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1.3 Aufbau des Buches

Kapitel 1. Nach den Grundannahmen und den Anwendungsfeldern hier zur ersten Orientierung ein Schnelldurchlauf durch die folgenden Kapitel:

Kapitel 2. Zunächst wird der kommunikative Rahmen aufgespannt, in dem ein Absender etwas meint und ein Adressat etwas versteht. Verständlichkeit ist dabei das Ergebnis einer Kooperation: Der Absender muss adressatenorientiert formulieren und der Adressat muss sich um ein Verständnis bemühen.

Kapitel 3. Ausgangspunkt ist die gesprochene Sprache. In der mündlichen Kommunikation wird Verständigung durch Techniken kooperativer Verständnissicherung erreicht. Die Kommunikationspartner unterstellen sich wechselseitig die Einhaltung bestimmter Maximen oder fühlen sich bestimmten Geltungsansprüchen verpflichtet.

Kapitel 4. Auch Schreiben ist eine kommunikative Tätigkeit, nicht das egozentrische Ausleeren eines Kopfes. Allerdings stellen sich hier Probleme der Verständlichkeit in verschärfter Form, da die alltäglichen Formen der Verständnissicherung ausfallen. Die Verantwortung für verständliche Kommunikation verlagert sich auf den Absender: Er muss bei schriftlicher Kommunikation seine Adressaten bei der Auswahl der Inhalte und den Formulierungen berücksichtigen.

Kapitel 5. Verstehen und Verständnis lassen sich nicht direkt beobachten, sie spielen sich verborgen im Gehirn des Adressaten ab. Die Wissenschaft hat eine Reihe von Methoden entwickelt, mit denen man sozusagen unter die Schädeldecke blicken kann. Jede einzelne Methode hat ihre Grenzen und erfasst nur einen Aspekt des Verstehens, aber in einem ergänzenden Methodenmix sind sie doch erfolgreich.

Kapitel 6. Das Verstehen kann in Teilprozesse aufgebrochen werden: Die Leserlichkeit der Schrift erleichtert oder erschwert das Erkennen von Wörtern, mit dem der Prozess des Verstehens startet. Die Formulierung von Sätzen und ihre Verknüpfung zu Texten steuern die Verarbeitung, aber das Herzstück des Verstehens sind Schlussfolgerungen, die über den Text hinausgehen und in eine mentale Repräsentation des Textes eingehen. Diese Prozesse sind teils automatisiert, teils kontrolliert, wobei Letztere die Schwierigkeit eines Textes ausmachen. Verständlichkeit bedeutet eine Schonung mentaler Ressourcen. Der Einsatz von Ressourcen wird vor allem durch die beschränkte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses begrenzt. Wir unterscheiden grammatische und pragmatische Ressourcen.

Kapitel 7. Den theoretischen Hintergrund für die grammatische Verständlichkeit bildet eine funktionale Grammatik, in der die kommunikative Funktion sprachlicher Ausdrücke im Fokus steht. Verständlichkeit lässt sich auf der Ebene der Grammatik durch den Gebrauch geläufiger Wörter, einfacher Sätze und kohärenter Texte herstellen. Es werden psycholinguistische Befunde referiert, wie bestimmte Formulierungen das Verstehen beeinflussen.

Kapitel 8. Den theoretischen Hintergrund für die pragmatische Verständlichkeit bildet die Sprechakttheorie. Es geht um eindeutige sprachliche Handlungen, die mit dem Schreiben vollzogen werden. Dazu gehören in Fachtexten einfache Handlungen wie Benennen oder Anleiten sowie komplexe Handlungen wie Definieren, Beschreiben, Erzählen, Begründen. Vor allem das Argumentieren spielt in wissenschaftlichen Texten eine zentrale Rolle.

Kapitel 9. Zum Verständlichmachen von Texten gehören als flankierende Maßnahmen didaktische Zusätze, die helfen, einen schwierigen Text zu erschließen, den man aus verschiedenen Gründen nicht verständlicher umformulieren kann: Vorstrukturierungen, Zusammenfassungen, Lehr- und Lernziele, Merksätze usw. Diese Zusatztexte verlängern zwar den Text, aber nutzen vor allem Adressaten mit geringem Vorwissen und schwach ausgebildeten Lesekompetenzen.

Kapitel 10. Es gibt – unabhängig vom Inhalt – langweilig und anregend formulierte Texte: Über verschiedene rhetorische und stilistische Mittel kann eine textgenerierte Motivation entstehen, die indirekt das Verstehen fördert. Hierher gehören die klassischen rhetorischen Stilmittel der Veranschaulichung, Akzentuierung und Stimulanz, die auch in Sachtexten eingesetzt werden sollten.

Kapitel 11. Schließlich geht es um die Praxis der Verständlichkeit, um Schreiben, Bewerten und Optimieren von Texten. Dazu werden methodische Werkzeuge vorgestellt, mit denen die Verständlichkeit von eigenen wie von fremden Texten ohne einen zu großen Aufwand ermittelt werden kann: Adressatenanalyse, Verständlichkeitsformeln, elektronische Tools, pro- und präskriptive Richtlinien, Checklisten, Fragebögen usw. Traumziel ist ein Verständlichkeitsexperte mit einem Usability-Labor.

Kapitel 12. Ein paar abschließende Anmerkungen zum theoretischen und praktischen Status und zur Zukunft der Textverständlichkeit dürfen nicht fehlen.

Ich habe mir Mühe gegeben, geschlechtergerecht zu schreiben, aber vermeide umständliche und damit schwer lesbare Formulierungen. Das generische Maskulinum wird als Gattungsbegriff verwendet, der alle, auch diverse Geschlechter umfasst. In vielen Zusammenhängen ist eine Markierung des Geschlechts nicht notwendig.

Dieses Buch behandelt die sprachliche Verständlichkeit. Eine Ergänzung für verständliche Bilder findet sich in meinem Buch „Visualisieren. Bilder in wissenschaftlichen Texten“ (Ballstaedt, 2011).

2 Sprachliche Kommunikation: Meinen und Verstehen

In diesem Kapitel werden das Verstehen und die Verständlichkeit in ein Modell der Kommunikation eingebettet. Zuerst werden die Komponenten des Modells vorgestellt (2.1). Danach wird die Verständigung als eine Kooperation zwischen Absender und Adressat beschrieben (2.2). Beide Seiten müssen dazu beitragen, damit eine Mitteilung aus sprachlichen Zeichen verstanden wird.

2.1 Ein Modell der Kommunikation

Bild 1:

Ein Modell der Kommunikation, das wie jedes sozialwissenschaftliche Modell nur eine grobe Orientierung bietet und das Forschungsfeld mit seinen wichtigsten Einflussgrößen vorstellt.

Kommunikation ist eine Interaktion mittels Zeichen, die dazu dient, wechselseitig das Verhalten oder das Erleben des jeweiligen Adressaten zu beeinflussen. Jede Kommunikation zwischen Absender und Adressaten – mit welchem Zeichensystem auch immer – spielt sich in einem Feld mit zahlreichen Einflussgrößen ab, die im Bild 1 in einem Modell visualisiert sind.

Kommunikative Situation

Jede Kommunikation ist situiert, sie ist in eine Situation eingebettet. In der mündlichen Kommunikation besteht die Situation aus einem Wahrnehmungsumfeld und aus einer sozialen Situation.1 Entscheidend ist dabei, dass allein die mentale Repräsentation der Situation im Kopf eines Absenders und Adressaten, ihre „Definition der Situation“ für die Sprachproduktion sowie das Sprachverstehen relevant sind. Es handelt sich nicht um objektive Gegebenheiten, sondern um subjektive mentale Konstrukte. Hier darf das berühmte Zitat nicht fehlen: „If men define situations as real, they are real in their consequences“ (Thomas & Thomas, 1928).

WahrnehmungsumfeldWahrnehmungsumfeld. In der mündlichen Kommunikation gehört zur Situation die gemeinsam wahrgenommene räumliche und zeitliche Umwelt, das Setting, in dem sich die Kommunikationspartner befinden und auf das sie sich mit Zeigegesten und deiktischen Ausdrücken beziehen können. Ein Kommunikant kann den anderen gestisch oder sprachlich auf einen Aspekt des Settings aufmerksam machen. Wichtig ist auch hier, dass Absender und Adressat die Umwelt nicht unbedingt gleich wahrnehmen, ihre visuelle Aufmerksamkeit kann sich auf unterschiedliche Aspekte des Settings beziehen, sie nehmen verschiedene PerspektivenPerspektive ein. Jede Gesellschaft schafft institutionalisierte Settings wie z.B. einen Hörsaal, ein Museum, einen Supermarkt mit bestimmten Gegenständen, die bestimmte Handlungen ermöglichen.

Soziale Situation. Jede Kommunikation findet in einer bestimmten sozialen SituationSituationsoziale statt, die soziale Rollen und die dafür geltenden Konventionen umfasst. Diese haben wir in der Sozialisation gelernt und halten sie meist unbewusst ein. In einem Gespräch fühlen wir uns nur sicher, wenn wir wissen, „was vor sich geht“ (Goffman, 1977), d.h. in welchem sozialen Kontext wir uns befinden. Zur sozialen Situation gehören oft noch andere Personen wie Mithörer (z.B. in einer Gruppe), aber auch unbeteiligte Zuhörer. Innerhalb von Institutionen gibt es klar definierte soziale Situationen, z.B. eine Prüfung, ein Verhör, ein Restaurantbesuch. Sie beeinflussen, welche Inhalte in welcher sprachlichen Form (Wortwahl, Satzbau, Rhetorik) geäußert werden.

Wenn wir in der Sprechstunde einen Arzt oder eine Ärztin konsultieren, befinden wir uns in folgender kommunikativen SituationSituationkommunikative. Das Setting ist bekannt: Ein Schreibtisch mit Computer, Blutdruckmessgerät, daneben ein Stuhl für den Patienten und eine Liege für Untersuchungen usw. Die Situation bestimmt Inhalt und Form der sprachlichen Kommunikation. So stehen die Themen Gesundheit und Krankheit im Fokus. Wir erwarten und akzeptieren Fragen, die in anderen Situationen nicht angebracht sind: Wie klappt es mit dem Wasserlassen? Wie oft findet Geschlechtsverkehr statt? Wie viel Alkohol wird pro Tag getrunken? Gab es bereits Depressionen in der Familie? usw. Dabei herrscht eine strenge Komplementarität, denn Patienten dürfen derartige Fragen an den Arzt nicht stellen. Der Patient wird dem Arzt oder der Ärztin gegenüber seine Beschwerden anders formulieren als in der Familie. Während er in den heimischen vier Wänden oft furzen muss, spricht er in der Praxis von Blähungen, der Arzt von abgehenden Winden, Flatulenz oder Meteorismus. Der Patient ist auch bereit, sich auszuziehen – in diesem Kontext sich „freizumachen“, das direkte Wort „ausziehen“ wird diskret vermieden. Wir lassen uns an Körperstellen anfassen, die sonst der Intimkommunikation vorbehalten sind. Wir erwarten vom Arzt dabei einen nüchternen klinischen Blick. Wenn er zu einer Patientin sagt: „Sie haben einen hübschen Po“, so wäre diese wahrscheinlich irritiert, die Äußerung ist nicht situationsangemessen, der Arzt ist damit „aus dem Rahmen gefallen“.

Die kommunikative SituationSituationkommunikative ist eine Schnittstelle, an der die Gesellschaft mit ihren Institutionen und die Personen mit ihren Intentionen aufeinandertreffen. Sie ist nicht statisch, sondern verändert sich mit der Entwicklung der Interaktion zwischen den Beteiligten.

In der schriftlichen Kommunikation ist den Beteiligten die Kommunikationssituation meist weniger bewusst. Hier fehlt das gemeinsame Wahrnehmungsumfeld und die Kommunizierenden sind sich oft nicht bewusst, dass sie sich in einer sozialen Situation befinden.

Wenn ein Studierender eine Masterarbeit schreibt und eine Professorin sie später liest, befinden sich beide ebenfalls in einer institutionellen sozialen Situation. Der Studierende weiß, was seine Betreuerin inhaltlich gern lesen möchte und er kennt die Regeln wissenschaftlicher Argumentation. Zudem kennt er den akademischen Schreibstil der jeweiligen Disziplin, er schreibt also adressatenorientiert und passt sich sozialen Normen an.

Van Dijk & Kintsch (1983) haben ein „communicative context model“ eingeführt, van Dijk (2008) hat diesen Ansatz weiter ausgearbeitet. In dieses mentale Modellmentales Modell wird alles Wissen über die kommunikative Situation hineingesteckt: die geltenden Konventionen, die Images der Beteiligten, ihre Intentionen und ihr Vorwissen.

AbsenderAbsender und AdressatAdressat

Voraussetzung für Kommunikation sind Akteure: ein Absender, der mit einer Mitteilung etwas meint und ein Adressat, der durch die Mitteilung etwas versteht. Im mündlichen Dialog wechseln Absender und Adressat laufend ihre Rollen, beim Schreiben bleibt die Kommunikation oft einseitig. Das Modell stellt sozusagen nur einen eingefrorenen Moment in der Interaktion dar. Absender und Adressat fassen wir als Kommunikationspartner zusammen. Beide treten in die Kommunikationssituation mit unterschiedlichen Motiven und Intentionen sowie verschiedenen Wissensbeständen ein.

MotiveMotiv und IntentionenIntention

Die beiden oberen Ellipsen im Modell stehen für die basalen Motive (= Beweggründe), die sich in konkreten Intentionen (= Zielen) von Absender und Adressat manifestieren. Welche Basismotive die Menschen antreiben, dazu hat die Motivationspsychologie zahlreiche Ansätze geliefert, allerdings nur mit geringer Übereinstimmung. In das Gestrüpp der Triebe, Anreize, Motive, Bedürfnisse, Interessen usw. werden wir uns hier nicht begeben. Wir bleiben auf einer formalen Ebene.

Nach Michael Tomasello (2009, S. 95ff.) liegen der unendlich großen Zahl an IntentionenIntention drei evolutionär entstandene basale Kommunikationsmotive zugrunde.

Auffordern. Der Absender will, dass der Adressat etwas tut, was der Absender will, was ihm nutzt. In der Sprache entspricht dem der Imperativ, aber es gibt abgeschwächte Formen wie Bitten, Vorschlagen, Hinweisen (ausführlich Herrmann & Grabowski, 1994).

Informieren. Der Absender will, dass der Adressat etwas weiß, das für ihn – oder für beide – relevant ist. Er hilft dem anderen, indem er ihn informiert und damit für geteiltes Wissen sorgt. Hier liegt eine Wurzel für kooperatives und prosoziales Handeln.

Teilen. Der Absender will, dass der Adressat Gefühle, Stimmungen oder Einstellungen mit ihm teilt, dass er sozusagen mitfühlt. Dieses Mitteilungsmotiv liegt vielen alltäglichen Gesprächen (Smalltalk) zugrunde, die weder auffordern noch informieren, aber den sozialen Zusammenhalt fördern.

MotiveMotiv gehen den IntentionenIntention voraus, sie sind sozusagen der tiefere Grund für die Intention (Achtziger & Gollwitzer, 2006). Während die Intentionen den Kommunikationspartnern bewusst sind, müssen dies die Motive nicht immer sein. Alle Intentionen eines Absenders verfolgen letztlich das Ziel, das Denken oder Handeln des Adressaten zu beeinflussen. Wir gehen damit von einem Primat der Persuasion in der sprachlichen Kommunikation aus, die als Überreden oder als Überzeugen ausprägt sein kann.

ÜberredenÜberreden. Diese Kommunikation ist einseitig wirkungsorientiert, es dominieren IntentionenIntention des Absenders, den Adressaten in seinem Sinne zu beeinflussen, zu einer Änderung der Einstellung oder zu einem bestimmten Verhalten. Dem entspricht das basale Motiv des Aufforderns. Zahlreiche Sprachverwendungen haben eine direkte persuasive Funktion, vom Verschleiern, Täuschen, Aufbauschen, Kleinreden bis zum Lügen. Verständlichkeit ist beim Überreden nicht unbedingt erforderlich.

ÜberzeugenÜberzeugen. In der verständigungsorientierten Kommunikation sind die Beteiligten sozial motiviert, ein Einverständnis oder wenigstens einen Kompromiss über ein Problem herzustellen. Dabei sind die basalen Motive des Informierens und Teilens dominant. Argumentation ist der rationale Versuch, den Adressaten mit schlüssigen Gründen zu überzeugen. Für die rationale Verständigung ist Verständlichkeit eine zentrale Forderung.

Überredung und Überzeugung sind zwei Seiten jeder Kommunikation: Sprache ist ein Werkzeug zur Persuasion und zur Verständigung. Die basalen Kommunikationsmotive können eine Vielzahl von spezifischen IntentionenIntention hervorbringen. Im Prinzip gibt es keine Absicht, die man nicht auch sprachlich verfolgen kann (Herrmann, 2005). Einen Sachtext liest eine Person, um damit etwas zu erreichen, z.B. Wissen zu erwerben, ein Gerät zu bedienen, eine Entscheidung zu fällen, ein Problem zu lösen usw. (Sauer, 1999). Viele sprachliche Handlungen sind mehrfach determiniert, das Geflecht verschiedener Motive und Intentionen ist den Kommunizierenden nicht immer bewusst. Man kann sich über die eigenen Motive wie die der anderen täuschen.

Geteilte IntentionenIntention

Absender und Adressaten gehen beide mit bestimmten IntentionenIntentiongeteilt in eine Kommunikation, diese müssen aber nicht übereinstimmen. Geteilte oder kollektive Intentionen sind eine Basis für KooperationKooperation und schaffen ein Wir-Gefühl (Schmid & Schweikard, 2009). Aber gemeinsame Intentionen sind nicht der Normalfall, Kommunikation ist auch mit unterschiedlichen, gemischten und sogar widersprechenden Intentionen der Beteiligten möglich.

Bei einer Gebrauchsanleitung stimmen die Intentionen der technischen Autorin und des Anwenders in einem Punkt überein: Das Gerät soll problemlos bedient werden. Beim Autor kommen aber noch andere Intentionen dazu: Der Text muss Regressforderungen im Rahmen der Produkthaftung vermeiden. Und die Anleitung sollte einen werbenden Charakter haben, damit der Anwender weitere Produkte des Herstellers kauft, sie soll die Kundenbindung stärken. – Der Anwender hingegen will das Gerät möglichst schnell in Betrieb nehmen, er überspringt die Listen mit Warnhinweisen am Anfang der Anleitung und möchte auch nicht mit Werbung konfrontiert werden. Er will das Gerät benutzen und nachträglich in seiner Kaufentscheidung bestärkt werden.

Oft kommuniziert eine Person mit gemischten Intentionen: So ist es die Absicht eines Wissenschaftlers, über seine neuen Befunde und seine neue Theorie zu berichten, aber dazu kommen kollaterale Intentionen, die mit der Konkurrenz im Wissenschaftssystem und der Eitelkeit und Geltungssucht der Wissenschaftler zu tun haben. Der Wissenschaftler möchte Aufmerksamkeit erregen, mit Originalität imponieren und oft zitiert werden, um Drittmittel zu bekommen.

Kommunikation funktioniert auch ohne gemeinsame übergeordnete Intentionen, ja sogar mit entgegengesetzten Absichten. Auch ein Streit ist Kommunikation! Ein für Absender wie Adressat brauchbarer Text muss gleichwohl die Intentionen beider berücksichtigen, Elke Prestin (2001) hat dafür den Ausdruck „Intentionsadäquatheit“ vorgeschlagen.

Wissensbestände

Die beiden unteren Ellipsen im Modell stehen für die Wissensbestände von Absender und Adressat im LangzeitgedächtnisGedächtnisLangzeit- (LZG), die wir in folgende Bestandteile untergliedern:

SituationswissenWissenSituations-. Absender und Adressat wissen um die soziale Situation, in der sie kommunizieren, sie kennen die dafür geltenden Normen und Regeln.

WeltwissenWissenWelt-. Hiermit sind alle erworbenen Kenntnisse gemeint, die im Gedächtnis vorliegen. Jeder Mensch hat einen individuellen Bestand an Wissen, aber es gibt innerhalb einer Kultur auch ein übereinstimmendes kollektives Weltwissen in den Köpfen. Dieses allgemeine Wissen ist im semantischen GedächtnisGedächtnissemantisch gespeichert, z.B. die Tatsache, dass Frankreich ein Land in Europa und Paris seine Hauptstadt ist. Alle Theoretiker gehen davon aus, dass das Weltwissen in einer Form konzeptueller Netzwerke repräsentiert ist.

Erfahrungen. Hiermit sind die persönlichen Erlebnisse gemeint, die ein Mensch im Laufe seines Lebens ansammelt. Während das Weltwissen prinzipiell für alle zugänglich ist, sind die persönlichen Erfahrungen individuell. Sie sind im episodischen GedächtnisGedächtnisepisodisch gespeichert, z.B. dass ich den ersten Kuss in einem Urlaub in Paris in einer Metrostation ausgetauscht habe. Das episodische WissenWissenepisodisch enthält auch modalitätsspezifisches Wissen, vor allem visuelle und auditive Vorstellungen. Zu den für die Kommunikation relevanten Erfahrungen gehören auch diejenigen, die man bereits in anderen Situationen mit den beteiligten Partnern gemacht hat. Semantisches und episodisches Gedächtnis sind zwar neuronal getrennt, aber stehen in Interaktion (Tulving, 1972).

SprachwissenWissenSprach-. Ohne gemeinsame Beherrschung von Zeichensystemen oder Kodes ist Kommunikation unmöglich. Zum sprachlichen Wissen gehören das phonologische, orthografische, lexikalische, syntaktische und textuelle Wissen der Grammatik. Die natürliche Sprache besteht aus einem lautlichen Kode und einem später erworbenen schriftlichen Kode. Die sprachliche Kommunikation ist zudem mit paralinguistischen, mimischen und gestischen Kodes verknüpft, also grundsätzlich multikodal (Ballstaedt, 2015).

Personales WissenWissenpersonal. Der Absender verfügt über Wissen über den Adressaten, an den er seine Mitteilung richtet. Umgekehrt hat der Adressat ein Wissen über den Absender, nach dem er sein Verstehen ausrichtet. Das Wissen über den anderen wird als „model of the other person“ oder als ImageImage zusammengefasst. Der Aufbau eines Persönlichkeitsbildes des anderen beginnt beim Erstkontakt mit dem berüchtigten ersten Eindruckerster Eindruck: Ein Mensch ist sympathisch oder unsympathisch, wirkt mehr oder weniger intelligent usw. In das Image einer Person gehen ihre soziale Position und die damit verbundene Rolle mit ein. Anfangs werden Lücken durch soziale Stereotype wie „Student“, „Professor“, „Banker“ usw. geschlossen. Die Einschätzung des Wissens und der Intentionen des Gegenübers bleibt erschlossen und fragmentarisch. Dazu gehört auch eine Einschätzung, welche Definition der Situation der andere einbringt und damit die Möglichkeit, sich in die PerspektivePerspektive des anderen zu versetzen, eine der wichtigsten kommunikativen KompetenzenKompetenz. Diese ersten (Vor-)Urteile über die andere Person beeinflussen die weitere Kommunikation mit dieser Person und können sich im Verlauf der Kommunikation verändern. Wir testen sozusagen fortlaufend Hypothesen über die Person des anderen (Bach & Schenke, 2017). In der Kommunikation sind alle Beteiligten darauf bedacht, ihr Image in ihrem Sinne zu beeinflussen: Die Selbstdarstellung bzw. das Impression ManagementImpression Management ist ein persuasiver Bestandteil jeder Kommunikation.

In der Literaturtheorie wird bei fiktionalen Texten von einem impliziten Leser gesprochen, den ein Autor/eine Autorin beim Schreiben mitdenkt (Iser, 1976). Ebenso gibt es auf der Seite des Lesenden einen impliziten Autor, das ist die Vorstellung, die sich ein Lesender durch die Lektüre des Textes vom Autor konstruiert (Booth, 1974). Diese Überlegungen können auch auf Sachtexte übertragen werden.

In der hermeneutischen Tradition werden all diese subjektiven Wissensbestände als VorverständnisVorverständnis zusammengefasst. Das mitgebrachte Vorverständnis erschließt einerseits die Mitteilung, aber schränkt andererseits das Verstehen auch ein. Das unvermeidlich mitgebrachte Vorverständnis kann „für das neue Verstehen produktiv werden, aber auch in seiner Eingeschränktheit den Blick für das Andersartige verstellen und es von vornherein in den engen Horizont des eigenen Weltbildes zwängen“ (Kümmel, 1965, S. 31).

Geteiltes Wissen = Common GroundCommon Ground

Absender und Adressat bringen zwar ihre eigenen Köpfe mit, aber Kommunikation setzt eine teilweise Übereinstimmung der Wissensbestände voraus, einen Common GroundCommon Ground nach Herbert Clark (1997a, b) oder „culturally shared knowledge“ nach Walter Kintsch (1974). Gäbe es keinerlei geteiltes Wissen, dann wäre auch keine Kommunikation möglich, so als wenn wir einem Alien gegenüberständen, das andere Zeichensysteme benutzt, anderes VorwissenVorwissen, andere Erfahrungen und andere Konventionen einbringt. Je größer das geteilte Wissen, desto weniger muss explizit ausgedrückt werden, desto besser verstehen sich die Kommunikanten. Würden die beiden Ellipsen allerdings zusammenfallen, dann hätten die beiden Kommunikanten sich eigentlich nichts zu sagen. Kommunikation wird erst interessant, wenn man mit Unbekanntem und Abweichungen vom eigenen Wissen rechnen muss. Am Anfang einer Beziehung dient Kommunikation dazu, das gemeinsame Wissen zu ermitteln und auszuweiten, nach vielen Jahren des Zusammenlebens hat man sich dann weniger zu sagen, vieles kann als Common Ground unausgesprochen bleiben.

Zum geteilten Wissen gehört in der mündlichen Kommunikation auch das WahrnehmungsumfeldWahrnehmungsumfeld, in dem sich Absender und Adressat befinden. Und zum geteilten Wissen gehört auch alles, was vorher gesprochen oder geschrieben wurde, es wird als sprachlicher Kontext (oder Kotext) für die aktuelle Äußerung bezeichnet. Ein zusammenhängendes Gespräch kann nur kohärent sein, wenn die vorherigen Äußerungen beider Kommunikanten noch im episodischen GedächtnisGedächtnisepisodisch abrufbar sind.

MitteilungenMitteilung, Äußerungen

Das Herz der Kommunikation ist die Mitteilung, sie besteht aus Zeichen verschiedener Kodes. Mit ihr äußert der Absender, was er meint, und sie dient als Grundlage dafür, was der Adressat versteht. Eine Äußerung bringt etwas Erlebtes oder Gedachtes hörbar oder lesbar zum sprachlichen Ausdruck. Die meisten Mitteilungen sind multikodal, d.h. kombinieren mehrere Zeichensysteme. Auch sprachliche Zeichen sind stets in einen multikodalen Kontext eingebettet (Ballstaedt, 2016a). Gesprochene Sprache ist mit anderen Zeichensystemen wie Prosodie oder Gesten verknüpft. Geschriebene Sprache wird oft mit Abbildern und VisualisierungenVisualisierung kombiniert. Das bedeutet, „that language is always one of a number of semiotic (communication/representational) modes in use in any act of communication, and that language may not be the central mode“ (Kress, Ogborn & Martins, 1998, S. 69). Die Kombination von verschiedenen Zeichen kann zu sehr komplexen, sogar in sich widersprüchlichen Mitteilungen führen.

Noch eine terminologische Anmerkung: Bei Semiotikern und einigen Linguisten werden alle Zeichen eines Kommunikats als ein Text behandelt, also auch die Bilder. Wir gehen demgegenüber von einem engen Begriff von Text als zusammenhängender Satzfolge aus. Der weite Textbegriff verdeckt die kommunikativen und neuronalen Unterschiede des sprachlichen und bildlichen Kodes und führt dadurch zu unangemessenen Theorien und Methoden, die sich in Wörtern wie „Bildlinguistik“, „Bildgrammatik“, „Bildsprache“, „Bilderlesen“ usw. niederschlagen, die auch als Analogien problematisch bleiben.

MedienMedien

Eine sprachliche Mitteilung kann in verschiedenen MedienMedien transportiert, präsentiert und gespeichert werden. Die direkte Face-to-face-Kommunikation benötigt kein Medium, aber Texte können im Radio, in einem Buch, auf dem Monitor präsentiert werden. Medien sind der materielle bzw. apparative Anteil der Kommunikation. Inwieweit das Medium die Gestaltung und die Rezeption der Mitteilung beeinflusst, ist Thema der Medienlinguistik (Burger & Luginbühl, 2014; Schmitz, 2015). Wir gehen davon aus, dass die unteren Prozesse der Wahrnehmung von Texten – Laut- und Buchstabenwahrnehmung – medienspezifisch ablaufen, so werden z.B. Texte auf dem Monitor oder dem Smartphone flüchtiger gelesen als in einem Buch. Aber die Prozesse des Verstehens sind bei allen Medien gleich, die Richtlinien für sprachliche Verständlichkeit sind deshalb für alle Medien gültig.

MeinenMeinen

Wohl alle Sprachwissenschaftler sind sich darin einig, dass ein Absender mit seiner Mitteilung auf mehreren Ebenen etwas meinen kann. In seiner Sprachtheorie unterscheidet Karl Bühler (1982) beim Zeichengebrauch drei Funktionen: Darstellung, Appell und Ausdruck. Ein Beispiel für eine einfache Mitteilung.2 Situation: Der Satz wird von einem Kernkraftgegner mündlich geäußert oder in einem Flyer abgedruckt.


(1) Die radioaktiven Abfälle eines Kernreaktors belasten die Umwelt über Jahrtausende.

Was meint der Absender mit dieser Äußerung und wie kann sie ein Adressat verstehen?

Inhaltliche BedeutungBedeutunginhaltlich. Mit seiner Äußerung externalisiert der Absender Wissen über Dinge, Personen, Ereignisse. Das wörtlich Gesagte bezieht sich (= referenziert) auf die Wirklichkeit, hier auf die Auswirkungen von Radioaktivität. Zwei Aussagen werden getroffen:


(1.1) Kernreaktoren erzeugen radioaktive Abfälle.
(1.2) Radioaktive Abfälle belasten die Umwelt.

Diese Aussagen sind grundsätzlich überprüfbar, sie sind wahr oder falsch. Die wörtliche Bedeutung lässt viel aus, was der Absender beim Adressaten in der jeweiligen Situation als gemeinsames Wissen voraussetzt, z.B. über Halbwertzeit radioaktiver Substanzen und über Schädigungen durch Strahlung. Aber der Absender meint noch mehr mit seiner Äußerung.

Intentionale BedeutungBedeutungintentional. Wenn wir die Situation berücksichtigen, in der die Mitteilung ausgesprochen wird, will der Absender vor den Folgen der Kernenergie warnen. Die Warnung und der Appell sind nicht explizit formuliert, die intentionale Bedeutung muss vom Adressaten erschlossen werden.3


→ (1.3) Ich warne vor den Folgen der radioaktiven Abfälle von Kernkraftwerken.

Der Absender will mit der Warnung erreichen, dass der Adressat z.B. einen Aufruf unterschreibt, sich an einer Demonstration beteiligt oder eine bestimmte Partei wählt. Sprechen und Schreiben ist immer auch zielgerichtetes Handeln.

Expressive BedeutungBedeutungexpressiv. Der Absender bringt – ob er will oder nicht, bewusst oder unbewusst – einiges über sich zum Ausdruck, oft wird auch von Kundgabe oder Selbstoffenbarung gesprochen. In unserem Beispiel kommt die Sorge um die Zukunft unserer Umwelt oder die Angst vor einem radioaktiven Unfall zum Ausdruck. Gedanken, Gefühle und Vorstellungen, die ja nicht beobachtbar sind, können auch direkt geäußert werden.


→ (1.4) Ich mache mir Sorgen, dass unsere Kinder in einer verseuchten Umwelt leben werden.

Der Satz (1.4) könnte explizit geäußert werden, aber oft bleiben die Gefühle hinter der Sprache verborgen. Bei Bühler ist das die Symptomfunktion der Sprache.

Aus der Äußerung (1) kann man ersehen, dass ein Absender meist mehr meint als er sprachlich explizit mitteilt. Eine sprachliche Äußerung erfüllt mehrere Funktionen gleichzeitig. Existenziell verschärft ausgedrückt: Ob wir das wollen oder nicht, wir kommunizieren mit einer Äußerung immer auf den drei Ebenen. Dabei geht das Gemeinte über das explizit Gesagte oder Geschriebene hinaus, der Adressat muss das Gemeinte oft erschließen. Damit wechseln wir die Seite und sind beim Verstehen.

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9783846351154
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