Читать книгу: «Vom Stromkartell zur Energiewende», страница 15

Шрифт:

6. Netznutzung: Viel Bürokratie und wenig Wettbewerb

Eigentlich hatte der Wettbewerb beim Strom so schön angefangen: Nicht nur Yello, VASA, ENRON, Zeus, Riva, Best Energy traten an. Vielmehr gründeten auch E.ON mit der Marke E-WIE-EINFACH und RWE mit der Marke Eprimo Töchter zur Belieferung vor allem von Haushalts- und kleinen Gewerbekunden. Aber die Mehrzahl der Newcomer verschwand sehr schnell wieder vom Markt. Die Gründe waren mit Händen zu greifen:

 – Der Netzzugang musste in vielen Fällen erst vor Gericht erstritten werden107;

 – wegen der fehlenden Rechtsverordnung über die Gestaltung der Netznutzungsverträge gemäß § 6 Abs. 2 EnWG konnte jeder Netzbetreiber die einschlägigen Verträge autonom gestalten, was die Händler wiederum zwang, in monatelangen Verhandlungen Verträge für oft nur wenige Kunden auszuhandeln;

 – oft wurden auf Basis des sogenannten „Doppelvertragsmodells“ Verträge des Netzbetreibers sowohl mit den neuen Lieferanten als auch mit den Endkunden verlangt;

 – verlangt wurden auch Wechselentgelte, also Entgelte für das Handling des Versorgerwechsels;

 – Kritikwürdig waren aber vor allem die Netznutzungsentgelte, die Spreizungen von bis zu 300 % aufwiesen und insgesamt überhöht waren, obwohl sie angeblich alle auf dem Kalkulationsleitfaden zur Verbändevereinbarung VV II und VV II plus basierten.

Die FAZ vom 27.4.2001 titelte in einem Bericht über die Newcomer: „Wir werden von den Versorgern schikaniert.“ Yello-Geschäftsführer Zerr108 behauptete: „Die Regierung schützt die Monopole.“ Selbst EnBW-Chef Goll bemängelte die Verbändevereinbarung und verlangte ein verbindliches Regelwerk und eine staatliche Regulierungsinstanz.109

Dazu noch folgendes Schmankerl: Beim Bundeswirtschaftsministerium war zur Beschwichtigung der Kritik eine „task force Netzentgelte“ eingerichtet worden; Leiter: Der vormalige Vorsitzende der 8. Beschlussabteilung beim Bundeskartellamt Schultz. Wie jedoch der Focus am 5.8.2001 meldete, waren allein drei Mitglieder der task force von großen Energieversorgern ausgeliehen und würden weiterhin von den Unternehmen bezahlt. Das Wirtschaftsministerium begründete diese Organisation der Aushilfe damit, dass die Haushaltslage nur wenige neue Ministeriumsstellen zulasse.

Die Kartellbehörden bemühten sich redlich110, die Missstände abzustellen. Mit ihrem System der Ex post-Kontrolle musste aber jeder Einzelfall aufgegriffen werden. Der Angriff auf die Kalkulationsgrundsätze der Verbändevereinbarung111 scheiterte vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf.112 Das OLG meinte, das Bundeskartellamt sei im Rahmen der Missbrauchsaufsicht nicht befugt, irgendeine Kalkulationsmethode vorzuschreiben. Die Preisfindungsprinzipien der VV II plus seien ein „taugliches und betriebswirtschaftlich vertretbares Konzept zur Preiskalkulation“. Im juristischen Schrifttum wurden daher seit dem Jahre 2001113 die Effekte des verhandelten Netzzugangs kritisch beleuchtet und eine Regulierung gefordert.

7. Das erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts

Trotz dieser Kritik hielt die Koalition mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 9.5.2001114 am branchenfreundlichen Kurs fest. Es ging dort zunächst nur um die Umsetzung eines Anstoßes aus Brüssel, nämlich die Aufnahme der Gasrichtlinie 98/30/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.6.1998. Jedoch reichten die Fraktionen SPD und Bündnis90/Die GRÜNEN im Mai 2002 einen Änderungsantrag ein, wonach in § 6 Abs. 1 eingefügt werden sollte, dass „bei Einhaltung der Verbändevereinbarung über Kriterien zur Bestimmung von Netznutzungsentgelten für elektrische Energie und über Prinzipien der Netznutzung ... bis zum 31. Dezember 2003 die Erfüllung der Bedingung guter fachlicher Praxis vermutet“ werde. Federführer: Der energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Volker Jung, zugleich Beigeordneter beim VkU, der 1997 noch gegen eine Verbändevereinbarung gewesen war.

Das war ein folgenschwerer rechtstechnischer Trick: Wenn das Gesetz einem Verfahren die gesetzliche Vermutung der Richtigkeit beimisst, führt das zu einer Beweislastumkehr vor Gericht. Es muss jetzt nicht mehr der Netzbetreiber nachweisen, dass die Kalkulationsgrundsätze der Verbändevereinbarung fachlich in Ordnung sind und die Anwendung dieser Kriterien daher zu angemessenen Netzentgelten führt. Vielmehr musste der Netzzugangsaspirant dartun, warum diese Kalkulationsgrundsätze nicht zu angemessenen Netzentgelten führen, der davon gar nichts verstand: So war beispielsweise sehr strittig, welche Nutzungsdauern einem Anlagegut beizumessen waren. Beispiel: Ein Kabel, das nach seiner technischen Auslegung 50 Jahre nutzbar war, war gleichwohl mit einer Nutzungsdauer von nur 25 Jahren abgeschrieben worden. Solche kurzen Nutzungsdauern waren in vielen Bundesländern üblich, weil die Behörden, die die Aufsicht über die Strompreisbildung führten, die kurzen Abschreibungsfristen als sogenannte steuerliche Abschreibung akzeptiert hatten. Nach 25 Jahren wurde es also mit dem Wert 0 im Anlagenspiegel geführt. Wenn dasselbe Anlagegut nach den Nutzungsdauern der Verbändevereinbarung auf 50 Jahre abgeschrieben wurde, war es plötzlich wieder halb so viel wert, wie es ursprünglich einmal gekostet hatte. Man konnte es der Vereinigung Deutscher Elektrizitätswerke (VDEW) kaum verdenken, wenn sie im Rahmen einer Verbändevereinbarung für die Beibehaltung dieser Wohltaten aus früheren Monopolzeiten stritt. So blieben die Kosten der Stromdurchleitung rechnerisch höher als sie eigentlich sein mussten, und dementsprechend die Netznutzungsentgelte. Wenn der Gesetzgeber nunmehr diese Grundsätze der Verbändevereinbarung damit adelte, dass sie „gute fachliche Praxis“ darstellten, war jahrelanger Streit vor Gericht programmiert: Jahrelang deswegen, weil kein Richter sich mit dieser neuartigen Materie auskannte und deswegen auf Sachverständigengutachten setzen musste, um sich die Kalkulationsgrundsätze und die Berechnung als solche erklären zu lassen. Eine weitere Problematik bestand darin, einen Sachverständigen zu finden, auf den sich beide Parteien einigen konnten; sind doch in der Energiewirtschaft alle Sachverständigen irgendwo wirtschaftsnah. Auch Sachverständige aus Wirtschaftsprüfungsgesellschaften waren keineswegs neutral. Immer spielte eine große Rolle, welche Jahresabschlüsse sie zu prüfen hatten. Da brachte das Internet häufig überraschende Verortungseinsichten.

Im juristischen Schrifttum115 hat diese Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen herbe Kritik erfahren. Eine funktionierende wettbewerbsorientierte Praxis sei auf dem Elektrizitätsmarkt nur im Ansatz und auf dem Gasmarkt noch weitaus weniger spürbar. Es werde daher auf eine „Praxis“ verwiesen, die ihre Bewährungsprobe noch nicht bestanden habe. Der Bundesrat lehnte die Verrechtlichung beim Erdgas daher ab.116 Die Vermutung guter fachlicher Praxis habe die Funktion, einen möglichen Missbrauchsvorwurf nach den Regeln des Kartellrechts zu entkräften. Das führe zu einer Beweislastumkehr. Wettbewerber könnten die ihnen aufgenötigten Beweise aber schlecht führen. Damit würde die gesetzliche Vermutung, so die angesehenen Energierechtler Säcker/Boesche117, zur „EG-rechtswidrigen mitgliedsstaatlichen Verstärkung wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens“.

Am 14.3.2003 lehnte der Bundesrat die Verrechtlichung der Kalkulationsgrundlagen beim Netzzugang ab und rief den Vermittlungsausschuss an. In der öffentlichen Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestags am 13. Mai wandten sich die Mehrheit der Sachverständigen und insbesondere das Bundeskartellamt gegen die Verrechtlichung der Verbändevereinbarungen. Allenfalls könne man die Verbändevereinbarungen „berücksichtigen“. Insbesondere könne eine solche Vermutung nicht dem Kalkulationsleitfaden für Netzentgelte Strom zukommen. Die Verbändevereinbarung Gas sei insgesamt nicht so weit und könne deswegen keinesfalls an der Vermutung teilhaben.

Aber der Lobby-Einfluss war stärker: Der Bundestag beschloss die Verrechtlichung beider Verbändevereinbarungen mit der Beweislastumkehr. Jedoch wurde unter dem Eindruck des Vermittlungsverfahrens mit Art. 2 § 3 ein Monitoring eingeführt. Danach habe das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit dem Bundestag bis zum 31.8.2003 über die energiewirtschaftlichen und wettbewerblichen Wirkungen der Verbändevereinbarungen zu berichten und ggf. Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten.

Im ersten Monitoring-Bericht118 hieß es unter dem Stichwort „Durchsetzung des Netzzugangsanspruchs“ erwartungsgemäß, dass die Zivilgerichte und Kartellbehörden in großem Umfang in Anspruch genommen wurden. Was die Haushaltskunden angeht, wurde eine geringe Wechselbereitschaft beklagt, die insbesondere auf die vielen Schwierigkeiten beim Lieferantenwechsel zurückzuführen sei. Zu den Netznutzungsentgelten heißt es:

Wie angemessene Netznutzungsentgelte nach einem breit akzeptierten Verfahren bestimmt werden können, ist bisher nicht zufrieden stellend beantwortet. Die Preisfindungsprinzipien der VV II plus lassen insoweit eine Reihe wichtiger Fragen unbeantwortet ...“.119

Die Monopolkommission wurde in ihrem 15. Hauptgutachten vom 9.7.2004120 noch deutlicher: Es seien „weiterhin erhebliche Behinderungen beim Netzzugang in der Elektrizitätswirtschaft festzustellen, die auf das außerordentlich hohe Niveau der Netznutzungsentgelte in Deutschland zurückzuführen sind“. Die gerichtliche Kontrolle funktioniere nicht. Die Leitentscheidung des OLG Düsseldorf betreffend Netzentgelte vom 11.2.2004 (TEAG)121 wird mit den Worten kommentiert, die gerichtliche Kontrolle sei gescheitert:

Insgesamt wird die Missbrauchsaufsicht im Rahmen des allgemeinen Wettbewerbsrechts durch die Rechtsauffassung des Gerichts im Hinblick auf die Folgewirkungen der ‚Verrechtlichung‘ der Verbändevereinbarung geradezu ad absurdum geführt.“

Das OLG, dessen Entscheidungen wegen seiner Zuständigkeit für das Bundeskartellamt in Bonn die Rechtsprechung stark beeinflusst hatte, hatte ja die Verbändevereinbarung rundherum abgesegnet.

Damit hatte das OLG freilich nur die vom Gesetzgeber offensichtlich gewollte Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte praktiziert. Es war daher nur konsequent, wenn die Monopolkommission jetzt eine „Reform des Regulierungsrahmens“ und die vorherige Genehmigung der Netznutzungsentgelte forderte. Beides wurde dann mit dem zweiten Neuregelungsgesetz zum EnWG in Angriff genommen. Dabei musste der Gesetzgeber die Erfahrungen der Regulierung bei Telekom und Post berücksichtigen.

8. Rechtsschutz

Denn die Erfahrungen mit der gerichtlichen Kontrolle von Regulierungsentscheidungen bei Telekom und Post waren nicht ermutigend. Zerres, Mitarbeiter der Regulierungsbehörde, schrieb122, die Anfechtung von Regulierungsentscheidungen sei für Telekom und Post Routine. Im Zeitraum 1997 bis 2002 hätten die Unternehmen ca. 1.800 Verfahren gegen die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) bzw. das Bundesministerium für Wirtschaft angestrengt, davon seien 1.000 TK-rechtlich. Erledigt war zu diesem Zeitpunkt die Hälfte. Die Erfolgsquote liege bei etwa 50/50.

Lau123, Vorsitzender Richter des für die RegTP zuständigen Senats beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster, kam zu dem Ergebnis, dass häufig die Inanspruchnahme des Rechtsschutzes zum Aus der Maßnahme führe. Ein Hauptgrund sei die Dauer der verwaltungsgerichtlichen Eil- und Hauptsacheverfahren. Zwar seien die Maßnahmen der RegTP sofort vollziehbar. Jedoch setze die RegTP ab Stellung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz (von sich aus) den Vollzug aus.124 Eilverfahren dauerten gewöhnlich um die drei Monate. Damit erlangte das regulierte Unternehmen zumindest drei Monate Wettbewerbsvorsprung. Hauptsacheverfahren sind selten. Vom Bundesverwaltungsgericht lagen 2005, acht Jahre nach der Liberalisierung von Telekom und Post, nur zwei Hauptsacheentscheidungen vor.

Da die Beschlüsse der RegTP gegen das regulierte Unternehmen meistens auf ein Jahr befristet waren und der Rechtsschutz aufgrund der Komplexität der regulierten Sachverhalte und Regelungen geraume Zeit in Anspruch nahm, konnte von einem effektiven Rechtsschutz nicht die Rede sein. Zwar konnten auch Wettbewerber Eilrechtsschutz beantragen. Sie mussten jedoch einen Anordnungsgrund nachweisen, der regelmäßig verneint wurde, wenn die Hauptsache vorweggenommen wird. Der Anordnungsgrund wurde in der Regel nur bejaht, wenn der Wettbewerber seine Existenzgefährdung nachweisen konnte.125 Die deutsche Telekom bekam die Aussetzung jedoch schon dann, wenn „überwiegend wahrscheinlich ist, dass der Anspruch auf die Genehmigung des höheren Entgelts besteht“, wie es im TKG hieß. Zweierlei Maß!

9. Die EnWG-Novelle 2005

Die Beschleunigungsrichtlinien der EU vom Juli 2003 verpflichteten alle Mitgliedsstaaten, auch Deutschland, zur Einführung des regulierten Netzzugangs. Das Vorverständnis der Bundesregierung dazu ergibt sich aus der Rede von Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement anlässlich der Handelsblatt-Jahrestagung Energie vom 20.1.2004. Er sagte dort: „Es darf auf keinen Fall gegen den Markt reguliert werden. Den Wert der Regelungen, auf die sich Marktpartner bereits verständigt haben oder noch verständigen, wollen wir deshalb berücksichtigen. So wollen wir z.B. das Netzzugangsmodell aus der Verbändevereinbarung Strom in vollem Umfang übernehmen. Und auch bei der Festlegung eines unternehmerischen Risikozuschlages, der wegen notwendiger Investitionen ins Netz in die Entgelte eingerechnet werden darf, sollten wir uns an den Regelungen der Verbändevereinbarung orientieren.

Wenn „nicht gegen den Markt reguliert werden“ soll, heißt das: Nicht gegen die Branche. Wie das konkret geplant war, ergab sich aus dem „Entwurf eines zweiten Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts“ vom 14.10.2004.126 Als zentrale Regulierungsinstanz sollte die RegTP, nunmehr umbenannt in Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen (Bundesnetzagentur), eingeführt werden. Die Regulierung sollte sich auf die Festlegung der Methoden im Gesetz und in den Rechtsverordnungen beschränken. Die konkrete Aufsicht sollte im Nachhinein stattfinden. Diese Entscheidungen wurden von der Branche begrüßt. Das nimmt, angesichts der zahlreichen Eilverfahren auf Netzzugang, mich wunder.

Es gab jedoch auch kritische Stimmen127; vor allem deswegen, weil die zentrale Regulierungsbehörde nunmehr für etwa 1.600 Netzbetreiber zuständig werden sollte. Das ließ eine völlige Überforderung erwarten, weil nicht nur – wie bei Telekom und Post – zwei Unternehmen zu regulieren waren, sondern gleich 1.600 Netzbetreiber. Die Erfahrungen bei der RegTP alt zeigten außerdem, dass Telekom und Post praktisch jede Regulierungsentscheidung angefochten hatten, was zu einer Unzahl von Prozessen führte.128 Die Entscheidung für eine zentrale Regulierung hätte dann zu einer Konzentration des Rechtsschutzes beim Regulierungssenat des OLG Düsseldorf geführt, dessen Überlastung unschwer vorherzusagen war.129 Diese Überlegungen haben in der Tat gefruchtet:

Denn der Bundesrat forderte in seiner Stellungnahme130 ein Umschwenken in zahlreichen Grundsatzfragen:

 – Die explizite Etablierung einer Anreizregulierung,

 – eine wirksame Kontrolle des Netzzugangs und der Höhe der Netznutzungsentgelte durch Abkehr vom Prinzip der Nettosubstanzerhaltung,

 – Ersetzung des Begriffs der „energiewirtschaftlich rationellen Betriebsführung“ als Maßstab für die Angemessenheit der Netzzugangsentgelte durch den Grundsatz der „effizienten Leistungserbringung“ gemäß TKG,

 – eine vorherige Genehmigung der Netzentgelte (Ex ante),

 – Beteiligung der Länder für Netze mit maximal 100.000 Abnehmern und Belegenheit in nur einem Bundesland,

 – eine effiziente Kontrolle der Regelenergiepreise u.a.

Ferner bemängelte der Bundesrat den Umfang des Gesetzes und der vielen neuen Berichtspflichten, die Überladenheit der Stromkennzeichnungspflicht etc.

Im Vermittlungsverfahren kam es wie durch ein Wunder zu einer sehr weitgehenden Annäherung von Regierung und Opposition, wohl in erster Linie bewirkt durch die Erkenntnis, dass es die Union nach den Landtagswahlen 2005 in Nordrhein-Westfalen in der Hand hatte, das gesamte Gesetz scheitern zu lassen, was zunächst auch erwogen worden war. Da die Kommission bereits ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hatte, weil Deutschland mit der Anpassung seines Rechtsrahmens an die europäische Regulierungsrichtlinie säumig war, wäre leicht eine prekäre Situation entstanden, die durch die Einigung in letzter Sekunde vermieden wurde.

Die weitestreichende Änderung war zweifellos der Übergang von der Ex post-Kontrolle der Netzzugangsbedingungen und -entgelte zur Ex ante-Genehmigung durch die Bundesnetzagentur bzw. der Landesregulierungsbehörden (§§ 54ff.).131 Damit wurden die negativen Erfahrungen aus der Ex post-Kontrolle nach EnWG 1998 aufgegriffen. Die Unternehmen müssen ihre Entgelte vorab kalkulieren und genehmigen lassen. Das führte zu mehr Rechtssicherheit in zweierlei Hinsicht:

 – Zum einen stieg die Gewähr für Netznutzer, dass die Entgelte rechtmäßig kalkuliert sind;

 – zugleich konnten die Unternehmen gegenüber kritischen Netznutzern auf die Tatbestandswirkung der Genehmigung verweisen.

Die Etablierung von Landesregulierungsbehörden führte zugleich zur Dezentralisierung des Rechtsschutzes und damit zur Verminderung des „Flaschenhals-Effektes“ beim OLG Düsseldorf. Würden sich nämlich regulierte Netzbetreiber in dem Umfang gegen Entscheidungen der Agentur stemmen wie Telekom und Post, war mit dem Stillstand der Rechtspflege zu rechnen. Dabei muss bedacht werden, dass zwar die RegTP alt regelmäßig den Sofortvollzug der Regulierungsentscheidungen angeordnet hatte. Die Verwaltungsgerichte forderten die Behörde aber ebenso regelmäßig auf, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zur gerichtlichen Entscheidung abzusehen. Damit wurde die Schnelligkeit der gerichtlichen Entscheidung zugleich zur Voraussetzung einer effektiven Regulierung. „Effektiver Rechtsschutz“ hatte dann – fand er statt – mehrere Funktionen:

 – Er verhalf der Agentur zur Durchsetzung ihrer Entscheidung,

 – oder dem Netzbetreiber zur Durchsetzung seiner Rechtsauffassung,

 – was zu relativ früher Rechtssicherheit führte; auch für den Verbraucher.

Im Ergebnis wirkt sich diese Effektivierung auch für die Unternehmen positiv aus, weil sie schneller wissen, „wo es lang geht“, und weniger Rückstellungen bilden müssen.

10. Die Regulierung des Gasnetzzugangs

Eine ganz unerwartete Wendung nahm auch die Neuordnung des Gasnetzzugangs.

Nach dem Regierungsmodell sollte der Transportkunde mit jedem Netzbetreiber entlang der fiktiven Transportkette einen Transportvertrag abschließen (§ 20 Abs. 1b). Da Deutschland in eine Vielzahl von Netzen zerfällt, waren i.d.R. mehrere Durchleitungsverträge zu schließen, die auszuverhandeln viel Zeit und auch Geld kostete. Dazu kam die Vielzahl technisch aufwendiger Forderungen der Netzbetreiber beim Bilanzausgleich, beim Speicherzugang, bei unterjährigen Lieferungen oder Lieferungen gegen die Fließrichtung etc. Zu einer vernünftigen Weiterentwicklung der VV Gas kam es trotz der rituellen Drohungen von Minister Müller, er werde beim Scheitern der Verbändeverhandlungen eine Rechtsverordnung zum Gasnetzzugang erlassen, nicht. Selbst nachdem BEB sein funktionierendes Entry-/Exit-Modell132 vorgelegt hatte, gab das Wirtschaftsministerium dem Druck des BGW und der hinter ihm stehenden Ruhrgas nach und hielt am Transaktionsmodell fest.

Die CDU-Seite war jedoch in das Vermittlungsverfahren mit dem festen Willen hineingegangen, zu einem effektiven Netzzugang auch beim Gas zu kommen. Sie nahm dabei Überlegungen einer kommunalen Aktion Gasnetzzugang auf, getragen von 86 Stadtwerken, und der GEODE, eines Verbandes unabhängiger Netzbetreiber.133 Eine derartige, höchst erfolgreiche Intervention der kommunalen Seite hatte es im Gesetzgebungsverfahren noch nie gegeben – und sie war erfolgreich: Das Gesetz verlangte jetzt nur noch einen Einspeisevertrag mit dem Netzbetreiber, in dessen Netz die Einspeisung von Gas erfolgt, sowie einen Ausspeisevertrag mit dem Netzbetreiber, aus dessen Netz das Gas tatsächlich entnommen wird. Zur Umsetzung dieses Modells müssen alle Netzbetreiber kooperieren. Mit dem System der Kostenwälzung wie beim Strom kam es jetzt dazu, dass am Ausspeisepunkt, in der Regel beim Verteilnetzbetreiber, die Entgelte für alle berührten Ebenen abgerechnet werden. Schließlich wurden auch die Ferngasleitungen entgegen der Regierungslösung jedenfalls dann in die Regulierung auf Kostenbasis einbezogen, wenn nicht nachweislich Wettbewerb herrschte.

Zu diesem Gesetzgebungserfolg kam es nur, weil sich der Vermittlungsausschuss von den Vorstellungen des Wirtschaftsministeriums löste, das sehr stark unter dem Einfluss des BGW stand, was sogar nachgeordnete Bedienstete des Ministeriums unter der Hand bemängelten.

Ein Vorgang war außerordentlich aufschlussreich: Am Tag vor der abschließenden Beratung im Wirtschaftsausschuss schrieb der BGW an die CDU-Vorsitzende Merkel und mahnte eine Korrektur der vorgesehenen Regelungen zum Gasnetzzugang an. Aus Sicht der Gaswirtschaft sei „noch nicht abschätzbar“, ob die vorgesehenen umfassenden Kooperationsverpflichtungen und vertraglichen Regelungen „in der Praxis umsetzbar sind“. Diese Regelungen seien „in letzter Minute“ und „ohne vorherige Absprache mit der Gaswirtschaft“ getroffen worden.134

Ohne vorherige Absprache mit der Gaswirtschaft.“ Gesetz sollte also nur das werden, was die Gaswirtschaft vorher für gut befunden hatte. Wer ist der Gesetzgeber im Energiewirtschaftsrecht?

2 202,45 ₽
Жанры и теги
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
1018 стр. 14 иллюстраций
ISBN:
9783800593729
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают