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Neben den UNHCR-Institutionen gibt es noch zahlreiche weitere weltweit agierende supra- und interstaatliche Institutionen und Organisationen. Dazu zählt u.a. auch die Internationale Organisation für Migration (IOM), die ebenfalls 1951 gegründet wurde. Die IOM ist eine Serviceorganisation mit 166 Mitgliedstaaten. Sie führt vor allem Hilfsprogramme durch, deren Hauptzielrichtung die Rückführung ist. Sie wird von Menschenrechtsorganisationen häufig dafür kritisiert, dass sie die Rechte der Migrant*innen nicht ausreichend schützt (→ 13 Global Migration Governance). Auch die EU kann als ein wichtiger Akteur im internationalen Fluchtregime angesehen werden. Die EU richtete 1992 eine Generaldirektion für humanitäre Hilfe ein und ist in nahezu allen Krisenregionen der Welt aktiv. Zudem ist die EU einer der größten Geber von Entwicklungsgeldern zur Bekämpfung von Fluchtursachen. Weitere intergouvernementale Behörden sind z.B. das World Food Programme (WFP) und der United Nations Children’s Fund (UNICEF).

Neben staatlichen Institutionen und Organisationen entstanden zunehmend auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich für die Rechte und den Schutz von Geflüchteten einsetzen und oftmals staatlichen Institutionen kritisch gegenüberstehen. Diese spielen aufgrund ihrer wachsenden Einflussmöglichkeiten eine immer größere Rolle im internationalen Fluchtregime. Dazu gehören OXFAM, Terre des Hommes, Cap Anamur, Ärzte ohne Grenzen, CARE International sowie No Border Network, Human Rights Watch, das International Rescue Committee (IRC) und weitere international agierende NGOs. Aufgrund ihrer schlanken Strukturen und relativ kurzen Entscheidungswege sind NGOs häufig flexibler und damit zu schnellerer Hilfe in der Lage als staatliche Stellen (Neumayer 2016). Es wird daher von vielen Seiten gefordert. NGOs einen größeren Stellenwert im internationalen Fluchtregime zu geben (Loescher 2001; Keely 2001; Castles und Miller 2009; Kosher 2012) (zum Regimebegriff auch → 2 Migrationstheorien).

3.3 Aufnahmeländer

Mit den ansteigenden Geflüchtetenzahlen steigt auch der Druck auf die Aufnahmeländer. Die unmittelbaren Nachbarländer in den Konfliktregionen tragen meist die Hauptlast für die Aufnahme von Geflüchteten und stoßen an ihre Grenzen. Ein Blick auf die regionale Verteilung der Geflüchteten auf die verschiedenen Kontinente zeigt, dass knapp 30 Prozent der offiziell von der UNHCR registrierten Geflüchteten in Subsahara-Afrika lebt, und weitere 12 Prozent in Nordafrika und dem Nahen Osten. Die Herausforderung ist für diese Länder besonders groß, weil die meisten selbst Entwicklungs- oder Schwellenländer sind (UNHCR 2020).

Abbildung 19:

Verteilung von Geflüchteten 2019 auf die verschiedenen Kontinente (in %)

Quelle: UNHCR, Global trends. Forced displacement in 2020.

Blickt man auf die einzelnen Länder, sticht die Türkei besonders hervor. Seit dem Syrien-Krieg hat sie mit über 3,6 Millionen Menschen weltweit die größte Zahl von internationalen Geflüchteten aufgenommen. Danach folgen Kolumbien mit 1,6 Millionen (vor allem aus Venezuela) Geflüchteten sowie Pakistan (mit Geflüchteten vor allem aus Afghanistan) und Uganda mit jeweils 1,4 Millionen Geflüchteten, die in Uganda vor allem aus dem Kongo und dem Südsudan stammen. Auf Platz 5 folgt Deutschland mit 1,1 Millionen Geflüchteten. Im Verhältnis zur Größe der einheimischen Bevölkerung nimmt jedoch der Libanon mit Abstand die meisten Geflüchteten auf, gefolgt von Jordanien, der Türkei, dem Tschad, Uganda und dem Sudan. Als erste europäische Länder folgen Schweden und – nach dem Südsudan – Malta.

Abbildung 20:

Die fünf größten Aufnahmeländer von Geflüchteten 2019 (in Millionen)

Quelle: UNHCR, Global trends. Forced displacement in 2020.

In vielen Ländern erfolgt die Aufnahme mittels Unterbringung in Geflüchtetenlagern, die zumeist als kurzfristige Zwischenlösung gesehen werden. Der UNHCR bringt Geflüchtete seit den 1980er Jahren zu einem großen Teil in Lagern unter, die jedoch bei anhaltenden Fluchtsituationen teilweise über Jahrzehnte bestehen bleiben. Derartige Lager entwickeln häufig eine gewisse Eigendynamik, zumal sie oft losgelöst vom Aufnahmeland in wenig bevölkerten, ländlichen Gegenden liegen. Die physische und wirtschaftliche Isolation bewirkt, dass wenig Austausch mit dem Aufnahmeland stattfindet und sich so eine Art Mikrokosmos entwickelt. Das Lagerleben gewinnt dabei an sozialer und auch ökonomischer Bedeutung. Die Lebensbedingungen in Geflüchtetenlagern changieren von annehmbar bis katastrophal, je nach nationalen und lokalen Gegebenheiten. In manchen Regionen dürfen sich Geflüchtete beispielsweise auch außerhalb der Lager frei bewegen und der Zugang zu Arbeit und Bildung variiert ebenso. In anderen Lagern ist selbst der Zugang zu medizinischer Versorgung, Lebensmitteln und sauberem Wasser eingeschränkt (Buckley-Zistel et al. 2014, S.75ff.).

Eines der größten Geflüchtetenlager weltweit, Cox’s Bazar, liegt in Bangladesch, das seit den 1970er Jahren hunderttausende Geflüchtete der muslimischen Rohingya-Minderheit aus Myanmar aufgenommen hat. Rohingya-Geflüchtetenlager bestehen dort bereits seit mehr als zwanzig Jahren, die 2017 angestoßene Vertreibung durch die Regierung Myanmars hat jedoch eine Rekordzahl von über 700.000 Rohingyas über die Grenze nach Bangladesch getrieben (UNHCR 2020). Menschenrechtsorganisationen stufen den Konflikt mittlerweile als Genozid ein (BBC 2020). Mit fast 600.000 Bewohner*innen ist das Geflüchtetenlagern Kutupalong das größte der Welt. Zusätzlich leben noch schätzungsweise 500.000 Rohingya in lagerartigen Siedlungen in der Nähe der offiziellen Geflüchtetenlager, da ihnen ein offizieller Geflüchtetenstatus und Zugang zu den Lagern verwehrt wird. Die Regierung Bangladeschs verweigert nicht registrierten Geflüchteten jegliche humanitäre Hilfe. Innerhalb der Lager ist der UNHCR zusammen mit anderen Menschenrechtsorganisationen für die Versorgung zuständig. Doch auch dort ist die Situation problematisch. So ist erst seit 2013 eine rudimentäre Schulbildung möglich, gleichzeitig stellt geschlechterbasierte Gewalt eines der großen Sicherheitsprobleme in den Lagern dar (Goodman und Mahmood 2019, S.490ff.; Olivius 2017a und b).

Auf dem afrikanischen Kontinent existieren ebenfalls diverse Geflüchtetencamps, unter anderem in Uganda, Tansania und Äthiopien (UNHCR 2020). Der größte Lagerkomplex befindet sich in Kenia, das im Zuge des somalischen Bürgerkrieges ab 1991 hunderttausende Somalis aufnahm, die dem Konflikt und harschen Umweltbedingungen entfliehen wollten. Das sogenannte Dadaab-Lager ist eigentlich eine Gegend mit mehreren Geflüchtetenlagern, die im März 2020 circa 217.000 somalische Geflüchtete umfasste (UNHCR 2020)1. Diese können aufgrund immer wieder ausbrechender Kämpfe und mehrerer Hungersnöte nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren, die Lebenssituation im Lager ist jedoch prekär, sowohl in Bezug auf Sicherheit, medizinische Versorgung und Hygiene – es kam bereits zweimal zu Cholera-Ausbrüchen – als auch auf Arbeit und Bildungschancen. Hilfsorganisationen spielen eine große Rolle bei der Aufrechterhaltung des Dadaab-Lagers, aber auch in vielen anderen Geflüchtetenlagern auf der Welt und füllen so eine ‚Lücke‘ im internationalen Fluchtregime (Chkam 2016, S.79f., S.96).

Das Thema Unterbringung spielt auch in Europa eine zentrale Rolle. In Deutschland wurden im Jahr 2015 zum Beispiel diverse Hallen und Gelände genutzt, um die große Anzahl der Geflüchteten versorgen zu können, da vorhandene Erstaufnahmeeinrichtungen bereits an der Kapazitätsgrenze waren. Inzwischen setzen einige Bundesländer, darunter Nordrhein-Westfalen, jedoch verstärkt auf dezentrale Unterbringungen, die als integrationsförderlich angesehen werden und gleichzeitig der Stigmatisierung von Fluchtmigrant*innen entgegenwirken sollen (Schamman/Kühn 2016). Größere Lager entstehen hingegen an den EU-Außengrenzen, zum Beispiel in Italien oder Griechenland. Die griechischen Lager verteilen sich auf mehrere Inseln, die seit 2016 primär als Durchgangsstation dienen sollten, bis die Asylverfahren der Bewohner abgeschlossen sind. Die Inaktivität der griechischen Regierung hat jedoch dazu geführt, dass immer mehr Geflüchtete in den Lagern der Inseln festsitzen. Das Lager ‚Moria‘ auf der Insel Lesbos ist zum Synonym für die schlechten Zustände geworden, denn dort lebten im Frühjahr 2020 über 20.000 Menschen, obwohl das Lager nur für circa 3.000 auslegt war. Zudem kommen immer noch neue Geflüchtete mit Booten auf die nur 10 Kilometer von der türkischen Küste entfernte Insel. Die vielen unbearbeiteten Asylverfahren der Geflüchteten, die überwiegend aus Syrien, Irak und Afghanistan stammen, haben zur Folge, dass viele wohl auf unbestimmte Zeit dort festsitzen werden (Gavalakis und Katsioulis 2016, 1f.).

3.4 Nationale Flucht- und Asylpolitik

Auch die Asyl- und Geflüchtetenpolitiken in den Zielländern der Fluchtmigration haben einen wichtigen Einfluss auf die Wanderungsentscheidungen der Geflüchteten (Betts 2014). So versuchen viele Nationalstaaten trotz der Verpflichtungen, die sie mit der Genfer Flüchtlingskonvention eingegangen sind, Fluchtmigration soweit es geht abzuwehren und/oder auf andere Länder abzuwälzen. Beispielsweise werden Abkommen mit anderen Ländern geschlossen, die – wie im Fall der Türkei – eine größere Nähe zu den jeweiligen Konfliktorten aufweisen. Im Gegenzug wird dabei häufig eine größere Geldsumme zugesagt, wie dies etwa beim bei dem EU-Türkei-Abkommen der Fall war.1 Von dem Geld soll dann die Versorgung der Geflüchteten vor Ort finanziert werden. Zum Teil fließt das Geld aber auch in den Grenzschutz der betroffenen Länder, so dass die Geflüchteten entweder gar nicht mehr in das betreffende Land fliehen oder von dort aus weiterwandern können.

In den letzten Jahrzehnten konnte man zudem eine schrittweise Verschärfung der Geflüchteten- und Asylpolitik in fast allen OECD-Ländern beobachten. So wurde in den meisten Ländern entweder der Zugang zum Asylstatus spürbar erschwert oder Geflüchtete erhielten nur einen geminderten Schutzstatus. Das Ergebnis war, dass hier die Aufnahmepolitik zunehmend restriktiver wurde, während gleichzeitig die Geflüchtetenzahlen stiegen (Massey 1999, S.312). Zugleich wurden auch die Möglichkeiten von freiwilliger Migration aus Entwicklungs- und Krisenländern eingeschränkt, was die Situation zusätzlich prekärer gemacht und den Auswanderungsdruck erhöht hat (Zolberg und Benda 2001, S.2).

Besonders drastisch wurde diese Abschottung in Australien spürbar, das Anfang der 2000er Jahre seine Asylpolitik gegenüber Bootsflüchtlingen drastisch verschärfte. Aufgrund steigender Zahlen von Flüchtenden, die an den Küsten Australiens mit Booten ankamen, wurde im Rahmen der sog. „Operation Sovereign Borders“ angewiesen, die Boote direkt auf hoher See abzufangen und die Geflüchteten in ein Auffanglager auf der Pazifikinsel Nauru außerhalb Australiens unterzubringen. Aus den Lagern wird seit Jahren von menschenunwürdigen Zuständen berichtet (Amnesty International 2017). Begleitet wird diese völkerrechtwidrige Abwehr von Geflüchteten durch eine aggressive politische Rhetorik, die versucht, unerwünschte Einwanderer von Australien fernzuhalten. „You will not make Australia home“, lautete ein Slogan dieser Kampagne.

Nicht ganz so drastisch sind die Veränderungen in den USA. Aber auch das größte Einwanderungsland der Welt wurde immer abweisender und wurde in den letzten Jahrzehnten von einem Hauptaufnahmeland von Geflüchteten (UNHCR 2000) zu einem weltweit eher unbedeutenden. Diese Entwicklung startete mit dem Ende des Kalten Krieges und verschärfte sich nach den Terroranschlägen von 9/11 (Castles und Miller 2009, S.193). Unter Präsident Trump wurden die Aufnahmemöglichkeiten weiter verringert und die Grenzsysteme ausgebaut, begleitet von einer aggressiven Rhetorik.

Auch die Europäische Union hat in den letzten Jahren eine Verschärfung ihrer Asylpolitik erfahren (zur Asylpolitik der EU im Einzelnen → 12 Migrationspolitik der Europäischen Union). Ein besonders kritischer Punkt ist hier der Umgang mit der Seenotrettung von Flüchtenden auf dem Mittelmeer. Denn Fluchtrouten führen Migrant*innen nicht nur über Landesgrenzen, sondern auch über Wassergrenzen. Das Mittelmeer gilt dabei als weltweit gefährlichste Grenze der Welt. Hier kamen zwischen 2000 und 2017 mehr als 34.000 Menschen bei dem Versuch ums Leben, mit Booten nach Italien, Griechenland, Spanien oder Malta zu gelangen (IOM 2017, S.13; UNHCR 2020).

In Not geratene Menschen zu retten, ist eigentlich Aufgabe der angrenzenden Küstenstaaten und seit 2004 von FRONTEX, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Die allgemeine Pflicht zur Seenotrettung ist in Art. 98 Abs. 1 des UN-Seerechtsübereinkommens (UNCLOS) festgelegt und verpflichtet alle Kapitän*innen privater und staatlicher Schiffe, dazu, Personen in Seenot so schnell wie möglich zu Hilfe zu kommen, insofern keine ernste Gefahr für das eigene Schiff besteht. Weitere Einzelheiten zur Seenotrettung sind im SAR-Übereinkommen und der UN-Konvention zur Schiffssicherheit (SOLAS) verankert (Weinzierl und Lisson 2007, S.37). In den letzten Jahren häufen sich jedoch Fälle, in denen Hilfeleistungen unterlassen wurden oder Schiffe mit geretteten Geflüchteten an Bord in Europa nicht anlegen durften, wie der sogenannte ‚Thunfisch-Fall‘: Im Jahr 2007 hatten sich 27 Geflüchtete auf einen Käfig zur Thunfischzucht etwa 60 Seemeilen vor der Küste Libyens gerettet, das maltesische Schlepperschiff weigerte sich jedoch, diese an Bord zu nehmen. Nachdem sowohl Malta als auch Libyen die Aufnahme verweigert hatten, wurden die Menschen schließlich nach mehrtägigem Ausharren durch die italienische Marine gerettet. Der ‚Thunfisch-Fall‘ zeigt eindrücklich die schwierige Lage von Fischern, die bei der Aufnahme von schiffbrüchigen Migrant*innen womöglich finanzielle oder rechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Auch medial hat das Thema (erstmals) große Aufmerksamkeit erregt, eine Sprecherin des UNHCR verglich die Fluchtsituation im Mittelmeer sogar mit der Rechtlosigkeit im ‚Wilden Westen‘ (Klepp 2011, S.234ff.).

Während das internationale Seerecht nur wenig Spielraum in Bezug auf den Rettungsakt selbst lässt, wird die Frage, wohin die Geretteten gebracht werden sollen, kontrovers diskutiert – und gehandhabt. Das SAR-Übereinkommen definiert zwar einen ‚sicheren Ort‘, der bei Geflüchteten jedoch nicht unbedingt dem nächstgelegenen Hafen entsprechen muss. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat dazu 2012 in einem wegweisenden Urteil Kriterien für die zukünftige Seenotrettung von Geflüchteten definiert. Im Fall Hirsi Jamaa u.a. gegen Italien wurden eritreische und somalische Geflüchtete aus Seenot gerettet und vom italienischen Grenzschutz ohne individuelle Verfahren direkt nach Libyen gebracht. Diese ‚Push-Back-Operation‘ war in Italien bereits seit mehreren Jahren gängige Praxis, wurde aber vom EGMR unter Verweis auf das Non-Refoulement-Gebot (GFK) und das Verbot der Kollektivausweisung (Zusatzprotokoll 4, Art. 4 EMRK) für rechtswidrig erklärt (Pichl und Tohidipur 2019, S.181ff.; Alberts und Flor 2016, S.58).

Der italienische Staat gründete daraufhin 2013 die Mission ‚Mare Nostrum‘, die innerhalb eines Jahres über 150.000 Menschen aus Seenot rettete, jedoch von einer auf den Grenzschutz fokussierten FRONTEX-Mission (Triton) abgelöst wurde. Auch NGOs, wie z.B. Sea Watch, traten in den folgenden Jahren vermehrt für die Seenotrettung von Geflüchteten ein, wurden aber ab 2017 massiv in ihrer Rettungsarbeit behindert. Zivilgesellschaftliches Engagement wurde so größtenteils unterbunden und politisch delegitimiert, während gleichzeitig eine, durch die deutsche Regierung initiierte, Zusammenarbeit mit der lybischen Küstenwache stattfindet. Diese wird mit Blick auf menschenunwürdige Zustände in dortigen Lagern jedoch öffentlich stark kritisiert. Insofern ist die Seenotrettung auf dem Mittelmeer stark durch politische Interessen geprägt und hängt eng mit der Asylpolitik der EU zusammen (Pichl und Tohidipur 2019, S.183-186).

Die Situation im Mittelmeer stellt keinen Einzelfall dar, wie wir am Beispiel Australiens gesehen haben. Hier haben die geschilderten restriktive Maßnahmen zum Grenzschutz dazu geführt, dass die Anzahl der Boote, die Australien ansteuern, erheblich gesenkt wurde. Laut einer vergleichenden Studie von Ghezelbash und anderen ist die Abwehr von schiffbrüchigen Booten von einem ‚Schleier des Schweigens‘ umgeben, der auch für den Grenzschutz in Europa gelte (Ghezelbash et al. 2018, S.8f., 38)

3.5 Lösungsansätze

Einer der führenden Fluchtforscher*innen Aristide Zolberg sagte zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in Bezug auf Fluchtkrisen „there are solutions, but no quick fix“ (Zolberg und Benda 2001, S.13). Daher müssten immer langfristige Lösungen für den Verbleib von Geflüchteten gefunden werden. In der wissenschaftlichen Diskussion werden dabei vor allem drei ‚dauerhafte Lösungen‘ (durable solutions) diskutiert (Kosher 2012): Die beste Lösung stellt dabei immer die freiwillige Rückkehr der Geflüchteten in ihr Heimatland dar, nachdem der Konflikt vorüber ist und die Geflüchteten nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen („voluntary repatriation“); die zweite Möglichkeit ist der dauerhafte Verbleib der Geflüchteten im Aufnahmeland und deren Integration in den nationalen Arbeits- und Wohnungsmarkt; drittens ist eine dauerhafte Umsiedlung in ein sicheres Drittland möglich (Resettlement). Diese Alternative wird vor allem in den klassischen Einwanderungsländern USA, Kanada und Australien favorisiert. Wir wollen im Folgenden diese drei Optionen kurz beleuchten, inwieweit sie realistisch sind und ob sie den Bedürfnissen der Geflüchteten Rechnung tragen.

3.5.1 Rückkehr

Ist die freiwillige Rückkehr bei Arbeitsmigrant*innen noch relativ problemlos und teilweise auch mit finanziellen Anreizen verbunden, so sieht die Situation bei Geflüchteten zumeist anders aus. So erfolgt eine freiwillige Rückkehr von Geflüchteten in der Realität in einem sehr geringen Maße. Im Jahr 2015 haben z.B. weltweit nur 0,9 Prozent der über 21 Millionen Geflüchteten die Rückkehrmigration in Anspruch genommen (Gerken et al. 2017). Die Rückkehr, ob sie nun organisiert oder spontan erfolgt, darf bei anerkannten Geflüchteten nicht erzwungen werden (Prinzip des Non-Refoulement). Die Repatriierung wird in Ländern, die noch schwelende Konflikte haben, jedoch häufig nicht durch flankierende Programme unterstützt, was die Existenz von Reintegrationsprogrammen der Aufnahmeländer umso wichtiger werden lässt (z.B. ERIN für sechs EU-Länder und Großbritannien). In Ermangelung dieser Programme bleibt vielen Rückkehrmigrant*innen jedoch nichts anderes übrig, als spontan und selbstorganisiert, also ohne institutionelle oder staatliche Unterstützung, zurückzukehren (ebd.).

Abbildung 21:

Länder mit den meisten zurückkehrenden Geflüchteten im Rahmen von UNHCR-Programmen 2010-2019

Quelle: UNHCR 2020.

Abschiebung

Von der freiwilligen Rückkehr ist die Abschiebung abzugrenzen. Mit der Abschiebung ist die zwangsweise Rückkehr einer einzelnen Person in das Herkunfts-, Transit- oder Drittland auf Grundlage eines Gerichts- oder Verwaltungsaktes gemeint. Nach europäischem Recht erfolgt zunächst die Ausweisung, wenn kein Aufenthaltsrecht im Aufnahmeland (mehr) besteht. Die tatsächliche physische Rückführung kann nach der Ausweisung vollzogen werden, der Rückkehrverpflichtung kann jedoch auch durch die sogenannte „freiwillige“ Ausreise innerhalb einer bestimmten Frist nachgekommen werden (European Migration Network 2019, S.13, 145, 283). In Deutschland wurden im Jahr 2019 22.100 Abschiebungen durchgeführt. Rund 8.400 von ihnen wurden im Rahmen der Dublin-III-Verordnung in andere europäische Länder überstellt. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der Abschiebungen um 6,4 Prozent zurückgegangen.1

Doch auch wenn die Geflüchteten der Aufforderung, das Land zu verlassen, nicht folgen, muss die Abschiebung nicht zwangsläufig vollzogen werden. Neben der Rechtsstellung als geflüchtet können Migrant*innen subsidiär schutzberechtigt sein, wenn ihnen durch die Rückkehr in ihr Herkunftsland ernsthafter Schaden (Folter, Tod usw.) drohen würde. Auch ein Abschiebeverbot kann ausgesprochen werden, hier handelt es sich jedoch um eine bloße Duldung der Person.2 Im Jahr 2019 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge insgesamt knapp 184.000 Entscheidungen gefällt, davon betroffen waren circa 25 Prozent Geflüchtete, 11 Prozent subsidiär Schutzberechtigte und ungefähr 3 Prozent Geduldete (BAMF 2020, S.37).

Gegen die Abschiebung von ausländischen Staatsbürger*innen formiert sich in vielen Ländern Protest, zum Beispiel in Form von physischen Blockaden, Flughafenprotesten (bei Abschiebungen mit dem Flugzeug) oder auch dem Kirchenasyl. Der Grad der Organisiertheit variiert dabei stark und reicht von spontanen Bekundungen bis hin zu etablierten Organisationen, in Deutschland zum Beispiel Pro Asyl, die Rechtsbeihilfe anbieten. Die Forschung zu sozialen Bewegungen nimmt sich ebenfalls vermehrt diesem Thema an. Ruedlin et al. identifizieren für Deutschland, Österreich und die Schweiz beispielsweise überwiegend lokale Protestformen, die sich auf individuelle Lösungen fokussieren, anstatt den sozialen und rechtlichen Wandel der Migrationsregime voranzutreiben (Ruedlin et al. 2018).

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