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Читать книгу: «Internationale Migrationspolitik», страница 7

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3.5.2 Integration

Die zweite Option ist die Integration in die Aufnahmegesellschaft. Dies setzt einen komplexen Prozess in Gang, der beiden Seiten, Geflüchteten und Aufnahmegesellschaft, viel abverlangt (zu den Theorien hierzu → 9 Migration und Integration). Die derzeitige Politik setzt jedoch weniger auf Integration als auf Segregation, etwa durch die Unterbringung in Lagern. Zudem wird die Mobilität der Geflüchteten systematisch eingeschränkt, etwa in Deutschland durch die sog. Residenzpflicht. Die Fluchtforscherin Long (2013) plädiert daher für eine weitsichtigere Politik, in deren Mittelpunkt nicht Hilfeleistungen, sondern Freiheit und Entwicklung stehen.

UNHCR und ILO haben solche Ansätze in der Vergangenheit durchaus verfolgt (Garnier 2014). Bereits in den 1980er Jahren vereinbarten sie eine engere Zusammenarbeit, um die sozioökonomischen Rechte und Integrationsmöglichkeiten von Geflüchteten besser zu schützen (ebd.). So wurden Projekte wie etwa Unternehmensgründungs-Workshops für Frauen in Geflüchtetencamps gefördert. In den vergangenen Jahren rückte dieser Ansatz jedoch immer weiter in den Hintergrund, was Garnier auf Ressourcenknappheit, Wettbewerb zwischen den Institutionen und unterschiedliche Schwerpunktsetzungen zurückführt. Viele Staaten seien nicht einmal bereit, das Recht auf Arbeit von Geflüchteten anzuerkennen.

3.5.3 Resettlement

Das Resettlement stellt schließlich ein Instrument zur dauerhaften ‚Umsiedlung‘ von Geflüchteten dar, die nach der Flucht in einen Staat, in dem sie Schutz gesucht haben, von einem Drittstaat ausgewählt und als Geflüchtete mit dauerhaftem Aufenthaltsrecht aufgenommen werden. Resettlement-Geflüchtete werden auch als Quoten- oder Kontingentflüchtlinge bezeichnet, da das Resettlement in den meisten Ländern nach einer Quotenregelung erfolgt. Resettlement-Programme können eine langfristige Lösung für größere Gruppen von Geflüchteten bieten, deren Leben oder Grundrechte im (ersten) Aufnahmeland bedroht sind. Voraussetzung für die Aufnahme sind in der Regel die Einstufung als geflüchtet nach GFK sowie bestimmte Auswahlkriterien, die je nach Staat variieren können, darunter Schutz vor physischer Gewalt, die Beschränkung der Grundrechte, aber auch die besondere Schutzbedürftigkeit von Kindern. Resettlement ist allerdings kein Recht, deshalb können Geflüchtete sich auch nicht darauf berufen, sondern werden durch den UNHCR, staatliche Einrichtungen oder mithilfe von NGOs ausgewählt. Staaten entscheiden dann auf Grundlage der Resettlement-Quote und der jeweiligen Aufnahmekriterien, wer einreisen darf (UNHCR 2011, S.3, 36, 243).

Die große Anzahl an Geflüchteten und Vertriebenen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges markiert den Beginn des Resettlement-Programms. In den späten 1940er Jahren konnten mehr als eine Million europäische Geflüchtete mithilfe der Vorgängerorganisation des UNHCR umgesiedelt werden, von denen die USA allein in den folgenden Jahren über 650.000 Geflüchtete aufnahm. Im Jahr 2018 war Kanada mit über 28.000 Aufnahmen das bedeutendste Resettlement-Land. Im Vergleich zu 2017 ging die Anzahl der Resettlement-Aufnahmen allerdings bedingt durch verringerte Quoten und verschärfte Sicherheits-Screenings um mehr als 10 Prozent zurück. Zu den größten Herkunftsländern der Resettlement-Geflüchteten gehören derzeit Syrien, Eritrea und die demokratische Republik Kongo (IOM 2020, S.41f.; UNHCR 2019, S.4f.).

Der UNHCR versucht angesichts zunehmender Komplexität und zurückgehender Aufnahmezahlen seit Ende der 1980er Jahre, die verschiedenen Akteure in jährlichen Konferenzen zusammenzubringen (Annual Tripartite Consultations on Resettlement) und so die Zusammenarbeit im Hinblick auf bestimmte Geflüchtetengruppen, wie zum Beispiel aus dem syrischen Bürgerkrieg Geflüchtete, zu stärken (UNHCR 2019, S.16ff.). Neben staatlichen Programmen existieren in einigen Ländern, darunter Kanada, Australien und Deutschland, auch (semi-)private Resettlement-Programme. In Kanada werden inzwischen sogar mehr als die Hälfte der Resettlement-Geflüchteten über das Private Sponsored Refugees-Programm (PSR) aufgenommen, die mehrheitlich über religiöse, Bildungs- oder Menschenrechtsorganisationen, aber auch ethnische Communities gesponsert werden. Zusätzlich hat Kanada 2013 ein privat-öffentliches Programm (Blended VISA Office Referral) geschaffen, das Resettlement-Geflüchtete mit privaten Sponsoren ‚matched‘, die gemeinsam mit dem Staat (50/50) die Unterstützungskosten für die Geflüchteten tragen (West und Plunkett 2018, S.10f.; Macklin et al. 2018, S.37f.).

3.6 Fazit und Ausblick

Wie der Überblick gezeigt hat, ist das Thema Flucht und Asyl einer der komplexesten Bereiche internationaler Migrationspolitik. Obwohl die Notwendigkeit zur Aufnahme von internationalen Migrant*innen hier am größten ist, scheint die Bereitschaft der Nationalstaaten zur Aufnahme am wenigsten ausgeprägt. Daher ist es wichtig, gemeinsame Lösungen auf supranationaler Ebene anzustreben, so dass nicht einzelne Nationalstaaten den Hauptteil der Last tragen und andere sich aus der Verantwortung stehlen. Mit der Verabschiedung der Genfer Flüchtlingskonvention ist hier im Grunde ein richtiger und wichtiger Schritt gelungen. Allerdings stellt sich immer mehr die Frage, ob der Begriff des „Flüchtlings“, wie er in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 rechtlich gefasst wurde, heute noch zeitgemäß ist. Flucht findet heute, wie wir gesehen haben, nicht mehr allein aufgrund politischer Verfolgung auf Grundlage der Ethnie, Religion, Nationalität usw. statt. Seit einigen Jahrzehnten verfestigt sich der Trend, dass Menschen eher vor Konflikten und wegen Umweltkatastrophen als vor direkter Unterdrückung und Verfolgung durch staatliche Institutionen fliehen (Zolberg und Benda 2001).

Klima- und Umweltmigration

Heute fliehen in vielen Ländern Menschen auch wegen der jahrelangen Ausbeutung ihres Landes, etwa der Bodenschätze, was dazu geführt hat, dass vielen Menschen in ländlichen Gebieten die Lebensgrundlage entzogen wurde (Ansorg 2017). Andere Migrant*innen fliehen vor Umweltkatastrophen, wie z.B. lange Dürreperioden und Verwüstungen. Insbesondere Umweltgründe werden heute noch nicht von den Kriterien der Geflüchtetendefinition erfasst. Die Vereinten Nationen begründen diesen Umstand unter anderem damit, dass der bestehende Geflüchtetenstatus nicht verwässert werden soll (Piguet et al. 2011, S.1, 17ff.; Windfuhr 2018, S.120). Dabei rechnet man damit, dass gerade die Zahlen in dieser Kategorie in den nächsten Jahrzehnten stark ansteigen werden. Die Prognosen hierzu schwanken zwischen 50 und 250 Millionen bis zum Jahr 2050 je nach Berechnungsgrundlage. Und schon heute können erste Klima-Geflüchtete ausgemacht werden, darunter aus den pazifischen Inselstaaten, deren Bevölkerung bedingt durch den steigenden Meeresspiegel und zunehmende Küstenerosion zur Umsiedlung gezwungen wird (Fritz 2010). Dieser Kampf um Begriffe und Kategorien hat für Millionen Betroffene bedeutende Folgen. Betts (2010) schlägt deshalb mit der „Survival Migration“ eine neue Kategorie vor. Diese soll alle Menschen umfassen, die ihr Herkunftsland aufgrund einer unabwendbaren existentiellen Bedrohung verlassen. Damit ließen sich laut Betts die aufgezeigten Lücken im institutionellen und normativen Rahmen für Zwangsmigration füllen, ohne dass neue Institutionen oder Konventionen erschaffen werden müssten.

Weiterführende Fragen und Literatur

Drei Fragen zum Weiterdenken

 Ist die Genfer Flüchtlingskonvention aus dem Jahr 1951, die in erster Linie aufgrund der Erfahrungen aus zwei Weltkriegen verabschiedet wurde, noch zeitgemäß? Oder sollte sie aufgrund neuer Fluchtursachen, wie Klimawandel und Hungersnöte, überarbeitet und aktualisiert werden?

 Wie können die Fluchtursachen – wie religiöse, ethnische und soziale Konflikte, aber auch soziale Ungleichheiten – auf Dauer besser bekämpft werden?

 Wie können die Interessen von Geflüchteten stärker in die Asyl- und Geflüchtetenpolitik der Aufnahmeländer eingebunden werden?

Drei Bücher zum Weiterlesen

UNHCR (2020): Global Trends. Forced migration in 2019. Genf.

Jährlicher Bericht des UNHCR zur weltweiten Fluchtmigration und der Situation Geflüchteter.

Gil Loescher/Elena Fiddian-Qasmiyeh/Katy Long/Nando Sigona (Hg.) (2014): The Oxford Handbook of Refugee and Forced Migration Studies, Oxford: Oxford University Press.

Zentrales Handbuch zu verschiedensten Aspekten der Fluchtmigration.

Wolfgang Grenz/Julian Lehmann/Stefan Keßler (2015): Schiffbruch. Das Versagen der europäischen Flüchtlingspolitik, München: Knaur.

Aktuelle Analyse zur Asylpolitik der Europäischen Union.

4 Migration und Arbeit1

Arbeitsmigration macht den Hauptteil der internationalen Migration aus. Von der Internationalen Labour Organisation (ILO) wurde die Zahl der internationalen Arbeitsmigrant*innen im Jahr 2017 auf über 164 Millionen Arbeitskräfte geschätzt (ILO 2019). Davon befinden sich die meisten (zwei Drittel) in den reicheren Regionen der Welt. Warum ist Arbeitsmigration so wichtig für diese Länder? Wo werden Arbeitsmigrant*innen in der Wirtschaft vornehmlich eingesetzt? Wie werden ihre Rechte geschützt?

4.1 Begriff und Arten der Arbeitsmigration

Mit dem Begriff Arbeitsmigration ist die Ein- bzw. Auswanderung von Menschen zum Zweck der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit außerhalb des Herkunftslandes gemeint. Menschen, die aus Gründen der Arbeitsaufnahme in ein anderes Land migrieren, werden als Arbeitsmigrant*innen bezeichnet. Die Art, Dauer und die Umstände der Tätigkeiten, die Arbeitsmigrant*innen verrichten, können dabei stark variieren. Grundsätzlich kann man zwischen zwei Arten von Arbeitsmigration unterscheiden: geringqualifizierte und hochqualifizierte Arbeitsmigration. Geringqualifizierte Arbeitsmigrant*innen sind in der Regel ungelernte oder unterdurchschnittlich ausgebildete Arbeitskräfte, die temporär oder langfristig in ein anderes Land migrieren, um zumeist eine geringbezahlte Tätigkeit in der Landwirtschaft, in der Produktion oder im Dienstleistungsgewerbe zu verrichten (Angenendt 2009)1. Qualifizierte bzw. hochqualifizierte Arbeitsmigrant*innen sind gut ausgebildete Fachkräfte, die spezifische Tätigkeiten im Ausland ausführen, für die es im Inland nicht genügend gute ausgebildete Fachkräfte gibt. Während man davon ausgehen kann, dass es weltweit keinen Mangel an geringqualifizierten Arbeitskräften gibt, sieht die Situation bei qualifizierten und insbesondere hochqualifizierten Arbeitsmigrant*innen anders aus. Hier wird von einem Mangel an Arbeitskräften, z.B. Ärzt*innen, ausgegangen, um die weltweit ein intensiver Wettbewerb entbrannt ist (engl. „war on talents“).

Daher gibt es zumeist unterschiedliche Politikansätze für beide Gruppen von Arbeitsmigrant*innen. Während für geringqualifizierte Formen der Arbeitsmigration zumeist bilaterale Verträge zwischen den Aufnahme- und den Herkunftsländern von Arbeitsmigrant*innen geschlossen werden, werden für Hochqualifizierte überwiegend einseitige (unilaterale) Einwanderungsangebote gemacht, auf die sich Hochqualifizierte weltweit bewerben können bzw. die Unternehmen für sich in Anspruch nehmen können, um Arbeitskräfte aus dem Ausland unter Vertrag nehmen zu können. Wir gehen in diesem Kapitel auf die Arbeitsmigration von gering qualifizierten Arbeitskräften ein, und widmen uns im nachfolgenden Kapitel den Besonderheiten der Migration von Hochqualifizierten. Zunächst wollen wir aber noch einen Blick auf die Geschichte und den aktuellen Umfang der Arbeitsmigration insgesamt werfen.

4.2 Geschichte und Umfang der Arbeitsmigration

„Grenzüberschreitende Arbeitswanderung ist so alt wie die Menschheit“ (Pries 2010a, S.729).

Bereits in der Antike finden sich Beispiele von Handwerkern, „die ihrem Beruf außerhalb ihrer Heimat nachgingen“ (Tausend 2012, S.15), und eine wichtige Rolle beim „Kulturtransfer“ zwischen Ost und West (Bredow 2012) gespielt haben.1 In der Neuzeit wird der Beginn der „gezielten Rekrutierung von Arbeitsmigranten“ im späten 19.Jahrhundert mit den USA in Verbindung gebracht (Münz 2009), die infolge des wachsenden Arbeitskräftebedarfs Migrant*innen aus China anwarben. Aber auch die Briten hatten nach dem Ende der Sklaverei umfangreiche Arbeitskräfte-Transfers zwischen ihren Kolonien, und auch das deutsche Kaiserreich kannte Arbeitsanwerbung aus dem Ausland, wie schon Max Weber in seinen Studien zur ostelbischen Landwirtschaft ausführte (Weber 1892, S.914; Bade 2000).

Arbeitsmigration im großen Stil ereignete sich vor allem seit Mitte des 20. Jahrhunderts. So kam es zwischen 1942 und 1964 in den USA zu einer umfangreichen gesteuerten, temporär orientierten Rekrutierung von mexikanischen Arbeitskräften im sogenannten ‚Bracero-Program‘ (Münz 2009). In Europa findet zu dieser Zeit Arbeitskräfteeinwanderung zunächst in Frankreich und der Schweiz statt, die somit ebenfalls traditionsreiche Einwanderungsländer in Bezug auf Arbeitsmigration sind (ebd.). Die anderen Länder in Westeuropa zogen mit der fortschreitenden Wirtschaftsentwicklung nach und begannen ebenfalls auf Basis bilateraler Verträge zumeist geringqualifizierte Arbeitskräfte aus Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Nordafrika, der Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien zu rekrutieren (Oltmer et al. 2012). Diese „Internationalisierung der europäischen Arbeitsmärkte führte mehr als 30 Millionen Menschen nach Westeuropa“ (Münz 2009).

Im Rahmen der deutschen ‚Gastarbeiter‘-Anwerbung kamen dabei zwischen 1955 und dem Anwerbestopp 1973 rund 14 Millionen ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland. Etwa 11 Millionen dieser Männer und Frauen gingen in ihre Herkunftsländer zurück, 3 Millionen Menschen blieben jedoch dauerhaft in Deutschland und holten ihre Familien nach. (Bade und Oltmer 2007) Das sogenannte ‚Wirtschaftswunder‘ ab Anfang der 1950er Jahre führte in Deutschland zu einem so hohen Bedarf an Arbeitskräften, dass der nationale Arbeitsmarkt ihn nicht mehr zu decken vermochte („Vollbeschäftigung“). Gesucht wurden zu Beginn insbesondere un- oder geringqualifizierte Arbeitskräfte für die Landwirtschaft und den Bergbau, später weitete sich dies auf die Industriearbeit aus. Das erste Land, mit dem Deutschland dabei ein Anwerbeabkommen schloss, war Italien im Jahr 1955. Fünf Jahre später folgte ein Abkommen mit Spanien und Griechenland. Ein Abkommen mit der Türkei wurde 1961 geschlossen, es folgten noch Marokko (1963), Portugal (1964), Tunesien (1965) und Jugoslawien (1968). Der ‚Ölpreisschock‘ als Symbol für das vorläufige Ende des enormen deutschen Wirtschaftswachstums im Jahr 1973 führte zum Anwerbestopp am 23. November 1973, der ein weitgehendes Verbot der weiteren Einreise von Drittstaatsangehörigen für eine Erwerbstätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland bedeutete.

Der ‚Gastarbeiter*in‘-Begriff

Der Begriff des Gastarbeiters bzw. der Gastarbeiterin implizierte „[…] eine beruflich-soziale Klassifizierung mit dem Schwergewicht auf un- bzw. angelernten Arbeiten […]“ (Bade und Oltmer 2007, S, 160). Die Wortschöpfung zielte außerdem auf die zeitliche Begrenzung des Aufenthalts der ausländischen Arbeitnehmer*innen – er bzw. sie war ein ‚Gast‘, der bzw. die nur für eine begrenzte Zeit als Arbeitskraft willkommen war und nach Ende seines bzw. ihres Arbeitsturnus das Land wieder verlassen sollte. Der Begriff hatte sich umgangssprachlich in den 1960er Jahren eingebürgert, wurde von staatlicher Seite jedoch nie verwendet. Hier fand ausschließlich der Begriff ‚Ausländer*in‘ Verwendung (Geißler 2008). Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch prägte im Rahmen der Diskussion um die rechtliche und integrationspolitische Situation der ‚Gastarbeiter*innen‘-Einwanderung das berühmte Diktum: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“.

Auch außerhalb Europas und Nordamerikas findet Arbeitsmigration in großen Umfang statt. Insbesondere die ölreichen arabischen Staaten haben sich in den letzten Jahrzehnten zu einem wichtigen Aufnahmeland von Arbeitsmigrant*innen entwickelt, allen voran Saudi-Arabien. Aber auch in allen anderen Regionen wächst der Umfang an Arbeitsmigration. Insgesamt wird die Zahl der internationalen Arbeitsmigrant*innen von der International Labour Organisation (ILO) im Jahr 2017 auf rund 164 Millionen Arbeitskräfte geschätzt (ILO 2018). Arbeitsmigration macht damit den Hauptteil der internationalen Migration aus. Dabei ist ein Trend zu beobachten, dass die Zahl der geringqualifizierten Arbeitsmigrant*innen eher moderat angestiegen, in einigen Ländern sogar zurückgegangen ist, während die Zahl der hochqualifizierten Migrant*innen schnell anwächst. Dies hat verschiedene Ursachen: Zum einen sinkt die Nachfrage nach geringqualifizierten Arbeitskräften auf höher entwickelten Arbeitsmärkten tendenziell durch Automatisierung und Digitalisierung, zum anderen ergreifen immer mehr Länder eine restriktivere Einwanderungspolitik gegenüber geringqualifizierten Arbeitskräften.

Abbildung 22:

Anteil der Arbeitsmigration an der Gesamtmigration 2017 (in Millionen)

Quelle: ILO 2018, S.6.

Insgesamt findet Arbeitsmigration vor allem von ärmeren in reichere Regionen der Welt statt. Über zwei Drittel aller Arbeitsmigrant*innen leben in sog. Hochlohnländern, weitere 20 Prozent in Ländern mit höherem oder mittlerem Einkommen. Dementsprechend entfällt der Großteil der Arbeitsmigration auf Regionen mit überwiegend hohem Einkommen: ca. ein Drittel auf Europa, knapp ein Viertel auf Nordamerika und rund 15 Prozent auf die arabischen Staaten. Das restliche Viertel der Arbeitsmigrant*innen verteilt sich auf die anderen Regionen.

Abbildung 23:

Verteilung der Arbeitsmigration auf Hoch- und Niedriglohnländer 2017

Quelle: ILO 2018, S.10.

Abbildung 24:

Verteilung der Arbeitsmigration auf die Weltregionen 2017

Quelle: ILO 2018, S.15.

4.3 Motive und Erscheinungsformen der Arbeitsmigration

Diese Zahlen legen nahe, dass ein Hauptmotiv der Arbeitswanderung die höheren Löhne in den OECD-Ländern sind. Tatsächlich stellen ‚höhere Löhne‘ aber immer nur ein Motiv für Arbeitsmigration neben verschiedenen anderen Faktoren dar, wie wir auch im Kapitel 2 Migrationstheorien gesehen haben. So spielen Netzwerke eine Rolle oder auch der Reiz, einmal im Ausland gearbeitet zu haben. In der Realität ist es häufig ein Mix aus verschiedenen Gründen, Hoffnungen, aber auch Zwängen, die Menschen dazu veranlassen zu migrieren. „Migrationsentscheidungen unterliegen in der Regel multiplen Antrieben“, wie der Migrationshistoriker Jochen Oltmer schreibt (Oltmer 2013, S.33).

Ohne Zweifel können aber in der Globalisierung und in der fortschreitenden Ausdifferenzierung von globalen Wertschöpfungsketten und Leistungserstellungsprozessen wesentliche Triebkräfte für die zunehmende Internationalisierung von Arbeit gesehen werden (Pries 2010). So verlassen sich bereits viele Branchen auf den Einsatz von billigeren Arbeitskräften aus dem Ausland, um ihre Produktion kostengünstiger und damit weltmarktfähiger zu gestalten. Ein Beispiel sind etwa Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, ohne die die Ernte in vielen Ländern der OECD-Welt gar nicht mehr eingefahren werden könnte. „Durch den weltweiten Transfer von Kapital und Gütern“ ist zudem ein wachsender „globaler Arbeitsmarkt für hochqualifizierte Arbeitskräfte entstanden“ (Hödl et al. 2000, S.14), auf den wir → im Kapitel 5 Migration von Hochqualifizierten näher eingehen.

Ein weiterer Faktor ist in der demografischen Entwicklung zu sehen. So ist für die alternden Gesellschaften Europas, aber auch in anderen Teilen der OECD-Welt, eine zunehmende Arbeitskräftesicherung aus dem Ausland eine der wichtigsten Herausforderungen der Zukunft. Wie wir schon im → Kapitel 1 Grundbegriffe und aktuelle Trends gesehen haben, werden viele reiche Staaten (allen voran Deutschland und Japan) in Zukunft in großem Maße auf Arbeitszuwanderung angewiesen sein, wollen sie ihre herausgehobene Stellung im Weltmarkt nicht verlieren. Laut einem Bericht der Europäischen Kommission das Erwerbspersonenpotential bis 2070 EU-weit um 18 % zurückgehen (Europäische Kommission 2020: 16). Allein in Deutschland könnte das Erwerbspersonenpotential bis 2050 um 16,2 Millionen Arbeitskräfte schrumpfen. Um dies auszugleichen, wäre nach einer Berechnung der Bertelsmann-Stiftung eine Netto-Zuwanderung von jährlich bis zu 500.000 Menschen notwendig (Fuchs et al. 2015). Schon heute herrscht in manchen Branchen ein Arbeitskräftemangel, wie etwa im Pflegebereich. Auch technische Berufe sind vermehrt von Engpässen betroffen, allen voran im metallverarbeitenden Gewerbe und dem Maschinenbau.

Typisch für die Arbeitsmigration ist dabei vor allem ihr ‚temporärer‘ Charakter. So wird versucht, die Arbeitsmigration zeitlich zu befristen, um auf eventuelle Konjunkturschwankungen flexibel reagieren zu können und mögliche Folgekosten infolge einer wirklichen Integration in die Gesellschaft zu vermeiden. Genau aus diesem Grund waren die oben angesprochen Gastarbeiter-Zuwanderungen in den USA und in Europa zunächst auch zeitlich befristet. Unterkünfte wurden anfangs auf den Firmengeländen bereitgestellt und eine soziale Interaktion mit der Aufnahmegesellschaft, geschweige denn Integration, war keine Priorität. Diese Grundform findet sich sogar heute noch in vielen typischen Bereichen der Arbeitsmigration auch in Europa, etwa in der Landwirtschaft, wo Saisonarbeitskräfte für drei, vier Monate angeworben, in provisorischen Unterkünften auf oder in der Nähe der Höfe wohnen und anschließend wieder in ihr Herkunftsland gehen (sollen). Auch im Pflegebereich hat sich in den letzten Jahren eine Praxis etabliert, bei der die ausländischen Pflegekräfte zeitlich befristet beschäftigt werden und während ihrer Zeit im Ausland in den Haushalten ihrer Arbeitgeber*innen wohnen. Im Baugewerbe, einem weiteren klassischen Feld für Arbeitsmigrant*innen, werden sog. Werkverträge vergeben, die ebenfalls für die Dauer der Werkserstellung zeitlich befristet sind, die Bezahlung zudem nur bei Erfüllung des Werks erfolgt. In diesen Fällen werden die ausländischen Bauarbeiter*innen nicht einmal mehr bei den inländischen Unternehmen angestellt (Hunger 2000). Ähnliches gilt heute auch für Schlachthöfe.

Allerdings hat die Geschichte gezeigt, dass eine zeitliche Befristung der Arbeitsmigration in vielen Fällen kaum einzuhalten ist und die eigentlich temporäre Zuwanderung sich in eine dauerhafte Einwanderung verwandelt. Hierfür ist ein Bündel von Faktoren verantwortlich. Nicht zuletzt liegt dies an dem Wunsch der Arbeitgeber*innen, ihre eingearbeiteten ausländischen Arbeitskräfte nicht immer wieder von neuem verlieren zu wollen deswegen sie von selbst auf eine Verstetigung der Arbeitszuwanderung drängen. Dies ist auch bei der erwähnten „Gastarbeiterzuwanderung“ nach Deutschland der Fall gewesen, und gilt auch in vielen anderen Ländern, wie z.B. den USA. Der amerikanische Arbeitsmigrationsforscher Philip Martin von der University of California, Davis hat hierfür ein schönes Bonmot geprägt: „There is nothing more permanent than temporary foreign workers“ (Martin 2001).

Die klassische Theorie sog. segmentierter Arbeitsmärkte (Piore 1979) gibt eine Erklärung, warum viele Arbeitsmigrant*innen eher im unteren Segment des Arbeitsmarktes tätig sind (und dort vielfach verbleiben). Hiernach gibt es in jedem Staat in mehr oder weniger ausgeprägter Form sog. duale Arbeitsmärkte. Ein Segment des Arbeitsmarktes (der primäre Sektor) zeichnet sich durch hohe Löhne, einen relativ gesicherten Status (Kündigungsschutz etc.) und relativ gute Arbeitsbedingungen aus, während ein anderes Segment (der sekundäre Sektor) sich durch niedrige Löhne, eine geringe Arbeitsplatzsicherheit und kaum Aufstiegsmöglichkeiten auszeichnet. Wenn einheimische Arbeitskräfte vom sekundären in den primären Sektor aufsteigen, wächst die Nachfrage im sekundären Arbeitsmarkt, die dann durch migrantische Arbeitskräfte gedeckt wird. Ein Aufstieg in den primären Sektor bleibt zudem oftmals aus.

In Ländern mit einem hohen Anteil an temporären Vertragsarbeiter*innen findet sich dabei auch eine Segregation innerhalb der migrantischen Arbeitsbevölkerung: So können etwa in Singapur hochqualifizierte Arbeitskräfte (die meist nicht Migrant*innen, sondern „Expats“ genannt werden) nach sieben Jahren einen permanenten Aufenthaltsstatus beantragen. Für sogenannte gering-qualifizierte Arbeitskräfte ist dies nicht möglich und migrantische Hausangestellte werden gar von sämtlichen Arbeitsmarktregelungen ausgeschlossen. Bei den Tätigkeiten im sekundären Arbeitsmarkt handelt es sich meist um manuelle und schlecht bezahlte Arbeit, die häufig „3D-Arbeitsplätze“ genannt werden: dirty, dangerous and demeaning (manchmal auch demanding oder difficult).

Eine weitere Dimension der Arbeitsmigration ist die sogenannte irreguläre Beschäftigung. Das Kalkül dahinter ist, dass durch die Nichtanmeldung von Arbeitskräften weitere Kosten (für die Sozialabgaben) gespart werden können. Zudem werden in der Regel geringere Löhne gezahlt, da Arbeitsmigrant*innen oftmals, gerade wenn auch ihr Aufenthalt irregulär ist, bereit sind, eine geringere Bezahlung zu akzeptieren, da sie gar nicht in der Position sind, höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Oftmals arbeiten die irregulär Beschäftigten länger und härter als regulär Beschäftigte und sind großen psychischem und teilweise physischem Druck ausgesetzt. Typische Branchen der irregulären Beschäftigung sind der Bau, das Gastgewerbe und zunehmend auch die häusliche Pflege, wo eine Überprüfung durch die Behörden kaum oder nur schlecht möglich ist. Es wird geschätzt, dass die meisten irregulären Arbeitsmigrant*innen in den USA leben und arbeiten – einer Schätzung 2017 zufolge waren dies rund 7,6 Millionen Menschen, was 4,6 Prozent der gesamten Erwerbsbevölkerung entspricht (Pew Researtch Center 2019).

Eine extreme Form der Ausbeutung im Zuge der Arbeitsmigration ist die ‚erzwungene Arbeitswanderung‘ bzw. Zwangsarbeit (forced labour). Diese trägt Züge der modernen Sklaverei und wird auch so benannt: modern slavery. Zwar ist Sklaverei überall auf der Welt verboten (→ Kasten „Forced Labour und Modern Slavery“), die Realität zeigt aber, dass es sie immer noch gibt. Die International Labour Organisation (ILO) definiert, dass ‚forced labour‘ dann vorliegt, wenn die Arbeit zum einen unter Androhung von Gewalt oder Strafe stattfindet und zum anderen unfreiwillig erfolgt. („The work or service has to be exacted under the menace of a penalty; The work must be undertaken involuntarily“) (vgl. ILO 2020). NGOs wie die älteste Menschenrechtsorganisation der Welt „Anti-Slavery International“ sehen zudem in der Entmenschlichung und der Degradierung zu einer Ware („dehumanized and treated like a commodity“) sowie in der Beschränkung der Bewegungsfreiheit („physically constrained or restricted in freedom of movement“) sichere Zeichen von forced labour. Im aktuellen Diskurs wird auch gefordert die ökonomische Ausbeutung durch Unterbezahlung als weiteres Indiz für Zwangsarbeit aufzunehmen, was sicherlich in vielen Fällen der irregulären Beschäftigung der Fall ist. Ein aktuelles Beispiel für forced labour wird im Bau der Infrastruktur für die FIFA Weltmeisterschaft 2022 in Katar gesehen.

Forced Labour und Modern Slavery

Sklaverei scheint ein längst vergangenes Phänomen zu sein. In der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte heißt es, „Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen verboten“ (Art. 4 AEMR). Auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention steht: „(1) Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden. (2) Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.“ (Art. 4 EMRK). Internationale Menschenrechtsdokumente verbieten Zwangsarbeit und Sklaverei also eindeutig.

Immer wieder wird jedoch über schlechte und zum Teil unmenschlichen Arbeitsbedingungen von Arbeitsmigrant*innen berichtet. Ein Beispiel ist die Situation auf den Baustellen für die Fußball-Weltmeisterschaft 2022, die im ‚Wüstenstaat‘ Katar ausgetragen wird. Für den Bau der Stadien sind dort tausende Arbeitsmigrant*innen beschäftigt, vorrangig aus Indien, Nepal und Pakistan. Katar gehört zu den Staaten mit den weltweit höchsten Anteilen an Arbeitsmigrant*innen in Relation zur Gesamtbevölkerung. Rund 88 % der in Katar lebenden Menschen sind keine katarischen Staatsbürger*innen , sondern leben meist als Arbeitsmigrant*innen unter oft äußerst problematischen Bedingungen.

Auf den Baustellen zur WM 2022 kamen so bereits viele Arbeiter*innen aufgrund der unzureichenden Sicherheitsbestimmungen und Erschöpfung ums Leben.1 Die katarische Gesetzgebung erlaubt es Arbeitgeber*innen, ihren Angestellten die Ausreise zu verbieten. So wird als gängige Praxis berichtet, dass den Migrant*innen bei Einreise ihre Pässe abgenommen werden, um eine Ausreise zu verhindern. Zudem würden Löhne gezahlt, die an keinerlei internationale Mindeststandards gebunden sind, obwohl Arbeiter*innen unter anderen Lohnangaben ins Land gelockt wurden (Amnesty International 2013).

Internationale Organisationen wie „Amnesty International“ kritisieren regelmäßig die unhaltbaren Zustände. Auch die ILO schaltete sich ein und forderte Verbesserungen, denen die katarische Regierung auch ein Stück weit nachkam. 2017 wurden die Veränderungen auf den Baustellen gelobt und die Kontrollen beendet. Dennoch wurde weiterhin von weitreichenden Verstößen berichtet. Seither starben erneut ausländische Arbeiter*innen bei oder nach der Arbeit in Katar.2

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