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Abbildung 5


Wie ebenfalls aus Abbildung 5 entnommen werden kann, stehen Gewalterfahrungen auch mit dem eigenen professionellen Selbstbild des Polizeibeamten in Zusammenhang. Jene, die einen Übergriff mit Dienstunfähigkeit erlebt haben, stimmten der Aussage, dass sie Müllmänner oder Prügelknaben seien, deutlich häufiger zu. Unabhängig davon sind aber auch die Zustimmungsraten nicht viktimisierter Beamter mit 38,4 % bzw. 26,7 % recht hoch. Es ist davon auszugehen, dass Beamte, die das Gefühl haben, der Prügelknabe der Gesellschaft zu sein, auch entsprechend härter mit dem Bürger umgehen. Dies kann wiederum leichter zu Eskalationen im Umgang mit dem polizeilichen Gegenüber führen und letztlich in einer wiederholten Viktimisierung enden.

4 Diskussion

Ziel des Beitrages war es, Einblicke in das Thema Gewalt gegen Polizeibeamte zu liefern. Dafür wurden Ergebnisse aus einer Befragung des KFN von Polizeibeamten zu Gewalterfahrungen im Dienst vorgestellt, die Anfang des Jahres 2010 durchgeführt wurde. Dieser Untersuchung zufolge sind Polizeibeamte häufig verschiedenen Formen von Gewalt ausgesetzt, wobei verbale und leichte körperliche Angriffe dominieren. Aber auch von schweren Übergriffen, die zu einer Dienstunfähigkeit geführt haben, war etwa jeder achte Beamte innerhalb eines Fünfjahreszeitraums mindestens einmal betroffen. Dabei ist eine Zunahme von Gewaltangriffen zum Nachteil von Polizeibeamten zu beobachten, die insbesondere auf Übergriffe mit weniger schwerwiegenden Folgen zurückzuführen ist. In Übereinstimmung mit bisherigen Forschungsbefunden erfolgten die Angriffe (mit Dienstunfähigkeit) meist bei Festnahmen oder Streitigkeiten, wobei die Täter der Gewalt überwiegend allein handelnd, männlich, jüngeren Alters, polizeibekannt und alkoholisiert waren. Desweiteren kann festgehalten werden, dass Gewalterfahrungen neben körperlichen und psychischen Problemen, auch mit einer erhöhten Furcht vor weiteren Übergriffen sowie einem negativen Selbstbild einher gehen können. Ein Anliegen der Untersuchung war es zudem, Faktoren zu identifizieren, die mit dem Risiko eines Angriffs auf Polizeibeamte in Zusammenhang stehen. Nur wenige Untersuchungen haben sich bislang um solche Risikoabschätzungen bemüht (Johnson, 2011; Rabe-Hemp & Schuck, 2007). Wie auf Basis der vorgestellten Studie gezeigt werden konnte, weisen männliche, jüngere, größere Beamte sowie Beamte mit Migrationshintergrund ein höheres Risiko auf, angegriffen zu werden. Zudem werden Beamte aus dem Einsatz- und Streifendienst sowie aus besonderen Einsatzeinheiten häufiger Opfer von Gewalt im Vergleich zu anderen Dienstgruppen. Auf Seiten des Täters erhöht insbesondere der Einfluss von Alkohol, aber auch das Vorliegen eines Migrationshintergrunds das Risiko für Beamte, im Rahmen von Einsätzen wegen häuslicher Gewalt verletzt zu werden.

Welche konkreten Prozesse dafür verantwortlich sind, dass bestimmte Beamte häufiger angegriffen werden als andere, lässt sich mit den Daten nur unzureichend aufzeigen. Generell ist aber davon auszugehen, dass hierbei mehrere Gründe eine Rolle spielen können. So reichen die Erklärungsansätze für den gefunden Geschlechtsunterschied bspw. von strukturellen Effekten (z. B. unterschiedliche Aufgabengebiete), über Hemmungen des Täters, eine Frau anzugreifen, bis hin zu besonderen deeskalierenden Kompetenzen, die weiblichen Beamten aufgrund ihrer Sozialisation oft zugeschrieben werden. Mit Blick auf die Entwicklung geeigneter Aus- und Fortbildungsmaßnahmen zur Gewaltprävention von Polizeibeamten erscheint insbesondere die Erforschung nicht sichtbarer Merkmale, also bestimmter Einstellungen und Kompetenzen, in denen sich männliche und weibliche Beamte voneinander unterscheiden, gewinnbringend. Würden Beamtinnen weniger Gewalt erleben, weil sie seltener mit gefährlichen Situationen konfrontiert wären bzw. weil die Täter aufgrund ihres Geschlechts eine Angriffshemmung hätten, wären besondere Trainings nicht notwendig. Hätten Beamtinnen hingegen ein niedrigeres Gewaltrisiko, weil sie sozial kompetenter agieren als ihre Kollegen, selbst weniger Drohungen oder Zwangsmaßnahmen in der Interaktion mit den Bürgern einsetzen, vorsichtiger handeln etc., könnten auf Basis dieser Erkenntnisse spezielle Programme (z. B. Kommunikationstrainings) angeboten werden.

Zu prüfen wäre weiterhin, inwiefern bestimmte Einsatzkonstellationen die Gefahr einer gewalttätigen Auseinandersetzung erhöhen können. Nicht jeder Bürger wird in jeder Situation auf jeden Beamten gleich reagieren. Hinweise auf solch differierende Effekte finden sich bspw. in einer Untersuchung von Rabe-Hemp und Schuck (2007). Sie berichten, dass für Beamtinnen das größte Angriffsrisiko besteht, wenn sie im Rahmen von Einsätzen wegen häuslicher Gewalt mit alkoholisierten Tätern konfrontiert werden. Mit anderen Worten spielt die Kombination von Alkohol, Geschlecht und Situation eine entscheidende Rolle für das Viktimisierungsrisiko. Um derart komplexe Ursachenstrukturen aufdecken zu können, sind zukünftig Studien notwendig, die sich verschiedener methodischer Zugänge bedienen (z. B. Befragung und Beobachtung, quasi-experimentelle Designs).

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1 Aus Gründen der einfacheren Darstellung wird im Folgenden meist die männliche Form verwendet, obwohl in diesen Fällen sowohl weibliche als auch männliche Personen gemeint sind. Wenn sich Aussagen nur auf männliche oder weibliche Personen beziehen, wird dies kenntlich gemacht.

2 Seit dem Jahr 2009 ist allerdings wieder ein Rückgang der polizeilich registrierten Fälle von Widerstand festzustellen.

3 Auch hier wird es Veränderungen in der PKS geben. Ab dem Berichtsjahr 2011 werden um die Berufsgruppe erweiterte Opferstatistiken ausgewiesen.

4 In der Regel beruhen diese Untersuchungen auf einer Analyse derjenigen Fälle, in denen es zu einem Übergriff gekommen ist (Johnson, 2011; Ohlemacher et al., 2003). Damit können Aussagen darüber getroffen werden, unter welchen Umständen und durch welche Täter sich die Gewalt ereignet hat. Risikoabschätzungen, also die Frage, welche Situationen oder Personen besonders gefährlich sind, sind damit allerdings nicht möglich. Um dies zu leisten, müssen Informationen vorliegen, wie häufig Beamte im Rahmen ihrer Dienstausübung mit bestimmten Situationen und Personen konfrontiert sind.

5 Hierbei handelt es sich um die Länder Berlin, Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Saarland, Schleswig-Holstein und Thüringen.

6 Lediglich 2,5 % der befragten Beamten wiesen einen Migrationshintergrund auf. Zudem stammten die Beamten aus verschiedenen Ländern, so dass ein vorhandener Migrationshintergrund nicht zwangsläufig erkennbar sein muss.

7 Die Zunahme von Gewaltübergriffen mit Dienstunfähigkeit zwischen 2005 und 2009 ergibt sich insbesondere bei Einsätzen im Rahmen von Veranstaltungen, Störungen der Öffentlichen Ordnung und (versuchten) Straftaten, also Situationen im öffentlichen Raum. Zudem haben sich Übergriffe bei innerfamiliäreren Streitigkeiten nahezu verdoppelt. Letztgenanntes kann als Folge des im Jahr 2002 in Kraft getretenen Gewaltschutzgesetzes bewertet werden kann (Ellrich et al., 2010, S. 34f.).

8 Die Auswahl erfolgte anhand zweier Kriterien: es wurde jeweils der schwerste Übergriff auf einen Beamten, operationalisiert über die Dauer der Dienstunfähigkeit, bzw. der am kürzesten zurückliegende Übergriff für eine detaillierte Beschreibung ausgewählt (s. Ellrich et al., 2010a, S. 10 ff.).

9 Im Fragebogen wurde nicht nach der Staatsangehörigkeit der Täter gefragt, sondern nach der Herkunft, wobei der Herkunftsbegriff nicht explizit definiert wurde. Insofern bleibt offen, ob ein vermuteter oder festgestellter Migrationshintergrund angegeben wurde. Davon ist allerdings aufgrund des hohen Anteils nichtdeutscher Täter auszugehen.

Stress

Christian Pundt

Kriminologe M. A., Diplomverwaltungswirt (FH), Polizeiakademie Niedersachsen

Die Fragestellungen, die in diesem Kapitel bearbeitet werden, sind:

1. Was ist Stress? Wie kann man das Phänomen Stress definieren?

2. Was bedeutet Stress für Polizeibeamte?

3. Welcher Stress ist für Polizeibeamte zu erwarten? Wie kann man darauf konkret reagieren?

Einführung

Der Polizeidienst ist geprägt durch eine Vielzahl von Einwirkungen und Belastungen, die etymologisch dem Begriff Stress zuzuordnen sind. Stressoren wie Wechselschichtdienst, eine relativ starre Hierarchie und eine hohe individuelle Anforderung an die Flexibilität des Einzelnen seien hier freilich ebenso genannt, wie starke persönliche Belastungen. Als persönliche Belastungen werden u. a. das Anwenden und Erleben von Gewalt, die Aufnahme schwerer Verkehrsunfälle sowie die Betreuung von Opfern und Angehörigen angesehen.1 Allgemeine Stressoren, die zusätzlich zum Einsatzgeschehen auf Polizeibeamte einwirken, sind aufgrund der Thematik des Fachbuches aus dieser Betrachtung auszuschließen und werden in einem weiteren Fachbuch „Grundwissen Stress“ ausführlich erläutert.2 Ein wichtiger Aspekt dabei ist jedoch, dass alle Stressoren, seien sie privater oder dienstlicher Natur, auf das Arbeitsverhalten, die Konzentration und damit auf die Einsatzbewältigung Einfluss haben können.3

Abbildung 1


In der Psychologie werden die auftretenden Stressoren jedoch differenzierter eingeteilt. Unterschieden wird grundsätzlich in physische, psychische und soziale Stressoren (Abbildung 1).

Grundsätzlich sind jedoch nicht alle Einflussfaktoren negativ zu bewerten sondern können je nach individueller Sichtweise auch als Schutzfaktoren die Arbeit des Einzelnen erleichtern. Zu nennen sind eine gute Teamarbeit, ein gutes Arbeitsklima sowie ein gutes soziales Umfeld.

Der Einsatz- und Streifendienst, aber auch Ermittlungstätigkeiten außerhalb der Dienststelle, orientieren sich zum Großteil an der Bewältigung und Bearbeitung polizeilicher Standardlagen. Bei der Aufnahme polizeirelevanter Sachverhalte können die eingesetzten Beamten meist nur reagieren, anstatt selbst zu agieren. In jeder Standardlage entsteht somit immer ein „blinder Fleck“, der nicht vorausgesagt werden kann. Mit zunehmender Berufserfahrung entstehen bei der Aufnahme von Standardlagen Handlungsroutinen, die positiv wie negativ bewertbar sind. Die Auswertungen dieser „polizeilichen Standardlagen“ (Ruhestörung, innerfamiliäre Streitigkeiten und Gewalt) zeigen deutlich, dass gerade bei diesen scheinbaren Routineeinsätzen Polizeibeamte angegriffen und mit extrem aggressivem Verhalten konfrontiert werden.4 Dabei müssen sie trotzdem handlungsfähig und professionell bleiben. Betrachtet man die Stressbelastung, ist besonders hervorzuheben, dass sich Einsatzsituationen innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde ändern und der Stresslevel von absoluter Ruhe auf ein Höchstmaß ansteigen kann. Es ist gerade im Polizeialltag umso wichtiger, die Einsatzsituation und den auftretenden Stress entsprechend bewerten zu können, um handlungsfähig zu bleiben. Deshalb sollte jede/r Polizeibeamte/-in wissen, was für ihn/sie persönlich Stress bedeutet, wie er/sie sich innerpsychisch zeigt und welche Reaktionen für den Einzelnen zu erwarten sind.

Beispiel

Verden

19.07.2009

Messereinsatz gegen Polizeibeamten

Durch den Rettungsdienst wurde der Polizei in Verden/Osterholz ein polizeirelevanter Sachverhalt gemeldet, bei dem eine verletzte Person vor einer Gaststätte stehen sollte. Die Verletzungen seien eventuell durch ein Messer zugefügt worden. Als die beiden Polizeibeamten vor Ort eintrafen, standen zwei Personen vor einem Kaffee. Wie sich später herausstellte, handelte es sich um Vater und Sohn. Der jüngere von beiden wirkte aufgrund seiner Kleidung (Schlafanzughose, Shirt und barfuß mit Blut an der Körperseite) wie ein Opfer. Der Polizeibeamte (30) erkannte aufgrund seiner Bewertung der Situation keinerlei Gefahrenmomente und ging auf die beiden Personen zu. Ohne eine Ansprache durch einen der beiden Beamten an die Personen „wirbelte“ der Täter (19) plötzlich herum und stach dem Polizeibeamten mit einem Messer in den Hals. Der Polizeibeamte sah den Angriff nicht voraus und war völlig überrascht. Der Kollege sprach den Täter mit gezogener Waffe zu Boden und hielt die Lage statisch, bis der Rettungswagen eintraf. Sein Kollege berichtet später, dass der Angriff wie ein ausgeholter Tennisschlag aussah. Erst bei der Verletzung habe der Polizeibeamte gemerkt, dass etwas im Argen ist. Er konnte nicht mehr funken und sich auch nicht mehr auf den Beinen halten. Die Gefahrensituation sei für ihn nicht erkennbar gewesen. Eigene Anmerkung: Mittlerweile ist Herr Biernath glücklicherweise wieder im Dienst.

Quelle: Auszüge aus einem Interview mit dem lebensgefährlich verletzten Kollegen Mirko Biernath, welches im Rahmen einer Bachelorarbeit (2010) geführt und mir durch den Kollegen Biernath freundlicherweise für weitere Projekte in der Polizeiwissenschaft zur Verfügung gestellt wurde.

Stress

Das Wort Stress hat seinen Ursprung aus dem lateinischen strictus, was so viel wie straff bedeutet. Im englischsprachigen Raum wird das Wort Stress mit Anspannung oder Druck übersetzt.

Die Schwierigkeit des Terminus Stress ist die unterschiedliche Möglichkeit der Interpretation. Das Wort Stress wird häufig als Synonym für Belastung, Krankheit und dem Burnout Syndrom verwendet. Es ist ein universeller Begriff, der in der Alltagssprache unspezifisch verwendet wird und eine Vielzahl von körperlichen und seelischen Zuständen in einem Wort zusammenfasst. In der konkreten Situation sollte also hinterfragt werden, was genau als Stress angesehen und bewertet wird.

In der Literatur (u. a. Krampl, (2007); Nitsch (1981); Sapolsky (1998)) werden neben den unterschiedlichen Stressoren („Psychisch, Physisch und Soziale Stressoren“) vier Kategorien von Stress unterschieden. Die erste Kategorie beinhaltet den „normalen“ Alltagsstress, der alle üblichen Belastungen (Arbeit, Freizeit, Verkehr etc.) zusammenfasst. Die zweite Kategorie ist der kumulative Stress. Hierunter werden zusammen auftretende Stressoren aus dem Alltagsstress als erhöhte Belastung bewertet. Eine weitere, die dritte Kategorie, ist der chronische bzw. Dauerstress. Hierbei kommt es zu starken Belastungen über einen andauernden Zeitraum. Als vierte und gravierendste Stresskategorie wird der Terminus „Traumatischer Stress“ verwendet. Als traumatische Stresssituationen werden die Belastungen definiert, die das Grundvertrauen bzw. eigene Grundannahmen erschüttern oder bedrohen können. Zu dieser Stresskategorie werden grundsätzlich u. a. massive Angriffe, Schusswaffengebräuche und Katastrophen gezählt, die jedoch nicht immer eine traumatische Belastung zur Folge haben müssen. Hier können Bewältigungsstrategien, Einstellungen, Erfahrungen und auch entsprechende Trainings traumatische Folgen verhindern.

Allgemein beschreibt der Begriff Stress eine körperliche und psychische Reaktion auf einen Umweltreiz.5 Stress erfordert also die Reaktion eines Organismus (Mensch) auf einen Stimulus (Reiz). Die Einflüsse auf eine Person können so groß sein, dass die Fähigkeit zur Resilienz stark beansprucht wird oder der Einfluss die Grenze der Belastbarkeit/Widerstandsfähigkeit übersteigt. Wird die Grenze überschritten, kann der erlebte Stress negative gesundheitliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Nichts desto trotz ist Stress und eine Stressreaktion die Grundvoraussetzung, damit sich ein Körper und die Psyche an veränderte Gegebenheiten anpassen und reagieren kann. Die Ambivalenz zwischen positiven und negativen Eigenschaften, die dem Begriff Stress zugeordnet werden, beschrieb der Forscher Hans Selye mit den Begriffen Eustress und Distress (auch: Dystress).

Eustress und Disstress (Dystress)

Eustress (Lateinisch Eu = gut) gilt dabei als positive Form des erlebten Stresses. Bei einer Herausforderung wird dabei mit den üblichen „Stresshormonen“ ein Erregungszustand im Körper aufgebaut, der für die Bewältigung einer individuellen Aufgabe erforderlich ist. Diese Form des Stresses wird als Motivator und grundsätzlich leistungsstimulierend angesehen. Die Folge ist, dass bei der Bewältigung der Aufgabe, zu den üblichen Stresshormonen Adrenalin und Noradrenalin, auch Glückshormone (Endorphine) ausgeschüttet werden.

Man bezeichnet den Einfluss oder Reiz dann als Disstress (aus dem lateinischen „Dis“ = Schlecht; im englischsprachigem Raum: Distress), oder auch Dystress (aus dem griechischen „Dys“ = Schlecht), wenn er als negativ und belastend wahrgenommen wird. Die Häufigkeit und die Dauer des erlebten Reizes ist ein wichtiger Faktor für die Bewertung des Stressniveaus. Je häufiger und länger ein Reizzustand anhält, umso eher bestehen die Gefahr einer Belastung und die Wahrnehmung als negativen Stress. Um mit dem Phänomen Stress im Einsatzfall besser umgehen zu können, ist es notwendig, Einzelheiten über theoretische Grundlagen bzw. Modelle zu kennen. Nachfolgend stelle ich die für die polizeiliche Einsatztätigkeit bedeutendsten Stressmodelle dar. Zum einen ist es das Allgemeine Adaptionssyndrom von Selye. Zum anderen sind es das „Fight or Flight“ Modell von Walter B. Cannon und das „Transaktionale Stressmodell“ von Richard S. Lazarus.

Stressmodelle

Die folgend dargestellten Stressmodelle können entweder der Physiologie oder Psychologie zugeordnet werden. Während Cannon und Selye ihre Modelle anhand der physiologischen Veränderungen erläutern, orientieren sich die Modelle von Holmes & Rahe und Lazarus an der Psychologie. Je nach Zielsetzung können die unterschiedlichen Modelle für allgemeine Erklärungen zum Thema Stress genutzt werden.

Das Allgemeine Adaptionssyndrom (General Adaptation Syndrom, GAS)

Einer der ersten Forscher, der sich mit den Auswirkungen von andauerndem Stress beschäftigt hat, war der kanadische Endokrinologe6 Hans Selye (*1907 in Wien, +1982 in Montreal). Er definierte 1936 den Begriff Stress und begründete die Lehre vom Allgemeinen Adaptionssyndrom, auch Generalisiertes Adaptionssyndrom genannt. (Schwarzer, 1993, S.12 ff.)

Obwohl eine Begriffsbestimmung des Phänomens Stress bis heute schwierig erscheint, hat Selye den Begriff aus seiner Sicht frühzeitig definiert.

Definition Stress nach Selye:

„Stress kann als die unspezifische Reaktion des Organismus auf jede Art von Anforderung verstanden werden“.

(Selye, 1956, 1981)

Abbildung 2


Hans Selye beschrieb und untersuchte die körperlichen Auswirkungen von Stress. Insbesondere ging er auf die grundsätzlich hormonellen Reaktionen des Körpers auf akute und chronische Belastungen ein, wobei er sich auf die stark belastenden bzw. chronischen Stressoren spezialisierte. Das Individuum mit seinen individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten wird in Selyes Theorie nicht mit in die Bewertung einbezogen. Er beschränkt sich in seinen Ausführungen rein auf die hormonellen Reaktionen des Körpers. Die kognitive transaktionale Stresstheorie von Lazarus geht über die Beschreibung von rein körperlichen Vorgängen hinaus und findet einen eher ganzheitlichen Ansatz.

Das Allgemeine Adaptionssyndrom nach Selye ist wie in Abbildung 2 in drei Phasen eingeteilt:

1. Alarmphase

2. Widerstandsphase

3. Erschöpfungsstadium

In den einzelnen Stufen kommt es zu jeweils aufeinander bezogenen Reaktionen, die in Abbildung 3 zusammengefasst dargestellt sind.

Stress

Stress kann nach Selye (1981) „als die unspezifische Reaktion des Organismus auf jede Art von Anforderung verstanden werden.“

Im Allgemeinen Adaptionssyndrom findet die körperliche Reaktion immer in drei Phasen statt:

1. Alarmphase

2. Widerstandsphase

3. Erschöpfungsstadium

Abbildung 3


In der Abbildung 4 ist übersichtlich verdeutlicht, welche körperlichen Reaktionen im Allgemeinen bei Stress auftreten können. Kommt es zu einer Alarmreaktion, wird durch den Hypothalamus und das limbische System die Hormonausschüttung angeregt. Der Körper reagiert daraufhin mit der Ausschüttung der sogenannten Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin. Im Anschluss daran ziehen sich die Blutgefäße zusammen. Durch die Leber wird Blutzucker kurzfristig zur Verfügung gestellt. Der Blutdruck und die Herz-Frequenz werden gesteigert und die Bronchien erweitern sich. Der Verdauungstrakt verringert seine Tätigkeit und die Augen werden auf eine erhöhte Weitsicht eingestellt. Der Körper befindet sich in höchster Alarmbereitschaft, um bei Bedarf schnell reagieren zu können. In einer Stresssituation kann die Ausschüttung von Adrenalin den 10-fachen Wert der normalen Ruheausschüttung übersteigen. Bei chronischem Stress ist durch den andauernden Erregungszustand die Gefahr erhöht, gesundheitliche Schädigungen zu erleiden, da keine Erholungsphasen zwischen dem auftretenden Stress liegen (Siehe Abbildung 3, Stufe III.).

Walter B. Cannon (Fight or Flight) (*1871- +1945)

Der Physiologe Walter B. Cannon (USA) beobachtete die Reaktionen von Menschen und Tieren bei Bedrohung. Er veröffentlichte 1915 seine Abhandlung zu den Notfallreaktionen von Menschen und Tieren, ohne jedoch den Begriff Stress explizit zu erwähnen. In seiner Abhandlung beschrieb er die Vorgänge im Körper beim Auftreten von Bedrohungen (Stress). In Notfällen ist der Mensch anhand seiner körperlichen Reaktionen in der Lage, entweder der Bedrohung aktiv entgegen zu treten (anzugreifen), oder sich zurückzuziehen (fliehen).

Walter B. Cannon: Fight or Flight So beschrieb Cannon die Abfolge von Ereignissen im Körper, die den Menschen oder das Tier in der Folge befähigt, entweder anzugreifen (verteidigen) oder zu flüchten (in Sicherheit bringen).

Abbildung 4


Die kognitiv-transaktionale Stresstheorie nach dem amerikanischem Psychologen Richard S. Lazarus (*1922 - †2002)

Die kognitiv-transaktionale Stresstheorie kann für die Beschreibung und Erklärung von belastenden Einsatzlagen der Polizei als wichtigste Theorie bezeichnet werden. Im Gegensatz zu den Theorien von Selye oder Cannon wird ein eher ganzheitlicher Ansatz für die Erklärung von Stress gebraucht.

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9783866766549
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