Читать книгу: «Schrecken der Vergangenheit», страница 5

Шрифт:

Vier

Montag, 06. Mai, 14 Uhr 21

Nik hatte keine Ahnung, wie er die letzten Meter nach Hause, zurücklegen konnte. Seine Gedanken drehten sich nur um das Eine. Wo war Thea? Was war mit ihr passiert? Und war sie vielleicht verletzt? Die bittere Wahrheit war, er wusste es nicht. Und das zerriss ihn innerlich. Immer wieder malte er sich aus, wie sie sich gerade fühlen musste. Welche Ängste sie ausstehen musste. Nur warum das Ganze? Und warum jetzt? Nik fühlte sich mit der Situation überfordert. Noch vor wenigen Stunden war er der glücklichste Mann der Welt gewesen. Jetzt bescherte ihm das Schicksal einen weiteren Scherbenhaufen, den es nun galt, irgendwie zu beseitigen.

In den vergangenen Stunden und Minuten hatte Nik einfach nur funktioniert, ohne großartig darüber nachzudenken, was er da eigentlich tat. Er hatte dafür gesorgt, dass Theas Wagen von der Bildfläche verschwand und Gerd und Maria angelogen. Außer einer wirren Geschichte über einen Bekannten, dem der Wagen gehörte, fiel Nik nichts Besseres ein. Gemeinsam hatten sie den BMW mit Gerds altem Deutz, in dessen Scheune gezogen und Nik hatte ihnen versprochen, sich schnellstmöglich um den Wagen zu kümmern. Anhand ihres ungläubigen Gesichtsausdruckes, glaubte er nicht wirklich daran, dass die beiden ihm diese plumpe Lüge abgekauft hatten. Aber die Pröppers waren loyale Menschen und stellten keine weiteren Fragen. Und nun blieb ihm nichts weiter übrig, als zu warten. Darauf, dass sich der Unbekannte wieder meldete. Und er Gewissheit darüber erlangen würde, dass Thea zumindest noch am Leben war. Und bis dahin sah er sich gezwungen, bei diesem dreckigen Spiel mitzumachen. Doch wie lange er dieser mentalen Belastung standhalten würde, vermochte er nicht zu sagen. Schon jetzt hatte er eine Grenze des Machbaren überschritten.

Nur mit größter Mühe schaffte er es, sich zu beherrschen und das Innere seines Wagens nicht in Schutt und Asche zu zerlegen.

Er hatte seine Stirn auf dem Lenkrad abgelegt und hielt die Augen geschlossen. Er konzentrierte sich nur auf seine Atmung und nahm überhaupt nichts von seiner Umwelt war. Das Herz wäre ihm beinahe stehen geblieben, als Maximilian plötzlich neben der Fahrertür auftauchte und gegen die Scheibe klopfte. Mit zitternden Fingern tastete Nik nach dem Griff, um die Türen zu entriegeln.

Reiß dich verdammt nochmal am Riemen“, dachte er und schaffte es, den Blick zu heben.

<<Da bist du ja endlich>>, sagte sein Sohn und runzelte die Stirn, als er seinen Vater in diesem merkwürdigen Zustand auffand. <<Was hat denn da so lange gedauert?>>

<<Marias Kochkünste>>, antwortete Nik knapp und schnallte sich ab. Alles in seinem Körper schrie danach, auf jede weitere Konversation zu verzichten, um wieder allein mit sich, seinen Gedanken und seinem verfluchten Handy zu sein.

<<Und du hast mir nichts mitgebracht? Wehe dir, wenn es ihre berühmte Erbsensuppe gab>>, maulte Maximilian.

<<Kofferraum.>> Nik zeigte mit dem Daumen nach hinten. <<Bediene dich.>> Er zog die Wagenschlüssel ab und stieg aus. Jedoch nicht ohne sich weiterhin an der geöffneten Tür festzuhalten. Seine weichen Knie wollten ihm nach wie vor nicht richtig gehören.

<<Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen>>, sagte Maximilian und öffnete die Heckklappe. <<Muss heftig gewesen sein.>> Nik zog die Stirn kraus und musterte seinen Sohn. <<Den Unfall, meine ich.>>

<<Ach so. Nein… nein, war es nicht. Ich hab nichts gefunden. War wohl falscher Alarm.>>

<<Mh. Merkwürdig. Anni meinte, es hätte sich schlimm angehört. Soll ich später nochmal nachschauen? >>

<<Wie gesagt. Falscher Alarm.>>

<<Aber Gerd ruft doch sonst nicht ohne Grund an.>>

<<Bitte Max. Könnten wir die Diskussion vertagen. Mir platzt gerade der Schädel>>, blaffte Nik seinen Sohn an. <<Tut mir Leid. Ich wollte dich nicht so anfahren>>, entschuldigte er sich sofort wieder. <<Aber ich habe wirklich rasende Kopfschmerzen.>>

Maximilian stand mit unverständlicher Miene da und hielt den Topf mit der Suppe umklammert. <<Könntet ihr meine Termine für heute bitte verschieben? Ich werde eine Tablette nehmen und mich etwas hinlegen.>>

<<Natürlich. Brauchst du sonst noch was?>>

<<Nur ein bisschen Ruhe. Dann geht’s schon wieder>>, antwortete Nik und ging in Richtung Haupthaus. Er spürte die Blicke seines Sohnes in seinem Nacken. Und auch ihn anlügen zu müssen, war ein unerträgliches Gefühl. Aber es ging nicht anders. Um Theas Willen musste er das tun, was man von ihm verlangte.

<<Hey! Wo kommt denn das Mittagessen auf einmal her?>>, fragte Anni und legte von hinten einen Arm um Maximilians Hüfte.

<<Ein Mitbringsel von den Pröppers>>, antwortete er und schaute seinem Vater weiterhin hinterher.

<<Was ist? Habt ihr Stress?>>

Maximilian schüttelte den Kopf. <<Nein. Er benimmt sich nur sehr komisch. Sagt, dass er Kopfschmerzen habe.>>

Anni lachte auf. <<Ja. Das glaube ich sofort. Ein Wunder, wenn dem nicht so wäre.>> Und wieder zog Maximilian die Stirn kraus und schaute seine Freundin fragend an. <<Er und Thea haben es gestern Abend wohl so richtig krachen lassen. Ich habe heute Morgen zwei leere Rotweinflaschen in der Küche gefunden>>, erklärte sie ihm. <<Mach dir nicht so viele Gedanken. Es ist alles in Ordnung. Und weißt du auch, warum ich mir da so sicher bin?>>, neckte sie ihn weiter.

<<Mh.>>

<<Rate mal, wo wir deinen Vater vorhin entdeckt haben.>> Maximilian zuckte mit den Schultern und Anni verdrehte die Augen.

<<Er war im Büro, Schatz. Nik hat diesen Raum seit einem Jahr nicht mehr betreten. Und dann stand er plötzlich da, um nach einem Buch zu suchen.>>

<<Im Ernst?>>, fragte er erleichtert.

<<Ja. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder nicht?>> Anni lächelte und legte ihm eine Hand an seine Wange. <<Es geht ihm gut. Und jetzt komm. Lass uns was essen. Ich sterbe vor Hunger und deine Tochter auch.>>

<<Und wenn es ein Junge wird?>>, fragte Maximilian voller Stolz.

<<Auch gut. Aber es wird ein Mädchen. Mütter haben so etwas im Gespür. Hab ich zumindest gehört.>> Sie nahm ihn an der Hand und zog ihn mit sich. Seine gute Laune war wieder hergestellt, auch wenn er die Situation mit seinem Vater noch nicht ganz vergessen hatte. Aber nachdem, was er gerade erfahren hatte, wollte er die Sache auf sich beruhen lassen. Wahrscheinlich hatte ihm das Ganze doch mehr zugesetzt und die Kopfschmerzen waren nur eine natürliche Reaktion darauf. Trotzdem. Er nahm sich vor, in den nächsten Tagen ein Auge auf seinen alten Herrn zu werfen.

Montag, 06.Mai, 15 Uhr 31

Ein merkwürdiger Geruch stieg ihr in die Nase. Es war eine Mischung aus Holz, Moos und Tannenzapfen. Dazu vernahm sie das Knistern eines Kaminfeuers, das hier irgendwo in diesem Raum loderte. Thea schlug langsam die Augen auf, schloss sie aber sofort wieder, weil der pochende Schmerz in ihren Schläfen sie dazu zwang. „ Ich hätte vorsichtiger mit dem Wein sein sollen.“

Behutsam drehte sie Ihren Kopf und riskierte einen erneuten Blick in die Helligkeit. Zur ihrer Linken erspähte sie die Umrisse eines Glases, gefüllt mit prickelndem, kaltem Wasser. Daneben lag eine einzelne, noch in der Umverpackung geschützte, Tablette.

Mit der Zunge strich sich Thea über Ihre Lippen, die sich genau wie ihr Rachen spröde und staubtrocken anfühlten. Das Wasser hatte jetzt eine so magische Anziehungskraft, dass sie nicht wiederstehen konnte. Mit beiden Ellbogen drückte sie sich ein Stück weit nach oben und biss die Zähne zusammen, als alles um sie herum anfing sich zu drehen. „ Gott. Was hab ich mir da nur angetan?“

Darauf bedacht, nicht zu schnelle Bewegungen von sich zu geben, führte Thea eine Hand an ihren Kopf.

Doch sie hielt sofort inne, als sie den scharfen Schmerz spürte. Vorsichtig inspizierte sie mit ihren Fingerspitzen die deutliche Schwellung auf ihrer Stirn. Und plötzlich war alles wieder da. Die Erkenntnis traf sie mit voller Härte. Nicht der Wein war Schuld an ihrem jämmerlichen Zustand. Sie hatte sich die hübsche Beule bei einem Unfall zugezogen. Aber was geschah danach? „ Denk nach. Versuch dich zu erinnern.“

<<Gut. Sie sind wach.>> Eine fremde, männliche Stimme. Entsetzt richtete sich Thea noch weiter auf. Aber der Schwindel setzte wieder ein und sie musste sich auf der weichen Matratze abstützen. <<Ich hatte mir schon Sorgen gemacht.>> Wieder diese Stimme. Thea zwang sich, den Kopf zu heben und schaute sich vorsichtig um. Die Wände waren aus massiven Holzbalken gefertigt. Es gab jeweils ein Fenster zu ihrer rechten und eines zu ihrer linken. Jedoch beide verschlossen. Das Bett, auf dem sie lag, stand in der Mitte des nicht allzu großen Raumes. Schräg gegenüber stand eine spartanisch eingerichtete Küche, mit einem modernen Kühlschrank, der so gar nicht in das altbackene Bild der übrigen Einrichtung passen wollte. „ Wo bin ich nur?“

Eine Bewegung am Rande ihres Sichtfeldes ließ sie zusammenfahren. In einer Ecke stand ein kleiner Tisch mit insgesamt zwei Stühlen. Und auf einem schien die Person zu sitzen, die gerade mit ihr gesprochen hatte. Dummerwiese konnte Thea nur die Umrisse erkennen, da der Mann halb im Schatten saß. So allmählich wurde ihr die ganze Situation unheimlich. Instinktiv zog sie ihre Beine an und erstarrte. Sie war angekettet. An Ihrem rechten Fußgelenk. Panik stieg in ihr auf, aber sie versuchte, sich zu beruhigen und atmete tief ein und aus. Sie verstand einfach nicht, was hier vor sich ging. Eigentlich hätte sie schon längst in der Klinik sein sollen. Doch jetzt fand sie sich in dieser Hütte wieder. Und ohne zu wissen wo genau sie sich eigentlich befand. Aber warum nur?

Der nächste Schreck durchfuhr Thea, als der Mann quietschend seinen Stuhl nach hinten schob um aufzustehen. Ohne es zu merken, hatte sie ihre Position verändert und sich weiter in Richtung Wand gedrückt. Sie musste es sich eingestehen, sie hatte Todesangst.

<<Ganz ruhig>>, sagte der Mann und ging auf die kleine Kochinsel zu, die fast die gesamte Mitte des Raumes einnahm. Thea ließ die Gestalt jetzt nicht mehr aus den Augen und beobachtete, wie der Mann einen Teebeutel in einen dunklen Becher legte und anschließend mit heißem Wasser aus dem danebenstehenden Kocher übergoss. Er tunkte den Beutel ein paar Mal auf und ab, nahm den Becher und trat näher ins dämmrige Licht. Er war schätzungsweise Mitte Fünfzig, Anfang Sechzig. Er besaß eine kräftige Statur und sowohl die kurzen Haare als auch sein gesamtes Auftreten erinnerten Thea ans Militär. <<Sie haben vor mir nichts zu befürchten, wenn sie sich angemessen verhalten>>, sagte er und bedachte sie mit einem prüfenden Blick. Sie fühlte sich nicht in der Lage auch nur ein Wort von sich zu geben. Stattdessen nickte sie kaum merklich, was ihn dazu bewegte, sich ihr weiter zu nähern. Behutsam stellte er den Becher neben dem Wasser ab, ohne sie jedoch aus den Augen zu lassen. <<Trinken Sie das. Der Tee wird Ihnen gut tun.>> Er registrierte, dass Theas Blick automatisch von ihm zu der Kette an Ihrem Fußgelenk wanderte. <<Tut mir Leid. Das kann ich Ihnen leider nicht ersparen>>, bemerkte er wahrheitsgetreu. <<Ich hoffe, sie ist nicht zu eng?>>

<<Was hat das alles zu bedeuten?>>, fragte Thea mit belegter Stimme. Der Mann drehte sich um und ging wieder zurück an die Kochinsel. <<Was wollen Sie von mir?>>

Er schaute über seine Schulter. <<Von ihnen direkt? Eigentlich gar nichts.>>

<<Und dennoch haben Sie mich entführt.>>

<<Das ist wohl so, ja>>, gab er knapp zurück.

<<Warum?>>

<<Darüber sollten Sie sich keine Gedanke machen. Ich schätze, die ganze Situation ist eh schon schlimm genug für Sie. Wie geht’s ihrem Kopf? Die Beule sieht nicht gut aus.>> Er wollte nicht weiter auf das Thema eingehen.

Und Thea ahnte, dass sie hier und jetzt keine weiteren Antworten bekommen würde. Grundsätzlich nahm sie dem Fremden die väterliche Nummer ab, denn er kam ihr bekannt vor. Auf der anderen Seite hatte er sie entführt und angekettet. Sie befand sich also durchaus in Gefahr. Wenn auch wahrscheinlich noch nicht zu diesem Zeitpunkt.

<<Wer sind Sie?>>, fragte Thea zu ihrer eigenen Überraschung. Sein Kopf fuhr abrupt um und er musterte sie mit einem aggressiven Ausdruck. Erneut fuhr Thea zusammen.

<<Sie erinnern sich wirklich nicht, oder?>> Sekunden verstrichen. Dann endlich entspannte er sich wieder und zuckte mit den Schultern. <<Nicht weiter schlimm. Es wird Ihnen schon noch einfallen.>>

<<Mir was einfallen? Bitte. Sagen Sie mir doch einfach, was hier gespielt wird.>>

Der Mann hielt kurz inne. Dann nahm er einen Rucksack vom Stuhl und machte sich daran, einige Sachen darin zu verstauen. Blöderweise war auch ihr Handy dabei. <<Versuchen Sie sich ein bisschen auszuruhen. Wenn ich zurück bin, bekommen Sie etwas zu essen.>>

<<Bitte. Sie können mich doch jetzt nicht einfach alleine lassen.>>

Erneut hielt er inne. Dann stieß er einen tiefen Seufzer aus.

<<Ich verspreche Ihnen, wenn ihr Freund das tut, was ich von ihm verlange, werden Sie bald wieder bei ihm sein. >>

<<Und wenn nicht?>>, fragte sie zögernd.

Der Fremde schüttelte den Kopf. <<Keine Sorge. Das wird er. Schließlich liebt er Sie.>>

<<Dann bin ich also nichts weiter als ein Druckmittel?>>

Er sagte nichts. Das war auch überhaupt nicht nötig. Warum sonst entführt jemand eine Person. Natürlich fungierte sie als Druckmittel. Aber wieder stellte sich die Frage: Warum?

<<Trinken Sie den Tee. Sie brauchen Flüssigkeit>>, sagte er und verließ die Hütte. Thea hörte, wie er von draußen die Tür mehrfach verriegelte. Sie war nun allein. Mit sich, ihrer Angst und mit den ganzen offenen Fragen, auf die sie keine Antwort hatte.

Mit eiskalten Händen zog sie ihre Knie heran, ließ sich seitlich in die weiche Matratze sinken und ließ ihren Gefühlen freien Lauf, indem sie weinte und mit den Fäusten gegen die Wand schlug.

Montag, 06. Mai, 18 Uhr 20

Er saß auf einem Rundsessel in der Ecke seines Schlafzimmers und starrte mit unbewegter Miene aus dem Fenster. Nik war wie gelähmt. Die Angst um Thea und die Ungewissheit darüber, wo sie war und ob sie überhaupt noch lebte, drohten ihn innerlich zu zerreißen. Seit Stunden schon zermarterte er sich sein Hirn, auf der Suche nach einer Erklärung. Doch so sehr er sich auch bemühte. Er fand einfach keine schlüssige Antwort auf das Warum.

Nichts hatte in den vergangenen Tagen darauf hingedeutet, dass so etwas passieren würde. Thea hatte sich benommen, wie immer. Sie waren glücklich. Und dass sich der Entführer nicht bei ihm meldete, empfand er als ein nicht allzu gutes Zeichen.

Zum gefühlt hundertsten Male schaute er auf sein Handy und überprüfte den Akkustand und die Netzverbindung. Alles wie gehabt. Nichts. Er stieß einen tiefen Seufzer aus und suchte in den Kontakten nach Karstens Nummer. Aber auch diesmal fehlte ihm der Mut, seinen Freund anzurufen und um Hilfe zu bitten. Nur so langsam gingen ihm die Alternativen aus. Er war hin und her gerissen. Er wollte alles tun, um Thea wohlbehalten wieder zu ihm zurück zu holen. Leider hatte er keine Ahnung, was richtig und was falsch war. Er wusste nur, dass ihn die Situation komplett überforderte und er dem Druck nicht viel länger Stand halten konnte. Sein Daumen kreiste über den Anrufbutton als das Handy urplötzlich in seiner Hand vibrierte und kurz darauf die ihm wohl vertraute Melodie eines eingehenden Anrufes ertönte. Es hätte nicht viel gefehlt und ihm wäre das Smartphone aus der Hand gerutscht. Abrupt setzte sich Nik auf und schaute mit bebendem Atem auf das Display. Der Anrufer war anonym. Langsam führte er das Handy an sein Ohr und schloss die Augen.

<<Sagen Sie mir jetzt endlich, was sie von mir wollen?>>, brachte Nik mühsam hervor.

<<Es freut mich, dass Sie zur Vernunft gekommen sind.>>

<<Ich verstehe nicht…>>

<<Die Sache mit dem BMW. Sie haben den Wagen verschwinden lassen. Und sie haben sich an meine Bedingung gehalten und die Polizei nicht informiert. Allerdings… sollten sie noch einmal darüber nachdenken, ihren Freund anzurufen, werde ich nicht mehr so nachsichtig sein.>>

Nik schluckte überrascht, hatte aber keine Zeit, sich jetzt Gedanken darüber zu machen. <<Dann lassen Sie mich sofort mit Dr. Meissner sprechen. Ich muss wissen, ob es ihr gut geht.>> Mittlerweile war Nik aufgestanden und lief nun unruhig, wie ein Puma im Käfig, vor seinem Bett auf und ab.

<<Wie ich schon sagte. Es geht ihr den Umständen entsprechend gut>>, hörte er den Mann sagen.

<<Was Sie gesagt haben, interessiert mich einen Scheiß! Ich will mich selber davon überzeugen>>, brüllte Nik. <<Das ist meine Bedingung. Vorher rühre ich keinen weiteren Finger mehr!>> Sein Herz raste. Die Worte waren einfach so aus ihm herausgeflossen. Aber nachdem er keine weitere Antwort bekommen hatte, stellte sich nun die Angst ein, zu weit gegangen zu sein. Und jetzt gab es keinen Weg mehr zurück. Bittere Sekunden vergingen. Dann endlich…

< Also schön. Ich melde mich wieder.>>

<<Nein. Stopp!>>, schrie Nik. Doch die Leitung war bereits unterbrochen. Fassungslos starrte er auf das Display und spürte, wie überschüssige Energie sich zunehmend in seinem Innersten aufstaute. Mit einem tiefen Aufschrei, schleuderte er sein Smartphone in die Kissen und sank langsam, die Hände vor das Gesicht gelegt, auf seine Knie.

Zur gleichen Zeit….

Mittlerweile ging es ihr etwas besser. Die Übelkeit hatte nachgelassen und auch ihr Gemütszustand hatte sich, nach dem anfänglichen Schock etwas beruhigt. Seit Stunden schon war sie mit sich und ihren Gedanken alleine. Genügend Zeit, um die Geschehnisse zu verarbeiten und in die richtigen Schubladen zu sortieren. Und sie war zu dem Entschluss gekommen, dass zumindest im Augenblick keine direkte Gefahr für sie bestand. Das hier war ein Gefängnis auf mindestens vier Sterne Niveau. Thea konnte sich trotz der Fußfessel, relativ frei in der Hütte bewegen. Aber der Unbekannte, der ihr doch irgendwie bekannt vorkam, hatte an alles gedacht. Fast alle Bereiche, egal ob Kühlschrank, Bücherregal oder sogar das kleine, separate Bad, waren für sie zugänglich. Nur eben nicht die Tür oder die Fenster. Bis dorthin reichte die Kette einfach nicht. Auch nicht, wenn sie sich zu strecken versuchte. Und Thea fand auch keinerlei Gegenstände, mit denen sie die Fußfesseln hätte lösen können. Das Besteck bestand aus Plastik und taugte damit nicht einmal zur Selbstverteidigung. Natürlich hatte sie versucht, auf sich aufmerksam zu machen und lange Zeit um Hilfe geschrien. Aber außer ein paar Vogelstimmen und etwas, das sie nicht zuordnen konnte, vernahm sie keinerlei weitere Geräusche. Weder eine Straße, noch ein Auto. Einfach nichts. Sie würde sich also anders behelfen müssen. Und sie wusste auch schon wie. Reden und zuhören gehörte von Berufswegen her zu ihren Stärken. Vielleicht fand sie dadurch einen Zugang zu ihrem Entführer, um mehr über ihn und vor allem sein Tatmotiv zu erfahren. Und um damit vielleicht noch etwas weitaus Schlimmeres, zu verhindern. In der letzten Stunde hatte sie versucht, sich eine passende Strategie zurecht zu legen, doch als sie hörte, dass vor der Tür ein Wagen zum Stehen kam, waren all ihre guten Vorsätze erst einmal dahin. Die Angst in ihr drohte zurückzukehren. Ob sie es wollte oder nicht. Sie hätte alles dafür getan, in diesem Moment unsichtbar sein zu können. Wollte sie doch nie mehr Angst vor jemandem haben müssen. Vor einem Mann schon gar nicht.

Und auch, wenn es unter solchen Umständen das Natürlichste der Welt war, sie hasste sich dafür. Gerade als sich Thea auf die hinterste Ecke des Bettes gesetzt hatte, wurde das Schloss entriegelt und die Tür mit einem quietschenden Aufschrei geöffnet. Leicht zitternd beobachtete sie, wie der Mann mit schlurfenden Schritten eintrat und ihr einen prüfenden Blick zuwarf.

<<Geht es Ihnen besser?>>, fragte er ohne sie weiter zu beachten und legte eine große Pizzaschachtel auf dem Tisch ab. Aber er spürte ihre Blicke in seinem Nacken. Und diese Blicke waren keinesfalls nur ängstlicher Natur. Um Gleichgültigkeit bemüht, holte er zwei Teller aus dem Schrank und stellte diese ebenfalls auf dem Tisch vor sich ab. <<Ich hoffe, Sie mögen Schinken und Pilze?>> Thea nickte kurz. <<Gut. Ich wusste nicht, was Sie sonst so zu sich nehmen. Also dachte ich, Pizza mag jeder. Kommen Sie. Setzten sie sich. Sie müssen etwas essen.>> Der Mann wirkte jetzt fast schon fürsorglich. Wieder überkam sie das Gefühl, ihn zu kennen.

Reiß dich zusammen! Denk nach. Du weißt, wie es geht. „

Entschlossen, aber mit bebendem Atem, gehorchte Thea und setzte sich auf einen gegenüberliegenden Stuhl.

<<Sie müssen umkommen vor Hunger>>, sagte er und öffnete die Pappschachtel. Thea hatte ihre Hände in ihrem Schoß vergraben und folgte jeder seiner Bewegungen. Ein großes Stück Pizza landete auf ihrem Teller. Der Appetit war ihr schon vor einigen Stunden vergangen und hatte sich bisher auch noch nicht wieder eingestellt. Trotzdem zwang sie sich eine kleine Ecke in den Mund und schluckte den Bissen mit Widerwillen herunter. Der Mann hatte bereits ein komplettes Tortenstück verputzt und war gerade dabei, sich ein weiteres auf seinen Teller zu laden. Doch plötzlich hielt er inne und lehnte sich kauend zurück. Seine Blicke ruhten auf ihr und wogen tonnenschwer auf ihren Schultern. Auf einmal fühlte sich Thea provoziert. Wütend schlug sie mit der flachen Hand auf die Tischplatte.

<<Sagen Sie mir endlich, was Sie von mir wollen>>, brüllte sie ihn an. Mit zufriedener Miene schluckte der Mann den letzten Bissen herunter und spitzte die Lippen.

<<Ich denke, damit wäre der Knoten wohl geplatzt>>, antwortete er und richtete sich wieder auf.

<<Was?>>

<<Ich hatte damit gerechnet, dass ich länger brauchen würde, um Sie aus der Reserve zu locken.>> Er zuckte mit den Achseln. <<Einseitige Gespräche sind nicht so mein Ding, wissen Sie.>>

<<Schön>>, fauchte Thea. <<Unterhalten wir uns. Darüber zum Beispiel, warum Sie mich entführt haben. Oder darüber, warum ich gegen meinen Willen hier festgehalten werde. Ach ja. Und diese ganze Inszenierung hier. Halten Sie mich für so naiv, dass ich Ihnen diese fürsorgliche Nummer abkaufe?>>

<<Ich kann verstehen, dass Sie aufgewühlt sind>>, antwortete er ruhig und aß weiter von seiner Pizza.

<<Das beruhigt mich ungemein>>, sagte sie sarkastisch.

Beruhige dich wieder. Sonst zieht er dich nur auf sein Niveau herab“, dachte sie. „ Du bist ihm überlegen. Besinn dich auf deine Stärken.“

<<Nochmal. Sie haben von mir nichts zu befürchten, solange Sie keine Dummheiten machen, Frau Doktor. Und das meine ich auch so.>>

<<Und genau den Punkt verstehe ich nicht>>, sagte sie nun eine Spur leiser. <<Ich würde Ihnen ja gerne glauben, aber Sie besitzen eine Waffe. Noch dazu tragen Sie keine Maske, um Ihr Gesicht vor mir zu verbergen. Ihnen muss doch klar sein, dass ich Sie jederzeit erkennen könnte. Und das wäre ein unkalkulierbares Risiko.>>

<<Ich verberge mein Gesicht nicht vor Ihnen, weil es für mich keinen Sinn ergibt.>> Er schaute kurz auf und betrachtete ihr ausgesprochen schönes Profil, an dem auch die mächtige Beule nichts ändern konnte. <<Es ist ganz einfach. Was mit mir geschieht, ist nicht weiter von Bedeutung. Kurz gesagt, es ist mir egal.>>

Thea sank der Mut. Aus Erfahrung wusste sie, dass es sehr schwierig werden würde, diesen Menschen davon zu überzeugen, dass er im Begriff war, eine Dummheit zu begehen.

Entweder war der Mann sterbenskrank oder von Selbstmitleid so zerfressen, dass das Leben wirklich keinen Sinn mehr für ihn machte. Vielleicht sogar beides.

<<In dem Fall, können Sie mir doch sagen, um was es geht.>>

<<Um ihrer selbst willen, Frau Doktor. Es ist besser, wenn Sie es nicht wissen. Jedenfalls noch nicht. Nur so viel. Man hat mir etwas genommen. Etwas, dass ich nie wieder zurückbekommen werde.>>

<<Dann geht es hier um Rache?>>

<<Nein. Eher um Gerechtigkeit. Ich finde, das klingt angenehmer. Und dabei wird mir Ihr Freund helfen.>> Er schob seinen Teller beiseite und stand auf. Ungläubig schaute sie ihm hinterher.

<<Lassen Sie Nik daraus. Er hat in den letzten Monaten genug durchgemacht.>>

<<Weiß ich. Und ob Sie es glauben oder nicht, gäbe es einen anderen Weg, würde ich ihn gehen.>> Aus dem Rucksack, den er zuvor an der Tür hatte stehen lassen, holte er ein Handy und seine Waffe heraus. Dann kehrte er zurück und legte beides auf den Tisch. Thea versteifte sich automatisch beim Anblick der Glock. <<Er möchte mit Ihnen reden. Beruhigen Sie ihn. Sagen Sie ihm, dass es Ihnen gut geht. Mehr verlange ich für den Moment nicht. Sollten Sie allerdings versuchen, mich reinzulegen oder Ihrem Freund etwas sagen, was mir nicht gefällt…>> Er ließ den Satz offen und legte seine rechte Hand auf die Waffe. <<Haben wir einen Deal?>>, fragte er und hob eine Augenbraue.

Ihr Herz stolperte. Sie hatte immer noch keine Ahnung, was der Mann von ihr verlangte. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als erst einmal mitzuspielen. Sie musste Zeit herausschlagen. Vor allem aber musste sie irgendwie sein Vertrauen gewinnen. Resigniert gab sie nach.

<<Ich sehe, was ich tun kann>>, sagte sie und hielt ihm die flache Hand entgegen.

<<Sie haben eine Minute. Nutzen sie die Zeit sinnvoll>> sagte er, wählte eine Nummer und wartete geduldig, bis das Gespräch angenommen wurde. <<Hier ist jemand, der mit Ihnen sprechen möchte. Fassen Sie sich kurz, Dr. Berger.>>

Er stellte das Gerät auf Lautsprecher und legte das Handy in die Mitte des Tisches. Mit der Waffe in der Hand ließ er sich gegen die Lehne fallen und schaute auf seine Uhr.

<<Nik?>>

<<Gott. Ich bin so froh deine Stimme zu hören. Hat dieser Scheißkerl dir etwas angetan?>>

<<Nein. Nein, es geht mir gut.>> Unsicher hob sie den Blick und sah, dass er zufrieden nickte. <<Sei unbesorgt, ich werde gut behandelt.>>

<<Ich weiß einfach nicht, was hier gespielt wird und warum man dich entführt hat, aber ich werde alles tun, um dich so schnell wie möglich nach Hause zu holen.>>

<<Das weiß ich. Nur bitte versprich mir, dass du keine unüberlegten Dinge tust.>> Wieder der kurze Blick zu ihm.

<<Hab keine Angst. Es wird alles gut. Ich liebe dich.>>

<<Ich liebe dich auch.>>

<<Die Zeit ist um>>, unterbrach der Mann, griff nach dem Handy und stellte den Lautsprecher aus. <<Sie werden morgen ein Päckchen erhalten, Dr. Berger. Darin finden Sie alle wichtigen Informationen, die Sie benötigen. Bis dahin verhalten Sie sich ruhig und warten ab, bis Sie wieder etwas von mir hören>>, sagte er und beendete das Gespräch.

<<Zufrieden?>>, flüsterte Thea.

<<Durchaus. Aber ich muss zugeben, dass ich für einen kurzen Augenblick gedacht habe, Sie würden es sich anders überlegen und mir in den Rücken fallen.>> Erneut stand er auf und ging zu seinem Rucksack.

<<Und wie soll es jetzt weiter gehen?>>, fragte sie.

<<In dem Vorratsschrank hier drüben, finde Sie alles, was sie brauchen. Konserven, Wasser und so weiter.>>

<<Sie gehen?>>

<<Ja. Ich muss noch ein paar Dinge erledigen. Sie sind erst einmal auf sich gestellt.>>

<<Was haben sie vor?>>

Er seufzte und hielt inne. <<Sie geben nicht auf, was.>> Sie sah, dass er mit sich rang. Und sie fühlte, dass tief in seinem Innern, ein liebevoller Mensch vorhanden war. Kein unmoralisches Monster, das im Stande war, einen Menschen zu entführen und vielleicht sogar zu töten. <<Ruhen Sie sich aus. Und wenn Ihnen langweilig wird… >> Er nickte in Richtung des kleinen Bücherregales in der Ecke. <<Dort finden Sie bestimmt etwas für sich.>> Den Türgriff bereits in der Hand, schaute er ein letztes Mal über seine Schulter. <<Tun Sie mir den Gefallen und essen Sie was, solange es noch warm ist. Ach ja. Und bevor ich es vergesse. Auch wenn ich nicht da bin, ich habe Sie im Auge. Abhauen ist sowieso zwecklos. Sie würden sich hier hoffnungslos verlaufen. Und wir wollen ja schließlich nicht, dass Ihnen etwas zustößt, nicht wahr?>>

Бесплатный фрагмент закончился.

399
477,84 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
390 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783748589228
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают