Читать книгу: «Die Löwenskölds», страница 8

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Gleich nachdem Marit sich entfernt hatte, war der Baron mit dem Doktor dahergeritten gekommen, und Jungfer Spaak hatte gehofft, der Doktor werde Adrian wieder ins Leben zurückrufen können, ohne dass sie etwas Weiteres in der Sache tun müsste. Der Doktor aber hatte sofort erklärt, hier könne er nicht helfen, der junge Mann werde nur noch wenige Stunden am Leben bleiben.

Da hatte Jungfer Spaak das Bündel unter den Arm genommen und sich auf den Weg gemacht. Sie wusste, es gab keine Möglichkeit, den Baron Löwensköld zu bewegen, die Grabplatte abheben und das zugemauerte Grab öffnen zu lassen, nur um ein paar von Baron Adrians alten Kleidungsstücken hineinlegen zu lassen. Wenn sie ihm gesagt hätte, was sich wirklich in dem Bündel befand, dann, das wusste sie gewiss, würde er den Ring sofort seinem rechtmäßigen Besitzer zurückgeben; damit aber hätte sie ja einen Verrat an Marit Erikstochter begangen.

An einem zweifelte sie gar nicht. Marit war es gewesen, die einstmals den Ring nach Hedeby geschafft hatte. Baron Adrian selbst hatte ja erwähnt, Marit habe ihm einmal seine Zipfelmütze geflickt. Nein, Jungfer Spaak wagte es nicht, den Baron über den wahren Zusammenhang dieser Sache aufzuklären.

Später wunderte sich Jungfer Spaak selbst darüber, dass sie an jenem Abend keine Angst gehabt hatte. Sie stieg über die niedrige Kirchhofmauer und wanderte zu dem Löwensköldschen Grab hin, ohne an etwas anderes zu denken, als wie sie den Ring da hineinbringen könnte.

Sie setzte sich auf die Grabplatte und faltete die Hände zum Gebet. »Wenn Gott mir nicht hilft«, dachte sie, »dann wird das Grab allerdings bald geöffnet werden; aber nicht des Ringes wegen, sondern für einen, um den ich ewig trauern werde.«

Mitten unter ihrem Gebet nahm die Jungfer eine kleine Bewegung in dem Gras wahr, das den niederen Grabhügel bedeckte, auf dem die Grabplatte lag. Ein kleines Köpfchen lugte hervor, verschwand aber sofort wieder, als die Jungfer zusammenzuckte. Denn Jungfer Spaak hatte ebenso große Angst vor Mäusen wie die Mäuse vor ihr. Dies aber rief in der Jungfer eine plötzliche Eingebung hervor. Rasch trat sie an einen großen Fliederbusch, brach einen langen dürren Zweig ab und steckte ihn in das Mauseloch hinein.

Zuerst steckte sie ihn senkrecht hinunter; da stieß sie aber gleich auf Widerstand. Dann versuchte sie, ihn schräg hinabzuführen, und da glitt er in der Richtung des Grabes weit hinunter. Sie verwunderte sich, wie tief er eindrang. Die ganze Gerte verschwand. Hastig zog sie sie wieder heraus und maß die Länge an ihrem Arm. Sie war drei Ellen lang. Die Gerte musste drunten in der Grabkammer gewesen sein.

Jungfer Spaak war in ihrem ganzen Leben noch nie so ruhig und geistesgegenwärtig gewesen. Es war klar, die Mäuse hatten sich einen Weg ins Grab hinunter gebahnt. Vielleicht hatte sich auch ein Spalt in der Mauer befunden, oder irgendein Ziegelstein war verwittert.

Sie legte sich flach auf den Boden, riss ein Stück vom Rasen los, schaffte die lose Erde beiseite und streckte den Arm hinein. Ohne ein Hindernis drang er tief hinunter, gelangte aber doch nicht bis zu der Mauer, ihr Arm war zu kurz.

Da knüpfte sie eilig das Bündel auf und nahm die Mütze heraus. Sie wand sie um die lange Gerte und versuchte, diese langsam in das Loch hineinzuschieben. Bald war sie verschwunden; nun schob sie die Gerte ebenso langsam und vorsichtig weiter und weiter hinunter. Da plötzlich, als die Gerte fast ganz drunten in der Erde war, fühlte sie, wie sie ihr mit einem Ruck aus der Hand gerissen wurde.

Möglicherweise konnte sie durch ihre eigene Schwere hinuntergefallen sein; aber nein, Jungfer Spaak war ganz sicher, sie war ihr entrissen worden.

Und jetzt endlich bekam sie Angst. Sie raffte all das andere, das sich in dem Bündel befand, zusammen, steckte es in das Loch hinein, legte die Erde und den Rasen, so gut sie konnte, wieder zurecht und lief den ganzen Weg wie gejagt nach Hedeby zurück.

Als sie dort ankam, standen der Baron und die Baronin auf der Treppe und kamen ihr eifrig entgegen.

»Wo ist die Jungfer gewesen?«, fragten sie gleich. »Wir stehen hier und warten auf Sie.«

»Ist Baron Adrian tot?«, fragte die Jungfer.

»Nein, er ist nicht tot«, antwortete der Baron, »aber sage Sie uns zuerst, wo Sie gewesen ist.«

Jungfer Spaak konnte kaum sprechen, so atemlos war sie; sie berichtete aber doch von dem Auftrag, den Marit ihr gegeben hatte, und dass es ihr geglückt war, wenigstens ein Stück von den Sachen durch ein Mauseloch in das Grabgewölbe hinunterzuschaffen.

»Das ist außerordentlich merkwürdig, Jungfer Spaak«, sagte der Baron, »denn Adrian geht es wirklich besser. Vor einer Weile ist er aufgewacht, und sein erstes Wort war: »Jetzt hat der General den Ring bekommen!«

»Sein Herz schlägt wieder wie gewöhnlich«, fuhr die Baronin fort, »und er will durchaus mit Jungfer Spaak reden. Er sagt, sie habe ihn gerettet.«

Sie ließen die Jungfer Spaak allein zu Adrian hinaufgehen. Er saß aufrecht im Bett und breitete die Arme aus, als er sie erblickte.

»Ich weiß es, ich weiß es schon!« rief er. »Der General hat seinen Ring bekommen, und das haben wir der Jungfer zu verdanken.«

Jungfer Spaak lachte und weinte, als sie in seinen Armen lag, und er küsste sie auf die Stirn.

»Jungfer Spaak, ich verdanke Ihr mein Leben«, sagte er. »Ich wäre in diesem Augenblick eine Leiche, wenn Sie nicht gewesen wäre. Man kann Ihr nie dankbar genug dafür sein.«

Das Entzücken, womit der junge Mann sie begrüßte, hatte die arme Jungfer Spaak vielleicht dazu gebracht, allzu lange in seinen Armen zu liegen.

Und er beeilte sich hinzuzufügen: »Und nicht ich allein danke der Jungfer, auch noch jemand anders tut es.« Er zeigte ihr ein Medaillon, das er an einer Kette um den Hals trug. Jungfer Spaak unterschied undeutlich das Miniaturporträt eines jungen Mädchens. »Jungfer Spaak ist nächst meinen Eltern die Erste, die es erfährt. Wenn sie in einigen Wochen nach Hedeby kommt, dann wird sie der Jungfer noch besser danken, als ich es jetzt kann.«

Und Jungfer Spaak verneigte sich vor dem jungen Baron zum Dank für sein Vertrauen. Sie hätte ihm eigentlich sagen wollen, sie habe nicht die Absicht, auf Hedeby zu bleiben, um seine Braut zu begrüßen, besann sich aber noch zu rechter Zeit. Ein junges Mädchen muss sich hüten, eine gute Stelle zu verscherzen.

Charlotte Löwensköld
Die Frau Oberst

1

In Karlstadt lebte vorzeiten eine Frau Oberst namens Beate Ekenstedt.

Sie war aus dem Geschlechte Löwensköld von Hedeby und folglich eine geborene Freiin; sie war sehr liebenswürdig und sehr hübsch und sehr gebildet, und sie konnte Gedichte machen, die genauso ausgezeichnet waren wie die von Frau Lenngren.

Sie war klein von Gestalt, hatte aber eine sehr gute Haltung wie alle Löwenskölds. Dabei hatte sie ein höchst interessantes Gesicht und wusste jedermann schöne und angenehme Dinge zu sagen. Über ihrer ganzen Erscheinung lag ein romantischer Schimmer, und wer sie einmal gesehen hatte, konnte sie nie wieder vergessen.

Frau Beate Ekenstedt war immer ausgesucht gut gekleidet und auch stets auffallend schön frisiert; wo sie auch hinkam, immer hatte sie die schönste Brosche und das geschmackvollste Armband und den strahlendsten Brillantring. Sie hatte auch die kleinsten Füße, die ein Mensch haben kann, und ob es nun Mode war oder nicht, so trug sie doch jederzeit kleine Goldbrokatschuhe mit hohen Hacken.

Frau Beate Ekenstedt wohnte im vornehmsten Haus in Karlstadt, und das lag nicht zwischen den anderen Häusern in engen Gassen, sondern am Ufer des Klarälvs, sodass die Frau Oberst von ihrem eigenen kleinen Zimmer aus auf den Fluss hinaussehen konnte. Sie pflegte auch zu berichten, dass sie in einer Nacht, als heller Mondschein auf dem Flusse lag, dicht unter ihren Fenstern den Neck auf einem Stein sitzen und auf seiner goldenen Harfe habe spielen sehen. Und niemand kam es auch nur in den Sinn, daran zu zweifeln, dass sie richtig gesehen hatte. Warum sollte auch der Neck nicht ebenso gut, wie so viele andere, der Frau Oberst Ekenstedt ein Ständchen darbringen wollen?

Alle vornehmen Reisenden, die nach Karlstadt kamen, pflegten Frau Beate Ekenstedt ihre Aufwartung zu machen. Sie waren auch sofort ganz begeistert von ihr und meinten, es sei doch hart für sie, in einer solchen Kleinstadt begraben zu sein. Es ging das Gerücht, Bischof Tegnér habe Frau Beate besungen, und der Kronprinz habe gesagt, sie besitze den Charme einer Französin. Ja, und sogar General von Essen sowie noch andere aus der Zeit Gustavs III. mussten zugeben, dass die Festessen bei Frau Oberst Ekenstedt unvergleichlich gewesen seien, sowohl hinsichtlich der Speisen wie der Bedienung und der Unterhaltung.

Frau Beate Ekenstedt hatte zwei Töchter, Eva und Jacquette. Es waren nette und liebe Mädchen, und sie würden in der ganzen Welt bewundert und umschwärmt gewesen sein; in Karlstadt jedoch hatte niemand Augen für sie. Hier wurden sie von ihrer Mutter gänzlich in den Schatten gestellt. Wenn sie auf einem Ball erschienen, so liefen sich die jungen Herren die Beine ab um einen Tanz mit der Mutter; Eva und Jacquette aber saßen als Mauerblümchen an den Wänden, und wie schon gesagt, brachte nicht nur der Neck vor dem Ekenstedtschen Hause Ständchen, doch niemals sang jemand unter dem Fenster der Töchter, sondern nur immer unter dem der Frau Oberst. Junge Poeten machten Gedichte an B. E.; aber keinem fiel es ein, auch nur ein paar Strophen an E. E. oder J. E. zusammenzuschmieden. Böse Zungen behaupteten, ein Leutnant habe einmal um die kleine Eva Ekenstedt angehalten, aber einen Korb bekommen, weil die Frau Oberst meinte, er habe einen schlechten Geschmack.

Die Frau Oberst hatte auch einen Oberst, einen prächtigen, tüchtigen Mann, der überall, wohin er gekommen wäre, die größte Wertschätzung gefunden hätte, ausgenommen in Karlstadt. In Karlstadt verglich man den Herrn Oberst mit der Frau Oberst, und wenn man ihn an der Seite seiner Frau sah, die so strahlend, so ungewöhnlich, so reich an Einfällen, so prickelnd lebhaft war, dann meinte man, er sehe aus wie ein Dorfschulze. Die Gäste in seinem Hause hörten kaum hin, wenn er etwas sagte; es war, als sähe ihn überhaupt niemand. Davon war indes keine Rede, dass die Frau Oberst auch nur einem von all den Herren, die sie umschwärmten, die kleinste unziemliche Annäherung gestattet hätte. Ihr Wandel war ohne Tadel; aber ihren Mann aus seinem vergessenen Winkel hervorzuziehen, daran dachte sie allerdings nie. Sie glaubte wohl, es sei ihm lieber, unbemerkt zu bleiben.

Aber diese charmante Frau Oberst, diese gefeierte Frau Oberst hatte nicht nur einen Mann und zwei Töchter, sie hatte auch noch einen Sohn. Und diesen Sohn liebte sie; ihn bewunderte sie, ihn stellte sie bei jeder Gelegenheit ins hellste Licht.

Die Gäste im Hause Ekenstedt durften sich’s nicht einfallen lassen, ihn zu vernachlässigen oder links liegen zu lassen, falls sie sich Hoffnung machten, ein andermal wieder eingeladen zu werden. Andererseits darf aber auch nicht geleugnet werden, dass die Frau Oberst Ursache hatte, stolz auf ihren Sohn zu sein. Er war nicht nur begabt, sondern hatte auch ein liebenswürdiges Wesen und ein ansprechendes Äußeres. Er war weder dreist noch aufdringlich wie andere verzogene Kinder. Er schwänzte die Schule nicht und spielte seinen Lehrern keine bösen Streiche. Er war romantischer veranlagt als seine Schwestern. Ehe er das achte Jahr vollendet hatte, konnte er schon richtige nette Gedichtchen machen. Öfter erzählte er auch seiner Mutter, er habe den Neck spielen hören und die Elfen auf den Voxnäswiesen tanzen sehen. Er hatte feine Züge und große dunkle Augen, ja, er war seiner Mutter echtes Kind in jeder Beziehung.

Obwohl er das ganze Herz der Frau Oberst ausfüllte, konnte man doch nicht eigentlich sagen, dass sie eine schwache Mutter sei. Zum Mindesten musste Karl Artur Ekenstedt arbeiten lernen. Sie stellte ihn höher als alle anderen Lebewesen; aber gerade darum durfte er auch nur mit den besten Zeugnissen, die zu erreichen waren, vom Gymnasium heimkommen. Und eins wurde von jedermann bemerkt: Solange Karl Artur in einer Klasse war, lud die Frau Oberst nie einen seiner Lehrer zu sich ein. Nein, niemand sollte sagen können, Karl Artur bekäme seine guten Zeugnisse, weil er der Sohn der Frau Oberst Ekenstedt sei, die so ausgesuchte Festmahlzeiten gab. Seht, das war der Stil der Frau Oberst!

In seinem Abgangszeugnis vom Gymnasium in Karlstadt hatte Karl Artur die allerbeste Note, gerade wie Erik Gustav Geijer seinerzeit. Und das Studentenexamen in Uppsala war für Karl Artur das gleiche Kinderspiel wie für Geijer. Die Frau Oberst hatte ja den kleinen rundlichen Professor Geijer oft gesehen und ihn wohl auch als Tischherrn gehabt. Gewiss war Professor Geijer begabt und berühmt; aber sie musste doch immer denken, Karl Artur habe einen geradeso hellen Kopf, er könne wohl auch noch einmal ein berühmter Professor werden und es so weit bringen, dass der Kronprinz Oskar und der Landeshauptmann Järta sowie die Frau Oberst Silfverstolpe nebst all den übrigen Berühmtheiten in Uppsala seinen Vorlesungen lauschen würden.

Im Herbst 1826 kam Karl Artur auf die Universität nach Uppsala. Und in diesem ganzen Semester, sowie auch in all den folgenden Jahren, schrieb er jede Woche einmal nach Hause. Und keiner seiner Briefe wurde vernichtet, Frau Beate hob sie alle auf. Sie las sie für sich immer wieder durch, und an den gewohnten Sonntagnachmittagen, wenn die Familie zusammenkam, pflegte sie den Letztangekommenen vorzulesen. Und das konnte sie auch. Es waren Briefe, auf die sie mit Recht stolz war.

Frau Beate hatte die Verwandtschaft halb und halb im Verdacht, diese habe erwartet, Karl Artur werde sich weniger vorzüglich zeigen, wenn er einmal von zu Hause weg sei. So war es Frau Beate ein Triumph, den Verwandten vorzulesen, wie Karl Artur billige möblierte Zimmer mietete und wie er, um zu Hause essen zu können, Butter und Käse selbst auf dem Markt einkaufte, wie er Schlag fünf Uhr morgens aufstand und zwölf Stunden täglich arbeitete. Und alle die ehrerbietigen Wendungen, die er in den Briefen gebrauchte, und alle die Ausdrücke von Bewunderung, die er an seine Mutter richtete! Für kein Geld hätte es sich Frau Beate nehmen lassen, dem Dompropst Sjöborg, der mit einer Ekenstedt verheiratet war, und dem Ratsherrn Ekenstedt, dem Onkel ihres Mannes, sowie den Basen Stake, die auf dem Markt in dem großen Eckhaus wohnten, vorzulesen, dass Karl Artur, der nun draußen in der Welt lebte, noch immer der Überzeugung war, seine Mutter wäre eine Dichterin ersten Ranges geworden, wenn sie es nicht für ihre Pflicht gehalten hätte, für Mann und Kinder zu leben. Nein, nicht um alles in der Welt hätte sie dieses Vorlesen unterlassen mögen, sie tat es ja viel zu gern. So sehr sie auch an alle möglichen Arten von Huldigung gewöhnt war – diese Worte konnte sie nicht lesen, ohne dass sich ihre Augen mit Tränen füllten.

Aber den größten Triumph feierte die Frau Oberst doch gegen Weihnachten, als Karl Artur schrieb, er habe das Geld, das ihm sein Vater nach Uppsala mitgegeben, nicht aufgebraucht, sondern er bringe noch etwa die Hälfte davon wieder mit. Da waren der Dompropst und die Ratsherren geradezu verblüfft, und die längste der Basen Stake schwur, so etwas sei noch nie da gewesen und werde auch niemals wieder vorkommen. Ja, Karl Artur war ein Wunder, darin stimmte die ganze Familie überein.

Gewiss fühlte sich die Frau Oberst vereinsamt, als Karl Artur den größten Teil des Jahres auf der Universität zubrachte; aber ihre Freude an den Briefen war doch zu groß, als dass sie wünschen konnte, es möchte anders sein. Wenn er eine Vorlesung des großen neuromantischen Dichters Atterbom gehört hatte, konnte er sich unglaublich interessant über Philosophie verbreiten; und wenn ein solcher Brief kam, dann konnte Frau Beate noch stundenlang von all der Größe träumen, die Karl Artur erreichen würde. Sie zweifelte gar nicht daran, dass er so berühmt werden würde wie Professor Geijer. Ja, vielleicht wurde er sogar ein ebenso großer Mann wie Karl von Linné. Warum sollte er nicht ebenso weltberühmt werden können? Oder warum sollte er nicht ein großer Dichter werden – ein zweiter Tegnér? Ach, ach, niemand kann so ausgiebig bei Tische schwelgen wie der, so sich in Gedanken ein Festmahl gibt!

In allen Weihnachts- und Sommerferien kam Karl Artur heim nach Karlstadt, und sooft Frau Beate ihren Sohn wiedersah, erschien er ihr männlicher und schöner. Aber sonst war er in keiner Weise verändert. Er zeigte sich immer gleich liebevoll gegen seine Mutter, gleich ehrerbietig gegen seinen Vater und gleich munter und scherzhaft gegen seine Schwestern.

Zuweilen konnte die Frau Oberst auch ungeduldig werden, als Karl Artur Jahr für Jahr in Uppsala weiterstudierte, ohne dass irgendein Fortschritt bemerkbar gewesen wäre. Von allen Seiten wurde ihr jedoch versichert, dass Karl Artur, wenn er das große Staatsexamen machen wolle, dazu recht ausgiebig Zeit brauche, bis er fertig sein könne. Sie solle nur überlegen, was das heißen wolle, ein Examen abzulegen und Zeugnisse zu erhalten, und zwar in allen Fächern, die an der Universität gelehrt würden, in Astronomie, Hebräisch und Geometrie. Das wolle alles seine Zeit haben. Die Frau Oberst sagte, das sei doch ein fürchterliches Examen, und darin gab man ihr recht, meinte nur, man könnte es doch nicht ändern, nur um Karl Arturs willen.

Im Spätherbst 1829, als Karl Artur im siebenten Semester in Uppsala war, schrieb er zur größten Freude der Frau Oberst, er habe sich nun zu einer lateinischen Prüfung angemeldet. Es sei ja kein so besonders schweres Examen, schrieb er, aber doch ein wichtiges, denn man müsse im Lateinischen durchaus bewandert sein, wenn man zum großen Examen zugelassen werden wolle.

Karl Artur machte nicht viel Aufhebens von dieser schriftlichen Arbeit. Er sagte nur, es wäre gut, sie hinter sich zu haben. Er habe sich ja freilich nicht eingehender mit dem Lateinischen befasst wie viele andere auch, aber er dürfe doch wohl hoffen, gut durchzukommen. – In diesem Brief äußerte er auch, dies werde in diesem Semester das letzte Mal sein, dass er seinen lieben Eltern schreibe. Sobald ihm der Ausfall des Examens bekannt sei, wolle er sich auf den Heimweg machen. Und am letzten Tage des Novembers hoffe er bestimmt, seine Eltern und Schwestern wieder in seine Arme zu schließen.

Nein, Karl Artur hatte gewiss nicht viel Wesens aus der lateinischen Prüfung gemacht, und darüber war er recht froh, denn, kurz gesagt – er fiel durch. Die Professoren erlaubten sich tatsächlich, ihn durchfallen zu lassen, obwohl er in seinem Abgangszeugnis von Karlstadt in allen Fächern die beste Examensnote gehabt hatte.

Karl Artur war eigentlich viel mehr entsetzt und überrascht als gedemütigt. Er konnte auch seine Ansicht darüber, dass seine Art, die lateinische Sprache zu behandeln, viel für sich habe, nicht ändern. Gewiss war es sehr ärgerlich, als Unterlegener heimzukommen; aber er glaubte doch, seine Eltern, oder wenigstens seine Mutter, würden einsehen, dass seine Niederlage in gewissen Spitzfindigkeiten ihren Grund habe. Die Professoren in Uppsala wollten wohl zeigen, dass sie größere Anforderungen stellten als das Gymnasium in Karlstadt, oder sie hatten es vielleicht als Beweis von allzu großem Selbstbewusstsein aufgefasst, dass Karl Artur keine lateinischen Vorlesungen besucht hatte.

Die Reise von Uppsala nach Karlstadt nahm mehrere Tage in Anspruch, und Karl Artur hatte sicherlich sein Missgeschick schon vergessen, als er am dreißigsten November in der Abenddämmerung durch das Osttor in seine Heimatstadt einfuhr. Er war sogar ganz zufrieden mit sich selbst, weil er genau an dem Tage heimkam, den er angegeben hatte. Er malte sich aus, wie seine Mutter nun am Salonfenster stehen und nach ihm ausspähen werde, während die Schwestern den Kaffeetisch richteten.

In derselben guten Stimmung fuhr Karl Artur durch die ganze Stadt, bis er aus den engen, winkeligen Gassen hinauskam und den Fluss sowie an dessen rechtem Ufer das Ekenstedtsche Haus erblickte. Aber um alles in der Welt, was war denn darin los? Das ganze Haus war hell erleuchtet und lag so strahlend da wie eine Kirche am Weihnachtsmorgen. Und Schlitten, dicht besetzt mit in Pelze gehüllten Menschen, glitten an ihm vorbei, und zwar alle seinem Vaterhause zu.

»Sie müssen daheim ein großes Fest feiern«, dachte er, und dieser Gedanke war ihm gar nicht angenehm. Er war ja von der Reise müde und würde nun keine Zeit zum Ausruhen haben, sondern musste sich umziehen und den Gästen bis Mitternacht Gesellschaft leisten. – Doch plötzlich wurde er unruhig.

»Wenn nur Mama nicht ein Fest veranstaltet hat, um meine lateinische Prüfung zu feiern!«

Er befahl dem Kutscher, am Nebeneingang zu halten, und stieg dort aus, um nicht mit den Gästen zusammentreffen.

Ein paar Minuten später wurde die Frau Oberst gebeten, sich ins Zimmer der Haushälterin zu begeben, um Karl Artur zu begrüßen, der soeben angekommen sei.

Frau Beate war in großer Sorge gewesen, ob Karl Artur auch rechtzeitig zum Fest erscheinen werde, und sie war überglücklich, als seine Ankunft gemeldet wurde.

Rasch eilte sie zu ihm.

Aber Karl Artur begrüßte sie mit strengem Blick. Er schien nicht zu sehen, dass sie ihm die Arme entgegenstreckte. Ja, er machte nicht einmal Miene, sie zu begrüßen.

»Was geht hier vor?«, fragte er. »Wozu ist gerade heute die ganze Stadt hierher eingeladen?«

Da war keine Rede mehr von »geliebten Eltern«. Karl Artur bezeigte nicht die geringste Freude über das Wiedersehen mit seiner Mutter.

»Ich dachte mir, wir wollten eine kleine Feier haben, nun du das schreckliche Examen hinter dir hast«, sagte Frau Beate.

»Du hast wohl gar nicht mit in Rechnung gezogen, dass ich auch durchfallen könnte«, versetzte Karl Artur. »Aber ich bin tatsächlich durchgefallen.«

Die Frau Oberst stand ganz bestürzt da.

Nein, der Gedanke, Karl Artur könnte durchfallen, wäre ihr allerdings niemals in den Sinn gekommen.

»An und für sich hat es auch gar nichts zu sagen«, fuhr Karl Artur fort. »Aber braucht es denn gleich die ganze Stadt zu wissen? Du hast wohl alle die Leute eingeladen, Mama, um meine Triumphe zu feiern?«

Die Frau Oberst stand noch immer wie aus den Wolken gefallen da.

Seht, sie kannte ja die Karlstädter! Diese hielten Fleiß und Sparsamkeit wohl für große Vorzüge bei einem Studenten, aber es war ihnen nicht genug. Sie erwarteten auch Preise von der Schwedischen Akademie und Disputationen, die so glänzend waren, dass alle die alten Professoren unter ihren Bärten erbleichten. Die Karlstädter erwarteten geistreiche Improvisationen bei den Nationalfesten und Einladungen in die literarischen Kreise, zu Professor Geijer oder zu dem Landeshauptmann von Krämer oder zu der Frau Oberst Silfverstolpe.

So fassten die Karlstädter es auf; aber in Karl Arturs bisheriger Laufbahn hatten sie noch nichts von Glanz und Auszeichnung entdecken können, was seine hervorragende Begabung bewiesen hätte. Ja, das vermissten die Leute. Frau Beate wusste es nur allzu gut, und wenn nun Karl Artur endlich eine Probe seiner Kenntnisse abgelegt hatte, so meinte sie, es könne nichts schaden, wenn man etwas Klimbim darüber machte.

Aber dass Karl Artur durchfallen könne, damit hatte sie freilich nicht gerechnet.

»Niemand weiß etwas Bestimmtes«, sagte sie endlich nachdenklich. »Niemand außer den Leuten im Hause. Die andern haben nur gehört, es handle sich um eine freudige Überraschung.«

»Dann musst du dir nun eine solche ausdenken, Mama«, versetzte Karl Artur. »Ich will jetzt auf mein Zimmer gehen und komme nicht zu Tisch herunter. Nicht, dass ich mir einbildete, die Karlstädter nähmen es besonders tragisch, dass ich durchgefallen bin; aber ich will ihr Mitleid nicht sehen.«

»Aber was sage ich nur den Leuten?«, klagte die Frau Oberst.

»Das überlasse ich ganz dir, Mama«, erwiderte Karl Artur. »Ich gehe jetzt hinauf. Die Gäste brauchen ja nicht zu wissen, dass ich da bin.«

Aber dies war doch zu schmerzlich und ganz unmöglich. Da sollte die Frau Oberst an der Tafel sitzen und geistreich sein, und dabei sollte sie denken müssen, dass ihr Sohn nun traurig und verstimmt in seiner Stube hockte. Sie sollte ihre Augen nicht an ihm weiden dürfen – nein, das war zu bitter für die Frau Oberst.

»Liebster Karl Artur, du musst zum Essen herunterkommen. Es fällt mir schon noch etwas ein.«

»Was wird dir denn einfallen?«

»Das weiß ich jetzt noch nicht. – Doch, nun hab ich’s! Du wirst ganz zufrieden sein. Es soll kein Mensch auf den Gedanken kommen, das Fest sei deinetwegen angeordnet worden. Versprich mir nun, dass du dich gleich umziehst und herunterkommst.« –

Es war ein durchaus gelungenes Fest. Unter all den vielen glänzenden und wohlgelungenen Festen im Hause Ekenstedt war dies eines der erinnerungswürdigsten.

Beim Braten, als der Champagner herumgereicht wurde, kam auch wirklich die Überraschung. Der Herr Oberst erhob sich und bat die Versammelten, mit ihm auf das Wohl des Leutnants Sten Arcker und seiner Tochter Eva zu trinken, deren Verlobung er hiermit bekannt machen wolle.

Das gab einen Jubel!

Der Leutnant Arcker war ein armer Kerl, ohne viel Aussichten auf Beförderung. Man wusste allerdings, dass er schon lange für Eva Ekenstedt geschwärmt hatte, und weil die Töchter Ekenstedt wenig Bewunderer aufzählen konnten, hatte sich die ganze Stadt lebhaft für die Sache interessiert. Aber man hatte immer geglaubt, die Frau Oberst werde dem Leutnant einen Korb geben.

Später sickerte es allerdings doch durch, wie das mit der Veröffentlichung zusammenhing. Aha, die Frau Oberst hatte die Verlobung zwischen Eva und Arcker nur zugegeben, damit niemand merken sollte, dass die den Gästen ursprünglich zugedachte Überraschung ins Wasser gefallen war!

Aber da war niemand, der die Frau Oberst darum weniger bewundert hätte. Im Gegenteil! Man sagte nur, niemand verstünde es besser, sich schweren und überraschenden Lebenslagen anzupassen als die Frau Oberst Ekenstedt.

2

Wenn sich jemand etwas gegen die Frau Oberst Ekenstedt hatte zuschulden kommen lassen, so erwartete diese stets, dass der Missetäter kommen und sie um Verzeihung bitten werde. Wenn diese Zeremonie überstanden war, dann vergab sie alles von ganzem Herzen und war nachher ebenso freundlich und zutraulich wie zuvor.

Während der ganzen Weihnachtsfeiertage hoffte sie, Karl Artur werde sie um Verzeihung bitten, weil er an jenem Festabend, an dem er von Uppsala gekommen war, so hart mit ihr geredet hatte. Sie fand es ja verständlich, dass er sich in der ersten Hitze hatte hinreißen lassen, aber sie konnte nicht begreifen, dass er sein Unrecht gar nicht einzusehen schien, obwohl er inzwischen Zeit genug zum Nachdenken gehabt hatte.

Aber Karl Artur ließ die Weihnachtsfeiertage vorübergehen, ohne ein Wort des Bedauerns oder der Reue zu äußern. Er unterhielt sich wie gewöhnlich mit Einladungen und Schlittenpartien und war daheim liebenswürdig und aufmerksam. Aber er sagte die paar Worte nicht, auf die Frau Beate wartete. Unbemerkt von den anderen richtete sich eine unsichtbare Mauer zwischen Mutter und Sohn auf, und so kamen sie einander nicht mehr richtig nahe. Mangel an Liebe oder zärtlichen Reden war auf keiner Seite zu bemerken, aber das trennende Etwas war dennoch vorhanden.

Als Karl Artur wieder nach Uppsala zurückgekehrt war, hatte er nur noch den einen Gedanken, seine Niederlage wiedergutzumachen. Wenn die Frau Oberst eine schriftliche Abbitte erwartet hatte, so sah sie sich getäuscht. Karl Artur schrieb nur noch über seine lateinischen Studien. Jetzt hatte er bei zwei Dozenten lateinische Vorlesungen belegt, ging auch Tag für Tag in die Hörsäle und war außerdem noch Mitglied eines Vereins, in dem man sich in lateinischen Disputationen und im Reden übte.

Er schrieb die hoffnungsvollsten Briefe heim, und die Frau Oberst antwortete in dem gleichen Geist. Aber dennoch war sie seinetwegen ängstlich. Er war unartig gegen seine Mutter gewesen und hatte sie nicht um Verzeihung gebeten. Dafür blieb doch am Ende die Strafe nicht aus.

Nicht, dass sie ihrem Sohne diese Strafe gewünscht hätte. O nein, sie flehte zu Gott, er möchte ihm dieses kleine Vergehen nicht zurechnen, sondern alles vergessen sein lassen. Auch versuchte sie ihrem Herrgott zu erklären, dass alles ihre Schuld gewesen sei. »Ich allein bin dumm und eitel gewesen und wollte mit seinen Fortschritten prahlen«, sagte sie. »Nicht er verdient Strafe, sondern ich allein.«

Trotzdem fuhr sie fort, in jedem Briefe nach den Worten zu suchen, nach denen sie sich so sehr sehnte. Da aber diese Worte nie kamen, wurde sie immer unruhiger. Sie hatte das Gefühl, dass Karl Artur niemals Glück in seinen Arbeiten haben könne, solange er ihre Verzeihung nicht erhalten hatte.

Eines schönen Tages gegen Semesterschluss erklärte die Frau Oberst, sie wolle nach Uppsala reisen und ihre gute Freundin Malla Silfverstolpe besuchen. Die beiden hatten einander im letzten Sommer bei den Gyllenhaals auf Kavlås getroffen und sich da so eng befreundet, dass die gute Malla Frau Beate gebeten hatte, im Winter nach Uppsala zu kommen, damit sie die Bekanntschaft ihrer literarischen Freunde mache.

Ganz Karlstadt stand auf dem Kopf, weil die Frau Oberst eine solche Reise gerade während des Tauwetters unternehmen wollte. Hier hätte der Oberst die Erlaubnis verweigern müssen, das war die allgemeine Ansicht. Aber der Herr Oberst war ans Jasagen gewöhnt, und so reiste die Frau Oberst ab.

Die Reise war schrecklich, ganz wie die Karlstädter vorausgesagt hatten. Mehrere Male blieb der Wagen im Schmutze stecken, sodass er mit Stangen wieder herausgehoben werden musste. Einmal brach eine Feder und ein andermal die Wagendeichsel. Doch die Frau Oberst kämpfte sich durch. Klein und schwach war sie, aber tapfer und lustig, und Gastwirte und Rossknechte, Schmiede und Bauern, mit denen sie zu tun hatte, wären durchs Feuer für sie gegangen. Es war, als wüssten sie alle, wie notwendig es war, dass sie nach Uppsala kam.

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