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1.4 Das Konzept emotional-archetypischen Deutungslernens im Kontext von Erwachsenenpädagogik, Professionalität und Kompetenz

Nach Rolf Arnold (2001, o. S.) beschäftigt sich die Erwachsenenpädagogik u. a. „mit (…) dem Bedarf sowie den Inhalten und Prozessen (Didaktik), den Lernformen (Methoden), den Lernsubjekten in ihren biographischen (Biographie), sozialpsychologischen und soziokulturellen Vorprägungen sowie in ihren das Erwachsenenlernen jeweils prägenden Aneignungs- und Deutungsmustern“. Das Konzept des emotional-archetypischen Deutungslernens beinhaltet Vorschläge zu den Inhalten von Maßnahmen der Erwachsenenpädagogik im Zusammenhang mit psychischen Fehlbeeinträchtigungen und Prozessen, da es konkrete Phasen im Verlauf des Lehr-/​Lernprozesses beschreibt. Eine Betrachtung der Faktoren, die zu psychischen Fehlbeanspruchungen bei Menschen führen, ist ohne einen Bezug auf die biografischen und soziokulturellen Vorprägungen undenkbar, wenn auch das Konzept des emotional-archetypischen Deutungslernens sich eher auf neuropsychologische Erkenntnisse als auf sozialpsychologische bezieht. Dies ist jedoch nach Arnold ebenfalls ein typisches Merkmal der Erwachsenenpädagogik als „eine interdisziplinär orientierte Wissenschaft“ (ebenda), welche derzeit Anregungen „auch aus den Kognitionswissenschaften, den neueren Systemtheorien, der (Neuro-)Biologie und dem Konstruktivismus“ (ebenda) gewinnt. Die das Erwachsenenlernen prägenden Aneignungs- und Deutungsmuster stehen im Mittelpunkt des Konzeptes emotional-archetypischen Deutungslernens, wie der Name bereits vermuten lässt. Somit entspricht das o. g. Konzept in den wesentlichen Merkmalen denen der Erwachsenenpädagogik.

Die Darstellung des Konzeptes emotional-archetypischen Deutungslernens soll in dieser Arbeit nicht empirisch, sondern „deskriptiv-strukturierend“ bearbeitet werden, d. h. es soll eine theoretische Begründung der „Usability“ des Konzeptes im Rahmen von erwachsenenpädagogischen Maßnahmen im Zusammenhang mit psychischen Fehlbeanspruchungen erfolgen.

Im Zentrum der modernen Erwachsenenpädagogik stehen das Lernen als subjektive Aneignung von Wissen durch den Erwachsenen sowie das „durch die jeweiligen Deutungs- und Emotionsmuster geprägte“ (ebenda) Erfahrungslernen, d. h. die Orientierung des Lehr-/​Lernprozesses an den bisherigen Erfahrungen des Lernenden, um eine mögliche Anknüpfung des „neuen Wissens“ an das „alte Wissen“ oder die vorhandenen Erfahrungsstrukturen zu ermöglichen. Nach Arnold (2001, o. S.) fragt die Erwachsenenpädagogik „nach der subjektiven Aneignung von Wissen, Deutungen und Erfahrungen in Lernprozessen, in denen Erwachsene sich vor dem Hintergrund ihrer biographischen, kognitiv-emotionalen sowie lebensweltlichen Erfahrungen um eine Transformation ihrer Kompetenzen, d. h. ihrer Möglichkeiten des Denkens, Fühlens und Handelns bemühen, wohl wissend, dass diese Prozesse durch professionelles Handeln ermöglicht und gefördert, kaum aber monokausal erzeugt werden können“.

Dies entspricht exakt dem Kern des in dieser Arbeit deskriptiv-strukturierend zu begründenden Konzeptes des emotional-archetypischen Deutungslernens, welches darauf aus ist, eine Reflexion der kognitiven, emotionalen und archetypischen (was an späterer Stelle genauer erläutert wird) Deutungsmuster beim Teilnehmer einer erwachsenenpädagogischen Maßnahme dadurch zu ermöglichen, indem es Kompetenzen, die ein Erwachsenenpädagoge für professionelles Handeln, benötigt sowie mögliche Wege, um diese Kompetenzen zu erhalten, beschreibt. Gerade an diesem Punkt berührt das Konzept emotional-archetypischen Deutungslernens zwei weitere Begriffe erwachsenenpädagogischer Betrachtung: die Professionalität und die Kompetenz.

Gieseke (2010, o. S.) definiert Professionalität als „einen differenzierten Umgang mit Forschungsbefunden, die Nutzung von Handlungsinstrumenten und ihre eigenständige Interpretation, die Deutung von Handlungssituationen sowie ein flexibles, vernetztes Handeln“, wobei Professionalität hierbei nicht als „Zustand, der erreicht werden kann, sondern eine Kompetenz, die sich situativ immer wieder neu als berufliche Leistung zu bewähren und weiterzuentwickeln hat“, verstanden wird. Das Konzept emotional-archetypischen Deutungslernens beinhaltet konkretes wissenschaftliches Wissen sowie Forschungsbefunde, über die ein Erwachsenenpädagoge verfügen sollte, wenn er die psychischen Fehlbelastungen bei Teilnehmern an erwachsenenpädagogischen Maßnahmen berücksichtigen und bei einer Reflexion der ggf. zugrunde liegenden emotional-archetypischen Deutungsmuster behilflich sein möchte, ohne die Grenze zur Psychotherapie oder psychischen Beratung zu überschreiten.

Darüber hinaus bietet das Konzept des emotional-archetypischen Deutungslernens konkrete Handlungsinstrumente auf der Basis von erwachsenenpädagogischen Ansätzen (so z. B. dem des Deutungslernens oder der Reflexion in der pädagogischen Praxis) an, welche die Professionalität von Erwachsenenpädagogen im Umgang mit emotional-archetypischen Deutungsmustern bei Teilnehmern erhöhen können. Gleichzeitig bietet das emotional-archetypische Deutungslernen die Möglichkeit die Professionalität der Teilnehmer – hier am Beispiel der Führungskräfte – zu erhöhen, da auch sie sich das von den Erwachsenenbildnern flexibel und erfahrungsorientiert angebotene wissenschaftliche Fachwissen, Forschungsbefunde und die dazugehörigen Handlungsinstrumente aneignen können, um so professioneller mit den eigenen Mitarbeitern, deren psychischen Fehlbeanspruchungen und emotional-archetypischen Deutungsmustern umzugehen, bei Beachtung der ethischen und fachlichen Grenzen.

1.5 Erwachsenenbildung im Spannungsfeld zwischen Lehren und Heilen: Stand der Forschung

In dieser Arbeit soll es darum gehen, ein erwachsenenpädagogisches Konzept darzustellen und kritisch zu reflektieren, welches durch ein Zusammenwirken von praktischem Erleben auf der einen Seite sowie einer wissenschaftlichen Reflexion auf der anderen Seite entstanden ist. Das hier vorgestellte erwachsenenpädagogische Konzept des emotional-archetypischen Deutungslernens verfolgt den Ansatz, psychologische Erkenntnisse (sowie Erkenntnisse der Neurobiologie und Neuropsychologie) als Bestandteile von kognitiver Wissens- sowie pragmatischer Handlungskompetenz (oder didaktisch-methodischer Kompetenz) zu nutzen. Fraglich ist hierbei jedoch, inwiefern die Berücksichtigung von psychologischen Elementen – oder anders gesagt, die Berücksichtigung von psychischen Merkmalen des Lernenden – bereits Eingang in die Erwachsenenpädagogik gefunden hat. Wichtig ist hervorzuheben, dass es nicht um die psychologischen Fragestellungen des Lernens Erwachsener allgemein geht, sondern vielmehr um den Umgang von Erwachsenenpädagogen mit psychischen Fehlbelastungen und den ggf. daraus resultierenden psychischen Erkrankungen bei ihren jeweiligen Teilnehmern in Lehr- und Lernveranstaltungen.

1.5.1 Unterscheidung von Therapie, Beratung und Erwachsenenbildung: Einführung in das Thema

In einem Kapitel des Studienbriefes „Persönlichkeits- und Kreativitätsförderung“ reflektiert der Autor Markus Höffer-Mehlmer die schwierige Unterscheidung zwischen Erwachsenenbildung und Therapie, welche für das Thema dieser Arbeit (Umgang von Erwachsenenpädagogen mit psychischen Fehlbelastungen, Burn-out, Depression etc. bei Teilnehmern oder Durchführung von Schulungen für Führungskräfte zu den o. g. Themengebieten) sehr wichtig ist. Als Ausgangspunkt der Frage nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Erwachsenenbildung und der Therapie sieht Höffer-Mehlmer die sogenannte „reflexive Wende“ (Höffer-Mehlmer 2003, S. 79) und die damit einhergehende „stärkere (…) Konzentration auf die Erwachsenen als lernende Subjekte“ (ebenda) im Gegensatz zur Hervorhebung der Qualifizierung von Mitarbeitern (realistische Wende) im Rahmen von Maßnahmen der Erwachsenenbildung an.

(Zur Subjektorientierung in der Erwachsenenbildung vgl. u. a.:

 Adam, E. (1988): „Das Subjekt in der Didaktik. Ein Beitrag zur kritischen Reflexion von Paradigmen der Thematisierung von Unterricht“

 Holzkamp, K. (1993): „Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung“

 Hoppe, H. (1996): „Subjektorientierte politische Bildung. Begründung“

 Meueler, E. (1998): „Die Türen des Käfigs. Wege zum Subjekt in der Erwachsenenbildung“

 Holzbrecher, A. (1999): „Subjektorientierte Didaktik. Lernen als Suchprozess und Arbeit an Widerständen“

 Bender, W. (2004): „Lernen und Handeln – Thesen aus subjektorientierter Sicht“

 Ludwig, J. (2005): „Modelle subjektorientierter Didaktik“)

Im Kontext dieser reflexiven Wende war nach Höffer-Mehlmer ein starker Zuwachs an psychosozialen Weiterbildungsmaßnahmen zu verzeichnen, welcher wiederum die Frage der Legitimierung und der Qualität solcher Maßnahmen durch Erwachsenenpädagogen hervorrief.

Die Erörterung dieser Frage in der Erwachsenenbildungslandschaft führte nach Höffer-Mehlmer zunächst lediglich in den Ausschreibungen von Weiterbildungsveranstaltungen zu einer Abgrenzung zwischen Therapie (als Behandlung von Krankheiten und Störungen) auf der einen Seite und Erwachsenenbildung als niedrigschwelligem Angebot zur Persönlichkeitsförderung auf der anderen Seite. Faktisch jedoch nahmen der „Psychoboom“ (ebenda, S. 82) und das damit einhergehende ständige Anwachsen von quasi-psychologischen Angeboten in der Weiterbildungslandschaft bis heute rasant zu, parallel zum ständig anwachsenden Bedürfnis nach Therapie oder therapieähnlichen Angeboten. Die Frage danach, wo genau verantwortliches Handeln von Erwachsenenpädagogen endet und „professionelles“ therapeutisches Handeln beginnt, ist also noch immer von sehr hoher Relevanz für die Erwachsenenpädagogen selbst, aber auch für die „Kunden“ (ebenda, S. 83), welche sich einer sehr großen und unübersichtlichen Vielfalt von Weiterbildungs-, Beratungs- und Therapieangeboten gegenübersehen, von denen Bach und Molter schon 1979 beispielhaft einige aufführen: „Psychoanalyse, Selbstanalyse, Psychodrama, Urschreibtherapie, Gestalttherapie, transaktionale Analyse, Hypnose, Selbsthypnose, Bioenergetic, Rolfing, Konzentrationstraining“ (zitiert in ebenda, S. 82).

1.5.2 Unterscheidung von Therapie, Beratung und Erwachsenenbildung: am Beispiel von Enno Schmitz

Diese Vermischung von teilweise therapeutischen Ansätzen, Beratungsangeboten und klassischen Maßnahmen der Weiterbildung scheint zu bestätigen, was Enno Schmitz 1983 in seinem viel zitierten Artikel „Zur Struktur therapeutischen, beratenden und erwachsenenpädagogischen Handelns“ als Kernthese zusammenfasst und zu begründen versucht:

„Die These lautet, dass man eine Unterscheidung zwischen Therapie, Beratung und Erwachsenenbildung a priori gar nicht treffen kann; denn das, was ein Therapeut, ein Berater oder ein Erwachsenenpädagoge praktisch tut, enthält in jedem Fall zugleich Elemente therapeutischen, beratenden und erwachsenenpädagogischen Handelns. Unterschiede ergeben sich lediglich dadurch, dass in den einzelnen Typen intervenierenden Handelns eines dieser Elemente überwiegt“ (Schmitz 1983, S. 56). Worin jedoch bestehen diese unterscheidungsrelevanten Elemente nach Enno Schmitz genau, die letztlich darüber bestimmen, ob es sich bei einem Angebot konkret um ein therapeutisches oder erwachsenenpädagogisches Angebot handelt?

Die zwei wesentlichen Kategorien der Differenzierung stellen nach Enno Schmitz das Thema sowie die Interaktionsstruktur dar, wobei mit Interaktionsstruktur die „Sensibilität für Themen und ihr Potential zur Lösung thematisierter Probleme“ (ebenda, S. 56) und mit Themen „die aus der Lebenspraxis der Patienten, Klienten beziehungsweise Teilnehmer entspringenden Probleme“ (ebenda) gemeint sind. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht also der Teilnehmer mit seinen lebensweltbezogenen Fragestellungen oder mit seiner „subjektive(n) Wirklichkeit“ (Berger und Luckmann 1971, zitiert in Schmitz 1983, S. 57), welche als „die Summe der Erfahrungen, die sich im Ereignisfluss der einzelnen Biographie aufgeschichtet haben“ (Schmitz 1983, S. 57), definiert werden kann. Diese Erfahrungen entsprechen nach Schmitz nicht nur „sozialen Strukturen“, sondern besitzen auch eine „psychologische Struktur“ (ebenda, S. 57).

Die Fragestellungen des Teilnehmers bezogen auf dessen subjektive Wirklichkeit können nach Schmitz in zunehmendem Maße nicht mehr mittels autodidaktisch erworbenem Alltagswissen beantwortet werden, weil

 „subjektive Geltungssysteme und damit die psychischen Strukturen der Identität (…), beispielsweise im Fall schwerer neurotischer Symptome, so tiefgreifend erschüttert sein“ können, „dass ihre Revision nur über einen langwierigen Rekonstruktionsprozess bewältigt werden kann“. Dies gelingt in der Regel nicht durch Formen von „monologischer Reflexion“ und „Selbstanalyse“ (ebenda, S. 60).

 in „modernen Gesellschaften (…) zunehmend Standards der Begründung für moralisch angemessene und sachlich richtige Entscheidungen“ gelten, „die sich der unmittelbaren Wahrnehmung entziehen“ (ebenda).

 „Entscheidungen mit so hohen existentiellen Risiken belastet sind, dass das betroffene Handlungssubjekt derart bedroht keine hinreichende Distanz zur eigenen Handlung aufbauen kann und in seiner Fähigkeit zur rationalen Begründung eingeschränkt ist“ (ebenda).

Resultierend aus diesen Ursachen für das Scheitern des autodidaktischen Wissenserwerbs entwickelte Schmitz die Felder Moral, Identität und Wahrheit als „die drei Felder, aus denen innerhalb professioneller Interventionen Themen angesprochen werden“ (ebenda, S. 62), und das in allen drei Bereichen – Therapie, Beratung und Erwachsenenbildung – nur in jeweils unterschiedlicher Intensität. Der Schwerpunkt bei der Therapie liegt nach Enno Schmitz auf der Identität, d. h., dass die Therapie das Ziel verfolgt, die „in der Identität aufgebauten Geltungssysteme neu zu ordnen“ und die „für die Biographie des Patienten prägenden Ereignisse, vor allem sein Triebschicksal, während des therapeutischen Gesprächs in Erinnerung zu rufen“ (ebenda). Diese Geltungssysteme oder die Interpretationen von lebensgeschichtlichen Ereignissen gilt es dann zu überarbeiten oder zu revidieren, um letztlich über ein „adäquateres Geltungssystem“ zu verfügen, „das sich besser eignet, um die umgebende Realität in Sinnzusammenhänge zu ordnen oder in ihr handeln zu können“ (ebenda).

Enno Schmitz spricht in seinen Ausführungen 1983 im Zusammenhang mit Therapie ausschließlich von der psychoanalytischen Therapieform und nimmt dahingehend auch ausschließlich die dort überwiegend vorherrschende Interaktionsform in den Blick. Die Interaktion zwischen dem Therapeuten (ohne Sichtkontakt zum Patienten auf einem Sofa sitzend) sowie dem Patienten (auf einer Couch liegend) wird dabei im Wesentlichen von dem „strukturell provozierten freie(n) Assoziieren“ (ebenda, S. 63) bestimmt, wodurch der Patient mit „Erlebnissen, Erinnerungen und eigenen Handlungen, die er bis dahin nicht bewusst zur Kenntnis genommen hatte“ (ebenda), konfrontiert wird. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die möglicherweise stattfindende Übertragung, d. h. der Patient beginnt im Laufe der Gespräche eine „von körperlicher Nähe geprägte Wir-Beziehung analog der primären Sozialisation, in der die identitätsbildenden Interpretationen aufgebaut worden sind“ (ebenda), zum Therapeuten zu entwickeln und die „persönlichkeitsprägenden Konflikte aus der Kindheit auf die Therapeuten-Klienten-Beziehung“ (ebenda) zu projizieren. In der Patient-Therapeuten-Beziehung besteht dann die Chance, diese Konflikte und die damit einhergehenden lebensgeschichtlichen Interpretationen zu „überarbeiten“ (ebenda). In diesem Kontext obliegt es dem Therapeuten eine „rollenmäßige Organisation der Interaktion“ (ebenda) vorzunehmen, d. h., im Verlauf des therapeutischen Prozesses zunächst von einer „spezifischen strukturierten Interaktion“ (ebenda) (die Interaktion ist in die gesellschaftlich definierten Funktionen eingegrenzt und die Identität und Lebensgeschichte wird ausgeklammert, so z. B. bei Verlaufs-, Vertrags- und Honorarvereinbarungen) zu einer „diffus strukturierten Interaktion“ (ebenda, S. 64) (die von außen gesetzte Auswahl von legitimen Themen fällt weg und der Patient kann alles ansprechen, was ihm in den Sinn kommt), um dann zu einer spezifisch strukturierten Interaktion zurückzukehren. Enno Schmitz ordnet die spezifisch strukturierten Interaktionen den sogenannten „Sekundärgruppen“ (ebenda, S. 64) oder formalen Gruppen zu, die im Bereich der Öffentlichkeit, z. B. in Arbeitsorganisationen, Parteien etc. zu finden sind. Die diffus strukturierten Interaktionen jedoch finden sich nach Schmitz bei den auf die „gemeinsame Annahme einer Wir-Identität“ (ebenda) fußenden „Primärgruppen“ (ebenda) wie z. B. Familien, Freundschaften, Nachbarn und anderen informellen Gruppen. Die Therapie unterscheidet sich von der Beratung und der Erwachsenenbildung nach Schmitz gerade darin, dass die Therapeuten-Patienten-Bindung eine quasi Primärgruppenbindung ist, d. h. der Patient überarbeitet durch den „Einfluss der Übertragung seine Lebensgeschichte (…), als würde er mit dem Therapeuten wie mit einem signifikanten anderen (Mutter, Vater, Geliebte und so weiter) umgehen“ (ebenda, S. 64), während die Beratung eher auf die fachliche Legitimierung des Beraters und die Erwachsenenbildung auf das vom Erwachsenenpädagogen zu vermittelnde Fachwissen abstellt. Diese Möglichkeit des Therapeuten, von der spezifisch strukturierten Interaktion in die diffus strukturierte Interaktion wechseln zu können, macht die Interaktion in der psychoanalytischen Therapie für Enno Schmitz zum „Prototyp jeder professionellen Interaktion“ (ebenda, S. 62), aus denen „Begriffe auch für die Logik des beratenden und erwachsenenpädagogischen Handelns“ (ebenda) gewonnen werden können (zumindest könne dies gehofft werden).

Die oben genannte Differenzierung zwischen Primär- und Sekundärgruppen bildet nach Schmitz die „zentralen Strukturprinzipien“ (ebenda, S. 64) für das therapeutische, beratende und erwachsenpädagogische Handeln, wobei sich die einzelnen Handlungsformen durch die jeweilige „Dominanz in der Interaktion“ (ebenda) unterscheiden. Weitere Unterscheidungsmerkmale der o. g. Handlungsformen sind nach Enno Schmitz in der jeweiligen Motivation des Patienten oder Teilnehmers zu finden: bei der Erwachsenenbildung ist es das Bildungsinteresse, bei der Beratung ist es die Unentschiedenheit im Kontext der alltäglichen Lebensbewältigung und in der Therapie ist es das Leiden des Patienten. Die bisher aufgeführten Unterscheidungsmerkmale von Therapie, Beratung und Erwachsenenbildung werden in Abbildung 1 tabellarisch dargestellt.

Abbildung 1:

Differenzierung von Therapie, Beratung und Erwachsenenbildung

Schmitz versteht erwachsenenpädagogisches Handeln primär als fachdidaktisches Handeln. Dies führt er auf den überwiegend „sekundärgruppenhaften Charakter des Kurssystems“ (ebenda, S. 67) in den meisten Fortbildungsveranstaltungen zurück, welchen er jedoch als „künstlich erzeugte Fiktion“ (ebenda) bezeichnet. Mit anderen Worten geht Enno Schmitz davon aus, dass Teilnehmer an Weiterbildungsmaßnahmen nicht allein (das an sich etwas schwache) Bildungsinteresse im Hinblick auf Wissenserwerb mitbringen, sondern dass „weitere curricular nicht gefasste Gegenstände zu den Motiven der Teilnehmer gehören“ (ebenda), sodass es auch in der Erwachsenenbildung häufig zu „Grenzüberschreitungen von Themen des Wissenserwerbs zu Themen der Identität“ (ebenda) kommen kann. Dies stellt den Erwachsenenpädagogen vor die große Herausforderung, unterschiedlich ausgerichtete Teilnehmermotive zunächst einmal erkennen zu können und darüber hinaus ähnlich wie der Therapeut in der Lage zu sein, „mittels äußerer Vorkehrungen und professioneller Kunst primärgruppenähnliche Interaktionsstrukturen zu schaffen“ (ebenda). Diese Herausforderung führt nach Enno Schmitz zu einer „Überlastung der erwachsenenpädagogischen Berufsrolle“ (ebenda, S. 68), da es seiner Meinung nach bisher noch keine nützlichen Lösungsrezepte für die Bewältigung dieser „Probleme erwachsenenpädagogischen Handelns“ (ebenda) gab.

Genau an dieser Stelle setzt das Konzept des emotional-archetypischen Deutungslernens an. Anlehnend an Enno Schmitz dient als Grundlage des Konzeptes die Annahme, dass im Kontext von Weiterbildungsmaßnahmen jeglicher Art beständig überlappende Motive der Teilnehmer in den Lehr-/​Lernkontext einfließen. Gemäß den heutigen sozioökonomischen Rahmenbedingungen (siehe Punkt 1.2) ist davon auszugehen, dass ein repräsentativ sehr hoher Anteil der Bevölkerung unter den Auswirkungen von Fehlbeanspruchungen am Arbeitsplatz, Burn-out, Depression, Angstsyndromen etc. leidet und alle gesellschaftlichen Kontexte, so auch der Kontext der institutionellen Erwachsenenbildung (unabhängig davon, ob es sich dabei um betriebs- oder behördeninterne Weiterbildungsveranstaltungen, Maßnahmen der allgemeinen Erwachsenenbildung oder sonstige handelt), von diesen psychischen Fragestellungen beeinflusst werden. An dieser Stelle soll bereits die Hypothese aufgestellt werden, dass Fragen nach fachlicher Qualifikation, überhaupt alle Fragen des fachdidaktischen Wissenserwerbs niemals losgelöst von biografischen, lebenswelt- und lebensgeschichtlich bezogenen psychodynamischen Einflussfaktoren und Motiven zu lösen sind. Diese Arbeit soll am Beispiel der psychischen Beeinträchtigungen und Depression der konkreten Frage nachgehen, wie dieser von Enno Schmitz als erwachsenenpädagogisches Dilemma bezeichneten Herausforderung der Grenzüberschreitungen zwischen dem Wissenserwerb und den Fragen der Identität begegnet werden kann, ohne jedoch die Grenzen zur Therapie zu überschreiten. Es gilt, Antworten darauf zu finden, wie eine im Kontext der Erwachsenenbildung stattfindende diffus strukturierte Interaktion und Mechanismen der Übertragung und Gegenübertragung vor dem Hintergrund der früh prägenden primären Bindungsstrukturen vom Erwachsenenpädagogen erkannt werden können und wie damit umzugehen ist. Um mit den Worten von Enno Schmitz zu sprechen, stellt sich die bedeutsame Frage, wie im Kontext der Erwachsenenbildung unter Berücksichtigung der besonderen sozioökonomischen Umstände „die Balance zwischen der Diffusität und Spezifität der Beziehung“ (ebenda, S. 64) gewahrt werden kann.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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420 стр. 35 иллюстраций
ISBN:
9783942064088
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