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Читать книгу: «Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen», страница 45

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Aber nachdem sie nun soweit gekommen war, meinte sie, es wäre doch nicht recht, wenn sie sich den Hof nicht wenigstens ansähe. Und so schritt sie weiter, obgleich ihr das Herz mit jedem Schritt schwerer wurde.

Sie hatte gehört, der Hof sei sehr verfallen und verändert, und das war wohl auch so; aber jetzt am Abend konnte sie das nicht wahrnehmen. Es war ihr eher, als sei alles ganz wie früher. Dort war der Teich, der in ihren jungen Tagen voller Karauschen gewesen war, die niemand fischen durfte, weil der Vater wollte, daß die Fische hier eine vollständige Freistatt haben sollten. Dort waren die Seitenflügel mit der Gesindestube, der Vorratskammer und dem Stall, mit der Vesperglocke auf dem einen Giebel und der Wetterfahne auf dem andern. Und der Hofplatz vor dem Wohnhause war noch immer wie ein eingeschlossener Raum ohne Aussicht nach irgendeiner Seite, ganz wie zu Zeiten des Vaters, weil er es nicht übers Herz brachte, irgend einen Busch weghauen zu lassen.

Sie war im Schatten eines großen Ahorns bei der Einfahrt stehen geblieben und schaute sich nun aufmerksam um, und während sie so dastand, geschah etwas Merkwürdiges: eine Schar Tauben kam dahergeflogen und ließ sich neben ihr nieder.

Sie konnte kaum glauben, daß es wirkliche Vögel seien, denn Tauben pflegen sonst nie nach Sonnenuntergang auszufliegen. Der helle Mondschein mußte sie geweckt haben, daß sie geglaubt hatten, es sei schon Tag, und so waren sie aus dem Taubenschlag herausgeflogen; aber da waren sie wohl verwirrt geworden und hatten den Weg nicht mehr zurückgefunden, und als sie einen Menschen gewahrten, flogen sie zu ihm, ihn um seine Hilfe zu bitten.

Zu Lebzeiten ihrer Eltern waren immer eine Menge Tauben auf dem Hofe gewesen, denn die Tauben hatten auch zu den Tieren gehört, die der Vater unter seinen besonderen Schutz genommen hatte. Wenn nur jemand davon sprach, daß eine Taube geschlachtet werden sollte, so verdarb ihm das die gute Laune. Jetzt war es ihr eine wahre Herzensfreude, daß die schönen Vögel sie an der Schwelle des alten Hauses begrüßten. Wer konnte wissen, ob nicht die Tauben gerade deshalb zur Nachtzeit ausgeflogen waren, um ihr zu zeigen, daß sie nicht vergessen hätten, welch eine gute Heimat sie einst hier gehabt hatten!

Oder hatte vielleicht der Vater seine Vögel mit einem Gruße zu ihr geschickt, damit sie sich nicht gar so verlassen und einsam fühlen sollte, wenn sie nun wieder in die alte Heimat kam?

Während ihr diese Gedanken durch den Kopf flogen, regte sich eine so heiße Sehnsucht nach den alten Zeiten in ihrem Herzen, daß ihr die Tränen in die Augen traten. Es war ein gutes Leben gewesen, das sie auf dem Hofe geführt hatten. Sie hatten saure Wochen gehabt, aber auch frohe Feste; sie hatten den Tag über fleißig sein müssen, aber am Abend hatte man sich um die Lampe versammelt und Tegnér und Runeberg, Frau Lenngren und Friedericke Bremer gelesen. Sie hatten Getreide gebaut, aber auch Rosen und Jasmin gezogen; sie hatten Flachs gesponnen, aber beim Spinnen waren Volkslieder gesungen worden. Sie hatten sich mit der Grammatik und der Weltgeschichte abgequält; aber sie hatten auch Komödie gespielt und Verse gedichtet. Sie hatten am Herd gestanden und das Essen gekocht; aber sie hatten auch musizieren dürfen, hatten Klavier, Gitarre und Geige gespielt und Flöte geblasen. Sie hatten in einem Garten Kohl und Rüben, Erbsen und Bohnen gepflanzt; aber es war noch ein zweiter Garten da, wo es Äpfel und Birnen und allerlei Beeren in Hülle und Fülle gab. Sie hatten ein ziemlich einsames Leben geführt, aber gerade deshalb hatten sie sich in eine Märchen- und Sagenwelt hineingelebt. Ihre Kleider waren aus eigengewobenen Stoffen verfertigt gewesen; aber sie hatten auch unabhängig und sorgenfrei leben können.

„Nirgends auf der weiten Welt verstehen es die Menschen so gut, sich das Leben schön einzurichten, als sie das zu meiner Zeit auf einem solchen kleinen Herrenhofe verstanden haben,“ dachte die Dichterin. „Da hatte die Arbeit ihre Zeit und das Vergnügen seine Zeit, aber die Freude herrschte jeden Tag. Wie gern möchte ich hierher zurückkehren!“ dachte sie weiter. „Seit ich den Hof wiedergesehen habe, fällt mir das Fortgehen fast zu schwer.“

Und dann wendete sie sich an die Taubenschar und sagte zu ihr, während sie doch zugleich über sich selbst lächelte: „Fliegt zurück zu meinem Vater und sagt ihm, daß ich Heimweh habe. Nun bin ich lange genug an fremden Orten gewesen; fragt ihn, ob er es nicht einrichten könne, daß ich bald wieder in die Heimat meiner Kindheit zurückkehren dürfe?“

Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, als die ganze Taubenschar auch schon auf und davon flog; sie versuchte, den Vögeln mit den Augen zu folgen, aber sie verschwanden rasch; es war, als habe die ganze weiße Schar sich in der mondhellen Luft aufgelöst.

Aber kaum waren die Tauben verschwunden, als aus dem Garten laute Schreie an ihr Ohr drangen, und als sie rasch dahineilte, woher die Rufe kamen, bot sich ihr ein merkwürdiger Anblick dar. Ein winzig kleiner Knirps, kaum eine Spanne lang, wehrte sich verzweiflungsvoll gegen eine Nachteule.

Zuerst war die Schriftstellerin so überrascht, daß sie sich nicht rühren konnte. Aber als der Kleine immer jämmerlicher schrie, legte sie sich rasch dazwischen und trennte die beiden Kämpfenden. Die Eule schwang sich auf einen Baum, aber das Männlein blieb auf dem Gartenweg stehen, ohne sich zu verstecken oder davonzulaufen.

„Ich danke Ihnen für Ihre Hilfe,“ sagte es, „aber Sie hätten die Eule nicht fortfliegen lassen sollen. Nun kann ich nicht von hier weggehen, denn sie sitzt dort auf dem Baum und lauert mir auf.“

„Ja, es war recht gedankenlos von mir, daß ich sie entwischen ließ. Aber kann ich dich nicht dahin begleiten, wo du zu Hause bist?“ fragte sie, die so gerne Märchen ersann; und sie war nicht wenig erstaunt, daß sie hier so ganz unvermutet mit einem Wichtelmännchen zusammengetroffen war. Aber eigentlich war sie nicht einmal so sehr erstaunt; es war, als habe sie, während sie da im Mondschein vor ihrer alten Heimat gestanden hatte, immerfort darauf gewartet, daß sich etwas Wunderbares zutrage.

„Ich hatte mir eigentlich vorgenommen gehabt, hier auf dem Hofe zu übernachten,“ sagte der Knirps. „Wenn Sie mir einen sicheren Platz zum Schlafen anweisen könnten, würde ich erst morgen früh in den Wald zurückkehren.“

„Soll ich dir ein Nachtlager anweisen? Wohnst du denn nicht hier?“

„Ach, ich verstehe, Sie halten mich für ein Wichtelmännchen,“ sagte der Knirps jetzt. „Aber ich bin ein Mensch, gerade wie Sie, und bin nur in ein Wichtelmännchen verwandelt worden.“

„Das ist das Wunderbarste, was ich je gehört habe! Kannst du mir nicht erzählen, wie sich das zugetragen hat?“

Der Junge hatte nichts dagegen, seine Abenteuer zu erzählen, und je weiter er in seinem Bericht kam, desto erstaunter und verwunderter, aber auch desto vergnügter wurde die Zuhörerin.

„Ach, welch ein Glück, daß ich jemand treffe, der durch ganz Schweden auf einem Gänserücken gereist ist!“ dachte sie. „Alles, was er mir da erzählt, kann ich ja in mein Buch schreiben! Jetzt brauche ich mir deswegen keine Sorgen mehr zu machen. Wie gut ist es, daß ich nach Hause gereist bin! Wie merkwürdig, daß die Hilfe gekommen ist, sobald ich den alten Hof betreten habe!“

In demselben Augenblick zuckte ein Gedanke, den sie kaum auszudenken wagte, durch ihr Gehirn. Sie hatte ihrem Vater durch die Tauben Botschaft geschickt, daß sie sich nach Hause sehne, und sogleich war ihr bei der Aufgabe, über die sie schon so lange nachgegrübelt hatte, Hilfe zuteil geworden! Konnte das die Antwort ihres Vaters auf ihre Bitte sein?

50
Das Gold auf der Schäre

Auf dem Wege zum Meere

Freitag, 7. Oktober

Seit die Wildgänse ihre Herbstreise angetreten hatten, waren sie immer geradeswegs südwärts geflogen; aber als sie das Fryksdal verließen, änderten sie die Richtung und flogen nun über das westliche Wärmland und Dalsland nach Bohuslän. Die jungen Gänse hatten nun so viel Übung im Fliegen bekommen, daß sie nicht mehr über Müdigkeit klagten, und Nils Holgersson gewann allmählich das Gleichgewicht wieder. Noch immer war er hochbeglückt über das Erlebnis auf dem Hofe. Nun hatte er sich einmal mit einem Menschen aussprechen können; und die fremde Dame hatte ihn aufgemuntert und gesagt, er solle nur wie bisher gegen alle, mit denen er zusammentreffe, gut und hilfreich sein, dann werde es ihm gewiß nicht schlecht gehen. Wie er seine rechte Gestalt wieder bekommen würde, das konnte sie ihm freilich nicht sagen; aber sie hatte ihm etwas von seinem alten Mut und Vertrauen wiedergegeben, und das war sicherlich schuld daran, daß er jetzt herausgebracht hatte, wie er den großen Weißen von der Rückkehr in die Heimat abbringen könnte.

„Weißt du, Gänserich Martin,“ sagte er, während sie hoch droben dahinflogen, „es wird gewiß recht einförmig für uns, wenn wir den ganzen Winter daheimbleiben, jetzt wo wir so eine große Reise mitgemacht haben. Ich überlege mir deshalb eben, ob wir nicht mit den Wildgänsen ins Ausland reisen sollten.“

„Das kann dir doch nicht Ernst sein!“ sagte der Gänserich entsetzt; denn jetzt, nachdem er den Beweis geliefert hatte, daß er mit den Wildgänsen bis nach Lappland hinauf reisen konnte, war er vollständig zufrieden, wieder in Holger Nilssons Gänsestall zurückzukehren.

Der Junge schwieg eine Weile und schaute auf das Wärmland hinunter, wo alle Birkenwälder und Haine und Gärten in herbstlich bunten Farben prangten, und wo die langen Seen dunkelblau glänzend zwischen ihren Ufern lagen.

„Ich glaube, ich habe die Erde noch nie so schön unter uns daliegen sehen wie heute,“ sagte er. „Die Seen sehen aus wie blaue Seide und die Ufer wie breite goldene Bänder. Meinst du nicht auch, es wäre schade, wenn wir uns jetzt in Westvemmenhög festsetzten und nicht noch mehr von der Welt zu sehen bekämen?“

„Ich glaubte, du wolltest zu deinem Vater und deiner Mutter zurückkehren, um ihnen zu zeigen, was für ein guter Junge du geworden bist?“ entgegnete der Gänserich.

Den ganzen Sommer hindurch hatte der große Weiße von nichts anderm geträumt, als von dem stolzen Augenblick, wo er sich plötzlich auf dem freien Platze vor Holger Nilssons Haus niederlassen und den Gänsen und den Hühnern und den Kühen und der Katze und auch Mutter Nilsson seine Daunenfein und die sechs Jungen zeigen würde! Deshalb war er über den Vorschlag des Jungen gar nicht besonders erfreut.

An diesem Tage hielten die Wildgänse mehrere Male lange Rast, denn überall fanden sie die herrlichsten Stoppelfelder; sie konnten sich kaum entschließen, sie zu verlassen, und so erreichten sie Dalsland erst gegen Sonnenuntergang. Sie flogen über den nordwestlichen Teil dieser Landschaft hin, und da war es noch schöner als in Wärmland. Dieser Landstrich ist so voller Seen, daß sich das Land wie kleine spitzige Hügelketten hinzieht. Zum Getreidebau war dieser Boden nicht günstig; um so besser aber gediehen die Bäume, und die steilen Uferhänge der Seen sahen aus wie wunderschöne Gärten. Es mußte etwas in der Luft oder im Wasser sein, das den Sonnenschein noch zurückhielt, wenn die Sonne schon längst hinter die Hügel hinabgesunken war; goldene Lichter spielten auf den dunkeln, glänzenden Wasserspiegeln, und über der Erde zitterte ein heller, blaßroter Schein, aus dem die lichtgelben Birken, die hellroten Eschen und die gelbroten Vogelbeerbäume herausragten.

„Meinst du denn nicht auch, lieber Gänserich Martin, es wäre sehr langweilig, wenn wir nie wieder so etwas Schönes zu sehen bekämen?“ fragte der Junge.

„Ich sehe lieber die fruchtbaren flachen Äcker in Schonen als diese magern Waldhügel hier. Aber du weißt ja, daß ich mich nicht von dir trennen werde, wenn du die Reise durchaus fortsetzen willst,“ antwortete der Gänserich.

„Diese Antwort habe ich von dir erwartet,“ erwiderte der Junge. Es war ihm ein schwerer Stein vom Herzen gefallen, und das konnte man seiner Stimme deutlich anhören.

Als sie hierauf über Bohuslän hinflogen, wurden die Hochebenen zusammenhängender; die Täler lagen tief drunten wie schmale aus dem Gebirge herausgesprengte Schluchten, und die langen Seen darinnen waren so schwarz, wie wenn sie aus der Tiefe der Erde aufgestiegen wären. Ja, es war wirklich eine wunderschöne Landschaft; und so, wie der Junge sie jetzt unter sich sah, bald von einem Sonnenstrahl erhellt, bald im dunkeln Schatten liegend, hatte sie einen ganz eigenartigen Reiz. Der Junge wußte nicht, woher es kam, aber er dachte unwillkürlich, in den alten Zeiten müßten hier gewiß tapfere Recken gewohnt haben, die in diesen geheimnisvollen Gegenden gefährliche und kühne Abenteuer bestanden hätten. Und der alte Hang nach merkwürdigen Erlebnissen regte sich jetzt im Herzen des kleinen Nils Holgersson.

„Es wäre wohl möglich, daß mir etwas fehlen würde, wenn ich künftig nicht alle zwei Tage in Lebensgefahr geriete,“ dachte er. „Darum ist es gewiß am besten, ich bin damit zufrieden, wie es nun einmal ist.“

Davon sagte er aber nichts zu dem großen Weißen; denn die Wildgänse flogen mit größter Geschwindigkeit über Bohuslän hin; der Gänserich keuchte heftig und hätte kein Wort erwidern können. Die Sonne stand jetzt tief am Himmel; ab und zu verschwand sie hinter einem Berggipfel; aber die Wildgänse flogen so rasch, daß der große Feuerball immer wieder vor ihnen auftauchte.

Endlich sahen sie im Westen einen hellen Streifen, der sich mit jedem Flügelschlag breiter vor ihnen ausdehnte. Das war das Meer; zwischen milchweiß, rosenrot und himmelblau immer wechselnd lag es da draußen, und als die Gänse an den Strandklippen vorüberflogen, sahen sie abermals die Sonne, die jetzt groß und rotglühend am Himmelsrand stand, eben im Begriff, ins Meer zu versinken.

Als aber der Junge das freie, unendliche Meer vor sich sah und die rote Abendsonne, die mit einem gar so milden Glanz leuchtete, daß er ihr gerade ins Gesicht sehen konnte, zogen Freude und Vertrauen in seine Seele ein.

„Es hat keinen Sinn, wenn du auch noch so betrübt bist, Nils Holgersson,“ sagte die Sonne. „Die Welt ist ein herrlicher Aufenthalt, sowohl für Kleine wie für Große, und es ist auch gut, wenn man frank und frei ist und das ganze Weltall hat, in dem man sich herumtummeln kann.“

Das Geschenk der Wildgänse

Die Wildgänse hatten sich auf einer kleinen Schäreninsel vor Fjällbacka zum Schlafen niedergelassen. Aber als es nahe an Mitternacht war und der Mond hoch am Himmel stand, rieb sich Akka den Schlaf aus den Augen und weckte Yksi und Kaksi, Kolme und Neljä, Viisi und Kuusi. Schließlich stieß sie auch den Däumling mit dem Schnabel an, daß er erwachte.

„Was gibts, Mutter Akka?“ fragte er, erschrocken auffahrend.

„Nichts Gefährliches,“ antwortete die Anführerin. „Nichts weiter, als daß wir sieben Alten von der Schar ein Stück weit aufs Meer hinausfliegen wollen und wissen möchten, ob du Lust hättest, mitzukommen?“

Der Junge erriet sogleich, daß Akka keinen solchen Vorschlag machen würde, wenn es sich nicht um etwas Besondres gehandelt hätte; er setzte sich ihr also sofort auf den Rücken, und Akka flog in gerader westlicher Richtung davon. Zuerst ging es über eine Reihe großer und kleiner, nahe an der Küste liegender Inseln hin, dann über eine breite Strecke offnes Wasser, und schließlich erreichten sie die große Väderöer Inselgruppe, die ganz draußen dicht am offnen Meere liegt. Es waren lauter niedrige, felsige Inseln, und im Mondschein konnte man deutlich sehen, daß sie an ihrer Westseite von den Wogen ganz glatt geschliffen waren. Einige davon waren ziemlich groß, und auf diesen unterschied der Junge einige Häuser. Akka suchte eine der kleinsten von diesen Schäreninseln auf und ließ sich darauf nieder. Die Schäre bestand nur aus einer unebenen Felsplatte mit einem breiten Spalt in der Mitte, in den das Meer feinen weißen Sand und Muscheln hineingeschwemmt hatte.

Als der Junge von Akkas Rücken herabsprang, sah er dicht neben sich etwas, was einem hohen, spitzigen Stein glich. Aber schon im nächsten Augenblick bemerkte er, daß es ein großer Raubvogel war, der sich diese Schäre zum Nachtquartier ausgewählt hatte. Der Junge hatte indes kaum Zeit, sich über die Wildgänse zu verwundern, die sich so unvorsichtig neben einem gefährlichen Feinde niedergelassen hatten, als sich der Vogel auch schon mit einem langen Sprung zu ihnen herschwang und Nils Holgersson den Adler Gorgo erkannte.

Nun verstand der Junge: Akka und Gorgo hatten sich hier zusammenbestellt!

„Das hast du gut gemacht, Gorgo,“ sagte Akka. „Ich hatte eigentlich gedacht, du würdest den Ort unsrer Zusammenkunft nicht vor uns erreichen können. Hast du schon lange gewartet?“

„Ich bin am Abend angekommen,“ antwortete Gorgo. „Ja, die Zeit habe ich gut getroffen,“ fuhr er fort, „aber ich fürchte, das wird leider auch das einzige sein, worüber du mich loben kannst; mit der Sache, die du mir aufgetragen hast, steht es nicht gut.“

„Du hast gewiß mehr erreicht, als du dir merken lassen willst,“ sagte Akka. „Doch ehe du erzählst, wie deine Reise abgelaufen ist, möchte ich den Däumling bitten, mir beim Suchen von etwas, was hier auf der Insel versteckt ist, zu helfen.“

Der Junge hatte eben aufmerksam ein paar große schöne Schneckenhäuser betrachtet, als aber Akka seinen Namen nannte, schaute er auf. „Du hast dich wohl verwundert, Däumling, warum wir nicht den geraden Weg eingehalten haben, sondern hier aufs Kattegat hinausgeflogen sind?“ fuhr Akka fort.

„Es ist mir allerdings ein wenig sonderbar vorgekommen,“ antwortete der Junge; „aber ich weiß ja, daß Ihr für alles, was Ihr tut, stets einen guten Grund habt.“

„Du hast einen guten Glauben an mich,“ sagte Akka. „Aber ich fürchte beinahe, diesmal wird er dir erschüttert werden, denn sehr wahrscheinlich wird diese Reise ohne Erfolg bleiben.“

„Vor vielen Jahren,“ fuhr Akka fort, „sind wir, ich und noch einige, die jetzt die Alten in unsrer Schar sind, auf einer Frühjahrsreise von einem Sturm überfallen und auf diese Insel verschlagen worden. Als wir sahen, daß wir nur das unendliche offene Meer vor uns hatten, bekamen wir Angst, wir könnten so weit hinausgetrieben werden, daß wir das Land nie wieder erreichen würden, und wir ließen uns deshalb auf die Wogen hinunter. Der Sturm zwang uns, hier zwischen diesen kahlen Klippen mehrere Tage auszuharren. Wir litten großen Hunger, und eines Tages gingen wir hier in diese Rinne hinein, in der Hoffnung, da Futter zu finden. Wir fanden indes nicht ein einziges Grashälmchen, dafür aber einige Säcke, die fest zugebunden, halb verschüttet im Sande lagen. Da wir hofften, es sei Korn in den Säcken, rissen und zerrten wir solange daran, bis der Stoff zerriß; aber keine Körner kamen heraus, sondern lauter glänzende Goldstücke. Dafür hatten wir Wildgänse jedoch keine Verwendung, und wir ließen sie deshalb, wo sie waren. In allen diesen Jahren haben wir gar nicht mehr an unsern Fund gedacht; da hat sich im letzten Herbst etwas ereignet, was es uns wünschenswert macht, Gold zu besitzen. Es ist freilich sehr unwahrscheinlich, daß der Schatz noch da ist, aber wir sind trotzdem herbeigeflogen, um dich zu bitten, jetzt nachzusehen, wie sich die Sache verhält.“

Der Junge sprang in die Felsenspalte hinein, nahm in jede Hand eine Muschel und schaufelte damit eifrig den Sand weg. Säcke fand er keine, aber nachdem er ein ziemlich tiefes Loch gegraben hatte, hörte er ein Klirren wie von Metall, und er merkte, daß er auf eine Münze gestoßen war. Er tastete mit den Händen umher, fühlte, daß viele runde Münzen im Sande lagen, und eilte rasch zu Akka zurück.

„Die Säcke sind verfault und zerfallen,“ sagte er, „aber das Geld liegt noch im Sand verstreut, und ich glaube, es ist noch alles da.“

„Das ist gut,“ sagte Akka. „Fülle das Loch wieder zu und mache die Oberfläche wie vorher, damit niemand sehen kann, daß daran gerührt worden ist.“

Der Junge tat, wie Akka ihn geheißen hatte; aber als er darauf wieder aus der Felsenspalte heraustrat, blieb er überrascht stehen, denn Akka hatte sich an die Spitze der sechs andern Wildgänse gestellt, und der ganze Zug kam nun höchst feierlich auf ihn zugeschritten. Vor dem Jungen angekommen, hielten sie an, verneigten sich vielmals mit dem Halse und sahen so vornehm drein, daß der Junge unwillkürlich die Mütze abnahm und sich auch verbeugte.

„Wir haben dir etwas zu sagen,“ begann Akka. „Wir, die Alten in der Schar, haben zueinander gesagt, wenn du, Däumling, bei Menschen im Dienst gestanden und ihnen so viele und große Hilfe geleistet hättest, wie du uns geleistet hast, dann würden sie sich ganz gewiß nicht von dir trennen, ohne dich reichlich dafür zu belohnen.“

„Ach Mutter Akka, nicht ich habe euch geholfen,“ sagte der Junge, „ihr seid es gewesen, die sich meiner angenommen haben.“

„Und wir meinen auch,“ fuhr Akka fort, „wenn uns nun ein Mensch auf der ganzen Reise begleitet hat, sollte er nicht ebenso arm von uns gehen, wie er gekommen ist.“

„O, ich weiß recht wohl, was ich in diesem einen Jahr alles gelernt habe! Das ist mehr wert als Geld und Gut,“ sagte der Junge.

„Da nun diese Goldstücke nach so vielen Jahren noch immer in der Felsenspalte liegen, haben sie sicherlich keinen Eigentümer mehr,“ fuhr die Anführergans fort, „und ich meine, du solltest sie nun an dich nehmen, Däumling.“

„Habt ihr denn nicht den Schatz für euch selbst haben wollen, Mutter Akka?“ fragte der Junge.

„Doch, wir wollen dich damit belohnen, damit dein Vater und deine Mutter sehen können, daß du bei ordentlichen Leuten Gänsejunge gewesen bist.“

Der Junge wendete sich halb um; er warf einen Blick übers Meer hin, und dann sah er Akka in die glänzenden Augen.

„Ich verwundere mich doch sehr über euch, Mutter Akka,“ sagte er. „Ihr wollt mich verabschieden und gebt mir meinen Lohn, bevor ich euch gekündigt habe.“

„Solange wir Wildgänse noch in Schweden sind, wirst du ja wohl bei uns bleiben,“ sagte Akka. „Aber ich wollte dir zeigen, wo der Schatz liegt, da wir es jetzt ohne einen allzu großen Umweg einrichten konnten.“

„Trotzdem ist es so, wie ich sage,“ entgegnete der Junge. „Ihr wollt mich los sein, bevor ich selbst von euch fort will. Nach einer so langen Zeit, die wir in guter Freundschaft miteinander verbracht haben, wäre es doch wohl nicht zuviel verlangt, wenn ihr mich auch noch ins Ausland mitnehmen würdet.“

Als der Junge dies sagte, streckten Akka und die andern Wildgänse die Hälse gerade in die Höhe und saugten mit halbgeöffnetem Schnabel schweigend die Luft ein.

„Das ist etwas, woran ich noch gar nicht gedacht habe,“ sagte Akka, nachdem sie sich wieder gefaßt hatte. „Aber bevor du irgend einen Entschluß faßt, wollen wir hören, was Gorgo zu berichten hat. Ich muß dir nämlich noch etwas sagen. Ehe wir Lappland verließen, sind Gorgo und ich übereingekommen, daß er nach Schonen in deine Heimat fliegen und versuchen solle, bessere Bedingungen für dich auszuwirken.“

„Ja, so ist es,“ fiel Gorgo ein. „Aber wie ich dir schon gesagt habe, habe ich kein Glück dabei gehabt. Holger Nilssons Haus fand ich ganz leicht, und nachdem ich einige Male darüber hingeschwebt war, gewahrte ich auch das Wichtelmännchen, das eben zwischen den Gebäuden umherschlich. Ich flog sogleich hinunter, packte es und flog mit ihm auf ein Feld hinaus, damit wir in aller Ruhe miteinander verhandeln könnten. Nun sagte ich ihm, ich käme im Auftrag von Akka von Kebnekajse, um zu fragen, ob es für Nils Holgersson nicht leichtere Bedingungen stellen würde.

‚Ich wünschte, ich könnte es,‘ erwiderte das Wichtelmännchen, ‚denn ich habe gehört, der Junge habe sich auf der Reise recht gut gemacht; aber es steht nicht in meiner Macht.‘

Da wurde ich zornig, und ich sagte, wenn es nicht nachgäbe, würde ich mich gar nicht scheuen, ihm die Augen auszuhacken.

‚Mache mit mir, was du willst,‘ erwiderte es, ‚aber mit Nils Holgersson bleibt es, wie ich gesagt habe. Du kannst ihn aber von mir grüßen und ihm sagen, er täte am besten, recht bald mit seinem Gänserich heimzukommen, denn es stehe schlecht daheim. Holger Nilsson ist leider für einen Bruder, dem er volles Vertrauen schenkte, eine Bürgschaft eingegangen, die er jetzt hat bezahlen müssen. Mit geborgtem Geld hat er sich ein Pferd gekauft; aber das Pferd lahmte vom ersten Male an, wo Holger Nilsson mit ihm fuhr, und seitdem ist es nicht zu gebrauchen. Ja, erzähle nur Nils Holgersson,‘ hat das Wichtelmännchen noch eindringlich hinzugefügt, ‚seine Eltern hätten schon zwei Kühe verkaufen müssen, und sie seien gezwungen, von Haus und Hof zu gehen, wenn ihnen nicht von irgend einer Seite Hilfe zuteil würde.‘“

Als der Junge dies hörte, runzelte er die Stirne und ballte die Fäuste, daß die Knöchel weiß hervortraten.

„Das ist sehr grausam von dem Wichtelmännchen!“ rief er. „Unter der Bedingung, die es gestellt hat, kann ich nicht zu meinen Eltern zurückkehren, um ihnen zu helfen. Aber es soll ihm nicht gelingen, einen treulosen Freund aus mir zu machen. Mein Vater und meine Mutter sind ehrbare Leute, und ich weiß, sie wollen lieber meine Hilfe entbehren, als daß ich mit einem bösen Gewissen zu ihnen zurückkehrte.“

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
28 сентября 2017
Объем:
790 стр. 1 иллюстрация
Переводчик:
Правообладатель:
Public Domain

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