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Schwafeleien und Machogehabe

31. Dezember Da ist sie wieder die Depression. Seit zwei Tagen und drei Nächten tue ich kaum etwas anderes, als ununterbrochen zu grübeln, mich in Rage zu denken. Ich kann noch nicht einordnen, was der Auslöser war, bin jedoch sicher, dass Pascal Teil dessen ist. Der andere Teil wird der Abschied von Lukas gewesen sein, den ich jetzt erst so richtig verarbeite. Nein, eigentlich ist alles schuld, was mich emotional berührt. Den zweiten Weihnachtstag verbrachten Paschi, Mutti und ich bei Oma. Zu Besuch kam unter anderem der Bruder meines Onkels. Wir sprachen eine ganze Weile über Andys Selbsthinrichtung und sahen uns die Bilder der Beerdigung an. Auch Papa war Thema ... Abgesehen von der Futterei war es ein fabelhafter Abend. Trotzdem ertrug ich das Miteinander schwer. Ich hatte keinen Bock, mich zu unterhalten, wollte nichts als Rückzug. Vor allem aber ekelte ich mich vor Pascals Essmanieren. Sein Haupt hing geradezu in der Geflügelsalatschüssel, die er zur Hälfte leerte. Zusätzlich stopfte er sich ein Toast nach dem anderen rein (es gab Kekse, Kuchen und Torte vorweg!). Anschließend ächzte er, wie voll er sei. Sein Bauch quoll dick über den Hosengürtel. Und pausenlos rülpse er in seine Hände. Dagmar rollte die Augen, Susi gestikulierte das Kotzen. Es brachte natürlich nichts, ihn darauf aufmerksam zu machen. Wie sonst auch stritt er alles ab, kochte runter, drehte mir die Sätze im Munde um. In solchen Momenten frage ich mich, wie ich’s mit ihm aushalte. Inzwischen sind wir eineinhalb Jahre zusammen. Ein ungleiches Paar zwar, aber immerhin mit ausreichend Gemeinsamkeiten. Allerdings hab ich einiges an ihm auszusetzen: seine aufbrausende Ungeduld, sein prolliges Gebaren und Machogehabe. Wir sind uns in so ’nem Aufreißerschuppen auf’m Kiez begegnet. Ich weiß nicht mehr, wie wir ins Gespräch kamen. Vermutlich lag’s am Alkohol. Obwohl er mir auf den ersten Blick optisch zu sehr nach Türsteher aussah, fühlte ich mich stark von ihm angezogen. Von seinem strahlendweißen Lachen, den leuchtenden, grünen Augen und der kräftigen Statur. So ein richtiger Bodyguard und Anlehnungstyp. Die ersten Dates folgten. Er begeisterte mit Charme, rauer Stimme, attraktiver Männlichkeit, die auch anderen Damen den Kopf verdrehte, Unterhaltsamkeit, Zärtlichkeit und nicht zuletzt mit seinem Jagdinstinkt, mich hartnäckig zu erbeuten. Denn anfänglich wäre mir gar nicht in den Sinn gekommen, ihn als Partner in Erwägung zu ziehen. Damit, dass er mal verheiratet gewesen war, hatte ich kein Problem. Ich schätzte seine Offenheit und Ehrlichkeit auf Anhieb. Er erzählte mir von der Ehe und seiner letzten Exfreundin. Während er damals über die Scheidung nachdachte, weil seine Exfrau nach eigenen Worten geldgierig, faul, zickig und hinterlistig gewesen sein soll, setzte sie heimlich die Pille ab und wurde schwanger. Unabhängig von seiner Trennungsabsicht fühlte Paschi sich noch nicht bereit, eine Familie zu gründen. Er befand sich gerade mitten im Aufstieg seiner Berufskarriere beim Bund. Daher forderte er die Abtreibung, die sie verweigerte. Demnach probierte man es weiter, wobei die Gefühle bereits erloschen waren. Wenig später ging sie ihm mit einem anderen fremd, den sie dann auch heiratete. Nach der Scheidung schwängerte er seine Exfrau im Ausrutscher ein zweites Mal. Um ihr Liebesglück vollkommen zu machen, bat sie ihn, die gemeinsamen Kinder zur Adoption freizugeben. Ihr Mann würde sich der Vaterrolle annehmen. Er willigte ein und beendete sogleich die Zahlung des Unterhalts. Eine ziemlich üble Phase folgte. Er verlängerte seine Laufbahn beim Bund nicht, sondern zog stattdessen hierher, verschuldete sich, meldete Privatinsolvenz an, driftete in falsche Kreise ab und beging ein paar Straftaten. Meine Vorgängerin lernte er im „Milieu“ kennen. Geblendet von der rosaroten Brille ließ Pascal sie schon nach einem halben Jahr bei sich einziehen. Dann aber stellte sich heraus, dass sie in ihrer Art „dumm wie Brot, krankhaft eifersüchtig, manipulativ und gestört“ war. Eines Tages, nachdem sie seine Pornosammlung entdeckt hatte, tickte sie gänzlich aus und ging mit einem Gürtel auf ihn los. Die Streitereien eskalierten so weit, dass sie ihn mit einem Messer attackierte, woraufhin er reflexartig ausholte und ihr eine scheuerte. Und ich dachte, ich wäre verrückt! Dass ein Mann eine Frau schlägt, ganz gleich, was sich diese leistet, ist ein absolutes No-Go, das sich mit nichts entschuldigen lässt. Daher entschied ich, das Ganze langsam angehen zu lassen, zumal ich mir meinen Traumprinzen ganz anders vorstellte. Mit seinen ehemaligen Kreisen hatte er glücklicherweise nichts mehr am Hut; mittlerweile arbeitete er als Bauarbeiter. Mir waren hin und wieder lediglich sein Styling (Unterhemd, Tarnhose, Armyboots) und sein Auftreten (Undercut, geschmacklose Tribal-Tattoos) peinlich. Aber daran konnte ich drehen und das tat ich. Inzwischen gelt er die Locken wie James Dean aus der Stirn, und Koteletten zu Stoppelbart zieren sein markantes Gesicht. Er trägt weiße Hemden, aus dem seine braunen Brusthaare herausblitzen, und schicke Jeans, gelegentlich zu Anzugschuhen. Nach einem knappen Monat passierte das mit Lukas. Paschi war so rührend für mich da, dass ich mich in ihn zu verlieben begann. Vielleicht hatten wir einander gerade deshalb gefunden, um uns gegenseitig Halt zu geben. Die Wochen verstrichen. In erster Linie schön, aber auch nicht unproblematisch. Hie und da kam seine Spießigkeit zum Vorschein. Dass ich in meiner Singlezeit sexuell nicht weniger aktiv war als er, verärgerte ihn derart, dass er mich als Bitch beleidigte. Die Einstellung, Frauen hätten nicht die gleichen Rechte wie Männer, wurde lange zum lästigen Thema, das mich mehrere Male zum Absprung motivierte. Darüber hinaus führten wir zahlreiche Diskussionen über mein Bedürfnis nach Raum und Freiheit, von dem ich zu Anfang geglaubt hatte, er würde es gut händeln können. Nun bin ich in seinen Augen anormal, weil ich die Auffassung, jede freie Minute zusammen verbringen zu müssen, nicht teile. Es brauchte viel Geduld, bis er lernte, das einigermaßen zu akzeptieren und zu tolerieren. Wir haben wirklich etliches durchgemacht und übergestanden. In gewissem Rahmen ergänzen wir uns. Wenn der eine schwach ist, ist der andere stark. Ich glaube, wir sind vor allem so weit gekommen, weil Paschi beharrlich blieb und niemand ist, der jammert oder gerne zofft. Außerdem brachte das Vertrauen, den anderen in- und auswendig zu kennen, Stabilität in unsere Beziehung. Die langsam zerbröckelt ... Er versicherte mir, er werde zukünftig ein sauberes Leben führen. Das erwarte ich auch. Ebenso wie das Verändern seines Dauerpleitezustands. Zu meiner positiven Überraschung trat er daher einen neuen Job an, der ihm mehr Geld einbringt, und setzte sich das Ziel, die Insolvenz aufzulösen. Klang super ... Dass er sein Ziel jedoch von seinem besten Freund Steffen, der angeblich ein paar Millionen von seinem Onkel erbt, abhängig macht, ist Grund Nr. 1, der mich daran zweifeln lässt, ob das mit uns weiterhin Bestand hat. Die zwei planen nämlich ein gemeinsames Geschäft, für dessen Vorbereitung Pascal keine negativen SCHUFA-Einträge haben darf. Demzufolge wird Steffen ihm den Insolvenzbetrag auszahlen und für sein Einkommen sorgen. Ob Paschi sich gar nicht schlecht dabei fühle, ein solch großes Angebot von einem Freund anzunehmen, fragte ich. Versprochen sei versprochen, trotzte er. Ich hätte das Erbe von Klaas schließlich ebenfalls angenommen. Damit hat er zwar Recht, aber im Gegensatz zu ihm steht mir das als Tochter zu! Weil Steffen ein Schwafler ist, ahne ich, dass Pascals Sechser-Lotto-Luftballon über kurz oder lang platzen wird. Davon will er natürlich nichts wissen. Lieber schwelgt er im Nebel der Illusionen, in absehbarer Zeit in Gold zu schwimmen und spätestens mit fünfzig in Rente zu gehen. Zuerst träumten sie vom Aufbau eines Clubs, dann eines Restaurants, dann einer Immobilienfirma. Und jetzt vom Führen eines Motorradfachhandels, dessen Betreiber noch keine Filiale in Hamburg hat. In ein paar Jahren hat Steffen vor, sich in Barcelona abzusetzen, um die Sonne zu genießen, während mein Partner die Filiale allein weiterleiten soll, was seiner Meinung nach ganz easy sei – mit so ein paar kaufmännischen Maßnahmen. Seine Blauäugigkeit finde ich einfach nur minderbemittelt. Eine gemeinsame Zukunft? Nicht auszudenken. Da braucht es Verantwortungsbewusstsein. Vergangene Woche wollte ich erfahren, warum er keine Radiorundfunkgebühren zahle. Ob er nicht ermahnt werde? Seine einfältige Antwort: „Die verlangen von mir, dass ich im Nachhinein 500 Euro bleche. Aber das können die sich abschminken. Die Gebühren sollen 2017 eh gesetzlich abgeschafft werden. Von mir sehen die keinen Cent!“ „Ach, und du glaubst, dass du ohne Weiteres damit durchkommst? Natürlich wirst du blechen müssen. Auch dann, wenn das Gesetz tatsächlich abgeschafft werden sollte.“ „Nö, Quatsch!“ Genau, die Forderungen lösen sich wie ’n dahinschwebendes, vom Winde verwehtes Püpschen auf ... Kein Plan, ob ich mit so einer Blödheit leben kann. Weil ja auch der Versuch, ihm die Äuglein zu öffnen, nichts bringt. Ich dachte, ich hör nicht richtig, als er mir vorschlug, seine Wohnung zu übernehmen – er und Steffen zögen in ein Haus an der Elbe. „Deine Bude ist mir zu teuer“, brummte ich. „Und wenn ich sie dir bezahle?“ „Wovon denn ...?“ „Na, wart nur ab, bald verdiene ich mindestens das Dreifache“, bluffte er – aufgebäumt wie ein Orang-Utan. Ich lachte gehässig. „Da freu dich mal nicht zu früh, meen Jung! Bring ma’ lieber eigenständig was auf die Beine. Was, worauf du stolz sein kannst. Und lass dir sagen: Ich werde mich im Leben nicht drauf einlassen, mich finanziell von ’nem Kerl abhängig zu machen!“ Bisher konnten wir kein einziges Mal gemeinsam in’ Urlaub fliegen, weil Pascal seine Kohle für „wichtigere“ Dinge zum Fenster rauswirft. Zum Beispiel für ein aufwendiges Cover Up, mit dem er den Namen seiner Ex übertätowieren ließ, für Klamotten und Fitnessgeräte. Auf mein Bedauern hin folgte der Satz: „Bevor ich mein Geld für dich ausgebe, gebe ich’s lieber für mich aus!“ Zurück zur Insolvenzauflösung. Paschi setzte seine Exfrau darüber in Kenntnis, nun nachträglich für die jahrelang nicht erfolgte Kindesunterhaltszahlung, die sie selbstverständlich eingeklagt hatte, aufzukommen und ihr 10.000 Euro zu überweisen. Bei der Gelegenheit fragte er, was aus der Adoption geworden wäre (vor dieser ist man nämlich Pflegekind). Als sie ihm mitteilte, dass ihr Mann längst offizieller Vater seiner Kids sei, jubelte er: „Juhu, jetzt hab ich keine Kinder mehr!“ Ich war fassungslos. Ein Glück, dass ich kein Bedürfnis verspüre, mich jemals von schreienden Windelkackern oder durch Heirat um meine Freiheit bringen zu lassen. Ich male mir die Rente und mein Abnippeln eher so aus: Einsam, aber zufrieden in Spanien rauchend auf einer kleinen Veranda mit Meerblick aus Altersschwäche beim Schreiben einschlafen ... Momentan geht’s mir schlecht, weil ich im Zwiespalt bin. Sobald ich labiler werde, fällt es mir noch schwerer, Nein zu sagen und Grenzen zu setzen. Eigentlich hatte ich ursprünglich im Sinn gehabt, meine Ferien in erster Linie für mich zu nutzen. Stattdessen haben Paschi und ich fast zwei Wochen lang aufeinandergehockt. Aus Angst vor dem Alleinsein ging ich auf sein Nähegesuch ein. An dieser Nähe erstickte ich allerdings. Denn er hing wie eine Klette an meinem Rockzipfel, offenbarte mir sekündlich seine lovely feelings, schwärmte entflammt, wie wundervoll unsere Beziehung sei, und küsste mich pausenlos. Parallel dazu lagen wir furzend in Jogginghosen nebeneinander vorm Fernseher. Er fraß Tafeln Schokolade, von denen er ständig aufstoßen musste. Müde dachte ich daran, wie sehr wir uns gehen lassen und dass ich aufhöre, Lust zu empfinden. Ganz besonders dann, wenn mir aufgrund der vielen Eier, die er gegessen hat, ’ne Mundgulliwolke entgegenweht. Das Sexleben ist eingeschlafen. Hatte ohnehin was von poppenden Nilpferden. Er weiß, dass ich nicht besonders auf dicke Männerbäuche stehe. Trotzdem bemüht er sich nicht, diesen wieder loszuwerden, sondern behauptet stattdessen, ich sei oberflächlich und ein bisschen Speck dürfe unsere Liebe nicht beeinträchtigen. Tut’s auch nicht. Es untergräbt nur eben mein erotisches Begehren. Darüber hinaus wird meine Eigeninitiative zur Verführung durch nichts so sehr gekillt, wie durch die wiederkehrende Absehbarkeit oder gar Ankündigung von Vögelei, der ich mich unterwerfen soll. Mich nerven seine plumpen Anspielungen, wenn er spontan seinen Schwanz auspackt, ihn wild durch die Luft schleudert und ruft: „Ich hab Druck! Macht nix, wenn ich mir vor dir ’nen runterhole, oder?“ Natürlich sieht er sich als Mann berechtigt, sein Bumsverlangen allzeit zu befriedigen. Vor Kurzem hatte Sascha Braemer im Übel&Gefährlich aufgelegt. Auf der Party überspannte Pascal den Bogen deutlich, als er in Protz-Allüre „Boa, hier laufen echt hübsche Tussis rum!“ grölte. Und ein paar Minuten später zu ’ner Hotpants linsend: „Hab der Alten grad auf’n Arsch geguckt!“ Zu guter Letzt wollte er ohne mich dancen. Das fühlte sich verdammt scheiße an. Innerlich gärte das Gift in mir. Ich hasste ihn abgrundtief für seine Rücksichtslosigkeit, so gedankenlos und unsensibel daherzureden, obwohl er selbst mehr als empfindlich ist. Ich kam mir betrogen vor, weil ich diese Seite an ihm bisher nicht kannte. Sie war mir völlig fremd. Sonst gab er mir stets das Gefühl, die Einzige für ihn zu sein. Da stand ich direkt bei ihm und er hatte nichts Gescheiteres in der Birne, als den Weibermarkt abzuchecken! Wollte er mich bewusst eifersüchtig machen und kränken? Hatte er Blut geleckt; bekam er Bock, ’ne andere zu pimpern? Welcher Kerl glotzt Mädels nicht aufs Hinterteil ... Nix Neues. Mach ich auch. Aber in seiner Abwesenheit. Meine Ansprache speiste er mit dem Kommentar „Ey, was stellst du dich so an?!“ ab. Kann mich gut an seinen Geburtstag erinnern. Wir warteten in der Schlange vorm Waagenbau – ich unterhielt mich für wenige Minuten mit ’nem Typen, der wissen wollte, ob ich Pillen verkaufe. Pascal rastete komplett aus. Wenn er betrunken ist, kann er ziemlich ekelig werden. Freundlich forderte ich ihn auf, mich nicht so anzuschreien. Ich würde mir von ihm nicht sagen lassen, mit wem ich zu sprechen habe und mit wem nicht. Er schrie weiter, also verlangte ich seine Schlüssel. „Merkst du noch was?“ – bei dieser Art reißt mir generell der Geduldsfaden. Ich rannte los zu seiner Wohnung, um meine Sachen zu packen, und war froh, als ich mein Zuhause (wir wohnen nicht weit voneinander entfernt) erreichte. Bald darauf schlug er gegen das Terrassenfenster und flehte, ihm aufzumachen. Ich drückte mein Gesicht in die Kissen und hielt den Atem an, bis er weg war. Der Fall im Übel&Gefährlich hat Spuren hinterlassen. Er bedrückt mich ganz besonders heute, am Tag der bevorstehenden Silvesternacht. Ich habe immer gehofft, dass uns Interessantmachspiele erspart bleiben würden und ich bei ihm nie einen Grund hätte, mir Sorgen um Untreue zu machen, oder Gier zu verspüren, mich an ihm zu rächen. Nun wendet sich das Blatt und ich gerate in titanische Panik, ihn zu verlieren. Nichts scheint mehr sicher. Das zerreißt meine Eingeweide. Trotz allem, was mir zum Halse raushängt, ist er mein Anker. Ich bin eingelaufen, gestrandet in diesem Hafen und will den Kurs meiner Segel noch nicht wechseln. Zugleich gebe ich mich auf. Wie immer. Großzügig und vertrauensvoll lasse ich ihn mit seinen Kumpels um die Häuser ziehen. Aber mir labert er das Feiern mit meinen Freundinnen so lange madig, bis ich einknicke und verzichte. Wut Allmählich verlässt mich die Geduld und packt mich die Wut, Schneiden sich Aggressionen ins Fleisch, ersaufen im Blut. Kann deine Liebe und Vereinnahmung nicht mehr ertragen, Würd’ aus Verzweiflung am liebsten gegen Mauern schlagen. Ewig korrigierst du mich, machst dir ein falsches Bild von mir, Bin sicher, dass ich deine Kritik keinen Tag länger akzeptier’. Das Seil, das uns einst verband, ist zerschlissen, nun gerissen, Wann hörst du endlich auf, mich zu lieben, mich zu vermissen? Glaubst du ernsthaft, mich in- und auswendig zu kennen? Dann sollten sich vielleicht besser unsere Wege trennen. Denn – wie es scheint – weißt du rein gar nichts über mich, Ich war doch von Anfang an lediglich eine Illusion für dich. Wie konnt’ ich nur so naiv sein, dich für loyal zu halten, Wo du jetzt beweist, dauernd auf Durchzug zu schalten. Wieder einmal wurd’ ich enttäuscht von einem Mann, Der mit meinem Charakter nicht umgehen kann. Zu träumen ist der beste Weg, um der Realität zu entfliehen. Ich tagträume viel, wenn ich verletzt bin. Dann versetze ich mich zurück in die Vergangenheit. In Situationen hinein, in denen es mir gelang, auch ohne Alkohol und Drogen unbeschwert zu tanzen. Zeiten, in denen meine dunklen Launen seltener aufkamen, kaum konstant blieben. Nachts holen mich Träume ein, die ich, wenn ich aufwache, probiere weiterzuträumen. Weil ich oft Verflossenen begegne, die ich nicht haben konnte, nicht vergessen kann. Nach solchen Träumen quält mich eine Sehnsucht, die mich traurig und melancholisch stimmt, weil sie mich als eine andere wiederbeleben. Als eine, die ich war und nie mehr sein werde. Ich bin eine Erinnerin und Bewahrerin.

Ausnahmezustand

4. Januar 2016 Mein Ergebnis beim Bleigießen Vorsicht Hinterhalt! Bleiben Sie standhaft, und halten Sie nicht an ausweglosen Dingen fest wird jetzt mein Motto für dieses Jahr. Silvester verlief zu meiner Erleichterung reibungslos. Paschi und ich tranken mit Steffen vor, jagten ein paar Böller ins All und sahen uns das bunte Feuerwerk an. Nach Mitternacht zogen wir zu zweit weiter ins Waagenbau und verschmolzen im Rausch elektronischer Klänge. Durch das Speed, das wir reichlich gezogen hatten, waren wir aufgedreht. Zwischendurch wurden wir von kleinen Tiefs eingeholt, in denen wir spürten, dass unsere Energie nachließ und die Glieder erschlafften. Ich wollte und konnte aber nicht aufhören zu tanzen und bemühte mich, Paschi mit meiner Ausdauer anzustecken. Das war nicht einfach, daher lästig. Außerdem behielt er mich so penetrant im Blick, dass ich mich gezwungen fühlte, ihm ständig demonstrieren zu müssen, ja nicht mit anderen zu flirten und ausschließlich Augen für ihn zu haben. Immerhin feierten wir bis 7 Uhr durch und spazierten zum Ausnüchtern bei Morgengrauen ’ne halbe Stunde heim. Wir befanden uns in diesem widerlichen Zustand, in dem man zu munter zum Einschlafen und zu kaputt für Unternehmungen ist. Apathisch glotzten wir an die Decke. Der Kopp wummernd, das Herz rasend, die Beine wippend. Wir schauten einen Film nach dem anderen, stopften appetitlos die Pappmäuler, kuschelten und entschlossen wehmütig, den Rest des Scheißzeugs in den Abfluss zu schütten – uns einig darüber, dass Amphetamine auf Partys nicht zur Gewohnheit werden sollten, nur um unserer Beziehung den gewünschten Kick zu verpassen, der ihr fehlt. Das hätten wir schon längst tun sollen. Mit meinem Knacks ist das grad zu heikel. Der Konsum ist nämlich eine wunderbare Methode, mich und meine Gedanken auszuradieren, was wiederum das psychische Abhängigkeitspotenzial erhöht. Hinzu kommen zwei positive Nebeneffekte: Gewichtsverlust und meist ausbleibende Übelkeit bei größeren Mengen Alkohol. Die vertrage ich sonst wegen meiner Magenschleimhautentzündung nicht. Den Tag darauf waren wir noch immer benommen und völlig übermüdet. Wir gingen Kaffee trinken und ins Kino. Anschließend landeten wir wieder vor der Flimmerkiste. Plötzlich erhielt ich eine unerfreuliche Nachricht von Charly – in Bezug auf ein Thema, von dem ich dachte, es würde sie nicht weiter beschäftigen. Dem war bedauerlicherweise nicht so. Denn Charly, die ich kürzlich in Begleitung meiner und ihrer Freunde im Peter Pane in der Langen Reihe getroffen hatte, was wegen irgendeines dummen Missverständnisses wieder in kreischendem Desaster geendet war, schrieb: „Deine Worte, du stoßest an deine Grenzen mit mir, ich sei dir und deinen Leuten zu krass, haben mich extrem verletzt. Damit hast du meinen wunden Punkt getroffen und mir das Gefühl vermittelt, nicht zu und hinter mir zu stehen. Das zieht mich runter. Es ist nicht mein Ding, mich mit dir allein zu treffen. Ob wir uns an Silvester sehen, hast du mich auch nicht gefragt. Ich häng an dir, aber komm nicht mehr klar.“ Meine Antwort: „Ich habe dich nicht nach Silvester gefragt, weil ich bereits wusste, dass du nicht mit ins Waagenbau kommen würdest ...“ Ich habe sie aber auch deshalb nicht gefragt, weil ich sie schützen wollte. Sie hat eine lange Suchtvergangenheit hinter sich und kann’s nicht ab, wenn jemand aus ihrem Bekanntenkreis konsumiert. „... Mir war’s stets lieber, dich allein zu treffen, um dich genießen und dir zuhören zu können ...“ Darüber hinaus nervte mich, dass sie ständig neue, kaputte Gestalten aus irgendwelchen Facebook-Krisengruppen mitbrachte, mit denen ich nichts zu tun haben mag. „... Ich hab mich immer bemüht, dir eine gute Freundin zu sein, indem ich dir bei deinem Kummer regelmäßig Ratschläge gab. Ich denke, dass jeder seine Grenzen hat, die er wahren sollte, wie auch ich deine respektiere. Du hast mich nicht selten ebenfalls mit deiner offenen und direkten Art verletzt. Dennoch ist’s wichtig, ehrlich zu sein. Ich war ehrlich zu dir, du bist aber nicht ehrlich mit dir selbst. Für mein Empfinden bist du zu problematisch, als dass ich stark genug sein kann, all deine Lasten aufzufangen. Ich habe oft den Eindruck, dass ich dir keine Hilfe bin, weil du meine Hilfe nicht annimmst. Ich bin sicher, dass du selbst weißt, dass die Wege, die ich dir für dein Wohl aufzeige, ein Schritt in die richtige Richtung sind. Nur du kannst für dich herausfinden, welchen Weg du einschlagen möchtest. Noch fühlst du dich nicht bereit, dich damit auseinanderzusetzen. Du willst die Wahrheit nicht sehen, weil sie ein Stück weit wehtut, dir lästig und zu anstrengend ist. Du hast Recht, du bist mir und meinen Leuten zu extrem. Die Konstellation passt nicht, weil sie unterschiedlicher gar nicht sein kann. Dagegen ist es falsch zu behaupten, dass ich nicht zu dir stehe. Ich habe dich jedem meiner Bekannten und Partner vorgestellt. Deine Nachricht macht mich traurig. Aber vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, an dem wir uns nicht mehr guttun und eine Pause einlegen sollten.“ Mit extrem meine ich weniger Charlys Erscheinungsbild, das zugegebenermaßen auch recht heavy ist für eine Enddreißigerin – Gothicgarderobe, Tattoos am ganzen Körper, Irokesenschnitt, aufgemalte Augenbrauen und künstliche Wimpern –, sondern ihre rabiate, nicht selten vulgäre Ausdrucksweise. Und ihre psychischen Krankheiten (chronisches Erschöpfungssyndrom, Depression und Borderline), die meinen zwar ähneln, die sie jedoch so stark einschränken, dass sie sich zu fast nichts mehr fähig fühlt. Charly fasste meine Worte als Kritik, mit ihr stimme was nicht, auf. „Du kannst mir nicht einerseits deine Probleme aufbürden, andererseits erwarten, dass ich diese unkommentiert lasse. Du fragst mich nach meiner Meinung, aber meine Meinung gefällt dir nicht“, wies ich sie in ihre Schranken. Es hatte keinen Sinn, weiter darauf einzugehen. Vermutlich war sie aus dem Grund emotional geladen, da sie schon Weihnachten alone verbringen musste. Sie hatte gerade einen Typen kennengelernt, vor dem ich sie warnte, nicht zu voreilig zu sein; nicht gleich ihre ganze Geschichte auszupacken und ihm zu erzählen, sie leide unter Näheängsten, Panikattacken und Zwängen (dem Drang, Spiritus zu saufen, beispielsweise). Oder ihm gar beim zweiten Date zu gestehen, sich in ihn verliebt zu haben, obwohl sie eher „verkehrtherum“ als bi sei. Sie handelte genau entgegengesetzt, woraufhin er das Interesse verlor, was sie arg kränkte. Mit Pascal sprach ich noch ’ne Weile darüber. Ich weinte, weil mich Diskussionen solcher Art auslutschen. „Weißt du, als junges Mädchen hab ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als eine beste Freundin zu haben. Ich kenne Charly inzwischen seit neun Jahren. Das wirft man doch nicht einfach wech ... Aber seit sie nur noch durchhängt und es nichts als ihre Lebenskrisen zu besprechen gibt, bin ich mit meinen Kräften am Ende. Sobald ich mal mein Herz ausschütten möchte, blockt sie ab. Alles ist ihr zu viel. Sie schafft es nicht, ein Ohr für mich offen zu halten, weil sie zu sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Ich kann’s ihr nicht verübeln, sie trägt keine Schuld an dem, was ihr widerfahren ist. Wegen der Folter und dem sexuellen Missbrauch durch den eigenen Vater, vor dem ihre Mutter die Augen verschloss, wird sie wahrscheinlich niemals richtig gesund werden. Wie aber will sie wenigstens ein büschen an sich arbeiten, wenn sie jeden Klinikaufenthalt abbricht und nicht lernt, einen routinierten Alltagsablauf zu bewältigen? Es ist, als hätte ich eine Klientin zur Freundin. Nur dass es deutlich schwerer ist, sich in dieser Beziehung abzugrenzen. Ich brauche neben der Sozialen Arbeit einen leichteren Umgang mit Menschen in meiner Freizeit. Im Grunde genommen schade ich mir selbst, solange ich krampfhaft versuche, die Freundschaft aufrechtzuerhalten. Ich hätte sie vielleicht schon auf Eis legen sollen, will aber nicht noch jemand von denjenigen sein, die Charly verloren hat. Ihre Enttäuschung und unsere Angst, irgendwann einmal niemanden mehr zu haben, binden mich an sie. Ich muss akzeptieren, dass ich sie nicht retten kann.“ Gestern heulte ich wieder. Paschi und ich gammelten vor uns hin. Es war schön, außer Streicheln einfach mal nichts zu tun. Nicht immer ertrage ich das, weil ich dann meine, mich sinnvoller beschäftigen zu müssen. Später rafften wir uns auf, wenigstens eine Kleinigkeit essen zu gehen. Es war viel zu kalt draußen für etwas Spektakuläres. Im Anschluss kam er noch kurz mit zu mir. Der Abschied nahte. Diesmal war er es, der den Abend gern ohne mich verbringen wollte. Eigentlich null Thema ... Wäre da nicht spontan diese Furcht aufgetaucht, einsam mit mir zu werden. Er verließ mich und ich badete in Tränenseen – in dramatischer Überzeugung, er würde mir entgleiten und ich ihn dabei nicht aufhalten können.

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9783750226166
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