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1980er-Jahre
Anja Suter

Ungleiche Bildungschancen. Während die Mädchen Handarbeitsund Hauswirtschaftsunterricht erhalten, werden die Knaben in Mathematik und Naturwissenschaften unterrichtet. 1972 verabschiedet die Schweizerische Konfe renz der Kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) Grundsätze zur Mädchenbildung. Die Kantone sollen Massnahmen ergreifen, um die Dis kriminierung zu verhindern. Bis zur schweizweiten Umsetzung vergehen mehr als zwei Jahrzehnte. Im Bild die Ausbildung von Handarbeitslehrerinnen 1982.

Frauensilhouette beim Sexkino Stüssihofstatt in Zürich während der Jugendunruhen 1981. Gewalt gegen Frauen ist in den 1980er-Jahren ein zentrales Thema der feministischen Bewegung. Es geht um die psychische, physische und sexualisierte Gewalt gegen Frauen, in der Öffentlichkeit ebenso wie innerhalb der Fami lie. 1977 wird in Zürich die erste Notunterkunft für Opfer von physischer Gewalt eröffnet. Es folgen Bern 1980, Basel 1981, St. Gallen 1982, Luzern 1984.

Die Organisation Frauen macht Politik! (Frap!) geht aus dem «Wiiberrat» hervor. Sie wird 1989 zur Partei.


Am 7. Dezember 1983 stellt sich die SP-Nationalrätin Lilian Uchtenhagen zur Wahl als Bundesrätin. Ihre Partei hat sie nominiert. Uchtenhagen und mit ihr viele Frauen finden, die Zeit sei reif für eine erste Frau in diesem Amt. Die mehrheitlich bürgerliche Bundesversammlung sieht das anders: Sie wählt SP- Nationalrat Otto Stich, der nicht für die Wahl kandidierte, in den Bundesrat. Es folgt vielfältiger Frauenprotest.

Demonstration der Jugendbewegung am 24. Dezember 1980, vorne links die Journalistin Laure Wyss (1913–2002). Als alleinerziehende, berufstätige Mutter kämpfte sie für Selbstbestimmung und Gleichberechtigung. In den 1950er-Jahren gibt sie für freisinnige Tageszeitungen eine Frauenbeilage heraus und entwickelt für das Schweizer Fernsehen das «Magazin der Frau». 1970 ist sie Mitbegründerin des Magazins des Tages-Anzeigers. Die erste Ausgabe erscheint unter dem Titel «Make war not love – Frau en gegen Männer» und erregt viel Aufsehen.

Die feministische Analyse der Sprache ist in den 1980er-Jahren wichtiges Thema. Die Sprachwissenschaftlerinnen Senta Trömel-Plötz und Luise F. Pusch gehören zu den Vorreiterinnen. Zu Beginn der 1980er-Jahre erscheinen erstmals Richtlinien für einen geschlechtersensiblen Sprachgebrauch. Kritisiert wird das vermeintlich geschlechtsneutrale generische Maskulinum, das Frauen «gedanklich auslöscht». In den 1980er-Jahren kommt das Binnen-I auf, und die Anrede «Fräulein» verschwindet allmählich.

Wahlkampfplakat für die Volksinitiative «Für einen wirksamen Schutz der Mutterschaft». Sie wird am 2. Dezember 1984 mit 84,2 Prozent der Stimmen abgelehnt. Seit 1945 besteht der Verfassungsauftrag, ein Gesetz für eine Mutterschaftsversicherung auszuarbeiten. Die Forderung entwickelt sich über die Jahrzehnte zum wiederkehrenden politischen Ladenhüter. Erst 2005 wird eine Mutterschaftsversicherung eingeführt.

Mitte der 1980er-Jahre entstehen mehrere feministische Netzwerke und Organisationen, die sich kritisch mit Gen- und Reproduktionstechnologien auseinandersetzen, unter anderem das Netzwerk Mutterschaft ohne Zwang (MoZ), die Nationale Organisation feministischer Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologie (Nogerete) und die Frauengruppe Antígena.

Am 2. Oktober 1984 wird Elisabeth Kopp (FDP) zur ersten Bundesrätin gewählt. Sie übernimmt das Justiz- und Polizeidepartement und setzt sich unter anderem engagiert für die Einführung eines neuen partnerschaftlichen Ehegesetzes ein. Ein warnender Anruf bei ihrem Mann wegen eines (falschen) Geldwäschereiverdachts und ein beispielloses mediales Kesseltreiben bringen die erste Bundesrätin zu Fall; am 12. Januar 1989 demissioniert sie.

Die Einführung des Gleichstellungsartikels 1981 hat auch Auswirkungen auf die Armee. Am 1. Januar 1985 wird der Frauenhilfsdienst (FHD) in Militärischen Frauendienst (MFD) umbenannt, identische Dienstgrade werden eingeführt. 1995 wird aus dem MFD die Dienststelle Frauen in der Armee (FDA) mit gleichen Diensten, gemischten Schulen und Einheiten. Seit der Armeereform XXI 2003 haben Frauen Zugang zu allen Funktionen. Mit Bundesrätin Viola Amherd (CVP) ist seit dem 1. Januar 2019 erstmals eine Frau Verteidigungsministerin.

Die Organisation «FramaMu» («Frauen machen Musik») sorgt ab Ende der 1970er-Jahre für die Hör- und Sichtbarkeit von Musikerinnen, führt Frauenmusikwochen und Konzertreihen durch. Punk- und Rockbands wie Kleenex, LiLiPUT und Dangermice formieren sich; ihre Songs werden auch in England und den USA gefeiert. Les Reines Prochaines (v. l. n. r. Fränzi Madörin, Muda Mathis, Gabi Streiff und Pipilotti Rist, 1993) ziehen mit ihren Performance- und Musikshows seit 1987 durch die Konzertlokale im In- und Ausland.

1984 und 1988 spricht die USamerikanische Lyrikerin und Dozentin, Civil-Rights- und Frauenrechtsaktivistin Audre Lorde (1934–1992) auf Einladung der Paulus-Akademie in Zürich. Sie ist schockiert vom fast ausschliesslich weissen Publikum und spricht die zwei anwesenden Schwarzen Frauen, Carmel Fröhlicher-Stines und Zeedah Meierhofer-Mangeli, darauf an. Kurze Zeit später organisieren die beiden die ers ten Treffen für Schwarze Frauen in Zürich; der Verein Women of Black Heritage wird gegründet.

Im Juli 1981 erscheint die erste Ausgabe der französischsprachigen Lesbenzeitschrift CLIT 007 (Abkürzung von «Concentré Lésbien Irresistiblement Toxique»). Die Gruppe Vanille/Fraise trifft sich alle drei Monate mit weiteren lesbischen Frauen aus Genf, um die Zeitschrift, die auch in Frankreich gelesen wird, zu produzieren. Die Texte entstehen auf Schreibmaschine, werden zusammengeklebt und in einer Auflage von 500 Exemplaren gedruckt.

Im Mai 1978 wird in Genf das schweizweit erste Frauengesundheitszentrum, das Dispensaire des femmes, eröffnet. Wie die Infra in Zürich ist das Dispensaire aus dem Engagement von Frauen der autonomen Frauen bewegung hervorgegangen. Im Dispensaire arbeiten ausgebildete Hebammen, Ärztinnen und Pflegefachfrauen gemeinsam mit Laien im Kollektiv. Das Mot to «Hilfe zur Selbsthilfe» bestimmt die Form der Beratung und Unterstützung.

Gleichstellungsartikel in der Verfassung

Aktive Lesbenkultur, autonome Frauenräume

Thematisierung von Rassismus und Gewalt gegen Frauen

Erste Frau im Bundesrat

Neues Eherecht

Frauengesundheitsbewegung

«Gleichstellung» – das Wort prägte das feministische Jahrzehnt der deutschsprachigen Schweiz wie kaum ein anderes. Und: Es war eine deutschsprachige Eigenkreation. Es gab kein Pendant in anderen Sprachen.129 «Gleichstellung» sollte nicht nur das Recht erfassen («gleichberechtigt»), sondern auch die «Stellung», die Position der Frauen in der Gesellschaft. Räumlich gesehen, wäre das die Forderung, Männer und Frauen auf dieselbe Ebene zu stellen – keine/n der/dem anderen überzuordnen. Im Begriff schwingt aber auch Ansehen mit, eine Form der Anerkennung: Frauen und Männer sollten dieselbe Anerkennung, dasselbe Ansehen geniessen können. Ökonomisch ausgedrückt: Sie sind gleich viel wert. Physisch betrachtet bedeutet «Stellung» auch «Solidität»: Etwas kann nur «in Stellung sein», wenn es auf festem Boden steht. Wie die Historikerin Céline Angehrn es treffend formulierte: Der Begriff «Gleichstellung» erhielt in der Schweizer Politik eine doppelte Bedeutung – er war eine politische Forderung und zugleich ein angestrebter «Zielzustand».130

Und so begann das Jahrzehnt für Schweizerinnen mit einem gewissen Triumph: Am 14. Juni 1981, zehn Jahre nach Einführung des Frauenstimmrechts auf eidgenössischer Ebene, votierten die Stimmberechtigten in der Schweiz mit sechzig Prozent Ja-Anteil für die Annahme des Gleichstellungsartikels. Artikel 4 der Bundesverfassung wurde, so verlangte es die Vorlage, um einen Absatz ergänzt, in dem es hiess: «Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.»

Gewiss: Für die Schweiz, die hinsichtlich rechtlicher und politischer Gleichstellung von Mann und Frau im Vergleich zu vielen Ländern weltweit stark zurücklag, war dies eine denkwürdige Errungenschaft. Trotzdem hinterliess die Annahme dieser Vorlage bei vielen Frauen eine bittere Note, denn die Initiantinnen, die den Stein Mitte der 1970er-Jahre überhaupt ins Rollen gebracht hatten, verlangten ursprünglich weit mehr. Der Text der im Dezember 1976 eingereichten Initiative lautete: «1. Mann und Frau sind gleichberechtigt. 2. Mann und Frau haben die gleichen Rechte und Pflichten in der Familie. 3. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit. 4. Mann und Frau haben Anspruch auf Gleichbehandlung und Chancengleichheit in Erziehung, Schul- und Berufsbildung sowie Anstellung und Berufsausübung.» Die «erforderlichen Ausführungsbestimmungen» sollten spätestens bis fünf Jahre nach Inkrafttreten des neuen Verfassungsartikels erlassen sein.131

Sowohl dem Ständerat (damals 3 Frauen bei total 46 Mitgliedern) als auch dem Nationalrat (21 Frauen und 179 Männer) ging die Initiative zu weit, beide sprachen sich für den abgeschwächten Gegenvorschlag des Bundesrats aus. Unter massivem politischem Druck zogen die Initiantinnen daraufhin im Vorjahr der Abstimmung ihre Initiative zurück.132

Bekämpft wurde der neue Vorschlag schliesslich noch von einem rechtskonservativen Bündnis bestehend aus der Nationalen Aktion, den Republikanern, dem Redressement National und einzelnen Kantonalparteien von SVP und FDP.133

Der neue Verfassungsartikel ging viel weniger weit, als sich viele Frauen gewünscht hätten. Die Emanzipation, die Zeitung der linkspolitischen Organisation für die Sache der Frau (OFRA), sah ihn als Verhinderungsstrategie des Bundesrats gegen die Gleichstellung. Die von den Initiantinnen ursprünglich verlangte umfassende gesetzliche Gleichstellung sei auf die Möglichkeit zu Lohngleichheitsklagen zusammengeschrumpft.134 Und die bürgerlichere Zeitung Femmes Suisses et le mouvement féministe des Bundes Schweizerischer Frauenvereine, die den Vorschlag des Bundesrats unterstützte, zeigte sich ebenfalls kritisch: In ihrer Aprilnummer, zwei Monate vor der Abstimmung, machte sie mit einem «abc de l’égalité» klar geltend, dass ihres Erachtens der Gleichstellungsartikel nicht vor dem privaten Raum von Ehebeziehungen, Familien und Partnerschaften haltmachen dürfe – Aspekte, die explizit nicht Teil des Gegenvorschlags waren.135

Der Gleichstellungsartikel hatte dennoch Signalwirkung: Am 1. Januar 1981, also noch vor der Abstimmung, wird auf Bundesebene die Stabsstelle für Frauenfragen, das Gleichstellungsbüro des Bundespersonals, eröffnet. Sieben Jahre später wird das Eidgenössische Büro für die Gleichstellung von Frau und Mann gegründet. Bis zum Ende des Jahrzehnts existieren in sieben Kantonen (Jura, Genf, St. Gallen, Basel-Landschaft, Zürich, Bern, Neuchâtel) und in den Städten Zürich, Winterthur und Lausanne Gleichstellungsbüros.136

Der Verfassungsartikel veranlasste Frauen aber auch dazu, die nun rechtlich einklagbaren Lohndiskriminierungen sowie Ungleichbehandlungen im Bildungswesen auf juristischem Weg anzufechten.137 Bereits wenige Monate nach Annahme des Gleichstellungsartikels klagten sechs diplomierte Pflegefachfrauen (damals noch «Krankenschwestern» genannt) in der schweizweit ersten Lohngleichheitsklage mit Bezug auf den neuen Verfassungsartikel die Stadt Zürich an.138 Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich trat nicht auf die Klage ein.139 Es folgten gleichwohl unzählige weitere Klagen, vor allem von Frauen aus dem Gesundheits- und dem Erziehungswesen, wovon allerdings nur wenige zu zeitnahen Gerichtsentscheiden führten: Bis zum Ende der 1980er-Jahre wurden weniger als zehn Lohngleichheitsklagen abschliessend beurteilt.140 1990, nach beinahe zehnjährigem juristischem Kampf, bekamen die Zürcher Pflegerinnen Recht: Das Bundesgericht sprach sich für die Aufwertung ihres Berufs und die Einteilung in eine höhere Lohnklasse aus, die Stadt Zürich musste ihre Lohnordnung anpassen und den betroffenen Pflegefachfrauen Lohnnachzahlungen leisten.141 Die Forderung nach gleichem Lohn bei gleichwertiger Arbeit ist bis heute ein zentraler Dauerbrenner der Frauenbewegung in der gesamten Schweiz geblieben.

Ad hoc etwas erfolgreicher waren Klagen bezüglich Diskriminierungen im Bildungsbereich. Für junge Frauen war der Handarbeits- und Hauswirtschaftsunterricht in vielen Schweizer Kantonen obligatorisch. Dies bedeutete zum einen, dass Mädchen und junge Frauen absolut weit mehr Schulstunden absolvieren mussten als Knaben – und dass sie, zum anderen, in den naturwissenschaftlichen Fächern weniger Unterricht erhielten. So lag die Anzahl Lektionen für Mädchen und junge Frauen gemäss einer Hochrechnung für das Jahr 1979 durchschnittlich um 200 Stunden höher, während sie bis zu einem Zehntel weniger Unterricht in Naturwissenschaften und Mathematik hatten – Fächer, die für weitere Berufs- und Hochschulausbildungen zentral sind.142 Bereits in den 1970er-Jahren führte dies zu vehementem Protest von Frauen bis hin zum Unterrichtsboykott: Im Oktober 1979 blieben vier junge Frauen in Biel aus Protest gegen das Nichteintreten auf eine von ihnen eingereichte Petition gegen diese schulische Ungleichbehandlung dem Hauswirtschaftsunterricht fern. Den jungen Frauen wurden Bussen von 200 Franken auferlegt, die sie jedoch nicht bezahlten. Zwei Jahre später und gut vier Monate nach Annahme des Gleichstellungsartikels erhielten die Bielerinnen ein erstes Mal Recht: Am 30. Oktober 1981 verabschiedete die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) ihre «Grundsätze und Empfehlungen betreffend gleiche Ausbildungschancen für Mädchen und Knaben». Gemäss diesen Grundsätzen sollten Mädchen und Knaben die gleichen Ausbildungsmöglichkeiten garantiert werden, und die obligatorischen Schulstunden sollten den gleichen Umfang haben. Im August 1982 zog auch das Bezirksgericht Biel nach: Die vier Frauen, die 1979 die «Rüebli-RS» boykottiert hatten, wurden freigesprochen.143

Im selben Jahr, im März 1982, wurde auch auf die Klage von Eltern von Schülerinnen des Kantons Waadt eingetreten, die sich dagegen wehrten, dass an Mädchen bei der Aufnahme in die Sekundarschule höhere Anforderungen gestellt wurden als an Knaben: Das Bundesgericht beurteilte die Waadtländer Praxis als Verstoss gegen den Gleichstellungsartikel, der Kanton Waadt musste die Aufnahmekriterien für die Sekundarschule für Mädchen und Knaben angleichen.144

Doch trotz der klaren gerichtlichen Voten und der Direktive der EDK mahlten die kantonalen Mühlen in sehr gemächlichem Tempo weiter: Noch im Jahr 1991 hatte nicht einmal die Hälfte aller Kantone die Ungleichbehandlung von Mädchen und Knaben im Lehrplan aufgehoben. Die Frage, wie der Unterricht von Schülerinnen und Schülern gestaltet werden sollte, ob eine «gleiche» oder bloss eine «gleichwertige» Ausbildung von Mädchen und Knaben angestrebt werden sollte, beschäftigte sowohl Feministinnen und Gewerkschaften als auch Bund und Kantone das gesamte Jahrzehnt.145

1981 war nicht nur das Jahr des Gleichstellungsartikels – es war auch das Jahr der verworfenen Mitenand-Initiative: Am 4. April sprachen sich über achtzig Prozent der Stimmberechtigten gegen eine Verbesserung der rechtlichen und sozialen Situation von Migrantinnen und Migranten in der Schweiz aus. Ihnen wurden weiterhin elementarste Menschenrechte wie die Bewegungs-, die Besammlungs- und die politische Redefreiheit verwehrt, geschweige denn wurde ihnen irgendeine Form der politischen Mitbestimmung gewährt. Und auch das Saisonnierstatut, das sogenannte Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter dazu zwang, die Schweiz nach einer Arbeitssaison wieder zu verlassen, respektive ihr Leben in der Schweiz von der Willkür des Arbeitgebers und der staatlichen Behörden abhängig machte, blieb nach Ablehnung der Initiative beibehalten.146 Frauen, die von diesen Gesetzen direkt betroffen waren, setzten sich von Anfang an stark für die Mitenand-Initiative ein. Dabei gingen die Forderungen der Migrantinnen für Schweizer Verhältnisse sehr weit. Mercedes Soto, die bereits 1975 am «Manifest der ausländischen Frau» mitgearbeitet hatte, stellte die Forderungen der ausländischen Frauen am ersten Kongress der Migrantinnenorganisationen von 1980 in Bern vor: Annahme der Mitenand-Initiative, Einrichten einer Mutterschaftsversicherung, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, Teilhabe von Migrantinnen und Migranten am sozialen und politischen Leben in der Schweiz, die Möglichkeit zum Stimmrecht, «zumindest in allem, was uns betrifft», Beseitigung des Saisonnierstatuts, keine Diskriminierung von Kindern aufgrund ihrer Sprachkenntnisse.147

Wollten «Saisonniers» ihre Kinder nicht in der Ferne, sondern bei sich haben, bedeutete dies, dass sie die Kinder verstecken mussten, teils monate-, teils jahrelang.148 Und jene Kinder, die sich nicht verstecken mussten, deren Muttersprache aber eine andere war als diejenige, die in der Schule gesprochen wurde, erlebten eine weitere Diskriminierung im Bildungswesen: Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse wurden sie meist sogenannten Sonderklassen zugeteilt, oder es hiess, sie müssten eine Klasse wiederholen. Die Sprache wurde für die Kinder zu einer beinahe unüberwindbaren Hürde, die den Verlauf ihrer Schulkarrieren von früh an bestimmte. Frauen wie Rosanna Ambrosi, die während der 1970er-Jahre in der Frauengruppe der Colonie Libere (FCLIS)149 aktiv war und das «Manifest der ausländischen Frau» mitverfasste, fokussierten ihre politische Arbeit in den 1980er-Jahren auf diese Missstände: Zusammen mit Genossinnen der FCLIS baute Ambrosi Elternvereine und Schulgruppen auf, an denen sich auch Eltern aus anderen Ländern beteiligten, um gegen die Ungerechtigkeit, die ihren Kindern widerfuhr, vorzugehen.150

Bewegung in der Wissenschaft

Bildung und Ausbildung war jedoch längst nicht nur auf rechtlicher Ebene und in der Volksschule ein umkämpftes Terrain. Auch an den Universitäten lehnten sich Studentinnen gegen strukturelle Diskriminierung auf. Bereits in den späten 1970er-Jahren organisierten verschiedene Gruppen von Feministinnen erste Tagungen zu «Frauen und Wissenschaft» – es war der Versuch, landesweit Studierende und Forschende, die an feministischen Themen interessiert waren, zusammenzubringen und deren Analysen und Forschung für die Frauenbewegung und deren Forderungen fruchtbar zu machen.151 Als direktes Resultat dieser Tagungen wurde im März 1983 der Verein Feministische Wissenschaft / Association Suisse Femmes, Féminisme, Recherche gegründet, der es sich zur Aufgabe machte, «feministische Wissenschaft im Zusammenhang der Frauenbewegung» zu fördern.152 Dabei zielte auch hier die angestrebte Richtung sowohl gegen innen als auch gegen aussen: Nicht nur die Bewegung, sondern auch Wissenschaftlerinnen sollten gestärkt werden, um so gegen die Diskriminierung von Frauen «im Wissenschaftsbetrieb» zu kämpfen.153

Der Druck von unterschiedlichen Seiten zeigte eine gewisse Wirkung auf Ebene der universitären Leitung und der Professuren: Im Sommersemester 1982 trat Verena Meyer, Professorin für Experimentalphysik, in Zürich als erste Frau das Amt als Rektorin einer Schweizer Universität an; ab Herbst 1985 hielt die Architektin Flora Ruchat-Roncati als erste Frau eine ordentliche Professur an der ETH Zürich. Mit diesen Berufungen wurde jedoch noch keine Revolution eingeläutet: An der Universität Zürich ist es bis Ende 2020, bis auf eine kurze Interimslösung, bei dieser ersten Frau als Rektorin geblieben – und die ETH Zürich konnte bis ins Jahr 1990 gerade mal drei ordentliche Professuren von Frauen vorweisen.154

Diesem mässigen Erfolg zum Trotz entwickelten sich gewisse universitäre Disziplinen während des Jahrzehnts zu zentralen Schauplätzen feministischen Engagements und feministischer Wissensproduktion, beispielsweise die Geschichtswissenschaft: Inspiriert von Feministinnen in Deutschland, Frankreich und den USA wurden bereits Ende der 1970er-Jahre in Zürich und Basel die ersten Seminare zu Frauengeschichte organisiert.155 1980 leitete die damalige Geschichtsprofessorin Beatrix Mesmer – als 1973 Berufene gehörte sie zu den ersten Professorinnen der Universität Bern – das erste Seminar in Frauengeschichte am Berner Historischen Institut.156 Den Stein mit ins Rollen gebracht hatten Studentinnen, die sich bereits ab 1977 in freien Tutoraten und Arbeitsgruppen in Theorie und Praxis der Geschichte von Frauen widmeten.157 Im Herbst 1983 fand in Bern das erste überregionale Historikerinnentreffen statt. Die Treffen wurden in regelmässigen Abständen ein- bis zweijährlich an unterschiedlichen Universitäten der Schweiz abgehalten und zum Grossteil von Studentinnen und Assistentinnen organisiert.158 Es war nicht zuletzt auch diesem ersten Treffen zu verdanken, dass die universitätsunabhängigen, autonomen Historikerinnen Elisabeth Joris und Heidi Witzig das im deutschsprachigen Raum wohl bekannteste und auch ausserhalb der akademischen Kreise vielverkaufte Buch zur Schweizer Geschichte fertigstellen konnten: «Frauengeschichte(n)».159 Die Treffen entwickelten sich über die Jahre und Jahrzehnte zu rege besuchten Tagungen, die zum einen erheblich dazu beitrugen, dass Frauengeschichte sichtbar wurde, und zum anderen einen «Wurzelgrund für Historikerinnen» schufen, ein vielfädiges Netz, auf das Generationen von Historikerinnen und Historikern zurückgreifen und an dem sie weiterstricken konnten.160

Dabei war die Auseinandersetzung um feministische Theorie und Praxis stets ein transnationales und transdisziplinäres Unterfangen, so auch in der Geschichtswissenschaft: Zu wegweisenden Erkenntnissen für die feministische Theorienbildung der 1980er-Jahre führten Mitte des Jahrzehnts Diskussionen um die Beschaffenheit des biologischen respektive des sozialen Geschlechts.161 Von diesen Überlegungen ausgehend läutete die USamerikanische Historikerin Joan Wallach Scott 1986 die «Geschlechtergeschichte» ein, indem sie in einem breit rezipierten Aufsatz mit Rekurs auf die französischen Philosophen der Postmoderne, Jacques Derrida und Michel Foucault, «Geschlecht» als strukturell und auch sprachlich verfasstes Machtverhältnis beschrieb und so das analytische Potenzial der Kategorie «Geschlecht» aufzeigte: Geschlecht («gender») als konstitutives Element sozialer Beziehungen, das auf wahrgenommenen Unterschieden zwischen den Geschlechtern («sexes») basiere – und zugleich als eine zentrale Art und Weise («a primary way»), über die Machtbeziehungen gekennzeichnet und manifestiert werden.162 Wallach Scotts Aufsatz, der in Kreisen der feministischen Wissensproduktion auch auf heftige Kritik stiess, prägte eine ganze Generation von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – längst nicht nur Historikerinnen – und löste Debatten aus, welche die Frauenbewegung auch ausserhalb der Universitäten aufnahm.163 Feministische Theoriebildung war in und für die Frauenbewegung zentral, und feministische Wissenschaft und Bewegung trieben sich über das gesamte Jahrzehnt gegenseitig voran.164

Doch nicht ausschliesslich feministische Wissenschaften beeinflussten die Frauenbewegung nachhaltig. Auch neue Entwicklungen in der Biomedizin prägten feministische Debatten und Handlungsfelder der 1980er-Jahre, nicht nur, aber vorwiegend in Kreisen der Frauengesundheitsbewegung, die sich seit den späten 1970er-Jahren auch in der Schweiz zu formieren begann.

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