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Zehntes Kapitel

Adrian Löwensköld lag in seinem Giebelzimmer auf dem Bodenraum in festem Schlaf, als er durch ein leichtes Geräusch geweckt wurde. Er schlug die Augen auf, und da die Fensterladen nicht verschlossen waren und draußen helle Sommernacht herrschte, sah er deutlich, wie die Tür aufging. Er glaubte, ein Windstoß habe sie geöffnet, sah aber jetzt eine dunkle Gestalt in die Türöffnung treten, die, sich etwas vorbeugend, in das Zimmer hineinspähte.

Adrian unterschied ganz deutlich einen alten Mann in einer altmodischen Reiteruniform. Ein Elchlederkoller zeigte sich unter dem etwas aufgeknöpften Rock. Die Stiefel reichten bis an die Knie, und den langen Haudegen hielt er erhoben, wie um nicht damit zu rasseln.

»Wahrhaftig, das ist der General!«, dachte der junge Baron. »Das ist recht. Hier kann er jemand sehen, der keine Angst vor ihm hat.«

Alle die anderen, die den General gesehen hatten, pflegten zu sagen, er verschwinde, sobald man den Blick auf ihn richte. Aber das geschah jetzt nicht. Noch eine gute Weile, nachdem Adrian ihn entdeckt hatte, blieb der General in der Tür stehen. Nach einigen Minuten jedoch, als er sich vergewissert zu haben schien, dass Adrian seinen Anblick ertragen konnte, hob er eine Hand auf und winkte ihn zu sich her.

Adrian setzte sich sofort im Bett auf. »Jetzt oder nie«, dachte er. »Jetzt endlich verlangt er meine Hilfe, und ich werde ihm folgen.«

Tatsächlich hatte er seit vielen Jahren auf diesen Augenblick gewartet. Er hatte sich darauf vorbereitet, ja, seinen Mut im Hinblick darauf gestärkt. Immer hatte er gewusst, dass das etwas war, was er durchmachen musste. Er wollte den General nicht warten lassen, und ganz so, wie er aus dem Bett kam, folgte er ihm; nur ein Betttuch riss er noch an sich und hüllte sich darein.

Erst als er mitten im Zimmer stand, fiel ihm ein, es könnte am Ende doch eine gefährliche Sache sein, wenn er sich so ohne Weiteres einem Wesen aus der andern Welt überließe, und er wich etwas zurück. Da aber sah er, dass der General wie in verzweifeltem Flehen beide Hände nach ihm ausstreckte.

»Was sind das für Dummheiten?«, dachte Adrian. »Soll ich mich fürchten, bevor ich nur das Zimmer verlassen habe?«

Er näherte sich der Tür, der General schritt vor ihm auf den Bodenraum hinaus, ging aber dabei immer rücklings, wie um sich zu vergewissern, dass der junge Mann ihm folgte.

Als Adrian über die Schwelle treten und das Zimmer verlassen wollte, um sich auf den Bodenraum hinauszubegeben, überfiel ihn wieder ein kalter Schauder. Etwas sagte ihm, er solle die Tür zuschlagen und in sein Bett zurückeilen. Er begann zu ahnen, dass er seine Kräfte überschätzt hatte. Er gehörte nicht zu denen, die, ohne Schaden zu nehmen, in die Geheimnisse der andern Welt hineinzuschauen vermögen.

Immerhin war ihm wohl ein kleiner Rest Mut verblieben. Er redete sich selbst gut zu und sagte sich, der General werde ihn doch sicherlich nicht in Gefahren locken wollen. Er werde ihm nur zeigen wollen, wo der Ring sich befand. Wenn er nur noch ein paar Minuten aushalte, würde er das erreichen, was er so viele Jahre erstrebt hatte, und den armen Wanderer der ewigen Ruhe zuführen.

Der General war mitten auf dem Dachboden stehen geblieben, um auf Adrian zu warten. Es war hier etwas dunkler, Adrian aber sah deutlich die dunkle Gestalt mit den flehend ausgestreckten Händen. Er ermannte sich aber, trat über die Schwelle, und die Wanderung begann aufs Neue. Der Geist strebte der Treppe zu, und als er Adrian hinter sich herkommen sah, begann er hinunterzusteigen. Noch immer ging er rücklings, machte auch auf jeder Stufe halt und schleppte so den zaudernden Jüngling durch die Macht seines Willens mit sich weiter.

Es war eine langsame Wanderung mit vielen Unterbrechungen, aber sie wurde doch fortgesetzt. Adrian versuchte, sich Mut einzuflößen, indem er sich daran erinnerte, wie oft er vor seinen Schwestern damit geprahlt hatte, er werde dem General folgen, wann immer er ihn riefe. Und er rief sich auch ins Gedächtnis zurück, wie er seit seiner Kindheit vor Verlangen gebrannt hatte, das Unbekannte zu erforschen und in das Verschlossene einzudringen. Und nun war der große Augenblick gekommen; jetzt folgte er einem Gespenst in das Ungewisse hinaus. Sollte seine elende Feigheit ihn nun daran hindern, endlich etwas zu erfahren?

Auf diese Weise zwang er sich auszuhalten, doch hütete er sich, dem Gespenst ganz nahe zu kommen. So blieben sie immer durch ein paar Ellen Zwischenraum voneinander getrennt. Als Adrian auf der Mitte der Treppe stand, befand sich der General schon unten, und als Adrian auf der untersten Stufe ankam, war der General unten im Flur.

Hier aber blieb Adrian wieder stehen. Zur rechten Hand dicht neben der Treppe hatte er die Tür zum Schlafzimmer der Eltern. Er legte die Hand auf die Klinke, jedoch nicht, um zu öffnen, sondern nur, um sie liebevoll zu streicheln. Wenn die Eltern wüssten, dass er in dieser Gesellschaft hier draußen vor ihrer Tür stand! – Er sehnte sich danach, sich in die Arme seiner Mutter zu werfen. Es war ihm, als liefere er sich dem General vollständig aus, sobald er die Türklinke losließe.

Während er noch so mit der Hand auf der Türklinke dastand, sah er, wie die eine Flurtür aufgemacht wurde und der General über die Schwelle trat, um ins Freie hinauszugehen.

Auf dem Dachboden und auch auf der Treppe war es ganz dämmerig gewesen, durch die Türöffnung aber strömte mehr Licht herein, und in dieser Helle sah Adrian nun zum ersten Male die Gesichtszüge des Generals.

Es war, wie Adrian erwartet hatte, das Gesicht eines alten Mannes, das er von dem Gemälde im Salon recht gut kannte. Über diesen Zügen aber lag nicht die Ruhe des Todes, sie drückten eine wilde Begierde aus, und um den Mund schwebte ein unheimliches Lächeln von Triumph und Siegesgewissheit.

Aber dies zu sehen, nämlich wie irdische Leidenschaften sich bei einem Toten widerspiegelten, war etwas Erschreckendes. Weit, weit entfernt von den Leidenschaften und den sinnlichen Lüsten der Menschen wollen wir uns unsere Toten denken. Weit entfernt von allem Irdischen wollen wir sie sehen, nur allein von himmlischen Dingen erfüllt. In diesem Wesen aber, das sich an das Irdische anklammerte, glaubte Adrian einen Verführer zu erblicken, einen bösen Geist, der ihn ins Verderben ziehen wollte.

Er wurde von Entsetzen überwältigt. In besinnungsloser Angst riss er die Tür zum Schlafzimmer der Eltern auf, stürzte hinein und rief: »Vater! Mutter! Der General!«

Und in demselben Augenblick fiel er ohnmächtig zu Boden.

Die Feder entfällt meiner Hand. Ist es nicht zwecklos, all dies niederzuschreiben? Mir ist diese Geschichte in der Dämmerung am Kaminfeuer erzählt worden. Die überzeugende Stimme klingt mir noch in den Ohren. Ich fühle, wie mir der richtige Gespensterschauder noch über den Rücken läuft, dieser Schauder, der sich nicht nur vor Schrecken, sondern auch vor Erwartung einstellt.

Wie gespannt lauschten wir doch dieser Geschichte, gerade, weil sie einen Zipfel von dem Schleier des Unerforschlichen zu lüften schien! Welche merkwürdige Stimmung hinterließ sie doch, wie wenn nun endlich etwas aus dem großen Dunkel hervortreten müsste!

Wie viel ist daran wahr? Die eine Erzählerin hat sie von der andern geerbt, die eine hat etwas dazugetan, die andere einiges weggelassen. Aber enthält sie nicht wenigstens einen kleinen Kern Wahrheit? Macht sie nicht den Eindruck, die Schilderung von etwas zu sein, was sich wirklich zugetragen hat?

Der Geist, der im Schloss Hedeby umging, der sich auch am helllichten Tag zeigte, der in den Gang des Haushalts eingriff, der verlorene Sachen wieder herbeischaffte – wer war es, was war er?

Zeigt sich nicht etwas ungewöhnlich Deutliches und Festes in seinem Auftreten? Unterscheidet er sich nicht durch eine gewisse Eigenart von den vielfältigen Herrenhofgespenstern? Sieht es nicht so aus, als habe Jungfer Spaak ihn wirklich die Äpfel an die Wand des Speisesaales werfen hören und als sei ihm der junge Baron Adrian tatsächlich über den Dachboden und die Bodentreppe hinunter gefolgt?

Aber hier in diesem Fall, hier in diesem Fall … vielleicht, dass einer von denen, die schon jetzt die Wirklichkeit sehen, die hinter der Wirklichkeit liegt, in der wir jetzt leben, das Rätsel deuten kann.

Elftes Kapitel

Der junge Baron Adrian lag bleich und bewegungslos in dem großen Bett der Eltern. Wenn man ihm den Finger auf das Handgelenk legte, fühlte man, wie das Blut noch durchströmte, aber fast unmerklich. Er war nach der tiefen Ohnmacht noch nicht wieder zur Besinnung gekommen, das Leben war jedoch noch nicht erloschen.

Im Kirchspiel Bro gab es keinen Arzt; ein Knecht war schon um vier Uhr morgens nach Karlstadt geritten, um zu versuchen, einen herbeizuschaffen. Immerhin musste man darauf gefasst sein, dass es einen oder auch zwei Tage dauern könnte, bis er sich einfand.

Die Baronin Löwensköld saß an der einen Seite des Bettes und wendete kein Auge von dem Gesicht des Sohnes. Sie schien zu glauben, der schwache Lebensfunke würde nicht erlöschen, solange sie, ihn unaufhörlich bewachend, am Bette saß.

Der Baron saß auch zeitweilig auf der andern Seite, ihm aber war es nicht möglich, sich ruhig zu verhalten. Er nahm die eine schlaffe Hand des Sohnes zwischen seine beiden und fühlte den Puls, er trat an das Fenster und schaute auf den Weg hinaus, er machte eine Runde durchs Zimmer, um auf die Uhr im Speisesaal zu sehen. Dabei beantwortete er die eifrigen Fragen, die in den Augen seiner Töchter und der Erzieherin zu lesen waren, mit einem Kopfschütteln und ging ins Krankenzimmer zurück.

Da hinein durfte außer Jungfer Spaak niemand kommen. Nicht die Töchter, auch keines der Dienstmädchen, nur die Jungfer. Sie hatte den rechten Gang, die rechte Stimme, sie passte in ein Krankenzimmer.

Jungfer Spaak war bei Adrians Aufschrei mitten in der Nacht aufgewacht. Als sie gleich darauf den schweren Fall hörte, war sie eiligst aufgesprungen und hatte sich, sie wusste nicht wie, in ihre Kleider geworfen; denn das gehörte zu ihren Weisheitsregeln, dass man niemals unbekleidet hinauslaufen soll, weil man sich dann nicht nützlich machen kann. Im Saal war sie der Baronin begegnet, die, um Hilfe herbeizurufen, rasch daherkam, und dann hatte sie mit den Eltern Adrian auf das große Doppelbett gehoben. Zuerst hatten alle drei geglaubt, er sei schon tot, dann aber hatte Jungfer Spaak eine kleine Bewegung am Puls des Handgelenks bemerkt.

Sie hatten einige der gewöhnlichen Wiederbelebungsversuche vorgenommen; der kleine Lebensfunke war aber äußerst schwach, und bei allem, was sie versuchten, schien er nur schwächer zu werden. Bald verloren sie den Mut und wagten nichts mehr zu tun.

Die Baronin hatte Jungfer Spaak gern um sich, weil sie ganz ruhig und felsenfest davon überzeugt war, dass Adrian bald wieder aufwachen würde. Sie ließ sich von der Jungfer alles tun, was diese wollte: das Haar kämmen und die Schuhe anziehen. Als das Kleid übergeworfen werden sollte, musste sie aufstehen, sie überließ es aber der Jungfer, das Kleid zuzuknöpfen und zurechtzuziehen, während sie kein Auge von dem Gesicht des Sohnes wendete.

Die Jungfer kam mit einer Tasse Kaffee herein und brachte sie durch hartnäckiges Zureden dazu zu trinken.

Die Baronin hatte das Gefühl, die Jungfer sei die ganze Zeit bei ihr drinnen. Jungfer Spaak aber war auch draußen in der Küche und sorgte dafür, dass die Leute ihr Essen wie gewöhnlich bekamen. Sie vergaß nichts. Sie war blass wie der Tod, aber sie versäumte keine ihrer Pflichten. Das Frühstück der Herrschaften stand zur rechten Zeit auf dem Tisch, und für den Hirtenbuben war der Rucksack bereit, als er mit den Kühen auf die Weide zog.

In der Küche fragten die Dienstboten, was denn dem jungen Herrn Baron zugestoßen sei, und die Jungfer sagte, das Einzige, was man wisse, sei, dass er zu den Eltern hineingestürzt sei und etwas vom General gerufen habe. Daraufhin sei er in Ohnmacht gefallen, und jetzt sei es unmöglich, ihn wieder zum Bewusstsein zu bringen.

»Eins ist sicher und gewiss, der General ist ihm erschienen«, sagte die Köchin.

»Ist es nicht merkwürdig, dass er einen von seiner eigenen Familie so unfreundlich behandelt?«, wunderte sich das Stubenmädchen.

»Ach, es ist ihm wohl die Geduld ausgegangen. Sie haben ja immer nur über ihn gelacht. Er will eben seinen Ring haben.«

»Du wirst doch nicht glauben, dass der Ring sich hier auf Hedeby befindet?«, sagte das Hausmädchen. »Er wäre ja imstande, uns das Haus über dem Kopf anzuzünden, um ihn wiederzubekommen.«

»Gewiss steckt der Ring hier in irgendeinem Winkel, sonst würde er doch nicht immerfort hier im Hause herumstreichen.«

Jungfer Spaak machte an diesem Tag eine Ausnahme von ihrer guten Regel, nie auf das zu hören, was die Dienstboten über ihre Herrschaft sagten.

»Was ist denn das für ein Ring, von dem ihr redet?«, fragte sie.

»Ja, weiß denn die Jungfer nichts davon? Der General geht hier um und sucht seinen Siegelring«, antwortete die Köchin, die sich über die Frage freute.

Sie und das Hausmädchen beeilten sich nun, Jungfer Spaak mit der Geschichte von der Plünderung des Grabes und dem Gottesurteil bekannt zu machen; und als die Jungfer das alles erfahren hatte, zweifelte sie keinen Augenblick daran, dass der Ring auf irgendeine Weise nach Hedeby gekommen war und da verborgen lag.

Ein Zittern überlief Jungfer Spaak, wie damals, als sie den General auf der Bodentreppe gesehen hatte. Das war es ja, was sie die ganze Zeit gefürchtet hatte. Nun wusste sie genau, wie grausam und unbarmherzig dieser Geist sein konnte. Und eins stand ihr klar und deutlich vor Augen: Wenn er seinen Ring nicht wiederbekam, dann musste Baron Adrian sterben.

Die Jungfer Spaak war indes kaum zu dieser Schlussfolgerung gelangt, als sie, die eine tatkräftige Person war, auch schon erkannte, was nun getan werden musste. Wenn sich der schreckliche Ring wirklich auf Hedeby befand, musste man ihn auch ausfindig machen können.

Sie ging zuerst in das Wohnhaus hinüber, warf einen Blick in das Krankenzimmer, wo alles noch war wie vorher, lief die Bodentreppe hinauf und machte das Bett in Adrians Zimmer zurecht, damit alles bereit wäre, falls es Adrian besser ginge und er hinaufgetragen werden könnte. Dann ging sie zu den Fräulein und der Erzieherin hinein, die ganz verschüchtert beisammensaßen und nicht fähig waren, irgend etwas vorzunehmen. Sie sagte ihnen von dem, was sie erfahren hatte, so viel, dass sie wussten, worum es sich handelte, und fragte sie dann, ob sie ihr helfen wollten, den Ring zu suchen.

Ja, damit waren sie sofort einverstanden. Die Fräulein und die Erzieherin übernahmen es, im Hause selbst, in den Zimmern und in den Bodenkammern zu suchen. Darauf begab sich Jungfer Spaak in den Küchenflügel und setzte alle Dienstmädchen in Bewegung.

»Der General zeigt sich ebenso oft in der Küche wie im großen Wohnhaus«, dachte sie. »Etwas in meinem Innern sagt mir, dass der Ring sich hier draußen befindet.«

Nun drehte man alles, was sich in der Küche und der Speisekammer, in der Backstube und im Brauhaus befand, von unterst zu oberst. Man suchte in den Mauerritzen und Feuerstellen, leerte die Gewürzschrankschubladen, ja, man stocherte sogar in den Mauselöchern.

Über dem allen vergaß die Jungfer Spaak aber nicht, einmal ums andere über den Hof zu laufen und einen Blick ins Krankenzimmer zu werfen. Und bei einem dieser Besuche fand sie die Baronin bitterlich weinend, unverwandt den Sohn betrachtend.

»Es geht ihm schlechter«, sagte sie. »Ich glaube, er ist am Sterben.«

Jungfer Spaak beugte sich vor, nahm Adrians kraftlose Hand in ihre eigene und fühlte den Pulsschlag.

»Ach nein, Frau Baronin«, sagte sie dann, »nicht schlechter, eher ein wenig besser.«

Es gelang ihr, ihre Herrin etwas zu beruhigen, sie selbst aber war in heller Verzweiflung. Ach, ach, wenn der junge Baron nicht am Leben blieb, bis sie den Ring fand!

In ihrer Angst vergaß sie einen Augenblick, auf sich selbst achtzugeben. Als sie Adrians Hand niederlegte, liebkoste sie sie ganz sanft. Sie war sich dessen kaum bewusst, die Baronin aber bemerkte es.

»Mon dieu!«, dachte sie. »Armes Kind, steht es so? Vielleicht sollte ich ihr sagen … Aber es ist ja einerlei, da wir ihn doch nicht behalten dürfen. Der General ist böse auf Adrian, und wem er zürnt, der muss sterben.« Als Jungfer Spaak in die Küche zurückkam, fragte sie die Mägde, ob es nicht in der Gegend jemand gebe, nach dem man bei solchen Unglücksfällen schicken ließe? Ob man denn durchaus warten müsse, bis der Doktor eintreffe?

Jawohl, anderswo schicke man ja, wenn jemand etwas zugestoßen sei, nach Marit Erikstochter von Olsby. Sie könne Blut stillen und Gelenke wieder einrenken, und sie würde auch Baron Adrian aus dem Todesschlaf wecken können; aber hierher nach Hedeby würde sie wahrscheinlich nicht kommen wollen.

Während das Hausmädchen und Jungfer Spaak über Marit Erikstochter miteinander redeten, stand die Köchin oben auf einer Leiter und guckte auf das hohe Wandbrett, wo sich einstmals die vermissten Löffel wiedergefunden hatten.

»Ach«, rief sie, »hier finde ich etwas, was ich schon lange gesucht habe. Hier liegt ja Baron Adrians alte Zipfelmütze!« Jungfer Spaak war entsetzt. Welche Unordnung musste hier in der Küche geherrscht haben, ehe sie nach Hedeby kam! Wie konnte Baron Adrians Zipfelmütze da hinaufgekommen sein! »Daran ist übrigens nichts Merkwürdiges«, fuhr die Köchin fort. »Sie war ihm zu klein geworden, und da gab er sie mir, damit ich mir ein Paar Topflappen daraus mache. Es ist wirklich gut, dass ich sie jetzt gefunden habe.«

Jungfer Spaak nahm ihr hastig die Mütze aus der Hand. »Es ist schade, sie zu zerschneiden, man kann sie einem Armen geben.«

Gleich darauf nahm sie die Mütze mit auf den Hof hinaus und begann, den Staub davon auszuklopfen. Während sie noch dabei war, trat der Baron aus dem Hauptgebäude.

»Wir meinen, es geht Adrian schlechter«, sagte er.

»Gibt es denn niemand in der Nähe, der sich auf die Heilkunst versteht?«, fragte Jungfer Spaak ganz harmlos. »Die Mägde reden von einer Frau, die Marit Erikstochter heißt.«

Der Baron wurde steif und starr.

»Natürlich würde ich nicht zögern, nach meinem ärgsten Feind zu schicken, da es sich um Adrians Leben handelt«, sagte er. »Aber dies würde nichts nützen. Marit Erikstochter kommt nicht nach Hedeby.«

Jungfer Spaak wagte keine Widerrede, als sie diesen Bescheid bekommen hatte. Sie stöberte weiter den ganzen Küchenflügel durch, sorgte für das Mittagessen, und es gelang ihr sogar, die Baronin zu überreden, einige Bissen zu sich zu nehmen. Der Ring war nicht gefunden worden, und Jungfer Spaak wiederholte einmal ums andere bei sich selbst: »Wir müssen den Ring finden. Der General lässt Adrian sterben, wenn wir den Ring nicht für ihn finden.«

Am Nachmittag wanderte Jungfer Spaak nach Olsby. Sie ging aus eigenem Antrieb. Sooft sie nach dem Kranken gesehen hatte, waren die Pulsschläge wieder schwächer geworden. Sie hatte nicht die Ruhe, auf den Doktor aus Karlstadt zu warten. Marit würde allerdings Nein sagen, das war mehr als wahrscheinlich, aber Jungfer Spaak wollte kein Mittel unversucht lassen.

Marit Erikstochter saß, als Jungfer Spaak eintraf, an ihrem gewohnten Platz auf der Treppe vor dem Vorratshaus. Sie hatte keine Arbeit in den Händen, sondern saß mit geschlossenen Augen an die Wand zurückgelehnt. Sie schlief aber nicht und schaute auf, als die Jungfer daherkam, die sie auch gleich wiedererkannte.

»Ach so«, sagte sie, »schickt man jetzt von Hedeby nach mir?«

»Hat Sie wohl gehört, wie schlimm es bei uns steht, Marit?«, sagte Jungfer Spaak.

»Ja, ich hab es gehört, und ich will nicht kommen«, erwiderte Marit.

Jungfer Spaak antwortete ihr mit keiner Silbe. Eine schwere Hoffnungslosigkeit senkte sich auf sie herab. Alles misslang ihr, und dies war das Schlimmste von allem. Sie konnte sehen und hören, dass Marit froh war. Sie hatte da auf der Treppe gesessen und sich über das Unglück gefreut, sich gefreut, dass Adrian Löwensköld sterben musste.

Bis jetzt hatte Jungfer Spaak ihre Fassung aufrechterhalten. Sie hatte nicht geschrieen, nicht geklagt, als sie Adrian ausgestreckt auf dem Boden liegen sah. Sie hatte nur daran gedacht, ihm und allen anderen zu helfen. Marits Widerstand aber raubte ihr die Kraft. Sie fing zu weinen an, heftig und unaufhaltsam. Sie wankte zu einer grauen Stallwand hin, lehnte die Stirn daran und weinte.

Marit beugte sich ein wenig vor. Lange wendete sie kein Auge von dem armen Mädchen. »Ach so, steht es so?«, dachte sie.

Doch während Marit die Jungfer betrachtete, die die Tränen der Liebe über den Geliebten weinte, ging in ihrer eigenen Seele etwas vor.

Vor wenigen Stunden hatte sie erfahren, dass der General Adrian erschienen war und ihn beinah zu Tode erschreckt hatte, und sie hatte sich gesagt, nun endlich sei die Stunde der Rache gekommen.

Darauf hatte sie seit vielen Jahren gewartet, jedoch immer vergebens. Der Rittmeister Löwensköld war ins Grab gebettet worden, ohne je von seiner Strafe getroffen worden zu sein. Allerdings war der General, seit sie den Ring nach Hedeby geschafft hatte, dort umgegangen; aber es hatte den Anschein gehabt, als brächte er es doch nicht übers Herz, seine eigenen Nachkommen mit der gewohnten Grausamkeit zu verfolgen.

Jetzt aber war das Unglück bei ihnen eingekehrt, und gleich kamen sie zu ihr, Hilfe zu erbitten! Warum gingen sie nicht lieber gleich zu den Toten auf dem Galgenhügel?

Es tat ihr wohl zu sagen: »Ich komme nicht.« Das war ihre Art, Rache zu nehmen.

Als Marit jetzt aber das junge Mädchen dort drüben mit dem Kopf an der Wand weinen sah, da erwachte eine Erinnerung in ihr. »So hab ich auch, so an die harte Wand gelehnt, einst bitterlich geweint. Ich hatte keinen Menschen, auf den ich mich stützen konnte.«

Und zugleich wallte die Quelle der Jugendliebe wieder in Marit auf und erfüllte sie mit ihrer heißen Flut. Verwundert saß sie da und sagte sich selbst: »So fühlte man sich damals. So war es, wenn man jemand lieb hatte. Ein so holdes, starkes Gefühl war es.«

Sie sah den jungen, frohen, starken, schönen Paul Eliasson deutlich vor sich. Sie erinnerte sich an seinen Blick, an seine Stimme, an jede seiner Bewegungen. Ihr ganzes Herz wurde von ihm erfüllt.

Marit glaubte, sie habe ihn die ganze Zeit über geliebt, und das hatte sie wohl auch. Aber wie sehr waren während der langen Jahre die Gefühle abgekühlt worden. Jetzt, in diesem Augenblick, brannte ihre Seele wieder in voller Glut.

Doch während die Liebe so in ihr erwachte, erinnerte sie sich auch an den furchtbaren Schmerz, den ein Menschenkind empfindet, wenn es den Geliebten verliert.

Marit sah wieder zu Jungfer Spaak hinüber, die immer noch weinend dort stand. Jetzt wusste Marit, was sie fühlte. Eben erst hatte die Kühle der Jahre auf ihr gelegen. Da hatte sie vergessen gehabt, wie dies Feuer brennt; jetzt wusste sie es wieder. Und sie wollte nicht die Ursache sein, dass jemand das leiden musste, was sie selbst gelitten hatte. Sie stand auf und ging zu Jungfer Spaak hin: »Kommt! Ich will mit ihr gehen«, sagte sie ganz kurz.

Jungfer Spaak kam also in Gesellschaft von Marit Erikstochter nach Hedeby zurück. Auf dem ganzen Weg hatte Marit nicht ein Wort gesprochen. Jungfer Spaak verstand das erst nachher. Sie hatte wohl die ganze Zeit überlegt, wie sie es anfangen sollte, um den Ring zu finden.

Jungfer Spaak ging mit Marit geradewegs auf den Haupteingang des Wohnhauses zu und führte sie ins Schlafzimmer. Da war alles noch unverändert. Adrian lag schön und bleich, aber ruhig wie ein Toter da, und die Baronin saß daneben und bewachte ihn, ohne sich zu bewegen. Erst als Marit Erikstochter an das Bett trat, schaute sie auf. Kaum aber hatte sie die Frau erkannt, die neben ihr stand und den Sohn betrachtete, als sie auch schon vor ihr auf den Boden sank und das Gesicht in ihren Rock drückte.

»Marit, Marit«, sagte sie. »Denk nicht an all das Böse, was die Löwenskölds dir angetan haben! Hilf ihm, Marit! Hilf ihm!«

Die Bäuerin wich ein wenig zurück; aber die arme Mutter schleppte sich ihr auf den Knien nach.

»Du weißt nicht, welche Angst ich immer ausgestanden habe, seit der General hier umgeht. Die ganze Zeit über hab ich gebebt und gewartet. Ich wusste, sein Groll würde sich jetzt gegen uns kehren.«

Marit erwiderte kein Wort. Sie schloss die Augen und schien ganz in sich selbst zu versinken.

Jungfer Spaak war überzeugt, dass es ihr wohltat, die Baronin von ihren Leiden sprechen zu hören.

»Marit, ich habe zu dir gehen und mich vor dir auf die Knie werfen wollen, so wie ich es jetzt tue, um dich zu bitten, den Löwenskölds zu verzeihen. Aber ich wagte es nicht. Ich dachte, es sei dir unmöglich, zu verzeihen.«

»Die Frau Baronin soll mich auch nicht darum bitten«, sagte Marit, »denn es ist so, ich kann nicht verzeihen.«

»Jetzt bist du aber doch da?«

»Ich bin nur der Jungfer zuliebe gekommen, weil sie mich darum gebeten hat.«

Damit trat Marit auf die andere Seite des breiten Bettes. Sie legte ihre Hand auf die Brust des Kranken und murmelte ein paar Worte. Zugleich runzelte sie die Stirn, drückte die Augen vor und kniff den Mund zusammen. Jungfer Spaak dachte, sie stelle sich genauso an wie andere Quacksalberinnen.

»Er wird am Leben bleiben«, sagte Marit. »Frau Baronin darf aber nicht vergessen, dass ich ihm einzig und allein der Jungfer zuliebe helfe.«

»Ja, Marit, ich werde es nie vergessen«, erwiderte die Baronin.

Es kam Jungfer Spaak vor, als habe ihre Herrin noch etwas hinzufügen wollen, dann aber brach sie doch jäh ab.

»Und nun lasse die Frau Baronin mir freie Hand!«

»Du kannst tun, was du willst, der Baron ist fort. Ich habe ihn gebeten, dem Doktor entgegenzureiten, damit er rascher eintrifft.«

Jungfer Spaak hatte erwartet, Marit Erikstochter werde nun einige Versuche machen, den jungen Baron aus seiner Betäubung zu wecken. Zu ihrer großen Enttäuschung tat sie nichts dergleichen. Dagegen befahl Marit, man solle alle Kleider des jungen Barons herbeischaffen, sowohl diejenigen, die er jetzt trug, als auch solche, die er in früheren Jahren getragen hatte, soweit sie etwa noch vorhanden wären. Sie wollte alles sehen, was er je auf dem Leibe gehabt hatte, Strümpfe und Hemden, Handschuhe und Mützen.

An diesem Tag tat man auf Hedeby nichts anderes als nach diesen Sachen suchen. Obgleich Jungfer Spaak seufzte, weil sich Marit nur wie eine gewöhnliche Wahrsagerin mit den üblichen Zauberkünsten benahm, beeilte sie sich doch, aus alten Truhen auf den Dachböden, aus Laden und Schränken alles zusammenzusuchen, was dem Kranken gehört hatte. Die jungen Fräulein, die recht gut darüber Bescheid wussten, was Adrian je getragen hatte, halfen ihr beim Suchen, und so kamen sie bald mit einem ganzen Kleiderbündel zu Marit herunter.

Marit breitete die Sachen auf dem Küchentisch aus und untersuchte jedes einzelne Stück genau. Ein Paar alte Schuhe legte sie auf die Seite, ebenfalls ein Paar kleine Handschuhe und ein Hemd. Unterdessen murmelte sie eintönig und unablässig: »Ein Paar für die Füße, ein Paar für die Hände, eins für den Körper und eins für den Kopf.«

»Ich muss noch etwas für den Kopf haben«, sagte sie plötzlich mit ihrer gewohnten Stimme. »Ich brauche etwas, was warm und weich ist.«

Jungfer Spaak zeigte ihr die Hüte und Kappen, die sie herbeigeholt hatte.

»Nein, es muss etwas sein, was warm und weich ist«, sagte Marit. »Hatte Baron Adrian nicht auch eine Zipfelmütze, wie andere Jungen?«

Jungfer Spaak wollte eben sagen, sie habe keine gesehen, die Köchin nahm ihr das Wort vom Munde weg.

»Ich habe ja seine alte Zipfelmütze heute Morgen auf dem Wandbrett dort gefunden, aber die Jungfer hat sie mir weggenommen.«

Also musste Jungfer Spaak mit der Zipfelmütze herausrücken, die sie bis ans Ende ihrer Tage als ein teueres Andenken hatte behalten wollen.

Als Marit die Zipfelmütze bekommen hatte, fing sie wieder mit dem Gemurmel an; jetzt aber hatte ihre Stimme einen andern Ton. Es klang, wie wenn eine Katze vor Vergnügen schnurrt.

»Jetzt«, sagte Marit, nachdem sie die Mütze in ihrer Hand lange gedreht und gewendet und in sie hineingemurmelt hatte, »braucht es weiter nichts mehr, dies alles aber muss in das Grab des Generals gelegt werden.«

Als Jungfer Spaak dies hörte, war sie ganz verzweifelt. »Marit, wie kann Sie glauben, der Baron werde das Grab öffnen lassen, um solchen alten Plunder hineinzulegen?«, sagte sie.

Marit sah sie an und lächelte ein wenig. Sie fasste Jungfer Spaak an der Hand und stellte sich mit ihr so an ein Fenster hin, dass sie allen anderen in der Küche den Rücken zuwendeten. Darauf hielt sie der Jungfer Adrians Mütze vor die Augen und zerteilte mit den Fingern die Fäden der großen Troddel.

Nicht ein Wort sagte sie, und nicht ein Wort sagte Jungfer Spaak; diese aber war todesblass, als sie sich den anderen wieder zuwendete, und ihre Hände zitterten.

Marit machte nun aus den ausgewählten Sachen ein kleines Bündel und übergab es Jungfer Spaak.

»Jetzt hab ich das Meinige getan«, sagte sie. »Nun müsst ihr anderen es einrichten, dass dies hier in das Grab kommt.« Damit ging sie ihrer Wege.

Am Abend kurz nach zehn Uhr wanderte Jungfer Spaak nach dem Kirchhof. Sie hatte Marits kleines Bündel bei sich, sonst aber war ihr Gang nicht anders als eine Wanderung aufs Geratewohl. Wie es ihr gelingen sollte, die Sachen in das Grab des Generals hineinzuschaffen, davon hatte sie keine Ahnung.

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