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Читать книгу: «Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten», страница 5

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V

Gegen zwei Uhr nachts erschien in unserem Spielzimmer der Zimmerkellner Marko und meldete nach einigem Zögern, daß der eben eingetroffene fürstliche Generalbevollmächtigte sich höflichst entschuldige und anfrage, ob die Herren Offiziere ihm gestatten möchten, zu ihnen zu kommen und am Kartenspiel teilzunehmen; er könne nämlich nicht einschlafen und langweile sich.

»Kennst du denn den Herrn?« fragte der älteste Offizier.

»Aber ich bitte Sie! Wie sollte ich denn Awgust Matwejitsch nicht kennen? Man kennt ihn nicht nur hier, sondern in ganz Rußland, überall wo der Fürst seine Güter hat. Awgust Matwejitsch ist sein Generalbevollmächtigter, verwaltet alle fürstlichen Güter und Besitztümer, und sein Gehalt allein beträgt an die vierzigtausend Rubel im Jahre.« (Damals rechnete man noch nach Assignaten.)

»Ist er Pole?«

»Er stammt wohl von Polen ab, ist aber ein wirklich vornehmer Herr und war einmal selbst Offizier.«

Wir alle hielten den Kellner, der uns das meldete, für zuverlässig und uns ergeben. Er war intelligent und sehr religiös; er ging jeden Morgen zur Frühmesse und sparte Geld, um seinem Heimatsorte eine Kirchenglocke zu stiften. Als Marko sah, daß wir uns für den Fremden interessierten, berichtete er uns noch mehr:

»Awgust Matwejitsch kommt jetzt direkt aus Moskau. Man sagt, daß er eben zwei fürstliche Güter bei der Vormundschaftsbank verpfändet hat. Er wird wohl eine nette Summe bei sich haben und möchte sich gerne zerstreuen.«

Die Offiziere wechselten Blicke, flüsterten miteinander und erklärten:

»Nun, soll er nur die Dukaten aus seinem Beutel in unsere Taschen umquartieren. Der neue Mensch soll nur kommen und neues Leben in unsere Gesellschaft bringen!«

»Garantierst du uns auch dafür,« fragten wir den Zimmerkellner, »daß er Geld bei sich hat?«

»Aber erlauben Sie! Awgust Matwejitsch hat immer Geld bei sich.«

»Wenn es sich so verhält, so soll er nur mit seinem Geld kommen. Nicht wahr, meine Herren?« wandte sich der älteste Rittmeister an uns alle.

Alle erklärten sich einverstanden.

»Schön. Sag ihm also, Marko, daß wir ihn bitten lassen.«

»Zu Befehl.«

»Deute ihm aber an oder sage es ihm auch geradeaus, daß wir, obwohl wir Kameraden sind, auch unter uns nur um bares Geld spielen. Es gibt bei uns weder Kreide noch Kredit.«

»Zu Befehl. Sie können aber unbesorgt sein: er hat immer Geld.«

»Gut, wir lassen bitten.«

Nach einer ganz kurzen Weile, die für einen Mann, der kein besonderer Stutzer ist, eben genügt, um sich umzuziehen, geht die Türe auf, und in unserer Rauchwolke erscheint ein schlanker, wohlgebauter, nicht mehr junger Herr von höchst anständigem Aussehen. Er trägt Zivil, hält sich aber wie ein Militär, man könnte beinahe sagen, wie ein Gardeoffizier, d. h. kühn, selbstbewußt, nicht ohne eine träge Grazie und Blasiertheit, wie es damals Mode war. Sein Gesicht ist hübsch, seine Züge sind darin ebenso streng und regelmäßig verteilt wie die Ziffern auf dem Metallzifferblatt einer englischen Standuhr von Graham. Alles bewegt sich darin so abgemessen, wie die Zeiger auf einer solchen Uhr.

Er ist auch selbst so lang wie eine Standuhr, und seine Stimme klingt wie ein Grahamsches Schlagwerk.

»Meine Herren, ich bitte um Vergebung, daß ich in Ihren Freundeskreis eingedrungen bin. Ich heiße so und so, eile aus Moskau nach Hause, bin aber sehr müde und wollte hier ausschlafen. Da hörte ich Ihre Stimmen, und die Ruhe floh meine Augenlider. Ich fühlte mich wie ein altes Schlachtpferd von Kampfeslust beseelt und danke Ihnen aufrichtig, daß Sie mich in Ihren Kreis aufnehmen wollen.«

Man antwortet ihm:

»Wir bitten recht schön! Wir sind einfache Menschen und machen keine großen Zeremonien. Wir sind unter uns Kameraden und halten uns ganz ungezwungen.«

»Einfachheit«, antwortet er, »ist das Schönste in der Welt: Gott liebt sie, und in ihr liegt die ganze Poesie des Lebens. Ich war ja einmal selbst beim Militär. Obwohl ich aus Familienrücksichten den Dienst quittieren mußte, bin ich den militärischen Sitten doch treu geblieben und hasse alles Zeremonielle. Sie haben aber, wie ich sehe, Ihre Röcke an, und hier ist es doch so heiß?«

»Offen gestanden, haben wir die Röcke erst unmittelbar vor Ihrem Erscheinen angezogen.«

»Sie sollten sich schämen! Das befürchtete ich ja eben. Da Sie aber schon einmal so freundlich waren, mich aufzunehmen, so können Sie mir gleich bei Beginn unserer Bekanntschaft gar keine größere Freude machen, als wenn Sie die Röcke wieder ablegen und sich ebenso ungezwungen fühlen, wie Sie es vor meinem Erscheinen waren.«

Die Offiziere ließen sich überreden und saßen bald in Hemdärmeln da; dasselbe verlangten sie aber auch vom Unbekannten. Awgust Matwejitsch schlüpfte flink aus seiner elegant zugeschnittenen Joppe, die in den Ärmeln mit blauer Seide gefüttert war, und erklärte sich bereit, unsere Bekanntschaft mit einem Gläschen Schnaps einzuweihen.

Alle tranken mit und gedachten bei dieser Gelegenheit des Vetters Sascha, der noch immer im Korridor auf und ab ging.

»Gestatten Sie«, sagte man dem Gast, »hier fehlt einer von den Unsrigen. Wir müssen ihn holen!«

Awgust Matwejitsch fragte:

»Sie vermissen wohl den interessanten jungen Kornett, der in so rührender Versunkenheit im Korridor auf und ab geht?«

»Ja, diesen. Ruft ihn doch her, meine Herren!«

»Er will nicht kommen.«

»Was für Dummheiten! … Er ist sonst ein so lieber junger Kamerad und hat in der Wissenschaft des Trinkens und Kartenspiels schon so schöne Fortschritte gezeigt; heute ist er uns aber plötzlich untreu geworden und benimmt sich so dumm. Meine Herren, bringt ihn mit Gewalt her!«

Viele protestierten, und es wurde die Meinung laut, daß Sascha vielleicht tatsächlich krank sei.

»Was euch nicht einfällt! Ich setze meinen Kopf ein, daß er einfach müde ist oder den letzten großen Verlust noch nicht verschmerzen kann.«

»Hat der Kornett viel verloren?«

»Ja, in der letzten Zeit hat er immer Pech gehabt. Er war irgendwie aufgeregt und verlor jeden Einsatz.«

»Was Sie nicht sagen! So was kommt allerdings vor. Er sieht aber so aus, wie wenn er weniger Unglück im Spiel als Unglück in der Liebe hätte.«

»Haben Sie ihn denn gesehen?«

»Gewiß. Ich habe sogar Gelegenheit gehabt, ihn mir sehr genau anzusehen. Er ist so sehr in Gedanken versunken, daß er vorhin aus Versehen in mein Zimmer statt in das seinige eintrat, mich auf dem Bette garnicht liegen sah, direkt auf die Kommode zuging und etwas zu suchen begann. Ich glaubte sogar, daß es ein Schlafwandler sei, und rief Marko herbei.«

»Seltsam!«

»Als Marko ihn fragte, was er bei mir zu suchen habe, verstand er im ersten Augenblick garnicht, was man von ihm wollte. Und als er seinen Irrtum einsah, wurde er furchtbar verlegen … Ich gedachte der alten Zeiten und sagte mir gleich: der muß eine Herzensaffaire haben!«

»Ach, was, Herzensaffaire! Das wird wohl bald vergehen. Bei Ihnen in Polen mißt man solchen Gefühlsduseleien viel zu viel Bedeutung bei; wir Moskowiter sind aber ein rohes Volk.«

»Ja, der junge Mann sieht aber gar nicht roh aus; im Gegenteil, er scheint mir sehr empfindsam und furchtbar erregt.«

»Er ist einfach müde, und unsere Lebensphilosophie lehrt, daß man in einem solchen Falle Gewalt anwenden muß. Meine Herren, zwei von Ihnen möchten hinausgehen und Sascha herbringen: soll er sich nur gegen die Beschuldigung, daß er hoffnungslos verliebt sei, verteidigen.«

Zwei Offiziere gingen in den Korridor und kamen mit Sascha zurück, auf dessen jugendlichem Gesicht Müdigkeit, Verlegenheit und ein Lächeln miteinander kämpften.

Er sagte, er fühle sich tatsächlich unwohl, und es rege ihn auf, daß man von ihm Rechenschaft fordere. Als man ihm im Scherz sagte, daß auch der »fremde Herr« der Ansicht sei, es sei wohl eine Liebesaffaire im Spiele, wurde Sascha plötzlich über und über rot, warf unserm Gast einen unsagbar gehässigen Blick zu und rief erbost aus:

»Unsinn!«

Er bat um Erlaubnis, auf sein Zimmer zu gehen und sich schlafen zu legen; wir erinnerten ihn aber daran, daß heute ein wichtiges Ereignis bevorstehe, das wir alle gemeinsam begrüßen wollten; es sei daher unstatthaft, die Gesellschaft zu verlassen. Als er vom »Ereignis« hörte, erbleichte er wieder.

Man sagte ihm:

»Du darfst nicht fortgehen; trinke aber deinen Schnaps, und wenn du nicht mitspielen willst, so ziehe deinen Rock aus und lege dich hier aufs Sofa. Wenn dort das Kind zu schreien beginnt, werden wir es hier hören und dich wecken.«

Sascha gehorchte, jedoch nicht ganz; er trank seinen Schnaps, zog aber den Rock nicht aus und legte sich nicht hin, sondern setzte sich in den Schatten am Fenster, aus dem, da es nicht ganz dicht war, ein frischer Hauch ins Zimmer zog, und begann auf die Straße hinauszuschauen.

Ich weiß wirklich nicht, ob er auf jemand wartete, oder ob ihn irgendetwas innerlich beunruhigte; jedenfalls blickte er unverwandt auf die Straßenlaterne, die im Winde schwankte und flackerte, warf sich bald in die Tiefe des Sessels zurück, und machte bald den Eindruck, wie wenn er aufspringen und davonrennen wollte.

Unser Gast, neben den ich zu sitzen kam, merkte, daß ich Sascha beobachtete, und beobachtete ihn auch selbst. Ich mußte es seinen Blicken anmerken und auch seinen höchst unpassenden Worten, die ich mein Leben lang nicht vergessen werde:

»Sind Sie mit dem jungen Kameraden gut befreundet?«

Bei diesen Worten streifte er den niedergeschlagenen Sascha mit einem schnellen Blick.

»Selbstverständlich!« antwortete ich mit dem ganzen Eifer meiner Jugend, die in dieser Frage eine allzu plumpe Vertraulichkeit erblickt hatte.

Awgust Matwejitsch bemerkte meine Aufregung und drückte mir unter dem Tisch stumm die Hand. Ich blickte sein hübsches, ruhiges Gesicht an und mußte wieder an die gleichmütige englische Standuhr im langen Gehäuse mit dem Grahamschen Werk denken. Jeder Zeiger bewegt sich in der ihm vorgeschriebenen Richtung und registriert Stunden und Tage, Minuten und Sekunden, die Phasen des Mondes und die Tierkreiszeichen, das Zifferblatt aber ist kühl und teilnahmslos: die Uhr zeigt alles, merkt sich alles und bleibt dabei selbst unveränderlich.

Awgust Matwejitsch versöhnte mich durch seinen freundlichen Händedruck; dann fuhr er fort:

»Seien Sie mir nicht böse, junger Mann. Glauben Sie mir: ich will von Ihrem Freund nichts Böses sagen, ich habe aber schon manches erlebt, und sein Zustand flößt mir seltsame Gedanken ein …«

»Wie meinen Sie das?«

»Sein Zustand erscheint mir … wie soll ich es Ihnen sagen? .. irgendwie verhängnisvoll … Er rührt und beunruhigt mich.«

»So, er beunruhigt Sie?«

»Ja, er beunruhigt mich.«

»Nun, ich kann Sie versichern, daß Ihre Unruhe grundlos ist. Ich kenne alle Verhältnisse meines Freundes und bürge dafür, daß in ihnen nichts enthalten ist, was seinen Lebensfaden verwirren oder zerreißen könnte.«

»Zerreißen!« wiederholte er: »C’est le mot! Das ist das richtige Wort: den Lebensfaden zerreißen!«

Diese Worte machten auf mich einen unangenehmen Eindruck. Warum hatte ich nur diesen Ausdruck gewählt, an den sich der Fremde gleich festklammern konnte.

Awgust Matwejitsch machte auf mich plötzlich den unangenehmsten Eindruck, und ich blickte feindselig auf sein präzises Grahamsches Zifferblatt. Ich sah darin etwas Harmonisches und zugleich Drückendes und Unwiderstehliches. Das Werk läuft gleichmäßig, läßt in bestimmten Abständen seine metallischen Schläge erklingen und läuft unverändert weiter. Alles, was der Mann an hat, ist von erster Qualität … Sein Hemd ist unvergleichlich feiner und weißer als unsere Hemden, und unter den weißen Manschetten leuchtet wie Blut eine rotseidene Jacke hervor. Es sieht so aus, wie wenn er unter den Kleidern keine Haut am Leibe hätte. Am Handgelenk trägt er aber ein goldenes Damenarmband, das bald nach unten rutscht und bald wieder im Ärmel verschwindet. Ich lese darauf den in polnischen Schriftzeichen gravierten russischen Frauennamen »Olga«.

Diese »Olga« erregt mein Mißfallen. Wer sie auch sei, – seine Verwandte oder seine Geliebte, – ich muß mich über sie ärgern.

Warum? Ich weiß es nicht. Es war wohl eine von den zahllosen Dummheiten, die uns, niemand weiß woher, in den Sinn kommen, um »die Gedanken des Sterblichen zu verwirren«.

Ich will mich von der unangenehmen Wirkung des Wortes »zerreißen«, das ich selbst zuerst gebraucht habe und dem er einen mir durchaus unerwünschten Sinn unterschiebt, befreien und sage:

»Es tut mir leid, daß ich mich so ausgedrückt habe; das von mir gebrauchte Wort kann aber gar nicht die Bedeutung haben, die Sie ihm beilegen. Mein Freund ist jung, vermögend, der einzige Sohn seiner Eltern und der Liebling aller …«

»Ja, ja, und doch gefällt er mir nicht.«

»Ich verstehe Sie nicht.«

»Er ist doch sterblich?«

»Selbstverständlich, wie Sie und ich, wie alle Menschen.«

»Sehr richtig, von den andern Menschen weiß ich aber nichts, und von uns beiden trägt keiner die verhängnisvollen Zeichen, die ich an ihm sehe.«

»Was für verhängnisvolle Zeichen meinen Sie?«

Ich lachte ziemlich unerzogen auf.

»Warum lachen Sie darüber?«

»Entschuldigen Sie, ich will wohl zugeben, daß mein Lachen unpassend ist; versetzen Sie sich aber in meine Lage: wir betrachten beide das gleiche Gesicht, und Sie erzählen mir, daß Sie darin etwas Ungewöhnliches wahrnehmen, während ich darin nur das sehe, was ich immer gesehen habe.«

»Was Sie immer gesehen haben? Das kann nicht sein.«

»Ich versichere Sie.«

»Das hypokratische Gesicht!«

»Das verstehe ich nicht.«

»Sie verstehen es nicht? Es gibt doch einen solchen ‚agent psychique‘!«

»Ich verstehe es nicht,« sagte ich und fühlte zugleich, wie mir dieses Wort irgendeine dumme Angst einjagte.

»Agent psychique oder das hypokratische Gesicht ist ein unerklärliches, seltsames Zeichen, das den Menschen längst bekannt ist. Diese unfaßbaren Züge erscheinen auf den Gesichtern der Menschen nur in jenen verhängnisvollen Augenblicken ihres Lebens, wenn sie eben im Begriff sind, den großen Schritt in das Land zu zu machen, aus dem noch kein Wanderer zurückgekehrt ist … Die Schotten und die Hindus der Blauen Berge haben für diese Züge einen besonders scharfen Blick.«

»Waren Sie denn je in Schottland?«

»Ja, ich habe dort die Landwirtschaft studiert; ich bin auch in Indien gewesen.«

»Und Sie behaupten, daß Sie diese verdammten Zeichen auf dem Gesicht unseres guten Sascha sehen?«

»Ja, wenn dieser junge Mann heute noch Sascha heißt, so wird er wohl bald anders heißen.«

Ich fühlte mich plötzlich von einer namenlosen Angst erfaßt und war sehr froh, daß in diesem Augenblick einer von unseren Offizieren, der schon recht angeheitert war, auf mich zuging und fragte:

»Was hast du? Worüber streitest du mit diesem Herrn?«

Ich antwortete, daß wir uns gar nicht stritten, sondern uns nur über sehr seltsame Dinge unterhielten. Und ich erzählte ihm kurz alles, worüber ich eben mit dem Polen gesprochen hatte.

Der Offizier, ein einfacher und entschlossener Bursche, warf einen Blick auf Sascha und sagte:

»Er sieht tatsächlich schlecht aus!« Darauf wandte er sich an Awgust Matwejitsch und fragte ihn ziemlich barsch:

»Was sind Sie eigentlich: ein Phrenologe oder ein Wahrsager?«

Jener antwortete:

»Ich bin weder Phrenologe noch Wahrsager.«

»Sondern weiß der Teufel was?«

»Ich bin auch nicht ‚weiß der Teufel was‘!« erwiderte jener ruhig.

»Was sind Sie dann: ein Zauberer?«

»Auch kein Zauberer.«

»Was denn?«

»Mystiker.«

»Ach so, Mystiker – Whistiker! Sie lieben wohl Whist zu spielen. Solche Mystiker kenne ich gut,« sagte der Offizier gedehnt. Obwohl er schon ohnehin ordentlich betrunken war, wandte er sich wieder den Getränken zu.

Awgust Matwejitsch blickte ihm halb bedauernd und halb verachtungsvoll nach. Die Zeiger auf seinem Zifferblatt hatten sich verschoben; er stand auf und ging zu den Spielenden, die polnischen Verse Krasinskis vor sich hinmurmelnd:

»Ich will keinen Gott, ich will keinen Himmel …«

Mir wurde es plötzlich so unheimlich zumute, wie wenn ich mit dem berühmten Zauberer Pan Twardowski gesprochen hätte. Um mir neuen Mut zu machen, trat ich an den Tisch, auf dem die Schnäpse standen, und unterhielt mich eine Weile mit dem Kameraden, der vorhin die Bedeutung des Wortes Mystiker erläutert hatte. Und als ich nach einiger Zeit, wie von einer Welle erfaßt, zum Kartentisch geworfen wurde, hielt der Pole schon die Bank.

Auf dem Tische vor ihm waren Riesensummen von Gewinnen und Verlusten angekreidet, und alle Gesichter drückten Feindseligkeit gegen ihn aus, die sich auch in allerlei dummen Bemerkungen äußerte. Die Situation wurde von Augenblick zu Augenblick gespannter und drohte mit ernsten Unannehmlichkeiten.

Es erschien mir ganz unmöglich, daß die Sache ohne Unannehmlichkeiten ablaufen könnte: ein böses Ende schien schon vom Schicksal beschieden.

VI

Als ich wieder am Kartentisch stand, bemerkte jemand, wie nebenbei zu Awgust Matwejitsch, daß das Armband, das auf seinem Handgelenk hin und herrutschte, ihm beim Bankhalten hinderlich sein müsse. Und er fügte dem noch hinzu:

»Vielleicht wäre es besser, wenn Sie diesen Frauenschmuck ablegten.«

Awgust Matwejitsch bewahrte aber seine Ruhe und antwortete:

»Es wäre allerdings besser, wenn ich ihn ablegen könnte, ich kann aber Ihrem guten Rat nicht folgen: das Armband ist festgenietet.«

»Ein seltsamer Einfall, einen Sklaven zu spielen!«

»Warum auch nicht? Als Sklave fühlt man sich zuweilen gar nicht schlecht.«

»So! Das haben also auch die Polen schon eingesehen!«

»Gewiß. Was mich betrifft, so habe ich vom ersten Tage an, an dem mir die Begriffe des Guten, Wahren und Schönen verständlich geworden waren, anerkannt, daß diese Ideale wert sind, über die Gefühle und den Willen des Menschen zu herrschen.«

»Wo finden Sie aber diese Ideale vereint?«

»Natürlich nur im schönsten Geschöpfe Gottes – im Weibe.«

»Das den Namen Olga trägt,« scherzte jemand, nachdem er die Inschrift auf dem Armband gelesen.

»Ja, Sie haben es erraten: meine Frau heißt Olga. Es ist doch ein schöner russischer Name, nicht wahr? Besonders, wenn man bedenkt, daß die Russen ihn nicht wie die andern Dinge den Griechen entlehnt, sondern schon in ihrer eigenen Umgangssprache vorrätig hatten.«

»Sind Sie mit einer Russin verheiratet?«

»Ich bin Witwer. Das Glück, dessen ich würdig befunden war, war zu groß und zu vollständig, um dauernd zu sein. Ich finde aber auch heute noch mein höchstes Glück in der Erinnerung an die Russin, die auch ihrerseits ihr Glück an meiner Seite gefunden hatte.«

Die Offiziere wechselten Blicke. Seine Antwort erschien ihnen irgendwie doppelsinnig und verletzend.

»Hol ihn der Teufel!« sagte jemand. »Will dieser Fremde damit vielleicht sagen, daß die Herren Polen ganz besonders nett und ritterlich sind, so daß jede Russin sich in sie verlieben muß?«

Awgust Matwejitsch hatte das sicher gehört; er blickte sogar schweigend auf denjenigen, der das gesagt hatte, lächelte und fuhr fort, mit der größten Seelenruhe die Karten zu verteilen. Er machte die Sache durchaus einwandfrei und korrekt. Die Pointierenden verfolgten mit der größten Aufmerksamkeit alle seine Bewegungen, konnten aber nichts Verdächtiges wahrnehmen. Jeder Verdacht wäre auch sinnlos gewesen, da Awgust Matwejitsch viel verloren hatte. Gegen vier Uhr hatte er schon über zweitausend Rubel bezahlt. Als er mit allen abgerechnet hatte, sagte er:

»Wenn die Herren weiterspielen wollen, setze ich noch einen Tausender ein.«

Die Offiziere, die gewonnen hatten, hielten es für unschicklich, seinen Vorschlag zurückzuweisen und erklärten sich bereit, weiter zu pointieren.

Einige wandten sich weg und sahen sich die Banknoten, die sie von Awgust Matwejitsch erhalten hatten, genauer an.

Alles stimmte: die Banknoten waren von zweifelloser Echtheit.

»Ich muß aber bemerken, meine Herren,« sagte er, »daß ich keine kleineren Noten einsetzen kann: ich habe sie alle ausgegeben. Ich habe aber Scheine zu fünfhundert und zu tausend Rubel und möchte Sie bitten, mir einige davon zu wechseln.«

»Das läßt sich wohl machen,« antwortete man ihm.

»In diesem Falle werde ich gleich die Ehre haben, Ihnen zwei größere Scheine vorzulegen und Sie zu bitten, sie zu untersuchen und zu wechseln.«

Mit diesen Worten stand er auf, ging zu seinem Rock, der auf dem Sofa neben dem geistesabwesenden Sascha lag, und begann in den Taschen zu suchen. Das dauerte auffallend lange. Awgust Matwejitsch warf plötzlich den Rock fort, griff sich mit der Hand an die Stirne, schwankte und fiel beinahe um.

Alle merkten diese Bewegung, und sie erschien so echt und ungekünstelt, daß Awgust Matwejitsch in vielen lebhaftes Mitgefühl weckte. Zwei oder drei Herren, die in seiner Nähe saßen, riefen teilnahmsvoll aus: »Was haben Sie?« und beeilten sich, ihn zu stützen.

Unser Gast war leichenblaß und ganz verändert. Ich sah zum erstenmal im Leben, wie ein starker und sich beherrschender Mann, – und für einen solchen mußte ich den zu seinem eigenen und unserem Unglück in unseren Kreis eingedrungenen fürstlichen Generalbevollmächtigten wohl halten, – vor großem und unerwartetem Kummer plötzlich alt und ganz verändert wird. Das plötzliche Unglück zerknittert und zerdrückt den Menschen und bearbeitet ihn wie die Wäscherin einen Lumpen so lange mit dem Waschbläuel, bis es aus ihm alles herausgeklopft hat. Ich bin gar nicht imstande, das Gesicht und die Blicke Awgust Matwejitschs zu beschreiben, erinnere mich aber lebhaft an den Vergleich, der dem tiefen Ernst der Situation gar nicht entsprach, der mir aber in den Sinn kam, als ich mich mit den andern über ihn stürzte und ihm eine Kerze vors Gesicht hielt. Dieser Vergleich bezog sich wiederum auf eine Uhr und ein Zifferblatt, und zwar in einem höchst komischen Zusammenhange.

Mein Vater war leidenschaftlicher Liebhaber alter Bilder. Er war immer auf der Suche nach solchen Bildern, die er regelmäßig verdarb, indem er die alte Lackschicht entfernte und sie mit neuem Lack überzog. Oft bringt er so ein altes Bild heim, das eine gleichmäßige dunkle Fläche darstellt, in der alle Farbtöne friedlich ineinander geflossen sind, so daß man auf dem Bilde nichts erkennen kann; da fährt er aber mit einem in Terpentin getauchten Schwamm darüber; der Lack wirft sich, schmutzige Ströme fließen über das ganze Bild hin, und alle Farbtöne kommen in Bewegung und Unordnung. Das Bild sieht plötzlich ganz verändert aus; eigentlich hat es erst jetzt sein wahres, ungeschminktes Aussehen, das vom Lack verdeckt war, wiedergewonnen. Ich erinnerte mich also, wie wir Kinder einst den Vater nachahmen wollten und das Zifferblatt der Uhr in unserem Kinderzimmer mit Terpentin abwuschen. Zu unserem Entsetzen sahen wir, wie der auf dem Zifferblatte dargestellte schwarze Mann mit dem Korbe, in dem die ungezogenen Kinder saßen, seine Umrisse verlor und wie sein vorher so tapferes Gesicht plötzlich einen zweideutigen und lächerlichen Ausdruck bekam.

Dasselbe macht das Unglück mit den lebendigen, sogar sich beherrschenden und oft stolzen Menschen. Das Unglück wäscht von ihm den Lack ab, und plötzlich kommen alle trüben Farbtöne und alle Sprünge zum Vorschein.

Unser Gast war aber stärker als mancher andere. Er beherrschte sich bald wieder und sagte:

»Entschuldigen Sie, meine Herren, es ist nichts … Schenken Sie dem bitte keine Beachtung und lassen Sie mich gehen. Mir … mir ist plötzlich schlecht: entschuldigen Sie mich, ich kann nicht weiter spielen.«

Awgust Matwejitsch wandte uns sein Gesicht zu, das ganz wie jenes abgewaschene Zifferblatt aussah. Er bemühte sich aber, verbindlich zu lächeln. Offenbar wollte er jeden Skandal vermeiden. In diesem Augenblick provozierte ihn aber einer von den Unsrigen, der offenbar ein Glas zuviel getrunken hatte:

»War Ihnen vielleicht auch schon vorhin schlecht?«

Der Pole erbleichte.

»Nein,« sagte er mit erhobener Stimme, »nein, so schlecht war mir noch nie. Wer sich etwas anderes denkt, ist im Irrtum … Ich habe eine unerwartete Entdeckung gemacht … ich habe einen triftigen Grund, nicht weiter zu spielen, und verstehe wirklich nicht, was Sie von mir wollen!«

Nun begannen alle durcheinander zu reden:

»Wie meint er das? Niemand will von Ihnen was, verehrter Herr! Es wäre aber immerhin interessant, zu erfahren, was für eine Entdeckung Sie in unserem Kreise gemacht haben!«

»Gar keine.« antwortete der Pole. Er dankte mit einem Kopfnicken den Offizieren, die ihn im Augenblick des plötzlichen Schwächeanfalls gestützt hatten, und fügte hinzu: »Meine Herren, Sie kennen mich ja nicht, die Aussage des Kellners über meine Reputation darf Ihnen nicht genügen. Darum halte ich es für unmöglich, dieses Gespräch fortzusetzen und möchte mich von Ihnen verabschieden.«

Man hielt ihn aber zurück:

»Erlauben Sie einmal,« sagte man ihm, »das geht doch nicht!«

»Ich weiß nicht, warum das nicht gehen sollte. Ich habe meine Spielschuld bezahlt, möchte nicht weiter spielen und bitte Sie, mir zu gestatten, Ihre Gesellschaft verlassen zu dürfen.«

»Wir sprechen nicht von der Bezahlung!«

»Ja, nicht von der Bezahlung!«

»Wovon denn? Ich frage, was Sie wollen, und Sie antworten, daß Sie von mir nichts wollen. Ich will mich schweigend zurückziehen, und Sie sind auch damit unzufrieden … Hol’s der Teufel, was ist eigentlich los?«

Nun ging auf ihn einer der älteren Rittmeister zu, ein ‚in Schlachten ergrauter Kamerad‘, ein vielerfahrener Mann, der schon manchen Zusammenstoß am Kartentische erlebt hatte, und sagte:

»Verehrter Herr! Gestatten Sie, daß ich mich mit Ihnen im Namen aller auseinandersetze.«

»Sehr gern, obwohl ich gar nicht einsehe, worüber wir uns auseinanderzusetzen haben.«

»Ich will Ihnen gleich alles erklären.«

»Bitte sehr.«

»Verehrter Herr, meine Kameraden und ich kennen Sie tatsächlich nicht; wir haben Sie aber mit russischer Zutraulichkeit in unsere Gesellschaft aufgenommen. Es gelang Ihnen nicht, zu verheimlichen, daß Sie eben etwas Unerwartetes erlebt haben. Und zwar in unserem Kreise … Sie haben vorhin den Ausdruck ‚Reputation‘ gebraucht. Auch wir haben unsere Reputation, hol’s der Teufel … Jawohl! Wir vertrauen Ihnen, müssen Sie aber bitten, auch unserer Ehrlichkeit zu vertrauen.«

»Sehr gerne,« unterbrach ihn der Pole, »sehr gerne!« Und er streckte ihm seine Hand entgegen. Der Rittmeister schien es aber nicht zu sehen und fuhr fort:

»Ich setze meinen Kopf und meine Hand dafür ein, daß Sie hier nicht die geringsten Unannehmlichkeiten zu gewärtigen haben und daß jeder, der es wagt, Sie, und wenn auch nur durch eine entfernte Andeutung, zu verletzen, in mir Ihren Verteidiger finden wird. Wir dürfen aber die Sache nicht als erledigt betrachten. Ihr Benehmen erscheint uns sonderbar, und ich bitte Sie im Namen aller Anwesenden, sich zu beruhigen und uns ernsthaft zu erklären, ob Sie sich tatsächlich unwohl fühlten oder ob Sie etwas Unerwartetes entdeckt haben. Wir bitten Sie, uns diese Frage in einem Worte und ganz aufrichtig zu beantworten.«

Alle fielen ihm ins Wort: »Ja, wir bitten, wir bitten!« Die Bewegung war eine allgemeine. Nur Sascha allein nahm an ihr nicht teil: er verharrte nach wie vor in seiner dummen Versunkenheit. Aber auch er erhob sich von seinem Platz, sagte »Wie ekelhaft!« und wandte sich mit dem Gesicht zum Fenster.

Der Pole aber, den wir so bedrängten, verlor seine Selbstbeherrschung nicht. Im Gegenteil, er nahm eine noch stolzere Haltung an und sagte:

»Meine Herren, in diesem Falle muß ich Sie um Verzeihung bitten. Ich wollte nichts sagen und alles in meinem Herzen tragen. Wenn Sie mich aber unter Berufung auf meine Ehre herausfordern, Ihnen zu sagen, was ich vorhin gehabt habe, so muß ich als Ehrenmann und Adliger …«

Jemand, der sich nicht beherrschen konnte, rief dazwischen:

»Er redet mir zu viel von Ehre!«

Der Rittmeister warf einen zornigen Blick in die Richtung, aus der dieser Zwischenruf gekommen war, und Awgust Matwejitsch fuhr fort:

»Als Ehrenmann und Adliger muß ich Ihnen, meine Herren, sagen, daß ich außer der Summe, die ich im Kartenspiel verloren, in meiner Brieftasche noch zwölftausend Rubel in Banknoten zu tausend und zu fünfhundert Rubel gehabt habe.«

»Haben Sie das Geld bei sich gehabt?« fragte der Rittmeister.

»Ja, bei mir.«

»Sie können sich daran genau erinnern?«

»Ja, ganz genau.«

»Und jetzt ist das Geld fort?«

»Ja, Sie haben es erraten: es ist fort.«

Der betrunkene Offizier rief wieder dazwischen:

»War denn das Geld auch wirklich da?«

Der Rittmeister sagte aber noch strenger:

»Ich bitte zu schweigen! Der Herr, den wir vor uns haben, wird sich nicht unterstehen, uns anzulügen. Er weiß, daß man mit solchen Dingen in anständiger Gesellschaft nicht scherzt: solche Späße können einem leicht das Leben kosten. Daß wir aber wirklich anständige Menschen sind, müssen wir erst durch die Tat beweisen. Meine Herren, niemand rührt sich von seinem Platz, und ich bitte Sie, Leutnant soundso, und Sie, und auch Sie (er nannte die Namen dreier Kameraden), sofort alle Türen abzuschließen und die Schlüssel hier an sichtbarer Stelle niederzulegen. Der Erste, der den Versuch macht, das Zimmer zu verlassen, wird es mit seinem Leben büßen. Ich hoffe aber, meine Herren, daß es niemand versuchen wird. Niemand wagt daran zu zweifeln, daß wir mit dem Verlust, von dem der fremde Herr spricht, nichts zu tun haben; aber das muß erst bewiesen werden.«

»Ja, ja, gewiß!« bestätigten die Offiziere.

»Und wenn das einmal bewiesen ist, so wird sofort der zweite Akt beginnen. Jetzt aber müssen wir, um unsere Ehre und unseren Stolz zu wahren, diesem Herrn gestatten, uns einer genauen Leibesvisitation zu unterziehen.«

»Ja, soll er uns nur durchsuchen!« riefen die Offiziere.

»Und zwar bis aufs Hemd!« sagte der Rittmeister.

»Ja, bis aufs Hemd!«

»Wir werden uns nun der Reihe nach vor diesem Herrn vollständig entkleiden. Ein jeder soll ganz nackt, wie er aus dem Mutterleibe hervorgegangen ist, vor ihn treten, und der Herr soll einen jeden eigenhändig durchsuchen. Ich bin hier der Älteste an Jahren und im Range und will mich als erster dieser Durchsuchung unterziehen, die für einen Ehrenmann nichts Ehrenrühriges ist. Ich bitte Sie alle, etwas zurückzutreten und sich in eine Reihe aufzustellen. Und nun entkleide ich mich.«

Er begann in großer Hast alle Kleidungsstücke von sich zu werfen und zog selbst die Socken aus. Als er ganz nackt war, legte er alle Sachen dem fürstlichen Generalbevollmächtigten vor die Füße, hob die Arme und sagte:

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
13 октября 2017
Объем:
230 стр. 1 иллюстрация
Переводчик:
Правообладатель:
Public Domain

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