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Bedingungen für die Einbindung von nicht-landessprachlichen Herkunftssprachen in den landessprachlichen Deutschunterricht1

Ein kasuistisch-didaktischer Blick

Björn Rothstein

1 Herkunftssprachen im Deutschunterricht?

Betrachtet man die bildungspolitischen Entscheidungen der vergangenen Jahre und ihre fachdidaktischen, bildungswissenschaftlichen sowie schulischen Umsetzungen, so erkennt man die klare Tendenz, schulische Querschnittsaufgaben fächerverbindend zu implementieren. Zu diesen Querschnittsaufgaben zählen beispielsweise die Vermittlung der deutschen Bildungssprache bzw. die sprachliche Bildung, die Digitalisierung, die Demokratisierung, die Heterogenität und die Inklusion, die von den Fachdidaktiken und Bildungswissenschaften als jeweils sprachsensibler, auf die Möglichkeiten der Digitalisierung zurückgreifender, demokratische Werte vermittelnder und Heterogenität berücksichtigender Fachunterricht aufgegriffen wurden.

In einem sprachsensiblen oder (sprachbewussten Fachunterricht wird fachliches mit sprachlichem Lernen verbunden (Becker-Mrotzek et al. 2013, Prediger 2013, Sumfleth et al. 2013), wenn Schülerinnen und Schüler mit Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache durch den Fachunterricht beim Erlernen des Deutschen fach- und bildungssprachlich unterstützt werden. Im Kontext der Digitalisierung kann ebenso die Vermittlung von u.a. Digital Skills, Digital Literacy und Digital Data als eine den Unterricht betreffende Querschnittsaufgabe verstanden werden (u.a. Gailberger 2018). Mittlerweile wird auch die Vermittlung demokratischer Werte als eine Querschnittsaufgabe verstanden, zu der alle Fächer beitragen sollen.

Ein inklusiver Fachunterricht ist ein „gemeinsame[r] Unterricht aller Kinder und Jugendlichen an einer Regelschule, der diese in ihrer kognitiven, sprachlichen, emotional-affektiven, sozialen und motorischen Entwicklung bestmöglich unterstützt. Unterricht meint dabei das gemeinsame Lernen an einem von allen geteilten Gegenstand“ (Becker-Mrotzek / Knopp 2018: 89).

Ein weites Verständnis von Inklusion, so wie es Becker-Mrotzek & Knopp (2018) annehmen, ermöglicht eine bildungsinstitutionelle Antwort auf die Heterogenität, die aus personenbezogenen Hintergrundmerkmalen (Sozioökonomie und Migrationshintergrund), individuellem Lernpotenzial (bildungssprachliche Kompetenzen, Vorwissen, Intelligenz, Deutschkenntnisse) und sonderpädagogischem Förderbedarf resultiert (John-Ohnesorg 2017: 9). Denkt man die Bereiche sprachliche Bildung, Heterogenität und Inklusion zusammen, so resultiert eine weitere Querschnittaufgabe „Mehrsprachigkeit“, die die schulische wie außerschulische Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler betrifft und diejenigen inkludiert, deren erste Sprache nicht oder nicht ausschließlich Deutsch ist, sondern die (primär) in einer oder mehreren Sprachen sozialisiert wurden. Wer den Umgang mit Heterogenität konsequent zu Ende denkt, muss demzufolge Unterrichtskonzepte zum Umgang mit Mehrsprachigkeit entwickeln, um (diejenigen) Schülerinnen und Schüler mit bzw. ohne individuelle herkunftsbezogene Mehrsprachigkeit im Sinne eines gesellschaftlichen Multilingualismus zusammenzubringen und auf ein reflektiertes, einander wertschätzendes Miteinander vorzubereiten (vgl. beispielsweise das Curriculum Mehrsprachigkeit in Krumm / Reich 2013).

Ein eigenes Schulfach Mehrsprachigkeit scheint sich gegenwärtig nicht durchzusetzen (Rösch 2017: 209). Stattdessen werden Konzepte eines mehrsprachigkeitsberücksichtigenden oder -bewussten Fachunterrichts verfolgt, die sprachliche Vielfalt thematisieren und zu denen in den vergangenen Jahren unterschiedliche Konzepte entwickelt wurden (vgl. u.a. die Beiträge in Rothstein 2011). Dabei zeichnet sich ab, dass in diesem Kontext der Rückgriff auf schülerseitige Herkunftssprachen didaktisch ein relativ neues Feld ist, das erst im vergangenen Jahrzehnt intensiver erforscht wurde (u.a. von Ricart Brede 2016, Geist 2018). „Herkunftssprachen sind die Sprachen, die Migranten als ihre Mutter­spra­chen in anderssprachige Einwanderungsländer mitbringen“ (Reich 2008: 445), die sie als Umgangssprache nutzen (Brehmer / Mehlhorn 2018) und in der sie zusätzlich zur nationalen Amtssprache zu einem gewissen Grad bilingual sind (Valdés 2001: 38; Montrul 2016). Traditionell wird den nicht-deutschen Herkunftssprachen im deutschen Bildungssystem bundeslandübergreifend vergleichsweise wenig Platz eingeräumt (Reich 2018). Während zwar einige Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen eigene Unterrichtsfächer für bestimmte Herkunftssprachen anbieten, reduziert sich das Angebot in Baden-Württemberg z.B. auf nicht-staatlichen Unterricht an Konsulatsschulen (Brehmer / Mehlhorn 2018: 70). Diese ungleiche Vorgehensweise begründet sich nicht nur durch die Kultushoheit der Länder, sondern auch durch eine relativ disparate Forschungslandschaft zum herkunftssprachlichen Unterricht. Zwar existieren mittlerweile Vorschläge zur unterrichtlichen Einbindung nicht-deutscher Herkunftssprachen, doch ist insgesamt der Beitrag herkunftssprachlicher (literaler) Kompetenz zum gesamtschulischen Bildungserfolg nach wie vor nicht nachgewiesen (vgl. Brehmer / Mehlhorn 2018 und die Beiträge in Mehlhorn / Brehmer 2018).

Neben den Versuchen, ein eigenes Schulfach „Mehrsprachigkeit“ und/ oder „herkunftssprachlicher Unterricht“ zu etablieren, finden sich darüber hinaus auch Vorschläge wie Forderungen eines mehrsprachigkeitssensiblen Fachunterrichts:

Erfahrungen der Mehrsprachigkeit führen zu vertiefter Sprachkompetenz und Sprachbewusstheit. Sie sind Teil der Arbeit in allen Kompetenzbereichen des Faches und unterstützen somit interkulturelles Lernen und soziale Verständigung. Diese Ausbildung sprachlicher Fähigkeiten muss auch in den anderen Fächern bewusst gestärkt und weiterentwickelt werden. Vor allem Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund, aber auch die mit Lernschwierigkeiten werden durch ein möglichst breit angelegtes sprachliches Lernen nachhaltig unterstützt […]. (KMK 2004: 7)

Rösch (2017) fordert daher einen Fachunterricht, der „Mehr Sprachliche Bildung“ ermöglicht und somit auf Formen der sprachlichen Heterogenität, wie gesellschaftliche und individuelle Mehrsprachigkeit, reagiert:

Mehr sprachliche Bildung zielt im Unterschied zu mehrsprachigen oder bilingualen Bildungsangeboten nicht auf die Kompetenz in zwei oder mehr Sprachen, sondern sensibilisiert für Multi-, Trans- und Interlingualität idealerweise in jedem Fachunterricht. Im Sinne einer Linguizismuskritik wendet sich der Ansatz gegen das Prinzip der Einsprachigkeit und öffnet den Blick für Pluralität und Interdependenz in und zwischen Sprachen. (Rösch 2017: 173)

Dabei ist ein solcher Unterricht beispielsweise für den Deutsch- und den Fremdsprachenunterricht vorgeschlagen worden. Zu den einflussreichsten Konzepten zählt sicherlich die Vielsprachigkeitsdidaktik von Ingelore Oomen-Welke, die u.a. in unterrichtsnahen Publikationen wie dem „Sprachfächer“ eine weite Verbreitung erfahren hat. Die Vielsprachigkeitsdidaktik bezieht systematisch nicht-deutsche Herkunftssprachen mit dem Ziel interkultureller und sprachlicher Bewusstheit in den landessprachlichen Deutschunterricht ein und soll u.a. einen Beitrag zur sozialen Wertschätzung mehrsprachiger Schülerinnen und Schüler leisten.

Zumindest aus Sicht des Deutschunterrichts sprechen vier Argumente für einen herkunftssprachenberücksichtigenden Fachunterricht. Erstens eignen sich nicht-deutsche Herkunftssprachen für distanzdidaktische Ansätze in besonderem Maße, indem durch den Vergleich zweier Sprachen der Blick auf grammatische Strukturen des Deutschen distanziert in Kontrast zu einer anderen Sprache erfolgen kann. Aus diesem Grund profitieren auch monolinguale Schülerinnen und Schüler von der unterrichtlichen Einbindung der Herkunftssprachen, indem auch ihnen eine Distanzgewinnung zum Deutschen ermöglicht wird. Zweitens erlaubt der Einbezug nicht-deutscher Herkunftssprachen in den Deutschunterricht eine soziale Wertschätzung derjenigen, die mit einer nicht-deutschen Herkunftssprache sozialisiert wurden. Sie können als Expertinnen und Experten Auskunft zu sprachlichen und kulturellen Sachverhalten geben, die ihren Mitschülerinnen und Mitschülern nicht gleichermaßen zugänglich sind (Oomen-Welke 2011). Drittens kann der Einbezug nicht-deutscher Herkunftssprachen zu unterrichtlichen Ergebnissen führen, die ohne ihn nicht möglich wären: Der Vergleich bietet Einsichten in den Bau der Sprache, die bei einer rein einzelsprachlichen Fokussierung auf das Deutsche verborgen blieben (Rothstein 2010). Viertens kann der Einbezug der Herkunftssprache auch eine Lernhilfe darstellen, indem auf sie an relevanten unterrichtlichen Stellen zur Klärung von Unterrichtsthemen zurückgegriffen wird.

Demnach gibt es gute Gründe für das Angebot eines herkunftssprachenberücksichtigenden (Deutsch-)Unterrichts, doch birgt ein solcher Unterricht durch eine fehlgeleitete, unreflektierte Ansprache auch die Gefahr, die betreffenden am Unterricht teilnehmenden Herkunftssprachensprecherinnen und -sprecher zu überfordern, zu blamieren und/ oder zu stigmatisieren. Es sind daher inhaltlich gewinnbringende, für die Befragten erfolgreiche und wertschätzende Strategien der unterrichtlichen Einbindung von Herkunftssprachen erforderlich. Bisher liegen hierzu jedoch weder auf der Ebene von Plausibilitätsdidaktiken noch durch empirische Studien (kaum/nur wenige) Vorschläge vor.

Im Folgenden werde ich Bedingungen für die deutschunterrichtliche Einbindung von Herkunftssprachen diskutieren. Dazu stelle ich im zweiten Abschnitt zunächst den forschungsmethodischen Zugriff, die Kasuistik, vor, um im dritten Abschnitt fallbasiert sieben Bedingungen zu formulieren, denen die deutschunterrichtliche Einbindung der Herkunftssprachen unterliegt. Im vierten Abschnitt systematisiere ich diese Bedingungen anhand des didaktischen Dreiecks.

2 Kasuistik als hier notwendiger methodologischer Zugriff

Allgemein ist die empirische sprachdidaktische Forschung zum Deutschunterricht noch recht überschaubar (Stahns 2013, Jost 2019), wobei sich die Lage zu den einzelnen sprachdidaktischen Kompetenzbereichen unterscheidet: Während die Schreib- und die Lesedidaktik auf zahlreiche Studien und Modellierungen zurückblicken können (vgl. den Überblick in Becker-Mrotzek, Grabowski / Steinhoff 2017), ist die Anzahl empirischer Arbeiten in den Bereichen Grammatikdidaktik bzw. Sprachreflexion noch relativ gering (Binanzer / Langlotz 2018, Funke 2018). Die bisher weitgehend fehlende empirische Erforschung der unterrichtlichen Einbeziehung von Herkunftssprachen lässt sich jedoch nur zum Teil durch diesen die Empirie marginalisierenden Trend erklären. Vielmehr scheint es der Fall zu sein, dass aufgrund der Fragestellung und den vielen verschiedenen daraus resultierenden Einflussfaktoren ein kontrolliertes Design in der Gesamtperspektive nur schwierig durchführbar ist. Wie ich weiter unten argumentiere, spielen für eine erfolgreiche unterrichtliche Einbindung von Herkunftssprachen u.a. die schülerseitigen herkunftssprachlichen Wissensbestände und die jeweiligen typologischen Merkmale der Herkunftssprache eine bedeutsame Rolle. Bedenkt man nur, dass sprachliches Wissen u.a. von Aspekten der Sprachbiografie, des Erwerbsverlaufs, der Literalisierung, des Schriftspracherwerbs, der Ein-, Zwei- oder Mehrsprachigkeit, des Sprachkontakts, der Inputfrequenz etc. abhängt und dass die Liste sprachtypologischer Merkmale relativ groß ist, so wird deutlich, dass zumindest mittelgroße empirische Vorhaben durch die Komplexität relevanter, miteinander interagierender Einflussfaktoren überfordert wären. Um dennoch meine folgenden Überlegungen plausibilisieren zu können, fahre ich daher einen kasuistischen Ansatz.

Kasuistische Ansätze haben in der Geschichte der Wissenschaften, insbesondere in der Medizin und Jura, aber auch in der Pädagogik und Didaktik eine bemerkenswert lange Tradition (vgl. die Darstellung in Düwell / Pethes 2014). In Anlehnung an Steiner (2014) verstehe ich unter Fallarbeit bzw. Kasuistik „eine an Fällen orientierte Vorgehensweise des Lernens, Lehrens, Untersuchens und Forschens, die auf Erziehungs- und Bildungsprozesse im Kontext von Schule und Unterricht fokussiert ist und zum Zwecke der Veranschaulichung, Analyse, Rekonstruktion, Entscheidungsfindung, Planung, Entwicklung, Reflexion oder ästhetischen Rezeption eingesetzt wird“ (Steiner 2014: 8). In den Bildungswissenschaften und der Pädagogik ist die Kasuistik als Lehr-Lern-Methode beispielsweise in Konzepten wie dem gedächtnispsychologischen Case-based-reasoning-Ansatz (Zumbach / Haider / Mandl 2008), im situierten Lernen (Fölling-Albers et al. 2004), im problemorientierten Lernen (Reusser 2005) oder im pragmatisch-semiotischen Ansatz (Steiner 2004) aufgegriffen worden. Der einzelne Fall und allgemeine Gesetzmäßigkeiten stehen dabei in einem Wechselverhältnis, in dem das Allgemeine über den Einzelfall hinausgehen und an andere Fälle transferierbar anschließen kann und/ oder der Einzelfall über das Allgemeine hinausgehen kann (Forrester 2014).

Auch in der Deutschdidaktik hat die Kasuistik als Form der gegenstandsorientierten Hermeneutik eine lange Tradition, die mit der Orientierung an „didaktischem Brauchtum, am Rezeptwissen“ von Ausbildern und Unterrichtspraktikern beginnt (Rothstein / Rupp 2017: 34) und erst durch die PISA-Studie in den 2000er Jahren durch neue deutschdidaktische, von den empirischen Sozial- und Bildungswissenschaften beeinflusste Forschungstraditionen (in einem heftigen Streit) Konkurrenz erhält (vgl. die Beiträge in Abraham et al. 2003). Noch heute dauert die Kontroverse an:

Holzschnittartig könnte man folglich von einem – im Vergleich zu früheren, eher homogen strukturierten Epochen der germanistischen Sprach- und Literaturdidaktik – deutlich wahrnehmbaren Schisma zwischen Gegenstands- und Kompetenzorientierung sprechen. (Rothstein / Rupp 2017: 35)

Die kompetenzorientierte deutschdidaktische Unterrichtsforschung orientiert sich zumeist an empirischen Methoden der Sozial- und Bildungswissenschaften, deren Anwendung zu Ausmessungen von Lerneffekten führt. Die Messbarkeit und Modellierung entsprechender unterrichtlich bedingter Effekte wird durchaus kontrovers diskutiert (Bredel 2014, Bremerich-Vos 2014), was zu ihrer teilweise massiven Ablehnung führt. Die Kasuistik ist prinzipiell kein Widerspruch zur Kompetenzorientierung, sie kann sich durchaus auf messbare Lerneffekte beziehen, indem an exemplarischen Einzelstudien Lernzuwächse gemessen werden: Das ist beispielsweise bei qualitativen introspektiven nicht-verallgemeinerbaren Studien der Fall. Zu einem beträchtlichen Teil spielen schülerseitige Lernzuwächse bei kasuistischen Studien jedoch keine sonderliche Rolle, stattdessen:

Sachhaltig wird an spezifischen Fällen gezeigt, nach welchen Regeln sich alltäglicher Unterricht gestaltet, welche Prozesslogik ihn bestimmt und welche Handlungsalternativen sich bei jeder Entscheidungsstelle potenziell ergeben. (Pflugmacher et al. 2009: 373)

Prinzipiell schließen sich die empirische quantitative oder qualitative Forschung und die gegenstandsorientierte Hermeneutik nicht aus (Rothstein / Rupp 2017), sondern können einander ergänzen, insbesondere in Fällen wie unserem, in denen Lernzuwächse nicht ohne Weiteres kontrollier- und messbar sind und in denen es zunächst um lehrerseitiges unterrichtliches Verhalten geht, wofür „Handlungs- und Deutungspraktiken zu rekonstruieren und zu prüfen“ (Pieper 2014: 9) sind. Die im Folgenden kasuistisch angelegte Vorgehensweise lehnt eine kompetenzorientierte, empirische Messung nicht ab, sondern lädt geradezu ein.

Wie ich oben bereits diskutiert habe, eignet sich die Kasuistik in besonderem Maße zur Ermittlung von herkunftssprachlichen Einbindungsmöglichkeiten in den Deutschunterricht. Es stellt sich jedoch berechtigterweise die Frage, welche Art von Kasuistik der Fragestellung gerecht wird. Steiner (2014) unterscheidet zwischen sieben „Kasuistikfamilien“, die er nach Lehr-Lern-Arrangement, Verwendungsabsicht, Autorschaft, Realitätsbezug, Zweck der Bearbeitung und Grad der Lernerautonomie differenziert. Es resultieren z.B. Vorlesungen oder Seminare mit Fallbeispielen oder Formen einer praxisreflektierenden Kasuistik, in denen Studierende retrospektiv selbst erlebte Fälle bearbeiten. Damit kombiniert Steiner (2014) die lehr- bzw. lernseitige hochschulische Fallarbeit mit universitären Lehr-Lern-Kontexten und dem Fall selbst. Für die Analyse entsprechender lehramtsausbildender Lehrformate erscheint dies sinnvoll, ist jedoch für die hier verfolgte Fragestellung irrelevant. Stattdessen gilt es, eine rein fallbezogene Perspektive einzunehmen und zwischen Fällen mit Realitätsbezug, Extension und Repräsentationsform zu unterscheiden. In der allgemeinen Kasuistik wird traditionell zwischen realen, fiktiven und gemischten realitätsbezogenen Fällen unterschieden (vgl. Düwell / Pethes 2014 und Steiner 2014). Reale Fälle haben sich tatsächlich so ereignet, fiktive Fälle sind erfundene bzw. konstruierte „Erzählungen“ und gemischte Fälle kombinieren beides. Insbesondere in der Jurisprudenz und der Medizin spielt die Transferierbarkeit von Fällen in Form des exemplarischen Lernens eine besondere Rolle: Diese letztlich seit der Antike verhandelte Ausdifferenzierung in vollständig, teilweise und nicht transferierbare sowie in allgemeingültige Fälle (vgl. Aristoteles) hat wissenschaftsgeschichtlich eine virulente Rolle gespielt (vgl. z.B. die Arbeiten von John Stuart Mill, nach dessen Ansicht nur der einzelne Fall ein verlässliches Datum ist). Rezente wissenschaftstheoretische Arbeiten sehen eine Verbindung zwischen dem Allgemeinen und dem Einzelfall in seiner paradigmatischen Übertragbarkeit (Forrester 2014). Bis heute ist das Verhältnis von Einzelfall und Allgemeinem nicht abschließend geklärt. Mögliche Repräsentationsformen sind z.B. Erinnerungen, Transkripte von Unterrichtssituationen und Videographien von Unterricht, in deren deutschdidaktischem Zusammenhang vor allem die Pionierarbeiten von Wolfgang Boettcher zu nennen sind.

Im Folgenden fahre ich einen kasuistischen Ansatz mit teilfiktiven Erzählungen. Diese Erzählungen plausibilisiere ich durch den systematischen Einbezug linguistischer Forschung zur Sprachtypologie, zum Spracherwerb, zur Migration und zum Sprachkontakt, indem ich von konstruierten Fällen ausgehe, die auf linguistischen Gegebenheiten beruhen. Dabei zeigt sich ein weiteres Mal die Bedeutsamkeit linguistischer Grundlagenforschung für die Sprachdidaktik Deutsch (vgl. Rothstein 2010 für eine ausführlichere Argumentation). Ich bewege mich damit ungefähr im Terrain, der von Steiner (2014: 6) als problem- oder entscheidungsorientiert und praxisreflektierend bezeichneten Kasuistik, hier allerdings auf die Ebene des Falls bezogen.

Im folgenden Abschnitt plausibilisiere ich zunächst rein kasuistische Bedingungen zur Einbindung von Herkunftssprachen in den landessprachlichen Deutschunterricht, um sie im Abschnitt vier zu systematisieren.

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9783823302544
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