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Das Mädchen aus Dalarne

Gleich beim ersten Male, als Karl Artur die Propstei von Korskyrka zu Gesicht bekam, wie sie da an der Landstraße lag, gleich einem Herrensitz unter hohen Linden, mit dem grünen Zaun, den ehrwürdigen Torpfeilern und der Gittertür, durch die man in den Garten mit seinem Rondell und den Kieswegen blicken konnte, mit dem lang gestreckten, rot angestrichenen, zweistöckigen Wohnhaus in der Mitte, mit seinen beiden gleich großen Seitenflügeln, rechts dem des Vikars, links dem des Pächters, hatte er sich gesagt, gerade so müsse ein schwedischer Pfarrhof aussehen, traulich und einladend, feierlich und doch Achtung gebietend zugleich.

Und später, als er den immer kurz geschnittenen Rasen bemerkte, die wohlgeordneten Rabatten, auf denen alle Pflanzen gleich hoch waren und im gleichen Abstand voneinander standen, die hübsch geharkten Wege, den reinlich beschnittenen wilden Wein um die kleine Veranda, die langen Gardinen, die in hübschen geraden Falten an jedem Fenster hingen, hatte dies alles ihn mit dem gleichen Gefühl von Behagen und Würde erfüllt. Es war ihm, als müsse sich jeder, der in diesem Hof wohnte, verpflichtet fühlen, ein besonnenes, friedliches Leben zu führen.

Niemals hätte er sich träumen lassen, dass gerade er, Karl Artur Ekenstedt, eines Tages auf das weiße Gittertor zugelaufen kommen würde, mit hoch erhobenen, wild fuchtelnden Armen, den Hut auf dem einen Ohr und kurzen, pfeifenden Lauten auf den Lippen.

Als die Gartentür hinter ihm ins Schloss fiel, lachte er wild auf. Er glaubte zu sehen, wie das Wohnhaus und die Blumenbeete ihn verwundert anstarrten.

»Hat man je so etwas gesehen? Was ist das für ein Mensch?«, flüsterte es von Blume zu Blume.

Jawohl, die Bäume wunderten sich, der Rasen wunderte sich, der ganze Garten wunderte sich. Karl Artur hörte, wie sie sich verwunderten.

Konnte das der Sohn der charmanten Frau Oberst Ekenstedt sein, die die gebildetste Dame in ganz Värmland war und Gedichte machte, schöner als die von Frau Lenngren – konnte er es sein, der jetzt aus dem Pfarrgarten herausgerannt kam, als wolle er dem Reich des Bösen und der Sünde entfliehen?

Konnte das der stille, rücksichtsvolle, gemessene Vikar sein, der so schöne blumenreiche Predigten hielt, der nun mit roten Flammen auf der Stirn und wutverzerrten Zügen daherjagte? Konnte es ein Geistlicher aus der Propstei von Korskyrka sein, in der so viele ehrbare und würdige Diener des Herrn gelebt hatten, der jetzt da vor der Gartentür stand, um auf die Landstraße hinauszugehen, fest entschlossen, das erste beste ledige weibliche Wesen zu heiraten, das ihm begegnete?

Konnte es der junge Ekenstedt sein, der eine so vornehme Erziehung erhalten und immer unter vornehmen Leuten gelebt hatte, der nun Gefahr lief, das erste beste Mädchen, das ihm in den Weg lief, zur Frau nehmen zu müssen? Wusste er nicht, dass es eine Schwatzbase, ein Faulpelz, eine dumme Gans, eine Giftnudel, eine Schlampe oder eine Dirne sein konnte, mit der er zusammentraf?

Wusste er nicht, dass er sich auf die gefährlichste Wanderung seines ganzen Lebens begab?

Karl Artur stand einen Augenblick an der Gartentür still und lauschte auf die Verwunderung, die von Baum zu Baum, von Blume zu Blume ging.

Jawohl, er wusste es, diese Wanderung war verhängnisvoll und gefährlich. Aber er wusste noch mehr: Während dieses ganzen Sommers hatte er die Welt mehr geliebt als Gott. Er wusste, Charlotte Löwensköld war eine Gefahr für seine Seele gewesen, und er wollte zwischen ihr und sich eine Scheidewand aufrichten, die sie nie würde durchbrechen können.

Und er wusste noch weiter – in dem Augenblick, wo er Charlotte aus seinem Herzen riss, öffnete sich dieses wieder für Christum. Er wollte seinem Erlöser zeigen, dass er ihn ohne Maß und ohne Grenzen liebte und sich unbedingt auf ihn verließ. Darum wollte er jetzt auch Christus eine Frau für sich auswählen lassen. Es war ein großes, ein furchtbares Vertrauen, das er in ihn setzte und das er nun beweisen wollte.

Er hatte keine Angst, während er da an der Gartentür der Propstei stand und die Straße entlangschaute. Nein, er hatte keine Angst, aber eins fühlte er doch, nun bewies er den größten Mut, den ein Mensch zeigen konnte. Er bewies ihn, indem er sein Geschick ohne Vorbehalt in Gottes Hand legte.

Das Letzte, was er tat, ehe er von der Gartentür wegging, war, ein Vaterunser zu beten. Und während des Gebetes wurde es still in ihm.

Auch seine äußere Ruhe kehrte zurück. Die heiße Röte schwand aus seinem Gesicht, und sein Kinn zitterte nicht mehr.

Als er nun anfing, dem Kirchdorf zuzugehen, wie er musste, wenn er Menschen begegnen wollte, war er doch nicht ganz frei von Anfechtung.

Er war noch nicht weiter als bis zum Ende des Zaunes um die Propstei gekommen, als er auch schon stehen blieb. Der arme furchtsame Mensch in ihm war es, der ihn anhielt. Er dachte daran, dass er vor einer Stunde, als er vom Kirchdorf herkam, gerade an dieser Stelle dem tauben Bettelweib Karin Johannstochter in ihrem verschlissenen Schal, ihrem zerlumpten Rock und mit dem Bettelsack auf dem Rücken begegnet war. Sie war gewiss früher einmal verheiratet gewesen, aber schon seit vielen Jahren Witwe und konnte also unter die Ledigen gezählt werden.

Der plötzliche Gedanke, er könnte dieser Person begegnen, hatte ihn aufgehalten.

Aber er verhöhnte den armseligen, furchtsamen, sündigen Menschen, der in seiner Brust wohnte, weil dieser geglaubt hatte, er habe die Macht, ihn an der Ausführung seines Vorsatzes zu hindern, und so setzte er seine Wanderung fort.

Nach wenigen Sekunden hörte er Wagengerassel hinter sich. Gleich darauf fuhr ein Gefährt vorbei, das von einem prächtigen Renner gezogen wurde.

In dem Gefährt saß einer der mächtigen stolzen Grubenbesitzer dieser Gegend, ein Mann, der so viele Bergwerke und Eisenhämmer besaß, dass er an Rang Schagerström gleichgestellt wurde. An seiner Seite saß seine Tochter, und wenn er von der andern Richtung hergefahren gekommen wäre, so hätte der junge Geistliche sich gezwungen gesehen, seinem Gelübde entsprechend dem stolzen Mann ein Zeichen zum Anhalten zu geben, damit er um die Tochter hätte werben können.

Es war nicht leicht zu sagen, welchen Ausgang dieses Unternehmen genommen hätte. Ein Peitschenhieb übers Gesicht wäre nicht undenkbar gewesen. Der Grubenbesitzer Aron Månsson war gewöhnt, seine Töchter mit Grafen und Baronen, aber nicht mit Hilfsgeistlichen zu vermählen.

Aufs Neue wurde dem armen sündigen Menschen, der in Karl Arturs Brust wohnte, Angst und Bange. Er riet ihm umzukehren, die Sache sei doch allzu gefährlich.

Aber das neue tapfere Gotteskind, das ebenfalls in ihm wohnte, erhob seine jubelnde Stimme. Es freute sich, sein Vertrauen und seinen Gehorsam beweisen zu können.

Zur rechten Seite der Straße erhob sich ein steiler Bergrücken, dessen Hänge mit jungen Tannen, kleinen Birken und wilden Kirschbäumen bestanden waren. Durch das dichte Gestrüpp kam jemand daher und sang. Karl Artur konnte die Sängerin nicht sehen, aber die Stimme war ihm wohlbekannt. Sie gehörte der schlampigen Tochter des Gastwirts, die jedem Burschen nachlief. Sie war Karl Artur schon ganz nahe. Jeden Augenblick konnte es ihr einfallen, in die Landstraße einzubiegen.

Unwillkürlich trat Karl Artur leise auf, damit seine Schritte von der Sängerin nicht gehört würden. Er sah sich auch ab und zu nach einer Möglichkeit um, von dem Weg auf die Landstraße abzubiegen.

Auf der anderen Straßenseite lag eine Wiese, auf der eine Kuhherde graste. Aber die Kühe waren nicht allein, ein Mädchen war eben dabei, sie zu melken. Auch diese Person war Karl Artur nicht unbekannt. Es war die Stallmagd des Pächters der Propstei, groß wie ein Mann und mit drei unehelichen Kindern. Karl Arturs ganzes Sein und Wesen ward von Entsetzen ergriffen, aber ein Gebet zu Gott hinaufsendend ging er doch weiter. Die Wirtstochter sang drin im Gehölz, die große Stallmagd war mit dem Melken fertig und schickte sich zum Heimgehen an, aber keine von beiden kam auf den Weg heraus. Karl Artur begegnete ihnen nicht, obgleich er sie sah und hörte.

Der arme, sündige alte Mensch in ihm kam nun mit einem neuen Einwand. Er sagte zu ihm, vielleicht wolle Gott ihm diese beiden leichtsinnigen Frauen zeigen, nicht so sehr, um seinen Glauben und seinen Mut zu prüfen, sondern um ihn zu warnen. Vielleicht wolle er ihm zu verstehen geben, dass er töricht und leichtsinnig handele.

Aber Karl Artur brachte den schwachen, schwankenden Sünder in sich zum Schweigen und ging auf dem eingeschlagenen Weg weiter. Sollte er wegen so wenig nachgeben? Sollte er mehr an seine Angst als an Gottes Macht glauben?

Nun endlich kam ihm eine weibliche Person entgegen; dieser konnte er nicht ausweichen.

Obgleich sie noch in ziemlicher Entfernung war, erkannte er doch, wer es war, nämlich die Tochter des Häuslers Matt Elis, deren ganzes Gesicht durch ein Muttermal entstellt war. Und nicht genug, dass das arme Mädchen ein unbehagliches Aussehen hatte, nein, sie war auch vielleicht das ärmste Mädchen im ganzen Kirchspiel, dazu ohne Vater und Mutter und zehn unversorgten Geschwistern behaftet.

Karl Artur hatte sie schon wiederholt in ihrer ärmlichen Hütte aufgesucht, wo es von zerlumpten, schmutzigen Kindern wimmelte, die die Älteste vergeblich zu kleiden und zu ernähren versuchte.

Karl Artur fühlte, wie ihm der Angstschweiß auf der Stirn ausbrach; aber dann faltete er die Hände und ging ruhig weiter.

»Es geschieht ihretwegen, damit sie Hilfe bekommt«, murmelte er, während er ihr näher kam.

Ach, ein wahres Märtyrertum tauchte vor Karl Arturs Seele auf! Aber er wollte in dieser Beziehung vor nichts zurückweichen. Vor diesem bettelarmen Mädchen fühlte er keinen so großen Widerwillen wie vorhin vor der Wirtstochter und der Stallmagd. Von dieser hatte er nichts als Gutes gehört.

Doch siehe, als sie nur noch zwei Schritte voneinander entfernt waren, bog sie vom Weg ab. Irgendjemand hatte sie vom Wald her angerufen, und sie verschwand rasch in dem Gebüsch.

Als die Häusler-Elis nun aus dem Spiel war, hatte Karl Artur doch die Empfindung, als sei ihm ein sehr schwerer Stein vom Herzen gefallen.

Jetzt fühlte er neue Zuversicht, und er ging hoch erhobenen Hauptes weiter, ebenso stolz, wie wenn es ihm geglückt wäre, die Stärke seines Glaubens zu beweisen, indem er wie Petrus auf dem Wasser ging.

»Gott ist mit mir«, sagte er. »Christus begleitet mich auf meinem Weg und hält seinen Schild über mir.«

Diese Gewissheit trug ihn empor, und sie erfüllte ihn mit Seligkeit.

»Jetzt kommt bald die Rechte«, dachte er. »Christus hat mich geprüft, und er hat gesehen, dass es mir ernst ist. Nein, ich weiche nicht zurück. Meine Erwählte ist im Anzug.«

Eine Minute später hatte er die kurze Wegstrecke zurückgelegt, die die Propstei von dem Kirchdorf trennt, und er wollte eben in die Dorfstraße einbiegen, als sich die Tür eines kleinen Hauses öffnete und ein junges Mädchen heraustrat. Sie ging durch das Vorgärtchen, das sich auch hier, wie vor allen anderen Häusern der kleinen Ortschaft, ausbreitete, und von da gerade zu Karl Artur auf den Weg hinaus.

Und so plötzlich war sie da aufgetaucht, dass nur noch zwei Schritte zwischen ihnen lagen, als Karl Artur ihrer ansichtig wurde.

Er hielt jäh an, und sein erster Gedanke war: »Das ist sie, das ist sie! Hab ich es nicht gesagt? Gerade jetzt musste sie mir in den Weg kommen, ich wusste es wohl.«

Darauf faltete er die Hände, um Gott für seine große, wunderbare Gnade zu danken.

Das Mädchen, das ihm entgegenkam, war nicht in diesem Kirchspiel zu Hause, sondern stammte aus einem der nördlichen Dörfer in Dalarne; sie zog umher und trieb einen Hausierhandel. Sie trug die Tracht ihres Heimatbezirkes, ihr Anzug war rot, grün, weiß und schwarz, und in Korskyrka, wo die alte Dorftracht längst abgeschafft worden war, leuchtete sie wie eine wilde Rose im Hag. Und im Übrigen war sie selbst noch viel schöner als ihre Kleidung. Ihr Haar lockte sich um eine prachtvolle Stirn, die auch sehr hoch erschien, und die Gesichtszüge waren edel geformt. Aber vor allem waren es die tiefen traurigen Augen und die dichten schwarzen Brauen, die für das Antlitz entscheidend waren. Sobald man diese Augen sah, war man vollständig überzeugt, dass sie jeglichem Gesicht Schönheit verleihen würden. Dazu war ihre Gestalt groß, stattlich, nicht gerade schlank, aber gut gebaut. Ja, sie war gesund und frisch, darüber hätte niemand auch nur einen Augenblick im Zweifel sein können. Auf dem Rücken trug sie einen großen, schwarzen, ledernen Ranzen mit Handelswaren gefüllt, aber trotzdem schritt sie ganz aufrecht einher und bewegte sich mit einer Leichtigkeit, als wisse sie gar nichts von irgendeiner Last.

Was Karl Artur betrifft, so fühlte er sich beinahe geblendet.

»Das ist der Sommer, der mir entgegenkommt«, sagte er zu sich selbst. Ja, der reiche, warme, blühende Sommer war’s, der in diesem ganzen Jahr schon geherrscht hatte. Wenn er ihn hätte malen können, so hätte das Bild genauso ausgesehen wie dieses Mädchen.

Aber wenn es der Sommer war, der ihm da entgegenkam, so war es wahrlich kein Sommer, vor dem er sich zu fürchten brauchte. Im Gegenteil! Gottes Absicht war, dass er ihn an sein Herz nehmen und sich über dessen Schönheit freuen solle. Er brauchte keine Besorgnis zu hegen. Diese, seine Braut, so farbenprächtig und schön sie auch war, sie kam aus fernen Gebirgsgegenden, aus Armut und Niedrigkeit. Sie wusste nichts von den Verlockungen des Reichtums oder von der seltsamen Liebe für die irdischen Dinge, durch die die Leute im flachen Land den Schöpfer über der Schöpfung vergessen. Sie, diese Tochter der Armut, würde nicht zaudern, sich mit einem Mann zu verbinden, der sein ganzes Leben lang arm zu bleiben gedachte.

In Wahrheit, nichts ging über die Weisheit Gottes. Er wusste, was ihm, Karl Artur, vonnöten war. Nur mit einem Wink seiner Hand stellte ihm Gott dieses junge Mädchen in den Weg, das besser für ihn passte als jedes andere.

Der junge Geistliche war so in seine eigenen Gedanken versunken, dass er nicht die leiseste Bewegung machte, um sich dem schönen Mädchen aus Dalarne zu nähern. Aber sie, die wohl merkte, wie er sie mit den Augen verschlang, konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken.

»Du starrst mich ja an, als sei dir ein Bär in den Weg gelaufen«, sagte sie.

Jetzt lachte Karl Artur auch. Merkwürdig, wie leicht es ihm plötzlich geworden war!

»Nein«, sagte er, »nein, ein Bär war es nicht, den ich zu sehen meinte.«

»Dann war es am Ende die böse Waldhexe; die Leute sagen, die Männer würden von ihrem Anblick so gebannt, dass sie sich nicht mehr vom Fleck rühren könnten.«

Sie lachte und zeigte dabei die schönsten, blendend weißen Zähne. Dann wollte sie an Karl Artur vorbeigehen, aber rasch hielt er sie zurück.

»Du darfst noch nicht gehen, denn ich muss mit dir reden. Setz dich hier mit mir auf den Grabenrand!«

Bei dieser Aufforderung sah sie ihn höchst verwundert an, glaubte aber, er werde ihr wohl einiges von ihren Waren abkaufen wollen.

»Aber hier auf der Landstraße kann ich meinen Ranzen nicht aufmachen«, wandte sie ein.

Doch gleich darauf ging ihr ein Licht auf.

»Aber bist du denn nicht der Pfarrer hier im Kirchspiel? Ich meine doch, ich hätte dich gestern auf der Kanzel gesehen.« Karl Artur fühlte sich sehr beglückt, weil sie ihn predigen gehört hatte und wusste, wer er war.

»Gewiss war ich der Prediger, der gestern in der Kirche predigte, ich bin jedoch nur der Hilfsgeistliche, verstehst du?«

»Aber du wohnst doch wohl in der Propstei? Ich bin gerade auf dem Weg dahin. Komm dann nur in die Küche heraus, da kannst du mir meinen ganzen Sack voll abkaufen.«

Sie meinte, nun werde er sich zufriedengeben; aber noch immer blieb der junge Mann ihr hindernd im Weg stehen.

»Ich will keine von deinen Waren kaufen«, sagte er, »sondern ich will dich fragen, ob du meine Frau werden willst.«

Er brachte die Worte nur mühsam heraus, denn er war in starker Erregung. Es war ihm, als sei sich die ganze Natur ringsum, die Vögel, das rauschende Laub der Bäume, das weidende Vieh, vollständig bewusst, welch ein feierliches Ereignis hier vor sich ging und als verhielte sich alles in Erwartung der Antwort des jungen Mädchens ganz, ganz ruhig.

Das Mädchen aus Dalarne wendete sich ihm hastig zu, wie um zu sehen, ob es ihm ernst sei, schien aber sonst ganz gleichgültig zu bleiben.

»Wir können uns heute Abend um zehn Uhr hier auf dem Weg wieder treffen«, sagte sie dann. »Jetzt hab ich erst meine Sachen zu besorgen.«

Dann setzte sie ihren Weg nach der Propstei fort, und Karl Artur ließ sie gehen. Er wusste, sie würde am Abend wieder hierherkommen, und ihre Antwort würde ein Ja sein. Sollte sie nun nicht die Braut sein, die Gott für ihn bestimmt hatte?

Er selbst fühlte keine Lust, nach Hause zu gehen und sich an die Arbeit zu setzen. Er schlug den Weg nach dem Hügel ein, um den sich die Straße herumschlängelte. Als er so weit in das Gebüsch hineingekommen war, dass ihn niemand mehr sehen konnte, warf er sich auf den Boden.

Welches Glück, welches wunderbare Glück! Welchen Gefahren war er doch entgangen! Wie merkwürdig waren doch die Ereignisse dieses Tages!

Mit einem Male war er von allen seinen Bekümmernissen befreit worden. Charlotte Löwensköld würde ihn nun nie mehr verlocken können, ein Sklave des Mammons zu werden. Von nun an würde er in Übereinstimmung mit seiner Neigung leben. Die einfache arme Gattin würde ihn in Jesu Fußstapfen wandeln lassen. Er sah die kleine graue Behausung vor sich; er sah die einfache, beglückende Lebensweise. Er sah auch die vollkommene Harmonie zwischen seiner Lehre und seinem Lebenswandel.

Lange lag er auf dem Waldboden und schaute hinauf in das vielästige Gezweig, durch das die Sonnenstrahlen hindurchzuschlüpfen versuchten. Und da war es Karl Artur, als wolle auf dieselbe Weise eine neue, Glück bringende Liebe in sein gekränktes und verletztes Herz eindringen.

Der Morgenkaffee

1

Eine Person gab es, die, wenn sie nur willig gewesen wäre, alles wieder hätte in Ordnung bringen können. Aber das wäre vielleicht zu viel begehrt gewesen von jemand, der Jahr um Jahr sein Herz immer nur mit Wünschen gefüllt hatte.

Allerdings ist es schwer zu beweisen, ob es im Großen und Ganzen einen Einfluss auf den Lauf der Welt haben kann, wenn man sich nur immerfort etwas wünscht, aber dass es einen selbst ganz überwältigen, den Willen schwächen und das Gewissen zum Schweigen bringen kann, daran soll man nun und nimmer zweifeln.

Frau Sundler hatte sich den ganzen Montagnachmittag gegrämt, weil sie über Charlotte jenen Ausspruch getan hatte, der Karl Artur verjagte. Lieber Himmel, er war hier unter ihrem Dach gewesen, hatte höchst vertraulich mit ihr geredet, war liebenswürdiger gewesen, als sie sich jemals hätte träumen lassen, und sie, in ihrem Unverstand, hatte ihn so gekränkt, dass er erklärt hatte, er wolle sie niemals wiedersehen!

Frau Sundler war dann über sich selbst und über die ganze Welt höchst aufgebracht gewesen, und als ihr Mann, Organist Sundler, vorschlug, sie solle mit ihm in die Kirche hinübergehen und eine Weile singen, was sie an den Sommerabenden sehr oft taten, hatte sie ihn sehr barsch abgewiesen. Darauf war er aus dem Haus entflohen und hatte im Wirtshaus Zuflucht gesucht.

Das vermehrte natürlich ihren Ärger noch mehr, denn sie wollte sowohl anderen als auch sich selber gegenüber tadellos sein; auch wusste sie eins recht wohl: Organist Sundler hatte sie nur geheiratet, weil er ihren Gesang so außerordentlich bewunderte, dass er jeden Tag Gelegenheit haben wollte, ihn zu hören.

Sie hatte auch bisher redlich abbezahlt, was sie ihm dafür schuldig war, dass sie nun ein hübsches kleines Haus hatte und nicht ihr tägliches Brot als arme Erzieherin verdienen musste. Aber an diesem Tage war sie nicht dazu imstande. Wenn sie an diesem Abend ihre Stimme in Gottes Haus hätte ertönen lassen, wären nicht wohllautende fromme Worte über ihre Lippen geströmt, sondern Klagerufe und Lästerung.

Aber zu ihrer großen, unbeschreiblichen Freude war Karl Artur so gegen halb neun Uhr wieder zu ihr gekommen. Froh und ohne jegliche Verlegenheit war er eingetreten und hatte gefragt, ob sie ihm etwas zu essen geben wolle. Bei diesem Verlangen hatte sie allerdings ein wenig verwundert ausgesehen, und da hatte er erklärt, er habe den ganzen Nachmittag im Wald draußen gelegen und geschlafen. Er sei wohl übermäßig müde gewesen, denn er habe nicht allein das Mittagessen verschlafen, sondern auch noch das Abendbrot versäumt, das in der Propstei immer Punkt acht Uhr auf dem Tisch stehe. Ob wohl Frau Sundler etwas Brot und Butter im Hause habe, damit er seinen schrecklichen Hunger stillen könne.

Frau Sundler war nicht umsonst die Tochter einer so ausgezeichneten Haushälterin wie Malwina Spaak. Niemand hätte ihr nachsagen können, ihr Haus sei nicht in Ordnung, und so trug sie eiligst nicht allein Brot und Butter, sondern auch Eier und Schinken und Milch aus ihrer Speisekammer herbei.

Und in ihrer Freude darüber, dass Karl Artur wiedergekommen war und Hilfe von ihr begehrte wie von einer alten, guten Freundin, die von dem mütterlichen Gut stammte, fand sie ihre Sicherheit einigermaßen wieder, sodass sie ihm sagen konnte, wie sehr betrübt sie sei, weil sie am Vormittag etwas Verletzendes über Charlotte gesagt hatte. Er habe doch wohl nicht gedacht, sie wolle zwischen ihm und seiner Braut Unkraut säen?

Nein, nein sie verstehe zwar recht wohl, welch ein schöner Beruf das Unterrichtgeben sei, jawohl, das sei es, aber sie könne darum doch nicht anders als innigst hoffen, ja, jeden Tag Gott darum bitten, der Herr Pastor Ekenstedt möchte auch künftig hier im Dorf als Pfarrer bleiben. Man wäre ja sonst ganz verlassen, weil man so selten eine lebendige Verkündigung zu hören Gelegenheit habe.

Und natürlich antwortete Karl Artur, wenn jemand um Entschuldigung zu bitten habe, so sei er der schuldige Teil. Im Übrigen solle sie ihre Worte nicht bereuen. Die Vorsehung selbst habe sie ihr in den Mund gelegt, das wisse er jetzt; sie seien ihm eine Hilfe und eine Erweckung gewesen.

Danach hatte das eine Wort das andere gegeben, und schon nach Kurzem hatte ihr Karl Artur alles anvertraut, was ihm widerfahren war, seit er sich von ihr getrennt hatte. Er war ganz überströmend glücklich und von Verwunderung über Gottes große Gnade erfüllt, deshalb konnte er jetzt nicht schweigen, sondern musste einem seiner Mitmenschen alles miteinander erzählen.

Es war ja ein reines Glück, dass ihm diese Thea Sundler, die durch ihre Mutter schon vorher alle Familienverhältnisse kannte, in den Weg gekommen war.

Aber als Frau Sundler demgemäß Karl Artur von seiner aufgelösten sowie von der neu eingegangenen Verlobung reden hörte, da hätte sie begreifen müssen, was nachfolgen würde. Unglück musste daraus entstehen, jawohl. Sie hätte wissen müssen, dass Charlotte nur aus Störrigkeit und Ärger auf die Fragen ihres Bräutigams über ihre Vorliebe für das Bischofsamt mit Ja geantwortet hatte. Und noch eins hätte sie verstehen müssen: Diese Verbindung mit dem Mädchen aus Dalarne war keineswegs schon so fest geknüpft, dass sie nicht möglicherweise noch zu lösen sein würde.

Aber wenn man sich Jahr um Jahr immerfort gewünscht hat, auf irgendeine Weise mit einem entzückenden jungen Mann in Verbindung zu kommen, seine Freundin und Vertraute, aber durchaus nichts anderes zu werden, kann man dann stark genug sein, ihm verständig zuzureden, und zwar gleich beim ersten Male, da er einem seine Seele nackt und bloß offenbart? Vielleicht war es unmöglich, etwas anderes von Thea Sundler zu verlangen, als in Bewunderung und Teilnahme für den jungen Mann ganz und gar aufzugehen und zu finden, dass diese Wanderung nach dem Kirchdorf eine richtige Heldentat war. Oder hätte sie versuchen sollen, Charlotte reinzuwaschen? Hätte man das von Thea Sundler verlangen können? Hätte sie zum Beispiel Karl Artur daran erinnern sollen, dass Charlotte, trotzdem sie ein großes Talent hatte, für andere zu sorgen und alles in Ordnung zu bringen, für sich selbst höchst selten die richtige Klugheit bei der Hand hatte?

Es war ja möglich, dass Karl Artur seiner Sache doch nicht so sicher war, wie er sich den Anschein gab. Ein kleiner Einwurf hätte ihn vielleicht an sich selbst zweifeln lassen. Ein aufrichtiges Entsetzen hätte ihn vielleicht dazu gebracht, von dieser neuen Verlobung abzusehen.

Aber Frau Sundler tat nichts, um ihn aufzuscheuchen und zu warnen. Sie fand alles ganz ausgezeichnet und herrlich. Wie schön, sein Schicksal so in Gottes Hand zu legen! Wie groß, so die Geliebte aus seinem Herzen zu reißen, um in Jesu Fußstapfen zu wandeln! Nein, Karl Artur wurde nicht aufgeschreckt, er wurde im Gegenteil ermuntert, noch weiter zu gehen.

Und wer weiß? Frau Sundler war vielleicht ganz aufrichtig? Sie hatte ihren Almquist und Stangnelius auf dem Tisch in ihrer guten Stube liegen, und sie war überdies romantisch vom Scheitel bis zur Sohle. Und hier hatte sie nun endlich ein Erlebnis. Hier hatte sie etwas, worüber sie entzückt sein konnte.

In Karl Arturs ganzer Darstellung war nur ein einziger Punkt, der Frau Sundler beunruhigte. Wie konnte denn das zusammenhängen, dass Charlotte Schagerström abgewiesen hatte? Wenn sie so eifrig auf irdische Vorteile aus war, wie Karl Artur behauptete, und das wollte auch Frau Sundler gar nicht bestreiten, warum hatte sie dann Schagerströms Werbung abgewiesen? Was konnte Gutes für sie dabei herauskommen, wenn sie Schagerström abwies? Was erwartete sie denn?

Aber während Frau Sundler über all dies nachgrübelte, ging ihr plötzlich ein Licht auf. Nun begriff sie alles miteinander, ja, sie begriff Charlotte. Diese hatte ein hohes Spiel gespielt, aber Thea Sundler begriff es.

Charlotte hatte sofort bereut, Schagerström abgewiesen zu haben, und so hatte sie gewünscht, frei zu werden, um dem reichen Hüttenbesitzer eine andere Antwort geben zu können.

Deshalb, ja deshalb hatte sie einen Auftritt mit Karl Artur herbeigeführt, ihn so gereizt, dass er mit ihr gebrochen hatte. Das war die Erklärung. So verhielt es sich zweifellos.

Diese ihre Entdeckung teilte Frau Sundler nun Karl Artur mit; aber er wollte ihr nicht glauben. Sie erklärte und suchte ihm zu beweisen, aber er wollte ihr durchaus nicht glauben. Doch auch Frau Sundler gab nicht nach, o nein! In dieser Sache wagte sie es sogar, ihm zu widersprechen.

Als die Uhr zehn Schläge hören ließ und er sich auf den Weg zu dem Mädchen aus Dalarne machen musste, waren sie über diesen Punkt noch immer nicht einig geworden. Frau Sundler hatte nicht mehr erreicht, als dass Karl Artur vielleicht ein wenig zweifelhaft geworden war. Sie aber hielt ihrerseits bestimmt an ihrer Meinung fest. Sie versicherte ihm aufs Allergewisseste, er werde sehen, am nächsten Tag oder jedenfalls an einem der allernächsten Tage werde sich Charlotte mit Schagerström verloben.

Ja, so war es zugegangen: Thea Sundler hatte die Sache nicht wieder gutgemacht, sie hatte im Gegenteil einen neuen Zornesbrand in Karl Arturs Seele geworfen. Und etwas anderes hätte man vielleicht auch niemals von ihr erwarten können.

Aber es gab ja auch noch jemand, der gern helfen und wieder gutmachen wollte, und dieser Jemand war Charlotte. Ja gewiss, gewiss, aber was hätte gerade sie dabei tun können? Karl Artur hatte sie aus seinem Herzen gerissen wie ein Unkraut. Sie stand zwischen ihm und seinem Gott. Sie war nicht mehr für ihn vorhanden.

Und selbst, wenn er auf sie hätte hören wollen – könnte man sich denken, dass Charlotte die rechten Worte finden würde, könnte man sich denken, dass sie, das junge heftige Wesen, Verstand genug hätte, um den Stolz beiseitezuschieben und die guten, sanften, versöhnenden Worte zu sagen, die den Geliebten retten könnten?

2

Als Karl Artur am nächsten Morgen seinen gewöhnlichen Weg vom Seitenflügel ins Hauptgebäude hinüber, wo er seinen Morgenkaffee einzunehmen pflegte, zurücklegte, blieb er einmal ums andere einen Augenblick stehen, um die frische Morgenluft einzuatmen, den samtenen Glanz auf den betauten Rasenflächen, die stolze Farbenpracht der Levkojen und das frohe Summen honigsaugender Bienen zu bewundern.

Er empfand mit angenehmer Befriedigung, dass er eigentlich erst von heute an, nachdem er sich von den Verlockungen des weltlichen Lebens frei gemacht hatte, mit vollkommenem Wohlbehagen die herrliche Natur genießen konnte.

Als er ins Esszimmer trat, fand er zu seiner Überraschung Charlotte vor, die ihn ganz wie gewöhnlich begrüßte. Seine freundliche Stimmung verwandelte sich infolgedessen rasch in eine leichte Verdrießlichkeit. Er seinerseits hatte geglaubt, er sei frei und der Streit sei ausgekämpft. Charlotte dagegen schien nicht der Auffassung zu sein, dass der gestrige Bruch zwischen ihnen entschieden und unwiderruflich sei.

Er sagte flüchtig guten Morgen, weil er doch nicht geradezu unhöflich sein wollte, aber er tat, als bemerke er ihre ihm entgegengestreckte Hand nicht, sondern ging geradewegs auf den Esstisch zu und ließ sich da nieder.

Er glaubte, er hätte ihr damit genug gezeigt, dass sie sich nicht weiter um ihn kümmern solle; aber Charlotte wollte ihn offenbar nicht verstehen, sondern blieb da, um ihm Gesellschaft zu leisten.

Obgleich er sich hütete, die Augen aufzuschlagen, damit er nicht ihrem Blick begegnete, war ihm bei dem ersten kurzen Blick, den er beim Eintreten auf Charlotte geworfen hatte, etwas aufgefallen. Ihre sonst so blühende Hautfarbe sah ganz fahl aus, und ihre Augen waren rot umrändert. Ihr ganzes Aussehen legte Zeugnis davon ab, dass sie die Nacht durchwacht und vielleicht in Gewissensqualen verbracht hatte.

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