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Читать книгу: «Fabeleien», страница 4

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Die Stimme Gottes

In tiefer Verborgenheit, ganz allein mit sich selbst, lebte die einsame Seele, eingeschlossen in ihren vier Wänden, ohne Freund und Bruder, ohne Gefährten und Gespielen.

Von ferne her scholl der Lärm des Lebens in ihre Einsamkeit. Verlockend und beängstigend scholl er herauf, ein schwellendes Brausen, das Wunder verkündete und Verheißungen mit sich führte. Wie der Ruf einer Mutter scholl er herauf, die ihre Kinder um sich versammeln will. Dort, in jener Ferne, so dachte die Seele, stand das Leben gütig und herrlich und tränkte aus sprudelnden Quellen die Durstigen und teilte Gaben aus mit mütterlichen Händen an alle, die herbeikamen. O rauschender Brunnen, ich lausche deiner Verheißung; ich möchte meine Hände tauchen in deine Flut und mich forttragen lassen von dem Strome, den du aussendest. Auf deine spiegelnden Schalen möchte ich mich beugen und schöpfen aus deiner Fülle, die du in silbernen Strahlen ausgießest über die Erde.

Und während sie lauschte, schien die Stimme deutlicher zu werden und beredter, unwiderstehlicher. Sie rief die einsame Seele mit Macht, und etwas antwortete ihr aus der Verborgenheit – das war die Sehnsucht, welche die einsame Seele erfaßt hatte, die Sehnsucht nach der Gemeinsamkeit, nach der großen, verschwenderischen, seligen Gemeinsamkeit, die Wärme giebt und Stärke, die reich macht durch Geben und Empfangen.

Da sann die einsame Seele darauf, ihre Kammer zu verlassen und hinabzugehen in das Gewühl des Marktes. Aber sie erschrak, wenn sie sich vorstellte, daß sie es wirklich täte. Denn sie fürchtete sich vor lauten Stimmen und harten Fäusten, vor dem täppischen Zugreifen und dem groben Anfassen fremder Hände, sie fürchtete sich vor Blicken, die neugierig sind, und vor Bücken, die gleichgiltig sind, vor Blicken, die abweisen, und vor Blicken, die besudeln.

Doch ihre Sehnsucht war stärker als ihre Scheu; sie wollte der Stimme gehorchen, die sie rief. Und sie verhüllte ihr Gesicht in sieben Schleier, und über ihre Gestalt schlug sie sieben Mäntel, daß kein beleidigender Blick hindurch dringe und niemand sie erkenne in ihrer Verkleidung.

So ging sie hinunter auf den Markt in bebender Erwartung großer Erlebnisse. Ganz still, ganz eingezogen seilte sie sich in einen Winkel, ganz still wartete sie darauf, daß unter den Vorübergehenden diejenigen kämen, die sich zu ihr gesellten, Freunde und Gefährten, die sie mit sich fortführten zu den erschütternden Kämpfen und jauchzenden Siegen des Lebens, zu den Festen und Spielen, davon sie träumte. Sie wartete auf diejenigen, zu denen sie gehören wollte, zu den Eroberern im schimmernden Harnisch, die in ihren reinen Händen ein flammendes Schwert tragen und einherziehen mit leuchtendem Angesicht, glühend von heiligem Zorn und heiliger Liebe.

Aber niemand beachtete sie, niemand kümmerte sich um sie. Es waren lauter Fremde, die da auf dem Markte ihr Wesen trieben; kein Streiter Gottes war unter ihnen, nichts Verheißungsvolles ging von ihnen aus. Auf ihren Gesichtern lag breites Behagen oder wütender Eifer; ihre Fäuste ballten sich drohend oder öffneten sich gierig nach den schmutzigen Münzen, die unablässig von einem zum andern rollten. Immer hallte die Luft von ihrem Feilschen und Fluchen wider, von ihrem heulenden Grimm und ihrer heulenden Lust. Sie begrüßten sich, sie beschimpften sich; sie schlugen sich, sie vertrugen sich; sie schüttelten einander die Hände, sie versetzten einander Fußtritte, bewarfen einander mit faulen Äpfeln; sie wühlten im Kehricht mit gemeinen Gebärden und wälzten sich grinsend in der Gosse.

Da stand nun die einsame Seele in ihrem Winkel und betrachtete das Treiben des Marktes wie ein Zuschauer, der sieht, was auf der Bühne vor sich geht, und der nicht mitspielt in dem Stück, das auf jenen Brettern aufgeführt wird. So oft jemand sich ihr näherte, erhebte sie vor Scham und Schrecken; wenn es geschah, daß ein Vorübergehender ein flüchtiges Wort an sie richtete, zog sie sich tiefer zurück in die Verborgenheit ihrer Schleier und Mäntel, erfüllt von Widerwillen und Enttäuschung. Vergeblich horchte sie nach der Stimme, die sie vernommen hatte: kein ahnungsvolles Brausen, kein Tönen wunderbarer Geheimnisse – verschlungen von gemeinen Geräuschen das Wort der Verheißung.

Da verließ sie ihren Platz wieder; denn es schien ihr, daß sie nicht dorthin gehöre, wohin sie sich gestellt hatte. Mit leeren Händen und arm wie sie gekommen war, ging sie hinweg vom Markte.

Sie wandte sich nach dem Tempelhain, wo, der Gott Weissagungen spendete denjenigen, die auf den Stufen seines Tempels schliefen. Dort würde ihr der Weg gewiesen werden, den sie gehen sollte, so dachte sie. Deutlicher würde sie dort die Stimme vernehmen, die ihr erschollen war.

Als sie den heiligen Hain betrat, kam eine große Seligkeit über sie. Da stehen die Bäume hoch und dunkel; zu ihren Füßen schläft ein klares Wasser. Weiße Blumen trägt sein Spiegel, mit tiefen goldenen Kelchen, aus denen ein unhörbarer Gesang aufzusteigen scheint, der das Schweigen des Hains mit geheimnisvoller Wonne erfüllt. Auf Marmorfließen führt der Weg durch den Schatten hin. Er führt zum Altare, wo das ewige Feuer brennt. Hell lodert seine Flamme, und ein duftender Rauch fließt unter das schwarze Laub herein. Weit draußen im Reiche der Sonne schimmern die Säulen des Tempels, mit Gold und Purpur besäumt; ein glänzender Streifen verkündet dort das Meer, das ruhevoll in die blaue Unendlichkeit hinausweist.

Stumm vor Glück wandelte die Seele durch den heiligen Hain. Hier wollte sie bleiben. War hier nicht ihre Heimat? Kein ungeweihter Fuß konnte hier eingehen; die Einsamkeit war voll von Gottes Gegenwart.

Und sie beugte sich herab auf einen Grashalm, der einen Tautropfen trug, und sagte zu ihm: »O lieber Bruder, der du so reich geschmückt bist, laß mich neben dir wohnen. Ich will dein Leben teilen und mit dir selig sein, wenn unsere Mutter, die Sonne, uns frühmorgens mit einem Blick der Liebe begrüßt.«

Und nach den stillen Bäumen streckte sie ihre Arme aus und sagte zu ihnen:

»O nehmt mich auf wie eine jüngere Schwester, ihr Vollendeten! Ich will zu euren Füßen sitzen in schweigender Betrachtung und lauschen, wie der Atem der Welt durch eure Wipfel weht. Werdet mir Lehrer des Lebens, ihr Leidlosen, Unschuldigen, ihr Vollendeten!«

So lange es Tag war, wandelte die Seele in frommem Entzücken unter Bäumen und Blumen in den Gefilden Gottes.

Nachts aber schlief sie auf den Stufen des Tempels.

Und im Traume erschien ihr der Gott. Nicht wie ein Gott der Bäume und Blumen erschien er ihr; sein Angesicht war Feuer und seine Stimme war ein schwellendes Brausen.

»Ich habe dich gerufen, und du hast mein Rufen vernommen. Allein du bist nicht den Weg gegangen, den ich dir bestimmte. Hier ist ein Ort der Abgeschiedenen; du aber sollst unter den Lebendigen sein und vollbringen das, was ich den Lebendigen auferlege. Ich bin ein Gott, der Opfer liebt. Ich nehme nicht vorlieb, ich teile nicht, ich erbarme mich nicht.

Wer mein ist, muß mich bekennen vor allem Volk. Nicht in versunkenen Gärten soll er wohnen, nicht unter Schleiern und Mänteln darf er sich verborgen halten. Er muß Zeugnis geben für mich als mein Werk und Geschöpf; er muß hingehen und nackt auf dem Markte tanzen.«

Als der Tag anbrach und die Seele erwachte, schauderte sie vor dem Gebote, das der Gott in den Stunden der Nacht ihr auferlegt hatte. Im hellen Schein des Tages erschien es ihr unmöglich. Sie war bereit gewesen, der Stimme Gottes zu gehorchen; aber das Unmögliche konnte Gott nicht verlangen.

Und sie warf sich nieder vor dem Bilde Gottes und umfaßte den Altar mit zitternden Händen und schrie zu Gott in Angst und Verzweiflung.

»Erbarme dich! Zu schwer ist, was du mir auferlegst! Ich kann es nicht vollbringen, o Gott! Gieb mir, ich flehe dich an, gieb mir ein Zeichen, daß du Gnade willst über mich ergehen lassen!«

Aber unbeweglich blieb der Gott, und seine Augen winkten nicht.

Da kam ein Geist der Auflehnung über die Seele. Sie wollte im heiligen Hain wohnen, bis Gottes Sinn sich wende, sie wollte warten, bis er ihrem Wunsche gnädig ward.

Doch aus dem heiligen Hain war Gottes Gegenwart entwichen. Finster standen die Bäume; ihr kalter Schatten legte sich mit frostigem Schauer auf die Seele. Der Spiegel des Wassers war erblindet; als vergilbte Leichen lagen die Wasserrosen im Schlamme.

Aus dem Sumpfe stieg Modergeruch und erstickte die Luft mit giftigen Dünsten.

Weinend ging die Seele hinweg aus dem heiligen Hain.

Sie irrte lange durch die Welt. In unzugänglichen Klüften verbarg sie sich, wo der Tag in grauer Dämmerung stirbt und kein Sonnenstrahl mehr hinabdringt; durch brennende Wüsten wanderte sie, wo verdorrte Gebeine unter dem tötlichen Himmel bleichen und die Fußstapfen der Lebendigen im Sande verwehen. Über vereiste Höhen schritt sie, wo ewiger Frost die Welt in weiße Leichentücher begräbt und jeder Hauch des Lebens erstarrt.

Sie floh vor der Stimme Gottes. Aber sie war nur dem Reiche des Lebens entflohen, als sie beschloß, sich Gott zu widersetzen In dem Schweigen der Einsamkeit vernahm sie, wohin sie auch wanderte, lockend und drohend das Brausen der Gottheit, den gebieterischen Ruf, der von fernen Ufern zu ihr herüberscholl.

Und eines Tages kam sie zurück auf den Markt.

Immer noch trieben die Vielen auf dem Markte ihr Wesen wie einst, als die einsame Seele Zuflucht im heiligen Haine suchte. Aber lauter als das Geschrei des Marktes tönte jetzt in der Seele die Stimme Gottes. Jetzt war sie bereit zu vollbringen, was er ihr auferlegt hatte. Erfüllt von seinem Geiste warf sie von sich ihre Schleier und Mäntel und tanzte nackt auf dem Markte zum Preise desjenigen, der sie erwählt hatte, für ihn zu zeugen vor allem Volk.

Da ward es stille ringsumher; eine große Verwunderung ging durch die Menge. Dann aber ergrimmten die vielen gewaltig. Denn sie haßten die Nacktheit; ihre gemeinen Augen konnten den göttlichen Glanz nicht ertragen, von dem die Nacktheit der tanzenden Seele leuchtete. Und sie hoben Steine von der Straße auf und steinigten die Seele.

Unsichtbar aber stieg aus den Wolken der Gott. In seinen Armen führte er die Seele mit sich fort in die Gärten der Unsterblichen.

Von den Schätzen des alten Zauberers

Kein Haus auf der Welt konnte netter gehalten sein, als das des alten Zauberers. Schneeweiß war es getüncht, mit blauen Fensterrändern, die etwas Unschuldiges und Gemütvolles hatten; und spiegelblank blitzten die Fensterscheiben in der Märzensonne.

Der alte Zauberer stand vor der Haustür. Er war in Schlafrock und niedergetretenen Hausschuhen. Auch ein gehäkeltes Käppchen hatte er auf, dessen Quaste ihm überʼs Ohr hing. Den braunen Ulmerkopf, aus dem er schmauchte, nahm er von Zeit zu Zeit aus dem Munde, um auszuspucken. Ganz wie ein ehrsamer bürgerlicher Hausvater stand der alte Zauberer vor seiner Tür und ließ die Märzensonne auf sich scheinen.

Da kam ein Spatz geflogen, hüpfte mit raschen Sprüngen bis an seine Füße heran, piepste und flog wieder davon.

»Aha!« sagte der alte Zauberer und ging ins Haus.

Dort machte er gleich Toilette. Den Schlafrock vertauschte er mit einem pelzverbrämten Talar, das gehäkelte Käppchen mit einem schwarzen Samtbarett; er zog gelbe Schneppenschuhe an und schmückte den Zeigefinger seiner rechten Hand mit einem kostbaren alten Bischofsring. Die Pfeife verbarg er hinter dem Ofen. Auf die Räucherpfanne, die dort lag, schüttete er eine Handvoll gepulverten Thymian, dessen Geruch bieder und gelehrt zugleich ist. Dann setzte er sich ans Fenster, zog die grüne Gardine ein wenig vor, um ein vorteilhaftes Helldunkel zu erzeugen, und schlug einen großen, in Schweinsleder gebundenen Folianten mit krausen, fremdartigen Lettern und geheimnisvollen Zeichen vor sich auf. So, das Haupt auf die Hand gestützt, im vollen Ornat seiner Weisheit, erwartete er den angekündigten Gast.

Als es an der Tür klopfte, war er so vertieft in seinen Folianten, daß er weder hörte noch sah. Er wollte dem Ankömmling Gelegenheit geben, unbeachtet einzutreten und die Stimmung des Interieurs auf sich wirken zu lassen. Erst als er in unmittelbarer Nähe neben sich ein Räuspern hörte, blickte er auf.

»Gelobt sei der Gott, dem du dienst,« sagte er würdevoll.

Der Knabe, der vor ihm stand, antwortete lachend: »Um Mißverständnissen vorzubeugen – ich diene keinem.« Er sah sich mit einem Naserümpfen, das auf seiner schnippischen kleinen Nase sehr hübsch anzusehen war, in dem Räume um. »Überhaupt, verehrter Meister – pardon, aber ich pflege mit meinen Eindrücken nicht hinterm Berge zu halten – überhaupt habʼ ich mir dieses Milieu anders vorgestellt. Ich – bin überrascht, alles so braun zu finden, so dunkel, mit einem Worte: so unmodern. Sollte ich mich in der Adresse geirrt haben? Hier riecht es ja – pardon, verehrter Meister, aber es riecht hier wirklich wie bei einem Dürrkräutler!«

»Du bist also noch niemals in einer Hexenküche gewesen?« fragte der Alte, ohne seine Miene zu verändern.

»Soll das hier eine Hexenküche sein? Auch die habʼ ich mir anders vorgestellt. Hier gibt es ja nichts als Bücher, Bücher und wieder Bücher. Schweinslederne Rücken bis an die Decke! Und obendrein – pardon, verehrter Meister, aber die schweinsledernen Rücken sehen wirklich so aus, als ob sie nur aus Papiermache wären.«

Da stand der Alte auf und reichte dem Knaben die Hand. Er schüttelte sie mit einem so kräftigen Händedruck, daß dem Knaben das Wasser in die Augen trat. »Bravo, junger Mann,« sagte er mit einem Schmunzeln, das unter seinem langen, ehrwürdigen Barte wie ein wohlwollendes Lächeln hervorkam, »ich sehe, du bist über die Anfangsgründe hinaus. Du durchschaust die Hilfsmittel, mit denen man Neulinge blenden muß –«

Der Knabe nahm diese schmeichelhafte Eröffnung wie etwas Selbstverständliches hin. Er zwinkerte nur ein wenig mit seinen klugen schwarzen Augen, um das Wasser unauffällig daraus zu vertreiben.

»Da wir uns so rasch gefunden haben,« fuhr der Zauberer sehr freundlich fort, »so darf ich dich wohl bitten, mir ohne Umschweife zu sagen, womit ich dir dienen kann?«

»Ja, ich liebe die Umschweife nicht. Man verliert zu viel Zeit dabei. Und ich möchte so rasch als möglich vorwärts kommen. Ich möchte Erfolg haben, sogleich beim ersten Anlauf. Da muß man wohl ein wenig hexen können. Deshalb wende ich mich an Euch, verehrter Meister Der Ruhm Eurer Kunst, der weit über die Gaue Eures Vaterlandes reicht, hat mich bewogen –«

»Du überschätzest mich, lieber junger Freund. Ich getraue mich zwar, minderen Geistern das eine oder andere zu lehren, womit man sein Glück in der Welt machen kann – aber ein so eingeteufelter Bursche wie du, wozu braucht der einen Lehrmeister aus der alten Schule, wie mich?«

»Sollten wir nicht aufhören, uns gegenseitig Komplimente zu machen? Verehrter Meister, ich gestehe, ich würde mich wohl im Stande fühlen, meinen Weg allein zu finden. Doch wie gesagt, ich möchte keine Zeit verlieren. Ein Lehrer kann den Weg verkürzen, er kann dem Schüler Zeit ersparen. Ich habe gehört, daß Ihr eine Sammlung der besten und wirksamsten Zaubermittel besitzt, und unter Umständen nicht abgeneigt seid, etwas davon abzugeben. Nun, wenn einer dazu angetan ist, Eurer Schule Ehre zu machen, so bin ich es. Öffnet mir also ungesäumt die Pforten Eures Museums und laßt mich wählen, was mir frommt.«

Der Alte rieb sich die Nase. Dann wies er mit einer verbindlichen Handbewegung nach einem eisenbeschlagenen Pförtchen, das sich im Hintergrund zwischen die hohen Büchergestelle zwängte. Von dort holte er einen mächtigen Schlüsselbund herab und klapperte langwierig unter den zahllosen Schlüsseln, bis er den rechten fand.

Als das Pförtchen aufsprang, wollte der Knabe eilends eintreten. Aber der alte Zauberer hielt ihn zurück. »Gemach, mein Freund! Du weißt, umsonst ist der Tod – und sonst nichts. Zwar würdʼ ich gerne meine bescheidenen Schätze ohne Entgelt dem allgemeinen Wohle zur Verfügung stellen, allein –«

»Ohne Umschweife, verehrter Meister, was begehrt Ihr?« unterbrach ihn der Knabe, der an der Schwelle vor Begierde brannte. »Ich bin nicht gerade in der Lage, übermäßige Honorare zu zahlen; doch habʼ ich beschlossen, mein Erbteil an meine Ausbildung zu wenden, und wenn Ihr wünscht, daß ich im vorhinein erlege, was ich schuldig bin –«

Der Alte rieb sich wieder die Nase. Das war eine unangenehme Gewohnheit von ihm, fand der Knabe. Aber diese Regung der Antipathie ging vorüber, als er hörte, der Alte habe es durchaus nicht auf Geld abgesehen. Nein, mit Geld sei von ihm nicht das geringste zu erreichen. Das habe er gottlob nicht nötig. Er könne gottlob seinen Liebhabereien leben. Und eine Liebhaberei von ihm wären solche schöne, leuchtende, feuerfarbene Haare, wie sie dem Knaben auf die Schultern fielen. Solche feuerfarbene Haare liebe er über die Maßen. Die möchte er abschneiden und behalten –

»Nur zu!« rief der Knabe erleichtert. »Ich weiß ja doch, daß ich nicht, wie Simson, meine Kraft in den Haaren trage –«

Er hatte schon gefürchtet, noch auf der Schwelle den Zutritt zu den ersehnten Schätzen zu verlieren. Denn wie hätte er eingestehen können, daß sein ganzes väterliches Erbe in zwei beschnittenen Dukaten bestand, die er in einem Ledersäckchen auf der Brust trug? Sein Vater war ein einfältiger, alter Mann gewesen, der nichts von den geheimen Künsten verstand, mit welchen man in der Welt ein ersprießliches Fortkommen findet; da hatten seine Kinder freilich nicht viel Beschwer, als sie nach seinem Tode ihr Erbe teilten!

Der Zauberer machte sich gewandt ans Haarschneiden Ritsch, ratsch – und schon waren die langen, feuerfarbenen Strähne in seiner Tasche. Kühl wehte es dem Knaben um den entblößten Hals.

Dieser kühle Luftzug kam aus dem Pförtchen. Es führte in einen langen, finstern Gang, der so schmal war, daß der Knabe mit seiner schlanken Jugendgestalt gerade hindurchschlüpfen konnte. Ihn überliefʼs, als er sah, wie vor dem stattlichen Bauche des alten Zauberers die Wände zurückwichen, damit er Platz habe.

Der Gang mündete in ein enges Kellergewölbe, das ein spärliches Licht hoch oben von einem kleinen Fenster erhielt. In die dumpfe Moderluft mischte sich ein Geruch wie von Rauch und ausgeblasenen Kerzen; der legte sich dem Knaben beklemmend auf die Brust und verursachte ihm Herzklopfen. Um sich nichts anmerken zu lassen, sagte er nach der schon bewährten Methode lachend: »Hier riecht es ja – pardon, verehrter Meister, hier riecht es ja wie in einer Sakristei«; aber sein Lachen klang unter dieser Wölbung hohl, und er erkannte seine eigene Stimme nicht.

Zudem streifte ihn der Alte mit einem Blick aus den Augenwinkeln, bei dem sich nicht unterscheiden ließ, ob es Humor oder Bosheit war, was darin funkelte. »Gewiß, mein Freund!« sagte er. »Es ist sehr wichtig, daß man sich immer in einen angemessenen Geruch setzt. Adoratio kommt von odoratio, heißt es im Latein der Hexenküche. Zu deutsch: Man muß sich aufs Räuchern verstehen.«

Mit diesen Worten schloß er einen großen, schwarzen Kasten auf, der inwendig in unzählige Laden und Lädchen geteilt war. In dem obersten Schubfach lagen die Räucherpulver. Damit konnte man blauen Dunst jeder Art machen. Da gab es ein schwarzes kristallinisches Pulver, das erzeugte eine Atmosphäre der Frömmigkeit und der Glaubenstärke; ein rotes, körniges, das war für Freiheit und Gleichheit; ein schwarzrotgoldenes, das brachte gleich einen Geruch von Mannesmut und Überzeugungstreue hervor; ein himmelblaues, rundes, das machte einen Wind von Aufklärung, Humanität und Fortschritt; ein gelbes, scharfkantiges, das erfüllte die Luft mit Klassenbewußtsein – und viele andere Gattungen. Sie waren fein säuberlich sortiert, jedes in seinem Lädchen für sich. Beim Gebrauch nahm man eine Prise zwischen Zeigefinger und Daumen und streute sie auf eine Räucherpfanne. »Wer aber nicht geübt ist im Geisterbeschwören«, sagte der Zauberer warnungsvoll, »der verbrennt sich dabei die Finger. Auch darf ein einzelner nie zwei Sorten zugleich in Gebrauch nehmen; hintereinander kann er wohl alle abbrennen, auch in beliebiger Reihenfolge, aber da muß er schon ein ausgelernter Meister der magischen Pyrotechnik sein, sonst fliegt er mitsamt seinem Feuerwerk in die Luft.«

Hierauf ging er die Urnen und Phiolen durch. Sie enthielten alle Salben, mit denen ein Meister gerieben sein muß, Mixturen und Elixiere von großer Kraft, nach uralten, hochgeheimen Rezepten bereitet, die niemals niedergeschrieben und nur durch mündliche Überlieferung unter den Eingeweihten erhalten werden. Darunter waren so gefährliche Gifte, daß der Hexenmeister nicht einmal ihren Namen auszusprechen wagte. Der Knabe mußte sich, wie ungebärdig er sich auch stellte, mit den gewöhnlichen Tinkturen zufrieden geben. Doch waren die auch nicht zu verachten – zum Beispiel ein brauner, klebriger Saft, bitter wie Galle und ätzend wie Lauge; von dem genügte ein Tröpflein, auf einen Gegner gespritzt, um einen unaustilgbaren Fleck zu hinterlassen; oder ein anderer, gelb und ölig, mit einem zudringlichen, süßen Parfüm, der dazu diente, diejenigen einzuseifen, die man für sich gewinnen wollte; oder gar jene narkotischen Essenzen, mit welchen man sich bestrich, um sich in die verschiedensten Gestalten zu verwandeln! Das Besondere daran war, daß sie nicht bloß für die andern den Schein dessen erweckten, was man vorstellen wollte, sondern daß man, so lange ihre Wirkung vorhielt, selber glaubte, es zu sein – unschätzbare Zaubertränke, von denen der Alte nur zögernd einige Näpfchen für den Lehrling füllte.

Hingegen langte er bereitwillig eine schöngeformte, tiefgrüne Flasche herab, die dem Knaben in die Augen stach. Wundersam leuchtete ihr Inhalt mit goldenen Funken durch das dunkle Glas; sie war schwer mit blutrotem Wachs verschlossen, auf dem ein herrliches Sigillum sich rein und deutlich ausprägte.

»Das ist das Siegel Salomonis«, sagte der Zauberer nicht ohne Feierlichkeit. »Durch die unvergleichliche Gewalt seiner Magie ist ein Geist in dieses Gefäß gebannt, der dir dienstbar sein und alle Taten verrichten wird, nach denen dein Sinn steht, ein mächtiger spiritus familiaris, mit dessen Hilfe du dich von allen anderen Menschen unterscheiden und stets etwas vor ihnen voraus haben kannst.«

Die Augen des Knaben erweiterten sich vor Begier; er fand kaum Atem genug, um zu sagen: »Und diese Flasche soll mir gehören? Ich werde das Siegel Salomonis besitzen? Ein mächtiger Geist wird mir dienstbar sein?«

»Versteh mich recht«, antwortete der Alte und lächelte fein. »Ich hoffe doch, du bist nicht der Meinung, daß man das echte Siegel Salomonis so im Handumdrehen erwirbt? Ich hoffe doch, du weißt, daß dieser hohe Talisman immer nur den allerwenigsten zugänglich war, nur denen, die unter einem besonderen Stern geboren sind? Nein, mein Freund – dieses Siegel und diese Flasche hier sind eine Nachahmung. Was da drinnen so leuchtet, ist kein Geist – es ist bloß Franzbranntwein mit ein wenig Rauschgold vermengt. Für die Augen der Menge aber tut das denselben Dienst. Du mußt nur wissen, wie du damit umzugehen hast. Merke wohl auf: erzähle so viel du kannst von deinem Schatz; preise ihn laut, posaune ihn aus. Laß keine Gelegenheit vorübergehen, seine magischen Kräfte zu rühmen und die Wunder zu schildern, die du mit seiner Hilfe schon vollbracht hast. Hie und da darfst du ihn auch herzeigen – aber nur jeweils einem allein, unter der Versicherung, daß nur die ganz seltenen Menschen fähig sind, dieses Anblicks teilhaftig zu werden. Glaube mir, dein Ruhm und deine Macht werden bald so groß sein, als besäßest du den echten Talisman.«

Dennoch wurde der Knabe nachdenklich. Er betrachtete die Flasche von allen Seiten. Unentschlossen wendete er sie hin und her und schien das richtige Wort nicht zu finden Endlich fragte er: »Und wenn ich nun doch den echten Talisman erwerben wollte? Was müßte ich da tun?«

– Der Alte zuckte die Achseln. Den echten Talisman? Wozu denn? Sei etwa das Schicksal derjenigen, die ihn besäßen, so beneidenswert? Müßten sie ihn nicht mit ihrem Herzblut bezahlen, mit Entbehrungen und Leiden so grausamer Art, daß der Uneingeweihte sich gar keine Vorstellung davon machen könne? Und der Nachruhm schließlich – das einzige, was sie von den Besitzern der Imitation voraus hätten – sei doch ein recht problematisches Gut. Habe sich nicht längst eine in diesem Punkt maßgebende Persönlichkeit dahin geäußert, daß sie lieber ein lebendiger Hund als ein toter Löwe wäre –?

Während er also redete, zog er eine Lade am Fuß des Kastens auf und stöberte in dem rostigen Eisenzeug herum, womit sie gefüllt war. Unter alten Dolchen, Schwemlingen, Ketten und ähnlichem Gerümpel holte er einen zackigen Reifen hervor. Der war mit Dornen umflochten und dicke, rote Tropfen klebten reichlich daran.

»Hier hast du das Abzeichen der Märtyrerschaft,« sagte er schmunzelnd; »es wird die Wirkung deiner Flasche zu einer völlig täuschenden machen, wenn du es im geeigneten Augenblick auf deine Stirne drückst. Du brauchst dich nicht zu fürchten: die Dornen sind alle stumpf und das Blut ist mit Ölfarbe daraufgemalt. Auf diese Weise ersparst du dir die Leiden und genießest doch den Ruhm derer, die um ihres Talismans willen verfolgt und gepeinigt werden.«

Der Zauberer lachte laut; und jetzt stimmte der Knabe befriedigt ein.

»Um aber deine Ausrüstung ganz zu vollenden,« fuhr der Alte fort, »will ich dir nunmehr ein Stück vom Allerfeinsten zeigen, was die neuere Magie hervorgebracht hat.«

Er öffnete den großen Kleiderschrank. Da hingen in reichhaltiger Auswahl Gewänder für alle Posen, königliche Purpurmäntel und Hohepriestertalare, großblumige Brokate und weißseidene Flügelkleider, korrekte, wohlgebürstete Staatsfräcke, biedermännische Flausröcke und schlichte Handwerkerkittel – alle so eingerichtet, daß man sie in einem nußgroßen Futteral mit sich tragen und im Nu überwerfen konnte.

Der Knabe musterte noch unschlüssig die Garderobe, als der Alte aus einer Haselnuß ein köstliches Gewebe entfaltete. Es war ein fleischfarbenes Trikot – der erdenklich vollkommenste Überzug für eine menschliche Gestalt, mit Invisibleverschluß hinten auf dem Rücken und einem ehrbaren kleinen Feigenblatt aus Seidenstoff an der dazu bestimmten Stelle.

»Alle diese magischen Gewänder, die praktischen sowohl als die ästhetischen,« sagte er und hielt das Trikot an den Achselteilen in die Höhe, daß es in seiner vollen Länge wie eine abgestreifte Schlangenhaut herabhing, »alle diese magischen Gewänder würden ihre volle Wirkung verfehlen, wenn du nicht bei geeigneten Anlässen dein Inneres zu entblößen verständest. Nur auf diese Weise kannst du alle Konkurrenten schlagen; das wirkt noch, wenn sonst nichts mehr verfangen will. Aber es ist eine mißliche Sache um die Nacktheit. Sie kleidet nicht jeden; man muß verdammt gut gewachsen sein, um sich nicht zu blamieren. Überdies ist auch die schönste Nacktheit den Augen der Tugendhaften anstößig und beleidigt die Frommen. Wer sich nicht vorsieht, den steinigen sie, sobald sie seine Blöße erblicken. Dies Zauberkleid aber befriedigt die Schaulust, ohne den Anstand zu verletzen; es beruhigt die Gewissen, ohne die Augen zu verkürzen. Damit darfst du die kühnsten Sprünge wagen; man wird dich als einen Meister und Helden der Wahrheit lobpreisen und deinen Ruhm in alle vier Winde tragen . . .«

Reich beladen mit Schätzen solcher Art schickte sich der Knabe zum Gehen an. Sein Abschied war kurz; er konnte es kaum erwarten, in die Welt zu treten. Der alte Zauberer entließ ihn zuvorkommend durch eine geheime Öffnung, die nach dem Hofe hinaus gleich ins Freie führte.

»Da du es so eilig hast, mein Freund, erspare ich dir jeden Umweg,« sagte er. »Du weißt ja: der Weg durch die Hintertüren ist allemal der kürzeste.«

Hinten im Hofe war das Haus nicht ganz so sauber wie vorne. Schlammige Pfützen standen auf dem ungepflasterten Boden, Kehricht und Unrat lagen gehäuft, die Wände starrten von Schimmel und Schmutz. Der Knabe hob sich auf die Zehen, um sich im Vorbeigehen nicht zu verunreinigen – da stolperte er, und pardauz! lag er auch schon der Länge nach auf dem Boden. Fluchend erhob er sich. Wie war sein Wämslein zugerichtet! Bis auf den Hut war er bespritzt! Sollte er also besudelt in die Welt hinausgehen? Ein gutes Fleckreinigungsmittel, das hatte der Alte ihm mitzugeben vergessen!

Als er sich zurückwandte, um es zu fordern, sah er den alten Zauberer noch im Hofe stehen. Er schien ganz in sich versunken; er murmelte in seinen Bart hinein und seine Hände bewegten sich unheimlich in einem sonderbaren Spiel. Sie nestelten, sie knüpften, sie flochten und spannen geräuschlos und flink. Mit Unbehagen nahm der Knabe wahr, daß es seine schönen, feuerroten Haare waren, mit denen die Hände des Alten spielten. Er blieb vor ihm stehen wie angewurzelt.

Plötzlich warf der Zauberer etwas in die Luft. Zugleich spürte der Knabe ein leichtes Würgen wie von einer haarfeinen Schnur, die zusammengezogen wird. Er fuhr sich an den Hals, um die Schlinge zu zerreißen – aber es war nichts zu greifen. Da überfiel ihn ein panischer Schrecken. Im blinden Drang, zu entfliehen, machte er einen Satz – aber er fühlte sich von einer unsichtbaren Gewalt zurückgerissen und mußte auf dem Flecke bleiben. Wie eine Fliege, die blitzschnell von einer Spinne mit einem einzigen Faden umwickelt wird, daß sie sich nicht mehr rühren kann, so war er hilflos festgebannt.

Mutwillig zog der alte Zauberer den magischen Faden an, bis dem Knaben Hören und Sehen verging. Dann ließ er wieder locker und brach in ein schallendes Gelächter aus.

»Du Eilewind, du brennendes Füchslein, du Honigvogel!« sagte er und hielt sich den Bauch vor Lachen. »Hast du gedacht, daß du so leichten Kaufes mit meinen Schätzen davongehen kannst? Na, gehʼ nur zu! Dies härleinfeine Schnürchen wird dich nicht beschweren. Es ist gar lang; du kannst deinen Honig holen, wo dichʼs gelüstet – nur werdʼ ich dich dabei am Schnürchen haben, an diesem härleinfeinen Schnürchen werde ich dich haben, damit du künftig nicht vergißt, von wo du ausgeflogen bist.«

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
140 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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