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2. Ausnahme: der Stromvergleich

Die Wiedervereinigung wurde von sehr weitsichtigen PreussenElektra-Ingenieuren schon 1988 vorweggenommen. Im März 1988 schlossen PreussenElektra, BEWAG und die DDR-Außenhandelsgesellschaft Intrac einen Vertrag über den Bau einer 380-kVLeitung Helmstedt-Wolmirstedt bei Magdeburg bis nach Berlin.69 Das war die erste der bereits erwähnten vier Hochspannungsleitungen, die 1995 in Betrieb genommen wurden („elektrische Wiedervereinigung“). Unmittelbar nach der Maueröffnung, also Ende 1989, gingen die PE- und Bayernwerk-Manager, deren Versorgungsgebiete an das der DDR angrenzten, auf Akquisitionstour. Das Objekt der Begierde waren insbesondere die 15 Regionalkombinate. Auf diese Gespräche, die oft von „Geschenken“ begleitet waren, war Staatssekretär Dr. Korts aus dem Wirtschaftsministerium in der Zeit der ersten demokratischen Volkskammer (ab März 1990) aufmerksam geworden. Ihm war klar, er musste diesem Treiben ein Ende setzen.

Die Kombinatsdirektoren beschlich aber parallel ein großer Defätismus. Es war nämlich offen, ob ihre veralteten Anlagen den nächsten Winter überstehen würden. Außerdem: Wie standen sie mit diesen Netzen vor „dem Westen“ da? Technische Hilfe, die die westdeutschen Konzerne anboten, wurde daher dankend entgegengenommen. Vor diesem Hintergrund entstand der erste Entwurf der Stromverträge, gefertigt von dem visionären Rechtsabteilungsleiter Dr. Dingeldey bei PE in Hannover (der leider viel zu früh verstorben ist). PE und Bayernwerk wussten, dass der Bund in Gestalt der Abteilungsleiterin Ria Kemper aus dem Bundeswirtschaftsministerium diese Annäherungen positiv begleitete. So wurden schon frühzeitig die Weichen für den Komplettkauf der ostdeutschen Stromwirtschaft durch die westdeutschen Stromkonzerne gestellt. Und es war kein Wunder, dass die Konzerne deren Restrukturierung nach ihren Regeln gestalten wollten – also denen des Monopols.

Die Volkskammer wollte aber etwas ganz Anderes, nämlich die Rekommunalisierung der örtlichen Stromversorgungen wie zu Zeiten der DDR, aber auch auf modernem technischen Niveau. Das sollte mit den Kommunalisierungsregelungen im Treuhandgesetz (§ 1 Abs. 3), der Kommunalverfassung und dem Kommunalvermögensgesetz abgesichert werden. Nur – wie geschildert – die Parlamentarier wurden übergangen. Die Kommunalverfassungsbeschwerde, organisiert von „Entrepreneuren“ in einigen ostdeutschen Kommunen und wenigen engagierten Helfern aus dem Westen, und der Stromvergleich setzten aber doch die Intentionen der Volkskammer um: Ein riesiger Erfolg, „von hinten durch die Brust ins Auge“, weil außerhalb der Kontrolle der Konzerne und mit Hilfe des Verfassungsgerichts, das sich mit dem Stromvergleich sein „Standing“ in den neuen Bundesländern erarbeitet hat, wurden die Weichen anders gestellt.

Die THA blieb allerdings zuständig für die weitere Abwicklung des Stromvergleichs in Sachen Gas. Denn es war nicht gelungen, den Stromvergleich eins zu eins auf den „Gasvergleich“ zu übertragen. Vielmehr mussten die ostdeutschen Kommunen ihre Gasstadtwerke nach dem Ertragswert erwerben, freilich unter Anrechnung ehemaliger Vermögenswerte und staatlicher Übernahme der Altlasten. Trotzdem liefen noch Jahrzehnte Prozesse zum Sujet.

So gehören der Stromvergleich und die Bildung der ostdeutschen Stadtwerke zu den wenigen wirtschaftlichen Highlights der Einigung. Ob das allen Kommunen klar ist? Denn sie waren das Gegenstück zu den Privatisierungen und aktivierten mit der Gründung von zahlreichen Stadtwerken die ostdeutschen „Selbstheilungskräfte“.

Es gab nur einen – signifikanten – Unterschied: Die mutigen Gründer, Bürgermeister und Stadtwerksdirektoren, blieben „gegnerfrei“, während die ängstlichen Beteiligungen akzeptierten, vor allem der Regionalversorger. Immerhin war damit die Intention des Treuhandgesetzes verwirklicht – ein großer Erfolg, der freilich in der ganzen Diskussion um die THA keine Rolle spielt. Aber er lief ja auch an ihr vorbei und war Angelegenheit von – danach – freundschaftlich verbundenen „Ossis“ und den Beratern aus dem Westen.

Wunderbar.

65 Der Tagesspiegel vom 1.3.2015. 66 Böick, Die Treuhand, Idee – Praxis – Erfahrung 1990–1994, 2. Aufl. 2018 (Diss.). 67 Signal zum Bleiben, in: Die ZEIT, 19.11.1990, zit. n. Böick, S. 164. 68 Böick, S. 168. 69 Elektrizitätswirtschaft (EW) 2005, Heft 21/22, 80ff.

14. Kapitel
Die Liberalisierung der Energiemärkte

Die Einführung von Wettbewerb sollte den Verbrauchern etwas bringen: Eine Vielzahl von Anbietern, bessere Versorgung und vor allem bessere Preise – sollte man meinen. In der Energiewirtschaft war alles anders. Die Liberalisierung der Energiemärkte wurde von Brüssel erzwungen. Deutschland wäre aus eigener Kraft wohl nie zur Einführung von Wettbewerb fähig gewesen. Aber die Lobbyisten schlugen schon bei der Konzeption der Richtlinien zur Liberalisierung der Strom- und Gasmärkte zu. Die Einführung von Wettbewerb hätte vorausgesetzt, dass die nationalen Monopolisten privatisiert und dabei so entflochten worden wären, dass Wettbewerb möglich würde. Davon war aber keine Rede. Im Gegenteil: In Deutschland nutzten die Konzerne die Möglichkeit zu „Großfusionen im engen Oligopol“, wie der Kartellrechtler Möschel schrieb.70 So wuchs die Macht der Konzerne ins Schrankenlose. Auch die Einführung des Börsenhandels für Energie wurde von den Konzernen genutzt. Sie strickten sich die Börse so, dass die Preise gesteuert werden konnten. Zwar gab es zu Beginn der Liberalisierungsphase einen Betriebsunfall: EnBW und RWE lieferten sich Wettbewerb aus Gründen, die sie im Nachhinein sicherlich lieber ungeschehen gemacht hätten. Aber danach wurde umso konsequenter reiner Tisch gemacht. Die Verbraucher hatten keine Chance.

1. Vorspiel I in Deutschland

Monopole für die Energiemärkte waren eigentlich durch das Kartellverbot des Art. 85 und das Missbrauchsverbot des Art. 86 im EWG-Vertrag von 1956 von Anfang an verboten. Denn einen Ausnahmebereich für die Energiemärkte gab es – anders als im deutschen Kartellrecht – nicht. Erst im Jahr 1988 packte die „Iron Lady“, die britische Premierministerin Thatcher, ermutigt durch die US-amerikanische Vorreiterrolle, in England die Liberalisierung der Energiemärkte an. Das wichtigste Instrument war der „Third Party Access“ (TPA), der Netzzugang für Dritte. Die Eigentumsrechte der Netzbetreiber sollten zurückstehen. Mit dem „Utilities Act“ wurden die Privatisierung der staatlichen Energieversorger und das Unbundling, die Entflechtung der Handels- und Netzaktivitäten, angeordnet. OFFER, ein Elektrizitätsregulierer, und OFFGAS wurden installiert, die sich in jeden Geschäftsbereich des Versorgungsunternehmens einmischen könnten. Die Erfahrungen waren allerdings nicht durchweg positiv. Die Interessen der Kunden zu schützen und gleichzeitig den Wettbewerb zu entwickeln, sei, so OFFGAS, nicht immer möglich.71

Die entscheidenden Anstöße zur Liberalisierung der Energiemärkte gingen von der EU aus. Schon mit Art. 37 EWG-Vertrag waren Einfuhr- und Ausfuhrmonopole ab dem 1.1.1970 verboten worden. Auf ihrer Grundlage hatte die Kommission gegen eine Reihe von Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsverfahren wegen der Beibehaltung von Einfuhr- und Ausfuhrmonopolen für Elektrizität und Gas eröffnet. Auf Basis des britischen Beispiels setzte die Europäische Kommission 1990 bzw. 1991 die Transitrichtlinien für Elektrizität72 und Gas73 mit Beschlüssen des Ministerrates durch. Am 22.1.1992 folgten Vorschläge für eine Elektrizitäts- und eine Erdgasrichtlinie.74 Vorgesehen wurden drei Schwerpunkte nach dem britischen Beispiel: Zwangsdurchleitung per Netzzugang für Dritte, Kostentransparenz und Unbundling.75 Pluge76, Geschäftsführer des Bundesverbandes Gas- und Wasserwirtschaft (BGW), prangerte das als „Umkrempelung fast des gesamten ordnungspolitischen Rahmens beider Branchen und durch die kafkaesk anmutenden Detailregelungen“ an. Totale Liberalität und totale Regulierung gingen in ihren Extremen ineinander über.

Zuvor hatte Kurt Markert, der Vorsitzende der 8. Beschlussabteilung für die Energiemärkte beim Bundeskartellamt, in einem Vortrag77 „gewisse grundsätzliche Vorkehrungen“ von der EG-Kommission gefordert. Dazu gehörte z.B. schon die Frage, ob ausschließliche Konzessionsverträge für die Strom- und Gasversorgung, nach denen die Versorgung in einem bestimmten Gebiet ausschließlich einem Versorger vorbehalten war, überhaupt unter Art. 85 Abs. 1 EWG-Vertrag fielen und ob und ggf. in welchem Umfang die Kommission zu Freistellungen nach Art. 85 Abs. 3 EWGV in diesem Bereich bereit sei. Dahinter stand die Befürchtung, dass die Kommission möglicherweise ein Vorpreschen einer nationalen Kartellbehörde durch eine derartige Freistellung ins Aus schicken könnte.

Markerts Hilferuf wurde erhört. In einem Vortrag78 erläuterte Ehlermann, der (deutsche) Leiter der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission, die Richtlinien: Monopole für Übertragung und Verteilung von Energie seien nicht zu rechtfertigen, ebenso wenig ausschließliche Rechte für die Erzeugung von Elektrizität und den Bau von Leitungen. Insbesondere sei die Funktionentrennung (Unbundling) geboten, die schon mit der Telekommunikationsendgeräte-Richtlinie der Kommission vom Mai 1988 vorgeschrieben worden war. Diese hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) ausdrücklich gebilligt.79 Vor allem verwies er darauf, dass die Wettbewerbsbehörden schon vor dem Erlass eines „gesetzgeberischen Aktes“ des Rates zur Anordnung von Durchleitungen berechtigt seien. Die Verweigerung der Durchleitung stelle einen Missbrauch nach Art. 86 dar. Auch Konzessionsverträge, die das ausschließliche Recht zur Verlegung und zum Betrieb von Leitungen einräumten, seien wettbewerbsbeschränkend und fielen unter Art. 85 EGV. Zwar könnten nach Art. 85 Abs. 3 wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen vom Kartellverbot freigestellt werden. Jedoch sei es „undenkbar, dass sie ein Verhalten freistellt, das als missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung zu qualifizieren wäre“. Die Richtlinien schüfen daher nicht neues Recht, sondern sollten lediglich „politischen Konsens an die Stelle einer Vielzahl von langwierigen juristischen Auseinandersetzungen vor dem Gerichtshof in Luxemburg treten lassen“.

Das war der Startschuss für das Bundeskartellamt. Aufgegriffen werden sollten Konzessionsverträge an der Bundesgrenze, die die Einfuhr billigerer Energie aus Mitgliedstaaten nach Deutschland behinderten. Der erste Angriff auf den Gebietsschutz sollte an der deutsch-französischen Grenze in Kehl starten. Er wurde aber wegen der bekannten Abneigung der Electricité de France gegen Direktbelieferung deutscher Verbraucher aufgegeben. Aufgegriffen wurde vielmehr ein Konzessionsvertrag des RWE-Konzerns mit der Stadt Kleve aus dem Jahr 1971, mit dem die ausschließliche Belieferung der 50.000 Einwohner und der Industrie Kleves über 55 Jahre festgelegt worden war. Der wirtschaftliche Vorteil für die Kunden in Kleve wäre bemerkenswert gewesen: Industriekunden mussten seinerzeit fast 28 Pf/kWh bezahlen, während der angrenzende niederländische Versorger nur 19,1 Pf/kWh verlangte. Es sollte „ein Pilotfall“ werden, sagte Markert. Erstmalig habe sein Haus auf Art. 85 des EWG-Vertrags zurückgegriffen. Bundeskartellamts-Präsident Wolf sekundierte, es handele sich um ein „wichtiges und grundsätzliches Pilotverfahren mit Domino-Effekt“. Mit der EG-Kommission habe man sich abgesprochen. Allerdings lief der attackierte Konzessionsvertrag wie alle sogenannten „Altverträge“ nach § 103a Abs. 4, der mit der 4. GWB-Novelle eingeführt worden war, nur bis Ende 1994. Hieran scheiterte schließlich das Bundeskartellamt: RWE meldete nämlich den Konzessionsvertrag – trotz der Ankündigung des EG-Wettbewerbs-Hüters Ehlermann – bei der Kommission an, um nach Art. 85 Abs. 3 EWGV eine Freistellung zu erreichen. Das führte zu einem Wechsel der Zuständigkeit; das Bundeskartellamt musste den Fall nach Brüssel abgeben. Der Vertrag wurde dann 1994 nicht mehr verlängert, weil Kleve eigene Stadtwerke gründete. Der Versuch war gescheitert.

Der nächste Fall, mit dem Markert eine andere Grundsatzfrage der Energieversorgung aufgriff, war der Demarkationsvertrag zwischen den Gasversorgern Ruhrgas und Thyssengas. Diese hatten am 27.9.1927 einen „Gemeinschaftsarbeitsvertrag“ geschlossen, mit dem sie sich die Versorgung von Köln, Düsseldorf, Duisburg und Oberhausen mit Gas aufgeteilt hatten. Der Vertrag sollte am 19.1.1993 erneuert werden. Die Anmeldung wurde vom Amt untersagt. Rechtsgrundlage war wiederum Art. 85 Abs. 1 EGV in Verbindung mit Vorschriften des deutschen Kartellrechts. Diese Abmahnung betraf mit der Ruhrgas das führende deutsche Gas importierende und vertreibende Handelsunternehmen: Es war mit ca. 83 % an der gesamten Gasabgabe in der Bundesrepublik Deutschland beteiligt. Thyssengas war mit einem Anteil von 10 % dabei. Insgesamt betraf also diese Gebietsaufteilung deutlich über 90 % des deutschen Gasabsatzes, wäre sie wirksam geworden. Aber das Amt scheiterte beim Berliner Kammergericht: Das Gericht beanstandete die Verfügung mit der an den Haaren herbeigezogenen Begründung, das Amt habe die Bundesländer nicht angehört. Diesen Mangel heilte das Amt mit einer neuen Entscheidung. Diesen Fall legte das Kammergericht nunmehr dem EuGH vor.80 Aber nunmehr war der Gesetzgeber schneller: Mit dem Gesetzespaket zur Liberalisierung des Energierechts von 1998 wurde § 103, der den Gebietsschutz zuließ, aufgehoben. Man sieht: Auch einer energischen Wettbewerbsbehörde wird von den Konzernen, denen Gerichte häufig sekundieren, der Erfolg schwergemacht. Außerdem lieferten die Auseinandersetzungen zwischen Wirtschaft und Staat die Argumente für die Ebene, auf der die Weichen gestellt wurden, der europäischen Gesetzgebung.

2. Vorspiel II auf der Brüsseler Bühne

Als die Bundesregierung am 16.9.1996 den ersten Entwurf für ein Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts einbrachte, mit dem die Monopolstrukturen in der Energiewirtschaft abgeschafft werden sollten, war in Brüssel schon alles gelaufen. Zwar beschloss die EU über die Liberalisierung für den Elektrizitätsbinnenmarkt erst mit der Richtlinie vom 19.12.199681, einige Monate später. Dabei waren Monopole auch für die Energiemärkte eigentlich durch die Art. 85 und 86 des EWG-Vertrags von 1956 von Anfang an verboten. Aber es hatte bis zum 21.1.1992 gedauert, bis die Kommission nach jahrelangen Vorarbeiten einen ersten Vorschlag für eine Elektrizitätsbinnenmarktrichtlinie vorlegte.82 Er war allerdings gescheitert. Denn die Mitgliedstaaten, ihre Energieunternehmen und der Verbände hatten in Brüssel eine regelrechte Schlacht geschlagen, um der Richtlinie den Biss zu nehmen; mit Erfolg: Der Wirtschafts- und Sozialausschuss hegte ernsthafte Bedenken, das Europäische Parlament meldete eine Vielzahl von Änderungswünschen an und beanstandete vor allem, dass Art. 90 Abs. 2 EGV nicht Rechnung getragen worden war.83 Dort heißt es, dass Einschränkungen des Wettbewerbs zulässig sind, wenn dieser Unternehmen, die mit gemeinwirtschaftlichen Aufgaben betraut sind, die Erfüllung dieser Aufgaben unmöglich macht. In Brüssel reklamierten deshalb die Konzerne, dass sie in den Mitgliedstaaten in großem Umfang gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen erfüllen müssten; zuhause zogen sie allerdings ernsthaft in Zweifel, dass die Energieversorgung überhaupt eine öffentliche Aufgabe sei.84

Die Einigung kam erst zustande, nachdem die Richtlinie den Mitgliedstaaten eine ungewöhnlich große Anzahl von Optionen zur Verfügung gestellt hatte; allerdings schloss sie einige Gestaltungen auch von vornherein aus. Die Angriffe aus den Mitgliedstaaten bestritten der EU schon die Zuständigkeit zu einer gemeinschaftsrechtlichen Ordnung der Energiemärkte; dazu zählte gerade auch Deutschland.85 Im Zentrum der Arbeiten stand der Netzzugang, der sogenannte Third Party Access (TPA): Wettbewerber benötigen freien Zugang zum Kunden, daher war es nötig, die Monopole der Netzbetreiber für die Netznutzung einzuschränken oder vollständig zu beseitigen. Der Blockade eines Anspruchs auf Netzzugang diente in Deutschland vor allem die Berufung der Netzbetreiber auf zwei Grundrechte, nämlich einmal das Grundrecht auf Eigentum in Art. 14 GG und die Freiheit der Berufswahl und insbesondere -ausübung nach Art. 12 GG. Allerdings war zu beachten, dass die für die Beurteilung maßgebliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht etwa auf die Grundrechtsdogmatik der Mitgliedstaaten, insbesondere auch die deutsche, abstellte, sondern auf die gemeinschaftsrechtlich geschützten Grundrechte. Dort hieß es, dass die Grundrechte „keine allgemeine Geltung beanspruchen (können), sondern ... im Hinblick auf die gesellschaftliche Funktion gesehen werden“ müssen.86 Daher könnten „die Ausübung des Eigentumsrechts und die freie Berufsausübung Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft dienen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Angriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrer Wesentlichkeit antastet“. Daher erschienen die Gestaltungsmöglichkeiten der EU ziemlich weitgehend. Auf der anderen Seite standen freilich die Quasi-Staatsmonopole für die Versorgung mit Strom und Gas in Frankreich, Spanien und Italien, die diese Staaten zu hinhaltendem Widerstand motivierten.

Der erste Entwurf der Elektrizitäts-Richtlinie verzichtete daher von vornherein auf einen Netzzugangsanspruch, dessen Durchsetzung vom Staat überwacht, also reguliert wurde. Stattdessen gab es zwei Modelle zur freien Wahl der Mitgliedstaaten:

 – Zum einen den verhandelten Netzzugang, nach dem sich die Vertragspartner auf die Modalitäten des Netzzugangs und insbesondere die Kostenerstattung für die Netznutzung verständigen müssten;

 – zum anderen den Netzzugang auf Alleinabnehmerbasis, nach dem der Kunde seine Energie zwar frei einkaufen konnte, diese aber dem Netzbetreiber als „Alleinabnehmer“ überlassen musste, damit dieser sie zum Kunden transportierte.

Beide Modelle gaben dem Netzbetreiber eine starke Position, die absehbar vor allem eins bewirkte: Viel Phantasie bei der Erfindung von echten oder vermeintlichen Hindernissen für den Netzzugang. Beim Alleinabnehmersystem kam zusätzlich hinzu, dass der Netzbetreiber den Kunden als weiterer Vertragspartner für die Lieferung erhalten blieb, was die Bereitschaft zum autonomen Teilnehmen am Markt nicht gerade stärkte.

Außerdem erfand der Richtliniengeber eine weitere Beschränkung des Netzzugangs, die Rechtsfigur des „zugelassenen Kunden“. Am Markt einkaufen konnten danach nur Kunden mit einem Bedarf ab 100 Mio. Kilowattstunden (Gigawattstunde (GWh)); außerdem sollten Verteilerunternehmen – und damit alle von ihnen versorgten Kunden wie kleinere Gewerbeunternehmen und Haushaltskunden – von vornherein vom Wettbewerb ausgeschlossen bleiben.

3. Die Umsetzung in Deutschland

Der Gesetzentwurf, den der liberale Wirtschaftsminister Rexrodt am 16.9.1996 einbrachte87, ging einerseits weiter als die Brüsseler Vorlage: Der Entwurf führte nämlich, rein rechtlich gesehen, eine vollständige Marktöffnung herbei, indem er die §§ 103 und 103a des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) strich, wo die Regelungen zum Schutz der Energiewirtschaft vor Wettbewerb vorgesehen waren: Zum einen die sogenannte Demarkation, ein Recht, das einem Versorger die ausschließliche Zuständigkeit für die Versorgung in einem „markierten“ Gebiet gab; zum anderen das Recht für Kommunen, das ausschließliche Recht für die Verlegung und den Betrieb von Leitungen in ihren kommunalen Straßen und Wegen nur einem einzigen Versorger zu verleihen, die sogenannte Konzession. Allerdings verzichtete er auf einen Netzzugangsanspruch. Stattdessen wurde die Verpflichtung für Kommunen vorgesehen, ihre Wege für den Leitungsbau zur Versorgung von Letztverbrauchern diskriminierungsfrei zu öffnen. Das zielte auf das Instrument des Direktleitungsbaus ab: Ein (großer) Kunde hätte demnach einen Anspruch gegen die Kommune gehabt, ihre Wege für den Bau einer eigenen Direktleitung vom Umspannwerk des Regionalversorgers vor den Toren der Stadt zum Industrienetz zu öffnen. Dieses Instrument sollte die womöglich mildere Alternative, nämlich die Öffnung des Netzes des Regionalversorgers oder des Stadtwerks herbeiführen. Absehbar war allerdings, dass die Drohung, eine Direktleitung zu bauen, zwei bürokratische Hürden enthielt. Zum einen musste die Drohung, eine Direktleitung zu bauen, tatsächlich durch die Vorzeigbarkeit einer – teuren – Entwurfsplanung plausibel gemacht werden. Zum anderen war mit der Kommune über die Möglichkeiten und Kosten der Nutzung kommunaler Straßen und Wege für die Direktleitung zu sprechen, die sich vielfältige Einwendungen zum Schutz ihres konzessionierten Versorgers ausdenken konnte: Beides aufwändig!

Die Beteiligung des Bundesrats war vorgesehen. Dieser hielt das Reformkonzept allerdings für „wettbewerbspolitisch unzulänglich“88, was völlig richtig gesehen war. Er bemängelte das Fehlen von Regelungen über

 – die Organisation des Netzzugangs,

 – die getrennte Rechnungslegung für Erzeugungs-, Übertragungs- und Verteileraktivitäten,

 – die Verhinderung des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen zum Nachteil insbesondere der Verbraucher und zur Verhinderung von Verdrängungspraktiken;

jeweils unter Verweis auf einschlägige Regeln der Stromrichtlinie.

Schützenhilfe erhielt der Bundesrat von keinem geringeren als dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Papier, der in einem Aufsatz89 darauf aufmerksam machte, dass der Staat den Wettbewerb auf den Energiemärkten über viele Jahre hinweg beschränkt hatte, indem er Versorgungsmonopole zuließ: Der schon erwähnte § 103 GWB mit dem Recht der Kommunen zum Abschluss von Konzessionsverträgen mit Energieversorgern über 20 Jahre, ferner die Demarkationsverträge, mit denen sich Energieversorger wechselseitig versprachen, nicht in das Versorgungsgebiet des anderen einzudringen. Diese Demarkationsabsprache wurde freilich auch auf ein weiteres Instrument ausgedehnt, das im Gesetz gar nicht vorgesehen war: die sogenannte vertikale Demarkation (im Unterschied zur horizontalen mit den Konzessionsverträgen). Danach erhielt der vorgelagerte Energielieferant etwa für ein Stadtwerk das Recht zur ausschließlichen Belieferung für 20 Jahre. Eine Konkurrenz zwischen den Strom erzeugenden Konzernen und Gas importierenden Ferngasgesellschaften war damit von vornherein ausgeschlossen. Ein Lieferantenwechsel war also nur alle 20 Jahre möglich. Aber auch der wurde von den Strom- und Gaskonzernen mit allerlei Wohltaten für die Geschäftsführer verhindert. Auf derartige Strukturen machte Papier aufmerksam und entwickelte daraus ein Gebot verfassungskonformer „Grundrechtskonkretisierung“. Unternehmen und Kunden, die den Netzzugang reklamierten, könnten sich auf eine grundrechtlich garantierte Wettbewerbsfreiheit berufen, sei es, dass man sie auf die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 oder auf die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG stützte: Interessant, weil damit die Grundrechte, die in der Auseinandersetzung mit Brüssel für eine Einschränkung des Netzzugangs eingesetzt worden waren, nunmehr für eine Netzöffnung dienstbar gemacht wurden. Das lief auf einen Anspruch gegen den Gesetzgeber auf Regelung eines Netzzugangsanspruchs hinaus.

Ein Netzzugangstatbestand wurde mit § 6 EnWG tatsächlich eingeführt, was nicht zuletzt energischem Drängen von Prof. Markert zu danken war.90 Auch wurde in § 6 Abs. 1 Satz 2 EnWG eine Verordnungsermächtigung für Regeln über die erforderlichen Verträge und die Bemessung von Netznutzungsentgelten geschaffen. Die Überschrift über dem Paragraphen lautete aber „Verhandelter Netzzugang“, was doch wohl verfehlt war. Allerdings liefen bereits seit Mitte 1997 Verhandlungen über eine Verbändevereinbarung zwischen der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW), dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und dem Verband Industrielle Kraftwirtschaft (VIK); einen „Durchleitungstatbestand“ lehnte die VDEW ab.91 Eine Verbändevereinbarung hielt die SPD-Bundestagsfraktion aber für unakzeptabel: Ihr energiepolitischer Sprecher befürchtete, „dass eine unverbindliche Vereinbarung zwischen an der Stromwirtschaft beteiligten Verbänden nicht ausreicht, um fairen Wettbewerb einzuführen“.92 Die in der Regelung angekündigte Rechtsverordnung müsse daher kommen.

Der Gesetzentwurf enthielt auch eine Vorschrift zur Rechnungslegung (§ 9 Abs. 2 Satz 1), mit der eine europarechtliche Vorgabe umgesetzt werden sollte. Schon dort fehlte aber der wichtigste Punkt, die Entflechtung zwischen Netz und Vertrieb, was wohl kaum aus Versehen passiert war. Deswegen enthielt sich die Branche weitgehend einer entsprechenden Entflechtung. Ferner fehlten Regelungen über die langfristigen Energiebezugsverträge der Stadtwerke. Das Ministerium verwies93 lapidar auf die „allgemeinen zivil- und kartellrechtlichen Regelungen und Grundsätze“. Cronenberg, Federführer im BMWI, äußerte gleichwohl die Erwartung, dass Stadtwerke ihre Vorlieferanten wechseln könnten. Nachdem der Bundestag den Einspruch des Bundesrates zurückgewiesen hatte, trat das Gesetz am 29.4.1998 in Kraft.

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