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Vorwort

Im Jahre 1984 erschien ein Buch, dessen Titel „Der Stromstaat“ nicht auf Anhieb erkennen ließ, worum es ging. Autor war der Journalist Günter Karweina, der zum Gründungsteam des SPIEGEL gehörte und dann Bonner Korrespondent des Norddeutschen Rundfunks wurde. Er war ein großer Spezialist für die Energiewirtschaft und muss einen riesigen Zettelkasten gehabt haben (das Internet gab es noch nicht), aus dem sein Buch eine unglaubliche Farbigkeit zog.1 Sein Buch erzählt sehr detailreich die Wunderwerke des genialen Erfinders Thomas Alva Edison, dessen Firma zur Mutter des US-Konzerns General Electric wurde. Emil Rathenau, Gründer der AEG, war auf ihn aufmerksam geworden und kaufte bei ihm Patente für die Glühlampe und alles, was drum herum gebraucht wurde. Die Dynamos bekam Rathenau von einem anderen genialen Erfinder und Unternehmensgründer, Werner Siemens (geadelt wurde er erst später). Die beiden verstanden sich ausgezeichnet, aber während es Siemens’ Unternehmen heute noch gibt – es ist mit 81 Mrd. Euro eines der wertvollsten Unternehmen im DAX (7/2015) – musste die AEG wegen zahlreicher unternehmerischer Fehlleistungen 1982 Vergleich anmelden und wurde in Teilen verkauft. Ein anderer genialer Unternehmer aus der Zeit der Jahrhundertwende 1900 war Hugo Stinnes, der frühzeitig die Vorteile kostengünstiger Stromerzeugung in Großkraftwerken erkannte und damit das RWE zu einem auch heute noch großen Unternehmen machte – es steckt jetzt allerdings in der Krise. Stinnes hatte die geniale Idee, viele nordrhein-westfälische Kommunen zu Aktionären des RWE zu machen. Im Gegenzug erhielt er über 50 Jahre laufende Konzessionsverträge und riesige gesicherte Absatzgebiete. Während der Inflation hatte er sein Geld im Ausland angelegt und kaufte damit eine Vielzahl entwerteter Unternehmen auf, was ihn zum größten Unternehmer Deutschlands machte. Aber seine Kinder verspielten das Erbe.

Ein Geschäftsmerkmal der Stromwirtschaft war das Kartell. Unter Anführung der Amerikaner wurden riesige Kartelle gestrickt, beispielsweise das weltweite Glühlampenkartell Phoebus. Aber eine wirksame Kartellaufsicht konnte in Deutschland, anders als in den USA, nicht durchgesetzt werden. Im Gegenteil: Die Nazis fanden die kartellierte Stromwirtschaft gut und bewahrten sie mit dem Energiewirtschaftsgesetz 1935 vor den „schädlichen Folgen des Wettbewerbs“, wie es in der Präambel hieß.

Warum Karweina sein Buch „Der Stromstaat“ genannt hatte, erschließt sich bei Beleuchtung der Frage, wem die Stromwirtschaft eigentlich gehörte. Das waren einmal die Kommunen, deren Eigenbetriebe, quasi Ämter der Verwaltung, etwa die Hälfte der deutschen Stromwirtschaft ausmachten. Außerdem entstanden neben dem RWE, an dem Kommunen die Stimmenmehrheit hielten, in der Inflationszeit die Landeselektrizitätsgesellschaften wie PreussenElektra, Badenwerk, später die Energieversorgung Schwaben etc., über die die Länder unmittelbaren Einfluss auf die Stromwirtschaft erhielten. Bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte damit die Stromwirtschaft fast völlig dem Staat, wenn man von den privaten Stromversorgern und der industriellen Eigenerzeugung absieht. So erklärt sich, warum es bis in unsere Tage keine wirksame Aufsicht über die Stromwirtschaft gab: Der Staat wollte sich eben nicht selbst Fesseln anlegen.

Diese Erkenntnis gab den Anstoß für dieses Buch. Sein Autor, Anwalt, in verschiedenen Bereichen des Verwaltungsrechts erfahren, wurde mit einem spektakulären Prozess vor dem Bundesverfassungsgericht Quereinsteiger ins Energiewirtschaftsrecht. Es gelang, den westdeutschen Energiekonzernen die kommunalen Stromversorgungen, die sie der Regierung der DDR abgekauft hatten, wieder wegzunehmen. Das war eine Folge des geschärften Blicks für die Triebkräfte hinter unscheinbaren rechtlichen Regeln. Sie lösten den Wunsch aus, mit diesem geschärften Blick auch die weitere Entwicklung der Stromwirtschaft zu betrachten, allerdings auch unter rechtlichen Aspekten. Denn – anders als bis zum Zweiten Weltkrieg – bemächtigte sich der Staat danach auch des Energiewirtschaftsrechts (jetzt des Energierechts; warum, werden wir sehen).

Günter Karweina sollte und musste mit seinem tollen Buch ein Denkmal gesetzt werden. Deswegen bedient sich der Autor vieler wörtlicher Formulierungen, die in ihrer Aussagekraft nicht zu übertreffen sind. Aber Karweinas 170 Seiten bis zum Zweiten Weltkrieg wurden ganz stark gekürzt, auf 43 Seiten. Außerdem wird der Blick konzentriert auf die rechtlich relevanten Bereiche, die Karweina als Journalist nicht mit demselben Gewicht herausarbeitete.

Es waren die Amerikaner, die in Deutschland ein Kartellgesetz erzwangen. Aber der Staat und seine Unternehmen verhinderten den Zugriff der Kartellaufsicht auf die Energiewirtschaft, sie blieb „Ausnahmebereich“. Dieser Rechtszustand änderte sich erst 1998, nachdem die EU die Mitgliedstaaten zur Liberalisierung auch der Energiemärkte gezwungen hatte. Diese Entwicklungen – die Entstehung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, der Stromstreit vor dem Bundesverfassungsgericht in 1991/92, die Liberalisierung – werden in den ersten Kapiteln dargestellt. Dabei war sehr hilfreich, dass der Autor jedenfalls seit dem Stromstreit intensiv auf die Liberalisierung Einfluss nehmen konnte, etwa mit den Musterprozessen gegen die langfristigen Strom- und Gaslieferverträge der Konzerne. Aus diesen Aktivitäten ist übrigens eine Anwaltskanzlei entstanden, die die wohl führende europäische Energieanwaltsfirma darstellt, was auch damit zusammenhängt, dass Deutschland eine wegen der zahlreichen Stadtwerke pluralistische Energiewirtschaft hat, die viel Beratungsbedarf erzeugt.

Es folgen die Darstellungen der aktuellen Entwicklungen und Auseinandersetzungen: Die Zulassung der Fusionen RWE/VEW durch das Bundeskartellamt und von VEBA/VIAG mit ihren Töchtern PreussenElektra und Bayernwerk zu E.ON durch die Europäische Kommission. Statt das Entstehen von marktbeherrschenden Giganten zu verhindern, haben die Kartellaufsichten sie gefördert – mit fragwürdigen Rechtfertigungen. Als große Fehlleistung erwies sich auch die Zulassung der Fusion E.ON/Ruhrgas mit Hilfe einer Ministererlaubnis; eine Fehlleistung allerdings nur des Staates, während E.ON damit ein glänzender Coup gelungen ist, der das Unternehmen zu einem der größten Energiekonzerne der Welt machte. Minister Müller musste sich auf Druck der Öffentlichkeit aus dem Verfahren zurückziehen. Sein Staatssekretär Tacke übernahm die Erteilung der Ministererlaubnis – und beide wurden belohnt: Minister Müller wechselte vom Kabinett zum Vorstandsvorsitzenden der RAG, Tacke wurde Chef der STEAG; gut für die beiden, aber für den Rechtsstaat ein Trauerspiel.

Auch die staatliche Überwachung der Strompreisbildung war kein Glückserlebnis für die Verbraucher. Die staatliche Preisaufsicht, eingerichtet in den siebziger Jahren, blieb weitgehend wirkungslos, was nicht nur an der mangelhaften Ausstattung der Landesbehörden lag, sondern auch an den rechtlichen Regularien. Nach der Liberalisierung gab es kurzzeitigen heftigen Wettbewerb insbesondere zwischen RWE und EnBW. Aber der wurde beigelegt, indem sich die Konzerne über ihre Vorgehensweise bei der Preisbildung an der EEX verständigten. Da es keine „Andienungspflicht“ an der Börse gibt, wurden 80 % des Stromhandels „over the counter“ abgewickelt. Beim Rest wurde preisbestimmend nicht etwa ein Mix aus den kostengünstig produzierenden und den teureren Kraftwerken, beispielsweise auf Erdgasbasis, sondern nur das jeweils teuerste. Der Staat hat weder die grundsätzliche Konstruktion des börslichen Strompreishandels noch den Handel im Einzelnen überwacht und reguliert. Es fehlte an einer Meldepflicht für die Aufsichtsbehörde, am Verbot des Insiderhandels und am Marktmanipulationsverbot für den Spotmarkt, der der wesentliche Preissetzer ist. Eine groß angelegte Untersuchung der Europäischen Kommission, für auch die Konzernzentralen durchsucht wurden, endete trotz zahlloser belastender Indizien in einem Vergleich: E.ON musste sich zur Abwendung eines milliardenschweren Bußgeldes verpflichten, sein Höchstspannungsnetz und etwa 10 % seiner Kraftwerkskapazitäten zu verkaufen. Ergebnis für den Verbraucher: Fehlanzeige.

Aber das Verhalten von E.ON war eine vertiefte Untersuchung wert: E.ON war allein in drei Untersuchungsverfahren der Europäischen Kommission verstrickt und erntete zwei saftige Bußgelder. Es fanden zahlreiche Treffen der deutschen und europäischen Konzernlenker statt, die wohl die Funktion hatten, zu abgestimmtem Verhalten zu kommen. Das ist alles dokumentiert in einem Schriftsatz des Bundeskartellamts, der eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war, aber im E.ON-Kapitel beleuchtet und im Anhang dokumentiert wird. Warum es nicht zu weitergehenden Untersuchungen kam, legt eine Betrachtung der Ausstattung des Bundeskartellamts nahe: Der Gesetzgeber stattete das Amt so dürftig aus, dass die Beamten zu einer wirklich effektiven Kartellaufsicht, sei es Missbrauch-, sei es Fusionskontrolle, kaum kommen.

Mehrere aktuell gewordene Kapitel befassen sich mit der Atomverstromung und dem unaufhaltsamen Aufstieg der Erneuerbaren Energien. Mit der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“ bei der Atomverstromung, vom Staat als Gegenmodell zu ihrer kriegerischen Nutzung gedacht, wie sie in den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki stattfanden, wurde – zunächst gegen den Willen der Konzerne – eine Technologie platziert, die unsicher war und ist, die wegen der ungelösten Entsorgungsfrage ein großes Zivilisationsrisiko erzeugt und letztlich ohne Zukunft ist. Aber die Kosten der Technologie sind immens – und bis heute nicht sauber aufgelistet.

Die Gefahren der Atomverstromung wurden in Deutschland hinter dem Begriff „Restrisiko“ versteckt. Die Atomgemeinde bemühte sich, die Eintrittswahrscheinlichkeit des Größten Anzunehmenden Unfalls (GAU) herunterzurechnen. Eine Basis lieferte der Rasmussen-Report (1975). Die dort ermittelten Abschätzungen – Wahrscheinlichkeit eines GAUs 1:1.000.000 – dienten der Rechtsprechung als Anknüpfungspunkt dafür, dem gegen ein AKW klagenden Bürger schon die Klagebefugnis abzusprechen: Das Bundesverfassungsgericht forderte im berühmten Kalkar-Beschluss vom 8.8.1978, dass Genehmigungen nur erteilt werden dürften, wenn es nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen erscheine, dass große Schadensereignisse eintreten. Aber was „praktisch ausgeschlossen“ war, definierte die Atomgemeinde. Alle anderen Unfallszenarien gehörten zum „Restrisiko“ und lieferten kein Klagerecht. Die GAUs von Tschernobyl und jetzt von Fukushima haben die fürchterlichen Beweise dafür geliefert, wie sehr sich Menschen irren können. Die Frage hat auch eine ethische Dimension, und daher war es richtig, dass die Bundesregierung nach dem Fukushima-Unfall eine Ethikkommission zur Bearbeitung dieser Frage berufen hat und jetzt aus der Atomversorgung aussteigt.

Es ist letztlich eine List der Technikgeschichte, dass die Erneuerbaren Energien der Atomverstromung den Garaus machen werden. Schon jetzt sind die Erneuerbaren Energien in Deutschland so ausgebaut, dass sie „in die Grundlast der Kernkraftwerke fahren“ und sie zur Drosselung des Betriebs zwingen. Im Jahr 2020 soll es die bisherige Grundlast aus Steinkohle, Braunkohle und Kernkraft nicht mehr geben. Bis 2050 könnte die Stromerzeugung vollständig auf Erneuerbare Energien umgestellt sein. Dass das möglich ist, zeigt ein aktuelles Gutachten des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Aber hier liegt auch ein epochaler Konflikt: Den Stromkonzernen, die über hundert Jahre die deutsche Stromversorgung garantierten und bis heute daraus viel Geld erlösen, wird langsam das Heft aus der Hand genommen. Private Investoren und Stadtwerke, natürlich auch die Stromkonzerne, bauen Wind-, Wasserkraftwerke, Photovoltaikanlagen, verstromen Biomasse etc. Es entsteht eine bunte Vielfalt von Pfaden. Hier spielen auch Stadtwerke mit ihrer dezentralen Erzeugung und Versorgung eine entscheidende Rolle. Aber es bestehen zwei Herausforderungen: Das Höchstspannungsnetz muss ausgebaut werden, um große Strommengen über hohe Entfernungen zu transportieren. Und es sind Speicher nötig, weil Strom aus Erneuerbaren Energien „zwischengelagert“ werden muss. Dafür könnten in Deutschland z.B. Druckluft- und – im Verbund mit Norwegen – Pumpspeicherkraftwerke gebaut werden. Aber hier halten sich die Konzerne bewusst zurück, um ihre Kraftwerke möglichst lange am Netz zu haben.

Der Staat hat mit der Energiewende politischen Gestaltungswillen und Gestaltungskraft gezeigt. Die Grundlage wurde mit dem EEG 2000 und dem Energiekonzept der Bundesregierung vom September 2010 gelegt. Allerdings standen die beiden Pfade der Stromerzeugung – der fossil/nukleare und der erneuerbare – praktisch unvermittelt nebeneinander. Es musste zu Einspeisekonkurrenzen, zum „Kampf um das Netz“ kommen. Zudem stand die Laufzeitverlängerung verfassungsrechtlich auf tönernen Füßen. Aber die Art und Weise, wie der Unfall von Fukushima in der Energiewende verarbeitet wird, signalisiert nicht nur eine entschiedene Kehrtwende, sondern beschert Deutschland eine weltweit einzigartige Stellung: Der Staat hat die Energiewende bereits vor über zwanzig Jahren angestoßen, nämlich mit dem Stromeinspeisungsgesetz von 1990. Der dadurch und durch das EEG getragene Umbauprozess hat nicht nur eine starke Erneuerbare Industrie entstehen lassen. Vielmehr ist auch eine rechtliche Infrastruktur entstanden. Die Parlamentarische Demokratie hat die Energiewende bereits institutionalisiert. Eins ist absehbar: In der Stromerzeugung wird es zu einem Machtwechsel kommen. An die Stelle der Stromerzeugung in den Konzernen treten die dezentralen Einspeiser aus Erneuerbaren Energien. Die fossile und nukleare Stromerzeugung wird abgewickelt. Aber das geht nicht ohne Auseinandersetzungen. Und wir stecken mitten drin.

Das war der Schluss des Vorworts für die zweite Auflage 2011. Für die dritte Auflage 2020 habe ich ein drittes Buch geschrieben: Die Energiewende: Ein Jahrhundertprojekt. Dessen erstes Kapitel mit derselben Überschrift hat einen Schlussabschnitt: „Der deutsche ‚Sonderweg‘ – ein Glück!“. Und das ist die deutsche Energiewende in der Tat, ein Sonderweg. Es begann mit dem EEG von 1990, das weitgehend auf den linken Sozialdemokraten Hermann Scheer zurückzuführen ist. Er sorgte dafür, dass das EEG – und damit befasst sich das nächste Kapitel – nicht in der Ministerialbürokratie „weichgespült“ wurde; die Erfahrung zeigte nämlich, dass die Stromkonzerne über die jahrzehntelang aufgebauten lobbyistischen Beziehungen zum Bundeswirtschaftsministerium alles nach Kräften verwässerten. Der Bundestag stimmte daher auch nicht über eine Regierungsvorlage ab, sondern über einen Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundestags.

Nach dem Kapitel zum Energiekonzept der Bundesregierung 2010 kommt ein weiteres Kapitel: „Der Kampf um die Energiewende“ – und in der Tat muss man einmal darauf hinweisen, dass das EEG auch viele Gegner hatte und hat. Viel Ärger hat mir ein Kapitel eingetragen, das zuerst in der ZNER erschien: „Mit vollem Rohr dagegen: Die FAZ und die Energiewende“. Gedeckt vom Herausgeber Holger Steltzner, der inzwischen gefeuert wurde, schrieben verschiedene Autoren der FAZ gegen die Energiewende an. Manches war richtig beobachtet und dargestellt, aber die Überschriften über den Artikeln und Kommentaren waren immer eindeutig: Die Energiewende ist viel zu teuer und vor allem ein Unglück.

Aber es gibt auch Verteidiger der Energiewende. Dazu würde ich vor allem den Gesetzgeber zählen, trotz allem, von den Parteien vor allem die GRÜNEN und von den Institutionen die Agora Energiewende. Und – die großen und bewundernswerten „Schönauer Stromrebellen“: Ihr unermüdlicher Kampf wird sorgfältig dargestellt und ist in Schönau gegengelesen worden; es stimmt also alles.

Im nächsten Kapitel geht es um Umwelt- und „Super“-Minister Gabriel mit seinen „Eckpunkten“. Die SPD ist heute näher dran an der Kohle-Lobby und daher wurde und wird intern gekämpft. Das ist überhaupt der Grund für den Stimmenrückgang: Der Wähler liebt zerstrittene Parteien nicht. Das ist auch kein Wunder, denn man weiß nicht, wo die Reise hingeht. Eine eindeutige Positionsbestimmung ist ausschlaggebend.

Nach dem Kapitel zum EEG 2017, das ich „Ein verunglücktes Gesetz“ genannt habe, kommen wichtige Fortschritte der letzten Zeit: Die GroKo hat, auch unter dem Einfluss der bewundernswerten Greta Thunberg und der von ihr ins Leben gerufenen Bewegung Fridays for Future, immerhin den Kohleausstieg und das Klimapaket zustande gebracht. Das Gesetz zum Kohleausstieg ist im Januar 2020 konzipiert worden – und es enthält den Einstieg in eine CO2-Bepreisung. Das 30. Kapitel, überschrieben „Plädoyer für eine wirksame CO2-Bepreisung“ (auch dieses ein Nachdruck aus der ZNER), enthält die Eckpunkte; komplex und wegen der internationalen Bezüge hochinteressant.

Das folgende Kapitel „Wer hilft beim Handling der Energiewende?“ wird mir vielleicht Ärger machen, weil es die Anwaltskanzleien darstellt, die auf der Seite der Erneuerbaren Energien kämpfen, darunter die von meinem Freund Wolf Büttner und mir gegründete Kanzlei Becker Büttner Held (BBH – Devise: „Klappern gehört zum Handwerk“). Dann kommen Visionen, deren erste von Dieter Attig geschrieben wurde, langjähriger Aktivist schon im Stromstreit und dann viele Jahre Leiter der Aachener Stadtwerke STAWAG, ein Kraft-Wärme-Kopplungs-Freak, der auch die technischen Aspekte der Energiewende (wir Juristen haben ja immer die regulatorischen Aspekte im Auge) darstellt: sehr interessant.

Und das Schlusskapitel „Die Energiewende wird von der Gesellschaft für die Gesellschaft gemacht: Alles könnte gut werden“. Das ist meine Überzeugung: Es entwickelt sich alles in die richtige Richtung, weil es sich in die richtige Richtung entwickeln muss, vorangetrieben von der Klimakatastrophe. Man sieht das an den Buschbränden in Australien: Der verknöcherte Ministerpräsident Morrison, der während der schlimmsten Brände Urlaub in Hawaii machte, musste schließlich einsehen, dass er und sein Staat die falsche Politik machen. Ihm half eine List der Geschichte, die tagelangen Regenfälle, denen Überschwemmungen folgten. Sie machten einigen Bränden den Garaus – und klärten Morrison über weitere Zusammenhänge auf!

Der Schluss liegt mir am Herzen: die Anhänge. Es gibt wichtige Dokumente, die die Verläufe prägen. Für den Abschnitt zu den Kartellen im Entwicklungsprozess ist es der berühmte Schriftsatz des Bundeskartellamts im Fusionskontrollverfahren E.ON/Eschwege vom 30.11.2006, der nur durch eine Indiskretion bekannt wurde: Er beschreibt, wie eben die Stromkonzerne vorgegangen sind. Dazu gehört auch ein visionäres Papier der Agora Energiewende, die als Vordenker immer wieder aufweist, wo die Reise hingeht: Alles wird gut (trotz Trump).


Oktober 2020Peter Becker

1 „Der Stromstaat“ erschien in 1. und 2. Auflage 1984 als STERN-Buch, vorher erschienen bei STERN-Buch die Titel „Der Megawatt-Clan“ (1981) und „Der Sechste Sinn der Tiere“ (1982).

1. Buch Der Stromstaat entsteht

1. Kapitel
Zwei geniale Unternehmer: Emil Rathenau und Werner Siemens

Weltausstellung der Elektrizität 1881 in Paris: Emil Rathenau ist begeistert. Der Industriepalast an den Champs-Elysées wird von über 100 elektrischen Bogenlampen hell erleuchtet. Man spricht vom „Lichtwunder von Paris“. Aber Rathenau begeistert etwas Anderes, die Ausstellung des Erfinders Thomas Alva Edison. Er hatte seine Räume mit Glühlampen beleuchtet, die so genannt wurden, weil der Strom in ihnen einen Kohlefaden zum Glühen brachte. Auf einem kleinen Tisch stand eine Lampe, die man mit einem Schalter „anzünden“ und ausmachen konnte. Edison hatte also nicht nur die Glühlampe erfunden, sondern auch den Schalter und überhaupt alles, was für den Umgang mit Starkstrom gebraucht wurde: Steckdosen, Fassungen, Klemmen, Schalter, Sicherungen, Anschlussdosen, Stromzähler und den „Jumbo“, den größten Generator seiner Zeit, eine Dampfmaschine von 120 PS, die einen 50-Kilowatt-Dynamo antrieb (dieses Prinzip gilt noch heute: Kohle wird verstromt, indem Dampf erzeugt wird, der Dynamos antreibt; auch Atomkraftwerke sind nichts anderes als gigantische Tauchsieder, die Wasserdampf für die Generatoren erzeugen).

Rathenau hatte Geld in der Hand, weil er seit dem Verkauf einer von ihm gegründeten Maschinenfabrik Goldmark-Millionär war. Neun Jahre hatte er nach einer neuen Lebensaufgabe gesucht. Jetzt lag sie vor ihm. Er sprach Edison an, um sich die deutschen Rechte des Edison’schen Glühlampensystems zu sichern und auf dieser Grundlage eine neuartige Großindustrie aufzubauen. Die von Edison für Europa gegründete Patentverwertungsgesellschaft, die Compagnie Continentale Edison in Paris, räumte Rathenau eine kostenlose Option bis Ende 1882 ein. Die Ausübung der Option war davon abhängig, dass er ein Aktienkapital von 5 Mio. Mark innerhalb eines Jahres nachweisen musste, was damals eine hohe Summe für ein Industrieunternehmen war. Rathenau beschloss, die Elektrizität in Berlin einzuführen. Dafür waren die Verhältnisse günstig: Berlin wuchs in jenen Jahren sehr schnell. Mit dem Bau der Kanalisation für 1,2 Mio. Menschen war erst vor wenigen Jahren begonnen worden. Selbst im Palais des Kaisers gab es keine Badewanne. In dieser Riesenbaustelle konnte Rathenau damit rechnen, dass sein Stromnetz beim Bau der auf 4 Mio. Einwohner geplanten Metropole mitwachsen würde. Der Baulöwe Carstenn gründete eine „Kurfürstendamm AG“; Berlin hörte 1882 am Zoo auf. Nachts war es dunkel. Nur ein Viertel der Berliner hatte Gaslicht, die anderen nur Petroleumlampen. Nach Einbruch der Dunkelheit ging man zu Bett. Berlin war folglich ein ungeheurer Markt für Glühlampen. Die Berliner mussten sie nur kennenlernen.

Seine erste Edison-Anlage installierte Rathenau beim „Berliner Börsencourier“ – und das neue helle Licht, das man schon an der Tür einschalten konnte, wurde eine Sensation. Die zweite Lichtanlage wurde im „Böhmischen Brauhaus“ platziert. Die Brauer waren nämlich mit Gaslicht unzufrieden, weil es die Luft in den Gärkellern zu stark erhitzte und die Qualität des Bieres beeinträchtigte. Und das Brauhaus – und bald die ganze Branche – war hochzufrieden. Rathenau begeisterte auch die angesehensten Clubs der Hauptstadt für das elektrische Licht – den „Unionclub“ des Adels und die „Ressource“ der Banker. Rathenau war Gast bei einem Bankett der Ressource und konnte zuhören, wie der Bankier Pringsheim das neue Licht und seinen Propheten Rathenau pries. Aber Rathenau musste kurz darauf in den Keller verschwinden: Das Licht hatte angefangen zu flackern und er ahnte eine Katastrophe. Die Lager des Dynamos waren heiß gelaufen und Rathenau musste sie mit dem Eis kühlen, das eigentlich für die Sektkübel bestimmt war. Am nächsten Tag feierte Berlin das „fabelhaft-zuverlässige Edison-Licht“.

Der Durchbruch kam am 16.9.1882 auf der Internationalen Elektrizitätsausstellung in München. Es war überhaupt die erste Ausstellung, die nach Einbruch der Dunkelheit eröffnet werden konnte, weil die Hallen und Zufahrtsstraßen von zahlreichen Edison-Lampen beleuchtet wurden. Die Fachleute erkannten, dass Rathenau der Bogenlicht-Partei die Schau gestohlen hatte. Von nun an kam nur noch die Glühbirne in Frage. Die eigentliche Sensation war die Bühne im Theatersaal des Glaspalastes. Während der Auftritte des Königlich-Bayerischen Balletts konnte ein Techniker nach Wunsch die Lichtstärke verändern und erstaunliche Effekte erzeugen. „Diese Theaterbeleuchtung ist ein durchschlagender Erfolg des elektrischen Lichts!“, meldete die Elektrotechnische Zeitschrift. Die Münchner Zeitungen feierten Rathenau. Berliner Bankiers fragten bei den Kollegen an der Isar ungläubig nach. Die telegrafierten zurück: „Zeitungsdepeschen sind nicht übertrieben.“ Die Privatbankiers waren gewonnen und erklärten sich bereit, die Gründung der Deutschen Edison-Gesellschaft mit 5 Mio. Mark zu finanzieren. Voraussetzung war allerdings, dass sich Rathenau vorher mit der Firma Siemens & Halske und ihrem Chef arrangierte.

Auch Werner Siemens (der Adelstitel wurde ihm erst 1888 vom „Hundert-Tage-Kaiser Friedrich“ verliehen), damals schon 66 Jahre alt, im Unterschied zu dem gerade 45 Jahre alt gewordenen Rathenau, war auf der Pariser Elektrizitätsausstellung gewesen; allerdings als Anhänger der Bogenlampen. Er war zu der Zeit schon weltberühmt, denn er hatte im Jahr 1866 den Dynamo erfunden. Aus einer kleinen Werkstatt mit 10 Arbeitern hatte er – Partner Halske war längst ausgeschieden – in 35 Jahren einen der ersten multinationalen Weltkonzerne mit Tochtergesellschaften in Großbritannien, Russland, Österreich-Ungarn, Frankreich und den USA gemacht. Das war allerdings die Karriere eines Schwachstromers: Siemens war nämlich der Pionier der Telegrafenleitungen, die bis nach Indien, New York und Afrika reichten. Von seiner „genialen technischen Begabung“ (Firmengeschichte) zeugten zahlreiche Erfindungen und Entdeckungen. Die Akademie der Wissenschaften ernannte ihn zum Mitglied, obwohl er nicht einmal Akademiker war und den Unterricht in seinen Lieblingsfächern Mathematik und Naturwissenschaft in der Ausbildung zum Berufsoffizier erhalten hatte. Anders als andere Erfinder war Siemens im Laufe der Jahre zum mehrfachen Millionär geworden. Denn er war ein außerordentlich geschickter – und oft auch gerissener – Geschäftsmann, dessen „meisterhafte Ausnutzung aller nationalen und internationalen Kaufmannschancen“ die Zeitgenossen bewunderten; ein Bild, das Siemens allerdings nicht sehr lieb war. Aber sein unternehmerisches Gespür zeigte sich z.B. darin, dass er das von dem Amerikaner Alexander G. Bell entwickelte Telefon einfach nachbaute, da es in Deutschland nicht patentiert war. Der Verkauf verlief „mit großem Erfolg und einer Gewinnspanne von 50 %“.

Die Aufnahme der Verhandlungen zwischen den beiden Männern wurde durch den Umstand erleichtert, dass sie sich seit Jahren kannten. Rathenau war als Maschinenfabrikant Mitglied im Verein der Berliner Metallindustrie gewesen; einer Arbeitgeberorganisation, die Siemens gegründet hatte, um gegen die organisierten, streiklustigen Arbeiter eine geschlossene Aussperrungsfront aufbauen zu können. Das war aber eher in den jüngeren Jahren. Als älterer Unternehmer nahm er den Sozialdemokraten den Wind aus den Segeln, indem er die Sonntagsarbeit abschaffte und werktags nur noch von 7 Uhr früh bis 6 Uhr abends arbeiten ließ, bei drei Pausen und einem Spitzenlohn von 25 Mark die Woche. Zusätzlich wurde eine Alters- und Invalidenpensionskasse für die Siemens-Belegschaft gegründet. Die Beiträge zahlte die Firma. Auch das imponierte Rathenau, weil damit fähige Arbeiter an die Firma gebunden und gleichzeitig der „Betriebsfrieden“ gesichert werden konnte.

Beide Kontrahenten konnten bei dieser Verhandlungslage nur gewinnen: Siemens brauchte Rathenau und die Edison-Patente, Rathenau brauchte Siemens, weil nur Siemens genügend Erfahrung hatte, um die Massenproduktion elektrischer Aggregate aufzunehmen. Der Kompromiss: Siemens und Rathenau teilten das große Edison-Monopol in zwei kleinere Monopole auf: Rathenau sollte den Bau von Kraftwerken und den Stromverkauf übernehmen. Dafür verpflichtete er sich, alle Dynamos, Motoren, Kabel etc. bei Siemens zu kaufen. Beide Partner durften eigene Glühlampenfabriken bauen, sahen aber bereits die Gründung eines Glühlampenkartells mit strikter Preisbindung vor. Als der auf zehn Jahre befristete Kooperationsvertrag unterschrieben war, hatten Siemens und Rathenau den Elektrizitätsmarkt in Deutschland schon aufgeteilt, bevor es ihn überhaupt gab.

Nachdem Rathenau und seine Bankiers im April 1883 die Deutsche Edison-Gesellschaft mit einem Aktienkapital von 5 Mio. Mark gegründet hatten, ging er zielstrebig an den Ausbau der Elektrizität in Berlin. Dafür holte er sich einen begeisterungsfähigen jungen Mann, Oskar von Miller, der bei ihm Technischer Direktor wurde. Von Miller hatte es bis dahin nur zum königlich-bayerischen Staatsbau-Praktikanten und einem Monatsgehalt von 120 Mark gebracht. Aber er hatte aus eigener Initiative die große Elektrizitätsausstellung in München organisiert. Rathenau bot ihm daraufhin ein sensationelles Jahressalär von 20.000 Goldmark plus Gewinnbeteiligung. Mit seinem kleinen Stab, der auch einen Patentanwalt umfasste, überzog Rathenau Berlin mit einem System von „Blockstationen“, die Häuserblocks mit Strom versorgen sollten. Die erste Blockstation entstand an einer der belebtesten Kreuzungen der Reichshauptstadt, Friedrichstraße/Ecke unter den Linden. Sie konnte mit ihren sieben Dynamos 1.800 Glühlampen in den Gaststätten und Geschäften mit Strom speisen. Aber Rathenau dachte damals schon anstelle der kleinen Dynamos in den Kellern an „Riesenhallen mit vieltausendpferdigen Maschinen, die automatisch und geräuschlos ganze Millionenstädte mit Licht und Kraft beliefern“. Aber klar war, dass Rathenau solche Pläne nicht ohne und schon gar nicht gegen den Willen der Stadt verwirklichen konnte, in der sich das alles abspielte: Berlin.

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