schon nach wenigen Stunden oder einigen Tagen wieder völlig gesund. Anderenfalls allerdings sind schwere Hirnschädigung oder sogar der Tod durch Austrocknung möglich.

Pseudo-Croup

Ebenso ist der Pseudo-Croup als ein solcher kindlicher Notfall zu werten. Hierbei handelt es sich um eine akute entzündliche Erkrankung des Kehlkopfes und der Bronchialschleimhaut, die mit Schleimhautanschwellung, Sekretbildung und akuter Luftnot einhergeht. Typische Symptome des Pseudo-Croups sind Luftnot, inspiratorischer Stridor (also Schwierigkeiten beim Einatmen, oft mit „juchzenden“ Geräuschen), ein Anstieg der Pulsfrequenz, ein charakteristisch-bellender Husten sowie die Angst der Kinder, zu ersticken. Die Behandlung muss sofort erfolgen, da eine Zunahme der Symptome (man unterscheidet vier Stadien des Pseudo-Croups) im vierten Stadium zu Erstickung führen kann. Die Grundprinzipien der Sofortmaßnahme sind Beruhigung, feuchte und kalte Luft und ggf. – falls vorhanden – Kortison in öliger Suspension, das in den Enddarm eingeführt wird und innerhalb von Minuten wirkt.

Der Pseudo-Croup ist im Kindergartenalter besonders häufig anzutreffen, weil die zuführenden Luftwege hinsichtlich ihres Querschnitts in diesem Alter relativ klein sind und (für Erwachsene harmlose) Infekte der oberen Luftwege mit den damit verbundenen Schleimhautschwellungen aufgrund der anatomischen Verhältnisse sehr schnell zu einer Verengung der Luftwege führen: Jenseits des sechsten bis siebten Lebensjahres tritt der Pseudo-Croup relativ selten auf. Manche Kinder sind durch ihre anatomischen Verhältnisse und ihre konstitutionell bedingte Infektanfälligkeit sowie aufgrund ihres Lebensalters besonders croup-anfällig. Deshalb soll nicht verschwiegen werden, dass auch Umweltfaktoren eine Rolle spielen: Insbesondere Smog- und Inversionslagen führen zu einer stärkeren Belastung der Atemwege und vermutlich auch deswegen zu einer stärkeren Gefährdung durch Pseudo-Croup.

Infektiöse Kinderkrankheiten: Eine nächste Gruppe von Kinderkrankheiten besteht in Infekten der oberen Luftwege, so genannten Common-Cold-Krankheiten, sowie den infektiösen „Kinderkrankheiten“. Letztere können in erster Annäherung in virale und bakterielle Krankheiten eingeteilt werden.

bakterielleKrankheiten

Bakterielle Krankheiten werden von Bakterien, einzelligen Lebewesen, hervorgerufen. Da Bakterien sich fortpflanzen und einen Stoffwechsel aufweisen, sind sie – anders als Viren – prinzipiell durch chemische Substanzen „zu vergiften“ (Anti-Biotikum: gegen das bakterielle Leben gerichtet). Bakterielle Erkrankungen – und nur sie – können also prinzipiell durch Antibiotika behandelt werden.

virale Krankheiten

Demgegenüber sind Viren im Grunde nichts anderes als Erbsubstanzen, eingehüllt in Eiweißhüllen, die auf Wirtszellen angewiesen sind und sich nicht von alleine verstoffwechseln und fortpflanzen können. Ihre medikamentöse Behandlung ist deswegen so schwierig, weil es nur selten gelingt, einen Virus zu schädigen, die Wirtszelle aber nicht.


Folgende Krankheiten werden von Viren hervorgerufen (und sind deswegen prinzipiell nicht mit Antibiotika zu behandeln): Masern, Röteln, Windpocken, Gürtelrose und Mumps. Von Bakterien werden u. a. Tuberkulose, Scharlach, Keuchhusten, Tetanus und Salmonellen hervorgerufen.

Eine infektiöse Kinderkrankheit (Infektionskrankheit) entsteht, wenn Infektionserreger – Viren oder Bakterien – durch eine Eintrittspforte in den Körper gelangen. Solche Eintrittspforten können der Nasen-Rachen-Raum sein, wenn via Tröpfcheninfektion, insbesondere durch Husten, die Erreger weiterverbreitet werden. Aber auch von der „Hand in den Mund“ können Bakterien in den Magen-Darm-Trakt geraten. Durch den Darm ausgeschieden und durch unzureichende Handhygiene weiterverbreitet, können sie über Spielzeug oder Nahrungsmittel in den Mund geraten und somit weitere Kinder infizieren. Auch die verletzte Haut ist eine potenzielle Eintrittspforte.

Inkubation

Unter der Inkubationszeit versteht man die Zeit, in der sich die Keime im Körper vermehren, ohne bereits Krankheitssymptome auszulösen. Oft sind die Kinder in dieser Zeit schon ansteckend, obwohl sie noch keine Krankheitszeichen zeigen – dies führt dann dazu, dass sich ganze Kindergartenkohorten infizieren.

■Erste unspezifische Krankheitszeichen zeigen sich in der Prodromalphase, in der die Kinder oft uncharakteristisch Fieber, Husten, Schnupfen oder Durchfall aufweisen und allgemein matt und apathisch wirken. All dies sind unspezifische Krankheitsabwehrzeichen: Durch das Fieber wird z. B. die Körpertemperatur so erhöht, dass Bakterien an weiterer Ausbreitung und Vermehrung gehindert werden. Durch die Schleimhautschwellung und das Ausstoßen von Sekret soll die Keimzahl ebenso vermindert werden wie durch Erbrechen oder Durchfall. Mattigkeit und Erschöpfung sind Reaktionen des Körpers, der der Schonung um seiner Regeneration Willen bedarf.

■Spezifische Krankheitszeichen treten in der Manifestationsphase auf: Hier haben wir dann die beispielsweise für Masern oder Windpocken typischen Krankheitszeichen, die eine Diagnose und damit Prognose ermöglichen.

Immunreaktionen

Schließlich wird sich das Immunsystem des Körpers so weit mit den als Antigenen wirkenden Krankheitskeimen befassen, dass zunächst unspezifische, später spezifische Antikörper gebildet werden. Diese immunologische Abwehr führt zum einen dazu, dass Krankheitskeime umflossen und phagozytiert, also verdaut, zum anderen durch das Bombardement von körpereigenen Abwehrstoffen koaguliert, also verklumpt, werden. Jedenfalls lernt das Immunsystem, mit fremden Krankheitserregern umzugehen – ein Vorgang, den wir als „Immunisierung“ oder „Feiung“ bezeichnen. Bei einer späteren Auseinandersetzung mit denselben Keimen hat das Immunsystem gelernt, gegen Keime spezifisch vorzugehen, so dass eine Krankheit ausbleibt. Krankheiten mit lebenslanger Immunisierung sind beispielsweise die Masern, Krankheiten mit nur sehr geringfügiger Immunisierung die Grippe-Epidemien. In letzterem Falle verändern sich die Erreger so häufig, dass eine Krankheitserkennung oft nur über Monate oder höchstens Jahre möglich ist.

Impfung

Dem Prinzip der Immunisierung liegen auch die Impfschemata zugrunde. Unter aktiver Impfung verstehen wir die Kontamination des Körpers mit abgeschwächten, abgestorbenen oder nur partikulären Krankheitskeimen. Das Immunsystem lernt, mit diesen Bruchstücken von Krankheitskeimen umzugehen, und ist immun gegen die in der freien Wildbahn auftauchenden Krankheitskeime. Manchmal muss parallel eine Passivimpfung durchgeführt werden, bei der den gefährdeten Personen Antikörper in Form von Seren appliziert werden. So dient z. B. bei der Tetanusimpfung nach akuter Gefährdung die Passivimpfung dazu, eine akute Infektion zu verhindern. Die parallel durchgeführte Aktivimpfung triggert das Immunsystem, um einer späteren nochmaligen Tetanusinfektion vorzubeugen.

Chronische Erkrankungen: Das chronisch kranke Kind muss sich über lange Zeit mit den Folgen seiner Schwierigkeiten und Krankheiten auseinander setzen und daran adaptieren – sinngemäß Ähnliches gilt auch für sein familiäres Umfeld. Dabei sind in diesem psychosozialen Adaptationsprozess Krankheitsbedingungen, Entwicklungsdimensionen, die Reaktionen der sozialen Umwelt sowie das familiäre Reaktionsgefüge von ausschlaggebender Bedeutung.

Psychosomatische Störungen: Eine weitere Kategorie kindlicher Erkrankungen besteht in psychosomatischen Störungen des Kindesalters. Als Beispiel wird in Kap. 9 die Enuresis aufgeführt. Einem psychosomatischen Symptom liegt oft eine enge Wechselwirkung zwischen psychischer Störung oder Not und körperlicher Manifestation zugrunde. Dabei sind einseitige Schuld- und Kausalitätszuweisungen fehl am Platze.

So kann beispielsweise im Einzelfalle die Adipositas als Folge einer Deprivation oder Depression und als Versuch, orale Lustbefriedigung anstelle anderer tragfähiger Frustrationsbewältigungsstrategien zu finden, gesehen werden. Andererseits führt die Adipositas mit den damit verbundenen möglichen Stigmatisierungen, Hänseleien oder Isolierungstendenzen und Insuffizienzgefühlen reziprok wiederum oft zu vermehrtem depressivem Rückzug. Dies kann in einer Endlosschleife erneute orale Lustbefriedigung zur Folge haben. Körperliche und seelische Dimensionen verstärken sich also in einem zirkulären Prozess. Es gibt psychosomatische Störungen, bei denen eher die körperliche Dimension, andere, bei denen eher die seelische Dimension im Vordergrund steht.

Psychische Krankheiten: Psychische Krankheiten im Kindes- und Jugendalter sind von zunehmender Bedeutung und betreffen Medizin wie Heilpädagogik gleichermaßen: Depressionen und Angstsyndrome beispielsweise sind zweifellos Krankheiten des Kindes- bzw. Jugendalters, jedoch manifestieren sie sich vorwiegend auf der seelischen Ebene. Näheres hierzu in Kap. 9.

Behinderungen: Auf Behinderungen im Kindes- und Jugendalter wird in den folgenden Kapiteln detailliert eingegangen. Als exemplarische Beispiele werden u. a. Autismus und geistige Behinderung beschrieben.

Parasitäre Erkrankungen: Für die Pädagogik sind parasitäre Krankheiten insofern von einer gewissen Bedeutung, als sie einerseits epidemiologisch, andererseits hinsichtlich ihrer psychosozialen Stigmatisierung belastend sein können.


So können beispielsweise Juckreiz, zerkratzte Stellen und weiß anhaftende Strukturen an den Haaren Hinweise auf einen Befall mit Kopfläusen sein. In einem solchen Fall müssen nicht nur die Haare hinsichtlich des Befalls mit Läusen, sondern auch der Nissen, der oft fest anhaftenden Eier behandelt werden.

Auch die Krätzmilbe geht mit außerordentlich starkem Juckreiz, vor allem nachts und in Wärme, einher. Kratzspuren an den Händen, insbesondere in den Fingerzwischenräumen, sind charakteristisch, ebenso Milbengänge in diesem Bereich. Krätzmilben verbreiten sich vor allem bei Körperkontakt sowie engem Zusammenleben und einem Nichttrennen der Wäsche. Dies erfordert u. a. eine ausreichend lange Behandlung der Betroffenen, aber auch das Abkochen der Wäsche bzw. Spezialbehandlung nichtkochbarer Wäsche. Falls erforderlich, muss das gesamte familiäre Umfeld behandelt werden.

An diesen beiden Beispielen (zu nennen wären noch weitere, wie z. B. der Befall mit Flöhen) zeigt sich, dass parasitäre Erkrankungen häufig dann auftauchen, wenn Menschen auf engstem Raum zusammenleben. Zwar können mangelhafte hygienische Verhältnisse solchen Erkrankungen Vorschub leisten, doch muss dies keineswegs zwangsläufig der Fall sein. Kinder können sich auch auf einem Kindergeburtstag mit einem der eben genannten Erreger infizieren und der Befall von Kopfläusen oder Krätzmilben ist keineswegs zwangsläufig mit sozial schwierigen Verhältnissen gekoppelt.

Stigmatisierung

Dennoch kann der Befall mit diesen Krankheitserregern sozial in besonderer Weise stigmatisierend sein – insbesondere deswegen, weil die Kinder erst dann wieder in den Schulunterricht kommen dürfen, wenn eine Heilung durch den Kinderarzt bzw. das Gesundheitsamt bestätigt wurde. Aufgabe einer möglicherweise stattfindenden begleitenden Pädagogik ist hier nicht nur die hygienischen Maßnahmen, sondern auch die potenziellen sozialen Stigmatisierungsphänomene sowie die individuellen seelischen Kränkungen zu kennen und empathisch aufzuarbeiten.

Das Kind im Krankenhaus

Schließlich soll noch kurz auf das Kind im Krankenhaus eingegangen werden. Kinder können zum einen wegen kurzfristiger und temporärer Störungen (z. B. Operationen) in ein Krankenhaus eingewiesen werden. So dramatisch dieses Geschehen im Erleben von Kindern und Eltern ist, so schnell ist es unter günstigen Bedingungen aber auch erledigt und verarbeitet. Anders sieht es aus, wenn Kinder beispielsweise aufgrund einer Krebserkrankung über lange Zeit, mitunter Monate oder sogar Jahre, immer wieder einmal ins Krankenhaus müssen und dieses fast schon zum „zweiten Zuhause“ wird. Meist ist das Kind im Krankenhaus einer großen Anzahl ihm unbekannter Funktionsträger und Menschen ausgesetzt und kann dies nur schwer in sein Erleben integrieren. Das Krankenhaus ist eine Welt mit Instrumenten, Geräten und Operationssälen, endlos langen Gängen, vielfach sich gleichenden Türen, eigenartigen Gerüchen, vielen fremden Menschen unbekannter Herkunft und noch unbekannterer Kleidung. Diese ist dem Kind oft sehr fremd und lässt es sich nach einer vertrauten Umgebung sehnen. Die Krankenhaus-atmosphäre kann das Kind verwirren und schwer überschaubar sein.

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651 стр. 36 иллюстраций
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9783846358351
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