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Читать книгу: «Eine Teufelsaustreibung und andere Geschichten», страница 6

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»So stehe ich vor Ihnen wie ein Rekrut vor der Kommission. Wollen Sie mich durchsuchen.«

Awgust Matwejitsch weigerte sich mit der durchaus stichhaltigen Begründung, daß er keinerlei Verdacht ausgesprochen und diese Untersuchung nicht verlangt habe.

»Nein, auf solche Scherze lassen wir uns nicht ein!« sagte der Rittmeister, vor Wut ganz rot werdend und mit den bloßen Fersen stampfend. »Jetzt ist es zu spät, mein Herr, den Großmütigen zu spielen … Ich habe mich nicht zum Spaß vor Ihnen entkleidet … Ich bitte Sie, meine Sachen genau zu durchsuchen. Sonst erschlage ich Sie, nackt wie ich bin, augenblicklich mit diesem Stuhl!«

Und er ergriff mit seiner behaarten Hand den schweren Stuhl und schwang ihn über dem Kopfe des Polen.

VII

Awgust Matwejitsch beugte sich mit Widerstreben über die auf dem Fußboden ausgebreiteten Sachen des Rittmeisters und tat, wie wenn er sie durchsuchte.

Die nackten Fersen stampften noch wütender, und zugleich zischte eine erstickte Stimme:

»Nicht so durchsucht man die Sachen! Nicht so! Haltet mich, sonst stürze ich mich auf ihn und erwürge ihn, wenn er es nicht ordentlich macht!«

Der Rittmeister war buchstäblich außer sich vor Zorn und bebte so, daß selbst das üppige schwarze Moos unter seinen muskulösen Armen, die er krampfhaft über dem Kopfe hielt, zitterte.

Der Pole ließ sich aber nicht einschüchtern. Er streifte mit einem ruhigen Blick das von Wut entstellte Gesicht und die Achselhöhlen des Rittmeisters, in denen sich zwei schwarze Ratten zu regen schienen, und sagte:

»Sehr schön. Ich bin zwar fest überzeugt, daß Sie ein Ehrenmann sind; da Sie aber darauf bestehen, will ich Sie wie einen Dieb durchsuchen.«

»Ja, hol mich der Teufel, ich bin ein Ehrenmann, und bestehe darauf, daß Sie mich wie einen Dieb durchsuchen!«

Awgust Matwejitsch durchsuchte ihn und fand selbstverständlich nichts.

»Nun bin ich also von jedem Verdacht rein,« sagte der Rittmeister. »Wollen jetzt die anderen Herren meinem Beispiele folgen.«

Ein zweiter Offizier entkleidete sich, und Awgust Matwejitsch durchsuchte ihn auf die gleiche Weise. Dann kam der dritte an die Reihe, und so unterzogen wir uns alle der Durchsuchung. Sascha allein war noch nicht durchsucht, und gerade in dem Augenblick, als die Reihe an ihn kommen sollte, wurde heftig an die Zimmertür geklopft.

Wir alle fuhren zusammen.

»Niemand darf herein!« kommandierte der Rittmeister. Man klopfte aber noch heftiger.

»Wen bringt der Teufel her? Wir dürfen niemand hereinlassen, solange diese schmachvolle Sache nicht erledigt ist. Wer es auch sei, jagt ihn zum Teufel!«

Es wurde wieder geklopft, und wir hörten zugleich eine wohlbekannte Stimme:

»Wollen Sie mich einlassen. Ich bin es.«

Es war die Stimme unseres Obersten.

– —

Die Offiziere wechselten Blicke.

»Machen Sie auf, meine Herren!« wiederholte der Oberst.

Die Türe wurde aufgemacht, und der nicht sehr beliebte Kommandeur trat wie ein Kamerad in unsere Mitte. Auf seinem Gesicht leuchtete ein freundliches Lächeln, das er nur sehr selten sehen ließ.

»Meine Herren!« begann er, noch ehe er sich im Zimmer umgesehen hatte. »Bei mir zu Hause steht alles gut. Nach den aufreibenden Augenblicken, die ich eben durchlebt habe, wollte ich etwas frische Luft atmen. Und da ich Ihren kameradschaftlichen Wunsch, meine Freude zu teilen, kenne, bin ich zu Ihnen gekommen, um Ihnen persönlich mitzuteilen, daß Gott mir ein Töchterchen geschenkt hat.«

Wir gratulierten ihm, unsere Gratulation klang aber natürlich nicht so lebhaft und freudig, wie es der Oberst, der von unseren Vorbereitungen gehört hatte, zu erwarten berechtigt war. Das fiel ihm gleich auf. Er sah sich mit seinen gelben Augen im Zimmer um und richtete sie auf den Fremden.

»Wer ist der Herr?« fragte er leise.

Der Rittmeister antwortete ihm noch leiser und erzählte kurz die ganze unangenehme Geschichte.

»Wie ekelhaft!« rief der Oberst. »Wie ist nun die Sache ausgegangen, oder ist sie noch immer nicht zu Ende?«

»Wir zwangen ihn, uns alle zu durchsuchen, und bei Ihrem Erscheinen blieb nur noch der Kornett N. undurchsucht.«

»Machen Sie ein Ende!« sagte der Oberst, sich auf einen Stuhl in der Mitte des Zimmers setzend.

»Kornett N., wollen Sie sich entkleiden!« kommandierte der Rittmeister.

Sascha, der, die Arme auf der Brust gekreuzt, am Fenster stand, antwortete nichts und rührte sich nicht.

»Hören Sie denn nicht, Kornett?« wandte sich der Oberst an ihn.

Sascha rührte sich nun von seinem Platz und antwortete:

»Herr Oberst und meine Herren Offiziere, ich schwöre bei meiner Ehre, daß ich das Geld nicht gestohlen habe …«

»Pfui, wozu dieses Schwören!« entgegnete der Oberst. »Alle sind hier über jeden Verdacht erhaben; wenn aber Ihre Kameraden einmal beschlossen haben, sich der Durchsuchung zu unterziehen, so müssen auch Sie sich dem fügen. Dieser Herr soll Sie nun gleich in Gegenwart aller durchsuchen, und dann beginnt der zweite Akt.«

»Ich kann es nicht.«

»Was … Was können Sie nicht?«

»Ich habe das Geld nicht gestohlen, ich will mich aber nicht durchsuchen lassen!«

Es erhob sich ein unzufriedenes Geflüster, und alle gerieten in Bewegung.

»Was soll das heißen? Es ist einfach dumm … Warum wollen Sie sich nicht durchsuchen lassen?«

»Ich kann es nicht.«

»Sie müssen! Sie müssen einsehen, daß Ihr Trotz den für uns alle erniedrigenden Verdacht verstärkt … Wenn Sie auf Ihre eigene Ehre keinen Wert legen, so muß Ihnen doch die Ehre Ihrer Kameraden teuer sein, die Ehre des Regiments und der Uniform! Wir alle verlangen von Ihnen, daß Sie sich augenblicklich entkleiden und sich durchsuchen lassen … Und da Ihr Benehmen den Verdacht bereits verstärkt hat, so freuen wir uns alle, daß Sie in Gegenwart des Obersten durchsucht werden können … Wollen Sie sich augenblicklich entkleiden.«

»Meine Herren!« sagte der Jüngling, der nun leichenblaß geworden und mit kaltem Schweiß bedeckt war. »Ich habe das Geld nicht genommen … Ich schwöre es Ihnen bei meinen Eltern, die ich über alles in der Welt liebe … Ich habe das Geld dieses Herrn nicht! Ich werde sofort dieses Fenster einschlagen und mich hinausstürzen, werde mich aber um nichts in der Welt ausziehen, das verlangt meine Ehre!«

»Was für eine Ehre?! Was für eine Ehre steht über der Ehre des Regiments und der Uniform? Wessen Ehre ist es?«

»Ich sage Ihnen kein Wort mehr, werde mich aber nicht ausziehen. Ich habe in der Tasche eine Pistole und mache Sie darauf aufmerksam, daß ich einen jeden niederschieße, der Gewalt gegen mich anzuwenden versucht!«

Als der Jüngling das sagte, wurde er bald blaß und bald feuerrot; er keuchte und sah mit irren Blicken auf die Türe; sein einziger Wunsch war, sich von hier herauszureißen; man hörte, wie er in der Tasche seiner Reithose den Hahn seiner Pistole spannte.

Sascha war mit einem Wort ganz außer sich. Seine Ekstase machte alle weiteren Einwände unmöglich und stimmte uns alle nachdenklich.

Der Pole zeigte als erster große und selbst rührende Teilnahme. Seine isolierte und daher sehr unvorteilhafte Stellung in unserem Kreise gänzlich außer Acht lassend, rief er voller Entsetzen, das seltsam ansteckend wirkte:

»Fluch über diesen Tag und dieses Geld! Ich will es nicht mehr, ich suche es nicht mehr, ich beklage es nicht mehr, ich werde niemals und niemand von diesem Verlust auch nur ein Wort sagen. Aber ich beschwöre Sie beim Gott Zebaoth, der Sie alle erschaffen hat, beim Heiland, der für Recht und Wahrheit ans Kreuz geschlagen wurde, bei Allem, was Ihnen wert und teuer ist, lassen Sie von diesem Knaben ab …«

Ja, er sagte »Knaben« und nicht »Jüngling«. Plötzlich fügte er mit einer gänzlich veränderten, aus der tiefsten Tiefe der Seele dringenden Stimme hinzu:

»Beschleunigen Sie den Gang des Schicksals nicht … Sehen Sie denn nicht, wohin er geht? …«

Sascha ging oder schlich vielmehr tatsächlich an den Offizieren vorbei auf die Türe zu.

Der Oberst verfolgte ihn mit seinen gelben Augen und sagte:

»Soll er nur gehen …«

Dann fügte er leise hinzu:

»Ich glaube, ich fange etwas zu verstehen an.«

Als Sascha die Schwelle erreicht hatte, wandte er sich zu allen um und sagte:

»Meine Herren! Ich weiß wohl, wie schwer ich Sie beleidigt habe und wie niedrig meine Handlung Ihnen erscheinen muß. Verzeihen Sie mir …! Ich konnte nicht anders … Es ist mein Geheimnis … Verzeihen Sie … So verlangt es die Ehre …«

Seine Stimme bebte wie vor kindlichen Tränen. Er schämte sich ihrer, bedeckte die Augen mit der Hand, rief: »Lebt wohl!« und stürzte hinaus.

VIII

Es ist sehr schwer, Ereignisse wie dieses gleichgültigen Zuhörern zu schildern, wenn man auch selbst nicht mehr so erregt ist, wie man es seinerzeit war. Jetzt, da ich Ihnen erzählen muß, was weiter geschah, fühle ich, daß ich es unmöglich mit jener Lebendigkeit, Kompaktheit und Intensität wiedergeben kann, mit der die Ereignisse sich damals überstürzten und sich aufeinander türmten, um gleichsam von einer schicksalsschweren Höhe auf die Unzulänglichkeit der menschlichen Vernunft herabzublicken und sich gleich wieder in der Natur aufzulösen.

Wenn Sie die Berichte Jacolios oder unserer Landsmännin Rada-Bay gelesen haben, so wissen Sie vielleicht noch, was sie von der »psychischen Kraft« der Hindus und von der Abhängigkeit dieser Kraft von der »geistigen Stimmung« erzählen. Die psychische Kraft wohnt vielleicht auch dem Stutzer inne, der, das Stöckchen schwingend, durch die Straßen flaniert und »Nun sind wir da, nun sind wir da!« aus dem »Orpheus« singt. Nun versuche aber einer zu ergründen, wo in ihm diese Kraft steckt und worauf sie sich anwenden läßt. Der Prediger Salomo erläutert es trefflich am Beispiele des Schattens, den der Baum in der Richtung des auf ihn fallenden Lichtes wirft … Bei einer allgemeinen Panik verlieren alle den Kopf und halten das Nebensächlichste für das Wichtigste; ein einziger anders gestimmter Blick sieht aber in diesem Moment das einzig Wichtige: da haben Sie einen Fall der »psychischen Kraft«.

Ein winziges Teilchen dieser Kraft durchzuckte mich in dem Augenblick, als Sascha aus dem Zimmer stürzte. In seiner Bewegung, in seinem plötzlichen Sprung war etwas Schreckliches: er war nicht einfach weggelaufen, er hatte sich von uns losgerissen, war uns sozusagen auf Nimmerwiedersehen entschwebt … Wir hörten sogar seine Schritte nicht, es war nur ein leises Rauschen durch den Korridor … Der Pole stürzte ihm augenblicklich nach … Wir glaubten, daß er ihn einholen und des Diebstahls überführen wolle; ich habe Ihnen schon erzählt, daß Sascha vorher das Unglück gehabt hatte, aus Versehen in das Zimmer des Polen einzudringen, was diesem das Recht gab, seinen Verdacht gerade auf ihn zu richten. Übrigens waren wir alle davon überzeugt, daß der Pole das Geld tatsächlich gehabt hatte und daß es ihm in unserem Kreise abhanden gekommen war. Mehrere Offiziere stürzten zur Türe, um Awgust Matwejitsch den Weg zu versperren, und der Oberst rief ihm zu:

»Sie bleiben hier! Ihr Geld wird Ihnen ersetzt werden!«

Der Pole aber stieß die Offiziere mit unerwarteter Kraft zurück und antwortete dem Obersten:

»Der Teufel soll das Geld holen!« Und lief Sascha nach.

Jetzt erst sahen wir den unverzeihlichen Fehler ein, den wir vorhin gemacht hatten, als wir uns selbst durchsuchen ließen und dasselbe nicht auch vom Polen, der diese ganze Geschichte verschuldet hatte, verlangten. Wir stürzten ihm nach, um ihn zu packen und ihm die Möglichkeit zu nehmen, das Geld irgendwo zu verstecken und uns hinterher zu beschuldigen; aber in diesem selben Augenblick, – es ging viel schneller, als ich es Ihnen erzähle, – erklang im Korridor etwas wie Händeklatschen …

Uns durchzuckte der Gedanke, daß der Pole Sascha ins Gesicht geschlagen hatte, und wir eilten unserem Kameraden zu Hilfe. Die Hilfe war aber unnötig …

In der Türe vor uns stand schwankend die lange, an eine Standuhr gemahnende Gestalt Awgust Matwejitschs mit dem Grahamschen Zifferblatt, dessen Zeiger nach unten wiesen …

»Es ist zu spät …« keuchte er: »er hat sich erschossen

IX

Wir drängten uns in Saschas kleines Zimmer und sahen ein erschütterndes Bild: mitten im Zimmer stand, von einer niedergebrannten Kerze beleuchtet, Saschas erschrockener Bursche und hielt ihn in seinen Armen, während Saschas Kopf auf seiner Schulter ruhte. Die Arme hingen kraftlos herab, aber die eingeknickten Kniee zuckten noch, wie wenn man ihn kitzelte.

Die Geschichte mit dem Geld, die dies alles verschuldet, die sich jedenfalls zur rechten Zeit abgespielt hatte, um dem Erscheinen der »hypokratischen Züge« auf dem jugendlichen Gesicht des armen Sascha eine Begründung zu geben, war nun vergessen … Auch die Angst vor einem Skandal war völlig in den Hintergrund getreten. Wir legten den Verwundeten aufs Bett, schickten nach Ärzten und bemühten uns, ihm, dem nichts mehr helfen konnte, Hilfe zu bringen … Wir versuchten das Blut, das unaufhörlich aus der Wunde strömte, zu stillen, riefen ihn bei seinem Namen und schrien ihm ins Ohr: »Sascha! Sascha! Lieber Sascha!« Er hörte aber wohl nichts mehr; er erlosch und erkaltete und lag nach einer Minute auf seinem Bett so steif und unbeweglich wie ein Bleistift.

Viele weinten, und der Bursche schluchzte laut … Der Zimmerkellner Marko drängte sich zu der Leiche vor und sagte leise, seiner religiösen Stimmung treu:

»Meine Herren, man darf nicht weinen, wenn eine Seele den Körper verläßt. Beten Sie doch lieber!« Mit diesen Worten schob er uns etwas zur Seite und stellte auf den Tisch einen Teller mit reinem Wasser.

»Was ist das?« fragten wir ihn.

»Wasser«, antwortete er.

»Wozu?«

»Damit seine Seele sich darin wäscht.«

Marko legte die Leiche ordentlich auf den Rücken und drückte ihr die Augenlider zu …

Wir alle bekreuzigten uns und weinten. Der Bursche fiel in die Kniee und schlug mit der Stirne gegen den Fußboden, daß man es hörte.

Zwei Ärzte – unser Regimentsarzt und einer von der Polizei – kamen gelaufen und konstatierten »die Tatsache des Todes«.

Sascha war tot …

Wer oder was war die Ursache seines Selbstmordes? Wo ist das Geld, wer ist der Dieb, der es genommen hat? Wie wird sich diese Geschichte, die wie der Inhalt eines aufgeschnittenen Daunenkissens durch die Luft wirbelte und an uns allen kleben blieb, weiter entwickeln?

Allen war es ganz wirr im Kopfe. Die Leiche hatte aber doch die Kraft, alle Gedanken auf sich zu lenken und uns zu zwingen, sich in erster Linie mit ihr zu befassen.

In Saschas Zimmer erschienen Polizeibeamte, Ärzte und Heilgehilfen, und man begann ein Protokoll aufzunehmen. Unsere Gegenwart wurde als störend befunden, und man ersuchte uns, das Zimmer zu verlassen. Man entkleidete Sascha und durchsuchte seine Sachen in Gegenwart von Zeugen, unter denen sich der Zimmerkellner Marko, unser Regimentsarzt und einer der Offiziere als Delegierter befanden. Das Geld wurde selbstverständlich nicht gefunden.

Unter dem Tische fand man die Pistole und auf dem Tische einen Zettel, auf dem Sascha mit flüchtiger Schrift hingekritzelt hatte: »Papa und Mama, verzeiht mir, ich bin unschuldig.«

Um dieses zu schreiben, hatte er wohl kaum mehr als zwei Sekunden gebraucht.

Der Bursche, der Zeuge des Selbstmordes gewesen war, erzählte, daß Sascha, gleich als er in sein Zimmer hereingestürzt war, stehend diese Zeilen geschrieben, sich dann die Kugel ins Herz gejagt hatte und sterbend in seine Arme gefallen war.

Der Soldat wiederholte diesen Bericht einige Male in der gleichen Fassung allen, die ihn ausfragten. Dann stand er schweigend da und zwinkerte mit den Augen. Als aber Awgust Matwejitsch auf ihn zuging, ihm in die Augen blickte und ihn nach weiteren Einzelheiten ausfragen wollte, wandte sich der Bursche an den Rittmeister und sagte:

»Herr Rittmeister, erlauben Sie, daß ich hinausgehe und mich wasche: an meinen Händen ist Christenblut.«

Man erlaubte es ihm, weil er tatsächlich über und über mit Blut befleckt war, was einen schrecklichen Anblick bot.

Das alles spielte sich bei Tagesanbruch ab; der Himmel rötete sich schon, und das erste Morgenlicht drang durch die Fenster herein.

In den von den Offizieren bewohnten Zimmern standen alle Türen nach dem Korridor offen, und überall brannte Licht. Einige Offiziere saßen mit gesenkten Köpfen ganz fassungslos in ihren Zimmern. Alle sahen mehr wie Mumien als wie lebende Menschen aus. Der Rausch hatte sich wie ein Nebel verflüchtigt, ohne auch eine Spur zu hinterlassen … Alle Gesichter drückten Verzweiflung und Trauer aus …

Der arme Sascha! Wenn sein Geist sich noch für die irdischen Dinge interessieren könnte, so würde er sicher einen Trost darin finden, daß alle mit solcher Liebe an ihm hingen und daß es allen so weh tat, ihn, den blühenden und lebensvollen Jüngling zu überleben!

Auf ihm lastete aber ein Verdacht … ein schrecklicher, schändlicher Verdacht. Wer würde es aber jetzt wagen, von diesem Verdacht zu seinen alten Kameraden zu sprechen, über deren bekümmerte Gesichter die Tränen rollten? …

»Sascha! Sascha! Armer junger Sascha! Was hast du getan?« flüsterten alle Lippen, und plötzlich standen alle Herzen still, und ein jeder von uns fragte sich: »Bist du nicht auch selbst schuld daran? Hast du nicht gesehen, in welcher Verfassung er war? Hast du auf deine Kameraden einzuwirken versucht, daß sie ihn in Ruhe ließen? Hast du ihnen gesagt, daß du ihm vertraust und die Unantastbarkeit seines Geheimnisses achtest? Sascha! Armer Sascha! Was ist das für ein Geheimnis, das ihn zugrunde gerichtet hat, das er ins Jenseits mitgenommen hat? … Er ist natürlich rein und von jedem schmählichen Verdacht frei … Fluch über den, der ihn in den Tod getrieben hat!«

Wer hat es aber getan?

X

Awgust Matwejitschs Türe stand ebenso offen wie die Türen aller Offizierszimmer; es brannte aber darin kein Licht, und im blassen Morgenscheine konnte man nur einen eleganten Reisekoffer und anderes Gepäck unterscheiden. In einer Ecke stand das leicht aufgewühlte Bett.

Wenn man an diesem Zimmer vorbeiging, hatte man den Wunsch, stehen zu bleiben und einen Blick hineinzuwerfen: Was birgt dieses Zimmer? Woher und wofür ist dieses Unglück über uns gekommen?

Mich zog es hin, nachzuschauen, ob das verschwundene Geld nicht in diesem Zimmer sei: hat nicht der Pole selbst das Geld in seinem Zimmer vergessen und dann diese ganze Geschichte inszeniert, die uns so viel Unannehmlichkeiten und den Verlust unseres schönen, jungen Kameraden gekostet hat? Ich war schon bereit, in das Zimmer einzudringen und es zu durchsuchen; glücklicherweise wurde ich aber rechtzeitig gestört.

Aus dem Ende des Korridors, wo sich das große Zimmer befand, in dem nachts gespielt und gezecht wurde, riefen mir in diesem Augenblick mehrere Stimmen zu:

»Wohin? Wohin? .. Diese Dummheit fehlt uns noch gerade!«

Ich fühlte mich auf einmal verlegen und entmutigt. Ich sah plötzlich ein, wie leichtsinnig mein Vorhaben war und wie leicht ich in den Verdacht kommen könnte, in diese Sache irgendwie verwickelt zu sein.

Ich bekreuzigte mich und ging mit raschen Schritten auf die Stimmen zu, die mich von meinem Vorhaben abgebracht hatten.

Vor dem noch finstern, nach Norden gehenden Korridorfenster saßen auf der mit einer schmutzigen Pferdedecke bedeckten Bank, die dem Burschen des Rittmeisters als Lager diente, drei Offiziere und unser Regimentspfarrer. Der Pfarrer trug sein langes Haar zum Zopf geflochten und hatte einen üppigen blonden Vollbart, dem er den Namen »Vater Barbarossa« verdankte. Er war sehr gutmütig, nahm sich alle unsere Regimentsaffären zu Herzen, drückte aber seine Gefühle nicht durch Worte, sondern nur durch ein vielsagendes Kopfnicken und ein gedehntes »Ja« aus. Nur in den dringendsten Fällen sprach er etwas mehr und zeigte dann immer Geistesgegenwart und Findigkeit.

Die drei Offiziere und der Pfarrer rauchten abwechselnd aus zwei Pfeifen. Der Pfarrer saß in der Mitte der Gruppe und bekam daher die Pfeife wie von rechts, so auch von links gereicht; auf diese Weise hatte er vom Rauchen den doppelten Genuß, den er außerdem noch auf die Weise vergrößerte, daß er nach jedem Zug aus der Pfeife sich das Gesicht mit dem herrlichen Vollbart bedeckte und den Rauch ganz langsam durch diesen eigenartigen Respirator hinausließ.

Diese guten Menschen saßen auf ihrer Bank nahe bei dem Zimmer des Rittmeisters, das jetzt abgesperrt war; drinnen wurde lebhaft, aber gedämpft gesprochen. Man hörte mehrere Stimmen, konnte aber kein einziges Wort unterscheiden.

Hinter der verschlossenen Tür befanden sich unser Regimentskommandeur, der Rittmeister und der Urheber des ganzen Unglücks – Awgust Matwejitsch. Der Oberst selbst hatte die beiden Herren zu dieser Besprechung eingeladen, niemand wußte aber, was er von ihnen wollte. Die drei Offiziere und der Pfarrer hatten aus eigenem Antriebe den Posten in der Nähe des Zimmers bezogen, um den Kameraden zur Hilfe eilen zu können, wenn die Auseinandersetzung sich zuspitzen sollte.

Diese Befürchtungen erwiesen sich aber als grundlos: das Gespräch wurde, wie gesagt, in höchst anständiger Form geführt; der Ton wurde immer weicher und klang zuletzt durchaus freundschaftlich und herzlich. Dann hörten wir, wie die Stühle zurückgeschoben wurden und wie zwei Herren sich der Türe näherten.

Der Schlüssel wurde umgedreht, und in der offenen Tür erschienen der Regimentskommandeur und Awgust Matwejitsch.

Ihr Gesichtsausdruck war, wenn auch nicht gerade ruhig, so doch jedenfalls friedfertig.

Der Oberst drückte dem Polen die Hand und sagte:

»Ich freue mich, daß ich Ihnen die Gefühle entgegenbringen kann, die Sie mir unter diesen schrecklichen Umständen einzuflößen verstanden. Ich bitte Sie, meiner Aufrichtigkeit ebenso zu vertrauen, wie ich der Ihrigen vertraue.«

Der Pole verbeugte sich vor ihm mit großer Würde und begab sich schweigend auf sein Zimmer; der Oberst aber wandte sich an uns mit den Worten:

»Ich eile nach Hause und bitte Sie, sich zum Rittmeister zu begeben: Sie werden von ihm erfahren, wie wir uns alle zu verhalten haben.«

Der Oberst nickte uns zu und begab sich zum Ausgang. Noch ehe die Türe unten hinter ihm ins Schloß gefallen war, füllten wir schon das Zimmer des Rittmeisters.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
13 октября 2017
Объем:
230 стр. 1 иллюстрация
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Правообладатель:
Public Domain

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