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Beinneid und ein Tsunami auf dem Schulklo

»Gehet hin und tuet so!« Mit einer Segensgeste gibt Herr Sarytchew Ajas und Flashs Projekt das Okay und schickt sie hinaus auf den Schulhof der Hoffnungslosigkeit. Amen, Bruder.

»Die haben mein Rad geklaut«, sagt Aja. Sie kickt eine leere Dose Red Bullshit weg. Die Dose purzelt in eine Gruppe spielender Fünftklässler.

»Oh, tut mir leid.« Flash dackelt neben ihr her.

»War bestimmt auch Schicksal.«

»Bei unserem Projekt komme ich mir vor wie ein Fake«, sagt er. »Wir haben doch beide nicht mehr Lust drauf als die da.« Er deutet zu einer Gruppe Abi-Anwärter, die auf dem Gras unter den drei alten Linden chillen.

»Kein Inder verlangt von uns, dass wir die Sache mit Leidenschaft hinter uns bringen – fix rein, fix raus, erledigt.«

Sie geht schneller, um ihn loszuwerden, aber Flash hält Schritt.

»Heute ist schon Montag«, sagt er. »Wir haben keine zwei Wochen mehr.«

Aja biegt abrupt um die Ecke der Sporthalle – und rennt volle Kanne in Lissa. Autsch! Papier segelt durch die Luft.

Lissa reibt sich die Stirn und lächelt ihr Mona-Lissa-Lächeln, unergründlich. Sie und Hanna und Clara heben ihre Modezeitschriften und Kataloge auf. Flash, der Verräter, hilft ihnen. Warum aber fühlt sie sich schuldiger an dem Zusammenstoß als Lissa?

»Tizian«, sagt Lissa, »meint, deinem Dad geht es besser.«

»Wenn er das meint, wird es wohl stimmen.«

»Gratuliere zum Projekt«, sagt Lissa. »Ein würdiges Team mehr, gegen das wir antreten.« Wenn sie wüsste, was ihr Projekt ist!

»Am besten gebt ihr gleich auf«, sagt Aja.

»Ist eure einzige Chance, hm?«, kontert Hanna. Ihr rosa Top ist so eng, man kann die Preisschilder an ihren Silikonkissen lesen.

»Unser Projektleiter frisst Hanna aus der Hand«, sagt die dritte Nudel in der Hühnersuppe, Barbie Clara. Obwohl es Mittag ist, ist der Schatten ihrer Beine lang genug, um Aja darin frösteln zu lassen. »Worum geht es bei euch? Wieder um Survival im Wald wie bei deinem letzten«, Clara gähnt theatralisch und segnet Gänsefüßchen in die Luft, »Vortrag?«

»He, seid nett zu euren Wettbewerbern«, sagt Lissa. Mit ihren Kulleraugen fängt sie Flash wie ein Reh in einem Suchscheinwerfer. »Ihr macht was mit Gewitter und Blitzen, hab ich Recht? Wo Flash doch eine Koryphäe auf dem Gebiet ist.«

Aja bleibt der Atem weg. Woher weiß die von Flashs kranker Leidenschaft?

»Genau«, sagt Aja. »Wir brauchen noch Versuchskaninchen. Wie wär’s, Clara, du lockst bestimmt sogar mitten im Buchenwald die Blitze an.«

»Immerhin locke ich überhaupt was an.« Sie lässt ihren Blick über Aja gleiten wie einen spöttischen Scanner. »Während du hoffst, dass deine Abfallcouture die Jungs von ihrem traurigen Inhalt ablenkt.«

»Aja ist bloß beinneidisch«, sagt Hanna.

»Ich finde Ajas Beine okay«, sagt Flash und errötet bis hinter Kapstadt, als sich vier Augenpaare auf ihn richten.

»Ich kann meine Beine selbst verteidigen«, sagt Aja. »Und dich gehen sie gar nichts an, klar?«

»Mein lieber Sarytchew hat ganze Arbeit als Amor geleistet«, sagt Hanna und lacht und Clara auch, obwohl die sichtlich keinen Plan hat, wer oder was Amor ist.

»Nun ist aber gut.« Lissa klatscht in die Hände wie die Erzieherin in einem Kindergarten. »Wenn wir euch helfen können, gebt Bescheid.« Sie seufzt. »Ihr könnt die Sache ja ganz relaxt angehen. Von uns erwartet jeder, dass wir gewinnen. Wenn wir nur Zweiter werden, sind wir gesellschaftlich tot. Wir sind das Bayern München der Projektwoche.« Diese Tussi macht Aja fertig. Wie kann man gleichzeitig so nett klingen und so hintertrieben sein? »Außerdem«, fährt Lissa wie beiläufig fort, »will ich gewinnen.«

»Und Lissa«, sagt Clara, »kriegt immer, was sie will. Ciao, Ciao.«

Die Hühner flattern davon.

»Sie könnte uns bestimmt helfen mit unserem Ratgeber«, sagt Flash und wedelt mit einer vergessenen Modezeitschrift.

»Spricht da Hirn oder Hose?« Aja reißt ihm das Heft aus der Hand, versenkt es im nächsten Papierkorb und stapft zu ihrer Ecke hinter den Hortensien, wo sie in den Pausen ihre Ruhe hat. Heute knutschen dort zwei frühreife Sechstklässler.

»Lass ihn dir bloß nicht die Zunge ins Ohr stecken«, sagt Aja und zischt ab. An der Ecke der Sporthalle angekommen sieht sie gerade noch, wie Flash in die Toiletten einbiegt. Geduldig wartet sie vor dem Jungenklo. Eine Sekunde lang.

Unter den ungläubigen Blicken einer Handvoll Jungs läuft sie durch den nach künstlichen Rosen und echtem Tabak stinkenden Eingang in den Raum mit den Pinkelblüten. Neben den topmodernen wasserlosen, aber defekten Pissoirs stehen Eimer mit Wasser zum Nachspülen. Neben einem der Eimer steht Flash, den Rücken, Gott sei Dank und Diener, Aja zugewandt. Sie sind allein.

»Keine Bewegung«, ruft Aja. Flash erstarrt. »Die Hände dahin, wo ich sie sehen kann.«

Nach kurzem Zögern hebt Flash die Hände in Höhe seines Kopfes. »Stimmt, ich nutze deine Lage aus. Hör zu. Wir haben beide weder Stein- noch Holzbock auf Insein für Aussätzige. Und unsere Chancen gegen die Chicks sind kleiner als die kleinsten Zahlen, die Herr Hakimeh uns je beigebracht hat. Trotzdem werde ich tun, was ich kann, damit ihnen der Sieg schwerer fällt als ein großer Bogen ums Fashion Outlet. Dieselbe Leidenschaft erwarte ich von dir. Klar?«

Flash nickt. Hat es ihm die Sprache verhagelt? Soll ihr recht sein.

»Und meine Beine sind mehr als nur okay. Klar?«

Er nickt.

»Ich will ein angemessenes Adjektiv hören.«

»Wohlgeformt?«

Sie macht ein Furzgeräusch.

»Hüb... nein, superkalifragilistischexpiallegetisch?«

»Lasse ich gelten. Weitermachen.« Sie dreht sich zur Tür und geht, doch im Vorraum fällt ihr noch etwas ein und sie geht zurück. »Zeigst du eigentlich nie deinen Hintern beim Pinkeln?« Flash zuckt zusammen. »Ich meine, keiner von euch Jungs lässt die Hose komplett runter? Wovor habt ihr mehr Angst, vor Bewunderung oder vor Spott?«

Flash greift sich den nächsten Eimer und wirbelt herum, und bevor Aja erkennen kann, ob sie etwas erkennen könnte, schwappt ihr ein fliegender Tsunami entgegen. Kreischend springt sie zurück und in jemanden hinein.

»Aja?«

WC-Spülwasser triefend dreht sie sich um.

Tizian.

»Das kann ich erklären«, sagt sie und schweigt und Tizian sieht mit diesem feinen Grinsen auf sie herunter, nach dem sie so verrückt ist. Frech und neckisch schief hockt das kleine Hütchen in seiner Stirn. Und sie steht vor ihm wie ein bepisster Hydrant.

»Ich habe sie getauft«, sagt Flash. »Das ist so Sitte in den USA, du kennst das ja. Man macht ein Projekt zusammen und gibt sich während des Projekts einen Kampfnamen, machen die da alle an der Highschool.«

»Cool«, sagt Aja und meint vor allem Flashs flashige Schlagfertigkeit.

»Ja, klar«, sagt Tizian. »Und wie ist dein Kampfname?«

»Den wissen natürlich nur die Projektler«, sagt Flash rasch und lacht total künstlich.

»Ist natürlich alles Aberglaube«, kommt Aja ihm zu Hilfe.

»Aber es macht total Spaß«, ergänzt Flash.

»Das sehe ich«, sagt Tizian und stupst mit dem Daumen den Hut nach hinten.

»Was ist da drin los?«, gellt eine Mädchenstimme von draußen.

»Ich komme, Emm.« Er tippt an seine Stirn, sagt, »Wir sehen uns«, und geht.

»Projekttaufe?«, sagt Aja.

»Herr Sarytchew hat mich inspiriert.«

»Dann gehen wir mal und tun so. Aber«, sie zupft an seinem Hemd, unter dem er ein T-Shirt trägt, »dieses Hemd wird beschlagnahmt und mir geborgt. Projekt Trockensein für Klatschnasse. Los, ausziehen.«

»Oh, sorry, ich wollte nicht stören.« Tizian streckt seinen Kopf herein. »Ich wollte dir noch was sagen, aber das hat Zeit.«

Und er zwinkert ihnen zu und er geht und er tut so ... als wären sie und Flash ein Paar.

Halleluja.

Die Geliebte des Donnergottes

»Wirf deine Satteltaschen da drauf, Cowboy.« Aja deutet auf die schäbige Matratze, auf der schon ein Schlafsack liegt. Ansonsten ist das Schlafzimmer ihres Vaters bis auf ein Paar alte Kinosessel unter Kleiderhaufen leer. Es riecht verhalten nach Eselstall.

Flash lädt seine Fahrradtaschen und seinen Schlafsack neben die Matratze. Der andere Schlafsack ... Aja will, dass sie hier zusammen die Nacht verbringen! Die Nächte bis zur Abgabe ihres Projekts! Er spürt die Wärme, die von ihrem Körper ausgeht. Ihr Anblick ist in seine Netzhaut gebrannt: Das lange braune Haar hat sie in zwei Pferdeschwänze gebändigt, ihren zierlichen Körper in ein schwarzes T-Shirt über Jeans gezwängt, ihre Füße sind nackt. So stellt er sich Sif vor, die Geliebte des Donnergottes Thor.

»Daheim kann ich nicht bleiben«, sagt Aja. »Sabine hat den Eiermann bei sich aufgenommen. Allein die Vorstellung, wie er halbnackt und mit frisch polierter Glatze aus dem Bad kommt ... igitt!« Sie geht zum Fenster, reißt es auf – Danke! – und setzt sich auf die Fensterbank. »Falls du irgendwelche über die Atemwege übertragbaren Krankheiten hast, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt zur Beichte.«

Flash winkt grinsend ab. Seiner Mutter hat er auseinandergesetzt, wie hart sie für das Projekt arbeiten müssen. Unmöglich könne er den halben Tag damit verschwenden, von ihrem Hof in die Stadt und zurück zu radeln. Aja? Die würde selbstverständlich bei sich zu Hause schlafen.

Keine Lüge, sondern der glücklichste Irrtum seines Lebens!

»Fassen wir mal zusammen, wo wir mit dem Projekt stehen«, sagt er. »Am Freitag in einer Woche ist Abgabe ...«

»Und wenn wir nicht mindestens eine Zwei kriegen, darf ich den Bildungsetat ein Schuljahr länger belasten.«

»Im Ernst?«

Aja spuckt zum Fenster hinaus, wartet zwei Sekunden, dann: »Mist, daneben.«

»Das ist also unser Stall«, sagt Flash und wird rot. »Ich meine, unser Hauptquartier.« Und der Ort, an dem es vielleicht passieren wird. Wenigstens hat er das nicht auch noch Philomena versprechen müssen.

Aja springt von der Fensterbank und geht aus dem Zimmer.

»Ein Künstler wie Paps braucht eine freie Umgebung, Platz für seine Ideen und Visionen.«

»Klar«, sagt Flash. Am Kopfende der Matratze hat Ajas Vater ein paar kleine Fotos an die Wand gepinnt. Eins davon zeigt einen attraktiven, schnurrbärtigen Mann mit zwei kleinen Kindern. Rasch folgt er Aja ins Wohnzimmer.

»Er ist kein Alki«, sagt sie. »Er ist bloß sensibler, als gut für ihn ist.«

Ihm gefällt, wie Aja ihren Vater verteidigt. Sogar die Bude gefällt ihm. Liebe betäubt neben dem Fluchtinstinkt also auch die Geruchsnerven. Ein Schaukelstuhl, der nicht mehr schaukelt, ein Sofa, dessen Sprungfedern wie Kaffeeringe durch den fadenscheinigen Stoff schimmern und zwei Boxen von der Größe der Twin Towers in New York. Mit dem Unterschied, dass diese Boxen locker ein paar abstürzende Flugzeuge verkraften würden. Ansonsten Schallplattenhüllen und Pizzaschachteln. Nicht leicht zu entscheiden, wo eine Vinyl-Platte und wo eine Pizza drin war. Oder ist.

»Gadds weißrussische Putzfrau ist billig, aber blind«, sagt Aja. »Damit das klar ist: Wir treffen uns nur hier, damit keiner uns dauernd zusammen sieht und die Gerüchteköche ein Sechs-Gänge-Beziehungsmenü plus spöttischem Gruß aus der Küche und Alles-Käse-Platte daraus zaubert. Klar?«

»Klar«, sagt er. »Dreck ist out, Ma’am, selbst im Wilden Westen. Wo ist die Mistgabel?«

»Erstens: Recherche«, sagt Flash und schnappt sich rosa Gummihandschuhe über die Finger. »Und zweitens: Schreiben. Diese Woche recherchieren wir beide, ab Montag wird geschrieben. Du stehst in Deutsch auf Zwei, ich auf Vier, das heißt, du schreibst, ich recherchiere, was dann noch fehlt.«

»Gut.« Aja fährt Flashs Laptop hoch. Sie sieht das Gerät misstrauisch an. »Da kriege ich auch keine gewischt?«

»Was?«

»Vergiss es.«

»Das ist ein hochmodernes Gerät! Da sind lauter wichtige Sachen drauf, und normalerweise gebe ich ihn nicht aus der Hand, niemandem, nie. Ich hoffe, du weißt das zu schätzen.«

Aja ignoriert ihn.

»Wir müssen die Sache aufteilen, in verschiedene Themen. Was kann alles in sein und was out? Mode.« Sie tippt.

»Ich gehe jetzt rein, Captain«, sagt er ernst und öffnet vorsichtig die Tür zum Bad. »Sagen Sie meiner Familie ...«

»Du bist nicht witzig, Blitzboy.«

»In-Getränke«, ruft Flash zwischen den Kacheln. Hier drin würde Frau Rubenow, ihre Biolehrerin, ihre Freude haben: mit neuen Spezies von Schimmelpilzen und Krabbeltieren. »Falls die Freumbichler Kakerlake das Insekt des Jahres wird – heißt das dann, sie ist in dem Jahr in?«

Aja lacht. Es ist das schönste Geräusch der Welt. Sein Magen krampft sich zusammen vor Sehnsucht.

»Kneipen und Discos«, fährt sie fort. »Wohin man ausgeht.«

»M-Musik«, stottert Flash und atmet durch. »Lieder und Bands.«

»Farben, Namen, Games, Bücher, Filme, Handymarken. Eigentlich alles.«

»Wir müssen uns auf die Wichtigsten beschränken.« Er holt seinen Rucksack aus dem Schlafzimmer, zupft eins der Fotos von der Wand. Im Wohnzimmer nimmt er Lissas Modezeitschrift heraus, die er unterwegs aus dem Papierkorb gefischt hat. Er legt sie Aja hin und das Foto obendrauf. Es wurde vor einer alten Garage aufgenommen, im Schneematsch. Die drei darauf grinsen wie im Badeurlaub. Das Mädchen ist unverkennbar Aja, als sie fünf oder sechs war und total niedlich.

»Wer ist der Junge?«, fragt er. Der aufgeweckte Knirps ist ein, zwei Jahre jünger als Aja damals.

Sie wischt das Foto beiseite, als wäre es nichts weiter als eine Werbepostkarte aus der InStyle. Energisch blättert sie die Zeitschrift durch, reißt eine Seite entzwei, blättert weiter.

»Gelten diese In-und-Out-Listen für alle Frauen auf der Welt oder nur für die Leserinnen? Gelten sie auch noch, wenn man sein Abo kündigt?«

»Ist das dein Bruder?«, fragt Flash und hebt das Foto behutsam auf.

»Besitzanzeigendes Fürwort«, sagt sie und nimmt sich die nächste Zeitschrift vor. Sie sieht Flash nicht an, so wenig wie die Zeitschrift. »Mein Bruder, nicht deiner, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«

Er hat eine wunde Stelle getroffen.

»Du hast Recht«, sagt er, »das war eine blöde Idee mit den Magazinen.« Er geht kurz ins Schlafzimmer und pinnt das Bild an die Wand. »Was recherchieren wir noch?«

»Charaktereigenschaften. Anmachsprüche. Da hast du auch was von.«

Er grinst, aber sie sieht weiter nur auf das Heft in ihrem Schoß.

»Schulfächer«, sagt er. »Berufe. Gesellschaftliche Strömungen und Trends.«

»Was?« Endlich blickt sie auf, ganz kurz nur und wischt sich mit dem Arm über die Nase.

»So was wie Langeweile ist das neue Entertainment

»Sich langweilen heißt heute chillen«, sagt sie, aber sie unterdrückt ein Grinsen, immerhin. »Wir müssen die richtigen In-Wörter benutzen.«

»Mode ist wichtig«, sagt er, obwohl er lieber über etwas anderes sprechen würde. Über Aja. Ihren Bruder. Ihre Traurigkeit. »Was ziehe ich an?«

»Keine rosa Gummihandschuhe. Wolltest du nicht putzen?«

Er trottet zurück ins Bad.

»Primark hat, was gerade in ist«, ruft sie.

»Du kennst dich ja doch aus.«

»Ich muss beim Sport mit lauter Hühnern in die Umkleide. Wen fragen wir?«

»Philomena. Sie war Modistin. Sie kennt Coco Chanel persönlich.«

»Coco Channel? Klingt wie ein afrikanischer Fernsehsender.«

»Das Putzmittel ist alle«, ruft Flash.

»Tizian«, sagt sie. »Der kennt sich aus mit allem, was cool ist. Den interviewe ich.«

Flash feuert den Schwamm gegen die Kacheln und eine schaumige Spur schmiert bis auf den Boden. Tiziansein für Flash – den Ratgeber würde er auswendig lernen.

»Ich spreche mit Lissa«, ruft er. »Die ist immer perfekt angezogen.«

Schweigen.

Verärgert schrubbt er die Badewanne – keine Chance, der Kalk hat das Email längst assimiliert.

»Ich fürchte, die Wanne müssen wir erschießen.«

»Baden ist sowieso out.«

»Woher weißt du das?«

»Lies in unserem Ratgeber nach. Seite 428.«

Im nächsten Moment geht die Welt unter.

Flash stolpert aus dem Bad in ein Kreischen von Stimmen und Instrumenten.

»Mach! Den! Krach! Aus!«

Aja schreit etwas, was er nicht verstehen kann und wedelt mit einem Plattencover, auf dem ein verzerrtes Gesicht prangt, Augen und Mund in Panik aufgerissen – passt.

Flash dreht die Musik leiser, doch das Schlagzeug poltert unbeirrt weiter – nö, da hämmert wer gegen die Tür. Wenn jemand ihre Eltern verständigt, könnten die kommenden Nächte Aja-los werden.

Er zieht den Stecker.

Pfadfinderatmosphäre und das Ende der Weltkultur

»Das gibt Ärger«, sagt Flash, auf den Knien, in rosa Gummihandschuhen und das Kabel der Hi-Fi-Anlage in der Hand. Er ist definitiv megaout, das muss sie nicht recherchieren. Aber wenn er meint, er könnte ihre Vergangenheit recherchieren, hat er sich geschnitten, getoastet und gebuttert.

»Ich beschütze dich, Blitzbaby.« Aja öffnet. Oh no! Sabine lächelt sie breit an, doch nicht breit genug, um den Eiermann schräg hinter ihr zu verbergen. »Habt ihr was zu Essen mitgebracht?«

»Solche Musik lässt man nur laufen, um ein Verbrechen zu übertönen«, sagt er und tritt ungebeten ein. »Wen hast du umgebracht, Missy?«

»Flash lebt noch«, sagt Aja. »Na ja, wenn man das Leben nennen will.«

Flash winkt mit seinen peinlichen Handschuhen.

»Was habt ihr denn getrieben?«, fragt Sabine.

»Wie es aussieht, heftigstes Pétoncle«, sagt Eiermann und blinzelt Aja zu. Was für ein Widerling. Aber ein gutes Gedächtnis.

»Ich dachte, das wär was zu essen«, sagt Sabine.

»Was wollt ihr hier?«

»Gerd hat mich gebeten, ihm ...«

»Er hat dich gebeten? Du warst bei ihm?«

»Entschuldige, dass ich noch mit deinem Vater rede.«

»Wolltest du dich an seinem Elend aufgeilen?«

»He, he, Fräulein ...«, mischt der Eiermann sich ein.

»Fräulein?« Aja wendet sich an Sabine. »In welchem Jahrhundert hast du den exhumiert? Was ist jetzt mit dem Essen?«

»Manchmal darfst du dich einfach nicht auf ihr Niveau begeben«, sagt Sabine zum Eggman und schiebt sich an ihr vorbei. An Flash gewandt sagt sie: »Du bist also ...«

»Niemand«, unterbricht Aja. »Wir machen ein Schulprojekt zusammen. Das ist komplett alles und das Einzige, was wir zusammen machen, zusammen gemacht haben und je zusammen machen werden.«

»Flash«, sagt Flash. »Ich habe Ihnen bei der letzten Weihnachtsfeier Bowle verkauft.«

Sabine lächelt höflich und geht ins Schlafzimmer. Aja rennt ihr nach.

»Er will sein senffarbenes Cordhemd«, sagt Sabine und verzieht das Gesicht.

»Was dagegen einzuwenden?« Aja gefällt ihr Vater in dem Hemd. Sie findet es sofort, unter dem mittleren Kinosessel.

»Es hat braune Ellbogenpads!«, ruft Sabine ungewohnt leidenschaftlich. »Allein dafür müsste man die ganze Herstellungskette hinrichten: den kranken Designer, der sich das ausgedacht hat, die kranken Näherinnen, die das zusammengestückelt haben, die Verkäufer, die es in ihren Laden hängten und den Käufer, der das Teil freiwillig anzieht. Aber jetzt ist es in der Welt und richtet irreparable Schäden am Ästhetikempfinden der Menschheit an. In einem solchen Fall müsste die UNESCO die Weltkultur enterben.«

»Wow«, sagt Aja, beeindruckt von Sabines Power. Das ist so einer der Momente, in denen sie an ihrer Theorie zweifelt, nur adoptiert zu sein. »Paps liebt das Hemd.«

»Liebe rechtfertigt nicht alles.«

»Diese Begründung ist so total du! Statt ihm bloß sein Lieblingshemd zu bringen, könntest du zur Abwechslung mal Kohle rüberwuchern lassen.«

»Davon verstehst du nichts.«

»Erklär’s mir.«

Sabine schüttelt nur knapp den Kopf, sie hat das knappste Kopfschütteln der Welt drauf. Der Eiermann kommt herein, gefolgt von Flash.

»Zwei Schlafsäcke«, sagt Eggi. »Wie nett – Pfadfinderatmosphäre.«

»Er schläft auch hier?«, fragt Sabine, nun doch mit einer Spur Besorgnis in der Stimme.

»Äh«, sagt Flash, wortgewandt wie immer, und wird rot, »nein«, sagt Aja.

»Weiß deine Mutter davon, Flash?« Sabine, der alte Kampfhund, lässt nicht locker.

»Äh«, sagt Flash, die alte Quasselstrippe, und wird roter, »klar«, sagt Aja.

»Ich zähle auf euer Verantwortungsgefühl«, sagt Sabine.

»Wenn das mal kein Fehler ist«, sagt der Eiermann.

»Wenn es einer ist, ist es meiner«, sagt Sabine.

»Technisch gesehen«, sagt Aja, »wäre es meiner.«

»Wenn ich sehe, wie Gadd haust«, sagt der Eiermann, »wundert mich nicht mehr, wie Aja so werden konnte.«

»Edgar, das reicht«, sagt Sabine.

»Der Teppichboden sieht aus wie etwas, das mal lebte«, sagt Edgar Asshole Eggman, »vor langer, langer Zeit, und das man von seinen Qualen erlöst hat.«

»Sie haben Recht«, sagt Aja.

»Habe ich?«

»Mit dem Teppich. Den Perser hat Paps in den Siebzigern in Teheran geschossen. Bloß von Kunst und Künstlern haben Sie zero Ahnung.«

»Ein richtiger Künstler hätte nicht seine Drumkits versetzt, er hätte sich ...« Er schüttelt den Kopf. »Ich habe zusammen mit deinem Vater gespielt.«

Sie reibt sich über den Kopf.

»Billard?«

»Gitarre, halbakustisch. Vor deiner Zeit.«

»Wir gehen jetzt«, sagt Sabine und schwenkt Gadds Hemd, aber Guitar Hero Egg rührt sich nicht vom Fleck.

»Gadd war immer ein netter Kerl«, sagt er. »Bloß dass er als Vater was taugt, habe ich nie geglaubt. Du beweist mir, ich hatte Recht. Danke.«

»Hatten Sie nicht«, sagt Flash. Als plötzlich drei Augenpaare auf ihn gerichtet sind, stammelt er: »Ich kenne ihn ja kaum, aber ... aber ich habe miterlebt, wie er mit Aja redet und ...«

»Ich kann meinen Paps allein verteidigen, herzlichen Dank, Mister Projektassi.«

»Ich gebe dir einen Tipp, Flash«, sagt der Eiermann. »Weil du aussiehst wie ein netter Kerl: Such dir eine andere für dein Projekt. Aja ist zu selbstbezogen für Teamarbeit.«

»Sagt das Ei, das mich besser kennt als seinen eigenen Dotter.«

Eggman wedelt mit dem Zeigefinger vor Ajas Gesicht herum.

»Ich kenne dich besser, als du denkst, Fräulein.«

»Wir gehen«, sagt Sabine böse und zerrt Eggplant hinaus auf den Flur.

»Du lässt ihr zu viel durchgehen, Sabine«, sagt er in der Tür. »Ich weiß ja, dass du an ihr gutmachen willst, was ...«

»Sei still«, sagt Sabine ebenso leise wie böse – Kampfhundknurren ist nichts dagegen.

»Wenn du meine Tochter wärst ...«, ruft das Ei des Kolumbus und macht sich von Sabine los. Bevor er aber wieder einen Körperteil vor Ajas Nase schwenken kann, tritt Flash zwischen ihn und sie.

»Ich sehe, Sie kennen sich mit Herrenmode aus«, sagt Flash und lächelt freundlich. »Ist für unser Projekt, es geht ums Insein.«

»Tatsächlich?« An Flash vorbei sieht er Aja an. »Deine Mutter hat dich mir immer als freien Geist beschrieben. Das hat mir gefallen. Und auf einmal willst du in sein?«

Was will sie? Sie hat schon ein Pfund Wut auf der Zunge, aber sie überlegt es sich anders. »Besser in meinem Alter in sein als in Ihrem Alter so sein.«

»Ihr Anzug«, mischt sich Flash wieder ein.

»Hat meine Frau ausgesucht, gekauft und geändert.«

»Komm jetzt, Edgar ...«, sagt Sabine.

»Du darfst nicht über deine Frau sprechen, Eddie«, sagt Aja. »Was setzt man eigentlich einer Frau auf, die man betrügt? Hörner gehen ja nicht. Vielleicht Euter?«

»Du hattest Recht, Bini«, sagt der Eiermann. »Da ist das falsche Kind auf der Strecke geblieben.«

Was? Sie will es herausschreien, aber ganz plötzlich verlässt sie jede Kraft.

»Mama ...«

»Spinnst du?«, faucht Sabine den Eiermann an. »Siehst du nicht ...« Sie nimmt Aja das Hemd aus der Hand und küsst sie auf die Wange. Aja kann noch immer nicht fassen, was sie da gehört hat. »Das habe ich nie gesagt, Schatz. Er will bloß ...« Sie wirbelt zum Eiermann herum und knallt ihm eine mitten in sein Grinsen. Dann schubst sie ihn raus aus der Wohnung. »Warum hast du das gesagt?«, hört Aja noch, dann entfernen sich die Stimmen.

»Was?«, murmelt sie.

Flash sieht sie nur an, mitleidig oder fragend, jedenfalls irgendwie, und alles ist falsch und sie schreit ihn an:

»Du hast nichts gehört, okay? Du vergisst das sofort wieder. Jetzt machen wir dieses beschissene Projekt, jetzt erst recht.«

»Klar«, sagt Flash.

»Und wegen heute Nacht ...«

»J-j-ja?«

Sie könnte ihn fast süß finden, wie er da steht und sich alle Mühe gibt, nicht rot zu werden. Wenn sie nicht noch so sauer wäre auf Sabine und diesen ... Eiersack!

»Ich finde, du hast dir für später eine Belohnung verdient. Wie du zwischen ihn und mich gegangen bist.«

»Eine Belohnung

»Klopf, klopf.« Ein Fremder tritt in den Wohnungsflur. Bini hat die Tür aufgelassen. »Grüß euch«, sagt der Typ in rosa Lederjacke, er ist dürr und stoppelig wie ein Kaktus im Hungerstreik. »Ich hab gehört, Gadd F. wohnt hier, und eben fetzen King Crimson durchs Treppenhaus und da wollte ich ... hier.« Er hält ihr eine Tasse in der Hand entgegen mit was Weißem.

»Koks?«, fragt sie ungläubig.

»630er-Dinkelmehl, bio, ich dachte, gute Nachbarn leihen sich Mehl, aber ich habe ja welches, vielleicht hat Gadd ja keins ...«

»Du kennst Gadd?« Sie nimmt ihm die Tasse ab und gibt sie Flash.

»Bin ein Fan«, sagt Rosa Leder. Er trommelt mit den Ärmchen durch die Luft und verteilt großzügig Achselschweiß. »Ich wohne schon länger hier. Ich konnte einfach nicht glauben, dass der Freumbichler auf dem Klingelschild tatsächlich der Freumbichler ist. Dann kam der Rettungswagen, und einer der Nachbarn hat mir den Namen gesteckt. Wie geht ...«

»Gut«, sagt Aja. »Wenn Paps wieder daheim ist, kriegst du ein Autogramm auf deine Tasse.«

»Krass, Mann, und, he, coole Wohnung. Und falls ihr Eier braucht oder Milch, ich bin die rosa Tür im Dritten.« Im Gehen sagt er noch: »Ich mag einfach die Farbe, okay?«

»Ein Fan«, sagt Aja und strahlt, ein bisschen mit der Welt versöhnt. »Wo waren wir? Ach, beim Schlafen.«

»M-hm«, sagt Flash und sieht mit der Tasse in der Hand aus wie ein Spendensammler vom Roten Kreuz.

»Chill, Baby, das auf der Matratze ist Gadds Schlafsack. Ich penne hier immer auf der Couch. Und deine Belohnung ... Du darfst mir Pfannkuchen machen!«

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9783847679141
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