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Читать книгу: «Fabeleien», страница 8

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Die Wanderer und das Ziel

Seit vielen hundert Jahren waren die heiligen drei Könige schon auf der Rückreise. Sie suchten den Weg, der sie wieder nach Hause führen sollte, in das Land ihrer Heimat. Seit vielen hundert Jahren suchten sie ihn. Als sie gekommen waren, hatten sie nicht auf den Weg geachtet, verloren in den Anblick des himmlischen Führers, der ihnen ein seliges Ziel verhieß. Und dort in Bethlehem, auf Knien vor dem Kinde, das sie als den König der Welt grüßten, wie hätten sie an die Zukunft denken sollen? Zukunft und Vergangenheit flößen ineinander zu einem einzigen höchsten Augenblick. Nichts höheres konnte mehr geschehen; Himmel und Erde standen still und knieten mit ihnen vor dem König der Welt.

Aber der Augenblick ging vorüber. Die ruhelose Zeit nahm die heiligen drei Könige mit sich fort, weit hinweg von dem göttlichen Kinde, auf den alten Wegen der Hoffnung und der Entbehrung, von denen niemand weiß, wohin sie führen. Sie gingen, gingen, gingen immerzu. An jedem Kreuzweg blieben sie stehen und berieten über die Richtung, die sie einschlagen sollten, um wieder nach Hause zu kommen. Aber welchen Weg sie auch wählten, sie mußten sich doch nach kürzerer oder längerer Zeit eingestehen, daß sie in die Irre gingen. Und immer mehr verloren die heiligen drei Könige ihren guten Mut. Niedergeschlagen schritten sie fürbaß, müde der endlosen Wanderschaft und heimlich voll Zweifel über ihre Sendung.

Zuweilen, wenn sie während der Mittagsschwüle im Schatten rasteten, weinte der heilige Melchior und sagte gramvoll: ,,Ach, warum habe ich das Land verlassen, das mich geboren hat? Ihr Gärten meiner Heimat, in denen ich ein glücklicher und geliebter König war, werde ich euch nie wiederfinden? Werde ich ewig in der Fremde irren müssen, ungeehrt und ungekannt, ein Wanderer nach einem Land, von dem niemand Kunde weiß?«

Nachts, wenn die beiden anderen schliefen, wachte der heilige Balthasar, der in den Beobachtungen des Himmels gelehrt war, und fragte das Firmament um Rat. Da kniete er, faltete seine Hände in Andacht vor dieser unzugänglichen Sternenwelt, kniete und betete um ein Zeichen. Erst wenn es Morgen werden wollte, legte er sein Haupt zur Ruhe. Dann seufzte er: »O Gott, warum versagst du mir das Zeichen, auf das ich harre? Warum läßest du die Sterne ihre Bahn wandeln herauf und hinab und führest uns nicht aus der Irre? Oder stehet dein Wille geschrieben in diesen ewigen Zeichen, hast du die Schrift deiner Weisheit leuchtend auf den Himmel gesetzt, und es sind nur meine Augen blind und mein Verstand reicht nicht, daß er die Sprache deiner Zeichen verstehe?«

Am besten hielt der heilige Kaspar in diesen Wirrnissen sein Gemüt aufrecht. Er war der jüngste der drei Könige, und seine Einfalt war so groß wie seine Weisheit. Die Sonne hatte ihm das Gesicht verbrannt, daß er aussah wie ein Mohr, weshalb auch der Leumund, der sich immer an den Anschein hält, ihm nachsagte, er sei ein Mohrenfürst. Wohin er kam, pries er die Herrlichkeit der Welt und dankte dem Herrn, der solche Wunder erschaffen hat. Wenn er die beiden Anderen so niedergeschlagen sah, sagte er: »Warum doch trauert ihr, meine Brüder? Sehet an die Welt und ihre Herrlichkeit; ist es nicht gut sein allerorten, wo die liebe Sonne scheint und die wunderbaren Werke des Lebens wirkt?«

Darüber staunten Melchior und Balthasar; denn es deuchte sie, Kaspar habe der alten Heimat vergessen und vergnüge sich leichtherzig in der Fremde an Dingen, an denen sie vorübergehen sollten, achtlos und ungerührt, ein höheres Ziel treulich vor Augen. Wenn sie ihm das vorhielten, meinte er wohl, die alte Heimat, die sei ein gar wonniges Ziel; aber da nun der Weg dahin ihnen noch nicht offenbar und sie bemüssigt wären, zu wandern durch alle Reiche der Welt vielleicht bis ans Ende ihrer Tage, warum sollten sie sich da nicht an dem ergötzen, was ihnen unterwegs Schönes und Holdseliges begegnete?

Und so bildete sich allmählich jeder seinen stillen Glauben für sich: Der heilige Balthasar, daß sie in ein neues Reich fern von der alten Heimat berufen seien, der heilige Melchior, daß sie unbeirrt durch alle Hindernisse und Irrwege in die alte Heimat zurückfinden sollten, der heilige Kaspar, daß sie ohne Ziel und Absicht lobpreisend durch die Welt zu ziehen hätten, so lange es dem lieben Gott gefiel.

Als sie aber dieser Meinungsverschiedenheit inne wurden, erschraken sie in ihren guten königlichen Herzen gar sehr. Deshalb hielten sie eines Tages noch einmal Rat miteinander, und nach reiflicher Erwägung beschlossen sie, wieder nach Bethlehem zurückzukehren, an den heiligen Ort, von dem sie ausgegangen waren, weil es doch wohl möglich wäre, daß sie den Weg von Anbeginn verfehlt und eine falsche Richtung eingeschlagen hätten.

Es war Nacht, als sie in Bethlehem anlangten. Schwarz hing der Himmel von Wolken. Nur zuweilen fuhr ein Blitz grell durch die Finsternis und zerriß für einen Augenblick den undurchdringlichen Schleier. Dann glaubten die heiligen drei Könige die Wunderstätte wieder zu erkennen, an der ihnen einst Heil widerfahren war; und sie erwarteten in ihrer frommen Zuversicht nichts anderes, als daß sich die Türe des gebenedeiten Stalles wie damals öffnen werde, um ihnen den himmlischen Anblick des Kindes zu enthüllen, das lichtumflossen auf dem Schoß der Jungfrau spielte. Und wie damals wollten sie vor dem Kinde knien und von seinem strahlenden Angesicht die Offenbarung empfangen, nach der sie sich sehnten.

Sie warteten freudig in der Finsternis. Aber die Tür öffnete sich nicht. Beim Grauen des Morgens wagte es der heilige Balthasar, mit schüchternem Pochen Einlaß zu begehren. Dreimal klopfte er; da fiel die morsche Tür aus den Angeln und stürzte polternd in den inneren Raum. Und mit Schrecken sahen die heiligen drei Könige, daß er leer war. Kein Dach bedeckte ihn; fahl schien der Himmel herein und warf einen grauen Schein auf die Trümmer, die umher lagen.

Aus dem dunkelsten Winkel aber stieg drohend und furchtbar wie ein Gespenst eine schwarze Gestalt herauf. Es war ein alter Mann mit einem wilden Bart, der ihm bis auf die Lenden fiel. Sein Blick war böse, sein Mund war bitter. Er wandte sein Angesicht ab, als er an den heiligen drei Königen vorbeischritt.

Der heilige Kaspar hielt ihn an.

»Wer du auch seiest, der du hier wohnst,« sagte er gütlich, »vergib, daß wir hier eingedrungen sind; vielleicht kannst du uns Bescheid geben –«

»Ich bin keiner, der Bescheid gibt,« versetzte grollend der Mann aus seinem Barte.

Der heilige Kaspar, also abgewiesen, trat zurück. Da stellte sich der heilige Balthasar dem düsteren Fremdling in den Weg:

»Vernimm: Wir sind die heiligen drei Könige! Wir sind gekommen, das Kind anzubeten, das hier geboren ward, das Kind Gottes, das die Welt mit Freude und Frieden erfüllen und uns den Weg und das Ziel weisen wird –«

»Ich weiß von keinem Kinde,« versetzte der Mann und ging vorbei.

Aber getrieben von der Sehnsucht seines Herzens, faßte der heilige Melchior nach dem Zipfel seines Mantels. »O du Unbarmherziger,« rief er schmerzlich, »siehst du denn nicht, daß wir müde sind von vergeblichem Hoffen und Harren? Seit undenklichen Zeiten wandern wir durch die Welt, nun hat unser Glaube uns hieher zurückgeführt. Sollen wir wieder unbelehrt von dannen ziehen? Sollen wir wandern in alle Ewigkeit?«

Da blieb der Fremdling auf der Schwelle stehen und wandte sich um. Sein böses Auge fiel schadenfroh auf die bestaubten Kronen und die abgeschabten Purpurmäntel der heiligen drei Könige. Er sagte mit höhnisch klagvollem Lachen:

»Hei, ach hei! Also wandern auch die, so da glauben, ziellos durch die Welt, und nicht nur der, so da zweifelt? Wandert nur weiter, ihr heiligen drei Könige, wandert in alle Ewigkeit! Das ihr suchet, das Ziel, das werdet ihr nimmer finden. Ich, der ich wandere solange wie ihr und kenne die Reiche der Welt von Aufgang bis Untergang, ich weiß es und sagʼ es euch!«

»Wenn du die Reiche der Welt kennst, Fremdling«, sagte der heilige Melchior, »dann vermöchtest du wohl auch uns den Weg zu weisen, der uns in die alte Heimat zurückführt, wo wir wieder einträchtig nebeneinander regieren wollen, wie einst in lange vergangenen Tagen –?«

Der Fremdling stieß seinen hohnvollen Klageruf aus. »Hei, ach hei! Ihr törichten Könige, warum habt ihr das Land verlassen, das eure Heimat war? Dieweil ihr nach neuen Zielen in der Welt umherschweifet, sind eure Reiche zerfallen, die alte Ordnung ist umgestürzt, Aufruhr hat die Eurigen ergriffen und zwischen ihnen wütet der Krieg. Wo du herrschest, Balthasar, ist ein falscher König auf den Thron gestiegen und duldet keinen anderen König neben sich und hat sich angemaßt, allein zu verrichten, was euch Dreien zugehört, und dein Reich, Melchior, hat er unterjocht und nimmt den Deinen das Brot und läßt sie darben, und sie müssen ihm dienstbar sein und haben nur Ansehen, soweit sie sich ihm beugen. Die Deinen aber, Kaspar, sind ganz verachtet und in die Sklaverei verkauft; sie werden angespien und mit Füßen getreten von denen Balthasars, und sollen ausgetilgt werden mit Feuer und Schwert als Widersacher Gottes und Gehäuse des Teufels. Dafür rotten sie sich bei Nacht zusammen und empören sich heimlich, und wo sie können, rauben und morden sie und brennen nieder die Werke derer von Balthasar und Melchior.«

Als die heiligen drei Könige diese Worte vernahmen, weinten sie bitterlich. Dann sagte der heilige Balthasar aus seinen Tränen:

»Wohl ist es wahr; unsere Untertanen sind niemals friedfertig gewesen, sondern haben in Hader und Zank gelebt und sich übernommen gegeneinander und waren jedes ein zorniges Volk, schwer zu regieren und voller Gebrechen. Deshalb sind wir ausgezogen, dem Sterne nach, der uns den neuen König der Welt verhieß. Diesen König haben wir angebetet, in seine Hände haben wir unsere Szepter gelegt. Er sollte herrschen in unseren Reichen und sie erfüllen mit seinem Licht und seiner Gnade. Ja, haben ihn gesehen, den König der Welt, das Kind der Verheißung, das Gotteskind! In ewiger Herrlichkeit spielt es auf dem Schöße der Jungfrau, die es geboren hat. Wer vor ihm kniet, von dem wird alle Last und Pein genommen, aller Fragen wird er ledig, aller Unrast wird er frei. Wir wollen in das Reich ziehen, das es gegründet hat, das soll unserer Wanderschaft Ziel sein. Wenn du ein Genosse unseres Schicksals bist und mehr weißt als wir, so gib uns Kunde, wohin das göttliche Kind entschwunden ist und wo sein Reich sich befindet, das gebenedeite Reich des Gotteskindes!«

Der Fremdling richtete sich hoch auf. Sein schwarzer Bettlermantel flatterte um ihn wie eine Gewitterwolke. Sein Blick war Unheil, seine Gebärde Verzweiflung.

»Hei, ach hei! Ihr törichten Könige, das Ziel, das ihr suchet, ihr werdet es nimmer finden! Wandert in alle Ewigkeit, ihr törichten Könige! Das Reich des Gotteskindes ist nicht gegründet, die Erlösung ist nicht gekommen, die Welt läuft ihre Bahn ohne Ende und Ziel wie vor und eh. Wisset: das Kind, das hier geboren ward, das ist ein Mann geworden und der Mann hat der Welt die Erlösung bringen wollen und hat sich um seiner Botschaft willen ans Kreuz schlagen lassen. Ich habe ihn gesehen, als er nach Golgatha geführt ward. Ich stand vor meiner Tür, da kam er vorbei. Er trug auf der Schulter das Kreuz, an das er geschlagen werden sollte. Henkersknechte und gemeines Volk gingen hinter ihm her. Und er blieb vor mir stehen und sagte: »Siehe, ich bin der Sohn Gottes, der gekommen ist, durch seinen Opfertod die Welt zu erlösen; gewähre, daß ich raste auf der Bank vor deinem Hause.« Ich aber trieb ihn hinweg und sagte: »Gar viele sind hier den Weg zur Richtstätte gegangen, doch keiner von ihnen hat die Welt erlöst. Und würdʼ ich so alt wie die Welt, nie würdʼ ich glauben, daß einer ihr Erlösung brächte!« Da setzte er seufzend seine Schritte weiter fort. Aber schon im Gehen wandte er sich noch einmal nach mir um, und ich hörte die Worte: »So wandre denn durch die Welt, bis du es glaubst!« Ich blieb in meiner Türe stehen und sah von Ferne zu, wie er gerichtet ward. Und als er am Kreuze hing, verfinsterte sich die Sonne, die Erde wankte unter meinen Füßen, der Himmel wurde schwarz wie ein Sarg. Da verließ ich mein Haus und ging. Ich ging vom Morgen bis zum Abend, tagaus tagein, ich ging ohne Rast und Ruh. Ich ging durch alle Reiche der Welt, zu sehen, ob die Erlösung über sie gekommen wäre. Als ein Zuschauer ging ich, der nicht verstrickt ist in ihre Qual und nicht verblendet von ihrer Lust. Ich ging als einer, der prüfen und betrachten kann. Und wohin ich kam, fand ich die alte Qual, die alte Lust, unabänderlich und unerlösbar das Getriebe wie von Anbeginn. Aller Wandel ist nur Schein. Die Welt, sie bleibt sich ewig gleich, sie läuft in einem Kreise ihre Bahn und immer wieder muß sie dahin zurückkehren, von wo sie ausgegangen ist.«

Seine harten, verdorrten Hände ballten sich gegen den Himmel.

»Du Tor, der du dein Leben an eine vergebliche Verheißung gesetzt hast, höre mich, ich schrei es dir entgegen wie vor tausend Jahren: Die Welt ist nicht erlöst, die Welt wird nie erlöst werden! Wenn du ein Lebendiger bist in den Höhen, wenn der Blitz dir gehorcht und die Gewalt des Donners, wenn du sitzest zur rechten Hand dessen, der die Wege kennt und das Ziel bestimmt, dann zerschmettere mich! Zerschmettere mich auf der Schwelle, von wo du ausgegangen bist zu dem vergeblichen Werk! Zerschmettere mich, damit ich nicht länger mitansehen muß, wie die Welt ziellos durch die Nacht der Ewigkeit irrt!«

Er starrte in den Himmel, gleich als erwarte er ein Zeichen. Aber der Himmel blieb grau und stumm.

Da stieß er seinen hohnvollen Klageruf aus und ging.

Und wie er sich entfernte, schien er zu wachsen; sein schwarzer Bettlermantel verfinsterte die Dämmerung des Morgens, und seine Gestalt glich in der Ferne den zerklüfteten Felsenbergen, die weit draußen die Wolken berührten.

Bebend standen die heiligen drei Könige beisammen, noch lange, nachdem er verschwunden war.

»Wer war das?« murmelte der heilige Kaspar schaudernd.

»Warum wurde uns dies Zeichen gesandt?« fragte der heilige Melchior bange.

Der heilige Balthasar schwieg. Er fühlte, daß er es war, der seinen Gefährten Antwort geben mußte, wenn sie nicht in Verzweiflung fallen sollten. Und plötzlich kam die Erleuchtung über ihn.

»O liebe Brüder, erkennt ihrʼs nicht? Solange dieser unselige Wanderer durch die Welt irrt, sollen auch wir unseren Weg fortsetzen, und sollen verkünden, wohin wir kommen, daß das göttliche Kind geboren ist, das Kind, das die Welt erlösen wird. Auf, meine Brüder und fasset Mut! Das Kind hat uns zu Zeugen erwählt, lasset uns hingehen und der Welt die Botschaft verkünden: das Kind ist geboren das Kind ist gekommen, das Kind ist der König der Welt!«

So ziehen die heiligen drei Könige durch die Welt, und immer, wenn das Jahr sich erneut, verkünden sie die Geburt des göttlichen Kindes, das in die Welt gekommen ist, um Friede und Freude zu bringen. Nur wenn jemand sie fragt, woher sie kommen, wohin sie gehen, da schütteln sie die Köpfe, da bleiben sie stumm –.

Der Wiedergeborene

Der Fremde setzte sich in einen Beichtstuhl, um zu lesen, was in seinem Reisehandbuch über die Kirche geschrieben stand. Sie war auf den Trümmern eines von den Christen zerstörten Minervatempels errichtet; ihre besondere Sehenswürdigkeit bildete der auferstandene Christus, der in der Hand das Kreuz hält. Mit zwei Sternen hatte ihn der Verfasser des Reisehandbuches ausgezeichnet; das ist, als wenn ein Fürst das Großkreuz eines Ordens verleiht. Dennoch versagte er sich einige kritische Glossen nicht; er bemerkte, daß in dieser Statue mehr das Heldenideal eines Humanisten als der leidende Weltheiland dargestellt sei, nicht die Sanftmut, Duldsamkeit, Ergebung des christlichen Erlösers, sondern die Verkörperung siegreicher Kraft und stolzer Selbstherrlichkeit. Zugleich machte er darauf aufmerksam, daß der Bronzeschurz, den die Marmorfigur um die Lenden trägt, später angebracht worden sei, um ihre anstößige Nacktheit zu bedecken, während der metallene Schuh an ihrem linken Fuße gegen die Abnützung durch gläubige Küsse dienen soll.

Der Tag neigte sich schon zum Abend. Vielleicht war es ebensosehr die Müdigkeit, als das Reisehandbuch, was den Fremden überwältigte; die Augen fielen ihm zu, er versank tief in Schlaf.

Als er erwachte, herrschte Nacht. Die Kirche war in schwarze Finsternis gehüllt. Nur vor dem Hochaltar brannte das ewige Licht und warf aus der roten Glasschale glühende Funken auf das kleine silberne Kruzifix, das zwischen weißen Blumen auf der Platte des Altares stand. Wie in Blut getaucht schimmerte der Leib des Gekreuzigten und das Gewand der Muttergottes, die als ein zierliches Figürchen zu den Füßen des Kreuzes angebracht war. So klein waren die silbernen Gestalten, daß sie in eine unendliche Ferne entrückt schienen, durch die Finsternis wie durch ein abgründliches Meer von dem Diesseits getrennt. Undurchdringlich wogte dieses Meer der Finsternis in das Schiff der Kirche hinaus, eine uferlose Welt für das Auge, das, noch befangen von den Bildern des Schlafes, ratlos in sie hinausstarrte.

Aber schon begann die tote Finsternis sich zu beleben. Der uferlose Raum erfüllte sich mit einem farbigen Nebel, der von den Fenstern herzuströmen schien. Und wie das formlose Gewoge sich dichter ballte, schied es sich in zwei deutlich getrennte Schichten. Die eine stieg aufwärts, erhellte sich zu einem duftigen Blau und ordnete sich strahlenförmig um den fernglänzenden Punkt des Kruzifixes. Durchsichtig unkörperliche Gestalten, nebelhaft zerflossen, schwebten darin, goldene Flügel breiteten sich aus, schillernden Gewänder flatterten in stilvollen Falten, von einem immerwährenden Zephir leicht aufgebauscht. Dazwischen ragten, zahllos gestuft, verklärte Leiber von Männern und Frauen, allerlei Geräte lieblich vergoldet neben sich, über dem Haupt einen mild leuchtenden Reifen. In feierlich lautloser Stille blickten sie gegen den Mittelpunkt und regten sich nicht.

Die untere Schichte aber wälzte sich tosend in unförmlichen Haufen über den Fußboden hin; mißfarbige Streifen und Flecken stiegen darin auf, ungeheuerliche Blasen, die sich wie Polypen mit irr um sich greifenden Fangarmen reckten; trübe Lichter schwammen auf dem fettigen, schmutzig braunen Dunst und versanken in seine bodenlose Tiefe. Als die Nebelmassen näher strudelten, ließen sich wimmelnd ineinander gewühlte Menschenleiber erkennen, zahllos, und winzig gleich den Würmern in den Gespinsten an Hecken, oder den Ameisen in einem zertretenen Erdhaufen.

Aus diesem chaotischen Wirbel lösten sich einzelne Ungetüme heraus, schrumpften zusammen und nahmen Gestalt an. Es waren die Götter des Olymps die sich entpuppten. Aber nicht in der strahlendet Schönheit ihres ambrosischen Daseins. Von Alter entstellt, durch Elend entwürdigt, zerlumpte, geflickte, verlotterte Gestalten, trieben sie in der Tiefe ein geräuschvolles Wesen, das dröhnend von den Kirchen- wänden widerhallte. Mars, vom Scheitel bis zu den Zehen in Eisen starrend, rasselte so laut mit seiner Rüstung, daß er bisweilen Alle übertönte; Venus, geschminkt und frech, triefend von Aussatz, den ihr Flitterstaat notdürftig verhüllte, kreischte gellende Zoten dem betrunkenen Bacchus ins Ohr, der schmutzbesudelt auf dem Boden lag; Juno zählte Geld und trieb einen geschwätzigen Handel mit Merkur, der neben ihr auf einem mit papiernem Geld ausstaffierten Tronstuhl saß, während Jupiter als zahnloser, zittriger Greis im Hintergrund stand, offenen Mundes wie ein Schwerhöriger vor sich hinbrütend. Seine Tochter Minerva, der Aegis beraubt, ausgemergelt und vergilbt, schrie ihm unablässig Befehle und Weisungen ins Ohr, die er nicht verstand, und um die sich niemand sonst kümmerte.

Jeder der olympischen Götter hatte eine unabsehbare Gefolgschaft unter sich, zuchtlose, wilde Rotten, die sich in wüstem Toben gegenseitig bekämpften. Der Boden verschwand unter dem Gewimmel dieser Masse, aus der ein erderschütternder Lärm aufstieg, Wutgeschrei, Schmerzgestöhn, Flüche, Gelächter, Gebrüll trunkener Männer, Gekreisch zerstampfter Weiber und Kinder – unnennbare Laute des Zornes, der Angst, der Gier, der Verzweiflung.

Feierlich und lautlos aber schwebte in himmlischer Bläue die Glorie der Heiligen und Engel oben an der Decke, hoch über dem grimmigen Getöse des Irdischen, das nicht zu ihr hinaufreichte.

Da tönte aus der unendlichen Ferne ein Stimmchen zart und silbern, als wenn in einer Regennacht Tropfen auf die Saiten einer Aeolsharfe fielen. Es war die kleine silberne Maria am Fuße des Kruzifixes, die sagte:

»O mein Sohn, wie lange willst du in deiner Langmut diesem Treiben noch zusehen? Steige herab und sprich ein Wort, auf daß dein Wille wieder Gehör erlange auf Erden!«

Unbeweglich hing der kleine silberne Jesus an seinem silbernen Kreuze; sein Haupt blieb auf die Brust gesunken, als wäre er entschlafen. Aber aus dem Lichtkern, der von seinem Herzen ausstrahlte, tönte ebenso zart und melodisch in einem tieferen Tonfall eine Stimme, die sagte:

»Ich bin für die Menschen gestorben – mehr kann ich für sie nicht tun. Für sie zu reden, das haben andere übernommen auf Erden!«

»O mein Sohn, so heiße diejenigen schweigen, die unnütz das Wort führen! Rede du, auf daß deine Macht wieder offenbar werde auf Erden!«

»Mein Wille ist nicht auf Macht gerichtet gewesen, und so habe ich auch keine Macht erlangt auf Erden.«

»O mein Sohn, dann rede, damit sie deiner Stimme lauschen und verstehen lernen dein Wort, das noch nicht verstanden worden ist auf Erden!«

»Habe ich nicht alles gesagt, was not tut? Aber sie haben keine Ohren, um zu hören. Oder –« der silberne Jesus stockte; dann setzte er hinzu: »Wisse: der Lärm ist zu groß, und wir sind zu ferne. Die Menschheit muß ihren Weg gehen, sie muß gehen, gehen, immer gehen; wir aber bleiben in der unbeweglichen Abgeschiedenheit des Ewigen. Deshalb verlangt das göttliche Gesetz, daß der Erlöser in bestimmten Zeiträumen wiedergeboren werde auf Erden.«

Ein Flimmern lief über die Gestalt der silbernen Maria wie ein Erbeben des Schreckens. »Wiedergeboren werden?« flüsterte sie tonlos. »Noch einmal das Leben auf dich nehmen? Das Gleiche noch einmal erleiden auf Erden?«

»Ein anderer wird kommen – ich werde als ein Anderer kommen, um das Reich zu zerstören, das ich gegründet habe. Denn die Form muß untergehen, wenn das Wesen sich erneuen soll auf Erden!«

»Dein Reich zerstören? Du selbst? Und doch ein anderer auf Erden?«

»Gegen mich selbst werde ich aufstehen, auf daß ausgetilgt werde, was mein Irrtum und meine Ohnmacht war auf Erden. Ich habe die Mächte der Welt nicht gekannt, und so sind die Mächte der Welt über mich Herr geworden. Die Menschheit konnte den Weg nicht gehen, den ich ihr gewiesen habe; und so sind die Sünder die Erben des Lebens geworden. Das Leben hat mir nicht gehorcht; denn ich bin nur ein Herr des Todes gewesen. Wo ist er, der das Leben bezwingen wird, wie ich den Tod bezwungen habe? Ich höre aus dem Getümmel schon den Preisgesang, der ihn verkündet; ich sehe ihn kommen in der Gestalt, in der er zum ersten Mal geschaut worden ist, den Herrn des Lebens, der Gewalt haben wird, wo mein Irrtum und meine Ohnmacht war auf Erden.«

Das Getümmel stieg immer mehr an; wütendes Geheul und Gekreisch übergellte die schwache silberne Stimme aus der unendlichen Ferne. Gleich der sturmgepeitschten Brandung an einer Felsenküste bäumten sieb die Massen gegen die Region des Kruzifixes, in tobendem Strudel aufschäumend, als sollte das alte Chaos wieder hereinbrechen, das in der Welt herrschte, ehe das Wort der Schöpfung gesprochen war.

Mit einem Male erklangen durch den Lärm andere Töne. Eine selige Melodie flatterte zwischen den jagenden Geräuschen auf, zuerst von ihnen verschlungen, dann deutlicher, klarer, sieghafter. Dazwischen hell und metallen ein Klang, als ob eine Kette zur Erde klirrte, dann der Schall von rhythmisch beflügelten Schritten. Und eine Stimme, triumphierend wie eine Glocke, die alle Laute um sich her verstummen macht, rief herrlich gebieterisch ein schwellendes Wort herein.

Da legten sich die Wogen, die Laute des Grimmes und der Verzweiflung verstummten, das Gewimmel stob auseinander, die ineinander geknäulten Massen reihten sich in geordneten Scharen an den Wänden entlang.

Und mit rhythmisch beflügelten Schritten, unter denen die Marmorfliesen wie Cymbeln erklangen, trat aus dem Dunkel im Glänze seiner marmornen Nacktheit der neue Gott hervor. Er hatte den metallenen Schuh gesprengt, der ihn an dem Postament festhielt, und das erzene Kleid zerrissen, das seine wahre Gestalt verhüllte. Noch hielt er das Kreuz in der Linken; aber aus dem steinernen Pfahl waren Rosen hervorgebrochen, von denen ein Licht ausstrahlte wie Sonnenaufgangsröte.

Er streckte die Rechte mit einer Geberde, die Auferweckung und Richterspruch war, gegen die düstere Tide – und sieh! Das Götzengewühl erhob sich im Scheine der Verklärung, die von dem neuen Gott ausging; die besudelten Lumpen fielen von den Gliedern, auf den entstellten Gesichtern glätteten sich die Runzeln; die verzerrten Mienen leuchteten im Glanz des Glückes, und mit brausendem Jubel scholl aus ihrer Mitte der Ruf: »Evoe Apollo!«

Dann streckte er seine Rechte aufwärts gegen die verblauende Höhe – und sieh! Die Wölbung senkte sich, bis die Wolken die dunkle Schichte des Irdischen berührten, und die Engelstimmen vernehmbar wurden, die sangen: »Hallelujah Jesus!«

Und wie die Stimmen aus der Höhe sich mit den Stimmen der Tiefe vermischten, ordneten sie sich zu einem einzigen Chor, der die selige Melodie aufschwellen ließ zu einem niegehörten Hymnus. Harmonien wie aus ersten Paradiesestagen tönten mit feierlichem Wohllaut ineinander; Freude! jauchzten die Stimmen aus der Tiefe, Freude! jauchzten die Stimmen in der Höhe und vereinigten beim Klang der Harfen und Posaunen die Namen Jesus und Apollo. »Evoe dem Gott des Lebens! Hallelujah dem Erlöser aus Sünde und Zwiespalt! Evoe dem, der gekommen ist, Himmel und Erde zu vermählen! Hallelujah dem Bringer der Einheit, der die getrennten Welten zum neuen Bunde ruft! Evoe Hallelujah dem Herrn des dritten Reiches, Jesus Apollo, Jesus Apoll!«

Am andern Tage fand der Kirchendiener einen Kranz roter Rosen um das Kreuz der Statue geschlungen. Ärgerlich holte er ihn herunter und sah nach, ob die Figur des Heilands bei der Anbringung des unberufenen Schmuckes keinen Schaden genommen hatte. Aber der Metallschuh hielt seinen Fuß noch fest umklammert, und das erzene Gewand verhüllte nach wie vor das Geheimnis seiner Nacktheit.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
140 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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