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4. Kapitel
Der Stromkrieg von 1901

Der beispiellose Erfolg des Wechselstroms in den USA ging auch an der deutschen Stromwirtschaft nicht vorbei. Siemens und auch Rathenau waren zwar Anhänger des Gleichstroms. Rathenau aber war klar, dass nur Wechselstrom ohne größeren Spannungsverlust über weite Strecken zu transportieren war. Er holte einen brillanten russischen Techniker, Michael von Dolivo-Dobrowolsky, in sein Konstruktionsbüro. Dieser entwickelte in kurzer Zeit ein neuartiges System, bei dem drei Phasen verschobene Wechselströme einen „Drehstrom“ erzeugten, der einen einwandfrei laufenden Motor antrieb. Die Präsentation übernahm Oskar von Miller, der im August 1891 Drehstrom, der im Wasserkraftwerk Lauffen am Neckar erzeugt worden war, mittels Hochspannung von 16.000 Volt über 175 km Freileitung zur Internationalen Elektrotechnischen Ausstellung in Frankfurt am Main transportierte, wo der erste große Drehstrommotor der Welt angeschlossen war und die Pumpe eines künstlichen Wasserfalls antrieb. Das war damals eine Weltsensation.

Siemens konnte da nicht mithalten. Dafür war vor allem verantwortlich, dass der geniale Senior, gerade geadelt, die Leitung des Unternehmens seinem nur mittelmäßigen Sohn Wilhelm von Siemens überlassen hatte. Das war auch von außen zu erkennen: Die Siemens-KG hatte 14 Mio. verantwortliches Kapital, während Rathenaus AG sich auf 20 Mio. stützen konnte.

Auf dem Kraftwerksmarkt kam es zu einem ungezügelten Wettbewerb. Als Hamburg den Bau der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) ausschrieb, bewarben sich neben der Arbeitsgemeinschaft AEG/Siemens (eine Folge der Kartellabsprache) auch Schuckert, Nürnberg und Helios, Köln. Obwohl Helios die Günstigsten waren, schied das Unternehmen aus, weil es eine Wechselstromversorgung vorschlug. Die Berater des Senats meinten aber, „solche Anlagen seien für Hamburg nicht geeignet“. Den Zuschlag erhielt dann Schuckert, weil er der Stadt zusätzlich zur 20 %igen Konzessionsabgabe eine Gewinnbeteiligung bis zu 50 % einräumte. Das hatten AEG/Siemens nicht nötig. Den Siemensleuten passte allerdings Rathenau bei Angeboten des Konsortiums allzu oft. Der Kartellvertrag wurde aufgelöst. Rathenau erhielt damit das Recht, auch große Generatoren zu bauen. Siemens hielt das Risiko für verkraftbar, weil man glaubte, der AEG überlegen zu sein. Aber die Großaufträge in Italien und Südamerika verhalfen der AEG zu einem unglaublichen Erfolg, für den auch der Umstand verantwortlich war, dass ihm die beiden wichtigsten deutschen Bankiers als Aufsichtsratsvorsitzende zur Seite standen: Bis 1896 Georg Siemens, danach Carl Fürstenberg, Inhaber der Berliner Handels-Gesellschaft. Der Wettbewerb, wie er sich beispielsweise bei der HEW-Ausschreibung dargestellt hatte, konnte der AEG nichts anhaben. Das wussten schon frühzeitig nicht nur Rathenau, sondern auch seine Bankiers.

Die Konkurrenten beklagten sich über den Wettbewerb. Schuckert kritisierte: „Die Eifersucht der Konkurrenz bringt unnötige Preisschleudereien hervor“, Siemens sehnte sich nach amerikanischen Verhältnissen, wo „die elektrische Industrie bekanntlich von einer geringen Anzahl größerer Gesellschaften monopolisiert wird, die sich auf Preiskonventionen stützen und daher Lieferung zu hohen Preisen abschließen könnten“. Rathenau beteiligte sich an dem ruinösen Wettbewerb nur am Rande. Er versteckte mit Bilanzierungstricks große Gewinne vor den Aktionären und legte sie für schlechte Zeiten zurück. Dabei wurden sogar die Aktionäre getäuscht, indem in den Bilanzen nur die Produktionsgewinne ausgewiesen waren, nicht aber die aus Finanzierungsgeschäften und eigenen Aktien. Aufsichtsratsvorsitzender Fürstenberg kannte diese Manipulation nicht nur, sondern gab später zu, dass sie „zum Teil sogar auf meinen Rat“ erfolgten. Rathenau konnte so seine Kriegskasse mit Barem füllen. Dafür wurde auch das Instrument genutzt, Maschinen und Werkzeuge im Jahr der Anschaffung voll abzuschreiben.

Rathenau stand daher viel besser da als viele andere. Georg Siemens, als Bankier sehr hellsichtig, erwartete „in den nächsten drei Jahren eine ganz kolossale Pleite und befürchtete das Schlimmste für Helios, Kummer, Lahmeyer et tutti quanti“. Dieses Zitat aus einem Brief aus dem Vorstandsbüro der Deutschen Bank an Siemens vom 6.10.1900 war als Warnung gedacht. Aber die Firma Siemens hörte nicht darauf. Die Firmen Schuckert, Kummer und andere gerieten in Not; auch Siemens & Halske, die nur von ihrer Schwachstromabteilung gerettet wurde. Nur der AEG konnte der Konjunktureinbruch nichts anhaben. AEG vielmehr investierte, und zwar in die neuartige Dampfturbine, die für alle größeren Elektrizitätswerke äußerst vorteilhaft war. Die Banken rieten den Konzernchefs in aller Verschwiegenheit zu Arrondierungen und einem Kartell: Siemens schluckte Schuckert, AEG wollte Lahmeyer/Frankfurt kaufen. Doch die Firma wurde von dem großen Kabelhersteller Felten & Guilleaume gekauft. AEG kaufte sich dafür beim Schweizer Konkurrenten BBC ein. Helios wurde hingegen von Siemens und AEG aufgekauft und liquidiert, es wurde „Kapazität vom Markt genommen“.

Als die Konjunktur nach der Krise 1904 wieder ansprang, war Rathenau voll da. Von der Konkurrenz hatten außer Siemens nur noch Lahmeyer im Verbund mit Felten & Guilleaume und Bergmann/Berlin überlebt. Rathenau reiste im Herbst 1904 in die USA, um dort „mit General Electric über die Verteilung der elektrischen Welt zu verhandeln“. Tatsächlich schlossen die beiden Weltkonzerne einen Vertrag über den Austausch ihrer Patente und Erfahrungen, legten die Grenzen zwischen ihren Einflussgebieten weltweit fest und sicherten Heimatmarktschutz zu. In der ersten großen Untersuchung des Wettbewerbs auf dem amerikanischen Elektromarkt schrieb die Federal Trades Commission als Kartellbehörde der USA: „Durch diese Verträge wird nicht nur jede ausländische Konkurrenz in den USA ausgeschaltet. Sie verhindern auch, dass andere amerikanische Hersteller in den Besitz wichtiger ausländischer Patente und Fabrikationsgeheimnisse kommen, da diese exklusiv an die beiden großen Gesellschaften übergehen.“ Dasselbe gilt natürlich auch für die deutsche Stromwirtschaft. Gegen Ende der ersten Krise war „die elektrische Welt“ verteilt und die größte wirtschaftliche Machtkonzentration etabliert. Es begann die Herrschaft der Kartelle.

General Electric und Westinghouse in den USA beherrschten den amerikanischen Markt. AEG und Siemens beherrschten rund 75 % des deutschen Marktes. Siemens hatte 1900 rund 16.000 Arbeitnehmer, 1913 gab es schon 82.000. Die Krise wurde von beiden Unternehmen aber auch benutzt, um die Durchschnittsverdienste der Angestellten und Arbeiter zu drücken. Die Siemens-Arbeiterinnen in den Lampenfabriken hatten noch einen Stundenlohn von 32 Pfennig. Das Einkommen des Konzernchefs belief sich in der gleichen Zeit jährlich auf 1,1 Mio. Mark.

AEG, Siemens sowie Felten & Guilleaume bildeten ein Kabelkartell: Die Geschäftsführung verteilte alle Kabelaufträge nach festen Quoten auf die Mitgliedsfirmen und sorgte für ein stark überhöhtes Preisniveau. Dem gleichen Zweck dienten das Isolierrohrkartell und das Drahtsyndikat. Über den nationalen Rahmen hinaus ging das europäische Glühlampenkartell, für das wiederum die USA das Vorbild lieferten:

Mehrere kleine Unternehmen schlossen sich zur National Electric Lamp Company zusammen, die einen Marktanteil von 38 % erwarb. General Electric hatte 42 %, Westinghouse 13 %. Der Chef von General Electric, Coffin, hatte aber bereits bei der Gründung der National Electric heimlich 72 % des Aktienkapitals der kleinen Gesellschaften aufgekauft. Er hielt später sogar 100 %. Der ganze Wettbewerb war also nur vorgespielt. In den USA wurde statt der Kohlefaden- die Wolframfaden-Lampe entwickelt. General Electric schloss mit AEG, der Auer-Gesellschaft und Siemens Abkommen über den Austausch von Metallfaden-Rechten. Alle Patentpiraten wurden per Gerichtsbeschluss zur Aufgabe gezwungen. Glühlampenbau war nur noch aufgrund von Lizenzen von AEG und Siemens möglich.

Die Zeit war reif für einen Schritt über die Grenzen: AEG und Siemens gründeten 1903 das Europakartell mit den 16 wichtigsten Glühlampenherstellern: Gründung der „Verkaufsstelle Vereinigter Glühlampenfabriken“ mit Sitz in Berlin. Gemeinsam lieferten Siemens und AEG fast die Hälfte der in Europa verkauften Glühbirnen.

Ein Kind der Krise war schließlich die Gründung der „Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen“. Zweck war „die Herbeiführung und Aufrechterhaltung angemessener Preise für ihre Erzeugnisse“. Auch die Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen war ein Kartell. Man traf sich regelmäßig in Berlin zum Mittagessen (anglisierend Frühstück genannt). Ein Kölner Konkurrent, Herr Geist von der gleichnamigen Elektrizitätsgesellschaft, fand das „Frühstückskartell“ ausgezeichnet. Er hatte aber nicht rechtzeitig gemerkt, dass AEG, Siemens und Felten & Guilleaume-Lahmeyer innerhalb des Kartells ein Geheimkartell gebildet hatten, das gegen seine Firma vorging. Als er das schließlich merkte, schaltete Geist eine Anzeige, in der seine Preise für einen Motor und zwei Maschinen als 100 % gesetzt und die Preise der Konkurrenten damit verglichen werden. AEG schoss mit 175 % den Vogel ab. Geist war es ein leichtes, das als „Geheimkartell“ anzuprangern. Die Anzeige erzeugte ungeheures Aufsehen, nicht nur in der Branche, sondern auch in der Öffentlichkeit. Für Geist hatte sein Coup allerdings eine unliebsame Folge: Geist wurde aus dem „Frühstückskartell“ ausgeschlossen. Bei der Erteilung von Aufträgen wurde er zukünftig geschnitten. Immerhin prangerte das Berliner Tageblatt diese Vorgehensweise an.

Die Konzerne setzen außerdem auf Dumping. Ein Beispiel bot die Ausschreibung der Lichtanlage im Bahnhofsgebäude von Bad Homburg. Das Elektrizitätswerk der Stadt bot die Ausführung für 11.800 Mark an. AEG wollte für nur 4.500,70 Mark arbeiten, Siemens gar für nur 4.498,14 Mark: Unterschied: 2,56 Mark. Die Bad Homburger machten das publik, was für ungeheure Aufregung sorgte. Der Preußische Minister für öffentliche Arbeiten wies auf ein Reichsgerichtsurteil hin, wonach eine Absprache unter Ausschreibungsbeteiligten gegen die guten Sitten verstieß, wenn mit der Vereinbarung eine Täuschung des Auftraggebers bezweckt würde. Juristen der Konzerne stritten jede Täuschungsabsicht ab. Aber unter Ziff. 7 ihrer Kartellvereinbarung hieß es: „Der Schutz ist im Interesse der Geheimhaltung des Schutzabkommens nach Möglichkeit zu verschleiern.“ Das war Strategie der Konzerne also bereits seit 1901.

Auf dieser Basis wurden auch die überall im Reich errichteten Überlandzentralen ausgeschrieben. Die Handelskammer Aachen, ein preußisches Staatsorgan, veröffentlichte 1909: „Die Verkaufspreise erfuhren durch die Großfirmen eine derartige Herabsetzung, dass es unmöglich war, bei kleinen Maschinen die Gestehungskosten mit dem Marktpreis in Einklang zu bringen.“ Die Monopolbestrebungen der Großkonzerne setzen sich durch.

Die kleinen Unternehmen prangerten den „verzweifelten Kampf zwischen Spezialfabriken und den Großfirmen“ an, der aber schließlich doch zugunsten des Großkapitals entschieden wurde. Die preußische Regierung sollte Maßnahmen zum Schutz treffen. Doch die preußische Regierung machte nichts. Das Dumping brachte allerdings auch Kartellmitglieder in Schwierigkeiten. Felten & Guilleaume-Lahmeyer gerieten in eine wirtschaftliche Schieflage. Als Retter sprang wiederum Rathenau mit seiner AEG ein, der Aktien des Unternehmens übernahm und den Kabelkomplex in das Firmengebäude der AEG eingliederte. Die Dynamowerke von Lahmeyer wurden als lästige Überkapazität aus dem Verkehr gezogen.

In einer großen Reichstagsrede gegen „die monopolistische Ausbildung des Elektrizitätswesens“ wurden diese Zustände angesprochen. Der Reichstag wurde aufgerufen, die Gewerbefreiheit „gegen die Übermacht des koalierten Großkapitals“ zu schützen. Der zuständige Staatssekretär des Innern sagte, es handele sich „zweifellos um eine Konsequenz der bei uns bestehenden schrankenlosen Gewerbefreiheit“. August Bebel (SPD) rief dazwischen: „Der kapitalistischen Ordnung!“ Der Abgeordnete Delbrück sprach an, ob man nicht „derartige Betriebe zu Monopoleinrichtungen des Reiches oder der Bundesstaaten machen“ soll. Es handele sich schließlich um öffentliche Interessen. Deswegen müssten sie aus der Hand der Privaten in die des Staates gelegt werden. In seltener Einmütigkeit wollte der Reichstag den Vormarsch der Monopole blockiert sehen.

Während im Reichstag die Verstaatlichungsdrohung ertönte, beschlossen die Monopole, den letzten Konkurrenten, den Bergmann-Konzern, auszuschalten. Bergmann war nach der Krise sehr groß geworden, und zwar mit massiver Unterstützung durch die Deutsche Bank. Bergmann hielt sich nicht an die Preisvereinbarungen und unterbot AEG und Siemens häufig um 10 bis 20 %. Aber: Während im Reichstag der Vernichtungskampf der Monopole verdammt wurde, erschien Wilhelm von Siemens in der Vorstandsetage der Deutschen Bank und verlangte, dass dem letzten Konkurrenten der Geldhahn abgedreht werde.

Denn Bergmann hatte sein Kampf um Marktanteile massive Finanzprobleme eingebracht. Die Deutsche Bank sollte helfen. Wilhelm von Siemens legte ein Veto ein. Aber die Deutsche Bank reagierte, wie bei der Großfinanz üblich, ausgewogen. Es wurde ein Kompromiss arrangiert: Siemens hob sein Veto auf und kaufte ein Drittel der neuen Bergmann-Aktien aus einer von der Deutschen Bank gestützten Kapitalerhöhung. Ergebnis: Bergmann blieb nominell an der Spitze des Konzerns, sein Stellvertreter wurde ein Siemens-Mann. AEG und Siemens beherrschten den deutschen Markt.

Es hatte also keine zwanzig Jahre gedauert, bis die großen Industriellen den Strommarkt unter sich aufgeteilt hatten: In Deutschland gab es ein Kabel- und ein Isolierrohrkartell: das Drahtsyndikat. Die Preise für viele weitere Produkte wurden von der „Vereinigung Deutscher Elektrizitätsfirmen“ festgelegt; auch diese war ein Kartell. Die Preise für Glühlampen wurden sogar europaweit festgelegt, und zwar mit dem 1903 gegründeten europäischen Glühlampenkartell. Der amerikanische Markt wurde beherrscht von General Electric und Westinghouse. Rathenau und Siemens, Herrscher über den deutschen Markt, sprachen sich schließlich mit den beiden US-Giganten ab. So teilten die weltweit führenden Industrien in Europa und den USA den Markt unter sich auf und schufen so lange vor dem Ersten Weltkrieg ein System, mit dem Wettbewerb systematisch ausgeschaltet wurde.

5. Kapitel
Hugo Stinnes: Die Ehe zwischen dem RWE und den Kommunen

Schon das erste größere Geschäft, das der damals 28jährige Zechenbesitzer Hugo Stinnes abschloss, zeigt seine Genialität, allerdings auch seine Schlitzohrigkeit. Stinnes, dem seine Familie schon mit 21 Jahren das Geschäft mit Zechen, Kohlenhandel und einer Flotte von Rheinschiffen anvertraut hatte, erfuhr, dass die Stadt Essen auf der Grenze zu seiner Zeche Victoria Mathias ein Kraftwerk errichten wollte. Er bot der Kraftwerks-Gesellschaft RWE, die ihn im April 1898 in den Aufsichtsrat gewählt hatte, obwohl er keine einzige Aktie besaß, den Verkauf von Dampf aus dem Kesselhaus seiner Zeche an. Die Sache hatte nur einen Haken: Stinnes hatte sich vertraglich verpflichtet, so wie alle Mitglieder des Rheinisch-Westfälischen Kohlesyndikats, ihre Kohle nur zu den (hohen) Preisen des Syndikats zu verkaufen. Stinnes aber verkündete seinen Mitarbeitern: „Dampf ist keine Kohle!“ Prompt verklagte ihn das Syndikat auf Unterlassung – und verlor schließlich beim Reichsgericht.

Stinnes Geschäftsidee war schon damals, dass man nicht nur mit dem Verkauf von Anlagen, sondern auch von Strom Geld verdienen konnte. Deswegen drängte er das RWE, statt des geplanten Generators mit einer Leistung von 500 Kilowatt einen solchen für 1.200 Kilowatt aufzustellen. Der Lieferantin war das nur Recht: Das RWE war nämlich eine Betriebsgesellschaft des Lahmeyer-Konzerns. Die Frankfurter hatten die Konzession von der Stadt Essen erworben, um ein Kraftwerk zu verkaufen.

Der Stromverkauf selbst interessierte Lahmeyer als Anlagenbauer kaum. Für ihn spielte auch die kommunale Licht-Kundschaft nicht die entscheidende Rolle. Der Markt, der erschlossen werden musste, lag vielmehr beim Industrie-Kraftstrom. Denn der von der Industrie in ihren dezentralen und störanfälligen Eigenanlagen produzierte Strom konnte auch in Großkraftwerken hergestellt werden, wie sie Stinnes schon vorschwebten. Dafür war das Lahmeyer’sche Geschäftsmodell allerdings nicht geeignet. Lahmeyer war als Anlagenbauer nur am Verkauf seiner Generatoren interessiert. Deswegen verkauften die Konzerne die Betriebsgesellschaften schon nach wenigen Jahren mit beträchtlichen Gewinnen an die Kommunen, wodurch aus gemischt-wirtschaftlichen dann öffentlich-rechtlich organisierte kommunale Unternehmen wurden. So allerdings nicht beim RWE: Die Chance kam schon im Jahr 1902. Der Lahmeyer-Konzern war in der Stromkrise 1901 in Schwierigkeiten geraten und brauchte dringend Bargeld. Stinnes besprach sich mit seinem 28 Jahre älteren Freund und Geschäftspartner August Thyssen. Resultat des Gesprächs: 86 % der RWE-Aktien aus dem Besitz von Lahmeyer gingen an die Herren Stinnes und Thyssen aus Mühlheim an der Ruhr über.

Vom Charakter her waren beide äußerst unterschiedlich. Hugo Stinnes war ein prüder Protestant, der patriarchalisch für Frau und sieben Kinder sorgte. August Thyssen hingegen – nur 1,54 groß und geschiedener Katholik – hatte eine Vorliebe für dralle Damen und derbe Witze. „Thyssen war ein Herr, aber kein feiner“, schreibt Pritzkoleit.2 Aber beide waren gleichzeitig glänzende Techniker, hervorragende Organisatoren und geniale Finanzakrobaten. Thyssen lieh sich 24.000 Mark von seinem Vater und baute den größten und modernsten europäischen Stahlkonzern. Stinnes wurde auf ähnliche Weise von seiner Mutter unterstützt, sanierte scheinbar todkranke Unternehmen und gründete den ersten Mischkonzern der Wirtschaftsgeschichte. Aber beide legten keinen Wert auf Repräsentation: Thyssen schrieb an seine Direktoren: „Ich bitte die Herren, zur Sitzung einige Butterbrote mitzubringen, damit wir durch das Mittagessen keine Zeit verlieren.“ Stinnes hatte eine Schwäche für Eintopf und lehnte Orden und Titel ab. Für Romane oder Theater hatte er weder Zeit noch Sinn, sondern lebte im Dauerstress seiner Transaktionen. Seine Frau Claire stützte ihn. Trotz der vielen Kinder fanden sie immer Zeit, die größeren Geschäfte durchzusprechen. Für Walter Rathenau war Stinnes „ein Zweckmensch, jenseits von Geist und Gottheit“. Sein Biograph von Klass schreibt: „Stinnes liebte die Nacht mehr als den Tag. Der Fernsprecher war ihm ein unentbehrliches Requisit. Wenn andere schlafen gingen, führte er seine stundenlangen Ferngespräche, bei denen es immer um höchst konkrete Geschäfte ging.“

Diese Geschäfte betrieb Stinnes um der Expansion willen. Das Unternehmen hieß ja Rheinisch-Westfälisches und nicht Essener Elektrizitätswerk. Stinnes und Thyssen schrieben in ihren ersten Geschäftsbericht nach Übernahme des RWE: „Wir betrachten es, im Gegensatz zu den meisten Kommunalbetrieben, nicht als unsere Aufgabe, unter Ausnutzung unserer Monopolstellung in einzelnen Gemeinden bei geringem Stromabsatz großen Gewinn zu machen, sondern wir gedenken, dadurch unsere Aufgabe für uns und für die Allgemeinheit zu erfüllen, dass wir den Konsumenten, insbesondere der Eisenbahnverwaltung und der Industrie, zu den denkbar billigsten Preisen größtmögliche Strommengen zur Verfügung stellen.“ Die Akquisitionen liefen über den Strompreis: Der Bau immer größerer Dampfturbinen erlaubte die Senkung des Strompreises von 60 auf 40 Pfennig pro Kilowattstunde. Jeder neue Stromkunde erhielt für die ersten drei Jahre zusätzlich einen Rabatt von 20 %. Da für die Gestehungskosten der Kohlepreis ausschlaggebend war, plante Stinnes ein neues Kraftwerk in Düsseldorf, das mit der dort billigeren Braunkohle betrieben werden sollte. Der Chef des Steinkohlesyndikats, Emil Kirdorf, war alarmiert. Aber er konnte Stinnes von dem Plan erst abbringen, in dem er Steinkohlelieferung zu Preisen anbot, die erheblich unter den üblichen des Syndikats lagen – was Stinnes von Anfang an bezweckt hatte. Als Gegenleistung machte Stinnes dem Syndikat den Vorschlag, einen Gegenseitigkeitsvertrag zu schließen, um den Bau von äußerst unrentablen Spitzenlastkraftwerken zu vermeiden. Tagsüber sollte das RWE den Strom für den allgemeinen Verbrauch liefern. Aber abends, zur Zeit der „Lichtspitze“, nahm das RWE den dann nicht mehr arbeitenden Zechen den Strom ab. Das war das erste überörtliche Verbundsystem verschiedener Kraftwerke.

Dieses System setzte Stinnes ein, um die gesamte Elektrizitätsversorgung des Ruhrgebiets und des Rheinlands in die Hand zu bekommen. Städte und Gemeinden ohne eigenes Kraftwerk wurden durch niedrige Strompreise und hohe Konzessionsabgaben angelockt, bestehende Kraftwerke aufgekauft und entweder geschlossen oder als Reserve- und Spitzenlastkraftwerke weiterbetrieben, um Verbraucher und Politiker über die veränderten Machtverhältnisse im Unklare zu lassen. Nach drei Stinnes-Jahren versorgte das RWE die Städte Essen, Mühlheim und Gelsenkirchen, belieferte über die aufgekaufte Tochter Bergisches Elektrizitätswerk die Industrie im Bergischen Land, betrieb im Umkreis von Köln zwei kleinere Kraftwerke auf der spottbilligen Braunkohle und begann den Bau einer Überlandzentrale in Westfalen. Thyssen dazu: „Stinnes ist der tüchtigste Geschäftsmann, den ich kenne.“

Daraus entstand das „gemischt-wirtschaftliche Unternehmen“. Stinnes baute die Kommunen als Aktionäre in das RWE-Netz ein. Die Kommunen hatten zwar nicht die Kapital-, aber die Stimmenmehrheit. Sie bekamen hohe Dividenden und erhielten Konzessionsabgaben. Zusätzlich bekamen die Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte in den Aufsichtsräten hohe Tantiemen – Summen in der Höhe ihrer Beamtensaläre. Im Gegenzug erhielt das RWE langfristige Konzessionsverträge und billige Kommunaldarlehen. In nur acht Jahren baute Stinnes ein ausgedehntes Stromimperium auf. Trotz des Monopols sanken die Strompreise. Eine amtliche Statistik von 1913 zeigt, dass man beim RWE eine Kilowattstunde für 5,8 Pfennig Selbstkosten produzieren konnte, während die Stadtwerke Hannover und Nürnberg 22 und die Stettiner sogar 38 Pfennig aufwenden mussten. Erheblich ins Gewicht fiel ferner, dass das RWE ohne Transportkosten direkt auf der Brennstoffbasis produzierte.

Ein Geschäft misslang allerdings: Stinnes wollte den jungen rheinischen Braunkohlekönig Paul Silverberg in seinen Einflussbereich locken. Doch der Gründer und Chef der Rheinischen Aktiengesellschaft für Braunkohlebergbau und Brikettfabrikation, kurz Rheinbraun, baute lieber ein eigenes Großkraftwerk neben seinen Gruben und nahm Stinnes beim Rennen um Stromlieferverträge die Städte Köln und Mühlheim/Rhein ab. Zwar hatten die Kölner Stadtwerke sich das Recht ausbedungen, den von Silverberg gelieferten Strom auf eigene Rechnung an die umliegenden Landkreise weiterzuverkaufen. Doch dort war nichts zu machen: „Die vom RWE“ hatten die Landräte längst auf ihre Seite gezogen, und zwar nicht nur mit – wie geschildert – günstigen Strompreisen und hohen Konzessionsabgaben. Vielmehr hatten die Landräte, nunmehr im Aufsichtsrat des RWE oder seinem Beirat, plötzlich alle ein Auto, für damalige Verhältnisse ein Millionärsgefährt. Köln war umzingelt und die Truppen frei für einen neuen Einsatz: „Zu Beginn des Jahres 1911 erstreckte sich der Tätigkeitsbereich des RWE von der holländischen Grenze bis südlich von Bonn, sein Einfluss machte sich durch Beteiligungen bis nach Westfalen, Hessen, Thüringen und Baden geltend“, heißt es bei Asriel.3 Trotz der enormen Absatzerfolge waren allerdings 1913 erst 15 % der deutschen Haushalte und nur jede fünfte Kommune an das Stromnetz angeschlossen.

Das Reich verlor den ersten Weltkrieg. Jedoch konnte das RWE dank der Belieferung der Rüstungsindustrie seinen Stromverkauf von 290 auf 800 Mio. Kilowattstunden steigern. Stinnes wurde nicht nur Reichstagsabgeordneter, sondern nutzte die schon vor Kriegsende gewonnene Einsicht, dass es zu einer katastrophalen Inflation kommen würde. Sein System war einfach: Er kaufte Sachwerte – Firmen, Aktien oder Rohstoffe – zu niedrigen Zinsen auf Kredit und hielt alle Guthaben seiner Konzerne in Devisen. Der Wertverlust der Mark eliminierte die Kreditforderungen und steigerte umgekehrt proportional den Wert der Devisen auf dem Inlandsmarkt. Keine Woche verging, in der Stinnes nicht irgendwo im Reich ein Unternehmen gekauft hatte; insgesamt 1.535 mit 2.888 Fabriken und 600.000 Arbeitern. Das machte ihn zum größten Inflationsgewinnler und zum verhasstesten Kapitalisten des Deutschen Reiches. Stinnes kam auch an das – nach Rheinbraun – zweitgrößte Braunkohleunternehmen, die Roddergrube. Als deren Aktionäre auf dem Höhepunkt der Inflation feststellten, dass ihre Braunkohleaktien nur noch wertloses Papiergeld einbrachten, ließen sie sich von Stinnes überreden, eine Roddergruben-Aktie gegen zwei frisch gedruckte RWE-Aktien einzutauschen. Stinnes stand jetzt an der Spitze eines auf der Welt einmaligen Supermischkonzerns. Ihm gehörten neben den eigenen Montanbetrieben noch die Gelsenkirchener Bergwerks AG, der Bochumer Verein (Stahl). Selbst der Siemens-Konzern geriet unter den Einfluss von Stinnes, und zwar in der „Siemens-Rheinelbe-Schuckert-Union“. Nie hatte es einen mächtigeren Unternehmer gegeben. Aber im Jahr 1924 wurde er schwer krank und starb im Alter von erst 54 Jahren. Noch auf dem Sterbebett schärfte er seinen Söhnen ein: „Denkt daran: Was für mich Kredit ist, sind für Euch Schulden. Eure vornehmste Aufgabe wird sein: Schulden bezahlen, Schulden bezahlen, Schulden bezahlen.“ Aber seine noch nicht 30 Jahre alten Söhne deckten nicht alte Schulden ab, sondern machten neue. Ein Jahr nach dem Tod des Vaters zerfiel das Stinnesreich. Aber das RWE überlebte.

Seine Nachfolger, insbesondere der geniale Arthur Koepchen, nutzen besonders eine seiner Akquisitionen aus der Vorkriegszeit: Den Erwerb des Lahmeyer-Konzerns. Lahmeyer hatte nämlich RWE den Weg nach Süden geöffnet. Die Frankfurter hatten vier reizvolle Tochterunternehmen: Die Mainkraftwerke in Höchst versorgten das rechtsrheinische Gebiet im Norden bis in den Westerwald und mainaufwärts bis Aschaffenburg. Das Kraftwerk Altwürttemberg in Ludwigsburg und das Großkraftwerk Württemberg in Heilbronn waren Stromlieferanten der schwäbischen Kernlande. Die Lech-Elektrizitätswerke besaßen Wasser- und Dampfkraftwerke samt Netz in Bayern. Außerdem hatte Stinnes die AG für Energiewirtschaft in Berlin erworben, eine Holding mit den süddeutschen Töchtern Überlandwerke Niederbayern in Landshut, Bayerische AG für Energiewirtschaft in Bamberg, Ostbayerische Stromversorgung, München und Überlandwerke Oberfranken.

Für Koepchen, der ein hervorragender Techniker war, war dieses süddeutsche Standbein der Anlass für die Ergänzung des „schwarzen“ Stroms aus den Kohlekraftwerken mit „weißem“ Strom aus Wasserkraftwerken in Süddeutschland und den Alpenländern. Dafür musste man allerdings erst die Spannung in den Überlandleitungen auf 220.000 Volt steigern. Koepchen studierte zur Lösung dieser Aufgabe Erfahrungen, die man in den USA gemacht hatte. Die erforderlichen Aufgaben stellte er den Firmen Siemens, AEG und Felten & Guilleaume. So konnte Ende 1924 damit begonnen werden, eine Höchstspannungsbrücke zwischen dem Kohlestrom von Rhein und Ruhr und dem weißen Wasserkraftstrom zu verwirklichen. Ein Beispiel konnte das RWE beim gerade fertig gestellten Walchenseekraftwerk des Bayernwerks studieren, das Oskar von Miller entworfen hatte. In den Pumpspeicherkraftwerken der Schluchsee AG, an der RWE beteiligt war, konnte man den zur Nachtzeit billigen Kohlestrom nutzen, um Wasser von niedriger gelegenen in höher gelegene Speicherseen zu pumpen. Tagsüber, zu Zeiten des Spitzenlastbedarfs, stürzte das Wasser dann herab, um den Strom so zu „veredeln“. Dafür war der Bau einer letztlich 800 km langen Trasse quer durch West- und Süddeutschland nötig. Bis zum Jahr 1930 verlegte das RWE insgesamt 4.100 km Höchstspannungsleitungen. Neben dem Bau des Schluchseewerks im Schwarzwald wurden Zubauten in der Schweiz mit zwei Flusskraftwerken am Hochrhein und Aare beendet. Im Jahr 1929 kam es erstmals zu dem geplanten Austausch weißen Stroms in der Spitzenzeit und Rückfluss schwarzen Pumpstroms nachts. Das RWE stand auf der Weltrangliste der Stromverkäufer nach drei US-Konzernen auf Platz 4 und war an Europas Spitze. So wurde die Stromproduktion für das RWE immer billiger, so dass zahlreiche Industrieunternehmen ihre eigene Stromerzeugung einstellten. Diese Expansion des Konzerns wurde allerdings auf längere Sicht von den Tarifkunden bezahlt. Sie subventionierten nämlich mit ihren hohen Strompreisen die niedrigeren Industriestrompreise und damit die Akquisitionen des RWE.

2 Kurt Pritzkoleit, Männer, Mächte, Monopole. Hinter den Türen der westdeutschen Wirtschaft, 1953. 3 Asriel, Camillo J., Das R. W.E., Rheinisch-westfälisches Elektrizitätswerk Essen a.d. Ruhr. Ein Beitrag zur Erforschung der modernen Elektrizitätswirtschaft, 1930.

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