Читать книгу: «Wind über der Prärie», страница 10

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„Das ist zwar korrekt“, nickte der Captain. „Aber es wurde den Stämmen zugesprochen!“

„Ich frage mich, wie lange die Regierung die Aufsätzigen noch unter Kontrolle halten kann, ohne hässliche Schlachten!“ Charlie grinste verächtlich.

Captain Harbach hob die Brauen, sichtlich verärgert. „Das ist weder etwas, das ich entscheide, noch mit dem Sie jemals konfrontiert werden! Aber solange wie ich hier die Befehle erteile, will ich Sie niemals wiedersehen oder ich schwöre, ich lasse Sie in der nächsten Zelle versauern und für organisierten Landraub anklagen! Habe ich mich deutlich ausgedrückt?“

„Klar und deutlich!“ Das Grinsen auf dem Gesicht ihres Führers wurde breiter. „Auf dem Rückweg werde ich mal bei einem der Rancher vorbeischauen, Sie wissen schon, die haben richtig gutes Land für ihr Vieh gefunden, nicht weit von der Grenze und die Indianer haben dreimal versucht, sie davonzujagen...aber sie kommen immer wieder zurück!“

Der Captain schürzte die Lippen. „Das ist eine Geschichte ganz nach Ihrem Geschmack, was?“

„Natürlich! Diese Leute haben das beste Recht, sich hier niederzulassen! Nichts von diesem wunderbaren, fruchtbaren Land wurde jemals schriftlich an die Indianer abgetreten!“

„Geht mir einfach aus dem Blick! Und rechnen Sie nicht mit irgendeiner Hilfe von meiner Seite, sollte es zum Schlimmsten kommen!“

„Jawohl, Sir!“ Es klang respektlos und er ließ seinen schwarzen Hengst auf der Hinterhand umdrehen.

Julie hatte weder ihm zugehört, noch irgendetwas überhaupt registriert, was während der letzten Minuten gesprochen worden war. Ihre Augen hingen an einem der Soldaten, die den Captain begleiteten. Ihr war schwindlig und ein seltsames Kribbeln breitete sich in ihrer Magengegend aus. Er bemerkte sie nicht hinter dem Wagen, hinter dem sie sich versteckte und sie fühlte sich erleichtert, dass er ihr keinen Blick schenkte, denn sie war zu nichts weiter in der Lage, als ihn wie eine törichte Gans anzustarren. Er war groß und schlank, mit einem feingeschnittenen Gesicht und blonden Haaren. Obwohl sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte, erschien es ihr, als habe sie diese Reise nur angetreten, um diesem Mann zu begegnen. Nie zuvor hatte sie solche Gefühle in sich aufwallen bemerkt. Was war nur in sie gefahren? War sie mit all den Strapazen der vergangenen Wochen schon verrückt geworden? Sie konnte ihren Blick einfach nicht von ihm abwenden, als er nun mit langen Schritten dem Captain durch das Tor ins Fort folgte. Beinahe enttäuscht, wandte sie sich ab. Vermutlich würde sie ihn niemals wiedersehen und die Vorstellung erschien ihr unerträglich. Sie musste diesen Mann wiedersehen, ganz gleich, wie sie es auch anstellte! Sie musste! Julies Herz raste wie verrückt und sie nahm die anderen Menschen um sich herum kaum wahr. Sie schienen keine Bedeutung mehr zu haben, jedenfalls nicht dieselbe wie noch wenige Minuten zuvor.

Hardy Retzner stieß einen tiefen Seufzer aus, als er plötzlich neben ihr auftauchte. „Es scheint mir fast, als seien wir bei Weitem nicht die ersten, die sich hier unbefugt niederlassen.“

Hugh grinste breit. „Das heißt, wir brauchen uns keine weiteren Gedanken mehr zu machen und...“

„Doch, das müssen wir!“, fuhr der Österreicher ihn zornig an. „Ich bin nämlich noch immer nicht erpicht darauf, in geraumer Zeit von einem Indianerpfeil durchbohrt zu werden!“

„Wer ist das eigentlich?“, fragte eine Frauenstimme neben ihnen und einer der Männer antwortete: „Ich habe von ihm gelesen in der Zeitung in Kansas gelesen. Er ist ziemlich berühmt für seine Erfahrung – das ist Captain A.A. Harbach.“

Charlie führte sie hinab, bis an einen großen, ovalen See. Stellenweise war das Ufer mit hohen, alten Bäumen bewachsen und an anderer wieder spross grünes, saftiges Gras. Sie stellten ihre Wagen ab und bestaunten die ungewohnte, doch schön anmutende Gegend. Dort verabschiedete Charlie sich mit dem Einsammeln seiner letzten Rate, die er sich als Treckführer verdient hatte und niemand von ihnen bekam ihn jemals wieder zu Gesicht.

„Welch fabelhafte Gegend!“, rief Friedrich und schaute sich um. „Dort, direkt am Ufer, will ich meine Kirche haben!“

Luise hakte sich bei ihm unter und lächelte. „Wir haben es geschafft!“

„Ja!“ Ungewohnt herzlich drückte ihr Mann sie an sich. „Wir sind dort, wo wir hin wollten! Wir besitzen ein eigenes Stück Land, auf dem wir unser Haus bauen können und wo wir den Rest unseres Lebens verbringen werden!“

„Wir besitzen dieses Land nicht“, warf Hardy trocken und sehr ernst ein. „Wir nehmen es uns!“

Angespanntes, bedrücktes Schweigen trat ein und alle Umstehenden beäugten ihn abschätzend. Nur diejenigen, die ihn nicht gehört hatten, lachten und freuten sich weiterhin, am Ziel angelangt zu sein.

Innerhalb von nur einer Woche waren die ersten Häuser fertiggestellt und die ersten Bestellungen wurden zusammengetragen, um zur Bahnstation gebracht zu werden. Diese war von der Missouri-Kansas und Texas-Bahn 1871 erbaut worden, um Kansas und Fort Gibson miteinander zu verbinden. Nur ein Jahr später konstruierte einer der Angestellten eine Weiche zur KATY Eisenbahn, die sie nach Henry Samuel „Bigfoot“ Wagoner benannten. Denn es wurde dringend ein Ort benötigt, wo die Eisenbahnwaggons abgestellt werden konnten, um sie mit Walnussholz zu beladen, das an den Ufern des Grand und Verdigris River wuchs. 1883 entschieden die Kansas und Arkansas Valley Bahngesellschaften schließlich, neue Schienen durch das Gebiet zu verlegen und von diesem Tag an war die bisherige Weiche eine Kreuzung von zwei Schienensträngen geworden. Öfen, Fensterglas, Handwerkszeug, Kleidung – alles, was benötigt wurde, sollte per Eisenbahn angeliefert werden.

Friedrich entwarf eine Skizze für seine Kirche, während einige der jungen, enthusiastischen Leute aufbrachen, um sich weiter außerhalb ihre Farmen zu errichten. Die einen entschieden sich, Geschäfte zu eröffnen, während andere wiederum anfingen, einen Stadtrat zusammenzustellen und einen Sheriff zu ernennen. Schon Ende September bestand die Siedlung aus Wohnhäusern, einem General Store, einer Bäckerei, einem Schmied, einem Mietstall und einer kleinen Kirche ohne Glocke. Auch eine Bank war im Gespräch, jedoch war der betreffende Angestellte noch nicht eingetroffen, der die Filiale leiten sollte. Eine Bankgesellschaft aus Kansas hatte sogleich die Chance gesehen, eine weitere Außenstelle in ihrem kleinen Ort zu eröffnen, der stetig wuchs.

„Sie muss jeden Tag mit der Bahn ankommen“, versicherte Friedrich nach dem sonntäglichen Gottesdienst, als er die Gemeinde in einen freien Tag entließ, der vielleicht die letzten Sonnenstrahlen vor dem Kälteeinbruch brachte. „Der Captain hat mir versprochen, sie sofort vorbeibringen zu lassen, wenn sie da ist!“

„Es wird wirklich Zeit, dass wir eine eigene Glocke bekommen“, lachte Miklós und reichte dem Pfarrer die Hand. „Damit ich nicht jeden Sonntag zur Kirche rennen muss, weil ich verschlafen habe!“

Miklós betrieb den Mietstall und hatte gleich einen Teil der Pferde von den Siedlern abgekauft, die sie nicht mehr brauchten. So besaß er nun eine beachtliche Anzahl von Tieren. Trotz des Siedlungsverbotes und der Tatsache, dass dieses Gebiet noch immer den Indianern gehörte, stießen ununterbrochen neue Trecks aus dem Osten zu ihnen und ließen sich in der Stadt nieder, die sie „Gibson Town“ getauft hatten. Einige wollten auch weiter, Richtung Westen und sich dort ein Stück Land suchen, aber viele blieben. Denn unter vorgehaltener Hand sprach es sich längst herum, dass es hier, im Süden, viel einfacher war, an Land zu kommen als weiter westwärts. Manchmal kamen nur Familien an, anderes Mal bunt gemischte Trecks mit jungen Männern und unverheirateten Frauen.

Es ließ sich auch nicht vermeiden, dass keine zwei Monate später der erste Saloon mit Tanzmädchen eröffnet und auch erfolgreich betrieben wurde. Von den anfangs etwas sechzig Personen war die Stadt innerhalb von nur wenigen Wochen um fast das fünffache angewachsen.

Auch an diesem Sonntag hatte ein Siedlertreck unweit vor der Stadt die Nacht verbracht, um von dort aus weiterzuziehen. Es waren nur um die zwanzig junge Männer aus aller Welt und sie wollten bei der Eisenbahn anheuern.

„Das ist alles vollkommen verrückt!“, meinte Hardy Retzner und verzog das Gesicht. „Zuerst warnt uns dieser Captain und dann finden wir heraus, dass es längst eine Bahnstation für die Eisenbahn gibt, nicht weit entfernt und das schon seit Jahren! Ich begreife das nicht und ich habe das Gefühl, dass es mehr als nur ein paar kleine Probleme mit den Indianern gibt. Ich bezweifle, dass sie auch nur einen Cent dafür bekommen, dass ihre Walnussbäume von diesen Kerlen auf die Wagen verladen werden!“

„Ach, sehen Sie doch nicht immer so schwarz!“, bat Julie, während sie langsam neben ihm die breite, kurze Straße hinabschlenderte, an deren beiden Seiten die Häuser ihres Ortes aus dem Boden gestampft worden waren. Alles einfache, in Holzblockweise errichtete Gebäude, alle braun und nichts Besonderes, doch in jedem steckte stundenlange Arbeit, Schweiß und der Stolz, es geschafft zu haben.

Doktor Retzner hatte sich ein winziges, ebenerdiges Häuschen gebaut, wo er im hinteren Teil lebte und im vorderen eine kleine Arztpraxis eröffnet hatte. Es lag fast genau in der Mitte der Stadt, die an ihrer Größe und Einwohnerzahl gemessen eigentlich noch gar keine war.

„Ich sehe schwarz?“, erwiderte er jetzt, als sie vor seiner Haustür stehenblieben. Er schüttelte den Kopf. „Ich sehe alles völlig klar, das ist ein Unterschied! Bisher haben die Indianer uns größtenteils in Ruhe gelassen, abgesehen von diesem einen Brand, den sie im Haus der Gyllenhales veranstaltet haben. Ich fürchte allerdings, das war nur ein Anfang, denn ihnen wird kaum entgehen, wieviele neue Siedler jede Woche hier einfallen, um sich über ihrem Land zu verteilen und es für sich zu beanspruchen! Und das, obwohl sie alle kein Recht dazu haben! Ich kann es nur immer wieder betonen.“

„Sie machen mir Angst!“, rief Julie vorwurfsvoll. „Ich will nicht, dass Sie solche Dinge sagen!“

„Sie werden Ihnen ins Auge sehen müssen“, erwiderte Hardy sehr ernst. „Sie gehören zu unserem neuen Leben genauso dazu, wie die Tatsache, dass bisweilen Wirbelstürme über diese Gegend hinwegfegen.“ Er fasste sie kurz am Kinn und lächelte aufmunternd. „Das habe ich in einer Zeitung gelesen, aber vielleicht stimmt es ja nicht. Wir haben wenigstens den Vorteil, eine große Truppe zu sein! Die Farmer draußen, in der Prärie, haben es da wesentlich schwerer.“

„Ach ja“, fiel Julie bei dem Stichwort ein. „Soll ich später noch zu Geertje hinausreiten und nach ihr sehen?“

„Oh ja, das wäre schön! Ich hätte nie gedacht, dass sie gleich wieder guter Hoffnung sein würde, kaum, dass sie und Torbjörn sich eine Parzelle gesucht haben!“ Er lachte.

„Ich mache mich gleich nach dem Mittagessen auf den Weg“, versprach Julie eifrig. Sie freute sich darauf, die junge Norwegerin endlich wiederzusehen. Es lag schon beinahe sechs Wochen zurück, seit sie das letzte Mal hinausgeritten war.

„Seien Sie bitte vorsichtig!“, bat Doktor Retzner und runzelte die Stirn. „Captain Harbach meinte, dass sich die Creek und die Cherokees wieder in die Haare bekommen hätten und sie lassen das wohl nicht nur an sich gegenseitig aus!“

„Keine Sorge, ich passe schon auf!“, versicherte Julie und wandte sich zum Gehen. „Ich muss nach Hause! Auf Wiedersehen!“

Er lächelte. „Auf Wiedersehen, Julie-Mädchen!“

Großen Schrittes marschierte sie die Straße hinab. Sie wusste, dass es unschicklich aussah und dass Luise sie schelten würde, doch Julie war viel zu aufgeregt, um sich darüber groß Gedanken zu machen. Sie freute sich, wieder einmal reiten zu können und vor allem, einen Nachmittag mit den Stromsons zu verbringen. Es war immer nett bei ihnen und Geertje konnte aus einfachsten Bestandteilen herrlichstes Gebäck zaubern. Sie musste es nur noch ihren Eltern schonend beibringen, denn der Sonntag war heilig und unantastbar in den Augen ihres Vaters. Ein Tag, an dem niemand arbeitete oder etwas tat, was ihn entheiligen könnte. Julie seufzte. Manchmal hasste sie es, die Tochter eines Pastors zu sein.

Ihr Haus lag einige Meter hinter der Hauptstraße zurückversetzt. So hatte Friedrich es sich gewünscht, denn dort wuchsen hohe, alte Bäume und unter denen wollte er zukünftig im Sommer sitzen und die Sonnenuntergänge beobachten. Es war ein einfacher Bau, nur aus dem Erdgeschoß bestehend. Ein Obergeschoß sollte erst später hinzukommen, jedenfalls sah das Friedrichs Planung vor. Ein kleiner Wohnraum mit angeschlossener Küche befand sich gleich hinter der Haustür. Von dort führten drei schmale Türen in die winzigen Schlafzimmer. Mehr gab es nicht. Gebadet wurde in einer kleinen Wanne im jeweiligen Schlafzimmer und die Wäsche wurde im See gewaschen.

Als Julie eintrat, fiel ihr Blick als erstes auf Hugh, der am Tisch saß und über den Unterlagen für den morgigen Unterricht brütete. Es gab keinen Lehrer unter den Einwanderern und so hatte jemand anderer die Stelle vorerst übernehmen müssen. Zunächst war die Wahl des Stadtrats auf Friedrich gefallen, doch dieser sah sich neben seinem Kirchendienst nicht dazu in der Lage, auch noch eine Schar von knapp fünfzig Kindern zu unterrichten und zu bändigen. Nach einigen Überlegungen hatten sie schließlich Hugh gebeten, die Aufgabe so lange zu übernehmen, bis mit einem anderen Siedlertreck vielleicht ein Lehrer ankommen würde. Zu Anfang war Hugh nicht begeistert gewesen von dieser Idee. Er selbst war gerade einmal neunzehn Jahre alt und was konnte er den Kindern schon beibringen? Gut, er beherrschte am besten Englisch von allen hier, inzwischen sogar besser als seine Schwester und er hatte in Deutschland die höchste Schule besucht. Dennoch war er dem Vorschlag zunächst sehr skeptisch gegenübergestanden. Er hatte noch nie unterrichtet und er besaß auch im Umgang mit Kindern nicht viel Erfahrung. Inzwischen lagen jedoch drei Wochen zurück und er hatte sich einige Bücher zusammengeliehen, ein paar aus dem Fort, andere von Bürgern des Ortes. So hatte er zumindest eine gewisse Grundlage für das, was er neben Englisch und Rechnen noch unterrichten konnte. Er begrüßte die Entscheidung des Stadtrats sehr, schnellstens richtige Schulbücher aus dem Osten zu bestellen und konnte ihre Ankunft kaum erwarten. Für Montag nahm er sich immer Erkunde zur Brust und deshalb blätterte er jetzt eifrig in einem Atlas mit bunten Bildern und einem Buch über die Substanzen im Erdboden und den Aufbau der verschiedenen Vegetationszonen. Dass er sich diesen wertvollen Band von Captain Harbach hatte persönlich ausleihen dürfen, machte Hugh besonders stolz und er behandelte ihn mit größter Sorgfalt.

Jetzt, als er die Türe neben sich aufschwingen bemerkte, hob er kurz den Blick, um ein „Hallo Julie!“ zu murmeln und sich dann wieder über die Unterlagen zu beugen.

Seine Schwester seufzte und schenkte ihm keine weitere Beachtung. Sie hatte sich eine ganz andere Strategie ausgedacht, um auf jeden Fall von hier fortzukommen. Zu ihrer Zufriedenheit stellte sie fest, dass der Rest ihrer Familie noch vor der Kirche versammelt sein musste, um ein sonntägliches Gespräch mit den Gemeindemitgliedern zu führen. Wie großartig! Julie eilte in ihr Zimmer und befreite sich von den unbequemen Röcken, dem Korsett und der steifen Jacke. Achtlos warf sie alles auf ihr Bett, um stattdessen in die schiefgelaufenen Stiefel und den Reitrock zu schlüpfen. Dazu trug sie immer eine weite, meist farbig karierte Bluse, wie es die Männer taten. Heute allerdings zog sie noch eine ärmellose Weste darüber, denn der Wind konnte am späten Nachmittag bereits empfindlich kühl werden.

Hugh blickte nicht auf, als sie wieder in den Wohnraum zurückkam, die Tasche in der Hand, die Hardy ihr bereits in St. Louis vermacht hatte und die Julie immer begleitete, wenn sie zu einem Patienten musste.

„Ich gehe dann! Sag Vater und Mutter, dass sie nicht auf mich warten müssen, mit dem Essen, meine ich. Es könnte später werden!“ Sie eilte zur Tür.

„Moment!“, rief Hugh ihr verdutzt nach. „Wo willst du denn hin? Und was hast du gesagt, soll ich ausrichten?“

Julie verzog das Gesicht. „Du sollte ihnen sagen...ach, ist doch egal! Ich muss zu den Stromsons hinaus und nach Geertje sehen!“

„Jetzt? Heute? Am Sonntag?“

„Warum nicht?“, rief Julie trotzig. „Du arbeitest heute auch und du bist sogar gleich nach dem Gottesdienst auf und davon! Warum sollte ich nicht zu Geertje reiten und sehen, ob es ihr gut geht?“

„Weil...weil...“ Hugh fiel kein passendes Argument ein. Er machte eine ärgerliche, wegwerfende Handbewegung. „Ach, hau doch ab! Wirst schon sehen, was Vater davon hält!“

„Jawohl, ich gehe!“ Julie riss die Tür auf und stürmte ins Freie. Wütend stapfte sie den Weg zu Miklós’ Stall hinauf. Sie hoffte inständig, er würde bereits da sein. Ansonsten sattelte sie sich einfach den großen Fuchs selbst, den sie immer ritt, wenn sie auf eine der Farmen musste. Bis dahin würde ihr ungarischer Freund bestimmt zurück sein. Tatsächlich war niemand im Stall anzutreffen, obwohl das große Tor an der Frontseite offenstand. Julie seufzte. Sie hasste es, den schweren Sattel alleine auf das große Tier hieven zu müssen, aber es half nichts. Es dauerte fast eine Viertelstunde, bis sie den Fuchs gesattelt und aufgezäumt hatte und dann erschien Miklós.

„Ah!“, sagte er und grinste. „Du! Hätte ich wissen müssen! Nur du holst einfach ein Pferd!“

„Entschuldige!“ Julie band ihre Tasche am Sattel fest. „Aber du weißt ja, dass ich ihn dir zurückbringe!“

Der Ungar lachte heiser auf. „Natürlich! Reite nur zu, Mädchen! Immer auf und davon! Brauchst mir dieses Pferd auch gar nicht mehr bringen! Lässt sich sowieso bloß von dir gut reiten!“

„Na, mein Vater wäre nicht begeistert!“, meinte Julie lachend, während sie sich in den Sattel schwang. „Er findet es schon sündhaft, dass ich überhaupt reite wie ein Mann!“

„Wie ein Mann?“, rief Miklós verständnislos. „Bei uns in Ungarn alle Mädchen reiten mit einem Bein rechts und einem links! Ist doch viel einfacher!“

„Bis heute Abend!“ Julie grinste und trieb das Pferd vorwärts. Sie mochte den Stallbesitzer und seine Sprüche, die er stets auf seine lustige Art mit inkorrekter Grammatik von sich gab. Er verriet sie nie, wenn sie wieder einmal davonritt und außer Hardy niemand wusste, wohin ihr Weg sie führte. Er gab ihr auch jedesmal ohne lange Fragereien den Wallach und verlangte kein Geld von ihr dafür, weil er wusste, dass sie irgendwo außerhalb der Stadt jemanden zu versorgen hatte.

Der Weg zur kleinen Farm der Stromsons führte über unwegsames, steiniges Gelände. Einen richtigen Weg gab es ohnehin nicht, nur einen schmalen Pfad, der zur Not auch mit einer kleinen Kutsche befahren werden konnte, das allerdings nur langsam. Julie kannte die Gegend und sie träumte ein wenig vor sich hin, wie sie es meistens tat, wenn sie zu einem der Siedler hinaus ritt. Dunkle Wolken machten sich von Westen her über dem Land breit, die wohl bald Regen bringen sollten. Auf einem der Felsformationen zu ihrer Linken, weit hinter dem Wald, schien jemand ein Feuer gemacht zu haben, denn weißer Rauch zog von dort langsam gen Himmel. Julie schenkte ihm keine weitere Beachtung, denn sie hatte das kleine Farmhaus beinahe erreicht. Es lag geschützt zwischen hohen Sträuchern am Fuße eines Hügels. Aus dem einfachen Steinkamin stieg Rauch auf und die Schafherde blökte in der großzügigen Umzäunung daneben.

Julie sprang aus dem Sattel und wickelte die Zügel kurzerhand um mehrere Äste eines Busches. Sie knotete ihre Tasche los, als sich bereits die Türe öffnete und Geertje heraustrat.

„Julie! Wie schön! Komm herein! Willst du ein Stück Apfelkuchen?“

„Danke, immer gern, das weißt du doch!“ Erst jetzt fiel ihr auf, dass ihr Magen knurrte. „Ich hatte noch gar kein Mittagessen!“

Geertje hielt ihr die Tür auf und wartete, bis Julie eingetreten war.

„Setz dich“, bat sie und eilte an den Herd. „Mir geht es bestens! Du bist ganz umsonst gekommen!“

Julie lachte leise auf. „Ich werde nicht wieder fort reiten, ehe ich mir deinen Zustand angesehen habe! Das würde mir Hardy nie verzeihen und ich mir auch nicht!“

„Mir geht es wirklich sehr, sehr gut!“, versicherte die junge Frau, während sie ein großes Stück Kuchen herunterschnitt und auf einen Teller legte. „Björn müsste auch gleich hier sein. Er wollte nur noch schnell den Zaun ablaufen, damit die Schafe heute Nacht nicht entwischen, falls ein Sturm hereinbricht und danach sieht es wohl aus. Du solltest dich lieber beeilen, wieder zurück in die Stadt zu kommen.“

„Danke!“ Mit leuchtenden Augen griff Julie nach der Gabel und stach einen großen Bissen vom Kuchen ab. Sie verspürte jetzt wirklich Hunger und war froh, etwas essen zu können.

Keine fünf Minuten später öffnete sich die Hintertür und Torbjörn trat ein.

„Hallo Julie!“, rief er munter. „Ich hab dein Pferd draußen gesehen!“

„Ist nicht meins“, erwiderte Julie mit vollem Mund. „Gehört Miklós!“

„Mmh“, machte der junge, strohblonde Norweger und richtete seine Aufmerksamkeit in Richtung Herd. „Das duftet aber!“

„Setz dich!“, lachte seine Frau. „Du wirst nicht verhungern!“

„Oben, bei den Felsen, scheinen sich die Indianer breitzumachen“, sagte Torbjörn leise, sodass nur Julie es verstehen konnte. Erschrocken starrte sie ihn an.

„Die Indianer?“, wiederholte sie gedehnt. „Bist du sicher?“

„Ziemlich“, nickte Torbjörn. „Ich habe jede Menge Hufspuren von unbeschlagenen Pferden gesehen!“

Julie schluckte. Sie wusste, was das bedeutete. Oft genug war ihr von ihrem Vater und Hardy eingeschärft worden, sich sofort in Sicherheit zu bringen, sollte sie Spuren unbeschlagener Pferde entdecken. Also war es jetzt vermutlich soweit, dass sie auszogen, um sie zu vertreiben von diesem Land, das ihnen nicht gehörte, das sie geraubt hatten, wie Hardy es immer wieder formulierte.

„Alles in Ordnung?“, fragte Geertje in ihre Überlegungen hinein.

„Was?“ Verwirrt starrte Julie sie einen Augenblick an, dann rang sie sich zu einem Lächeln durch. „Ja, ja...alles okay! Ich habe nur gerade überlegt....was in der kommenden Woche so alles ansteht!“ Sie schob den leeren Teller zurück und sprang hastig auf. „Am besten, ich reite schnellstmöglich zurück in die Stadt. Komm, lass mich dich kurz anschauen.“

Verwundert hob Geertje die Schultern und ging ihr voraus, in Richtung Schlafzimmer. „Wenn du meinst...“

Julie war froh, als sie die Untersuchung hinter sich gebracht hatte und der jungen Norwegerin mitteilen konnte, dass es dem Kind gut ging, soweit sie feststellen konnte.

„Du musst dich trotzdem schonen“, ermahnte sie streng und sagte sich, es höre sich wie Hardy an. „Sei bitte vorsichtig“, fügte sie sanfter hinzu. Sie lächelte. Sie und Geertje mochten sich und wenn sie davon sprechen konnte eine Freundin zu besitzen, dann war Geertje auf jeden Fall eine von ihnen.

Ein lautes Rufen ließ die beiden jungen Frauen herumfahren. Torbjörn stieß die Türe auf. „Runter! In Deckung! Indianer!“

Geertje wurde blass und stieß einen kurzen Schrei aus. Julie besaß mehr Kaltblütigkeit und packte die junge Frau kurzerhand an den Schultern, um sie auf den Fußboden neben dem Bett zu drücken.

„Bleib hier!“, befahl sie. „Du rührst dich nicht von der Stelle!“

Sie selbst huschte in gebückter Haltung hinüber in den Wohnraum, zu Torbjörn, der in der offenen Tür stand. Seine Winchester krachte und ein Schrei erklang von draußen. Ein weiterer Schuss und es war still, verdächtig still. Vorsichtig wagte Julie es, hinter ihn zu treten. Sie blinzelte und schaute hinaus. Zwei kleine, gescheckte Pferde ohne Sattel standen im Hof. Ihre beiden Reiter lagen ein Stück daneben, regungslos. Julie überlegte einen langen Moment. Es war ihre Pflicht, Menschenleben zu retten, ganz gleich welcher Rasse, Herkunft oder Geschlechts. Das hatte Hardy ihr immer und immer wieder eingebläut, doch das da draußen waren zwei Indianer, die vielleicht nur vorgaben, verwundet zu sein. Vielleicht wollten sie sie auch nur herauslocken, um sie dann umzubringen. Galt für sie nun dasselbe? War es diese Pflicht wert, dass sie sich selbst in Gefahr brachte? Julie schwirrte der Kopf.

„Ich kann keine anderen sehen“, raunte Torbjörn jetzt und schob sich behutsam einen Schritt nach draußen. „Seltsam.“

„Vielleicht dachten sie, mehr brauchen sie für euch beide nicht!“

Julie wagte sich neben ihm ins Freie, ihre Umgebung genau unter die Lupe nehmend, um jede Bewegung sofort wahrzunehmen. Sie konnte niemanden entdecken, kein Geräusch, nichts verriet, ob sich noch mehr Indianer in der Nähe aufhielten. Langsam, jeden Schritt genau bedenkend, ging Julie vorwärts. Nichts geschah. Kein Schuss fiel, kein Pfeil traf sie und auch die beiden Indianer rührten sich nicht. Zuerst trat Julie zu dem einen, der auf dem Bauch lag. Sie scheute sich davor, ihn zu berühren. Er trug Lederkleidung und sein Haar war lang und pechschwarz. Eine Feder war hinein geknotet und er roch seltsam scharf nach Leder, Fell und als habe er neben einem Feuer gestanden, rauchig und schwer.

Sie gab sich einen Ruck und beugte sich über ihn. Es kostete sie einige Kraftanstrengung, ihn auf den Rücken zu drehen. Zwei große, schwarze Augen starrten sie an, ein Rinnsal von Blut lief aus einem Loch in seiner Stirn. Entsetzt fuhr Julie hoch. Zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie einen toten, erschossenen Menschen. Sie atmete stoßweise. Er war jung, kaum älter als sie selbst. Vergessen war die Möglichkeit, weswegen die beiden gekommen waren, jetzt siegte ihr Mitgefühl.

Hastig wandte Julie sich ab. Vielleicht lebte zumindest der andere noch. Er lag einige Schritte entfernt, zusammengekauert auf der Seite. Sein glattes, schwarzes Haar hing ihm in langen Strähnen ins Gesicht. Mit einem Blick erfasste Julie den Steckschuss an seinem Bein. Blut floss in Strömen heraus, tropfte auf die feuchte Erde und bildete dort einen dunklen Fleck. Sie kniete sich neben ihn. Behutsam strichen ihre klammen, zitternden Finger die Haare beiseite. Das junge, auf eigene Weise sehr hübsche Gesicht war auf jeder Wange mit zwei weißen Streifen bemalt. Zwei schwarze Augen schauten sie an, doch es waren keine toten Augen, sie waren ausgesprochen lebendig und feindselig. Erschrocken sprang Julie auf, einen leisen Schrei ausstoßend.

Torbjörn hatte mittlerweile die Gebäude umrundet und verkündete, dass er keine weiteren Spuren gefunden habe. Sofort kam er nun zu ihr geeilt, das Gewehr im Anschlag.

„Lebt er etwa noch, dieser rote Teufel?“

„Nicht!“ Fassungslos packte Julie die Waffe. „Du kannst ihn doch nicht einfach erschießen!“

„Warum nicht?“, brüllte Torbjörn. „Glaubst du, er hätte sich um uns geschert?“

„Das darfst du nicht!“, rief Julie und versetzte ihm einen energischen Stoß gegen die Brust. „Das wäre Mord!“

Ungläubig starrte der junge Mann sie an. „Willst...willst du etwa behaupten, du möchtest ihn laufen lassen?“

„Zuerst muss ich die Kugel herausholen und sein Bein verbinden!“

„Ihn auch noch verarzten?“, brüllte Torbjörn. Er schlug mit dem Lauf seiner Winchester nach ihr. „Nicht hier, nicht auf meinem Grund und Boden!“

„Wo denn sonst?“ Ärgerlich schüttelte Julie den Kopf. „Mit in die Stadt nehmen kann ich ihn schlecht. Ich glaube kaum, dass ich ihn dorthin bekomme.“

„Sie hat recht!“ Unbemerkt war Geerjte herausgekommen, um nachzusehen, ob alles in Ordnung war. Keiner von beiden hatte sie kommen bemerkt. „Du kannst diesen jungen Kerl nicht einfach erschießen!“ Ihre blauen Augen ruhten vorwurfsvoll auf ihrem Ehemann. „Das wärst nicht du! Das wäre nicht mehr der Torbjörn, den ich liebe und den ich geheiratet habe!“

Er schluckte. Sein Stolz verbot es ihm, Nachsicht walten zu lassen und sein Zorn war noch immer ungebrochen. Mit einer schnellen, fahrigen Bewegung strich er durch das hellblonde Haar.

„Sie werden zurückkommen!“, stieß er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Und dann...“

„Wenn du ihn erschießt, werden sie das ganz bestimmt“, erwiderte Geertje mit einer Schärfe, die ihr kaum zuzutrauen war. „Aber wenn du ihm hilfst, wird er es vielleicht weitererzählen und sie werden uns verschonen!“

Es kostete Torbjörn einige Überwindung, doch die Worte seiner Frau schmerzten ihn. Er erkannte sich ja selbst kaum wieder! Endlich nickte er. „Also gut. Bringen wir ihn ins Haus.“

Zufrieden nahm Geertje ihm das Gewehr ab, damit er Julie helfen konnte, den jungen Indianer hineinzutragen. Kaum jedoch, dass Torbjörn ihn fassen wollte, versuchte dieser aufzuspringen. Hasserfüllt starrten seine dunklen Augen sie an. Sein verwundetes Bein konnte kein Gewicht tragen, es gab unter ihm nach und er sackte zusammen, doch irgendwie gelang es ihm, sich noch zu fangen und er landete nur auf den Knien.

„Wir...wir wollen dir helfen“, sagte Julie. Die großen Augen starrten sie misstrauisch an. Er verstand ganz offensichtlich nichts von dem, was sie sagte. „Helfen!“, sagte sie erneut und deutete auf seine Wunde. Als er nicht reagierte, beugte sie sich hinab und berührte sacht die Stelle, wo die Patrone in das Fleisch gedrungen war. Er zuckte vor Schmerz zurück und Julie wunderte sich über ihren eigenen Mut. Seine unergründlichen Augen fixierten sie noch immer, doch sie glaubte, ein Verstehen darin zu erkennen.

„Komm“, sagte sie und gab Torbjörn einen auffordernden Wink. „Geertje, bitte, bring das Gewehr irgendwohin, wo er es nicht sehen kann!“

Diesmal erlaubte der junge Indianer ihnen, ihn zu stützen und ihn zum Haus zu schleifen. Julie legte ihren Arm um seine kräftigen Schultern und wunderte sich, dass er es mit solch stoischer Ruhe geschehen ließ. Wie eigenartig und fremd musste das alles für ihn wirken, erst recht, nachdem er nichts von ihrem Gespräch zu verstehen schien. Sie hatten ihm noch nicht einmal das Messer weggenommen und halfen ihm stattdessen ins Haus! War es schiere Leichtfertigkeit oder waren sie einfach nur vollkommen dumm und naiv? Julie beobachtete ihn genau. Schweiftropfen bildeten sich auf seiner Stirn und sie fragte sich, ob sie von den Schmerzen verursacht wurden oder ob ihm ebenfalls so ungeheuerlich zumute war wie ihnen.

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