Читать книгу: «Der Dieb ohne Herz», страница 4

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Der Dieb nickte. »Bist du dir sicher, dass die Königin diese Maske so besonders finden wird?«

»Nein, ich bin mir ganz und gar nicht sicher. Ich muss es trotzdem versuchen. Und wenn es nicht klappt, dann finde ich womöglich andere Interessenten. In Malufra gibt es genug Adlige mit Masken.« Ich betrachtete den Waldboden zu meinen Füßen und zählte in meinen Gedanken die Sekunden, die verstrichen. Womöglich würde er mir von meinem Vorhaben abraten, aber egal was er sagen würde, ich würde nicht aufgeben.

»Wir helfen dir.«

Ungläubig hob ich den Kopf. »Womit?«

»Ein Teil der Gruppe wird dich bis zur Passage bringen. Ab dort musst du dann allein weiter. Doch bis dorthin stehst du unter unserem Schutz.« Er nickte bestätigend und erhob sich aus dem Stuhl. Langsam gewöhnte ich mich daran, dass man keinerlei Regung in seinem Gesicht erkennen konnte. Keine Emotionen, keine Gefühle, rein gar nichts, was mir helfen würde zu verstehen, warum er sich so verhielt.

»Und warum helft ihr mir?«, fragte ich zögerlich.

»Hinter dem Wald, kurz vor Malufra, liegt ein kleiner See. Vielleicht hast du schon davon gehört. In diesem See liegt etwas verborgen, was mir gehört, und ich würde es mir gern zurückholen.«

Ich wollte gerade nachfragen, um was es sich dabei handelte, da war er bereits wieder aus dem Zelt verschwunden. Sein Herz konnte er nicht meinen, denn das lag verborgen in einem hohlen Baumstumpf. Um was ging es ihm also?

7

Wo Märchen begannen


Mein Schlaf war unruhig, meine Gedanken völlig wirr. Es fühlte sich beinahe so an, als würde ein unsichtbares Paar Hände sich um meine Kehle legen und zudrücken. Immer wieder schreckte ich hoch und tastete an meinen Hals, dann zu der Gegend, wo sich mein Herz befand. Es schlug, wenn auch etwas zu kräftig. Was war nur los mit mir?

Müde rieb ich über meine Augen und setzte mich auf. Die Decke beförderte ich dabei ganz an den Rand, da mir viel zu warm war. Mit den Händen tastete ich im Dunkeln nach meiner Tasche. Ich hatte sie direkt neben meinem Kopf platziert.

»Klopf, klopf.« Der Stoff beim Zelteingang wurde auf die Seite geschoben und Rabeas Kopf tauchte auf. Ihre langen dunklen Haare hatte sie sich hochgebunden und sie trug wieder dieselben dunklen Kleider wie damals im Wald mit Lev. Schwarze Hosen, ein langes Oberteil und einen Umhang mit Kapuze. Um ihre Hüften hing ein brauner Gürtel, an dem sich drei Messer befanden. In der linken Hand hielt sie eine Laterne. »Du bist wach, gut.« Aufmunternd nickte sie mir zu und betrat dann das Zelt.

»Ich konnte nicht schlafen«, gab ich zur Antwort.

»Albträume?« Sie lief zu der Laterne neben meinem Bett und kniete sich davor. Ihre eigene stellte sie gleich daneben.

»Ich kann mich meist nicht an meine Träume erinnern, aber es hat sich angefühlt, als ob mir jemand die Luft abschnüren würde.« Ich schüttelte eilig den Kopf, um dieses Gefühl wieder zu vertreiben.

»Das kenne ich«, sprach sie nachdenklich und entzündete mithilfe der Kerze aus ihrer Laterne meine. Augenblicklich wurde es noch heller in dem Zelt. Dunkle Schatten tanzten an der Decke entlang und es wirkte, als ob sie über mich lachen würden.

»Du warst noch nie lange weg, oder?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Das nennt sich Heimweh. Bestimmt hast du jemanden zurückgelassen, der dir viel bedeutet.« Lächelnd reichte sie mir die Laterne. Sofort tauchten Bilder von Irena in meinem Kopf auf.

»Und wie werde ich dieses bedrückende Gefühl los?«

»Gar nicht, du gewöhnst dich irgendwann daran. Nun aber zu etwas anderem: Wie lange brauchst du, bist du bereit bist?«

»Bereit?« Es war noch immer dunkel draußen und meiner Müdigkeit nach zu urteilen, hatte ich auch noch nicht lange geschlafen.

»Wir brechen auf. Jetzt ist der beste Moment dafür, denn bald geht die Sonne auf. Lev und ich bringen dich ein Stückchen durch den Wald, dann lösen uns die anderen ab.« Sie stand wieder auf und klopfte sich mit ihrer freien Hand den Dreck von der Hose.

»Ich bringe dir gleich noch andere Kleidung. Die schützt dich vor weiteren Giftpflanzen.«

Ich nickte und wartete geduldig, bis Rabea aus dem Zelt verschwand und bald darauf wieder mit einem Stapel Kleider zurückkam. Es waren diese dunklen Stoffstücke, die sie selbst auch trug. »Schützen vor Insektenbissen, giftigen Schlangen, vor Sonnenbrand und Kelpies.«

»Kelpies?« Jetzt war ich endgültig wach. So etwas gab es gar nicht. Nur eben in Märchen, obwohl …

»Keine Sorge, es gibt keine.« Lachend verließ sie das Zelt.


Da stand ich also etwas später auf der Lichtung. Die Kleider waren mir ein bisschen zu groß, aber lieber zu groß als zu eng.

Rabea hatte recht behalten, inzwischen konnte man den Sonnen­aufgang über den Baumkronen entdecken. Ein Spiel aus etlichen Rottönen, das mich immer wieder staunen ließ. Wie bunte Steine, die man gegen das Licht hielt, um ihr Farbenspiel zu betrachten.

Ich wandte den Blick wieder ab und sah zu dem Lagerfeuer. Nun brannten die Holzscheite kaum noch, nur noch die Glut deutete darauf hin, dass bis vor Kurzem noch ein prächtiges Feuer darin gebrannt hatte. Rabea und Lev standen um den Steinkreis herum. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt und starrte hoch in den Himmel. Seiner Miene nach zu urteilen, war er nicht gerade begeistert davon, ein völlig fremdes Mädchen durch den Wald zu begleiten.

»Hast du alles?«, fragte Rabea.

Nickend deutete ich auf meine Tasche.

Rabea lief voraus. Sie wählte einen Weg direkt zwischen den Bäumen hindurch. Ich folgte ihr, während Lev das Schlusslicht bildete. Der Abstand zwischen mir und ihm wurde immer größer und ich wurde das Gefühl nicht los, dass er nur auf seine Chance wartete, heimlich zwischen den Bäumen zu verschwinden.

Der Weg wurde immer schmaler und der Boden zu meinen Füßen unebener. Als wir dann an einem Feld von diesen Kümmerlingen vorbeikamen, zog es in meiner Bauchgegend. Ich trug nun diese Kleidung und trotzdem vermied ich es, auch nur in die Nähe dieser heimtückischen Pflanzen zu kommen.

So liefen wir eine Weile schweigend hintereinanderher. Die Sonne war aufgegangen, der Tag war angebrochen und schon bald hörte man das fröhliche Zwitschern einiger Vögel.

»Du meldest dich, wenn du eine Pause brauchst«, rief Rabea nach hinten, ohne sich umzudrehen.

Der Weg vor uns wurde wieder breiter und ich musste mich nicht mehr so darauf konzentrieren, wo ich hintrat. Ich beeilte mich etwas und lief nun neben Rabea. »Danke, dass ihr mich begleitet.«

»Der Wald ist unser Zuhause, wir machen das gern«, antwortete sie und blickte weiterhin angestrengt nach vorn. Irgendetwas stimmte hier nicht, aber womöglich bildete ich mir das nur ein.

»Warum haben eure Zelte eigentlich unterschiedliche Symbole und Farben?« Diese Frage lag mir schon seit einer Weile auf der Zunge. Von Rabea erhielt ich darauf keine Antwort. Sie wechselte wieder den Weg, sodass ich erneut hinter ihr laufen musste. Lev schlich still hinter uns her und betrachtete die Natur um sich. Immerhin hatte er den Abstand zu mir etwas verkleinert.

»Tarek hat mir erzählt, ihr seid Jäger.« Ich hielt inne und wartete einen Moment, ehe ich fortfuhr: »Und warum hast du heute Morgen gesagt, dass uns die anderen ablösen? Heißt das, sie sind irgendwo hier?« Womöglich ging ich ihr in diesem Moment gewaltig auf die Nerven und ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, wie sie es bereits bereute, mich gerettet zu haben.

»Du stellst ganz schön viele Fragen«, brummte Lev.

»Hast du denn Antworten darauf?«, rief ich lauter als beabsichtigt nach hinten. Mehr als ein Schweigen bekam ich nicht. Ich seufzte und hob schützend meine Arme vor den Kopf, als Rabea stehen blieb und ich beinahe in sie hineingelaufen wäre. Eine Mauer aus Dornen versperrte uns den Weg. Sie bestand aus kahlen braunen Büschen und Sträuchern, die sich gegenseitig umwickelten und nicht zuließen, dass man an ihnen vorbeikam. Nur schon allein der Gedanke an diese spitzen Dinger tat mir weh.

»Und nun?« Lev drängte sich an mir vorbei und blickte fragend zu Rabea. Diese schüttelte nur nachdenklich den Kopf.

»Ihr wartet hier, ich bin gleich wieder da.« Sie drehte sich um und tauchte zwischen den Bäumen unter.

Ich betrachtete die Hecke eingehend. »Was, wenn wir einfach um diese Mauer herumlaufen?«

»Solche Dornensträucher grenzen für gewöhnlich etwas ab, die reichen einige Meter.« Er seufzte auf und drehte sich dann demonstrativ mit dem Rücken zu mir, als wollte er sagen, dass er keine weiteren Gespräche führen möchte.

Ich rollte mit den Augen und lief näher an die Dornen heran. Eigenartig, dass man solch ein Gebilde hier im Wald fand. Wenn das der Wahrheit entsprach und diese Hecken wirklich etwas abgrenzten, dann musste man doch auch irgendwie rüberkommen.

Ganz vorsichtig streckte ich meine Hand nach den Dornen aus. Vielleicht könnte man die Äste einfach hinunterdrücken und so hindurchgelangen.

»Aua!« Schmerz zuckte durch mein rechtes Handgelenk.

»Wurdest du von Irrlichtern gebissen?!«, sprach Lev zornig. Auf einmal war er neben mir aufgetaucht und hatte mit dem Knauf seines Schwertes auf meinen Handrücken geschlagen.

»Man fasst die Dornen nicht an! Das kann dich das Leben kosten.«

Überrascht blickte ich hoch zu ihm, während ich mir immer noch über die schmerzende Hand rieb.

»Hast du etwa noch nie von dem Märchen der verwunschenen Hecken gehört?«, fragte er in dem bissigen Tonfall, in dem er schon die ganze Zeit zu mir sprach. Mir war er nicht entgangen.

»Nein, ich kenne es nicht«, murmelte ich und trat einen Schritt weg von der Mauer. »Worum geht es denn bei dem Märchen?«

Doch Lev hatte wieder seine Arme vor der Brust verschränkt und mir den Rücken zugewandt.

»Wenn du mir mehr über das Märchen erzählst, dann könnte ich vielleicht einen Weg hinaus finden«, sprach ich energisch.

»Rabea wird dir das Märchen gern erzählen, bis dahin würde ich warten und nichts anfassen.«

Ich nickte. Zum Glück dauerte es nicht lange, bis Rabea wieder auftauchte. Ihre Frisur hatte sich inzwischen gelöst und ihre Haare hingen ihr wirr über die Schulter. Genervt entfernte sie einige Blätter und kleine Äste daraus.

»Wir haben ein Problem«, sagte sie und legte die Stirn in Falten.

»Was für eines?« Lev hatte sich wieder umgedreht und lief nun auf sie zu.

»Weder Tarek noch er sind in der Nähe, und so wie ich das einschätze, dauert es zu lange, wenn wir nach einem Ende dieser Hecke suchen würden.« Sie seufzte auf und lehnte sich an einen Baum. »Wir können also nur abwarten«, murmelte sie leise und blickte auf den Waldboden.

»Ich versuche es einfach mit dem Schwert.« Lev zog das Schwert aus der Scheide. »Mal sehen, wer gewinnen wird, Metall oder Natur.« Er hatte bereits einen siegessicheren Blick aufgesetzt, als Rabea warnend die Hand hob.

»Du weißt, dass das nichts bringt. Die Ranken wachsen immer nach.«

»Das Märchen?«, versuchte ich es erneut und stellte mich zwischen die beiden. Rabea hob verwundert die Augenbraue.

»Du hast die Ehre, ihr von dem Märchen der verwunschenen Hecke zu erzählen«, grummelte Lev.

»Du kennst die Geschichte wirklich nicht?«, fragte sie. Ich verneinte. Märchen waren ein Teil meiner Welt, dennoch kannte ich immer noch nicht alle und das würde ich womöglich auch nie. Zu viele gab es von ihnen und jeden Tag entstanden neue.

Rabea setzte sich auf den mit Moos bedeckten Waldboden und ich tat es ihr nach.

»Es war einmal, so erzählte man sich, ein König. Der König war ein freundlicher Mann mit dem Herz am richtigen Fleck, aber was ihm fehlte, das war die große Liebe. Denn egal was er tat, die Liebe blieb ihm verwehrt. Er hatte oft versucht, eine Frau zu finden, aber eigenartigerweise geschahen immer merkwürdige Dinge, sobald er die passende gefunden hatte. Seine erste Frau, die verliebte sich auf einmal urplötzlich in einen anderen. Die zweite Frau, die bekam einen fiesen Hautausschlag, sobald sie bei ihm war. Die letzte Frau, die sich in seine Nähe wagte, fiel in einen tiefen Brunnenschacht, und das genau zu dem Zeitpunkt, als der König ihr den Verlobungsring anstecken wollte.

Er konnte nichts dagegen unternehmen, die Liebe war gegen ihn. Wie schon zuvor erwähnt, war der Mann mit blauem Blut ein herzens­guter Mensch. Er bot den Armen einen Unterschlupf, senkte die Steuern wann immer es ging und behandelte alle gleich, egal ob Bauer oder Berater.

Da gab es auch eine Köchin, die war schon etwas älter. Ihre Haare waren durchzogen mit grauen Strähnen und ihr Gesicht ganz faltig. Sie war langsam, was die Arbeit anging, und ihre Braten waren nicht die besten, aber der König ließ sie machen und bedankte sich immer bei ihr für die Mahlzeiten.«

»Du hast das Wichtigste vergessen«, kam es von Lev. Auf einmal war er auch interessiert und lauschte gespannt der Erzählung.

»Lass mich die Geschichte erst einmal beenden.« Rabea fischte sich ein weiteres Blatt aus dem Haar und warf es in die Richtung des grimmigen Herrn. Natürlich flog das Blatt nicht weit, aber es entlockte ihm wenigstens ein schiefes Lächeln. »Der König besaß auch noch einen jüngeren Bruder. Dieser war im Gegensatz zu ihm durch und durch böse und dunkle Schatten trübten seine Augen. Er war zornig, voller Hass, wie gern hätte er auch den Thron für sich gehabt.« Rabea machte eine Pause, um sich zu räuspern.

»Wie geht es weiter?«, fragte ich sogleich.

»Nicht so stürmisch, zurück zu der alten Köchin. Die Frau wollte dem König helfen und so lief sie jeden Abend hinaus in den prächtigen Garten des Schlosses. Dort bat sie das Wetter um Hilfe, denn sie wünschte dem König nichts sehnlicher als die passende Königin. Die Tage vergingen und irgendwann, da erhörte das Wetter ihre Bitten. Der Wind formte wellendes, langes Haar, die Wolken den passenden Körper und die Sonne, die erschuf ein strahlendes Lächeln. Wach geworden von dem tosenden Lärm, rannte der König sogleich in den Garten. Er entdeckte die junge Frau und so geschah es, die beiden verliebten sich ineinander. Trotzdem plagten den König Zweifel und er befürchtete andauernd, dass wieder etwas geschehen würde. Darum heirateten die beiden erst nach einigen Jahren. Sie waren glücklich und schon bald gebar die Königin einen hübschen Sohn.«

»Das hat sicherlich den Bruder verärgert«, sprach ich.

Rabea nickte. »Genau, der jüngere Bruder erfuhr von dem Glück und nun zerbrachen all seine Hoffnungen endgültig. Getrieben von seinem Hass, ließ er sich einen teuflischen Plan einfallen. Eines Nachts, als bereits alle schliefen, da vergiftete er die Königin und raubte das Kind. Die Wachen, die von den Schreien des Säuglings alarmiert wurden, weckten den König. Dieser schnappte sich das schnellste Pferd aus seinem Stall und ritt dem Übeltäter hinterher. Der Bruder floh mit dem Kind in seinen Armen in den Wald. Doch die Gerechtigkeit siegt bekanntlich immer und schon bald holte der Ältere den Jüngeren ein. Er entriss ihm das Kind und bat das Wetter erneut um Hilfe. Das Wetter gewährte ihm einen letzten Gefallen und erschuf Mauern aus Dornen, mithilfe des Waldes. Die Dornen drängten den Bruder immer weiter zurück. Diese Mauern würden erst weichen, wenn der König ihm verzieh oder wenn er seine Taten bereute. So konnte der Bruder das Königreich für lange Zeit nicht mehr betreten. Und der König, der schenkte all seine Liebe und Hingabe seinem Sohn, der später das Königreich übernahm.« Rabea streckte sich und erhob sich von dem Boden. »Das war das Märchen der verwunschenen Hecke.«

»Dann wissen wir ja jetzt auch, was wir machen müssen, damit die Hecke verschwindet!«, meinte ich. Ich stand auch wieder auf.

»Lass mich raten, wir bitten den König um Verzeihung?«, riet Lev und bedachte mich dabei mit einem abschätzigen Blick.

»Keine Ahnung, wo der König ist, aber nein. Wir müssen nur unsere Taten bereuen und dann geht die Hecke zurück.«

»Ich soll mich also da hinstellen und sagen, was ich bereue?« Irritiert sah er zuerst zu mir und dann zu Rabea. Diese hatte nichts dagegen einzuwenden, was ihn wohl noch mehr aufbrachte. »Das hier ist keine Beichte!«

»Wir versuchen es einfach einmal und sehen dann weiter«, erwiderte Rabea darauf und stellte sich vor die Hecke. »Ich bereue …« Sie hielt inne. Ihre Hände verkrampften sich und ihr ganzer Körper wirkte angespannt. »Ich bereue, dass …«, probierte sie es erneut, auch dieses Mal kamen ihr die Worte nicht über die Lippen.

»Ich wäre immer noch dafür, dass wir es mit dem Schwert versuchen«, meinte Lev und näherte sich nun ebenfalls der Hecke.

»Ich bereue, dass ich gelogen habe.« Es dauerte einen Moment, bis ich meine eigenen Worte erkannte. Ich hatte das gesagt.

»Was?« Rabea wandte sich in meine Richtung.

»Ich habe gelogen, ich besuche keine Verwandten in Malufra. Der Grund, warum ich nach Malufra möchte, ist der, dass ich eine Einladung von der Königin erhalten habe.« Ich schwieg und wartete auf die Reaktionen der beiden. Doch diese blieben aus. Rabeas Gesichtszüge wurden etwas sanfter, während Lev noch immer ein Desinteresse an den Tag legte, das beinahe schon beängstigend war.

»Das wissen wir schon«, antwortete Rabea.

»Was?«, fragte ich diesmal erstaunt.

»Sagst du es ihr oder ich?« Rabea wandte sich wieder an Lev. Er zuckte nur mit den Schultern und tippte immer wieder auf sein Schwert.

»Ich nehme einmal an, das heißt, ich soll erzählen«, murmelte sie und seufzte dann hörbar auf. »Wie viel weißt du über das Märchen vom Dieb?«

»Dass er früher ein aufrichtiger und ehrlicher junger Mann war, bis irgendetwas Schreckliches passierte und er beschloss, sein Herz in einem Baumstamm zu verstecken.« Fröstelnd rieb ich mir über die Arme. Irgendetwas stimmt hier nicht, aber was es war, das konnte ich nicht genau sagen.

»Was du nicht weißt, wir sind an diesen Pakt gebunden. Solange der Dieb sein Herz nicht hat, müssen wir mit ihm hier im Wald bleiben. Darum diese verschiedenen Farben und Symbole an den Zelten. Jeder von uns kommt von einem anderen Ort. Wir alle sind irgendwann einmal hier gelandet und dann kam der Pakt, der uns an den Wald kettete. Wenn wir versuchen den Wald zu verlassen, dann hält uns eine unsichtbare Barriere davon ab. Wie eine Art Mauer, die man nicht sieht und nicht bezwingen kann. Der Dieb versucht sein Herz zu finden. Ein Teil, das ihm dabei hilft, ist in ebendiesem See versteckt.« Sie hielt inne.

Verwirrt schüttelte ich den Kopf. »Aber Tarek war in Rondama.«

»Jeder von uns kann ein einziges Mal den Wald verlassen und er, er wollte das Meer betrachten.« Sie schnaubte. »Wir wussten, dass du kommen würdest. Im Wald gibt es Hexen, die sehen die Zukunft. Sie haben uns gesagt, dass ein gewöhnliches Mädchen dem Dieb helfen wird.«

»Darum habt ihr mir also geholfen?« Nun war ich wirklich fassungslos. Es war also alles gar kein Zufall gewesen. Lev und Rabea waren nicht ohne Grund damals in meiner Nähe durch den Wald gestreift, und Rabea hatte mir geholfen, damit ich ihnen jetzt helfen würde.

»Wir hätten dich nicht einfach im Wald gelassen. Zumindest ich hätte dir bestimmt geholfen.« Rabea warf einen Seitenblick zu Lev, der nur hoch in den Himmel starrte und die Baumkronen zu beobachten schien.

»Ihr bringt mich nach Malufra zur Königin, wenn ich euch mit der Passage beim See helfe?«, fragte ich zögerlich.

»Ich verstehe, wenn du uns nicht mehr helfen willst. Wir aber helfen dir auch so.« Sie schluckte und blickte betreten zu Boden.

»Da ist noch etwas. Tarek hat gesagt, ihr seid Jäger von Geheimnissen und Geschichten, was hat es damit auf sich?« Diese Frage geisterte mir schon eine ganze Weile durch den Kopf und nun hatte ich die Möglichkeit, eine Antwort darauf zu erhalten.

»Wir sammeln diese Art von Dingen und bewahren sie. Wie das Märchen der verwunschenen Hecke, von dem hast du auch nichts gehört. Manchmal verirrt sich jemand hierher und dann erzählen wir ihm die Geschichten, und oft lassen die Menschen dafür Geheimnisse oder andere Erzählungen da. Wir sorgen dafür, dass nicht auch wir irgendwann in Vergessenheit geraten«, beantwortete sie meine Frage.

»Die Leute haben Angst vor euch!« Wie oft war ich in den letzten Jahren vor dem dunklen Wald gewarnt worden? Ich hätte diesen Ort niemals freiwillig betreten. Niemand hätte das …

»Menschen fürchten sich immer vor dem Unbekannten.« Auf ihren Lippen zeichnete sich ein schwaches Lächeln ab.

»Und wo ist Tarek, der Dieb oder die anderen?«

»Irgendwo in der Nähe, sie kommen abends«, unterbrach Lev mich und deutete dann wieder auf die Mauer. »Da wir das ja nun geklärt hätten, würde ich gern versuchen, dieses Hindernis zu bezwingen.«

Jetzt hatten weder Rabea noch ich etwas einzuwenden. Wir beide traten außer Reichweite, während Lev das Schwert zog. Er holte aus und ließ es mit einer Wucht auf die Hecke knallen. Viel passierte nicht. Erneut bearbeitete er die Hecke mit seinen Schwerthieben. Diesmal brachen Äste krachend auseinander und Dornensplitter flogen in alle Richtungen. Er wiederholte die Prozedur immer und immer wieder, während die Sträucher ächzten. Das Wetter änderte sich ebenfalls. Der Wind wurde immer stürmischer. Zuerst zog er nur ganz leicht an meinen Haaren, schon bald wandelte sich dieses sanfte Ziehen in ein Reißen.

Schützend hielt ich meine Arme vor die Augen, um nicht von den herumwirbelnden Kleinteilen getroffen zu werden. Als ich einmal aufsah, erhaschte ich nur einen Blick auf den schmerzverzerrten Gesichtsausdruck von Lev. Er gab nicht auf, hieb unermüdlich auf die Hecke ein.

Noch ein Schlag, dann krachten die Äste auseinander. Das Ächzen der Natur erstarb und auch der Wind beruhigte sich. Dort, wo vorhin noch die Mauer gestanden hatte, befand sich nun ein klaffendes Loch, genau vor uns.

»Schnell!«, keuchte Lev und deutete atemlos auf den Eingang. Rabea und ich ließen uns das nicht zweimal sagen. Wir sprangen über die kaputten Äste, darauf bedacht, uns nicht an den Dornen zu verletzen. Lev folgte uns eilig.

Keine Sekunde zu spät, wie sich herausstellte. Hinter ihm schossen neue Dornen in die Höhe und wanden sich um die noch verbliebenen Äste. Innerhalb kürzester Zeit war die Mauer wieder intakt.

»Das Metall hat gesiegt.« Noch immer etwas außer Atem, klopfte Lev stolz an sein Schwert. Auf seiner Stirn sah man kleine Schweiß­perlen und bestimmt taten ihm die Arme höllisch weh.

»Ihr könnt mir ruhig danken, immerhin musste so keiner von euch etwas bereuen. Oder fast keiner.« Er räusperte sich und setzte sich dann auf den Boden. Erst jetzt kam ich dazu, die Umgebung etwas genauer zu betrachten. Wir befanden uns noch immer mitten auf einem Waldweg, nur waren die Blätter der Bäume hier um einiges dunkler. Es war kein saftiges Blattgrün mehr, die Farbe glich einem dunkelgrünen Abgrund.

»Und nun?«, fragte ich zögerlich.

»Wir machen kurz Rast, laufen dann weiter und suchen nach einem geeigneten Platz für ein Lager«, sprach Rabea. Sie lief gerade­aus, dicht gefolgt von Lev. Ich zögerte noch einen Moment und blickte zurück zu der dichten Hecke. Inzwischen sah man keine Spuren mehr von Gewalt.

Wo war ich hier nur gelandet?

Ein Dieb ohne Herz, ein griesgrämiger Mann mit Augen schwarz wie die Nacht, ein Jäger mit Pfeil und Bogen, eine Frau, die tief in ihrem Inneren etwas bereute, das sie beinahe auffraß, und mitten unter ihnen ein Mädchen, das auf der Suche nach seiner eigenen Geschichte war. Wenn das nicht nach einem Märchen klang, dann wusste ich auch nicht.

399
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