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Читать книгу: «Fabeleien», страница 3

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Ein Zwist

Irgend ein indischer, chinesischer oder altmexikanischer Gott mit drei Köpfen hatte soeben die Welt geschaffen. Fix und fertig stand die Maschine da. Sie war ein unerreichtes Meisterstück, ein Perpetuum mobile; der Gott brauchte nur P! zu machen, und alle die Milliarden Räder, große und kleine, gezahnte und ungezahnte, mußten laufen, zuerst eines, dann zwei, dann vier, dann acht, dann sechzehn und so fort in geometrischer Progression, bis das ganze Riesenwerk in Gang war für alle Ewigkeit.

Äonen hindurch hatten die drei Köpfe darüber nachgesonnen, und lange waren sie über das System der Konstruktion nicht einig gewesen. Den Linken verdroß es, daß das Ding, einmal fertig und angeheizt, fortschnurren sollte ohne Unterbrechung und ohne daß ein weiteres Hinzutun notwendig wäre.

»Wenn ich mich künftig gar nicht mehr einmischen soll«, wandte er ein, »wozu bin ich dann da? Seht ihr nicht ein, daß wir alle drei vollständig überflüssig sind, sobald die Maschinerie zu gehen angefangen hat?«

Die beiden anderen sahen das in der Tat nicht ein. Sie beharrten mit dem Stolze der Erfinderschaft auf dem Perpetuum mobile als der Krone aller denkbaren Erfindungen und erklärten es unter ihrer Würde, sich aus Liebhaberei mit einer weniger vollkommenen Einrichtung abzugeben.

»Sollen wir vielleicht in Zukunft«, sagten sie, »beständig dahinter her sein und täglich oder stündlich wieder aufziehen, nachheizen, einölen und dergleichen? Dieser erbärmliche Okkasionalismus würde uns ja den ganzen ästhetischen Genuß verderben!«

Und da sie in der Majorität waren, setzten sie ihre Ansicht durch.

Nun war der große Augenblick gekommen. Der Gott stellte sich an die Weltachse, eine ungeheure Röhre aus glänzend poliertem Stahl, die vom Zenith bis zum Nadir lief, und richtete seine drei Köpfe nach oben, nach unten und nach der Mitte. Dann zählte er: »Eins, zwei, drei«. Und bei drei machten sie alle nach oben, nach unten und nach der Mitte mit einem leicht nachstürzenden Hauch: P!

Da begann sich das Werk zu regen wie ein schlafendes Ungeheuer, das mit Gebrüll erwacht. Langsam setzte sich eine Transmission nach der andern in Bewegung, die Räder fingen an, sich zu drehen, und Gottes Hauch sprang wie ein elektrischer Funken von einem Nietenkopf zum andern. Bald war das Ganze in Gang, donnernd und dröhnend, schmetternd und schwirrend, rollend und rasselnd, klappernd und klirrend: in seinem Höllenlärm scheinbar ein chaotisches Durcheinander, aber für die Augen des Meisters ein Schauspiel voll Wohlklang und sinnreich klarer Mechanik, an dem er sich nicht ersättigen konnte.

Das Wunderbarste an dieser Maschine war die Drehscheibe, auf der die menschlichen Wesen befestigt waren. Jedes von ihnen hatte auf dem Kopf einen spinnwebdünnen Faden eingehakt, der jedoch, genauer besehen, sich als ein mikroskopisch feines Kettchen erwies, dessen Glieder mit denen aller anderen Wesen durch noch feinere verbunden waren. Dieses ganze Gespinst unzählbarer Fäden war in ein gewaltiges Seil zusammengedreht, das sich auf der Weltachse unten aufspulte, um oben wieder herabzulaufen und sich in einzelne Fäden zu zerteilen. Durch die Drehung der Weltachse wurde die Scheibe in gleichmäßiger Bewegung erhalten; aber die Püppchen, die auf ihr so eilfertig zappelten und strampelten, glaubten, daß sie selbst vermöge ihrer emsigen Tätigkeit sich vorwärts bewegten. Denn sie konnten den Faden auf ihrem Kopfe nicht erblicken, noch das ganze, göttliche Gewebe, in das sie hineingeknüpft waren wie Glasperlen in einen gestrickten Geldbeutel.

Die Drehscheibe bewegte sich so, daß sie aus dem Licht in Finsternis tauchte wie ein Mühlrad inʼs Wasser, und aus der Finsternis wieder inʼs Helle. Die Zeit des Lichtes nannten die Wesen das Leben, die finstere den Tod. Während sie auf der finsteren Seite waren, erstarrten sie in der langen, einförmigen Dunkelheit zu einer Art Winterschlaf, und wenn sie dann wieder in die Helligkeit kamen, erinnerten sie sich an nichts mehr. Sie waren eben recht grob und plump organisiert; und ihre geistigen Fähigkeiten reichten nicht weiter, als es für die Existenz auf einer Drehscheibe notwendig ist. Das aber war eine weise Vorkehrung des Erfinders. Hätten sie nicht immer wieder die alte Weit für eine neue Welt und sich selbst für etwas Niedagewesenes gehalten, so wäre ihnen das Leben nach einigen tausend Umdrehungen unerträglich geworden, und ihr Treiben hätte jenen possierlichen Anstrich verloren, den sich der Gott als ewige Heiterkeit des Lebens gedacht hatte.

So ging das nun fort und fort, ganz fabelhafte Zeiträume hindurch.

Mittlerweile begann der linke Kopf Gottes allmählig, sich mißvergnügt zu schütteln. Den beiden anderen gab ihr Orbis pictus so viel zu schauen, daß sie nicht darauf achteten.

Eines Tages aber sagte er plötzlich laut: »Nein, jetzt halte ich es nicht länger aus!«

Erstaunt blickten die beiden anderen auf.

»Wie sagtest du?« fragte der Rechte höflich.

»Ich sage, ich haltʼ es nicht mehr aus. Das ewige Einerlei langweilt mich zum Sterben. Wie lange soll denn das noch dauern?«

Feierlich versetzten die beiden anderen: »Ewig«.

»Ja sagt mir, habt ihr es denn noch nicht satt? Ich muß gestehen, ich möchte beinahe lieber unten auf der Drehscheibe kleben als hier oben zusehen, wie das so eintönig fortgeht jahraus jahrein. Diese Welt hat nicht das geringste Interesse mehr für mich; ich kenne sie auswendig von Alpha bis Omega. Endlich muß doch etwas Neues geschehen!«

Nun war die Reihe des Kopfschüttelns an den beiden anderen. Sie begriffen diese Neuerungssucht durchaus nicht und blieben bei ihrer ursprünglichen Ansicht, daß diese Welt die beste aller möglichen Welten sei. Sie. ihrerseits würden des Zusehens in alle Ewigkeit nicht satt werden. Der Linke versuchte durch Argumente zu wirken; aber sie erklärten diese Argumente für subjektiv. Alles, was er erreichte, war, daß sie ihm die Freiheit einräumten, seinen subjektiven Standpunkt für sich zu behalten. Es wäre wider alles göttliche Recht, wenn er diesen Standpunkt auch ihnen aufnötigen wollte.

Nun bemächtigte sich des Linken eine wachsende Verstimmung. Hartnäckig hielt er seine Augen geschlossen. Die anderen merkten es, aber sie überließen ihn sich selbst, wohl wissend, daß solche Unterschiede in der Weltanschauung nicht durch Auseinandersetzungen zu lösen sind.

Nach einigen Jahrtausenden öffnete der Linke wieder seine göttlichen Augen. Sie funkelten unheimlich wie von verhaltenem Ingrimm.

»Ihr werdet wohl erraten, was ich vorhabe«, sagte er.

»Hast du eine neue Erfindung gemacht?« fragte der Rechte erwartungsvoll.

»Und würdet ihr sie einführen?«

»Darüber sind die Akten geschlossen«, versetzte der Mittlere bestimmt.

»Gut denn, ihr wollt es nicht anders haben. Meine Geduld ist erschöpft. Und ich sage euch, es wird dennoch etwas geschehen! Nicht verbessern will ich euer Machwerk: ich will es zerstören!«

Ungläubig lächelnd blickten ihn die beiden anderen an. Aber sie konnten sich nicht mehr darüber täuschen, daß der Linke zum Äußersten gebracht war. Eine furchtbare Veränderung hatte sich an ihm vollzogen; Blitze schössen aus seinen Augen, und sein Angesicht glühte. Sein Atem war ein schnaubender Sturmwind, seine Stimme ein heraufziehendes Gewitter. Und plötzlich ausbrechend, in rasendem Zorn, riß er sich los aus der göttlichen Einheit und sprang mit gellendem Hohngelächter hinab in die Wirbel der Welt. Donnernd zerschellte sein Haupt an der Weltachse; die Räder erfaßten die Stücke und zermalmten sie in Milliarden Atome. Und in Milliarden Tropfen spritzte Feuer aus den zerrissenen Adern und ergoß sich über die Welt und zündete, wohin es traf.

Die beiden anderen sahen zu. Unbeweglich verfolgten sie die ungeheure Tat.

»Er wird reuig zurückkehren«, meinte der Rechte.

»Er wird nicht nachgeben«, meinte der Mittlere.

Wieder vergingen ungemessene Zeiträume. Der abtrünnige Gott blieb in der Welt verschollen. Nicht spurlos aber. Der Mechanismus stockte bald da, bald dort; Nieten lockerten sich, Ketten rissen, Riemen dehnten sich, Kessel platzten, Räder liefen sich heiß, Radkränze barsten, Seile verknüpften sich.

Am schlimmsten ging es auf der Drehscheibe zu. Die artigen Püppchen waren nicht wiederzuerkennen; anstatt ordentlich fortzutrotten, eines neben dem andern, in Reih und Glied, auf den angewiesenen Plätzen, begannen sie hin und her zu reißen, einander zu drängeln und zu stoßen, einander auf die Haken zu treten oder ein Bein zu stellen, daß eines über das andere purzelte. Zugleich erhob sich unter ihnen ein mörderliches Geschrei; die einen redeten vom Sündenfall, die anderen vom Kampf ums Dasein; noch andere kamen auf einmal zur Erkenntnis, daß sie ja alle nichts als elende Marionetten seien, an unzerreißbaren Fäden durch einen unbekannten Willen gegängelt; und sie verkündeten laut, daß die angebliche Freiheit des Willens nur eine Erfindung der Polizei sei. ein windiger Vorwand zur strafrechtlichen Verfolgung unverantwortlicher Staatsbürger. Viele wollten durchaus nicht weiterzappeln, da doch die ganze Zappelei keinen Zweck habe; sie setzten sich nieder, betrachteten ihren Nabel und sagten, man müsse die Welt verneinen, das sei das einzige Mittel, um aus dieser Höllenmaschine herauszukommen. Andere wieder lehrten, daß diese jammervolle Existenz auf der Drehscheibe nur die Vorbereitung für ein besseres Jenseits sei, und daß der erhabene Ingenieur, der die ganze Anlage geschaffen habe, die Wesen, die sich auf der Drehscheibe durch ihren Wandel bewährten, nach Vollendung ihrer Laufbahn zu sich zu nehmen beabsichtige.

Alle diese Hauptmeinungen, deren es eine Unmenge gab. fanden Anhänger und Gegner und spalteten sich in immer zahlreichere Untermeinungen, so daß unter den Wesen auf der Drehscheibe allmählich eine heillose Verwirrung um sich griff. Und in ihrer groben Weise, sich die Sachen zurechtzulegen, fielen sie über einander her und schlugen sich weidlich die Köpfe blutig, alle gegen alle, alle gegen einen, einer gegen alle, wie es gerade kam. Kurz, sie maßten sich an, über sich und die Welt nachzudenken, die Narren, und merkten dabei nicht, daß, es Gottes Zorn war, der in ihnen gärte. Zuweilen witterte ein besonders feiner Kopf etwas dergleichen und predigte vom Teufel, der losgelassen sei und umhergehe wie ein brüllender Löwe. Dann wuchs die Angst und Pein der Wesen auf der Drehscheibe ins Unerträgliche; sie stellten in ihrer Gewissensqual die verrücktesten Dinge an, bis sie wieder den Teufel und seine Prediger vergaßen.

Mit der ewigen Heiterkeit des Lebens war es aus. Aber auch mit der ewigen Heiterkeit seines Schöpfers. Sorgenvoll ordneten die beiden Köpfe den widerspenstigen Mechanismus immer von neuem. Nicht mehr jedoch mit der seligen Ruhe der ästhetischen Kontemplation. Sie waren schmerzlich in Mitleidenschaft gezogen: der Gott in der Welt hatte sich nicht gänzlich von ihnen geschieden.

Endlich erhob sich der Rechte. Die Klarheit eines himmlischen Entschlusses leuchtete auf seinem Antlitz. Er hub an:

»Länger kann dieser Zustand nicht dauern. Er, der sich hinabgestürzt hat, um mit seinem göttlichen Leben die Harmonie der mechanischen Ordnung zu zerstören, er ist der Unüberwindliche für uns, die wir von außen lenken. Es muß ein Opfer gebracht werden. Ich werde in die Welt hinuntersteigen.

»Und was wirst du in der Welt tun?«

»Ich werde ihn suchen.«

»Er wird sich zur Wehr setzen.«

»Ich werde mit ihm kämpfen.«

»Welche Waffe hast du gegen ihn, der den Haß in die Welt gebracht hat?«

»Ich werde die Liebe in die Welt bringen . . .«

Und nun sind die Beiden in der Welt, suchen und fliehen einander, lieben und hassen einander. Die Welt, sie ist voll eines Gottes, der mit sich uneins ist: wer kann daran zweifeln?

Das Feenschloß

Von alters her haben die Feen eine unüberwindliche Neigung, sich mit den Menschen in Verbindung zu setzen. Der alte König gerät immer ein wenig in Hitze, wenn es geschieht, daß eine oder die andere seiner schönen, zarten Untergebenen mit der schüchternen Bitte kommt, eine irdische Angelegenheit durch ihre Einmischung beilegen zu dürfen.

Da er aber ein milder und höflicher König ist, begnügt er sich zu sagen: »Madame, sind Sie denn noch immer keines Besseren belehrt? Trotz aller schlechten Erfahrungen nicht? Was verlockt Sie denn so sehr an diesem schmutzigen, stinkenden – mille excuses! – Gesindel? Wissen Sie nicht, wie unverbesserlich und undankbar die Leute sind? Fragen Sie doch einmal . . .« Und dann zählt der alte König eine ganze Reihe von Feen auf, die sichʼs nicht hatten nehmen lassen, die Wohltäterinnen der Menschen zu spielen und dabei kläglich schlecht weggekommen waren.

Allerdings konnte er in der Regel die schönen Bittstellerinnen damit nicht von ihrem Vorhaben abwendig machen. Sie meinten, sie würden es eben klüger anstellen als ihre Vorgängerinnen.

Das widerfuhr ihm auch mit der Fee Myriadora. Er hielt große Stücke auf sie Sie war die anmutigste und unschuldigste von allen, heiter wie ein Sonnenstrahl und lieblich wie ein Tautropfen, wenn der Sonnenstrahl auf ihn fällt. Deshalb ging es ihm besonders nahe, als sie ihm eines Tages eröffnete, sie habe sich einen wunderschönen Plan ausgedacht, um diesen armen geplagten Erdengeschöpfen eine erlesene Freude zu bereiten. Er begann unverweilt von den schlechten Erfahrungen zu sprechen. Aber sie fragte mit ihrem melodischen Lachen, in dem es läutete wie von tausend silbernen Glöckchen, was denn das sei, Erfahrungen? Von etwas derartigem könne sie sich nicht die geringste Vorstellung machen.

Der alte König wußte nicht gleich, wie er das Wesen der Erfahrungen erklären sollte. Erfahrungen: je nun, das wären alle Einsichten, die man aus den Zusammenstößen mit der Welt der Wirklichkeit gewänne, wie sie auf Erden leider bestehe.

Wie herrlich! So sei die Welt der Wirklichkeit ganz anders als das Feenreich?

Ja, gewaltig anders, aber herrlich durchaus nicht.

Das wollte Myriadora nicht glauben: Daß die Erdenwelt anders war, darin lag ja das geheimnisvoll Anziehende, das von ihr ausging. Und mit den Erfahrungen würde es nicht so schlimm sein; die Erfahrungen seien wohl nur eine Art Dornenhecke, über die man leicht hinwegkäme, wenn man schweben könne.

Ei ja wohl! Nur daß es mit dem Schweben ein Ende habe, sobald man den Boden der Erde betrete.

Nun, wenn auch! Sie wisse, daß man bei einem solchen Unternehmen auf einige Bequemlichkeiten verzichten müsse. Sonst wäre es auch nichts Großes und Schönes, da hinunterzusteigen, um Freude zu bereiten.

Und als der alte König, durch diese Unbeirrbarkeit ein wenig erbost, fragte, ob sie denn glaube, daß die Menschen, diese Cretins, nur so mit offenen Händen dastünden und warteten, bis eine gütige Fee ihnen ihre Gaben bringe, bejahte sie mit Zuversicht. Ja, die Menschen sehnen sich unablässig nach Freuden, suchen sie unablässig; wie sollten sie nicht dankbar zugreifen, wenn ein höheres Wesen gesonnen sei, mit vollen Händen Freuden unter sie auszuteilen?

Der alte König dachte bei sich, daß ein konstitutioneller Monarch wie er, der nur die Ordnung aufrecht erhalten, aber die persönliche Freiheit nicht beschränken soll, doch ein verdammt schwieriges Amt innehabe. Und da seine Warnungen nichts fruchteten, erkundigte er sich vorerst einmal, auf welche Weise die Fee Myriadora als allgemeine Freudenspenderin unter den Menschen aufzutreten gedächte.

O, ihr Plan war schon gemacht, und ebenso wundervoll als einfach war er, ohne Schwierigkeit auszuführen. Sie wollte an einer Landstraße, wo Menschenkinder der verschiedensten Art- vorüberkommen, ein Haus erbauen, ein herrliches Lustschloß mit Gärten voll Götterstatuen und Springbrunnen, wo in den immergrünen Gebüschen die Nachtigallen schlugen und die purpurnen Blumen des Feenreichs mit ihren goldenen Staubgefäßen süße Melodien spielten.

Und jeder, der eintrete, würde in die selige Stimmung des Feenreichs versetzt; er brauchte nur aus der Schale am Brunnen, wo die kristallene Quelle des Feenreichs sprudelte, einen Schluck zu nehmen, und gleich würde ein gesegnetes Vergessen alles Weh der Erdenschwere in ihm auslöschen, er würde die Sprache der Vögel verstehen, den Gesang der Bäume im Wind, die Harmonie der ziehenden Wolken, er würde den Wohllaut vernehmen, von dem alle schönen Dinge in der Welt tönen. Und wenn der Glückliche nun in die rechte Stimmung versetzt sei, dann wolle sie selbst ihm erscheinen und sein Herz vollends beseligen mit Lachen und Scherzen und all den lieblichen Spielen, mit denen die Feen ihr Leben verbringen.

Da wurde der alte König ernstlich böse. Parbleu! Für diese lieblichen Spiele sei der Mensch durchaus ungeeignet; es fehle ihm einfach das Organ dafür. Überdies habe er die gräuliche Eigenschaft, daß er alles, was ihm wohlgefällt, besitzen und für sich allein haben wolle. Und so werde durch solche Zeichen der Huld eine Art Habgier und Hunger in ihm geweckt, die ihn zu ganz anderen Dingen treibe, als sie mit der seligen Stimmung des Feenreichs vereinbar wären. Für diesen Hunger hätten die Menschen, die immer das Wesen der Dinge durch Worte verdunkeln, den Namen Liebe erfunden.

Wie herrlich! Die selige Stimmung des Feenreichs könne doch durch nichts besser bewirkt werden als eben durch Liebe, das wisse Seine Majestät sehr genau.

Schon gut! Was im Feenreich Liebe heiße, und was die Menschen so nennen, das sei eben Tausend und Eins. Ihm stünden die Haare zu Berg bei dem bloßen Gedanken, daß sie, die zarte, liebliche, ätherische Myriodora, sich dieser kannibalischen Menschenliebe aussetzen wolle . . .

Allein der alte König konnte sagen was immer, die Fee Myriadora fand alles herrlich. Der Widerstand machte sie erpicht, die Warnung begierig. Nicht einmal die Drohung, selbst auf unabsehbare Zeit der seligen Stimmung des Feenreichs verlustig zu gehen, bewog die Fee Myriadora, ihren Vorsatz aufzugeben. Sie erbat sich Bedenkzeit; nicht um sich zu bedenken, sondern um den Ärger des Königs ein wenig verrauchen zu lassen. Denn das wußten sie alle, diese schönen und klugen Wesen, die sich nur auf Erden so schlecht auskannten: Wenn der alte König seine Einwendungen heruntergepoltert hatte, konnte man ihn schließlich doch zu allem haben. Er wollte nur Recht behalten, das war eine Schwäche von ihm. Sobald eine der Feen von einem mißglückten Unternehmen zurückkehrte, machte er ihr seinen Besuch, um zu hören, wie es ihr ergangen war. Und dann verfehlte er nie, mit breitem Behagen, dem er nicht einmal ein Mäntelchen höflichen Bedauerns umhängte, zu sagen: »Eh bien! Habʼ ichʼs nicht gleich gesagt?« Aber nach diesem Triumph überlegener Welteinsicht, den er seiner Stellung schuldig zu sein glaubte, schlug sein väterliches Herz durch, und er pflegte dann mit höchsteigener Hand die schönsten silbernen Gespinste auszubreiten, die er mitgebracht hatte, um die vom Erdenstaub befleckten Gewänder der Zurückgekehrten durch eine neue schimmernde Feentoilette zu ersetzen.

Als er nun Myriadora, wie alle die früheren, ganz geknickt und in sich gebückt beim Seitenpförtchen hereinschlüpfen sah, nicht gar lange, nachdem sie strahlend und schätzebeladen durchs Hauptportal ausgezogen war, machte er sich ungesäumt zu der üblichen Visite auf. Er freute sich diesmal weniger auf den Triumph des Rechtbehaltens – denn über ein so naives Gemüt wie das der Fee Myriadora zu triumphieren, schien nicht einmal dem rechthaberischen alten König genußreich –, er freute sich auf die zärtlichen Glöckchen ihres Lachens, wenn sie unter seinen Händen im Glanz ihrer neuen Ausstattung wieder aufblühen würde zur wolkenlosen Bläue des Feenhimmels, der sich in ihren Augen spiegelte.

Väterlich milde sprach er sein »Eh bien, habʼ ichʼs nicht gleich gesagt?« aus. Aber sie schüttelte unbekehrt ihr eigenwilliges Lockenköpfchen.

Wie? Das wäre! Sie hätte keine Schlechtigkeit bei den Menschen erfahren? Keinen Undank? Keine Bosheit? Und da sie nur immer stumm den Kopf schüttelte, fragte er endlich baß erschrocken: »Unglückselige Myriadora, Sie werden sich doch nicht etwa in einen dieser klebrigen Idioten verliebt haben?«

»Dazu hatte ich gar keine Gelegenheit«, versetzte Myriadora, dem Weinen nahe. Und erst nach langem Drängen und Trösten brachte der alte König mehr aus ihr heraus. Alles war aufs beste hergestellt worden; schön wie nie ein irdisches Anwesen zuvor lagen Haus und Garten bereit zum Empfang der Gäste. Aber merkwürdig: Niemand trat ein. Alle zogen sie auf der staubigen, öden Landstraße dahin, eilfertig oder saumselig, leichtfüßig oder beladen, und keinem fiel es ein, auch nur einen Blick auf die gastliche Pforte des Feenschlosses zu werfen. Warum verschmähten sie es? Warum wollten sie das Geschenk nicht annehmen, das ihnen zugedacht war? Warum gingen sie gleichgültig daran vorbei, als erwarteten sie auf ihrem Weg viel köstlichere Dinge zu finden?

Da konnte der alte König das Lachen nicht länger zurückhalten.

»Pauvre chérie!« rief er. »Der Grund ist einfach: Diese Maulwürfe haben Ihr Schloß gar nicht gesehen! Es ist ihnen unsichtbar geblieben.«

Wieder schüttelte Myriadora betrübt den Kopf. Auf diese Vermutung sei sie endlich selbst gekommen; es hätten sich aber wohl Mittel und Wege finden lassen, diesen Konstruktionsfehler, der nicht den Menschen, sondern ihr selbst zur Last fiel, zu beheben. Jedoch als sie eben daran gehen wollte, die Sichtbarkeit ins Werk zu setzen, trat ein Ereignis ein, das sie eines Bessern belehrt. Jetzt kam dieses Schreckliche, Unbekannte: die Erfahrung. Nein, nicht unsichtbar war ihr Schloß geblieben; nur als etwas ganz anderes erschien es, als etwas – nun, sie konnte nicht zweifeln: als etwas Längstbekanntes, Gewöhnliches, Alltägliches, das durchaus keine besondere Anziehungskraft ausübte. Das habe sie in dem Augenblick erkannt, als der erste Mensch die Schwelle ihres Schlosses überschritt. Gleichgültig schlenderte er durch die duftenden Laubengänge des Gartens, wusch sich am Brunnen die Hände, ohne einen Schluck aus der Quelle zu nehmen, die so wunderbare Gaben zu wirken bestimmt war. Dann setzte er sich ohne Umstände an den gedeckten Tisch in den mit Rosenholz getäfelten Saal, ergriff Gabel und Messer und rief: »He Wirtschaft! Wie lange muß man denn hier warten, bis man bedient wird?«

Dieses Auftreten war nicht gerade einschmeichelnd. Aber entzückt über die Anwesenheit eines menschlichen Wesens und noch ganz erfüllt von ihren eigenen Vorstellungen über die Wonnen, die diesem Wesen beschert werden sollten, entschloß sich Myriadora, im vollen Glanz ihrer Feengestalt zu erscheinen, um dem Ankömmling zu offenbaren, wo er sich befände.

Mit klopfenden Herzen stellte sie sich vor ihn. Sie sah, wie die blanken silbernen Teller von den Reflexen ihrer Erscheinung golden aufleuchteten und die geschliffenen Krystallprismen des Kronleuchters in allen Regenbogenfarben in dem Licht funkelten, das von ihr ausstrahlte. Ach, zum erstenmal einem sterblichen Auge sichtbar werden, das ist auch für eine Fee ein Erlebnis ohne gleichen!

Der Ankömmling blickte auf. Er stieß seine beiden Hände mit Messer und Gabel auf den Tisch und rief mit derselben groben Stimme wie vorhin: »Was stehst du und gaffst? Hurtig, hurtig! Ich will essen, ich will trinken . . .«

Und da sie, ohne zu verstehen, unbeweglich blieb, fuhr er fort: »Glaubst du etwa, daß ich deinetwegen in diese Bude gekommen bin? Da weiß ich mir andere als eine solche dürre Rockenspindel wie du. Also vorwärts, sonst mach ich dir Beine!«

Warʼs möglich? Er hielt das Feenschloß für ein Wirtshaus und sie selbst für eine Küchenmagd! Ungläubig versetzte sie: »Aber sieh mich doch an, Unglücklicher! Ich bin die Fee Myriadora. Kannst du mich denn nicht erkennen?«

»Eine Küchenfee bist du, und übergeschnappt obendrein, du Närrin«, schrie er zornig, indem er aufsprang.

Da zog sie es vor, schleunig wieder zu verschwinden. Ohne noch einen Blick auf ihr Werk zu werfen, kehrte sie in das angestammte Reich zurück, froh, mit heiler Haut entronnen zu sein.

Befriedigt ging der alte König von dannen. Nun war die Fee Myriadora gründlich von dem Wunsche geheilt, den Menschen sichtbar zu werden; er brauchte sich um sie nicht mehr zu sorgen.

Wie groß aber war sein Erstaunen, als sie nach wenigen Tagen vor ihm erschien, um neuerdings Urlaub zu erbitten. Sie sei zu voreilig gewesen; denn was bedeute es schließlich, wenn einer nicht den Erwartungen entspräche, die man hegt? Es gebe ja noch unzählige andere. Ja, unzählige Möglichkeiten gebe es: Warum sollte sie sich also durch eine einzige Erfahrung abschrecken lassen?

So kam es, daß die Fee Myriadora abermals auf die Erde hinabstieg, ihr Glück zu versuchen.

Und wieder kehrte sie ganz geknickt zurück. Aber nach einigen Tagen fand sie, daß auch zwei schlechte Erfahrungen gegenüber der Fülle der Möglichkeiten nichts zu bedeuten hätten; und das Gleiche behauptete sie nach dem dritten, vierten, fünften Mal. Der alte König mußte sich allmählich darein ergeben, daß die Fee Myriadora durch Erfahrungen überhaupt nicht klüger zu machen war. Wie oft sie auch enttäuscht wurde: immer wieder siegte ihr Glaube an die Fülle der Möglichkeiten. Denn sie trug sie in ihrem eigenen Herzen.

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0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
140 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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