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Einführung



1 Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), 2000: Blick in die Sonderausstellung Bestandsaufnahme mit Werken der eigenen Sammlung zur Kunst aus der DDR, Foto: Klaus E. Göltz

Langblühende Konfliktfelder
Der Maler Willi Sitte, das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) und der Bilderstreit um die ostdeutsche Kunst

Paul Kaiser

Es waren zwei Ausstellungen, mit denen das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) in direkter Weise Teil des nationalen Bilderstreits um die Bewertung der im Osten Deutschlands zwischen 1945 und 1990 entstandenen Kunst wurde. Die erste Ausstellung stand 2000 unter dem Titel Bestandsaufnahme: Mittels einer Depothängung, die der räumlichen Inszenierung den Charakter einer grundlegenden Inventur verlieh, zeigte sie an den eingezogenen Gitterwänden eine willkürlich erscheinende Auswahl aus der hauseigenen Sammlung von „DDR-Kunst“ und vermischte rigoros die künstlerischen Sujets und Qualitäten 1. Schon der bürokratische Titel der Exposition sowie der in knalliges (SED-)Rot eingefärbte Katalog – ein sperriger Leitz-Ordner, in den die Werkblätter ein- oder eben auch ausgeheftet werden konnten – suggerierten die Idee einer anmaßenden Evaluierung. Letztlich ging es zehn Jahre nach dem Systemwechsel um die Frage, welche Kunst aus der DDR-Zeit dem Publikum überhaupt noch zuzumuten sei. Wie viele ihrer Kollegen in ostdeutschen Museen zu dieser Zeit erweckten auch die Kuratoren dieser Ausstellung den Eindruck, als wären die zur Bewertung vorgeführten Bestände – die noch wenige Jahre zuvor im Hause, teils vom selben Personal, stolz vorgezeigt worden waren – fortan nur noch als kontaminierte Hinterlassenschaften eines untergegangenen Staates zu betrachten, von denen bestenfalls Einzelwerke in das Licht einer gesamtdeutschen Öffentlichkeit gehörten. „Der Arbeiterheld“, beschrieb der Feuilletonist der Tageszeitung Die Welt nach seinem Besuch der Ausstellung seinen Eindruck, „hängt am Maschendrahtzaun, die Brecht-Plastiken und andere Bronzefiguren stehen stramm Sockel an Sockel und platzsparend da. Rückt die sozialistische Garde enger zusammen, oder erahnt man, dass für die Kunst des so ganz anderen Deutschlands nicht viel Raum bleiben wird?“1

Die Ahnung des Beobachters trog nicht – die Werke wanderten nach der „Bestandsaufnahme“ wieder in die Depots. Einzelnen von ihnen begegnete man in den folgenden Jahren in der Moritzburg indes schon, etwa im Rahmen von Personalausstellungen zu Wolfgang Mattheuer (1927–2004), Albert Ebert (1906–1976) und Otto Möhwald (1933–2016), diese aber blieben Ausnahmen, welche den Regelfall nur bestätigten. Schließlich mussten 18 Jahre (!) vergehen, um in Halle (Saale) dieser ersten eine zweite Ausstellung folgen zu lassen, welche auf jene rigorose Infragestellung einer ganzen Kunstproduktion mit dem Ausrufezeichen eines fachlich fundierten Konzeptes antwortete. Als erstes Museum überhaupt brach das Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) unter der Leitung Thomas Bauer-Friedrichs (* 1976), seit 2014 Direktor des Hauses, mit der herablassenden Umgangsweise gegenüber der „Ost-Kunst“, die in den 1990er und 2000er Jahren die dominante Haltung im Kunstbetrieb und in den westlich geprägten Instanzen der staatlichen Kunstförderung gewesen war. Statt auf temporäre Sonderschauen zu setzen, die inzwischen auch andere Häuser, vor allem im Zuge der Jahrestagsfeiern zur friedlichen Revolution und der deutschen Wiedervereinigung mit Hilfe von zu diesen Jubiläen extra aufgelegten Fördermittelprogrammen ausrichteten, besann sich das Haus unter seiner Ägide wieder konsequent und ganz selbstverständlich auf die Erforschung, Präsentation und gezielte Erweiterung der eigenen Sammlungsbestände aus der SBZ, der DDR und der Transformationszeit.

Gegen die Geste einer temporären Inaugenscheinnahme setzt man in Halle (Saale) seitdem auf Nachhaltigkeit und Kontinuität: Im Jahr 2018 eröffnete das Museum eine Dauerausstellung unter dem Titel Wege der Moderne. Kunst in der SBZ/DDR 1945–1990 2 als Fortsetzung der 2017 grundlegend überarbeiteten Sammlungspräsentation zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Leitbildhaft und im schroffen Gegensatz zu den Ausgrenzungen in den frühen Phasen des Bilderstreits bekennt sich das Museum zu seiner „regionalen und historischen Verortung und präsentiert die Kunst in der zweiten Jahrhunderthälfte fokussiert auf die vielfältigen künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten in der ehemaligen SBZ/DDR“2. Eng verbunden zeigte sich diese Perspektiverweiterung mit einer Rückbesinnung auf jene Künstler, die Halle (Saale) seit den späten 1940er und 1950er Jahren in den Augen des Dresdner Kunsthistorikers Fritz Löffler (1899–1988) zur „vitalsten Stadt“3 in der ostdeutschen Kunstlandschaft gemacht hatten, bevor dann viele Künstler im Zuge des unsäglichen (und in der Saalestadt auf heftigste Weise eskalierenden) Formalismus-Realismus-Streits die DDR in Richtung Westen verließen. Es ist verständlich, dass die nachholende Thematisierung des Verdrängten eine psychosoziale Dimension erhielt, die dem musealen Engagement zusätzlich eine moderierende, fast schon therapeutische Funktion zuwies. Die Moritzburg wurde zu einem Modellfall, der zeigte, wie die den ostdeutschen Künstlern zugefügten Kränkungen zu heilen wären – durch Wissen, Neugier und öffentliche Präsenz.

2 Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale), 2021: Blick in die Sammlungspräsentation Wege der Moderne. Kunst in der SBZ/DDR zwischen 1945 und 1990 u. a. mit Willi Sittes Chemiearbeiter am Schaltpult (1968) und Wolfgang Mattheuers Kain (1965), Foto: Marcus-Andreas Mohr

Im Zuge der Auseinandersetzungen im deutsch-deutschen Bilderstreit blieb es bis heute ein ungeschriebenes Tabu, sich auf das Gesamtwerk und die Biografie Willi Sittes umfassend einzulassen. Zu problembeladen erschien vielen eine ernsthafte Auseinandersetzung, da unter „Sittes Welt“ zumeist eine unrettbar „gestrige Welt“ verstanden wurde. Aus dieser Perspektive hatte sie sich mit dem Untergang des „real existierenden Sozialismus“ ein für alle Mal diskreditiert. Die Abgrenzung gegenüber dem Künstler verstärkte sich noch dadurch, dass Willi Sitte an den utopischen Restenergien des „Projektes DDR“ festhielt und seine Haltung (mitunter auf eine stilisierte Weise) in zahlreichen Interviews verteidigte.4 Im Kontrast dazu entledigten sich seine Kollegen der „Viererbande“, Bernhard Heisig (1925–2011) und Werner Tübke (1929–2004), ihrer Nationalpreise und Parteibücher. Sie schickten diese an eine nun führerlose SED-Führung zurück – ganz so, als wäre mit dieser Anpassung ans Unvermeidliche der vermeintliche Makel einer systemaffirmativen Künstlerrolle ausgeräumt. In vielen Fällen wurde die rigorose Ausblendung oder stark vereinseitigende Darstellung des Werks von Willi Sitte nicht mit seiner Doppelrolle als Maler und Kulturfunktionär begründet. Vielmehr bezog man sich, etwa in der von der ostdeutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (* 1954) im Jahre 2009 unterstützten Großausstellung 60 Jahre, 60 Werke. Kunst aus der Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 2009 im Berliner Martin-Gropius-Bau, auf eine generelle „Nichtrelevanz“ der sogenannten „DDR-Kunst“5, und Willi Sitte wurde zur Symbolfigur dieser Etikettierung.

3 Debatte mit über 500 Dresdner Bürgerinnen und Bürgern im Lichthof des Albertinums im Zuge des „Dresdner Bilderstreits“ am 06.11.2017, Foto: Dresdner Institut für Kulturstudien/Fechtner

Der Bilderstreit – Stationen und Hintergründe

Es war der Verlauf des deutsch-deutschen Bilderstreites, der die Rahmenhandlung für diese weitgehende Deklassierung eines DDR-Künstlerlebens bestimmen sollte. Willi Sitte stand seit 1990 unweigerlich immer (mit) im Zentrum der Debatten – wenn nicht als Künstler, so als Referenzperson. Der Grund für diese zentrale Bedeutung war der Umstand, dass sich seine Verantwortlichkeit für die Zustände im DDR-Kunstsystem aus seiner Rolle als Präsident des Verbands Bildender Künstler (1974–1988) und als Mitglied des Zentralkomitees der SED (1986–1989) ableitete. Bereits in dem im Dezember 1990 veröffentlichten art-Interview von Georg Baselitz (* 1938), der „Geburtsstunde“ des Bilderstreits, klang dies an, als Baselitz den DDR-Großkünstlern vorwarf, sie hätten „die Phantasie, die Liebe, die Verrücktheit verraten“, indem sie als „Propagandisten der Ideologie“ gewirkt und sich in den „Dienst der ‚guten Sache‘“ gestellt hätten. Aus diesem Grund seien sie keine Kollegen, sondern schlicht „Arschlöcher“6. Dieses denkwürdige Interview markierte den Beginn (und bestimmte lange Zeit auch die äußerst deftige Tonlage) der mittlerweile über 30 Jahre dauernden Auseinandersetzung.

Ihre vorerst letzte Station ging 2017 als „Dresdner Bilderstreit“ in die Annalen ein 3. Die vom Kunstverein Braunschweig gekommene Direktorin, Hilke Wagner (* 1972), entfernte die ostdeutschen Werke der Nachkriegskunst fast komplett aus der Schausammlung des Dresdner Albertinums. Dies führte zu einem veritablen Aufstand des ansässigen Kulturbürgertums, in dessen Folge die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden ihren Kurs radikal änderten und 2018 eine große Ausstellung zu den Eigenbeständen kurzfristig ins Programm nahmen – und anschließend wieder ins Depot brachten.7 Wie in einem grotesken Potpourrie zeigte sich die vom Publikum „ertrotzte Ausstellung“8 in weiten Teilen als eine Mischung disparater Positionen. Ein Missbehagen entstand, da die Schau, welche die Direktorin lediglich als eine „Bestandspräsentation“ verstanden wissen wollte, auch ein Übermaß an Werken einbezog, deren Haltbarkeitsdatum bereits vor dem Ende der DDR längst abgelaufen war. Zwar versuchte man die Tour de Force konzeptionell zu legitimieren, indem man die Werke nach den Erwerbungsjahren gruppierte. Die Integration von politisiertem Auftragskitsch, teilweise Leinwand an Leinwand mit kanonisierten Malern gehängt, erzeugte aber manchen Irrgang zwischen den ästhetischen Qualitäten.

Es muss zugleich festgehalten werden, dass dieser Bilderstreit – auch wenn seine Akteure mitunter die Contenance verloren – die Funktion eines „Stellvertreterdiskurses“9 der deutschen Wiedervereinigung übernahm, was ihn zwangsläufig überfordern musste. Trotz vieler Kränkungen und Fehlleistungen entwickelte sich jene Dauerdebatte um die „Ost-Kunst“ letztlich zu einer Verständigung zwischen Ost und West sowie zwischen den in der DDR möglichen Lebensentwürfen. Somit trug der Streit um die bildende Kunst des Ostens „als elementares Konflikt- und Aushandlungsmuster“10 entscheidend dazu bei, dass im Zuge der Diskussion um die Transformationsgeschichte in jüngster Zeit nicht nur Themen wie Treuhand, Elitenwechsel oder Institutionswandel Beachtung finden, sondern am Beispiel der ostdeutschen Kunst zugleich kulturell-künstlerische Aspekte diskutiert werden.

Wer heute vorhat, sich einen Überblick zum deutsch-deutschen Bilderstreit zu verschaffen, wird nicht umhinkommen, die exotische Fruchtfolge dieses „langblühenden Konfliktfeldes“ in Relation zum Topos der „blühenden Landschaften“ zu bringen, mit dem der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (1930–2017) am 1. Juli 1990 den Ostdeutschen eine rosige Zukunft versprochen hatte. Es war nun aber die offenkundige Differenz, welche sich zwischen der visionären Verheißungskraft der Kohl’schen Zauberformel und der profanen Realität in den sogenannten neuen Bundesländern eröffnete, die lange Zeit eine ausgewogene Rekonstruktion der DDR-Verhältnisse überlagerte – vor allem deshalb, weil sie den Systemvergleich provozierte und von den inneren und weithin unerforscht gebliebenen Spannungslagen und -konflikten ablenkte. Erst in den letzten Jahren, vor allem im Zuge einer universitär verankerten Transformationsforschung sowie durch eine allgemeine Sensibilitätssteigerung und gesellschaftliche Hinwendung zu Formen kultureller Diskriminierung von Minoritäten, erhalten Themen wie die Ausgrenzung ostdeutscher Künstler im gesamtdeutschen Rahmen neuerdings eine Beachtung, die sie anschlussfähig für aktuelle Fragestellungen auch bei jüngeren Kulturpolitikern und Wissenschaftlern machen.11

Dieser neuen Aufgeschlossenheit stehen aber leider nach wie vor Lethargie, Desinteresse und bisweilen wohl auch Geschichtsvergessenheit der universitären Kunstgeschichte gegenüber. Selbst in ihren ostdeutschen Instituten hat diese seit den 1990er Jahren einen großen Bogen um das Generalthema gemacht. Das zeitigte fatale Auswirkungen – zum einen auf die akademischen Lehrinhalte, in denen ostdeutsche Kunst bis heute zumeist nur als Fußnote auftaucht, und zum anderen auf die Wissensbestände von mittlerweile zwei Generationen von Absolventen, die in Museen, Galerien und Kulturförderinstitutionen arbeiten. Um es klar zu sagen: Mit wenigen Ausnahmen, etwa an einzelnen Lehrstühlen in Leipzig und Marburg,12 muss hier geradezu von einer umfassenden Ausblendung der ostdeutschen Nachkriegskunstgeschichte gesprochen werden.

Die Gründe für diesen Offenbarungseid sind vielfältig. Wesentlich erscheint mir hierbei der Umstand, dass, unterstützt von der Wissenschaftspolitik der neuen Bundesländer in den 1990er Jahren, nahezu alle Kunstgeschichtsprofessuren in den ostdeutschen Universitäten mit westdeutschen Wissenschaftlern besetzt wurden. Diese konnten weder auf einen lebensweltlichen Bezug zur jüngeren lokal-regionalen Kunstgeschichte vertrauen, noch entwickelten sie ein gesteigertes wissenschaftliches Interesse an der Bearbeitung dieser Desiderate. Überhaupt war mit Forschungsanträgen zur Kunstentwicklung in der DDR in der deutschen Wissenschaftsförderung kein Blumentopf zu gewinnen. Mancher Doktorand erhielt von seinem Professor hinter der Hand den wohlgemeinten Hinweis, dass es für sein Fortkommen wohl besser wäre, wenn er sich von der Idee verabschiedete, über diesen Themenbereich zu arbeiten. Diese wohlmeinenden Ratschläge beruhten auf der Erfahrung, dass es für diese Projekte kaum möglich war, Drittmittel in den notwendigen Budgetgrößen zu generieren.13 Auf diese Weise reproduzierten sich die Missverhältnisse in exponentieller Form und trugen zur Deklassierung und Marginalisierung der ostdeutschen Kunst und ihrer Künstler bei.

4 Blick in die Ausstellung Kunst und Kalter Krieg, 2009, Deutsches Historisches Museum, Berlin, u. a. mit Willi Sittes Massaker II (1959)

Wenn man den Bilderstreit im Rückblick als Gesamtphänomen betrachtet, dann fällt auf, dass sich seine Dramaturgie entwickelte über Ausstellungen, Petitionen, Kunstaufträge sowie am Umgang mit den Kunstbeständen selbst. Neben der Ausstellungspolitik der Museen befeuerte ihn anfangs eine generelle Blockade von Kunstbetrieb und Kunstmarkt gegenüber der ostdeutschen Kunst, die sich später teilweise auflöste. Die Liste der skandalträchtigen Expositionen reicht von der Dresdner Schau Ausgebürgert (Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Albertinum, 1990) über den Versuch der Neuen Nationalgalerie in Berlin, die übernommenen Bestände aus der Nationalgalerie (Ost) mit denen der Nationalgalerie (West) auf sinnvolle Weise zu verkoppeln (1993/94), bis hin zu der Debatte um die Einbeziehung von ostdeutschen Künstlern in die künstlerische Ausgestaltung der Parlaments- und Regierungsbauten (1997–99). Der Streit setzte sich fort in der Diskussion um Ausstellungen, die entweder nur die nonkonforme Künstlerschaft (Boheme und Diktatur in der DDR, Berlin, 1997/98) oder die DDR-Auftragskunst (Auftrag: Kunst, Berlin, 1995) in den Blick nahmen. In den 2000er Jahren versachlichten sich die Auseinandersetzungen. Einen wichtigen Schritt in diesem bis heute unabgeschlossenen Prozess stellte die 2009/10 organisierte Ausstellung Kunst und Kalter Krieg. Deutsche Positionen 1945–1989 (Los Angeles, Nürnberg, Berlin) dar, die erstmals beide deutsche Nachkriegskünste synthetisierte 4 und statt einer unproduktiven Bipolarität (Abstraktion als „Weltsprache der Künste“ im Westen vs. Figuration des „Sozialistischen Realismus“ im Osten) die untergründigen Verbindungen zwischen den Künsten sichtbar machte.

Eine besondere Stellung nahmen anfangs die in den frühen 1990er Jahren eingerichteten Sonderdepots mit Kunstwerken aus den einstigen Parteien, staatlichen Institutionen und politischen Massenorganisationen ein. Da ein Verkauf der Werke frühzeitig verworfen wurde, übernahmen diese Depots zunächst die notdürftig finanzierte materielle „Grundsicherung“, wobei schon deren signifikante Randlage (neben anderen entstanden solche in Beeskow, Königstein und Mühlhausen) auch hier die kulturpolitische Distanz zu den Bildwelten deutlich herausstellte 5. Mittlerweile ist die Zukunft dieser Bestände weitgehend gesichert: Die Zehntausenden Kunstwerke im Beeskower Kunstarchiv etwa, darunter zirka 1 800 Gemälde, sind inzwischen aus einem unwirtlichen Speicher in ein klimatisiertes Gebäude verbracht und in professionelle Hände gegeben worden. Auch die beachtlichen Sammlungen der ehemaligen Volkseigenen Betriebe und Kombinate konnten im Zuge des gesellschaftlichen Umbruchs vor Zerstörung, Plünderung, Entsorgung und Ausverkauf gerettet werden.14

5 Blick in das Sonderdepot mit Kunst aus dem Besitz von Parteien und Massenorganisationen in der DDR, Kunstarchiv Beeskow (alter Standort), 1999, Foto: Peter Thomann

Mit wenigen Ausnahmen trugen die ostdeutschen Kunstmuseen in den 1990er und 2000er Jahren auffallend wenig zur Debatte bei. Die Werke machten in vielen Häusern Platz für mehr oder weniger aussagekräftige Sammlungen der westeuropäischen Nachkriegsmoderne. Die Zentrierung auf Westkunst und die Deponierung der Eigenbestände an „DDR-Kunst“ in den ostdeutschen Kunstmuseen wurden zumeist mit der heterogenen und ungeklärten Bestandssituation begründet. Im diskursiven Prozess hätten die Museen als sachdienliche Schlichter im Bilderstreit wirken können.

Stattdessen kam es aber gerade in den herausgehobenen ostdeutschen Kunstmuseen zu einer opportunistischen Abwertung: Die DDR-Bilder wanderten aus den Museumssälen in die Depots und die neu berufenen Museumsdirektoren, gleich ob diese aus dem Osten oder Westen der Republik stammten, fokussierten sich vor allem auf die Kunst der zeitgenössischen Westmoderne oder in Einzelfällen auf die Kunst der ostdeutschen Dissidenten.

Gab es eine staatssozialistische Moderne?

Wenn man die hier nur ausschnitthaft benannten Ereignisse Revue passieren lässt und nach der Essenz dieses langwierigen Streites sucht, dann stellt sich die Hauptfrage in deren Rezeption wie folgt: Hat es in den Kunstverhältnissen der DDR wirklich eine „staatssozialistische Moderne“ gegeben, die sich fundamental von dem in der frühen DDR nach sowjetstalinistischem Vorbild etablierten Sozialistischen Realismus unterschied? Von deren Existenz berichtet etwa der Kultursoziologe Wolfgang Engler (* 1952): Zwischen dem Mauerbau 1961 und der militärischen Niederschlagung des Prager Frühlings im Jahre 1968, so Engler, sei ein emanzipatorischer „Kampf um eine Moderne von unten, um einen partizipatorischen, demokratischen Sozialismus“15 geführt worden, an dem die Künste einen großen Anteil hatten.

6 Blick in die Rotunde der Ausstellung Aufstieg und Fall der Moderne, die Kunst aus der DDR aus verschiedenen Sammlungen zeigte, Mehrzweckhalle Weimar, 1999

7 Protestaktion der PDS gegen die Weimarer Ausstellung, v. l. n. r.: Klaus Höpcke, Willi Sitte und Lothar Bisky, 23.06.1999, Foto: Maik Schuck

Im Gegensatz zu dieser Haltung steht eine konträre Verortung des Phänomens. Es sei doch eher so, behaupteten deren Akteure, dass es sich bei der „DDR-Kunst“ lediglich um eine weitere regressive Spielart einer konzeptionellen „Anti-Moderne“ handele, die ihren Formenkanon und ihre Rollenmodelle aus dem historistischen Fundus entlehne. Diese Ansicht vertrat beispielhaft eine Ausstellung 1999 in Weimar 6/7, welche die „DDR-Kunst“ in eine Nähe zur NS-Kunst rückte.16

Die Ausstellung Inoffiziell/Offiziell – Die Kunst der DDR war eingebunden in ein repräsentatives Ausstellungsvorhaben der Kunstsammlungen zu Weimar und der Weimar 1999-Kulturstadt Europas GmbH. Auf dem Areal des NS-Gauforums im Platzgeschoss der ehemaligen, in den frühen 1930er Jahren begonnenen „Halle des Volkes“ (die in der DDR zu einer Mehrzweckhalle umgebaut wurde und seit 1991 leer stand) wurden 120 Bilder präsentiert aus der Sammlung Adolf Hitlers, die dieser zwischen 1937 und 1944 auf der Großen Deutschen Kunstausstellung in München kaufen ließ. Im selben Gebäude, ein Stockwerk darüber und durch einen rampenähnlichen Außenaufgang erschlossen, fand die von Achim Preiß kuratierte Exposition zur „DDR-Kunst“ statt, die einen der wohl größten Kunstskandale der Nachkriegszeit auslöste.

Insbesondere die Hängung im Hauptteil, einer Rotunde, empörte Künstler, Fachwelt und Feuilleton: Sie erfolgte in „Petersburger Hängung“ ohne Kennzeichnung der Sammlungstypen und ohne erkennbares Gestaltungsprinzip. Schlecht beleuchtet, vor dunkle Baustellenplanen gehängt, boten die Werke ein jammervolles Bild.

Es war kein Wunder, dass sich die Ausstellung sofort nach Beginn einer heftigen Kritik ausgesetzt sah, deren inhaltlicher Schwerpunkt vor allem die als Herabwürdigung empfundene Ausstellungsinszenierung war, die als Produkt einer „infamen Regie“ oder als Ausdruck einer offenkundigen Konzeptlosigkeit wahrgenommen wurde. Neben spektakulären Abhängeaktionen durch einzelne Künstler kam es zu Offenen Briefen von Künstlern, Leihgebern und verschiedenen Institutionen sowie am 23. Juni 1999 zu einer Protestaktion der PDS in Anwesenheit der Parteispitze und Willi Sittes. Rolf Bothe (* 1939), Direktor der Kunstsammlungen zu Weimar, ordnete daraufhin eine „Überarbeitung“ der Hängung an, welche die zuweilen vierreihige Hängung durch eine maximal zweireihige ersetzte. Der Skandal führte zu einer vorzeitigen Schließung der eigentlich bis zum 9. November 1999 geplanten Ausstellung bereits am 26. September 1999.17 Der sich in der Weimarer Ausstellung ausdrückende Totalitarismus-Verdacht, welcher aus den strukturellen Gemeinsamkeiten beider deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert eine tendenzielle Gleichsetzung beider Regime abzuleiten versuchte, blieb kein Einzelfall: Noch 2009 ließ der einflussreiche Kurator der im Berliner Martin-Gropius-Bau gezeigten Ausstellung 60 Jahre, 60 Werke, Siegfried Gohr (* 1949), Sympathie für solch eine inkriminierende Einordnung erkennen, indem er seinem inneren Wunsch öffentlich Ausdruck verlieh, dass die „DDR-Kunst“ wie „ein hässlicher Regentropfen der Geschichte rasch verdunsten“18 solle.

Nimmt man alles in allem, dann lautet die bündelnde These gegenüber den ostdeutschen Künstlern, sie seien aus der Zeit gefallen und hätten somit ihre kreativen Energien anstatt auf dem Terrain der Nachkriegsavantgarden in einer Sackgasse des rückwärtsgewandten Historismus vergeudet. In dieser oft verdeckt geäußerten, aber weit verbreiteten Einschätzung wird zugleich deutlich, dass bei der Rückschau auf das Ensemble der Künste in der DDR kurioserweise nur den bildenden Künstlern der Schwarze Peter zugeschoben wird. Was für Literatur, Musik, Theater und Tanz keinesfalls bestritten wird, dass es sich nämlich bei avancierten Kunstwerken um einen Neben- oder Sonderweg der zeitgenössischen Moderne handelt, die sich parallel zur Westkunst positionieren konnte, unterliegt im Bereich der bildenden Kunst bis heute oftmals einem Denkverbot. Seit dem Mauerfall sahen sich Künstler in der Folge mit Einschätzungen konfrontiert, die zumeist unwidersprochen behaupten konnten, dass im Bereich der bildenden Künste in der DDR generell keine „autonome“ und „freie“ Kunst möglich gewesen sei.

8 Ein Mitarbeiter der Suhler Stadtverwaltung im Depot des Stadtmuseums mit dem in Kisten lagernden Wandbild von Willi Sitte, 1999, Foto: Peter Thomann

Völlig unverständlich erscheint diese Ungleichbehandlung, wenn man als Parallelvorgang auf der einen Seite die mittlerweile fast schon euphorische Akzeptanz einer architektonischen „Ost-Moderne“19 in einer breiten Öffentlichkeit registriert und auf der anderen Seite die weiterhin praktizierte Abwertung der ostdeutschen Bildkunst betrachtet. Im Fall mancher Außen-Wandbilder, die in zentralen Stadtlagen von ostdeutschen Künstlern geschaffen und inzwischen mit Staats- und Stiftungsgeldern auf honorige Weise restauriert wurden, entsteht dabei die paradoxe Situation, dass deren Rettung vor dem Verfall nicht mit dem künstlerischen Eigenwert, sondern durch deren Verbindung mit dem Baukörper begründet wird. Als ein exemplarisches Beispiel dafür ist der Fall des zwischen 1969 und 1974 von Willi Neubert (1920–2011) geschaffene Emaillefrieses Die Presse als Organisator unweit des Alexanderplatzes am Gebäude des Berliner Verlags zu nennen. Neuberts Wandbild wurde Anfang der 1990er Jahre, ohne größere mediale Erregung zu entfachen, mit einer trivialen Steakhouse-Werbung auf Holzpaneelen überplankt, bis es 2021, im Zuge der Generalsanierung des Gesamtgebäudes durch das Architekturbüro Gerkan, Marg und Partner, restauriert und wieder sichtbar gemacht wurde. Wenn ein heute der „Ost-Moderne“ zugeordneter Baukörper in den 1990er Jahren Investorenplänen oder dem „Abbau Ost“ zu weichen hatte, dann konnte das im besten Fall „überlebende“ Kunstwerk keineswegs auf die Akzeptanz der Kunstrichter hoffen. So erging es zum Beispiel Willi Sittes 1977 fertiggestelltem Wandbild Kampf und Sieg der Arbeiterklasse in Suhl. Es lagert seit der 1992 erfolgten Demontage vom ehemaligen Gaststättenkomplex „Stadt Kaluga“ an der Stadthalle – klimatisch ungeschützt, verpackt in über hundert Munitionskisten 8 – in einem Depot des dortigen Stadtmuseums. Die Form der Deponierung verkörpert, gewollt oder nicht, die vermutete Sprengkraft ästhetischer Feindbildung, auch wenn es seit Jahren ernstzunehmende Bestrebungen gibt, Sittes Werk wieder einen Platz im städtischen Raum zuzuweisen.

Der Bilderstreit beschränkte sich aber keinesfalls nur auf eine konfliktsteigernde Moderne-Evaluierung der aus der DDR stammenden Kunstwerke. Noch stärker wirkten in ihm Urteilsbildungen, welche die politische Dimension der „künstlerischen Hinterlassenschaften“ als Zielpunkt nahmen. Die enorme Bedeutung der Parteien und politischen Massenorganisationen als Auftraggeber von Kunst – die in einem Land ohne tragfähigen Kunstmarkt ein notwendiges Äquivalent darstellten20 – trat dabei in den Vordergrund, etwa in der Ausstellung Auftrag: Kunst 1995 im Deutschen Historischen Museum in Berlin. Und in zahlreichen Studien kam es zur Kristallisierung eines oftmals von den Zwischenständen der Zeit- und Politikgeschichte inspirierten Kanons der offiziellen „DDR-Kunst“. Diese wurde von einer kulturliberaleren „Kunst in der DDR“ unterschieden. Sie fand ihre Hauptvertreter bei Walter Womacka (1925–2010), Gerhard Bondzin (1930–2014) oder Willi Sitte (vorrangig mit seinem Werk ab Mitte der 1970er Jahre). Wegen der generell oder auch nur phasenweise nachweisbaren Integration einer propagandistischen Emblematik in den Werken dieser Maler, wurde diese kurzschlüssig zum Markenzeichen der „DDR-Kunst“ erklärt – das führte zur Verdammung dieser Kunst in die Depots 9.

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954 стр. 458 иллюстраций
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9783865024831
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