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Wo Hexen die Guten waren


Die Sterne standen bereits hoch am Himmelszelt und ein kühler Wind zog über die Baumwipfel hinweg. Er brachte die Blätter über unseren Köpfen zum Rascheln. Ein sanftes Geräusch, das beinahe wie ein Gutenachtlied klang. Meine Augen fielen immer wieder zu, während ich angestrengt versuchte, wach zu bleiben. Vor mir brannte ganz schwach noch ein kleines Feuer. Nicht lange und es würde ausgehen. Rabea hatte mir vor wenigen Stunden eine Decke gebracht, die ich dankbar um meinen Körper geschlungen hatte. Sie und Lev hatten keine, aber das schien ihnen nichts auszumachen.

»Warum versuchst du nicht zu schlafen?«, flüsterte Rabea. Sie hatte sich an den Stamm einer knorrigen Eiche gelehnt und starrte hoch in den Himmel. Die Schatten des Feuers tanzten über ihr Gesicht. In ihrem Blick lag so viel Leere, als ob sie immer noch darüber nach­denken würde, was sie alles bereute.

»Ich bin nicht müde«, flüsterte ich zurück, während mir meine Augen erneut zufielen.

»Der Dieb hat mich schon davor gewarnt, dass du gern Lügen erzählst.« Sie lächelte.

»Wann schläfst du?«, erkundigte ich mich und richtete mich etwas auf. Mein Rücken schmerzte bereits von der unbequemen Position. Lev hatte sich einen Baum weiter hinten ausgesucht. Er hatte uns zwar den Rücken zugewandt, aber sein Brustkorb hob und senkte sich in gleichmäßigen Atemzügen, darum ging ich davon aus, dass er bereits schlief.

»Einer bleibt immer wach«, antwortete Rabea. Ich nickte und folgte ihrem Blick. Sterne faszinierten mich schon mein Leben lang. Sie waren einfach da, strahlten um die Wette. Einer schöner als der andere, so irreal und doch so alltäglich.

»Ich liebe den Geruch der Natur«, kam es auf einmal von Rabea. Noch immer sah sie hoch in den Himmel.

»Ich auch«, antwortete ich, während ich tief Luft holte. Kein Parfum der Welt roch besser als die Natur, und keines schaffte es, so viel Sehnsucht in den Herzen der Menschen auszulösen wie die Luft, die um mich herumschwirrte.

»Malina …« Rabeas Stimme glich mehr einem Flüstern. Sie blickte sich unsicher um, dabei verharrte ihr Blick etwas länger auf Lev. Als sie sich sicher war, dass er schlief, kroch sie zu mir herüber. »Malina …«, sprach sie erneut. »Hör mir gut zu.«

Nun war ich hellwach und rutschte auch noch etwas näher an sie heran.

»Du musst den Gegenstand zuerst finden, und wenn du ihn hast, dann gib ihn erst dem Dieb, wenn du in Malufra angelangt bist und vor der Königin stehst, versprochen?«

Ich wollte etwas erwidern, erneut Fragen stellen, aber in ihrem Blick lag solch eine Verzweiflung, dass ich nur stumm nickte.

»Versprochen?«, flüsterte sie nun energischer.

»Versprochen«, antwortete ich und dachte dabei an mein Versprechen an Irena. Erleichtert rutschte Rabea wieder an ihren Platz und schloss die Augen.


Ich schreckte hoch. Unsicher blickte ich über den Platz. Es war dunkel, das Feuer war inzwischen erloschen und nur mit Mühe erkannte ich die Umrisse von Rabea neben mir. Gleichmäßige Atemzüge waren zu hören. Es dauerte einen Moment, dann erinnerte ich mich wieder an alles, was in den vergangenen Stunden passiert war. Gleich nach dem Versprechen war ich eingeschlafen und Rabea wohl auch. Warum war ich aufgewacht? Fröstelnd rieb ich mir die Arme. Inzwischen nützte die Decke auch nichts mehr. Wahrscheinlich hatte mich die Kälte geweckt. Meine Beine fühlten sich ganz taub an und meine Rückenschmerzen waren bis hoch in den Nacken gewandert. Langsam stand ich auf, darauf bedacht, niemanden zu wecken. Ich hob die Tasche vom Boden auf und nahm sie über die Schulter. War da nicht etwas zwischen den Bäumen?

Ein ungutes Gefühl überkam mich. Ich war mir sicher, ein Licht gesehen zu haben. Nein, mehrere Lichter. Aber womöglich hatte ich mir all das bloß eingebildet. Ich blinzelte einige Male und rieb mir über die Augen. Als ich wieder aufsah, waren die eigenartigen Lichter verschwunden. Mit ihnen verschwand leider nicht auch dieses ungute Gefühl in meiner Magengegend. Ich duckte mich etwas hinter den Baum und starrte weiter in die Dunkelheit. Meine Hand lag auf dem Griff des Messers, das sich noch immer in meinem Stiefel befand. Hinter mir raschelte es. Keuchend drehte ich mich um und zog meine Waffe. Nichts …

Ich lehnte mit dem Rücken an dem Baum und blickte immer wieder von einem Ort zum anderen. Das Messer hielt ich dabei fest umklammert. Vielleicht ein Reh? Aber Rehe hatten keine leuchtenden Augen und konnten sich nicht von einem Ort zum anderen teleportieren, zumindest hoffte ich das nicht, sonst hatten wir ein Problem.

»Rabea!«, zischte ich in die Dunkelheit, mehr als ein Murmeln bekam ich nicht als Antwort.

Da! Da war es wieder! Zwischen den Stämmen tanzten kleine helle Lichter so groß wie ein Daumennagel. Zuerst sah man nur wenige Punkte, schon bald wurden es immer mehr. Sie tanzten über den Waldweg, huschten zwischen den Büschen hindurch und umkreisten die Bäume.

»Rabea …« Meine Stimme wurde immer lauter. Die Lichter tanzten immer wilder und verrückter, flogen nur so über die moos­bewachsenen Steine.

Ich stieß mich von dem Stamm ab, duckte mich vor einem der Lichter und rüttelte dann energisch an der Schulter von Rabea. Im Dunkeln konnte ich leider nicht viel erkennen, darum merkte ich zu spät, dass ich nicht an ihrer Schulter, sondern an ihrem Gesicht herumgezerrt hatte.

»Aua!«, rief sie und schlug meine Hände weg. »Was ist in dich gefahren?«

»Die Lichter! Da sind überall Lichter.« Ich deutete nach vorn, aber sie waren wieder verschwunden. Enttäuscht ließ ich die Hände sinken.

»Was für Lichter?«

»Blaue, kleine Lichter, die immer schneller über den Waldboden angeflogen kamen. Es sah aus wie ein Tanz.« Irritiert blickte ich um mich. Diese fiesen Dinger waren irgendwo.

»Schlafmangel führt zu Halluzinationen«, knurrte sie nur und wandte sich dann wieder ab, um weiterzuschlafen.

Ich schloss die Augen und seufzte. Natürlich, jetzt war ich die Verrückte. Doch so langsam glaubte ich schon selbst, dass mein Verstand nicht ganz funktionierte. Als ich nämlich die Augen wieder öffnete, waren die Lichter wieder da. Wenn ich es nicht besser gewusst hätte, dann hätte ich behauptet, das hier wären Irrlichter. In vielen Märchen waren sie Vorboten für ein Unglück oder führten jemanden zu einem magischen Ort. Nur normalerweise hielten sich Irrlichter in Sumpfgebieten auf und nicht in einer Waldgegend.

Da waren sie also und schwirrten durch die Luft, verblassten wieder, um dann genauso rasch wieder kurz vor meiner Nase aufzutauchen.

Ich duckte mich unter den Lichtern hindurch und versteckte mich dann eilig hinter einem Baum. Keuchend presste ich mich an die raue Rinde. Ich traute mich gar nicht nachzusehen, ob sie noch da waren. So leicht ließen sie sich bestimmt nicht austricksen. Und tatsächlich, es dauerte nicht lange, da huschten sie wieder vor meiner Nase umher.

»Was wollt ihr von mir?«, flüsterte ich genervt.

Sie schwirrten abermals um mich herum und flogen dann tiefer in den Wald hinein. Einige Meter vor mir hielten sie an und flogen an Ort und Stelle umher.

»Ich soll euch folgen?« Noch immer kam keine Antwort, aber wie auch. Ich schüttelte den Kopf und drehte mich wieder um. Ich sollte wieder zurück zu Lev und Rabea und mich nicht von wandelnden Lichterketten verleiten lassen, irgendwo hinzugehen, wo ich mich nicht auskannte. Die Lichter verschwanden, hüpften immer weiter weg, bis ihr Leuchten verblasste. Nun war ich wieder der völligen Dunkelheit ausgeliefert. »Rabea?« … keine Antwort. »Lev?« … Auch von ihm kam keine Regung. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht. Ich tastete in der Dunkelheit nach Anhaltspunkten. Es wirkte beinahe so, als ob die Bäume enger beieinanderstünden. Das hier war nicht mehr der Platz von vorhin. Verzweifelt fuhr ich mir durch die Haare. Das konnte nicht sein! Hatte ich mich in die falsche Richtung gedreht? Ich tastete mich wieder an den Bäumen entlang. Irgendwo hier musste doch das Lagerfeuer gewesen sein. Leider half mir der Mond nicht wirklich mit seinem Licht, da der vor wenigen Tagen noch runde Mond mittlerweile die Form einer Sichel angenommen hatte.

»Rabea!«, rief ich noch lauter. Es war vielleicht nicht die beste Idee, allein im Wald herumzubrüllen, es war jedoch die einzige, die mir einfiel.

»Lev?!« Immer noch keine Antwort. Das war zum Haareraufen. Ich tastete weiter. Wenigstens hatten sich meine Augen wieder etwas an die Dunkelheit gewöhnt und ich erkannte immer mehr.

»Rab…« Da … da war es wieder, dieses Rascheln von vorhin. Ich duckte mich, griff nach dem Messer und hielt es schützend vor mich. Es raschelte erneut, dieses Mal aus einer völlig anderen Richtung. Mein Puls raste, meine Hände zitterten.

Schritte kamen näher, Äste wurden auf die Seite geschoben. Man hörte das Geräusch von Schuhen auf dem unebenen Waldboden.

Auf einmal stand diese Frau vor mir. Um sie herum schwirrten zwei der Lichter. Sie war schlank, trug ein weißes langes Kleid und hohe dunkle Stiefel. Ihre Augen waren schwarz umrandet und auf ihren Wangen sowie auf den Armen und Beinen waren ineinander verschlungene Zeichen zu sehen. Ihre schwarzen Haare reichten ihr bis zu den Hüften. Darin verknotet befanden sich farbige Bänder, Federn und Perlen. Als sie den Kopf leicht neigte, hörte man, wie die Schmuckstücke aneinanderstießen. Nicht nur in ihren Haaren trug sie Schmuck, an ihrem Handgelenk und um den Hals baumelten lange goldene Ketten. Wenigstens schien sie nicht bewaffnet zu sein.

Noch immer hielt ich das Messer ausgestreckt in ihre Richtung. »Ich habe keine Angst!«, sprach ich mit fester Stimme und blickte ihr in die Augen. Sie schüttelte nur leicht den Kopf und deutete auf ihren Mund.

»Ich verstehe nicht.«

Wieder schüttelte sie den Kopf, sodass alle Ketten klimperten, und deutete erneut auf ihren Mund.

»Du sprichst nicht«, murmelte ich und ließ mein Messer etwas sinken. Sie nickte bestätigend. Dann streckte sie mir ihre Hand entgegen. Ein dunkler Pfeil war auf ihre Handinnenfläche gezeichnet und deutete genau in meine Richtung. An jedem Finger trug sie zwei Ringe. Manche waren feiner, andere etwas grober, doch sie alle schienen aus Gold zu bestehen. Warum würde jemand solch kostbare Dinge offen tragen?

Misstrauisch sah ich von ihrer Hand zu ihren Augen und wieder zurück. Es waren ähnlich dunkle Augen wie die von Lev. Tiefe Abgründe, die nur im Licht nicht ganz so schwarz wirkten.

»Meine Freunde sind hier irgendwo.« Ich hielt das Messer höher. Die Frau machte keine Anstalten, ihre Hand wegzuziehen, während die Lichter fröhlich um sie herumtanzten. Mit der anderen Hand deutete sie auf ihre ausgestreckte rechte Hand. Ich verneinte. »Ich suche nur meine Freunde«, versuchte ich es, doch sie schien nicht zu verstehen. Nach einiger Zeit gab sie es auf, zog die Hand zurück und drehte sich um. Sie lief einige Meter geradeaus, wandte dann plötzlich ihren Kopf wieder in meine Richtung und bedeutete mir, ihr zu folgen. Ich ließ das Messer sinken. Ich hatte zwei Möglichkeiten. Entweder ich folgte ihr quer durch diesen Wald und würde sehen, was sie mir zeigen wollte, oder ich blieb hier zurück in der Dunkelheit und würde weiterhin nach Lev und Rabea schreien. Natürlich könnte das auch eine Falle sein, aber es war auch eine Chance. Ich trat einen Schritt nach vorn und folgte den Lichtern und der Frau. Sie drehte sich wieder um und setzte den Weg fort. So ging das ganze Spiel eine Weile. Wir gingen immer tiefer in den Wald hinein, bis man irgendwann vor lauter Bäumen weder Sterne noch Mond sah. Immer wenn ich etwas zurückfiel, blieb sie stehen und wartete. Ihre Lippen blieben weiterhin verschlossen. Damit mich nicht wieder die Müdigkeit überkam, die bereits an meinen Augenlidern zerrte, zählte ich die Schritte. Das Messer hielt ich dabei immer noch fest umklammert.

Und dann, als ich schon die Hoffnung aufgegeben hatte, dass dieser Weg irgendwann ein Ende haben würde, waren da auf einmal Stimmen. Ich blickte auf und entdeckte vor uns eine große Lichtung. Ein Feuer brannte und Menschen saßen darum herum. Im ersten Moment kam mir das Lager von dem Dieb in den Sinn. War ich etwa wieder zurück? Die Zelte fehlten und die Leute waren auch ganz andere. Es waren zwei Frauen und eine Gestalt mit einer Kapuze, tief ins Gesicht gezogen. Unsicher lief ich näher. War das am Ende eine Falle?

»Maskenmädchen.«

Dieser Name und diese Stimme, wenn mir das nicht bekannt vorkam. »Dieb ohne Herz«, erwiderte ich und öffnete wieder die Augen. Die Gestalt entpuppte sich als der junge Mann mit den grünen Augen. Er hatte ein spöttisches Lächeln aufgesetzt, während er die Kapuze nach hinten fallen ließ. Auch wenn ich es niemals zugeben würde, ich war erleichtert, ihn hier zu sehen.

Er machte mir dann Platz, damit ich mich auf den Stamm setzen konnte. Das Messer verstaute ich wieder in meinem linken Stiefel und die Tasche zog ich eng an meinen Körper. Das prasselnde Feuer wärmte meine Knochen und erst jetzt wurde mir bewusst, wie sehr ich gefroren hatte. Meine Hände waren eiskalt.

»Was tust du hier?«, brachte ich nach einiger Zeit hervor und sah ihm in die Augen.

»Dich nach Malufra begleiten«, antwortete er und erwiderte meinen Blick.

»Ich habe Rabea und Lev verloren, da waren diese Irrlichter und dann diese Frau.« Ich drehte mich um und blickte zu der Frau mit den schwarzen langen Haaren. Sie saß bei den anderen beiden Frauen und blickte in das Feuer.

»Verzeihung«, sagte ich eilig und erhob mich wieder. Ich lief zu den drei Frauen. Sie alle hatten diese eigenartige Körperbemalung und die dunklen Augen. Außerdem trugen sie alle lange Kleider. Sie unterschieden sich nur in den Haarfarben. Die Frau ganz links außen hatte rötliche Haare mit schwarzen Federn und weißen Perlen. Die Frau in der Mitte hatte braune Haare mit bunten Bändern darin verknotet.

»Danke, dass ihr mir den Weg gezeigt habt. Mein Name ist Malina.« Ich blickte zu der Frau, die mich hergebracht hatte.

»Arta, Lema und Manisha, das Auge, die Seele und das Gehör.« Der Dieb stand nun auch auf und zeigte der Reihe nach auf die Frauen. »Arta kennst du bereits. Sie hat dich hergebracht. Sie sieht alles, dafür kann sie nicht sprechen. Man hat ihr die Zunge entfernt.« Arta blickte zu mir und deutete auf den Mund. Diesmal verstand ich.

»Lema ist so etwas wie die weise Seele. Sie sieht die Dinge, noch bevor sie passieren, dafür trägt sie diese unglaubliche Last auf ihren Schultern.« Lema war die Frau mit den braunen Haaren. Auch sie erwiderte meinen Blick und nickte langsam.

»Manisha sieht nichts, dafür hört sie alles. Du kannst noch so leise flüstern, sie würde all deine Worte klar und deutlich verstehen.« Ich blickte zu der Frau mit den feuerroten Haaren. Ihre dunklen Augen wirkten etwas trüber und ich hatte den Eindruck, als würde sie an mir vorbeisehen. Doch egal wie geheimnisvoll, beinahe unheimlich diese Frauen waren, ich verspürte keine Angst.

»Ach, und sie sind Hexen, aber die gute Sorte.« Er setzte sich wieder und streckte die Hände Richtung Feuer.

»Ein hübscher junger Mann, der leider zu viel spricht.« Lema drehte den Kopf in seine Richtung. »Womöglich wird bald noch jemand sein Herz verlieren«, fuhr sie fort und schüttelte sich dann. Die bunten Bänder flogen in alle Richtungen. »Eine Lüge, vielleicht auch zwei. Verborgen hinter Glas, Augen, die täuschen, der Verstand, der spricht. Tore, die sich schließen, aber nicht öffnen, ein Herz, das bricht. Zwei Schwestern, der gelbe Saal …«

»Nicht hier!«, rief er dazwischen.

Erschrocken zuckte ich zusammen. Ich war so gebannt von dem Farbenspiel der bunten Bänder und ihrer Stimme gewesen, dass ich ihn gar nicht mehr beachtet hatte.

»Keine Weissagungen! Sie versteht das nicht«, sprach er wütend.

»Kein Grund, so aufgebracht zu sein!«, fuhr ich ihn an. Erschrocken hielt ich die Hand vor den Mund. Warum war ich jetzt auch so wütend? »Tut mir leid, ich bin müde«, entschuldigte ich mich bei ihm.

»Es geht nicht nur darum, dass du es nicht verstehst. Es ist mehr, dass du nicht aufhören würdest, darüber nachzudenken.« Er fuhr sich über das Gesicht. »Das sind nur Vermutungen, es stimmt nicht immer, was sie sagen«, flüsterte er mir zu, ohne die Frauen dabei aus den Augen zu lassen. Manisha runzelte deutlich die Stirn.

»Ein Dieb ohne Herz, der sich Sorgen macht. Sorgen um das Mädchen oder um sich?«, kam es wieder von Lema.

Der Dieb seufzte. »Warum gehen wir nicht eine Runde spazieren, wenn wir schon so schönes Wetter haben?« Er lächelte mich an und zog mich dann am Arm eilig mit sich. Ich hatte gar keine Zeit, um zu protestieren. Erst als wir außer Sichtweite waren, blieb er aufgebracht stehen.

»Du scheinst nette Freunde zu haben«, begann ich, ehe er womöglich noch vor Wut irgendwelche unüberlegten Dinge getan hätte.

»Ich lebe schon lange hier, mit der Zeit kennt man all die Bewohner des Waldes.« Immer wieder fuhr er sich durch die Haare oder ballte die Hände zu Fäusten. So viele Emotionen hätte ich einem Mann ohne Herz gar nicht zugetraut.

»Warum bist du so wütend? Ich habe nicht verstanden, was sie gesagt hat. Im Rätsellösen war ich noch nie gut.«

»Die Zukunft kommt, egal ob dir eine Hexe sagt, was passiert oder nicht. Es ist nur eine Last, wenn man weiß, was geschehen wird. Man denkt zu viel nach, grübelt, versucht Dinge zu ändern und verbraucht so viel Kraft, dabei nimmt am Ende die Geschichte ihren Lauf.« Er fuhr sich ein letztes Mal aufgebracht durch die braunen Haare, bevor er die Arme sinken ließ.

»Das ist dir passiert, oder?«, hakte ich nach. Es hätte mich auch gewundert, wenn es ihm um mich gegangen wäre.

»Ich habe mein Herz nicht ohne Grund verloren.« Er lächelte schwach und blickte dann zu dem Feuer mit den drei Hexen, die uns die Rücken zugewandt hatten.

»Das tut mir leid«, waren die einzigen Worte, die mir auf die Schnelle eingefallen waren.

»Muss es nicht, wir sind am Ende selbst verantwortlich für unser Handeln oder unsere Taten.«

»Für einen Dieb bist du ganz schön weise.« Ich betrachtete ihn eine Weile, während diese kleinen Lichter von vorhin in unsere Nähe kamen.

»Für ein Maskenmädchen bist du ganz schön nett«, sagte er spöttisch und bückte sich dann plötzlich.

»Was?« Verwirrt sah ich hinunter. Bevor ich genau erkennen konnte, was er dort unten tat, tauchte er wieder auf. Mit meinem Messer in den Händen.

»Damit tötest du niemanden.« Er nahm die Klinge in die rechte Hand und stach mit der Spitze in seinen linken Daumen. Nichts geschah.

»Der Bogen von Tarek schneidet besser Brot als dieses Messer.« Mit einer eleganten Bewegung wendete er das Messer und hielt es mir mit dem Griff entgegen.

»Wenn wir gerade schon von dem Bogenschützen sprechen, wo ist er?« Zögernd nahm ich das Messer entgegen.

»Inzwischen sollte er hoffentlich Rabea und Lev gefunden haben. Wir wollten euch suchen, darum haben wir uns aufgeteilt. Es wurde bald zu dunkel und die Hexe hat mir noch einen Gefallen geschuldet.«

»Wie fürsorglich, dass du deinen Gefallen für mich einlöst.« Ich steckte das Messer zurück an seinen gewohnten Platz und richtete mich dann wieder auf. Die hellen Lichter schwirrten neugierig um uns herum.

»Irrlichter, nette Dinge.« Der Dieb streckte seine Hand aus und wollte eines der Wesen fangen. Die Lichter stoben erschrocken auseinander.

»Wenn du mich fragst, dann sind die eine Plage.« Ich schnaubte und dachte an meinen Moment mit diesen hellen Lichtkugeln. Dank ihnen hatte ich mich überhaupt verirrt.

»Bald geht die Sonne auf, vielleicht legst du dich noch etwas ans Feuer? Ich passe auf.«

Ich nickte und unterdrückte ein Gähnen. Die letzten Tage hatte ich deutlich zu viel geschlafen und dennoch war ich immer noch müde. Gemeinsam liefen wir zurück zu den drei Hexen, die alle ins Feuer blickten und so taten, als ob sie keine Ahnung hatten, was wir besprochen hatten. Dabei waren mir die Blicke von Manisha nicht entgangen.

Und während ich mich nah ans Feuer setzte und nach der Maske in meiner Tasche tastete, da kam mir noch ein anderer Gedanke. Ein Gedanke, den ich gar nicht wagte auszusprechen. Wenn die Hexen so viel wussten, kannten sie meine Geschichte?

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9783959914192
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