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IV.
RALEIGH, NORTH CAROLINA

Für einen Südstaatler war Koshers Überfall natürlich kein echter Barbecue-Raub. Schließlich würde nur ein verblendeter Nordstaatler ein Grillsteak als »Barbecue» bezeichnen. Die genaue Bedeutung dieses Worts ist im Süden Anlass für endlose Diskussionen, und eigentlich müsste jede umfassende Definition beinhalten, dass es sich bei Barbecue um ein Gericht handelt, um dessen genaue Definition endlos gestritten wird. Um dem Begriff gerecht zu werden, müssen an dieser Form des Kochens aber in jedem Fall Fleisch, Holzfeuer, Rauch und ein gewisses Maß an Zeit beteiligt sein. Abgesehen davon variiert die Bedeutung des Begriffs von Bundesstaat zu Bundesstaat und sogar von County zu County. Über meinem Schreibtisch hängt eine Karte mit dem Titel »Die Balkanstaaten des Barbecue«, auf der in eine Karte von North und South Carolina die Umrisse von fünf unterschiedlichen Barbecue-Bezirken eingezeichnet sind: hier das ganze Schwein, dort die Schulter, östlich dieser Grenzlinie nur Essig, westlich davon nur Tomatensoße und im Süden und Osten Senfsoße.

Und das sind nur die Carolinas. Die Rippchen aus Tennessee oder die geräucherten Bruststücke aus Texas sind auf der Karte gar nicht erst verzeichnet, denn das ist ja Rindfleisch, und kein Bewohner der Carolinas würde sich je dazu herablassen, Rind als Barbecue zu bezeichnen. All diese Barbecue-Nationen sehen in den Praktiken der anderen einen Frevel, und es versteht sich von selbst, dass die gegenseitigen Beschimpfungen der Grillmeister ausgesprochen kreativ sind. Eine der gängigsten rhetorischen Strategien ist es, die Gegner mit einem halbherzigen Lob schlechtzumachen. Als ich einen Texaner einmal um sein Urteil zur gegrillten Rinderbrust eines Kollegen bat, räumte er in seinem lang gezogenen texanischen Akzent ein, sie sei zwar »gaaanz guuuut« gewesen, aber nicht »zum-Niederknien-gut«.

Die großzügigste Definition von Barbecue, die mir bei meinen Recherchen untergekommen ist, versucht all diese regionalen Differenzen zu umgehen und stammt von Sy Erskine, einem schwarzen Grillmeister aus Alabama. Das leidige Soßenthema übergeht er diplomatisch, weist dafür aber auf die sakramentalen Aspekte des Barbecues hin. »Barbecue«, so beschrieb er es einem Journalisten, »ist eine mystische Verbindung aus Feuer, Rauch und Fleisch, bei der Wasser völlig fehlt.«5 Dieser weit gefassten Definition würden die meisten Südstaatler sicher zustimmen. Es gab aber noch etwas, worüber man sich einig war, nämlich dass meine Vorstellung von einem Barbecue – also die eines Nordstaatlers, der nicht einmal wusste, ob der Begriff das Grillen, das Gerät, das Gericht oder die passende Soße meinte – absolut falsch war. Aber ich war nun schon lange genug in North Carolina, um zumindest so viel zu wissen: Barbecue ist ein Nomen (kein Verb, auch wenn es im Englischen als solches verwendet wird, to barbecue), und es bezeichnet entweder ein gesellschaftliches Ereignis oder das Essen, das dabei zubereitet und serviert wird.

Bislang hatten sich meine Barbecue-Erfahrungen in den Südstaaten aufs Zuschauen und aufs Essen beschränkt. Obwohl ich es schon probiert hatte, war ich noch bei keinem echten Barbecue dabei gewesen. Also verließ ich Ayden mit dem Ziel, zumindest ein paar Geheimnisse des Barbecues zu lüften, indem ich Lehrling eines Grillmeisters wurde, und das nicht in einer Küche, sondern bei einem richtigen Barbecue. Ich wollte nicht mehr zuschauen, ich wollte selbst grillen.

Bevor ich nach North Carolina gekommen war, glaubte ich, einiges über das Grillen zu wissen, schließlich mache ich es zu Hause ja andauernd. Wie für die meisten amerikanischen Männer ist das Braten von Fleisch über offenem Feuer auch für mich eine meiner bedeutendsten häuslichen Pflichten. Und wie die meisten bin auch ich sehr gut darin, diesen im Grunde genommen simplen Vorgang als eine derart heikle Sache zu verkaufen, dass meine Frau Judith das Grillen eines Steaks inzwischen für mindestens genauso einschüchternd hält wie das Wechseln des Zahnriemens am Auto.

Es ist schon bemerkenswert, wie viel hanebüchener Schwachsinn im Norden und im Süden zum Thema Barbecue verbreitet wird. Keine andere Form des Kochens kann da mithalten. Warum das so ist, bleibt schleierhaft. Wahrscheinlich ist Grillen im Grunde so einfach, dass die Freunde des Grillens es mit einer guten Portion Mystik und vorgegaukelter Komplexität aufwerten wollen.

Es könnte aber auch daran liegen, dass Grillen hauptsächlich von Männern praktiziert wird, die zur Selbstinszenierung neigen. Ich für meinen Teil spiele mich gerne mit meinem besonderen Talent auf, genau feststellen zu können, wann ein Grillstück fertig ist. Dafür drücke ich einen Finger kurz in das Fleisch auf dem Grill und anschließend in unterschiedliche Bereiche meines Gesichts. Fühlt sich das Steak an wie meine Wange, ist es blutig, entspricht der Druck meinem Kinn, ist es medium, und fühlt es sich an wie meine Stirn, ist es durch. Diese Technik habe ich einem Fernsehkoch abgeschaut, und sie funktioniert. Man hat dadurch nicht nur einen praktischen Vergleich, sondern es ist auch eine wunderbare Methode, um das Publikum zu blenden. Judith glaubt inzwischen, ihr Gesicht wäre für den »Fleischtest« nicht so gut geeignet.

Das ist also eine richtig gute Masche. Glaubte ich zumindest, bis mir jemand verriet, dass sich die meisten Frauen beim Grillen absichtlich dumm stellen, denn so übernehmen ihre Männer wenigstens diesen Teil des Kochens.

Das Barbecue-Sandwich im Skylight Inn hatte mich überzeugt, dass meine Definition eines Barbecues tatsächlich fehlerhaft war und die Kunst des Grillens weit über meine bisherigen Kenntnisse hinausging. Die hatten sich im Wesentlichen darauf beschränkt, Fleisch auf einen knallheißen Grill zu werfen und dann wissend mit dem Finger hineinzupieksen. Ich brauchte einen Grillmeister, der mich als Souschef arbeiten ließ, oder was immer die Entsprechung für diesen Posten bei einem Barbecue auch war. James Howell war zu einsilbig und verschlossen, als dass er mein Mentor hätte werden können, und die Familie Jones schien auch nicht gerade begeistert davon, dass ich mir in ihrer Grillhütte die Finger schmutzig machte (oder verbrannte).

Doch schon am nächsten Tag trat durch eine Fügung des Schicksals der geeignete Grillmeister in mein Leben. In meinem Terminkalender war ein Interview mit einem berühmten Barbecue-Mann vermerkt, der in Raleigh, North Carolina, ein Restaurant namens The Pit betrieb. Er hieß Ed Mitchell, und schon bevor ich nach North Carolina geflogen war, hatte ich einiges über ihn gehört. Nachdem er 2003 bei der ersten Big Apple Barbecue Block Party in New York das Publikum mit einem ganzen gegrillten Schwein begeistert hatte, war sein Bild sogar auf der Titelseite der New York Times. Inzwischen kannte man Ed Mitchell im ganzen Land: Er war immer wieder im Fernsehen zu sehen, die Southern Foodways Alliance hatte unter anderem seine Lebensgeschichte dokumentiert, und mehrere überregionale Zeitschriften, wie beispielsweise Gourmet, hatten ihn porträtiert.

Das alles machte mir nicht gerade Hoffnung, aus diesem Kerl mehr als ein paar geschliffene Sentenzen herauszubekommen. Auf den Fotos sah er aus wie der geborene Showman: ein großer schwarzer Nikolaus in Jeansoverall und mit Baseballkappe. Die Tatsache, dass in seinem Restaurant Wein ausgeschenkt wurde und es einen Parkservice gab, machte mir ebenso Sorgen, wie dass ein Spaßvogel das Restaurant in seinem Blog als »Barbecue-Zoo« abqualifiziert hatte. Mir war allerdings zu Ohren gekommen, dass Mitchell am darauffolgenden Wochenende bei einem Wohltätigkeits-Barbecue in Wilson ein Schwein grillen wollte. Wilson war Mitchells Heimatstadt und weit weg von diesem angeblichen »Zoo« in Raleigh. Sollte sich Mitchell als halbwegs sympathisch erweisen, wollte ich ihn also fragen, ob ich bei diesem Barbecue als Helfer assistieren dürfte.

••••••••••

Ed Mitchell ist wohl der erste Grillmeister der Geschichte, bei dem man einen Termin nur mit Voranmeldung bekommt. Bevor ich mit ihm sprechen konnte, musste ich die Leute bei Empire Eats kontaktieren, einer in Raleigh ansässigen Restaurantkette, der auch The Pit gehört (oder zumindest 51 Prozent). Die Gründe für diese Besitzverhältnisse waren kompliziert: Ed Mitchell musste sein ursprüngliches Restaurant in Wilson, Mitchell’s Ribs, Chicken & Barbecue, nach einem Rechtsstreit mit seiner Bank und dem Bundesstaat North Carolina schließen. Er hatte es versäumt, diverse Steuern zu überweisen, und war daraufhin im Jahr 2005 wegen Unterschlagung verklagt worden. Später erfuhr ich, dass Mitchell glaubte, seine rechtlichen und finanziellen Probleme seien »inszeniert« worden. Letztendlich blieb es bei einer Anklage wegen Steuerhinterziehung, aber Mitchell verbrachte dennoch einige Zeit im Gefängnis und die Bank kündigte ihm den Kredit für sein Restaurant. Nach seiner Entlassung kam Greg Hatem, ein junger, ortsansässiger Immobilienhändler auf ihn zu, der im Begriff war, Raleighs etwas totes Stadtzentrum wiederzubeleben. Hatem hatte erkannt, dass man die Leute nur dann wieder ins Zentrum locken konnte, wenn dort ein paar gute Restaurants eröffneten. Ed Mitchell schien ihm der geeignete Kandidat: einer der berühmtesten Barbecue-Männer des Landes, derzeit vom Pech verfolgt und ohne Bühne. Hatem schlug ihm eine Partnerschaft von 51 zu 49 Prozent vor. Ed sollte das Restaurant und die Grills am Laufen halten, und Hatems Leute sollten den kaufmännischen Teil übernehmen – ganz offensichtlich Eds Achillesferse. The Pit sollte eine neue Art von Barbecue-Restaurant werden: ein Lokal mit gehobenem Ambiente, angenehmer Beleuchtung, Weinkarte und Parkservice.

Viele in der Barbecue-Branche hatten Zweifel an diesem Konzept. Im Internet las ich die vernichtende Einschätzung, man habe den großartigsten Grillmeister der Südstaaten in einen Barbecue-Zoo gesperrt, und ein anderer Skeptiker meinte, Ed Mitchell wäre zum Colonel Sanders [Gründer der Fast-Food-Kette Kentucky Fried Chicken. A.d.Ü.] des Barbecues geworden. Erneut und drängender denn je schien The Pit die schwierige und viel diskutierte Frage nach der Authentizität des Barbecues aufzuwerfen. Dennoch ließ sich nicht leugnen, dass das viel geschmähte Konzept sich bewährte. Das Restaurant war sowohl mittags als auch abends brechend voll, und selbst die Zehn-Dollar-Grenze für ein Barbecue-Sandwich war erfolgreich durchbrochen worden.6

Als ich Ed dann endlich am Telefon hatte, hatte ich den gleichen Eindruck wie bei den anderen erfahrenen Grillmeistern, mit denen ich gesprochen hatte: Die Barbecue-Sprüche sprudelten nur so aus ihm heraus, als hätte ich einen Hydranten aufgedreht. Was das Grillen von Schweinen anging, war Mitchell überaus konservativ, und seine Ansichten dazu waren rigide. Das Wörtchen »authentisch« ließ er in jedem dritten oder vierten Satz fallen. Daran hatte ich mich hier in North Carolina zwar schon gewöhnt, dennoch stellte sich mir die unbequeme Frage: Kann Authentizität sich ihrer selbst so bewusst und dabei immer noch authentisch sein?

Allmählich beschlich mich der Verdacht, das Barbecue sei zu einer Art Spiegelkabinett geworden. Mitchell war nur noch das Abbild einer im Norden gefeierten Südstaaten-Barbecue-Kultur, wie sie von Gastrojournalisten, Kulturwissenschaftlern und der Southern Foodways Alliance, die sich voll hinter Ed Mitchell gestellt hatte, gefeiert wurde. Das erklärte möglicherweise auch Mitchells Angewohnheit, von sich selbst in der dritten Person zu sprechen: »Und danach ging es mit dem alten Ed Mitchell nur noch bergauf …« Mitchell sprach vom Pit als seiner neuen »Bühne«. Er und Greg Hatem wollten das Grillen von ganzen Schweinen salonfähig machen, ein bisschen »trendiger« und trotzdem »authentisch«. The Pit hatte einen zweiten Küchenchef, und in mir keimte bald der Verdacht, dass Ed inzwischen erheblich mehr schwadronierte als grillte.

Wenn Ed seine eingeübten Phrasen drosch, stellte er die aufgesetzte gute Laune eines Staubsaugervertreters oder Predigers zur Schau. Und dennoch hatte dieser Mann etwas Aufrichtiges. Man spürte eine echte Leidenschaft fürs Grillen, für Menschen, und unter all dem Gerede über Authentizität schimmerte etwas durch, das tatsächlich authentisch wirkte.

Obwohl mir die PR-Leute der Restaurantgruppe davon abgeraten hatten, fragte ich Ed nach der Grillveranstaltung in Wilson. Vielleicht würde sie ja tatsächlich so langweilig werden, wie man mir prophezeit hatte – »Ich muss Sie warnen, das wird ein sehr langer heißer Tag, an dem sie hauptsächlich auf einem Parkplatz herumsitzen.« Vermutlich ging es aber eher darum, dass das Restaurant im Mittelpunkt stehen sollte. Für meine Ziele erschien die Aktion jedoch perfekt geeignet. Ed hatte vor, mithilfe seines jüngeren Bruders Aubrey in seiner Heimatstadt ein paar Schweine zu grillen. Freitag Abend wollte er auf den Grills seines alten Restaurants damit beginnen und die Tiere dann am Samstag auf transportablen Grills auf einem Parkplatz fertig grillen. Ich fragte ihn also, ob ich helfen könnte.

»Warum nicht? Komm einfach mit runter, dann finden wir schon eine Arbeit für dich. Ich werd’ dir zeigen, wie der alte Ed Mitchell ein ganzes Schwein grillt.«

••••••••••

Freitag Nachmittag traf ich mich mit Ed Mitchell im Pit für die Fahrt nach Wilson. Der Grillmeister war nicht in seiner Küche. Er war im Speiseraum und ließ sich gerade mit einem Gast fotografieren. Offensichtlich war das im Pit so üblich. Ed war ein Bär von einem Mann. Er hatte die Statur eines Linebackers – tatsächlich besuchte er die Fayetteville State University mit einem Football-Stipendium – und bewegte sich sehr behäbig. Inzwischen war der Linebacker dreiundsechzig und schob einen beachtlichen Bauch vor sich her. Sein kohlrabenschwarzes Mondgesicht umrahmte ein schneeweißer Bart. Bekleidet war er mit einer steifen Jeanslatzhose und einer Baseballkappe, sein Markenzeichen. Nachdem er mit dem Restaurantgast fertig war, bat er einen Kellner, von uns beiden auch gleich ein Foto zu schießen, und mit den Armen um die Schulter des anderen sahen wir aus wie alte Freunde.

Auf unserer Fahrt nach Wilson in einem der Lieferwagen von The Pit erzählte er mir die »Ed Mitchell Story«, wie er sie selbst nannte. Es war das reinste Déjà-vu-Erlebnis. Ed erzählte, und ich hätte mehr als einmal schwören können, einen Satz exakt so irgendwo schon einmal gehört zu haben. Was auch zutraf. Ich hatte diese Sätze im Vorfeld in einer der beiden Dokumentationen über ihn gelesen. Die nun folgende Version der »Ed Mitchell Story« schöpft daher aus beiden Quellen: aus meinem Interview mit ihm und aus diesen Dokumentationen,vor allem der der Southern Foodways Alliance.

Barbecues waren nie Teil von Eds Lebensplan gewesen, aber weil er der älteste von drei Jungs war, zwang ihn seine Mutter Doretha, kochen zu lernen. In Eds Jugend arbeitete sie zuerst in einer Tabakfabrik und später als Hausangestellte eines Tabakindustriellen in einem der herrschaftlichen Häuser im Westen Wilsons. »Ich hasste es, wenn ich zu Hause bleiben und für meine Brüder kochen musste. Und wie! Kochen war doch nichts für Jungs. Aber ich war ein Muttersöhnchen, schon immer, und meine Mama bestand darauf.«

Ein Barbecue grillen war etwas anderes. Das war Männerarbeit, denn gegrillt wurde nur zu besonderen Anlässen wie Weihnachten, an Feiertagen oder bei einem der »Quartalstreffen«, an denen die Familie zusammenkam. Ed erinnerte sich noch, wie er mit vierzehn Jahren sein erstes Schwein grillte. Er empfand es als Privileg, mit den anderen Männern der Familie stundenlang am Grill zu stehen.

»Besonders wichtig bei einem Barbecue war der schwarzgebrannte Schnaps. Die Männer durften im Haus nicht trinken. Aber ein ganzes Schwein musste ja draußen gegrillt werden, und es dauerte die ganze Nacht. Die perfekte Gelegenheit also, die Flasche kreisen zu lassen.« Das Besondere am Schweinegrillen war für Ed nicht das Essen, sondern die Gelegenheit, am Feuer zu sitzen, zu reden und die Kameradschaft unter Männern zu genießen. Das Essen war fast nur ein zufälliges Nebenprodukt dieses Rituals.

Nachdem er an der Fayetteville State University ein paar Jahre lang American Football gespielt hatte, wurde Ed zur Army eingezogen und diente achtzehn grauenvolle Monate in Vietnam. Wieder zu Hause setzte er sein Studium fort und machte 1972 seinen Abschluss. Er wurde bei der Ford Motor Company eingestellt und nahm an einem Minderheitenförderungsprogramm für Autohändler teil. Nach seiner Ausbildung in Michigan schickte Ford ihn nach Waltham, Massachusetts. Dort arbeitete er zwölf Jahre lang als Regionalleiter des Kundenservice, bis sein Vater erkrankte und er beschloss, nach Wilson zurückzukehren und seinen Eltern zur Seite zu stehen.

Eds Eltern hatten damals einen kleinen Lebensmittelladen im Osten der Stadt, und als sein Vater 1990 starb, ging es mit dem Geschäft schnell bergab. Jeden Tag begleitete Ed seine Mutter zum Laden und holte sie abends wieder ab. Eines Mittags schaute er im Laden vorbei und fand seine Mutter dort völlig niedergeschlagen vor. Er fragte sie, was los sei, und sie antwortete ihm: »Ich bin jetzt schon den ganzen Tag hier und habe nur siebzehn Dollar eingenommen. Und davon zwölf in Essensmarken.«

»Ich wollte sie ein bisschen aufheitern, also fragte ich: ›Was möchtest du zu Mittag essen?‹ Sie überlegte kurz und sagte: ›Ich weiß, was ich will. Ich habe Lust auf ein richtig altmodisches Barbecue.‹ Mir war klar, was sie damit meinte, also ging ich zum Supermarkt, kaufte ein kleines Schwein, so um die fünfzehn Kilo, und für fünf Dollar Eichenholz. Damit das Barbecue das richtige Aroma kriegte. Dann legte ich das Schwein drei Stunden auf den Grill. Als das Fleisch gar war, hackte ich das Schwein klein, Mama würzte es, und wir setzten uns mit unserem späten Mittagessen hinters Haus.

Während wir unser Barbecue genossen, kam jemand in den Laden und wollte ein paar Hotdogs. Mom und Dad hatten das damals im Angebot, aber als der Mann das Fleisch sah, fragte er: ›Sie haben auch Barbecue Mrs. Mitchell?‹ Meine Mutter schaute zu mir herüber. Ich hatte den Mund voll und konnte nicht sprechen, aber ich nickte, ›uhum‹. Ich dachte mir, Mom muss jetzt ein bisschen Geld einnehmen, also warum nicht, verkaufen wir dem Mann doch was von dem Barbecue! Sie machte ihm ein paar Sandwiches, und der Mann zog zufrieden ab.

Als ich abends wiederkam, um sie nach Hause zu begleiten, war meine Mama ganz aufgeregt. Seit Dad gestorben war, hatte ich sie nicht mehr so glücklich gesehen. Ich fragte sie, woher ihr Stimmungsumschwung kommt, und sie sagte: ›Heute habe ich richtig Geld verdient. Ich habe das komplette Barbecue verkauft.‹ Ich konnt’s nicht glauben. Aber anscheinend war der Mann mit seinen Sandwiches rausgegangen und hat jemandem davon erzählt, und der hat dann wieder jemand anderem davon erzählt, und so hat sich die Neuigkeit wie ein Lauffeuer verbreitet, bis das ganze Barbecue verkauft war.

Als wir den Laden abends zusperrten, kam noch ein Fremder an die Tür.

›Mr. Mitchell?‹ Ich dachte, der Kerl wollte uns vielleicht ausrauben, also verstellte ich meine Stimme und sagte mit Bassstimme: ›Ja, wer ist da?‹ – ›Oh, ich wollte bloß fragen, ob noch was von dem Barbecue da ist.‹ – ›Nein, heute sind wir ausverkauft, aber morgen gibt’s wieder welches.‹

Und so kam es, dass Ed Mitchell im Barbecue-Geschäft landete. Der liebe Gott hatte mich zu dem zurückgeführt, womit ich angefangen hatte: kochen für meine Mama.«

Binnen weniger Monate lösten sie den Lebensmittelladen auf und bauten ein paar Grills ein. Ed überredete James Kirby, einen älteren Grillmeister aus dem Ort, sein Rentnerdasein aufzugeben, ihn an den Grills zu unterstützen und ihm dabei die traditionellen Techniken beizubringen. »In den späten Neunzigern gab es das traditionelle Barbecue, so wie wir es machen wollten, nämlich schon gar nicht mehr. Es war mit der Umstellung auf die Gasgrills verschwunden. Aber zwischen einem Barbecue, das auf einem Holzfeuer oder auf Holzkohle gegrillt wurde, und einem Gasgrill-Barbecue ist ein Riesenunterschied.« Mr. Kirby war ein Purist der alten Schule, der sich ganz dem Grillen auf offenem Feuer verschrieben hatte, und er hatte etliche Tricks auf Lager, die er Ed beibringen konnte. Dazu gehörte auch eine Technik, die er »schichten« nannte.

Beim ersten großen Schwein, das Mr. Kirby und Ed auf den Grill legten, ging Ed davon aus, sie würden die ganze Nacht wach bleiben und das Feuer bewachen müssen. Er hatte sogar einen Vorrat an belegten Broten und Kaffee mitgebracht. »Aber als wir das Schwein aufgelegt hatten und ich es mir für die Nacht bequem machte, stand Mr. Kirby auf, setzte seinen Hut auf und ging zur Tür. Ich fragte ihn, wohin er wolle.

›Du kannst ja gerne die ganze Nacht hier rumhocken, aber ich gehe nach Hause.‹ Er erklärte mir, wenn man die Kohle richtig aufschichtet, das heißt, sie strategisch auf dem Rost verteilt, und anschließend alles gut abdichtet, würde das Schwein die Nacht über leise vor sich hin brutzeln, ohne dass man Kohle nachlegen muss.

Ich hab in dieser Nacht trotzdem kein Auge zugetan. Ich war überzeugt davon, dass uns das Schwein den ganzen Laden abfackeln würde. Aber als ich um vier Uhr morgens zurückkam und den Grill aufmachte, um nach dem Schwein zu sehen, traute ich meinen Augen nicht. Ein hübscheres Schwein hast du noch nie gesehen! Es war wunderbar honigfarben und das Fleisch so zart, dass es buchstäblich von den Knochen fiel.« Mr. Kirby lehrte Ed also die Feinheiten des Kohleaufschichtens und wie man eine Schwarte in knusprige Kruste verwandelt.

Es dauerte nicht lange, bis Mitchell’s Ribs, Chicken & Barbecue sich einen Namen gemacht hatte und in Wilson, einer 50 000-Seelen-Stadt an der Interstate 95 – laut Touristeninformation »auf halber Strecke zwischen New York und Miami« –, die ersten Gastrojournalisten und Wissenschaftler auftauchten. Diese Aufmerksamkeit hatte eine erstaunliche Wirkung auf Ed.

Sie veränderte sein Bild von sich selbst und dem, was er tat, in einer Weise, wie es wohl nur möglich ist, wenn man sich aus einer neuen Außenperspektive erlebt. Das Jahr 2001 markierte einen Wendepunkt in Eds Leben: David Cecelski, ein Historiker der Duke University in Durham, hatte Ed Mitchells Lebensgeschichte zu Papier gebracht. Es war zwar nur eine Rohfassung dessen, was Sie gerade gelesen haben, aber die eigene Geschichte schwarz auf weiß vor sich zu haben, half Ed, sich selbst mit anderen Augen zu sehen.

»Ich dachte immer, was ich hier mache, wäre einfach nur altmodisches Barbecue, ein Teil unseres Lebens hier, aber überhaupt nichts Besonderes. Mir war nie ganz klar gewesen, dass es auch Teil der gesamten afroamerikanischen Geschichte ist, unser Beitrag sozusagen. Und das fühlte sich sehr gut an.«

Ed Mitchell wurde sich der gesellschaftlichen Rolle seines Barbecues bewusst, was sich noch verstärkte, als er 2002 von der Southern Foodways Alliance zu einem der führenden Grillmeister für ganze Schweine im östlichen North Carolina gekürt wurde. Die Alliance ist ein 1999 ins Leben gerufenes Programm der University of Mississippi, das sich unter der Leitung des Historikers John T. Edge mit der Dokumentation und dem Erhalt der Essgewohnheiten in den Südstaaten beschäftigt. Edge war aufgefallen, dass das Gesprächsthema Essen eine gute Möglichkeit war, um auch problematischere Aspekte der Geschichte der Südstaaten anzuschneiden. Denn über Essen konnten die Südstaatler seit jeher reden und streiten, gerade auch dann, wenn es unbequemer war, über irgendetwas anderes zu sprechen oder zu streiten. »Das Essen«, so erklärte mir Edge, »ist für den Süden eine der Möglichkeiten zur Aufarbeitung seiner Rassenprobleme.«

Edge hatte Mitchell im Oktober 2002 an seine Universität eingeladen, um bei einem Symposium über Barbecue zu sprechen. »Wir fuhren also runter nach Oxford in Mississippi, und dort wurden mir die Augen geöffnet.« Grillmeister von überall waren gekommen, die das gesamte Spektrum der unterschiedlichen Traditionen vertraten, aber auch Wissenschaftler und Journalisten. In den einzelnen Foren ging es um die Geschichte, die Techniken und die regionalen Varianten des Barbecues. »Dieses Symposium war sehr lehrreich für mich. Mir wurde bewusst, dass das alles weit über Wilson, North Carolina, hinausging. Es gab da eine landesweite Bewegung, die sich mit Barbecue beschäftigte, einer Sache, die ich eigentlich für die normalste der Welt gehalten hatte. Ich habe dort gelernt, dass das, was ich mache, seinen Platz im großen Ganzen hat, dass Barbecue ein wichtiger afroamerikanischer Beitrag zur amerikanischen Kultur ist und ich selbst ein Teil davon bin. Das war sehr aufregend für mich, und es machte mich stolz, sehr stolz.«

Southern Foodways verkauft die Geschichte des Barbecues gerne als einen bedeutenden afroamerikanischen Beitrag zur Kulturgeschichte Amerikas. Das einzige Problem ist nur, dass die meisten Vertreter des Südstaaten-Barbecues heute Weiße sind, so wie die Familie Jones in Ayden. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass schwarze Grillmeister wie James Howell im Hinterhof arbeiten. Ed war eine Ausnahme: ein Schwarzer, dem die Grills, an denen er arbeitete, auch gehörten – zumindest bevor er in finanzielle Schwierigkeiten geriet. Ed Mitchell war für die Southern Foodways Alliance deshalb mindestens genauso wichtig wie die Foodways Alliance für Ed Mitchell.

Die Grillmeister waren eingeladen, auf dem Symposium ihre Spezialitäten zuzubereiten und diese dann von einer Jury aus Gastrojournalisten bewerten zu lassen. Grillwettbewerbe sind in den letzten Jahren ein wichtiger Teil der Barbecue-Kultur geworden. Ed erzählte mir, der Laster mit seiner Ausrüstung sei damals in Tupelo falsch abgebogen und Stunden zu spät eingetroffen. »Alle anderen hatten schon ihre schicken Grill-Gerätschaften aufgebaut, also diese Dinger mit Schutzdach und Hochglanzlack und so. Manche von denen müssen Tausende investiert haben! Und alles war jetzt gespannt, was für eine Ausrüstung Ed Mitchell wohl hat, die war aber noch nicht aufgekreuzt. Dann bog der Laster, ein riesiger Sattelschlepper, endlich auf den Hof ein, und alle dachten, da kommt jetzt was richtig Tolles raus. Ich rollte also meine Ausrüstung die Ladeklappe runter, und die bestand aus nichts weiter als drei rostigen alten Grillfässern. Das war’s! Alle haben gelacht.

Aber mehr habe ich nie gebraucht. Ich habe mein Schwein gegrillt, ein bisschen schneller als sonst, weil wir ja so spät angefangen hatten, und als es fertig war, habe ich das Fleisch ausgelöst, zerhackt und gewürzt. Die Schwarte habe ich zurück auf den Grill gelegt, damit sie knuspriger wird. Später habe ich sie dann in ganz kleine Stückchen gehackt und alles gut gemischt. Und siehe da, die Leute, die probiert haben, redeten darüber, und dann kamen wirklich alle angerannt, um mein Barbecue zu testen. Sie stürmten uns die Bude! Man hätte meinen können, wir hätten gerade das Rad erfunden. Unsere Ausrüstung war zwar nicht beeindruckend, aber sie lieferte das beste Ergebnis.

Und von da an ging es mit dem guten alten Ed Mitchell nur noch bergauf.« Ed verließ das Oxford Symposium als der bekannteste Grillmeister Amerikas.

••••••••••

Damals grillte Ed, genau wie die Familie Jones, noch handelsübliches Schweinefleisch. Jetzt war er aber in eine Welt vorgedrungen, in der es auf die Herkunft des Fleischs ankam. Auf dem Symposium hatte er den Gastrojournalisten Peter Kaminsky kennengelernt, der damals an seinem Buch Pig Perfect über alte Schweinerassen arbeitete, und der aus Brooklyn stammende Autor hatte ihn behutsam darauf hingewiesen, dass Eds Barbecue vielleicht nicht ganz so authentisch war, wie es sein könnte.

»Peter Kaminsky sagte mir, den Leuten seien drei Dinge wichtig: eine traditionelle Zubereitung, ein von einem Schwarzen geführtes Restaurant und Schweine, die auf traditionelle Weise gezüchtet werden. Mitchell’s Ribs, Chicken & Barbecue hatte nur zwei davon zu bieten.«

Kaminsky verschaffte Ed ein Exemplar einer alten Schweinerasse, die unter freiem Himmel gehalten wurde. »Ich kann nur sagen, schon beim ersten Bissen war ich hin und weg. Das war der Geschmack meiner Kindheit: süß, saftig und sehr, sehr gut – sogar ungewürzt.«

Kaminsky stellte Mitchell auch ein paar Leuten an der North Carolina A&T State University in Greensboro vor, die einige schwarze Farmer, die meisten von ihnen ehemalige Tabakbauern, dabei unterstützten, alte Schweinerassen zu züchten und sie im Freiland ohne Hormone oder Antibiotika aufzuziehen. Nach einem sehr aufschlussreichen Besuch in einem industriellen Schweinezuchtbetrieb war Mitchell gerne bereit, diese neue/alte Form der Schweinezucht in North Carolina zu unterstützen. Eine von John T. Edge mitorganisierte Veranstaltung in Oxford, bei der Barbecue aus Freilandschweinen mit Barbecue aus in Massentierhaltung produziertem Schweinefleisch verglichen wurde, bekräftigte ihn in diesem Entschluss. Indem er für diese Schweine in seinem Restaurant Werbung machte und andere Barbecue-Restaurants davon überzeugte, es ihm gleichzutun, konnte er etwas für die kleinen Bauern North Carolinas tun, die sich seit dem Niedergang des Tabakanbaus kaum über Wasser halten konnten.

»Peter hat mich auf diese Idee gebracht«, sagte Ed. Auch in diesem Fall waren wieder die Wirkungsmechanismen der Foodways Alliance am Werk: Ein jüdischer Autor aus Brooklyn trägt zur Wiederherstellung der Authentizität des Südstaatenbarbecues bei. Ed hatte deren Projekt inzwischen ganz zu seinem eigenen gemacht: »Bei dieser Art zu kochen geht es um Gemeinschaft. Man muss sich aufeinander verlassen können. Auch die Farmer, die das Fleisch züchten, und die kleinen Schlachthäuser, die es verarbeiten, gehören dazu. Dieses Gefühl für unsere Verflochtenheit und gegenseitige Abhängigkeit war uns abhandengekommen.«

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9783888979897
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