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3 Mündliche Verständigung

Obwohl unser Schwerpunkt auf der Verständlichkeit schriftlicher Texte liegt, gehen wir von der mündlichen Kommunikation aus. In der direkten personalen Kommunikation haben sich die Fähigkeiten der Verständigung evolutionär herausgebildet. „The language of face-fo-face conversation is the basic and primary use of language, all others being best described in terms of their manner of derivation from the base“ (Fillmore, 1981, S. 152). Während die Benutzung des phonetischen oder des grafischen Kodes eine klare Dichotomie darstellt, ist der Sprachstil von gesprochener zu geschriebener Sprache ein Kontinuum. Man kann sprechen wie gedruckt, z.B. bei einem freien Vortrag, und schreiben wie gesprochen, z.B. in einem Chat.

Wir werden zuerst die Situation in der mündlichen Kommunikation charakterisieren (3.1), um dann zu untersuchen, wie sich Menschen im Gespräch verständigen (3.2). Dazu referieren wir zwei Ansätze, die sich mit den Bedingungen von gelungenen Gesprächen befasst haben: die Konversationsmaximen von Paul Grice (3.3) und die Geltungsansprüche von Jürgen Habermas (3.4). Zum Schluss werfen wir einen kurzen Blick auf die Praxis des Verständlichmachens in Kommunikationstrainings (3.5).

3.1 Merkmale mündlicher Kommunikation

Die Ursprünge der Kommunikation liegen wahrscheinlich im gestischen Bereich (Tomasello, 2009), die mündliche Kommunikation ist bereits ein spätes Stadium der Entwicklung. Im Hinblick auf Verstehen, Verständigung und Verständlichkeit spielen folgende Merkmale der mündlichen Kommunikation eine Rolle (ausführlich Dürscheid, 2012a):

WahrnehmungsumfeldWahrnehmungsumfeld. In der mündlichen Face-to-face-Kommunikation befinden sich die Kommunikanten in einem geteilten raum-zeitlichen Setting, auf das sie mit Zeigegesten oder deiktischen Ausdrücken Bezug nehmen können. Zur Erinnerung: Umfelder werden subjektiv wahrgenommen und ihre Wahrnehmung muss bei den Kommunikanten nicht übereinstimmen.

KopräsenzKopräsenz. Die Kommunikanten reagieren direkt aufeinander, sie sehen und hören, wie der andere ihre Mitteilungen aufnimmt. Durch die direkte Rückmeldung können Verstehensprobleme mit Methoden der VerständnissicherungVerständnissicherung schnell ausgeräumt werden. Bereits Friedrich Schleiermacher betont 1826/27 in einer Vorlesung, dass „der mündlichen Rede in der Regel vieles zu Hilfe kommt, wodurch ein unmittelbares Verständnis gegeben wird“ (Schleiermacher, 1977, S. 91).

FlüchtigkeitFlüchtigkeit. Ein für das Verstehen wichtiges Merkmal ist die Vergänglichkeit der gesprochenen Sprache (flatus vocis). Hat der Adressat eine Äußerung nicht verstanden oder missverstanden, so ist sie verklungen und nicht mehr rückholbar. Das Hören erfordert deshalb eine größere Aufmerksamkeit als das Lesen, bei dem jederzeit eine Wiederholung möglich ist. Für die Verständlichkeit spielt deshalb die Artikulation eine wichtige Rolle: Sprechgeschwindigkeit, klare Akzentuierungen, Pausen usw.

UnvollkommenheitUnvollkommenheit. Die spontan gesprochene Sprache ist weniger perfekt als die schriftliche Sprache. Es kommen grammatische Fehler, Ellipsen, Anakolute, Nachschübe, Partikelwörter, Versprecher, Selbstkorrekturen, Dialektismen usw. vor. Zudem ist die Artikulation oft durch Verzögerungen (Häsitationen) und Einschübe (Interjektionen) unterbrochen, die zum Inhalt nichts beitragen. Diese Abweichungen von einer Standardsprache wirken sich nicht unbedingt negativ auf das Verstehen aus, im Gegenteil bewirkt imperfektes Sprechen eine erhöhte Aufmerksamkeit und intensiveres Mitdenken, denn die Adressaten generieren Hypothesen über die korrekte Formulierung (Fraundorf & Watson, 2011).

Pragmatische Explizitheit. Oft legt in der mündlichen Kommunikation die Prosodie fest, welche sprachliche Handlung vollzogen wird. Über Betonung, Intonation, Sprechpausen usw. werden intentionale und expressive BedeutungenBedeutungexpressiv ausgedrückt, die im Text nicht explizit enthalten sind.


(1) Du fährst morgen ab.

Die Äußerung (1) kannn je nach Betonung eine Feststellung, eine Frage oder einen Befehl bedeuten. Dazu gehören auch sprachbegleitende Gesten: „Gestures […] and speech […] co-occur and are coexpressive acts of speaking“ (McNeill, 1992, S. 218).

Koordinationsprozesse

Mündliche Kommunikation ist ohne wechselseitige Einstellung auf den Partner zum Scheitern verurteilt. Gegenseitige Annahmen über die Intentionen und das Wissen der Kommunikanten spielen eine zentrale Rolle. Viele Verständnisprobleme und Missverständnisse gehen darauf zurück, dass derartige Annahmen falsch sind oder zu wenig berücksichtigt werden. Wenn ein Absender spricht und schreibt, ohne sich um die Adressaten zu kümmern, spricht man von egozentrischem Formulieren. Raymond Nickerson (1999) hat die Hypothese aufgestellt, dass der Absender zunächst vom eigenen Kopf ausgeht: Er unterstellt, dass sein Wissen mit dem des Adressaten übereinstimmt und redet und schreibt „über die Köpfe“ der Adressaten hinweg. Dies bestätigen Experimente von Keysar, Barr & Horton (1998): Der Absender formuliert zunächst egozentrisch und erst bei Anzeichen, dass der Adressat nicht oder falsch verstanden hat, wird die Äußerung angepasst. Egozentrisches Formulieren stellt bei kooperativ eingestellten Gesprächspartnern sicher nicht den Normalfall dar, wird aber häufig zum Problem in der Kommunikation mit Experten. Erfolgreiche mündliche Kommunikation wird fortlaufend über Grounding, Monitoring, Alignment und Metakommunikation koordiniert.

GroundingGrounding. Kooperative Partner stellen sich auf VorwissenVorwissen und IntentionenIntention des anderen ein und versuchen fortlaufend das geteilte Wissen und die geteilten Intentionen zu erweitern (Clark & Brennan, 1991). Dabei werden alle brauchbaren Informationen ausgewertet: die Wahrnehmungsumgebung, die aufgebauten ImagesImage, der bisherige Gesprächsverlauf usw.

Das Grounding lässt sich besonders eindrücklich bei entstehenden Beziehungen beobachten. Es gibt viel Gesprächsbedarf, um gemeinsames Wissen und gemeinsame Intentionen abzuklären. Dahinter steht das Interesse herauszubekommen, ob man zusammenpasst und eine weitere Kommunikation sinnvoll ist. Mit längerer Kommunikationsgeschichte nimmt der Gesprächsbedarf ab, dafür stellt sich gegenseitige Vertrautheit ein.

MonitoringMonitoring. Das Grounding setzt die fortlaufende Beobachtung des Adressaten auf verbale, mimische und gestische Anzeichen des Verstehens oder Nichtverstehens voraus: Reagiert er mit einem zögerlichem „Hm“? Runzelt sie die Stirn? Zieht er die Mundwinkel nach unten? Nickt sie mit dem Kopf? Diese gegenseitige Beobachtung wird als Monitoring bezeichnet.

Experten neigen dazu, ihr Fachwissen demonstrativ zur Schau zu stellen und unkooperativ über die Köpfe anderer hinwegzureden, dann findet weder MonitoringMonitoring noch GroundingGrounding statt. Ein anderes Beispiel: In Arbeitsgruppen kann man erleben, dass nicht kooperativ eingestellte Personen ihr Wissen gegenüber anderen ausspielen und sich keine Mühe geben, geteiltes Wissen aufzubauen. Sie bleiben gegenüber Rückmeldungen anderer unempfindlich, d.h. ihr Monitoring funktioniert nicht. Sie können nur durch massives Nachfragen dazu gezwungen werden, ihre Äußerungen anzupassen und ihr Wissen einzubringen.

AlignmentAlignment. Im Verlauf einer sprachlichen Kommunikation bzw. eines Gesprächs findet eine unbewusste Angleichung der Kommunikanten statt (Rickheit, 2005; Garrod & Pickering, 2007). Die Gesprächspartner passen kontinuierlich ihren Sprechstil, ihr Vokabular, ihre Syntax, ja sogar ihre Aussprache aneinander an. Während Grounding explizit sprachlich erfolgt, ist Alignment ein automatischer Prozess. Sind die Gesprächspartner gut aligniert, befördert das das wechselseitige Verstehen.

MetakommunikationMetakommunikation. Gemeint ist damit eine explizite sprachliche Verständigung über die abgelaufene Kommunikation. Metakommunikation ist nützlich oder sogar notwendig, wenn Verstehensprobleme oder Missverständnisse aufkommen. Die Beteiligten können metakommunikativ die Schwierigkeiten ansprechen und klären. Diese Kommunikation über Kommunikation ist allerdings wieder von Verständnisproblemen bedroht, vor allem, wenn das VertrauenVertrauen in die Beteiligten fehlt (Zierold, 2008). Zu viel Metakommunikation ist sicher ein Indiz für grundlegende Probleme in einer Beziehung.

All diese bewussten und unbewussten Koordinationsprozesse sind von großer Bedeutung für das gegenseitige Verstehen.

3.2 Der Dreischritt der VerständigungVerständigung

Wie sorgen Beteiligte wechselseitig für Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation? Kooperative Verständigung erfordert verschiedene Techniken der VerständnissicherungVerständnissicherung, um Störungen vorzubeugen oder auszuräumen. Man unterscheidet präventive und reparative Verständnissicherung (Foppa, 1987; Galliker & Weimer, 2006; Kindt & Rittgeroth, 2009). Der Dreischritt der Verständigung läuft so ab: 1. Der Absender äußert eine sprachliche Mitteilung, 2. der Adressat meldet sein Verständnis zurück, 3. der Absender modifiziert bei Bedarf seine Mitteilung.

Der Absender formuliert

Ein kooperativer Absender stellt sich auf seinen/seine Adressaten ein und ergreift Maßnahmen, um Verstehensprobleme präventiv zu vermeiden.

KorrigierenKorrigieren. Der Sprecher ist gleichzeitig Hörer seiner eigenen Äußerungen, im Prinzip kann er alle Arten von Fehlern korrigieren. Hier interessieren vor allem die Korrekturen, die dem besseren Verstehen beim Adressaten dienen. In einem Prozess des Self-monitoring wird das Verstehen der eigenen Äußerung kontrolliert und gegebenenfalls modifiziert (Klotz, 2017):

 inhaltliche Kontrolle: Ein Inhalt ist nicht angemessen oder sogar falsch ausgedrückt.

 lexikalische Kontrolle: Ein Wort ist irrtümlich oder nicht treffend gewählt oder falsch ausgesprochen (Versprecher).

 syntaktische Kontrolle: Ein Satz ist kompliziert oder mehrdeutig formuliert, der oder die Sprechende bringt ihn syntaktisch nicht korrekt zu Ende (Stranding).

 pragmatische Kontrolle: Eine sprachliche Handlung, also die kommunikative Intention ist mit der Äußerung nicht eindeutig vollzogen.

In diesen Fällen kann ein bewusstes Umformulieren erfolgen (Levelt, 1983). Im Sprechen wird so oft erst ein Gedanke „verfertigt“, der vorher nicht formulierungsreif vorliegt.

Heinrich von Kleist (1805) hat in einem Brief-Essay „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ beschrieben, wie ein Redner beim Sprechen erst seine Ideen entwickelt: „Ich glaube, daß mancher große Redner, in dem Augenblick, da er den Mund aufmachte, noch nicht wußte, was er sagen würde. Aber die Überzeugung, daß er die ihm nötige Gedankenfülle schon aus den Umständen, und der daraus resultierenden Erregung seines Gemüts schöpfen würde, machte ihn dreist genug, den Anfang, auf gutes Glück hin, zu setzen.“ In der sprachlichen Kommunikation liegt eine Mitteilung nicht immer konzeptuell bereits vor, sondern das Sprechen oder Schreiben ist ein Mittel, um Gedanken zu generieren und zu ordnen.

KommentierenKommentieren. Der Sprecher kann seine Äußerungen kommentieren, d.h. erläutern, wie er sie verstanden haben will. Dies geschieht häufig als metakommunikative Ankündigung oder Zusammenfassung:


(2.1) „Der nächste Punkt liegt mir besonders am Herzen!“
(2.2) „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber …“

Um das Verstehen einer Äußerung zu kontrollieren, werden sogenannte Disclaimer eingesetzt, die eine bestimmte InterpretationInterpretation einer Äußerung ausschließen sollen.


(3) „Ich bin absolut kein Antisemit, aber die Siedlungspolitik Israels lehne ich ab.“

Die Fähigkeit, mit Sprache über Sprache reden und schreiben zu können, ist für einige Linguisten so wichtig, dass sie neben Darstellungs-, Ausdrucks- und Appellfunktion noch eine metakommunikative Funktion der Sprache annehmen (z.B. Jakobson, 1960).

Voraussetzung für Verständigung ist das angesprochene MonitoringMonitoring: Wenn der Sprecher kritische nonverbale Signale beim Adressaten erkennt, kann er Absicherungsfragen stellen:


(4.1) „Verstehst du, was ich meine?“
(4.2) „Habe ich mich klar ausgedrückt?“
(4.3) „Das ist doch logisch, oder etwa nicht!“

Derartige Äußerungen sollen den Adressaten dazu bringen, den nächsten Schritt der Verständigung einzuleiten.

Der AdressatAdressat reagiert

Eine Rückmeldung des Adressaten kann bereits während der Äußerung mit nonverbalen Zeichen erfolgen, z.B. einem Kopfnicken oder einem Stirnrunzeln. Ist eine Äußerung formuliert, kann der Adressat seinerseits verständnissichernde Maßnahmen einsetzen.

RückfragenRückfrage. Vielleicht die wichtigste verständnissichernde Maßnahme ist das Rückfragen. Der Adressat erfrägt direkt weitere Informationen, wenn er nicht sicher ist, korrekt verstanden zu haben.


(5.1) „Was meinst du genau mit x?“
(5.2) „Kannst du mir dafür ein Beispiel geben?“

Oft unterbleiben derartige Rückfragen aus Angst davor, dass man sich blamiert, weil man etwas nicht verstanden hat. Für Journalisten, die ein Interview führen, ist die gezielte Rückfrage eine wichtige Technik, um den Gesprächspartnern verständliche Aussagen zu entlocken.

ParaphrasierenParaphrasieren. Eine verbreitete Technik ist die paraphrasierende oder zusammenfassende Wiedergabe. Der Hörer wiederholt das Gesagte in eigenen Worten:


(6.1) „Wenn ich richtig verstanden haben, dann behaupten Sie, dass …“
(6.2) „Wenn ich die Ausführungen einmal zusammenfasse, dann vertreten Sie die Meinung, dass …“

Der Adressat reagiert also nicht sofort auf eine Äußerung, sondern wiederholt sie mit eigenen Worten und Sätzen. In therapeutischen Gesprächen wird diese verständnissichernde Maßnahme auch als Spiegeln bezeichnet: Der Therapeut verbalisiert eine Äußerung des Klienten, die dieser „wie in einem Spiegel“ vorgehalten bekommt (ausführlich zur Paraphrase Lenke, Lutz & Sprenger, 1995, S. 162ff.).

Rückmelden von Folgerungen. Eine tiefergehende Technik ist die RückmeldungRückmeldung von Folgerungen (Inferenzen) aufgrund des Gesagten: Der Adressat formuliert unausgesprochene, implizite Folgerungen und legt sie dem Absender zur Bestätigung vor.


(7.1) „Heißt das denn, dass …?“
(7.2) „Aus deinen Äußerungen folgt für mich, dass … Stimmst du dem zu?“

Der Absender kann die Folgerungen bestätigen oder verwerfen. Im zweiten Fall wird erwartet, dass er eine Reformulierung anbietet.

Adäquates Handeln. Ein Adressat vollzieht nach einer Äußerung eine adäquate Anschlusshandlung und zeigt damit, dass er verstanden hat. Dies ist z.B. bei einer Bedienungsanleitung für ein Gerät ein Kriterium für eine gelungene sprachliche Handlung (Kap. 8.1).

Zurück an den AbsenderAbsender

Nachdem der Adressat reagiert hat, ist jetzt wieder der Absender gefordert. Er muss die Rückfragen beantworten oder eine Folgerung als korrekt akzeptieren oder als falsch zurückweisen. Wurde er nicht in seinem Sinne verstanden, wird erwartet, dass er eine neue Formulierung anbietet und der Dreischritt kann von neuem beginnen,

Modifizieren. Die sprachliche Anpassung an die Adressaten wird in der Linguistik auch als Modifizieren bezeichnet. Sie wird in der Hoffnung vollzogen, „dass die Sageweise das Verstehen möglichst genau bestimme“ (Klotz, 2017, S. 20). Eine ModifizierungModifizierung kann ein Erweitern, Einengen, Nuancieren, Relativieren, Fokussieren der ursprünglichen Äußerung umfassen.Fachwort (Terminus)1 Noch einmal Peter Klotz (2017, S. 21): „Es geht um die Versuche, etwas so zu sagen, wie man es meint, und es geht um die Versuche, den eigenen Ausdruck an das anzunähern, was der Sache, der Situation, dem Kommunikationspartner und einem selbst angemessen ist.“

Der Dreischritt der Verständigung kann mehrfach durchlaufen werden, dadurch findet eine kontinuierliche kommunikative Validierung des Verstehens statt. Beim Auftreten massiver Verständigungsprobleme kann ein Moderator hinzugezogen werden, bei Gesprächen von Konfliktparteien wird ein Mediator eingesetzt. Ihre Rolle besteht vor allem darin, das wechselseitige Verstehen abzusichern und einen Konsens oder KompromissKompromiss zu erarbeiten.

Verständlichkeit in der mündlichen Kommunikation ist das Ergebnis einer gemeinsamen Bemühung, die eine Motivation zur Verständigung voraussetzt (Verständigungsbereitschaft) und manchmal erheblichen Aufwand erfordert. „Verständlichkeit ist also zu einem beträchtlichen Teil eine Frage der wechselseitigen Abstimmung von Kommunikationspartnern“ (Schäflein-Armbruster, 1994, S. 495). Auf welcher Grundlage diese Kooperation zwischen Kommunikationspartnern abläuft, dazu schauen wir uns im Folgenden zwei wichtige theoretische Ansätze an.

3.3 Rationale VerständigungVerständigung

Dass Verständigung im Gespräch ein kooperatives Unternehmen ist, haben vor allem einige Philosophen herausgearbeitet, deren Ideen in der Sprachwissenschaft aufgenommen wurden. Ich referiere zwei Ansätze: die Konversationsmaximen von Paul Grice und die Geltungsansprüche von Jürgen Habermas.

Das KooperationsprinzipKooperationsprinzip und seine MaximenMaximen

Der Philosoph Paul Grice (1975) hat sich Gedanken darüber gemacht, welche Bedingungen für sprachliche Kommunikation (talk exchange) gelten. Als übergeordnetes Prinzip, das alle Äußerungen der Gesprächspartner anleiten soll, formuliert er ein KooperationsprinzipKooperationsprinzip: „Make your conversational contribution such as is required at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged“ (S. 307). Dieses allgemeine Prinzip wird durch vier Gesprächsmaximen konkretisiert, die sich wiederum in verschiedene Untermaximen aufteilen:

1. Quantität. Sage so viel wie nötig und sage nicht zu viel! Sage etwas, was für den Zuhörenden wirklich neu ist! Sage nichts, was dem Zuhörenden bereits bekannt ist! – Das Einhalten dieser Maxime verlangt vom Sprechenden eine Einschätzung des Wissens des Adressaten und eine Berücksichtigung dieses Wissens. Eine nachhaltige Störung kann aus Unterstellungen resultieren: Der Sprecher setzt mit seinen Äußerungen beim Hörer Wissen voraus, über das dieser nicht verfügt.

2. Qualität. Äußere nichts, was du nicht für wahr hältst! Signalisiere, welchen Grad an Wahrscheinlichkeit das Gesagte hat! Vor allem: Lüge nicht! – Es dürfte klar sein, dass Lügen die stärkste Bedrohung für ein Gespräch darstellt: Wer möchte sich mit jemandem auseinandersetzen, dessen Äußerungen ständig den Verdacht der Lüge oder Täuschung erregen?

3. Relation/Relevanz. Sage nur Relevantes, das Bezug zum anerkannten Zweck des Gesprächs hat! Sage dem Adressaten nur etwas, von dem du annehmen kannst, es sei für ihn wichtig! – Grice selbst hat diese Maxime nicht weiter ausgeführt, in der Relevanztheorie von Sperber & Wilson (1995) wird sie als die zentrale Maxime ausführlich behandelt, der alle anderen untergeordnet sind. Die Maxime zielt auf einen thematischen Zusammenhang ab.

4. Modalität. Gestalte deine Äußerung verständlich, d.h. vermeide Unklarheit, Mehrdeutigkeit, Weitschweifigkeit und Ungeordnetheit! Hier geht es um die Art und Weise, wie etwas gesagt wird, und das sind Aspekte der Verständlichkeit, die wir später aufgreifen. Grice formuliert hier sehr allgemein. Was soll man unter Unklarheit verstehen? Und wann ist eine Äußerung weitschweifig? Die Maxime der Modalität greift eine Tugend der elocutio in der klassischen RhetorikRhetorik auf (Asmuth, 2009): Die Rede soll perspicuitas besitzen, das heißt wörtlich Durchsichtigkeit, sie soll verständlich formuliert sein. Grice verwendet das entsprechende Adjektiv „perspicuous“.

Die Rezeption von Grice tut sich bis heute schwer, den Status dieser MaximenMaximen zu fassen, da auch der Autor selbst unklar bleibt. Grice hat sich bei der Einteilung der Maximen von Kant inspirieren lassen. Eine Maxime ist nach Kant ein subjektiver Grundsatz als vernünftiges Prinzip des Handelns. Formuliert sind die Maximen als allgemeingültige Imperative „Be relevant!“, „Avoid obscurity!“, „Be orderly!“, sozusagen als Vorschriften. Andere Autoren sehen in den Maximen ethische Postulate für eine rationale VerständigungVerständigung, eine Art kommunikativer Ethik. Da Grice auch von „conversational game“ spricht, kann man die Maximen auch als Spielregeln auffassen. Die meisten Autoren sind sich darin einig, dass man sie nicht normativ oder präskriptiv interpretieren darf. Dem widerspricht aber, dass Sanktionen erfolgen, wenn man die Maximen verletzt.

Noch konfuser wird es, wenn man über Herkunft und Geltung dieser MaximenMaximen nachdenkt: Sind es universelle Regulative, die für alle sprachlichen Äußerungen gelten, oder kulturelle Konventionen, sozusagen gelernte Gewohnheiten? Kognitiv werden sie als wechselseitige kollektive Erwartungen, verinnerlichte Annahmen oder rationale Unterstellungen bezeichnet. Wie wir aus Berichten zur interkulturellen KommunikationKommunikationinterkulturell wissen, verläuft in anderen Kulturen ein Gespräch anders (z.B. Weitschweifigkeit in arabischen Ländern oder Zurückhaltung in asiatischen Kulturen). Grice selbst hat eingeräumt, dass seine Maximen ergänzt oder modifiziert werden müssen.

Die Befolgung des KooperationsprinzipsKooperationsprinzip und seiner MaximenMaximen wird bei jedem Gesprächspartner unterstellt – solange man ihn für „rational“ und an Verständigung interessiert hält. Wie wir bereits ausgeführt haben, setzt das Kooperationsprinzip VertrauenVertrauen als Grundbedingung jeder Kommunikation voraus (Juchem, 1988).

Bei der Analyse von Gesprächen fällt auf, dass viele Äußerungen den Maximen von Grice nicht gehorchen, es gibt andauernd Verletzungen aus Höflichkeit, Feigheit, Unwissenheit, Unaufrichtigkeit usw. Folgende Fälle eines Verstoßes gegen Maximen sind möglich:

Unbewusste Verletzung liegt vor, wenn ein Sprecher egozentrisch und nicht adressatenorientiert formuliert. Er ist sich keiner Schuld bewusst, aber redet an seinen Adressaten vorbei. Das ist oft bei Experten der Fall.

Bewusster Ausstieg liegt vor, wenn ein Sprecher eine Maxime explizit außer Kraft setzt, z.B. durch die Ankündigung, dass das Thema so kompliziert ist, dass er es nicht einfach formulieren kann.

Kollision liegt vor, wenn zwei Maximen nicht gleichzeitig eingehalten werden können, z.B. kann die Beachtung der Maxime der Modalität dazu führen, dass ein Sprecher die Maxime der Relation nicht einhalten kann: Er muss weit ausholen, damit das Gesagte verstanden wird.

Bewusster Verstoß liegt vor, wenn eine Maxime nicht erfüllt wird, um eine spezielle Mitteilung zu kommunizieren. Bei einem offensichtlichen Verstoß gegen eine Maxime versuchen wir aufgrund der RelevanzannahmeRelevanzannahme den Gesprächsbeitrag so zu verstehen, dass das KooperationsprinzipKooperationsprinzip gewahrt bleibt: Wir interpretieren die Äußerung um, damit sie einen Sinn innerhalb des Gesprächs bekommt.

In einem Gespräch fällt die Äußerung (8), die gegen die Maxime der Quantität verstößt. Der Satz ist tautologisch (gr. t’auton legein = dasselbe sagen) und enthält eigentlich keine Information.


(8) „Wenn Karl etwas verspricht, dann verspricht er es.“

Wenn wir annehmen können, dass der Sprecher fähig ist, das KooperationsprinzipKooperationsprinzip einzuhalten, dann muss die gemeinte Bedeutung über die wörtliche Bedeutung hinausgehen. Aufgrund von VorwissenVorwissen, dem Vorgespräch oder der Situation kann die Äußerung so den Sinn bekommen: Auf Karl ist Verlass, wenn der etwas verspricht, dann hält er es auch.

Damit kann Grice erklären, warum wir bestimmte Äußerungen nicht als unsinnig verwerfen, sondern eine Intention des Sprechers heraus- oder hineininterpretieren. Derart erschlossene Bedeutungen von Äußerungen innerhalb eines Gesprächs bzw. einer Konversation nennt Grice konversationelle ImplikaturenImplikatur, wir kommen im Kapitel 6.5 auf sie zurück. Der Verstoß gegen eine Maxime ist sozusagen eine Anregung zur InterpretationInterpretation. Erst wenn ein Sprecher permanent gegen MaximenMaximen verstößt, muss er mit Konsequenzen rechnen. Wer z.B. oft vom Thema abschweift (Relation) oder beim Lügen erwischt wird (Qualität), der muss Ermahnungen und Sanktionen bis zum Ausschluss aus der Kommunikation hinnehmen. Die Wacht über das Einhalten der Maximen kann einem Moderator bzw. einer Moderatorin übertragen werden. Sie dürfen bei Abweichungen vom Thema oder bei Unklarheiten den Sprechenden unterbrechen.

Werfen wir einen abschließenden Blick auf die Maxime der Modalität, die die Verständlichkeit thematisiert. Nach Grice unterstellen wir unseren Gesprächspartnern, dass sie sich darum bemühen, verständlich zu formulieren. Wenn sie etwas schwer Verständliches äußern, veranlasst uns das, nach einer zutreffenden InterpretationInterpretation zu suchen. Nach Grice gibt der Absender mit einer schwer verständlichen Formulierung sozusagen einen Denkanstoß.

Die Beispiele, die Grice benutzt, stammen durchweg aus der Literatur, es geht um mehrdeutige und umständliche Formulierungen. Ein anderes Beispiel sind unverständliche Sentenzen, z.B. Koans im Zen-Buddhismus, die zu tieferen Einsichten führen sollen. Auf die fachliche Kommunikation ist das Argument der Denkanregung aber nicht übertragbar, hier ist Verständlichkeit eine Grundbedingung der Kommunikation.

Unter der Geltung des KooperationsprinzipsKooperationsprinzip darf der Absender allerdings nicht zu weit gehen: „I must intend my partner to understand what I am saying despite the obscurity I import into my utterance“ (Grice, 1968, S. 313).

Universelle GeltungsansprücheGeltungsansprüche

Im deutschen Sprachraum hat der Philosoph Jürgen Habermas (1988) eine Theorie kommunikativen Handelns entwickelt, bei der allerdings die Verständlichkeit eine marginale Rolle spielt. Zentrale Funktion der menschlichen Kommunikation ist auch für Habermas die Verständigung zwischen mindestens zwei Menschen im Gespräch. Verständigung hat zwei Bedeutungen:

Gegenseitiges Verstehen. Darunter versteht man das wechselseitige Bemühen von Absender und Adressat um Verständigung durch Rückfragen, wiederholte Paraphrasierung, Metakommunikation usw. Wechselseitiges Verstehen bedeutet nicht unbedingt Einverständnis! Oft versteht man, was der andere meint, aber stimmt mit ihm nicht überein.

EinverständnisEinverständnis. Hier geht Verständigung über das wechselseitige Verstehen hinaus: Ziel ist die gemeinsame argumentative Erarbeitung eines Einverständnisses im Gespräch. Im Idealfall ist das ein Konsens (lat. consentire = übereinstimmen), oft aber nur ein fairer KompromissKompromiss, dem beide Seiten zustimmen können.

Die Theorie der Kommunikation von Habermas ist in eine Gesellschaftstheorie eingebettet. Diese blenden wir hier aus und fokussieren auf die rationale VerständigungVerständigung. Habermas unterscheidet zwei Grundformen der Kommunikation mit unterschiedlichen Zielen: Die verständnisorientierte Kommunikation ist auf Konsens aus, die strategische KommunikationKommunikationstrategisch auf Persuasion. Dem entspricht unser ÜberzeugenÜberzeugen und ÜberredenÜberreden als zwei Grundfunktionen der Sprache. Für Habermas dient die Sprache vor allem der Verständigung, die sprachliche Kommunikation ist „auf Konsensbildung, nicht auf Beeinflussung angelegt“. Die Sprache ist sozusagen das Werkzeug der Rationalität.


Verständigungsorientierte Kommunikation gemeinsame Überzeugungen rational motiviertes Einverständnis
Strategische Kommunikation = persuasive Kommunikation offen Drohungen Lockungen erzwungene Übereinstimmung erkaufte Übereinstimmung
verdeckt bewusste Täuschung = Manipulation unbewusste Täuschung erschlichene Übereinstimmung täuschende Übereinstimmung

Bild 3:

Tabelle der Kommunikationsformen nach Habermas (1981).

Verständigungsorientierte Kommunikation. Die Teilnehmenden sind bemüht, auf der Basis gemeinsamer Überzeugungen ein rational motiviertes EinverständnisEinverständnis herzustellen.

Strategische Kommunikation. Hier ist die erfolgsorientierte Einflussnahme (Persuasion) das Ziel der Kommunikation. Es werden zwei Fälle unterschieden: die offene und die verdeckte strategische KommunikationKommunikationstrategisch.

▶ Offen strategisch: Hier wird mit direkten Drohungen eine Übereinstimmung erzwungen oder mit Lockungen (z.B. Schmiergeld) erkauft. Diese Kommunikation stützt sich auf ein Sanktionspotenzial (Gewalt, Belohnung, Bestrafung).

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9783846351154
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