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Wo Fremde einem halfen


Irenas kühle Hände strichen über meine Stirn. Ganz behutsam und sanft, als ob sie Angst hätte, ich wäre so zerbrechlich wie ihre Masken aus Glas. Ich wollte etwas sagen, fand aber keine geeigneten Worte. Ich kämpfte gegen das Schwindelgefühl und gegen das Pochen in meinem Schädel an. Langsam öffnete ich die Augen und vertrieb endlich die Dunkelheit, die schon viel zu lange Besitz von mir ergriffen hatte.

»Irena«, krächzte ich und hustete. Nur stand vor mir nicht Irena. Erschrocken wich ich zurück und stieß dabei gegen etwas Hartes.

»Du hast Fieber, du solltest dich noch etwas ausruhen«, sprach die Frau vor mir. Sie war jung, womöglich um die einundzwanzig Jahre, und hatte lange schwarze Haare, die sie zu einem Zopf geflochten hatte. Ihre Augen besaßen die Farbe von hellem Grau und sie trug einen dunkelblauen Umhang. Erst jetzt erkannte ich die Stimme wieder. Sie war die Frau von vorhin aus dem Wald.

»Wer seid Ihr?«, fragte ich und richtete mich etwas auf. Meine Kleidung war inzwischen wieder trocken.

»Rabea, zumindest nennt man mich so, und du bist Malina?«, fragte sie und ließ mich dabei nicht aus den Augen.

»Woher …?«

»… ich deinen Namen kenne? Du sprichst im Schlaf«, beendete sie meinen Satz, zuckte mit den Schultern und gähnte dann herzhaft.

»Wir dachten wirklich, du stirbst uns weg«, fuhr sie fort und gähnte erneut. »Was für eine Nacht.« Lächelnd schüttelte sie den Kopf.

»Wir? Du und der Mann aus dem Wald?« Nun war meine Neugierde stärker als meine Angst.

»Du meinst Lev? Oh nein, dieser Elefant hat so viel Feingefühl wie ein hungriger Raubvogel auf Beutejagd.« Sie lachte.

»Wo bin ich hier überhaupt?« Schmerzverzerrt rieb ich mir über die Stirn. Ich konnte mich nur noch daran erinnern, wie ich mitten im Wald zusammengebrochen war.

»In einem Lager im Wald. Du bist genau in ein Nest von giftigen Kümmerlingen getreten. Kleine Blumen mit Wurzeln, die sich gern selbstständig machen. Die rauben dir deine Kräfte, diese kleinen Mistdinger.« Wieder lächelte sie. Erst jetzt nahm ich die Umgebung wahr. Ich befand mich in einer Art Zelt. Es war groß und diente wohl als Lager. Überall standen Dinge herum. Waffen, Krüge, Säcke, ein alter Stuhl, Decken und sogar eine grün leuchtende Vase in der Ecke. Neben dem schmalen Klappbett, auf dem ich lag, befand sich hier auch noch ein Tisch und eine kleine Kommode, die in Anbetracht dessen, dass wir uns hier im Wald befanden, völlig fehl am Platz wirkte. Ein wenig Licht schien durch die hellbraunen Zeltwände. Inzwischen hatte es wohl auch aufgehört zu regnen.

»Ich bringe dir etwas zu essen, du musst kurz vor dem Hungertod sein.« Rabea verschwand wieder aus dem Zelt und ließ mich ratlos zurück. Sie hatte mich gerettet, aber zu welchem Preis? Wer waren sie und ihr eigenartiger Begleiter?

Ich fühlte eine sonderbare Unruhe, die sich langsam an die Oberfläche kämpfte. Ich ignorierte meine pochende Stirn und stand auf. Sofort erschienen schwarze Punkte vor meinen Augen, die aber bald wieder verblassten. Womöglich brauchte ich einfach etwas zu essen. Ich durchquerte das Zelt und warf einen Blick nach draußen. Es war wirklich hell und wir befanden uns auf einer Lichtung. Ein Lagerfeuer brannte direkt vor mir und darüber hing ein schwarzer Kessel, aus dem schwache Rauchfahnen aufstiegen. Neben diesem Zelt gab es noch sieben weitere. Sonderbar war hier, dass alle eine andere Farbe besaßen. Außerdem gab es an den Ecken eigenartige Muster und Schriftzeichen, die ich so noch nie gesehen hatte. Neben Zelten und einem Lagerfeuer befanden sich dort noch zwei große Holztische.

Die Bäume um den Platz herum bildeten eine Art Kreis. Fasziniert lief ich weiter. Das hier war tatsächlich ein Lager.

»Du scheinst sehr neugierig zu sein.«

Überrascht drehte ich mich um. Rabea stand hinter mir, in ihren Händen hielt sie zwei Tonschüsseln. »Hunger?« Fragend hob sie die Schultern. Ich nickte und nahm ihr eine der Schüsseln ab.

»Setzen wir uns erst einmal und dann erzählst du mir, was du hier im Wald zu suchen hast«, fuhr sie fort und setzte sich an einen der Holztische neben dem Feuer. Ich machte es ihr nach und begutachtete mein Essen. Es war eine köstlich riechende Suppe mit Beeren, Wurzeln und irgendwelchen anderen Zutaten, die ich auf die Schnelle nicht erkannte. Ich hatte bereits den Löffel in der linken Hand, als wieder dieses mulmige Gefühl aufkam. Ich hielt inne und schielte etwas zu Rabea, die bereits die Hälfte ihrer Portion verspeist hatte. »Meinst du nicht, es ist der falsche Zeitpunkt, um mir nicht zu trauen?«, fragte sie und deutete mit ihrem Löffel auf meine Suppe.

»Tut mir leid«, sprach ich und aß nun auch von meiner Schüssel. Sie hatte recht, hätte sie mir etwas antun wollen, dann hätte sie das schon vorher machen können, als ich in Ohnmacht gefallen war.

»Also, erzähl mir etwas über dich, Malina.« Sie stellte ihre Schüssel auf die Seite, während ich nicht genug von dem Essen bekam. Die Beeren waren süßlich, während die Wurzeln einen leicht bitteren Beigeschmack hatten. Eine Wärme kroch meinen Hals hinunter und bereitete sich in meinem Magen zu einem wohligen Gefühl aus.

»Ich lebe in dem Fischerdorf Rondama gleich vor dem Wald. Mein Ziel ist es, nach Malufra zu gelangen. Ich war auf dem Weg durch den Wald, als ich euch begegnet bin und mich hinter dem Baum versteckt habe. Aus Angst bin ich dann geflohen und dann kamen ebendiese Blumen.«

»Malufra.« Rabea kratzte sich gedankenversunken am Kopf. »Das ist ganz schön weit weg von hier«, sprach sie nach einer Weile. »Und was willst du in der Stadt mit der verrückten Königin der Masken?« Nun lag ihr Blick wieder auf mir und ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, wie sich dieser neugierige Blick schon bald in Mitgefühl wandeln würde. Ein zartes, blasses Mädchen mit hellem Haar fällt mitten im Wald in Ohnmacht und möchte dann so schnell es geht in eine völlig neue Stadt.

»Ich möchte gern jemanden besuchen, einen Verwandten«, antwortete ich ihr und blickte ihr dabei direkt in die Augen. Sie erwiderte den Blick eine Zeit lang, ehe sie wieder zu dem Feuer sah. Solange ich mir nicht sicher war, wie sehr ich ihr trauen konnte, würde ich nichts über die Einladung sagen. Nicht jeder bekam eine Einladung von der Königin und manche warteten ihr ganzes Leben auf solch eine Gelegenheit.

»Hast du keine Angst, so ganz allein?« Sie stand auf und lief zu dem Feuer hinüber.

»Darüber habe ich ehrlich gesagt nicht nachgedacht«, sprach ich. Ich hatte noch gar keine Zeit gehabt, mir Gedanken darüber zu machen, wie gefährlich dieses ganze Unterfangen hier war. Ich war allein, wusste nicht einmal, wie man kämpfte, und hatte keine Ahnung, ob Malufra wirklich dort hinter dem Wald lag. Ich hatte mich naiv verhalten wie die meisten Charaktere eines Märchens. Und soweit ich wusste, ging das selten gut für die Beteiligten aus.

Rabea lief um das Feuer herum und hob etwas vom Boden auf. Dieses Etwas stellte sich als kleiner Beutel heraus, dessen Inhalt sie in den schwarzen Kessel kippte. »Spürst du schon was?«, fragte sie nach einer Weile.

»Ich fühle mich etwas müde«, murmelte ich und fasste mir an die Stirn. »Dafür hat das Kopfweh aufgehört«, stellte ich fest.

»Diese Medizin in dem Essen senkt dein Fieber und nimmt die Schmerzen, aber sie raubt dir Energie. Leg dich noch etwas hin.« Mit einem Holzlöffel rührte sie in dem Kessel und betrachtete gespannt, wie noch mehr Rauch hoch in den Himmel stieg.

Auf einmal kam mir etwas anderes in den Sinn. »Meine Tasche!«, rief ich panisch und blickte um mich.

»Sie liegt im Zelt. Ich habe nichts angefasst.« Rabea deutete mit dem Kopf in Richtung des Zelteinganges.

Ich stand also wieder auf und lief zurück.

Die Tasche lag tatsächlich neben dem Bett. Ganz vorsichtig öffnete ich sie und blickte hinein. Alles war noch da. Mit einem leisen Seufzen ließ ich mich wieder auf das Bett fallen und schon bald schlossen sich meine Lider wie von selbst. Ich träumte von bunten Masken aus Glas, von einem Fischer, der verzweifelt nach einem leuchtenden Punkt am Himmel griff, und von einer Frau mit kalten grauen Augen, aber einem freundlichen Lächeln.


Als ich wieder aufwachte, war es Nacht. Ich fühlte mich viel besser als zuvor und meine Kopfschmerzen waren nun endgültig verschwunden. Dafür war mein Hals staubtrocken. Ich stand auf, nahm meine Tasche und lief hinaus aus dem Zelt. Rabea stand wieder bei dem Lagerfeuer vor dem schwarzen Kessel, nur war sie diesmal nicht allein. Neben ihr stand ein Mann, der immer wieder Witze machte, die sie nicht wirklich zu beeindrucken schienen. Von der Größe und der Statur her musste das Lev sein, der Elefant ohne Feingefühl. Weiter hinten bei den Zelten entdeckte ich eine Person, die mir durchaus bekannt vorkam.

»Ein herrlicher Abend, nicht wahr?«, sprach der junge Mann mit den blonden Haaren und Pfeil und Bogen. Er war es, den ich in Rondama unten am Hafen getroffen hatte. Auch heute trug er diese seltsame Kleidung mit den vielen Schichten. Er lehnte an einem der Bäume und blickte genau in meine Richtung.

»Kann es sein, dass wir uns schon einmal begegnet sind?«, fragte ich und lief näher an ihn heran. Mehr als ein Schulterzucken bekam ich nicht von ihm. »Du gehörst also zu dieser bunten Truppe?«, fuhr ich fort.

»Wir sind Jäger, keine bunte Truppe.« Er lachte und deutete mit seinem Bogen auf die anderen Menschen vor dem Lagerfeuer. »Ich bin Tarek und du musst Malina sein.« Er stieß sich ab und streckte mir dann auffordernd seine rechte Hand entgegen. Zögernd nahm ich sie und beobachtete, wie er mir einen Kuss auf den Handrücken hauchte. Seine Hände waren bedeckt von Lederhandschuhen und in seinem Blick lag Schadenfreude.

»Jäger, die hilflose Tiere im Wald erlegen?« Ich schnaubte und entzog ihm meine Hand.

»Wir jagen keine Tiere, wir jagen andere Dinge.«

»Was für Dinge kann man denn noch jagen?«

Er schien meine fragenden Blicke zu genießen. Nachdenklich sah er hoch in den Himmel und tippte dabei immer wieder mit den Fingern an seinen Bogen. »Geheimnisse, Geschichten, alles, was kostbar ist, kann gejagt werden.«

»Jagt ihr auch Menschen, die in Rätseln sprechen? Wenn ja, dann solltest du dir schleunigst ein gutes Versteck suchen.« Ich drehte mich um und lief zu Rabea. An den Schritten hinter mir vernahm ich, dass Tarek mir folgte.

»Du bist wach.« Rabea ließ augenblicklich von dem Kessel ab, als sie mich sah. »Ich hoffe, du fühlst dich inzwischen besser.«

»Viel besser, danke dir.« Ich nickte und wollte ihr gerade eine Frage stellen, als Lev mir zuvorkam.

»Weiß er, dass sie hier ist?«, fragte er und blickte zuerst zu Rabea und dann zu Tarek, der inzwischen neben mir stand.

»Ich denke, er weiß es schon längst, aber danke für deinen Hinweis«, schnauzte sie ihn an.

»Falls es um den Anführer eurer Jägerbande geht, ich will keinen Ärger machen. Ich hatte so oder so vor, so früh wie nur möglich aufzubrechen«, sprach ich und sah zu Lev. Dieser blickte mir erst gar nicht in die Augen. Auch er trug diese seltsamen Kleider und an seinem Gürtel hing noch immer ein Schwert. Seine Haare waren lang und schwarz. Einige Strähnen fielen ihm vor seine Augen, die wie seine Haare völlig dunkel waren.

»Bevor die Sonne nicht aufgeht, gehst du nirgendwohin.« Rabea schüttelte den Kopf und strafte Lev mit einem weiteren warnenden Blick.

»Ich bin mir sicher, er wird ganz entzückt von dir sein«, kam es nun von Tarek. Ich brauchte mich gar nicht in seine Richtung zu drehen, um zu erkennen, dass er wieder dieses Grinsen auf seinen Lippen hatte. Womöglich war er es gewohnt, dass Frauenherzen in seiner Nähe höherschlugen, aber ich war nicht hier, um den Mann fürs Leben zu finden. Bevor noch jemand etwas über mich sagen konnte, wechselte ich eilig das Thema.

»Wie weit ist es von hier bis nach Malufra?«

»Drei Tage«, antwortete Rabea und runzelte die Stirn dabei. »Aber es kommt dabei immer auf das Wetter an. Bei Regen und dichtem Nebel kommt man kaum voran. Auch in der Nacht solltest du besser rasten, anstatt weiter durch die Dunkelheit zu laufen.«

»Ist es so weit durch den Wald?« Ich hätte nicht gedacht, dass ich wirklich noch drei Tage brauchen würde, bis ich bei der Königin war. Drei Tage waren viel Zeit, und wenn Rabea recht behielt, dann würden aus diesen wenigen Tagen wohl noch mehr werden, wenn das Wetter und die Dunkelheit meine Feinde auf dem Weg waren.

Diesmal war es Tarek, der mir antwortete. »Der Wald ist sehr dicht und danach gibt es noch eine Passage, für die du ebenfalls einige Zeit aufwenden musst.«

»Eine Passage? Ich dachte, Malufra liegt gleich hinter dem Wald.«

Lev lachte auf. »Viele Leute reden Unsinn.« Er schüttelte den Kopf und stapfte davon.

»Lass dich nicht entmutigen von ihm. Er hatte bloß einen schlechten Tag.« Rabea sah ihm noch eine Weile nach, bevor sie sich wieder uns zuwandte. »Nun sollte er dich aber wirklich kennen­lernen, ansonsten haben wir bald ein Problem.« Sie räusperte sich und deutete hinter mir in den dunklen Wald hinein. Ein Problem? Etwas verwirrt folgte ich ihrem Blick, mehr als schattenähnliche Umrisse erkannte ich nicht.

»Sie meint den Anführer unserer bunten Truppe.« Tarek verschränkte die Arme vor der Brust. »Und du wirst dich freuen, du kennst ihn sogar.«

»Ich kenne ihn?« Langsam waren mir das hier zu viele Über­raschungen. Wer konnte das sein? Im Wald war ich bloß Lev und Rabea begegnet und einen Tag zuvor Tarek.

»Nun gut, vielleicht nicht kennen, aber du weißt Bescheid über seine Geschichte. Er ist der Dieb ohne Herz.«

Das war der Moment, in dem sich mein Herzschlag beschleunigte. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und blickte direkt in die Dunkelheit. Der Dieb ohne Herz war im Grunde nur ein Märchen. Es war das Märchen von einem jungen Mann, der sich sein Herz mit einem Messer herausgeschnitten und es in einem Baum versteckt hatte, um nie wieder Gefühle zu haben. Doch müsste solch ein Mensch nicht tot sein, so ganz ohne Herz?

6

Wo Diebe ihr Herz in Bäumen versteckten


Du hast auf den Boden gespuckt, als ich das Märchen erwähnt habe!« Ich drehte mich zu Tarek um, doch dieser stand gar nicht mehr hinter mir. Mit schnellen Schritten lief er über den Zeltplatz. Er war also nicht nur ein Lügner, sondern auch ein Feigling.

»Lauf einfach geradeaus, dann findest du ihn. Keine Sorge, er tut dir nichts.« Rabea nickte mir aufmunternd zu und drehte sich dann ebenfalls um. Ich schloss die Augen und ballte erneut wütend die Fäuste. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Die Dunkelheit war zwar nichts, wovor ich mich fürchtete, aber selbst ich wusste, was für ein tolles Versteck sie war.

»Nun gut«, flüsterte ich und lief langsam in den Wald hinein. Es wurde immer dunkler und meine Schritte wurden immer unsicherer. Der Boden zu meinen Füßen bot kaum Halt und immer wieder streiften knorrige Äste meine Wangen. Mit der Dunkelheit kam wieder diese Stille und auf einmal verblasste alles um mich herum. Ich hörte nicht mehr das Knistern des Feuers, die Stimmen der Menschen oder wie der Wind durch die Blätter pfiff. Ich befand mich in einer Art Blase. Erstaunlicherweise gewöhnten sich meine Augen an das Schwarz. Schon bald wurden die Umrisse schärfer und ich sah immer mehr Bäume, so weit das Auge reichte. Dieser Wald schien unendlich zu sein und ebenso viele Wege zu besitzen.

»Und du bist?«

Eine Stimme, ganz sanft an meinem Ohr, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Da stand er also. Zumindest fügten sich in meinen Gedanken Bilder zusammen. Ich konnte mir genau vorstellen, wie diese Märchengestalt hinter meinem Rücken aussah. Ein riesiger Mann mit langen Klauen und traurigen, kalten Augen. Völlig in Schwarz gekleidet, mit ebenso pechschwarzen Haaren wie der gute Lev. Und da, wo sein Herz hätte sein sollen, da klaffte ein großes rundes Loch. Ich drehte mich um, nahm all meinen Mut zusammen und blickte dem Dieb ohne Herz entgegen. Etwas verwirrt machte ich einen Schritt zurück. Ich erkannte zwar nicht viel, aber dieser Mann war weder riesig noch hatte er schrecklich lange Klauen.

»Du wirkst irgendwie enttäuscht?«, meinte er nur und kam etwas näher. »Warte.« Er hob seinen Zeigefinger und suchte nach irgendetwas hinter sich. Es dauerte nicht lange, da wurde es auf einmal hell. Überrascht von der plötzlichen Helligkeit kniff ich die Augen zusammen.

»Besser?«

»Danke«, sagte ich und räusperte mich, da meine Stimme so piepsig wie der Tonfall einer Maus war. Vor mir stand ein junger Mann mit etwas längeren dunkelbraunen Haaren und leuchtend grünen Augen. Er war einen Kopf größer als ich und hatte eine kräftige Statur. Auch er trug die Jägerbekleidung und quer über seinem Hals zeichnete sich eine feine Narbe ab, die beinahe schon silbern im Licht wirkte. Er sah gut aus, wenn auch irgendetwas an ihm unheimlich wirkte. Waren es die ausdrucksstarken Augen oder diese lange Narbe? Ich schüttelte leicht den Kopf. In seiner Hand hielt er eine Laterne, in der nun ein Feuer sich passend zum Wind hin und her bewegte. Ich hatte keine Ahnung, wie er diese angezündet hatte oder wie er es geschafft hatte, sich anzuschleichen.

»Ich habe mir den Dieb ohne Herz irgendwie anders vorgestellt«, brachte ich nach einer Weile die Worte hervor, die schon die ganze Zeit in meinen Gedanken herumschwebten.

»Schon eigenartig, wie sich die Leute immer etwas vorstellen und danach enttäuscht sind, dass nicht ihre Gedanken die sind, die der Welt Farbe schenken.« Er lächelte, aber es erreichte die grünen Augen nicht.

Meine Handflächen kribbelten wieder. Es war dasselbe Kribbeln, als ich den Umschlag der Königin berührt hatte. Von diesem Mann ging irgendetwas aus, was nicht wirklich menschlich war. »Warum versteckst du dich im Dunkeln?« Ich ließ ihn keinen Moment aus den Augen, während meine Hände noch immer nicht aufhörten zu kribbeln. Ich verschränkte sie ineinander und hoffte, dieses unangenehme Gefühl würde bald nachlassen.

»Ich verstecke mich nicht. Mir ist nur die Dunkelheit lieber als dieses grelle Licht.« Er blickte hinab auf die Laterne in seiner Hand. Das Feuer darin wiegte sich immer noch langsam hin und her. »Und du bist?«

»Malina.«

»Und du kommst von?«

»Rondama …«

»Dem Fischerdorf?« Er lachte auf. »Dieses kleine Dörfchen vor dem Wald?« Ihn schienen diese Worte ziemlich zu amüsieren.

»Warum ist das witzig?« Ich machte einen Schritt zurück. Erst jetzt fiel mir auf, dass die Stille von vorhin nicht mehr da war. Es raschelte in den Baumkronen, der Wind blies um unsere Köpfe und die Stimmen der anderen drangen zu uns, wenn auch nur schwach.

»Weil du so gar nicht in diese Fischerwelt passt.« Er schüttelte ganz leicht den Kopf und blickte für einen kurzen Moment hinter sich in die Dunkelheit, als ob er dort alle Antworten finden würde, die er suchte. »Und was willst du hier im Wald?« Er blickte mir wieder in die Augen und hob die Laterne etwas höher an.

»Ich fange auch keine Fische, ich stelle Masken her. Ich will nach Malufra und dafür muss ich wohl oder übel durch diesen Wald«, antwortete ich ihm.

»Auch wenn du Masken herstellst und keine Fische fängst, so passt du noch immer nicht nach Rondama.«

Ein kalter Wind blies mir über den Nacken und fröstelnd rieb ich mir die Arme. »Und wohin passe ich dann?«

Wieder blickte er hinter sich in die Dunkelheit, ehe er seinen Blick erneut nach vorn richtete. »Nicht nach Rondama.«

Ich seufzte. Meine anfängliche Unsicherheit war verschwunden. Der Dieb ohne Herz, wenn er es wirklich war, wollte nur mit mir sprechen. Ich hatte ihn mir ganz anders vorgestellt. Sein Märchen war immer eines meiner liebsten gewesen, nur hätte ich niemals gedacht, dass ich ihm eines Tages begegnen würde.

»Und du besitzt kein Herz?«

»Nein, Maskenmädchen, ich besitze kein Herz.«

»Maskenmädchen?« Etwas irritiert sah ich ihn an.

»Du bist ein Mädchen, das Masken herstellt, darum Maskenmädchen.«

»Und wie soll ich dich nennen, wenn du mich nicht Malina nennst?«, fragte ich zögerlich.

»Nenn mich Dieb ohne Herz.«

»Das ist ein schrecklich langer Name und in einem Notfall …«

»Ich sehe, wir verstehen uns«, unterbrach er mich und lächelte wieder.

Nun musste ich auch ein kleines bisschen lächeln. Wie es schien, verbarg auch er ein Geheimnis. Zum Glück liebte ich Geschichten und Geheimnisse und irgendwann würde ich bestimmt auch seines herausfinden. »Und du hast dein Herz einfach herausgeschnitten und in einen Baum getan?«, fragte ich ihn. Laut dem Märchen war der Dieb einst ein hübscher Mann gewesen, der es liebte, in der Welt herumzureisen. Sein Herz und seine Gedanken waren voller Liebe, bis sich eines Tages nach einem schrecklichen Vorfall sein Leben grundlegend änderte. Er hatte ein Messer genommen und sich sein eigenes Herz herausgeschnitten. Dieses hatte er sicher in einem hohlen Baum verstaut. Ich verstand bis heute noch nicht, warum man ihn Dieb nannte.

»Es war ein Pakt.«

»Mit wem?«

»Das erzähle ich dir, wenn ich dir irgendwann vertraue, Maskenmädchen. Das heißt, falls ich das jemals würde.« Er drehte sich um und lief wieder Richtung Lagerfeuer.

»Warte!«, rief ich und rannte ihm nach. Ich packte ihn am Ärmel seines Hemdes. Überrascht hielt er inne.

»Wenn du der Dieb ohne Herz bist, dann kennst du sicher den Weg nach Malufra.« Noch immer hielt ich den Stoff in meinen Händen. Das Kribbeln war verschwunden. Auch jetzt, während ich so nahe bei ihm stand, konnte ich keinerlei Gefühlsregungen in seinen Augen entdecken. Fast schon unheimlich.

»Was will ein Maskenmädchen überhaupt in der Stadt der Masken?«

»Einen Verwandten besuchen.« Auch dieses Mal, wo ich die Lüge ein zweites Mal aussprach, wunderte es mich, wie leicht mir diese Worte über die Lippen kamen. Im Grunde war ich kein Mensch, der oft log. Wenn ich es tat, dann nur im Notfall, und das hier war einer.

Der Dieb runzelte die Stirn. »Eine Tante? Oder womöglich eine gute Freundin deiner Mutter?« Er stellte die Laterne auf einen Baumstumpf neben sich und legte seine Hand über meine, mit der ich ihn noch immer an seiner Kleidung festhielt. »Oder einen Bruder?«

Ich entzog mich seiner Hand und trat einen Schritt zurück.

»Womöglich auch eine entfernte Cousine?« Nachdenklich rieb er sich das Kinn. »Wenn du dir eine Geschichte ausdenkst, dann denk sie gefälligst zu Ende. Ich habe den Brief in deiner Tasche gesehen.«

»Wann?«, entfuhr es mir und unbewusst griff ich zu meiner Schulter, wo sich der Riemen meiner Umhängetasche befand.

»Als du geschlafen hast. Ich bin kein Freund der Helligkeit, aber wenn jemand mit solch einem Krach durch den Wald läuft, dann weckt das meine Neugierde.« Er nahm wieder die Laterne, lief weiter. Nun trennten uns nur noch wenige Meter von dem Lagerfeuer und den anderen. Für einen kurzen Moment war ich versucht, ihn erneut an seinem Hemd zu packen, nur mein Mut verließ mich. Ich folgte ihm und ließ die Dunkelheit hinter mir.

»Wie ich sehe, habt ihr euch bereits bekannt gemacht«, sprach Rabea, als sie uns entdeckte. Von Lev war keine Spur zu sehen. Dafür stand Tarek wieder neben dem Feuer und lächelte.

»Und wie lange soll sie hierbleiben?«, fragte der Dieb Rabea. Diese zuckte mit den Schultern.

»Ich werde euch nicht weiter Probleme machen. Ich breche morgen früh auf, sobald die Sonne aufgeht.« Während ich das sagte, versuchte ich meine Haare von Laub zu befreien. Mein kleiner Spazier­gang hatte seine Spuren hinterlassen. »Ich muss nur wissen, in welche Richtung ich gehen muss, damit ich nach Malufra gelange.«

»Einfach den kleinen Weg entlang.« Der Dieb deutete zwischen den Baumkronen hindurch wieder mitten in die Dunkelheit hinein. Rabea sah ihn einen Moment lang an und es wirkte beinahe, als wollte sie etwas sagen, sich aber nicht sicher wäre, ob sie dies wirklich sollte.

»In Ordnung.« Ich schluckte und drängte mich an ihnen vorbei. »Danke, dass ich hier sein durfte«, fügte ich hinzu und betrat dann wieder das Zelt. Eine kleine Laterne stand neben dem Bett und tauchte das Innere in ein schwaches Licht. Ich setzte mich aufs Bett und drückte die Tasche eng an meinen Körper. Ich durfte nicht aufgeben, Malufra lag direkt vor meiner Nase.

Ich öffnete die Verschlüsse der Umhängetasche und griff hinein. Als Erstes holte ich den Schal und das Metallkästchen mit dem Brief hervor. Das Kästchen war von Irena und normalerweise hatte sie darin kleine Steine oder Federn für die Masken aufbewahrt. Es war mir wichtig, dass ich irgendetwas von ihr dabeihatte. Inzwischen war ihr mein Fehlen sicher aufgefallen und ich fragte mich, ob sie mich suchte oder ob sie wartete, bis ich zurückkam. Noch einmal fuhr ich behutsam über das Kästchen, ehe ich es neben mich legte. Erneut griff ich in die Tasche und zog das Päcklein mit dem Proviant hervor. Auch das legte ich neben mich und suchte weiter in den Tiefen des Beutels nach einem meiner wichtigsten Stücke. Meine rechte Hand umschloss den Gegenstand. Er war nicht sonderlich groß und bestand aus kühlem Glas. Das Glas selbst war Moreanglas, ein seltenes Stück, das im ersten Moment pechschwarz wirkte, doch wenn man es unter das Licht hielt, dann erkannte man viele verschiedene Farben unter der Oberfläche. Ganz feine Risse aus Rosa, Grün, Blau, Gelb und auch Rot. Aber man erkannte sie nur, wenn man ganz genau hinsah und Licht hatte. Die zwei Löcher in dem Glas waren für die Augen gedacht und an den beiden Enden waren zwei Stoffbänder hindurchgezogen. Diese waren dafür da, dass man die Maske anziehen konnte. Die Bänder selbst bestanden aus schwarzer Seide, die sich angenehm um meine Finger wickelten. Das Allerschönste an der Maske waren die kleinen funkelnden Steinchen, die wie Sterne wirkten. Das hier war meine erste Maske gewesen. Die Maske, die mich immer daran erinnerte, wie ich Irena begegnet war und dass ich mich noch immer auf der Suche nach mir selbst befand.

»Ein schönes Stück.«

Erschrocken ließ ich die Maske fallen und erwischte sie gerade noch im letzten Moment an einem der Bänder, ehe sie auf dem Waldboden aufgeschlagen wäre. Wütend drehte ich mich um und blickte in ein grünes Augenpaar.

»Ein schönes Stück, das beinahe zerstört worden wäre. Warum schleichst du dich an?«, rief ich und verstaute die Maske eilig wieder in der Tasche.

»Das hier ist mein Zelt, ich habe es ganz normal betreten. Du warst nur zu sehr vertieft in deine Maske, Maskenmädchen.« Er nickte und lief hinüber zu der kleinen Kommode.

»Ich wollte niemandem den Platz wegnehmen«, entschuldigte ich mich und packte auch wieder den Rest der Sachen in meine Tasche.

»Ich schlafe nicht, keine Sorge. Du hast mir den Platz nicht gestohlen.« Er lächelte, während er sich auf die Brust tippte, dorthin, wo wohl vor einigen Jahren noch sein Herz geschlagen hatte. »Es hat einige Vorteile, wenn man sich dazu entschließt, sein Herz herzugeben.«

»Und was wären die Nachteile?«, erkundigte ich mich.

»Im Grunde gibt es keine.« Gelangweilt zuckte er mit der Schulter und sah sich in dem Zelt um, als ob er nicht wüsste, wonach er suchte.

»Dann sollte ich womöglich auch mein Herz herausschneiden.«

»Ich habe noch nie von einem Maskenmädchen ohne Herz gehört.« Er schnaubte belustigt.

»Nur weil ein Märchen noch nicht aufgeschrieben wurde, heißt das noch lange nicht, dass es nicht auch existieren kann.« Ich verzog das Gesicht, während ich daran dachte, wie es wohl sein würde, sich das eigene Herz herauszuschneiden. Nie und nimmer würde ich so etwas freiwillig machen. Dieser Schritt musste ihn eine Menge Überwindung gekostet haben. »In dem Märchen heißt es, dass du nicht fühlen kannst, stimmt das?«, hakte ich nach.

»Bestimmte Dinge kann ich fühlen, andere nicht. Wie es scheint, kennst du dich mit Märchen aus.«

Ich nickte. »Ich liebe sie, jedes einzelne von ihnen. Märchen geben uns Hinweise und Ratschläge.«

»Und das Märchen von mir, was sagt dir das?« Seine Aufmerksamkeit galt nicht mehr den Gegenständen um ihn herum, sondern voll und ganz mir.

Ich schwieg. Mir kamen einige Sachen in den Sinn, nur würden diese ihn womöglich wütend machen.

»Dir fällt nichts ein?« Er hob fragend eine Augenbraue.

»Nein«, brachte ich hervor.

»Das lügende Maskenmädchen. Bisher hinterlässt du keinen sonder­lich positiven Eindruck.«

Ich schloss die Augen. Dafür konnte ich ihm keinen Vorwurf machen. In den wenigen Minuten, in denen wir uns unterhalten hatten, hatte ich ihn schon zweimal angelogen.

»Du musst eines wissen. Ich erkenne jede Lüge, da ich mich nicht ablenken lasse von ebensolchen trügerischen Gefühlen. Ich sehe nur die Wahrheit, auch wenn diese nicht immer wunderschön ist«, sprach er.

»Und wie kann ich dir helfen?« Erst jetzt fiel mir wieder ein, dass ich ihn fragen wollte, warum er überhaupt in das Zelt gekommen war.

»Warum willst du nach Malufra?«, fragte er und setzte sich auf den hölzernen Stuhl gleich neben der grünen Vase.

»Ich habe eine Einladung von der Königin. Die hast du ja bereits gesehen.« Ich wartete einen Moment, ehe ich den Brief aus der Tasche zog und hochhielt.

»Und genau das hat mich so verwundert. In den letzten Jahren hat die verrückte Königin nicht gerade mit Einladungen um sich geworfen. Was hast du, was sie so sehr interessiert?«

»Ich will ihr die Maske zeigen.«

»Die Maske mit den Sternen? Und warum solltest du das machen? Ich bin mir sicher, sie besitzt genug Masken und braucht deine nicht auch noch.«

»Irena …« Ich stockte. Ja, was war Irena überhaupt? Wer war sie in meinem Leben? »Die Frau, bei der ich lebe, stellt Masken her, wunder­schöne Masken in etlichen Variationen und Farben. Jedoch wird das Geld in unserem Dorf immer knapper und die Abgaben immer höher. Menschen riskieren ihr Leben, nur damit sie an Geld kommen. Irena hat auch damit zu kämpfen. Masken sind kostbar, und wenn die Leute knapp bei Kasse sind, dann sind sie nicht bereit, für so etwas Geld auszugeben. Sie hat die letzten Jahre auf mich aufgepasst und für mich gesorgt und darum wollte ich zur Königin nach Malufra. Ich wollte ihr Irenas Masken zeigen, damit sie ihr welche abkauft.«

399
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9783959914192
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