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4.3 Emotionales Lernen und emotionale Intelligenz

Solch ein anschlussfähiger Transformationsprozess kann auch als emotionales Lernen bezeichnet werden. Arnold (2008, S. 88) definiert emotionales Lernen als „ein Lernen, welches die eigene Person mit dem, was sie in Wahrheit treibt, zum Gegenstand hat. Es ist ein Lernen des inneren Weges (vgl. Villon 2003). Man begibt sich zu sich und seinem Leben in eine analysierende Distanz und nimmt eine Art Beobachterposition ein.“ Emotionales Lernen ist somit zunächst einmal ganzheitliche Selbstbeobachtung und eine transformative Didaktik ein „Coaching“ dieses Beobachtungs- oder Reflexionsprozesses. Ziel dieser Selbstbeobachtung oder Reflexion ist eine Rekonstruktion der kognitiven und emotionalen Deutungsmuster oder anders gesagt, des „Beliefsystems“ (Arnold 2008, S. 88), d. h. der Summe der Gebote, die das Denken, Fühlen und Handeln bestimmen, um ggf. eine Infragestellung oder Veränderung der Gebote bis hin zu einer Loslösung von diesen Geboten ermöglichen zu können. Emotionales Lehren wäre in diesem Sinne eine professionelle Begleitung oder Hilfe, die es dem Lernenden ermöglicht, sich selbst und seine Emotionen zu erkennen, besser zu verstehen und ggf. selbstregulativ verändern zu können. Emotionales Lernen ist eine angeleitete Selbstreflexion der Deutungs- und Gefühlsprogramme, welches potentielle Weiterentwicklungen der emotionalen Kompetenzen ermöglichen soll. Nach Goleman (2002, S. 314) zählen zu diesen emotionalen Kompetenzen u. a. emotionale Selbstwahrnehmung sowie Selbstvertrauen, Selbstkontrolle, Stressstabilität, Leistungsfähigkeit und Authentizität, Empathie und Integrativität sowie Inspiration, Konfliktmanagement und Teamwork. Goleman selbst bezeichnet diese emotionalen Kompetenzen in der Summe als emotionale Intelligenz (vgl. Goleman u. Boyatz 2008). Obwohl der Begriff der emotionalen Intelligenz (EI) kritischen Überlegungen unterworfen ist (vgl. Matthews et al. 2004; Heller 2002; Schuler 2002; Sieben 2003; aufgeführt in Spörrle et al. 2008), ist das Konzept der emotionalen Intelligenz sehr populär auf dem Gebiet der anwendungsorientierten psychologischen Forschung, sodass es neben dem Konzept von Goleman eine Vielzahl von weiteren Konzepten zur EI gibt (vgl. Ashkanasy et al. 2000). Allen gemein ist jedoch nach Spörrle et al. (2008), dass sich mit emotionaler Intelligenz die Fähigkeit verbindet, Emotionen wahrzunehmen und emotionale Zustände zu regulieren. Dies lässt sich auch für das emotionale Lernen nach Arnold sagen. Emotionales Lernen bedeutet in diesem Sinne, sich der emotionalen Prozesse bewusst zu werden, die zu der individuellen Konstruktion der (vor allem sozialen) Wirklichkeit führen und durch „Gefühlsarbeit“ (Arnold 2008) ggf. regulierend auf diese emotionalen „Einspurungen“ einzugehen, wobei dies jedoch nicht immer ohne Weiteres möglich ist. Ebenso wie bei Arnold wird auch in den Konzepten der EI die Wahrnehmung emotionaler Zustände überhaupt als Voraussetzung für die Regulation von Emotionen und dann die Entwicklung von sozialen Kompetenzen angesehen. Auf eine wichtige Unterscheidung innerhalb einiger Konzepte der EI und/​oder des emotionalen Lernens bei Arnold ist jedoch hinzuweisen. Viele Konzepte der EI basieren auf den kognitiven Emotionstheorien. Während die kognitiven Emotionstheorien (Appraisal-Theorien) davon ausgehen, dass Emotionen auf der Grundlage kognitiver individueller Einschätzungen entstehen (vgl. Scherer 1999), führen neuere Emotionstheorien Emotionen überwiegend auf die implizite (d. h. unbewusste) emotionale Bewertung eingehender Reize durch die Amygdala mit anschließender kognitiver Bewertung zurück (vgl. Ledoux 2001). Das emotionale Lernen bei Arnold schließt sich dieser Meinung überwiegend an, wobei ein systemischer Kreislauf zwischen impliziter Bewertung, emotionaler Reaktion und expliziter Bewertung angenommen wird. Die gemeinsame Grundlage bleibt jedoch, dass emotionales Lernen und die Konzepte der EI die Wahrnehmung sowie Regulierung von emotionalen Prozessen zum Inhalt haben (mehr zu emotionaler Intelligenz unter Kapitel 12).

5 Theoretischer Ausgangspunkt IV: Reflexion in der pädagogischen Praxis

5.1 Reflexion in der pädagogischen Praxis nach Dauber

Der im o. g. Absatz häufig genannte Begriff „Reflexion“ oder „Selbstreflexion“ von Erfahrungen, Deutungsmustern, Emotionen etc. ist ein Schlüsselbegriff im Konzept des emotional-archetypischen Deutungslernens. Daher ist es unabdingbar notwendig, diesen Begriff deutlicher zu definieren. Hierbei wird hauptsächlich auf die Arbeiten von H. Dauber zur Reflexion in der pädagogischen Praxis sowie auf die Theorie des reflexiven Lernens bei Schüßler zurückgegriffen.

Dauber geht in seinen Arbeiten zum Thema Selbstreflexion auf die Tatsache ein, dass die sozioökonomischen Entwicklungen zu einer immer stärkeren Entfremdung des Inneren des Menschen (den Gefühlen, den Wünschen und Bedürfnissen, den bisherigen Erfahrungen) von seinen äußerlichen Umständen führen. Die ständig steigenden Anforderungen und der ständige Versuch der Anpassung führen letztlich sogar zu einer Entfremdung des Menschen von sich selbst. Wir Menschen versuchen, „wie Hamster in einem Laufrädchen entfremdet von uns selbst und unseren Gefühlen (…), beruflichen Anforderungen in unseren jeweiligen sozialen und institutionellen Kontexten nachzukommen und hoffen, durch den Erwerb von immer mehr Wissen, sei es durch Selbstreflexion oder durch Entdeckung der eigenen Lebensmaxime, unser Leben in den Griff zu bekommen“ (Dauber 2005, S. 16).

Diese Entfremdung des Einzelnen von seinem gesellschaftlichen Kontext sowie die Entfremdung des Individuums von seinem Selbst sind krankmachend, da die Entfremdung zu einer „Isoliertheit“ und einer „inneren Abgestorbenheit“ führt (vgl. ebenda S. 17).

Gesundsein – im Gegensatz dazu – bedeutet (und hier lehnt sich Dauber an Erich Fromm an), „affektiv mit den Menschen und der Natur völlig verbunden zu sein, die Isoliertheit und Entfremdung zu überwinden, sich mit allem Existierenden eins zu fühlen – und doch mich als separate Ganzheit, die ich bin, als das Individuum, das Ungeteilte zu erleben“ (Fromm et al. 1971, zitiert in ebenda, S. 17).

Im Kontext des Deutungsmusteransatzes von Arnold ist dieses o. g. Streben des Individuums ein Streben nach biografischer Kontinuität auf der einen Seite und „Viabilität“, d. h. Existenzfähigkeit im Rahmen der Umwelt, auf der anderen Seite, anhand dessen das Individuum seine Identität ausbildet. Funktionale Deutungsmuster dienen der Aufrechterhaltung dieser Kontinuität des Individuums und der Interaktion mit seiner Umwelt, während dysfunktionale Deutungsmuster zu einer Diskontinuität führen.

Die Entfremdung des Individuums von seiner Umwelt und der beständige Versuch der Anpassung an die Umwelt (und die damit schleichend eintretende Entfremdung von seinem „Selbst“) führen zu Krankheit:

„Wer sich an die Gesellschaft anpasst, wird in mehrfacher Hinsicht krank (…) Wer sich aber nicht anpasst, wird verrückt, weil dies die einzige Gesellschaft ist, die wir haben“ (Paul Goodman, zitiert in ebenda, S. 18).

Gesundheit jedoch wird dann erreicht, wenn Individuen in der Lage sind, sich selbst innerhalb ihrer Verhältnisse Ziele zu setzen und ihre Verhältnisse auf eigenen Wegen selbst zu gestalten (vgl. ebenda, S. 18). (Vgl. mit den Bewältigungsstrategien im Rahmen des Belastungs-Beanspruchungs-Modells: Suche nach Verhaltensalternativen, Änderung der Bedingungen, Problemsituationen kognitiv neu bewerten oder einen Handlungsplan entwerfen und Ziele und Werte verändern.)

Es geht hier also um das Verhältnis des Individuums zu seiner Umwelt und darum, wie genau das Individuum mit seiner Umwelt in Kontakt tritt. Dauber ordnet deshalb den Begriff „Selbstreflexion“ in den Kontext des Verhältnisses des Individuums zu seiner gesellschaftlichen Umwelt ein, weil das Selbst immer nur durch den Kontakt zur Umwelt existiert und entsteht und daher eine „Selbst-Reflexion“ immer diesen Kontakt zwischen dem Individuum und der Gesellschaft in das Blickfeld der Betrachtung rücken muss. (Dauber greift hier auf die Definition des „Selbst“ aus der Gestalttherapie zurück, als das Bewusstsein vom Kontakt zwischen einem Organismus und der Umwelt, wobei das Bewusstsein erst dann auftritt, wenn der Kontakt schwierig ist.)

In diesem Sinne definiert Dauber Selbstreflexion als die Bewusstmachung darüber, „mit welchen Mustern wir zu uns, zu unseren Mitmenschen, zur gesellschaftlichen und natürlichen Umwelt in Beziehung treten, wie wir Kontakt vermeiden, letztlich, wie wir die täglich erfahrene neurotische Spaltung zwischen Körper, Seele und Geist aufrechterhalten oder überwinden“ (ebenda, S. 18).

Diese Muster können als Deutungsmuster im Sinne des Deutungsmusteransatzes bezeichnet werden, denn ausgehend von der Definition der Deutungsmuster von Arnold dienen diese der – genau wie o. g. – Interpretation des Selbst, der Situationen sowie der Beziehungen:

„Im Einzelnen bilden diese Deutungsmuster ein Orientierungs- und Rechtfertigungspotential von Alltagswissensbeständen in der Form grundlegender, eher latenter Situations-, Beziehungs- und Selbstdefinitionen, in denen das Individuum seine Identität präsentiert und seine Handlungsfähigkeit aufrecht erhält“ (Arnold 1985, S. 23).

Hier kann die Definition der Selbstreflexion von Dauber mit dem Deutungsmusteransatz von Arnold zusammengeführt werden. Selbstreflexion bedeutet also, sich der Deutungsmuster bewusst zu werden, mit denen wir zu uns selbst, zu anderen Menschen und zu Situationen in Beziehung treten oder aber, die uns dazu führen, uns zu isolieren, zu entfremden und letztlich dadurch ggf. Neurosen, „inneres Abgestorbensein“ sowie psychische und körperliche Krankheiten hervorrufen können. Diese Form der Reflexion ist bei Dauber jedoch nicht allein eine mentale Reflexion der kognitiven Strukturen, sondern schließt den Körper und die Gefühle mit ein:

„Die mentale Selbstreflexion, aber auch das spürende Wahrnehmen von körperlichen Verspannungen bringt die ganzen Überich-kontrollierten einschränkenden Muster der eigenen Kindheit zutage“ (Dauber 2005, S. 20).

Während der Deutungsmusteransatz von Arnold (im Gegensatz zum späteren Emotionslernen) sich überwiegend auf eine kognitive Reflexion der mentalen Vorgänge bezieht, schließt Dauber den Körper sowie eine Selbstwahrnehmung und Bewusstmachung von Verspannungen durch Atemtechniken, Bewegung und Berührungen mit ein. Des Weiteren greift Dauber buddhistische Traditionen der Reflexion auf, die nicht auf mentaler Reflexion beruhen (welche sich im Wesentlichen der Sprache bedient, um das begrifflichvergleichende Bewusstsein zu aktivieren), sondern auf eine Loslösung des Geistes von diesen Bewusstseinsinhalten durch Formen der körperlichen Meditation (Atmung, sitzende Haltung), um eine Wahrnehmung der „Hintergrund-Geist Aktivitäten und Prozesse“ (vgl. ebenda, S. 21) zu erreichen.

So heißt Selbstreflexion für Dauber „zunächst und vor allem, sich im wörtlichen und übertragenen Sinn eine Atempause zu gönnen, im gegenwärtigen Augenblick des eigenen Empfindens und Fühlens das eigene, verletzte und unterdrückte Kind zu spüren und liebevoll anzunehmen“ (ebenda, S. 28).

Die Selbstreflexion bei Dauber geht also über die Reflexion der kognitiven Strukturen der Deutungsmuster hinaus und strebt die Reflexion des ganzheitlichen Erlebens an, d. h. es soll reflektiert werden, was das Individuum gerade denkt, fühlt und wie es in Beziehung tritt. Das Erleben kann auch mit dem Wort „Reaktion“ ersetzt werden, d. h. es geht um eine ganzheitliche Bewusstwerdung der Reaktionen des Individuums auf seine Umwelt im Sinne der Fragen:

 Wie denke ich und warum denke ich so?

 Wie fühle ich und warum fühle ich so?

 Wie trete ich in Kontakt und warum handle ich so?

 Welche Verletzungen meiner Kindheit führen zu meinen Reaktionen?

Es ist eine Reflexion der inneren Stimmigkeit und äußeren Passung des inneren Erlebens (als Summe des Denken, Fühlens und der körperlichen Prozesse) mit der Situation im Sinne von: „Stimmt das, was ich jetzt fühle und denke, mit mir überein? Stimmt das, was ich jetzt fühle und denke, mit der Situation überein, und wenn ja oder nein, warum?“ Durch diese Fragen kann eine Entfremdung von dem Selbst oder eine Entfremdung von den äußeren Umständen diagnostiziert werden.

Somit beschränkt sich diese Form der Selbstreflexion nicht nur auf die inneren psychischen und körperlichen Prozesse, sondern schließt immer den gegenwärtigen gesellschaftlichen Kontext mit ein, in dem das Individuum existieren muss (vgl. ebenda, S. 24). Somit vollzieht sich Selbstreflexion „im umfassenden Gewahrwerden (…) körperlicher, emotionaler, mentaler und transpersonaler (…) Prozesse im gegenwärtigen Moment“ (ebenda, S. 24). Während die ersten drei Aspekte der Reflexion, körperliche, emotionale und mentale Prozesse, sich mit dem Individuum selbst oder mit dem „Ich“ befassen, beziehen sich die transpersonalen Prozesse auf das „Wir“ und der gegenwärtige Moment auf das „Es“, womit die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen gemeint sind.

Die transpersonalen Prozesse umfassen dabei nicht nur die Beziehungen in der Gegenwart, sondern auch die „kollektiven, archetypischen Wurzeln von Gemeinschaft“ (ebenda, S. 24), die in der Vergangenheit fußen.

Die Ausführungen Daubers zur Selbstreflexion in der pädagogischen Praxis haben deshalb eine solch hohe Bedeutung für die Fragestellung dieser Arbeit, weil sie die Reflexion der körperlichen, emotionalen und transpersonalen Prozesse mit einschließen und es somit ermöglichen, ggf. Symptome psychischer Beanspruchung bei sich oder bei anderen frühzeitig zu erkennen. Nicht umsonst wird im Zusammenhang von Angstsyndromen, Depression und Stress von Volkskrankheiten, d. h. von einem in gewisser Hinsicht kollektiven Charakter der Krankheiten gesprochen.

Eine solche Reflektion des „Ich“, „Wir“ und „Es“ erfordert jedoch gewisse Kompetenzen, die Dauber basierend auf dem psychoanalytischen und kognitionspsychologischen Konzept des „reflective functioning“ (Fonagy u. Target 2002) wie folgt zusammenfasst:

  „Art und Häufigkeit der Erwähnung eigener oder fremder innerer Befindlichkeiten,

  Einfühlungsvermögen für die Charakteristika, Komplexität und Vielfalt innerer Befindlichkeiten,

  Bemühungen, beobachtbares Verhalten mit innerer Befindlichkeit zu verknüpfen, sowie

 die Fähigkeit, eine Änderung der inneren Befindlichkeit und daraus folgende Änderungen des Verhaltens in Betracht zu ziehen“ (Dauber 2005, S. 31).

Offen bleibt hierbei die Frage, wie Menschen diese Kompetenzen erwerben sollen. Nach Fonagy und Target (2002) entwickeln Menschen diese Fähigkeiten zu „reflective functioning“ in den ersten Lebensjahren, insbesondere in der Interaktion zwischen dem Kind und der Mutter, welche im späteren Leben in einem Prozess der Bewusstwerdung („Mentalisierung“) fortgesetzt und vertieft werden können. Die Antwort auf die Frage, wie diese Fähigkeiten vertieft werden können, bleiben die Autoren jedoch schuldig und soll in dieser Arbeit zu einem späteren Zeitpunkt erörtert werden.

Interessanterweise beinhaltet die Form der Selbstreflexion nach Dauber auf allen drei Ebenen „Ich“, „Es“ und „Wir“ nicht nur die Vergangenheit und die Gegenwart im Sinne von „Wo komme ich her und wo stehe ich jetzt?“, sondern auch die Zukunft im Sinne von „Wohin gehe ich?“, „Wie entwickelt sich die Gesellschaft?“ und „Wohin gehen wir gemeinsam und welchen Einfluss habe ich darauf?“. Die Transformation des Denkens, Fühlens und des Handelns erfolgt somit nicht nur auf der Basis dessen, was war und was ist, sondern auch auf der Basis dessen, was sein könnte.

Das Individuum stellt sich also nicht nur die Frage danach, wie es mit der Gegenwart in Kontakt tritt und wie die Vergangenheit diese Kontaktaufnahme bestimmt, sondern auch, wie es mit der Zukunft in Kontakt treten kann, viel mehr noch, mit welcher Zukunft es in Kontakt treten will und welche Möglichkeiten bestehen, die Gegenwart so zu beeinflussen, dass solch eine Zukunft entsteht. Gerade darauf wird das Konzept des emotional-archetypischen Deutungslernens an späterer Stelle Bezug nehmen und diese Theorie von Dauber mit der aktuellen Presenceforschung von Senge et al. (2004) verbinden.

Der Inhalt dieser umfassenden Selbstreflexion (es bleibt auch im Kontext des Gegenübers und der Gesellschaft eine Selbst-Reflexion, weil es immer um die Frage danach geht, wie das Selbst in Kontakt tritt) ist es, körperliche, mentale und transpersonale Resonanzen zu spüren und ganzheitlich zu erfahren. D. h. der Prozess der Selbstreflexion in diesem Sinne ist ein bewusstes Erfahren von unbewussten Prozessen. Diese Bewusstmachung oder Bewusstwerdung der unbewussten Prozesse im Reflexionsprozess kann zu einer Transformation des Denkens, Fühlens und Handelns führen, mit dem Ziel der Selbstverwirklichung des Individuums. Nach Dauber (2005) besteht die Selbstverwirklichung aus zwei Handlungsrichtungen: erstens, zu ergreifen („der Impuls, sich in der äußeren Wirklichkeit selbst zu verwirklichen und als unverwechselbares Individuum zu verankern“ (ebenda, S. 36)) oder zweitens, loszulassen („der Impuls, sich innerlich selber zurückzunehmen, die eigenen Begrenztheiten zu überschreiten und sich in einem größeren Sinnzusammenhang aufgehoben zu wissen“ (ebenda, S. 36)).

Gerade diese beiden Aspekte „zu ergreifen“ oder „loszulassen“ scheinen im Zusammenhang mit psychischer Beeinträchtigung am Arbeitsplatz eine besonders wichtige Rolle zu spielen. Unerwünschte Fehlbelastungen äußern sich in der Regel entweder durch Unterforderung (mit den Folgen Monotonie, herabgesetzter Wachsamkeit und psychischer Sättigung bis hin zu körperlichen Krankheiten) oder Überforderung (mit den Folgen Ermüdung, Stress und Burn-out). Eine Selbstreflexion der körperlichen, emotionalen, mentalen und kollektiven Prozesse könnte bei Überforderung dazu führen, loszulassen, und bei Unterforderung neue Chancen der z. B. Arbeitsgestaltung zu ergreifen oder neue Sinnzusammenhänge für die eigene Tätigkeit zu erschließen.

Unterforderung kann in diesem Zusammenhang als mangelnde Möglichkeit verstanden werden, sich selbst zu verwirklichen und sich als unverwechselbares Individuum im Rahmen eines größeren Sinnzusammenhanges zu verankern, während Überforderung darauf basieren kann, sich selbst zu wichtig zu nehmen, nicht loslassen zu können und dabei nicht mehr zu erkennen, dass die eigenen Fähigkeiten bei weitem überschritten werden. Die psychischen Beeinträchtigungen können dabei im „Ich“ (psychische und körperliche Determinanten), im „Es“ (Rahmenbedingungen wie Arbeitsplatz, Arbeitsmittel etc.) sowie im „Wir“ (Verhältnis zu den Vorgesetzten oder Mitarbeitern) begründet sein.

Fraglich ist nun jedoch, wie eine Selbstreflexion im Sinne von Dauber, eine Reflexion der körperlichen, emotionalen und transpersonalen Prozesse im Sinne eines Bewusstwerdens im Rahmen einer organisierten Maßnahme der Erwachsenenbildung erfolgen kann. Eine Antwort darauf soll das Konzept des emotional-archetypischen Deutungslernens geben. Zuvor sollen noch weitere theoretische Grundlagen für das Konzept vorgestellt werden.

5.2 Reflexives Lernen zwischen Anpassung und Veränderung bei Schüßler

Auf der Grundlage des Deutungslernens setzte sich Schüßler ebenfalls mit der Selbstreflexion in Form von reflexivem Lernen in der Erwachsenenbildung auseinander.

An dieser Stelle soll noch einmal auf den Begriff des Deutungsmusters zurückgegriffen werden: Deutungsmuster stellen „ein Orientierungs- und Rechtfertigungspotential von Alltagswissensbeständen in der Form grundlegender, eher latenter Situations-, Beziehungs- und Selbstdefinitionen“ dar, „in denen das Individuum seine Identität präsentiert und seine Handlungsfähigkeit aufrecht erhält“ (Arnold 1985, S. 23).

Deutungsmuster dienen mit anderen Worten dazu, einem Individuum Kontinuität zu gewährleisten und Diskontinuität zu vermeiden: „Ein entscheidender Aspekt des Lernens im biographischen Kontext ist das Bemühen um die Kontinuitätssicherung. In der Kontinuität und Diskontinuität des eigenen Lebens bildet nämlich das Individuum seine Identität aus“ (Arnold 2003b, S. 50). Im Zusammenhang mit dem reflexiven Lernen verwendet Schüßler in Verbindung mit dem Begriff „Kontinuität“ den Begriff „Kohärenz“ (vom lat.: cohaerere: zusammenhalten) im Sinne einer Anschlussfähigkeit des Gelernten an bisheriges Wissen oder Selektion des Gelernten entsprechend der „inneren Logik“ (Oevermann 1973) des bereits vorhandenen Systems oder einer erlebten Stimmigkeit von bisherigem und neuem Wissen, bisherigen und neuen Erfahrungen oder bisherigen und neuen Emotionen, welches die biografische Kontinuität sichert (vgl. Schüßler 2008).

Nach Schüßler verlieren viele Menschen aufgrund der turbulenten sozialen, wirtschaftlichen und technologischen Veränderungen und der dadurch hervorgerufenen Risiken, steigenden Flexibilitätsansprüche und Unvorhersehbarkeiten sowohl in der Wirtschaft als auch im Alltag, einhergehend mit einer geringeren „Halbwertszeit“ von Wissen, ihre biografische Kontinuität und Kohärenz.

Nach Schüßler (2008) und Hildebrand et al. (2000) ist eine „reflexive Lebensführung“ vonnöten, um die biografische Kohärenz wiederzugewinnen, wobei diese „reflexive Lebensführung“ in Anlehnung an Voss u. Warsewa (2005) ein konstruktives Sortieren bzw. Selektieren und Zusammenfügen von gesellschaftlichen Erfahrungen, Normen, Werten und Wissen durch das Subjekt beinhaltet, um diese dann zum „eigenen Leben“ zusammenzusetzen.

Wenn das Subjekt nun also gefordert ist, in allen Lebensbereichen zu reflektieren, bedarf es dazu einer reflexiven Kompetenz, die ggf. im Rahmen von organisierter Erwachsenenbildung als „Schonraum“ (Schüßler 2008, S. 2) erworben und dort mit ausreichend Abstand zum Alltag eingesetzt werden könnte. Wie jedoch könnte ein reflexiver Lehr-/​Lernprozess in dieser Hinsicht aussehen?

Schüßler greift bei der Beantwortung dieser Frage auf die Differenzierung von Schäffter zurück, der zwischen „Bestätigungslernen“ und „reflexivem Lernen“ unterscheidet. Während das Bestätigungslernen lediglich die Einpassung von neuem Wissen in eine vorgegebene Wissensstruktur umfasst, beinhaltet „reflexives Lernen“ nach Schäffter die Infragestellung der gesamten vorhandenen Wissensstruktur. Diese Form des transformierenden und nachhaltigen reflexiven Lernens setzt nach Schäffter „Irritationen als Lernanlässe“ (Schäffter 2001, S. 191, zitiert in Schüßler 2008, S. 2) voraus.

Schüßler fasst diese beiden Komponenten, Irritationen als Differenzerfahrungen auf der einen Seite und deren reflexive Verarbeitung auf der anderen Seite, als die Voraussetzungen für die Wiedergewinnung biografischer Kohärenz zusammen. Mit Irritationen ist die Erfahrung von Differenz oder Negation gemeint, im Sinne des Deutungsmusteransatzes eine Konfrontation mit neuen Deutungsmustern, einer Perturbation des Systems der vorhandenen Deutungsmuster oder einer kognitiven oder emotionalen „Dilemmata-Erfahrung“ (ebenda, S. 4).

Die Behauptung, dass Irritationen und deren reflexive Verarbeitung für die Wiedergewinnung von biografischer Kohärenz notwendig sind, begründet Schüßler mit der Tatsache, dass

 unterschiedlichen Lernkonzeptionen gemeinsam ist, dass sie ein kritisches Ereignis bzw. eine kognitive und/​oder emotionale Irritation als Ausgangspunkt für Lernprozesse betrachten (Expansives Lernen von Holzkamp (1993), Transformatives Lernen von Mezirow (1997), Deutungslernen von Schüßler (1998), Signifikantes Lernen von Rogers (1974) und Emotionslernen von Arnold (2005)).

 weitere Theorien aus anderen Wissenschaftsbereichen diese Prämisse stützen (Theorie der kognitiven Dissonanz von Festinger (1957), piagetsche Lerntheorie, dialektisches Denken der Hegelschen Philosophie).

 empirische Untersuchungen, so z. B. die Längsschnittanalyse einer Traineemaßnahme (vgl. Schüßler 2006, 2007a+b), dies bestätigen.

Wie könnte jedoch eine „Irritation als Lernanlass“ (Schäffter 1997, zitiert in Schüßler 2008, S. 5) in der didaktischen Umsetzung konkret aussehen? Schüßler bezieht sich bei der Klärung dieser Frage auf Scotts (1991) Unterscheidung von Ursachen für Differenz- und Dissonanzerfahrungen in einen Anstoß von außen auf der einen Seite („external event that provokes an internal dilemma“, Scott 1991, zitiert in ebenda, S. 6) und eine innere Desillusion („internal disillusionment“, Scott 1991, zitiert in ebenda) auf der anderen Seite, wobei ersteres eine gezielt eingesetzte Irritation im Rahmen eines Lehr-/​Lernprozesses sein kann.

Schüßler verweist hierbei auf die durch Müskens u. Müskens (2002) entwickelte und auf Scotts Unterscheidung basierende „provokative Didaktik“ (ebenda, S. 6), in der persönliches Wachstum durch gezielt eingesetzte provokative Lehrmethoden erreicht werden soll.

Diese gezielt eingesetzten Provokationen sollen eine „Emotionalisierung“ (ebenda, S. 6) des Lehr-/​Lernprozesses mit dem Ziel eines „internalen Dilemmas“ (ebenda, S. 6) erreichen, wobei nach Schüßler nicht unstrittig ist, inwiefern solche durch Trainer absichtsvoll herbeigeführte Differenzerfahrungen und gezielte Infragestellungen der Deutungs-, Emotions- und Handlungsmuster (die ggf. im Nachgang Verunsicherungen hervorrufen könnten, die nicht adäquat begleitet werden können) berufsethisch zu vertreten sind.

Sie verweist in dieser Frage auf Arnold (2005), der es eher als Aufgabe der Erwachsenenbildung betrachtet, die Deutungsmuster von Teilnehmenden zu verstehen, anstatt sie zu pertubieren oder zu irritieren. Sie löst die berufsethische Frage im Sinne der systemkonstruktivistischen Didaktik (vgl. Schüßler 2008, S. 6): Der Lehrende soll sich bewusst sein, dass

 eine Irritation nicht bedeutet, dass die eigenen Deutungsmuster die richtigen und die des Teilnehmers die falschen sind.

 Provokationen von der impliziten Annahme ausgehen könnten, dass das bisherige Wissen und die Handlungsmuster des Teilnehmers unzureichend sind.

 er versucht sein könnte, seine Deutungs- und Handlungsmuster überzustülpen.

 kognitive und emotionale Lernprozesse nicht gesteuert werden können, da der Lernende als autopietisches System unbewusst oder bewusst selbst entscheidet, welche Provokation oder Perturbation er als Irritation wahrnimmt.

 durch Irritationen Verunsicherungen hervorgerufen werden, die ggf. nicht durch ihn als Lehrenden adäquat aufgefangen werden können.

Irritationen sind dementsprechend dann nach Schüßler vertretbar, wenn der Lehrende sich der o. g. Tatsachen bewusst ist und das Ziel verfolgt, dass der Lernende nach der Irritation oder durch Irritation seine ggf. verloren gegangene Handlungsfähigkeit wiedergewinnt und das neue Wissen an biografische Sinnressourcen (im Sinne des Erlebens von Kohärenz) anknüpfen kann. Diese Anknüpfung setzt nach Schüßler voraus, dass der Lernende

 bereits über ein in der Lern- und Lebensgeschichte gewachsenes Kohärenzgefühl verfügt,

 dieses im Lehr-/​Lernprozess gefördert wird,

 Hilfen zur Bewältigung der erlebten Irritation angeboten bekommt und

 in einer Reflexion der Irritation die Möglichkeit findet, den Sinn der Irritation sowie den Grund für die Reaktion (Unsicherheit, Gefühl der Bedrohung etc.) zu verstehen (vgl. Schüßler 2008, S. 7).

Die Irritationen können dabei natürlich unterschiedlicher Intensität sein, ebenso wie die durch die Irritation hervorgerufene Betroffenheit oder emotionale Reaktion. Deshalb soll der Lehrende darauf achten, dass die Irritation nicht so ausfällt, dass eine Reflexion im Rahmen der Veranstaltung nicht möglich ist. Gewisse Rahmenbedingungen, die die Anschlussfähigkeit des Gelernten nach einer Irritation sowie die Sicherung der biografischen Kontinuität gewährleisten, sind nach Schüßler (vgl. ebenda, S. 10):

 Gefühle der Akzeptanz und Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe

 Erleben von Kompetenz und Mitbestimmung in einer Handlungssituation

Ein Lehr-/​Lernsetting, in dem Irritationen sowie deren reflexive Verarbeitung ermöglicht werden sollen, muss demnach derart gruppendynamisch moderiert und gestaltet sein, dass Blamagen oder Demontagen von Personen vor der oder durch die Gruppe ausgeschlossen werden können und Teilnehmer nicht „vorgeführt“ werden. D. h., dass ihnen nicht das eigene Unwissen oder die Inkompetenz aufgezeigt wird und sie zu unfreiwilligen Handlungen genötigt werden.

Im Gegensatz zu solch einem Verhalten schlägt Schüßler auf der Grundlage eines konkreten Beispiels aus der o. g. Untersuchung folgende Schritte vor, die eine Reflexion von Irritationen ohne negative Auswirkungen für den Teilnehmer ermöglichen (vgl. ebenda, S. 12):

 Einfühlsames Spiegeln der körperlichen, kognitiven (sobald sie verbalisiert worden sind) und emotionalen Prozesse (soweit sie äußerlich erkennbar sind)

 Reflektieren von Bedeutungen

 Konfrontieren

 Perspektivwechsel

 Angebot neuer Deutungsmuster, die eine konkrete Handlungsabsicht ermöglichen

In dem von Schüßler aufgeführten Beispiel wird eine Teilnehmerin aufgefordert, im Rahmen einer Gruppendiskussion die Leitung bzw. Moderation zu übernehmen, Beiträge zu sammeln und zu einer gemeinsamen Beschlussfassung zu bündeln. Nach der Sammlung der Beiträge stockt die Teilnehmerin und der Trainer stellt sich hinter sie, um durch zirkuläres Fragen zu helfen, ihre eigenen Gefühle, Deutungen und Handlungsstrategien zu ermitteln. Anschließend konfrontiert er die Teilnehmerin mit einer alternativen Sichtweise, wodurch sie einen Perspektivwechsel erlebt und ihre Blockade, die Gruppe weiter zu moderieren, verliert.

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22 декабря 2023
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9783942064088
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