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▶ Verdeckt strategisch: Hier wird ein Interesse an Verständigung nur vorgetäuscht. Bei der Manipulation geschieht das bewusst unter Einsatz persuasiver Techniken. Psychologisch interessant ist der Fall der unbewussten Täuschung. Hier ist einem Absender nicht bewusst, dass er an Verständigung gar nicht interessiert ist. Dabei handelt es sich um eine pathologische Kommunikation, Habermas nennt sie „systematisch verzerrte Kommunikation“.

Das gesellschaftliche Leben ist auf verständnisorientierte Kommunikation angewiesen. Ein Vorherrschen strategischer KommunikationKommunikationstrategisch führt zu gesellschaftlichen Pathologien und Krisen.

Wer sich an verständigungsorientierter KommunikationKommunikationverständigungsorientiert beteiligt, der wird mit folgenden universalen GeltungsansprüchenGeltungsansprüche konfrontiert und konfrontiert seine Gesprächspartner damit (Habermas, 1971, 1988):

1. Verständlichkeit. Sie wird auf zwei Ebenen gefordert: 1. Die Äußerungen müssen grammatisch wohlgeformt sein, d.h. man darf kein wirres Zeug reden oder unverständliche Wörter benutzen. Dies entspricht der Maxime der Modalität bei Grice. 2. Die Äußerungen müssen pragmatisch verständlich sein, d.h. die intentionale Bedeutung muss explizit ausgedrückt werden. Ist die Verständlichkeit problematisch, dann stellen wir Fragen des Typs: Wie meinst du das? Wie soll ich das verstehen? Zwar steht hier Verständlichkeit an erster Stelle, nicht an letzter wie bei Grice, aber Habermas hat später Verständlichkeit als Geltungsanspruch ganz aufgegeben. Er sah darin nur noch eine Vorbedingung der Kommunikation.

2. Wahrheit. Die Aussagen müssen wahr sein, d.h. mit der äußeren Wirklichkeit übereinstimmen. Dies entspricht der Maxime der Qualität bei Grice. Hier lauten kritische Fragen: Verhält es sich so, wie du sagst? Stimmt das überhaupt, was du berichtest?

3. Aufrichtigkeit. Die Aussagen müssen der inneren Wirklichkeit des Absenders entsprechen, sie dürfen die anderen nicht über die eigenen Absichten täuschen. Dies entsprich der Maxime der Qualität. Hier stellt man die Fragen: Will er/sie mich täuschen? Ist der Sprecher ehrlich? Diese Fragen stellen wir meist nicht der unglaubwürdigen Person selbst, sondern an uns selbst oder an Dritte.

4. Angemessenheit1. Die Aussage muss in der jeweiligen kommunikativen SituationSituationkommunikative angemessen sein, d.h. den anerkannten gesellschaftlichen Normen entsprechen. Kritische Fragen sind hier: Warum tust du das? Darfst du das überhaupt sagen? Handelst du sozial angemessen? Diese Forderung findet man bei Grice nicht.

Die GeltungsansprücheGeltungsansprüche haben eine deutliche Ähnlichkeit mit den MaximenMaximen von Grice, beide werden wechselseitig von den Teilnehmenden unterstellt. Die Geltungsansprüche sind aber strenger gefasst. Eine Maxime ist ein vernünftiger Grundsatz für die Kommunikation, ein Geltungsanspruch ist eine universal geltende Regel der Verständigung. Die Beherrschung dieser universalen Regeln der Verständigung wird als kommunikative KompetenzKompetenz bezeichnet.

Machen wir uns die GeltungsansprücheGeltungsansprüche am Beispiel einer mündlichen Hochschulprüfung klar (vgl. Burkhart, 2002, S. 439). Die Verständlichkeit wird verletzt, wenn der Prüfer unklare Fragen formuliert oder der Prüfling verworren antwortet. Relativ unproblematisch ist die Wahrheit, da man im Rahmen einer Prüfung unterstellt, dass wissenschaftlich bestätigte Aussagen gemacht werden. Die unterstellte Aufrichtigkeit wird verletzt, wenn der Professor nicht neutral prüft, sondern Fangfragen stellt, um den Kandidaten durchfallen zu lassen. Die Angemessenheit wird verletzt, wenn der Professor in der Prüfungssituation persönliche oder gar intime Themen anspricht.

Erkennbar wird ein Geltungsanspruch bei Problematisierung durch die Adressaten, der Sprecher muss dann auf die oben angeführten kritischen Fragen antworten und sich rechtfertigen. Dabei wird wieder der Dreischritt der Verständigung durch Methoden der Verständnissicherung relevant.

Ideale Sprechsituationideale Sprechsituation. Verständigung im Diskurs verlangt nach Habermas bestimmte Voraussetzungen in der Kommunikationssituation:

1 Die Teilnehmenden dürfen nicht von offener oder verdeckter strategischer Kommunikation Gebrauch machen.

2 Es darf keine Zwänge von außen auf die Teilnehmenden am Diskurs geben, z.B. durch Gewalt, Geld, Autorität.

3 Jeder muss die gleiche Chance haben, seine Aussagen einzubringen und zu begründen sowie Geltungsansprüche anderer zu problematisieren.

Diese Kommunikationssituation ist ein theoretisches Konstrukt: Weder wird die ideale Sprechsituationideale Sprechsituation in der Gesellschaft oft Wirklichkeit, noch werden die unterstellten GeltungsansprücheGeltungsansprüche eingehalten, denn in fast allen Gruppen gibt es Status- und Machthierarchien. Diesem Einwand begegnet Habermas mit dem Argument, dass er „kontrafaktisch“ rekonstruieren möchte, unter welchen theoretischen Voraussetzungen Verständigung überhaupt möglich ist.

Kommunizieren wir rational?

Für die Ansätze von Grice und von Habermas ist der Begriff der RationalitätRationalität von zentraler Bedeutung, er bildet die Grundlage der KooperationKooperation.

Für Grice ist das Gespräch eine Form des rationalen Handelns: „As one of my avowed aims is to see talking as a special case or variety of purposive, indeed rational behavior“ (Grice, 1968, S. 308). Das Befolgen der MaximenMaximen setzt Beteiligte voraus, die ihre Beiträge zweckrational auf das gemeinsame Ziel ausrichten und sachlich und nüchtern nur das Notwendigste aussprechen. Weitschweifige Ausführungen, übertriebene Ausschmückungen und emotionale Ausbrüche sind nach diesen Maximen keine rationalen Beiträge. Selbst das Nichteinhalten einer Maxime hat ein vernünftiges Ziel: Es soll die Adressaten zu einer Uminterpretation anregen.

Der Theorie von Habermas liegt noch deutlicher als bei Grice ein rationales Menschenbild zugrunde: Menschen sind an Verständigung im Sinne von EinverständnisEinverständnis interessiert und die Sprache ist das Werkzeug eines rationalen Gesprächs. Die Einhaltung der universellen GeltungsansprücheGeltungsansprüche kann im Gespräch problematisiert und muss dann argumentativ begründet werden. In der idealen Sprechsituationideale Sprechsituation sind strategische, also persuasive Beiträge ausgeschlossen. Der rationale Diskurs à la Habermas ist allerdings ein eher seltenes Ereignis.

Mit guten Gründen kann man bezweifeln, ob sprachliche Kommunikation auf Verständigung angelegt ist. Kommunikation dient vielmehr primär der Persuasion. Schon im Alltag versuchen wir andauernd, andere durch unsere Äußerungen zu beeinflussen: Es gibt Befehle, Bitten, Schmeicheleien, Drohungen, Lügen usw. Die RhetorikRhetorik dient ausdrücklich der effektiven sprachlichen Beeinflussung.

Ein Philosoph, der den Primat der Persuasion vehement vertreten hat, ist Fritz Mauthner (1982b, S. 444): „Die Sprache ist etwas zwischen den Menschen, ihr Zweck ist MitteilungMitteilung. Aber die Mitteilung kann ja nicht selbst Zweck sein, sie ist es nur beim Schwätzer. Immer wollen wir – wenn auch oft indirekt und unbewusst – das Denken und damit das Wollen des anderen Menschen nach unserem Denken und Wollen, das heißt nach unserem Interesse beeinflussen. Der Zweck der Sprache ist also Beeinflussung, Willens- oder Gedankenlenkung, mit einem Modewort: Suggestion.“

Die rationale VerständigungVerständigung dürfte eine spätere Erwerbung sein, die zudem immer durch strategische Intentionen gefährdet ist.

3.4 Gespräche verständlich machen

Zur kommunikativen KompetenzKompetenz gehören zahlreiche Fähigkeiten, die wie andere Schlüsselqualifikationen durch Üben zumindest in bestimmten Grenzen gelernt werden können. Werfen wir einen kurzen und oberflächlichen Blick auf die Angebote zur Verbesserung der sprachlichen Kommunikation. Dabei muss man zwischen außerwissenschaftlicher Ratgeberliteratur und wissenschaftlich fundierten Ansätzen unterscheiden, obwohl die Übergänge durchaus fließend sind (vgl. Antos, 1996).

Ratgeberliteratur. In jeder Fachbuchhandlung findet man ein Regal mit Kommunikationsratgebern. Sie sind meist nicht völlig wissenschaftsfern, denn die Ansätze von Paul Watzlawick et al. (1982) und Schulz von Thun (1981) werden fast immer berücksichtigt. Aber die Kommunikationstrainer und -trainerinnen verfügen oft über keine sprach- oder kommunikationswissenschaftliche Ausbildung. Der theoretische Hintergrund bleibt handgestrickt (Antos, 1996). Die praktischen Ratschläge und Übungen – oft Rollenspiele – sind aber durchaus nützlich und haben sich auch bewährt. Im Fokus stehen dabei folgende Fähigkeiten:

 das aufmerksame, aktive Zuhören

 das Beachten der nonverbalen Kommunikation

 das paraphrasierende Rückmelden, überhaupt das Feedback

 das Nutzen der Metakommunikation bei Konflikten

Meist steht die Optimierung der eigenen strategischen Fähigkeiten im Zentrum, wie schon die reißerischen Titel anzeigen, ein Beispiel: „Kommunikationstraining: Mit Kommunikation überzeugen – Wie Sie mit Selbstbewusstsein, Schlagfertigkeit, Smalltalk und Körpersprache zwischenmenschliche Beziehungen erfolgreich gestalten“ (Magnus, 2017). Oft wird eine Schrumpf-Rhetorik angeboten, die einzig das Überreden zum Ziel hat und weit vom Leitbild einer rationalen und verständlichen Kommunikation entfernt ist (z.B. Rommer, 2018).

Wissenschaftliche Ansätze. Die Linguistik hat die VerständnissicherungVerständnissicherung in der mündlichen Kommunikation bisher vernachlässigt und das Praxisfeld den Psychologen überlassen. Hier ist als Erstes der vierbändige Bestseller „Miteinander Reden“ von Schulz von Thun (1981) zu nennen, der sich trotz Kritik im Detail durchgesetzt hat. Die Verständlichkeit spielt in dem Ansatz eine zentrale Rolle (dazu die Hamburger Verständlichkeitskonzeption Kap. 11.5). Auch in der Kommunikationsoptimierung bei Hans Strohner (2006) ist neben Instruktion und Persuasion die Verständlichkeit „eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Gelingen einer Kommunikation und wird deshalb besonders intensiv erforscht“ (S. 84). In anderen Ansätzen zum Gesprächstraining spielt die Verständlichkeit eine marginale Rolle (z.B. bei Flammer, 1997; Fiehler & Schmitt, 2004; Franck, 2017).

Nachgefragt werden kommunikationsbezogene Dienstleistungen vor allem aus dem Bereich der Unternehmens- und Verwaltungskommunikation, wenn Probleme mit Kunden oder innerhalb der Institution auftreten. Aber auch in der didaktischen Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler (Vogt, 2011) oder der medizinischen Kommunikation zwischen Arzt und Patient (Sator & Spranz-Fogasy, 2011) gibt es Bemühungen um Verständigung und Verständlichkeit.

In der klientenzentrierten Gesprächstherapie ist das einfühlende Verstehen der verbalen Äußerungen des Klienten eine wichtige Voraussetzung für die Psychotherapie. In der Gesprächsführung paraphrasiert der Therapeut Äußerungen des Klienten. Dieses Gesprächsverhalten dient zwei Zielen: 1. Der Therapeut soll seinen Klienten tatsächlich verstehen und sich in seine Welt hineindenken, die Rückmeldung ist eine kommunikative Validierung. 2. Indem der Therapeut dem Klienten sein Erleben zurückspiegelt, verhilft er ihm zu einer vertiefenden Auseinandersetzung mit sich selbst. Diese Variable des Therapeutenverhaltens hat eine nachweisbare Wirkung auf das Ausmaß der Selbstexploration beim Klienten (Tausch, 1968).

Bei journalistischen Interviews werden in der Gesprächsführung Fragetechniken eingesetzt, um unklare und schwer verständliche Antworten zu präzisieren (Friedrichs & Schwinges, 2015): 1. Bestätigungsfragen, um eine vorangegangene Antwort zu präzisieren, wenn sich der Interviewpartner unklar ausgedrückt hat. 2. Insistierendes Nachfragen, um eine unklare oder ausweichende Antwort zu ergänzen. 3. Fragen nach einem konkreten Beispiel, um abstrakte Äußerungen für die Adressaten anschaulicher und damit verständlicher zu machen.

Zusammenfassung

1. Mündliche Kommunikation hat einige für Verständigung und Verständlichkeit wichtige Merkmale: die Kopräsenz in einem gemeinsame Wahrnehmungsumfeld, die direkte Rückmeldung und die Flüchtigkeit der Äußerung.

2. Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation wird von Absender und Adressat durch kontinuierliche Koordinationsprozesse erreicht. Grounding ist die wechselseitige Einstellung auf Vorwissen und Intentionen des Gegenübers. Monitoring ist die fortlaufende wechselseitige Überprüfung des Verstehens. Alignment ist die unbewusste Angleichung der Kommunikationspartner. Auftretende Probleme können über Metakommunikation gelöst werden.

3. In einem Dreischritt der Verständigung werden wechselseitig Maßnahmen der präventiven und reparativen Verständnissicherung eingesetzt: Korrigieren, Kommentieren, Modifizieren, Rückfragen, Paraphrasieren u.a.m. Diese Maßnahmen setzen eine Verständigungsbereitschaft auf beiden Seiten voraus.

4. Paul Grice hat mit dem Kooperationsprinzip und seinen Maximen Quantität, Qualität, Relation und Modalität die Voraussetzungen für eine rationale Kommunikation beschrieben. An Verständigung interessierte Kommunikationspartner unterstellen sich gegenseitig, die Maximen einzuhalten.

5. Jürgen Habermas unterscheidet verständnisorientierte und persuasive Kommunikation, aber nur Erstere ist für eine rationale Verständigung zuständig. Er stellt vier universale Geltungsansprüche auf: Verständlichkeit, Wahrheit, Aufrichtigkeit, Angemessenheit. Voraussetzung für eine Verständigung ist eine ideale Sprechsituation, die in Wirklichkeit selten zu finden ist.

6. Der Ansatz von Grice wie der von Habermas geht von einem rationalen Menschenbild aus, in dem Sprache vor allem die Funktion der Verständigung erfüllt. Die persuasive Funktion der Sprache wird wenig berücksichtigt und aus rationaler Kommunikation ausgegrenzt.

7. Das Verständlichmachen in der mündlichen Kommunikation ist bisher ein eher stiefmütterlich behandelter Bereich der Kommunikationsoptimierung. Es gibt viele außerwissenschaftliche Ratgeber und wissenschaftlich fundierte Kommunikationstrainings, bei beiden sind Übungen zur Verständnissicherung selten. Eine Ausnahme bildet der Ansatz von Schulz von Thun, der sich in vielen gesellschaftlichen Bereichen bewährt hat.

4 Schriftliche Verständigung

Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation beruht auf einer Kooperation zwischen Absender und Adressat. Der Absender muss adressatenorientiert formulieren und der Adressat kann sein Verständnis rückmelden und den Absender zu einer Reformulierung bewegen. Bei gutem Willen der Beteiligten lässt sich in der mündlichen Kommunikation im Prinzip ein gegenseitiges Verständnis erreichen, nicht unbedingt ein Einverständnis. Anders bei der schriftlichen Kommunikation, bei der es keine direkte Kooperation gibt. Die Probleme der Verständlichkeit schriftlicher Texte werden deutlich im Vergleich mit der mündlichen Kommunikation.

Nach einer kurzen Charakterisierung der Besonderheiten der schriftlichen Kommunikation (4.1) beschreibe ich die Verantwortung des Absenders für eine verständliche Kommunikation, er muss vor allem adressatenorientiert formulieren (4.2). Der Adressat muss seinerseits kognitive Ressourcen einsetzen, die bereits die Hermeneutik gefordert hat (4.3). Das Kapitel beschließen wir mit einem vorläufigen Blick auf die Praxis des Verständlichmachens von Texten (4.4).

4.1 Merkmale schriftlicher Kommunikation

Schriftlichkeit hat sich lange nach der Mündlichkeit herausgebildet. Während sich die mündliche Sprache als „Sprache der kommunikativen Nähe“ charakterisieren lässt, ist die schriftliche Sprache eine „Sprache der kommunikativen Distanz“ (Koch & Oesterreicher, 2007). Sie bringt einige Merkmale mit sich, die sich massiv auf das Verstehen und die Verständlichkeit auswirken.

Soziale Isolation. Schreiben geschieht ohne ein Gegenüber, der Absender ist sich deshalb oft gar nicht bewusst, dass er an einer Kommunikation teilnimmt. Schreiben wird eher als Ausleeren eines Kopfes verstanden, als eine monologische Tätigkeit. Das verführt zu egozentrischem Formulieren, ohne Rücksicht auf die Adressaten und die Verständlichkeit zu nehmen. – Auch Lesen geschieht in sozialer Isolationsoziale Isolation und das hat eine bedeutende Konsequenz für die Verarbeitung: Der Adressat ist von der Anwesenheit und damit der Autorität des Absenders entlastet, das fördert eine vertiefende und kritische Verarbeitung. Texte können immer wieder neu interpretiert werden, Lesen ist mehr selbstgesteuert als Hören.

IndirektheitIndirektheit. In der schriftlichen Kommunikation sind Absender und Adressaten räumlich und zeitlich getrennt, die kommunikative SituationSituationkommunikative ist „zerdehnt“. Damit fehlt das gemeinsame WahrnehmungsumfeldWahrnehmungsumfeld und die Techniken der VerständnissicherungVerständnissicherung fallen aus. Dadurch ist eine fortlaufende KoordinationKoordination des Verstehens nicht möglich. Der Absender hat eine besondere Verantwortung, sich Gedanken über die Voraussetzungen seiner Adressaten zu machen und dementsprechend zu formulieren. – Auf Seiten der Lesenden sind direkte Rückfragen, Paraphrasieren usw. nicht möglich, dafür gibt es die Möglichkeit des wiederholten Lesens. Ein schriftlich produziertes Missverständnis lässt sich schwerer aus der Welt schaffen als eine unbedachte mündliche Äußerung, die sofort korrigiert werden kann. Auch die Bildung eines ImagesImage des Autors als Verstehenshilfe ist nur über den Text möglich. Absender und Adressat bleiben sich bis zu einem gewissen Grad fremd.

ReflexivitätReflexivität. Schreiben als Externalisierung von geistigen Inhalten geschieht meist reflektierter als freies Sprechen. Schreiben verfestigt flüchtige und assoziative Gedanken, bringt sie in eine lineare und hierarchische Ordnung, dafür wurde der Ausdruck epistemisches Schreiben geprägt (Molitor-Lübbert, 2003). Was schriftlich vorliegt, kann dem Autor immer wieder vorgehalten werden, er tut also gut daran, sich die Formulierungen sorgfältig zu überlegen. Schreiben kann als ein externalisiertes Denken verstanden werden. Diese Reflexivität bringt es mit sich, dass die Schriftsprache eine deutlich höhere syntaktische KomplexitätKomplexität aufweist als die Sprechsprache.

DauerhaftigkeitDauerhaftigkeit. Während die mündliche Rede flüchtig ist (es sei denn sie wird aufgezeichnet), sind Schrifttexte materiell fixiert. Sie objektivieren und konservieren Wissensbestände für spätere Generationen, während das Gehirn des Autors bzw. der Autorin bereits verwest ist und sich damit sein bzw. ihr Wissen aufgelöst hat. Texte sind kulturelle Fossilien. Diese Aussicht auf Dauerhaftigkeit zwingt Schreibende zu sorgfältigem Nachdenken, bevor ein Satz für die Nachwelt unkorrigierbar festgehalten wird. – Für die Lesenden hat ein vorliegender Text zwei Vorteile: 1. Der Text verändert sich nicht (Zeichenkonstanz), bleibt eine Passage dunkel, kann sie mehrfach gelesen und interpretiert werden. 2. Ein Lesender kann selektiv lesen und seine Aufnahme- und Verarbeitungsgeschwindigkeit selbst bestimmen.

MedialitätMedialität. Die Schrift ist an MedienMedien gebunden. Der Absender benötigt für die Produktion Schreibgeräte, vom Griffel bis zum Computer, und eine Schreibfläche, von der Tontafel bis zum Monitor. Die Frage, ob das Schreibwerkzeug die Produktion beeinflusst, wurde von Friedrich Nietzsche (2002, S. 18) mit einem oft zitierten Satz beantwortet: „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken“. So wirken sich Computer und Textverarbeitung deutlich auf Schreibprozess und -ergebnis aus. Ob die mediale Darbietung eines Textes in einem Buch oder auf einem Monitor das Verstehen und die Verständlichkeit beeinflusst, ist eine Forschungsfrage der Medienlinguistik.

Strukturelle Explizitheit. Schriftliche Kommunikation ist durch den Ausfall der para- und nonverbalen Zeichen ärmer als die mündliche Kommunikation. Die ausgefallenen Kodes können teilweise durch typografische Mittel kompensiert werden. Statt Pausen gibt es Absätze (Zeilendurchschuss, Einrückung), statt Betonungen typografische Auszeichnungen (Unterstreichung, Fett, Kursiv). Da damit inhaltliche Strukturen explizit sichtbar gemacht werden, erleichtern sie die Aufnahme und Verarbeitung (Kap. 7.4).

Diese kommunikative SituationSituationkommunikative hat erhebliche Konsequenzen: Zugespitzt kann man sagen, dass Verständlichkeit erst in der schriftlichen Kommunikation zum Problem wird. Liegt Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation nicht allein in der Verantwortung des Sprechers, sondern auch des Adressaten, so verschiebt sich bei der schriftlichen Kommunikation die Verantwortung für Verständlichkeit deutlich auf den Schreibenden.

Da das Lesen von Texten als eine der wichtigsten Kulturtechniken gepriesen wird, ist es interessant auch einmal eine andere Meinung zu hören, die des Neuropsychologen Ernst Pöppel (2009): Lesen ist in den Genen nicht vorgesehen, aber es wird durch die Gene möglich. Es ist eigentlich ein „Missbrauch des Gehirns“, der auf Kosten anderer, z.B. visueller KompetenzenKompetenz geht. Zudem führen geschriebene Wörter zu einer Verdinglichung von Konzepten und locken uns in eine „Sprachfalle“, da wir glauben, es gäbe so etwas wie die Intelligenz oder den Willen (oder die Verständlichkeit!). Das erinnert an den berühmten Satz von Ludwig Wittgenstein: „Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“ (Wittgenstein 1967, S. 66).

Schwer verständliche Texte gibt es auch schon in der mündlichen Rede, aber mit der Schriftlichkeit verschärft sich das Problem. Nicht immer sind Schreibende und Lesende kooperativ eingestellt und geben sich beim Formulieren und beim Lesen Mühe. Zudem ist SchwerverständlichkeitSchwerverständlichkeit oft ein unerwünschter Nebeneffekt, da im Berufsalltag von Textproduzenten wie etwa Journalisten oder technischen Redakteuren durch Zeitdruck oder andere Belastungen ein sorgfältiges Formulieren erschwert wird (Jakobs, 2006).

Ein besonderes Problem bilden die FachsprachenFachtext, Fachsprache, deren Ursprung in der Arbeitsteilung liegt (Fluck, 1996; Roelke, 2010; Adamzik, 2018): Bestimmte gesellschaftliche Gruppen wie ursprünglich Bauern, Fischer, Schmiede, Seefahrer usw. entwickeln in der mündlichen Kommunikation eine Sprache mit eigenen Wörtern und Redewendungen, die die Kommunikation in der Berufsgruppe vereinfacht. Soziologisch gesehen grenzt eine Fachsprache nach außen ab und schafft einen Binnenraum der Verständigung. Man versteht sich untereinander prächtig und genießt den Distinktionsgewinn, aber nach außen entsteht eine Kommunikationsbarriere. Dies gilt erst recht für die Entstehung einer Fachliteratur, die in eine berufliche Kommunikation hineinsozialisiert. Beispiele sind die Fachsprachen der Psychoanalyse oder der Banker. Zum gesellschaftlichen Problem werden Fachsprachen, wenn es um Wissen geht, das für alle Mitglieder einer Gesellschaft relevant ist, z.B. in der Medizin, Technik oder Politik. Es entsteht das Ärgernis schwer verständlicher Experten-Laien-Kommunikation.

Ein kooperativ eingestellter Autor muss sich Gedanken über seine Adressaten machen und sorgfältig formulieren, um ihnen keinen unnötigen Verarbeitungsaufwand aufzubürden. Der Adressat muss kognitive Ressourcen investieren, wenn er einen Text nicht automatisch versteht. ich beschreibe zuerst die kommunikativen Aufgaben des Absenders, dann diejenigen des Adressaten.

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575 стр. 26 иллюстраций
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9783846351154
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