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Als Nächstes zeigte mir Ed, wie man die Schwarte knusprig bekam. Auf der einen Seite war sie zwar schon schön braun, auf der anderen aber noch wie Gummi und weiß von Fett. Ich streute mehrere Hände voll Salz auf die fettige Seite, legte die Schwarte wieder auf den Grill, und Ed drehte die Hitze hoch. »Du musst sie immer wieder umdrehen, sonst verbrennt sie dir«, warnte er mich. »Wenn sie sich nicht mehr biegen lässt und Blasen wirft, ist sie fertig.« Also drehte ich den großen Lappen mit einer langen Zange mal auf die eine und dann wieder auf die andere Seite. Das dauert seine Zeit, und die Hitze war unerträglich. Nicht nur die Sonne quälte mich, sondern vor allem die Höllendämpfe, die mir bei jedem Öffnen der Grills entgegenschlugen, machten mir zu schaffen. Und dann, ganz plötzlich, war die Schwarte nicht mehr elastisch, sondern hart wie Glas. Kruste!

Ich brachte die Schwarte zum Hauklotz, und nachdem sie leicht abgekühlt war, bearbeitete ich sie mit dem Beil. Wir wurden jetzt regelrecht belagert. Die Leute wussten, was eine gute Kruste war, und wollten nicht warten, bis wir sie verteilten. Die Frage »Kann ich was von der Schwarte haben?« hörte ich sicher mehrere Hundert Mal. »Ist in Arbeit, kommt schon, keine Panik.« Bei der kleinsten Berührung mit dem Hackbeil zersplitterte die spröde Kruste in winzige Stückchen, die ich händeweise zum Fleisch gab. Genau das hatte noch gefehlt: perfekt! Aubrey gab seinen Segen: Das Barbecue war fertig.

Inzwischen war ich schweißgebadet und hatte zu kämpfen, dass der Schweiß von meiner Stirn nicht aufs Fleisch tropfte. Aber es machte Spaß, der reinste Adrenalinrausch. Man behandelte uns wie Rockstars, uns alle drei, nicht nur Ed. Diese Menschen liebten Barbecue, und wir hatten Barbecue – plus der wertvollen Kruste. Wir konnten ihnen geben, wonach sie förmlich lechzten. Derjenige, der ein wildes Tier aufs Feuer legt und es dann an die wilden Esser weiterreicht, erwirbt eine gewisse ursprüngliche Macht – Grundkurs Anthropologie. Doch in diesem Moment konnte ich diese Macht spüren, und das war ein ziemlich gutes Gefühl.

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Die Nacht zuvor hatte ich in meinem Zimmer im Holiday Inn zum Einschlafen das Buch zweier Altphilologen aus Frankreich und Belgien gelesen: Die Opferküche im alten Griechenland. Das Wort »Barbecue« tauchte darin natürlich nicht ein einziges Mal auf, aber je mehr ich über die Bedeutung des Opfermahls im alten Griechenland las, umso mehr begriff ich, was Ed mit der »Macht« dieses Gerichts meinte. Inzwischen bin ich überzeugt, dass auch heute noch bei jedem Barbecue kleine Rauchfetzen eines rituellen Opfers über uns schweben – in abgeschwächter Form eigentlich bei jedem Stück Fleisch, das wir aufs Feuer legen.

Ich weiß nicht, wie es andere halten, aber bei Homer habe ich die langen Passagen über das Essen immer überblättert und mich dabei nie gefragt, weshalb es eigentlich so viele davon gibt oder weshalb sich Homer die Mühe gemacht hatte, all diese offensichtlich trivialen Kleinigkeiten so genau zu beschreiben: das Schlachten (»Rasch [den Stier] zogen sie ab … Schnitten behend in Stücke das Fleisch«), das Feuermachen (»Als nun die Loh’ ausgebrannt und des Feuers Blume verwelkt war, breitet’ [Patroklos] hin die Kohlen und richtet drüber die Spieße …«), das Verteilen des Mahls (»… und das Fleisch verteilet Achilleus), die Tischsitten (»Setzte sich dann entgegen dem göttergleichen Odysseus … und gebot, dass Patroklos den Göttern opferte«) und so weiter. Laut Die Opferküche im alten Griechenland hatte Homer allerdings triftige Gründe, sich in den Details dieser rituellen Mahlzeiten zu ergehen. Denn wie in so vielen anderen Hochkulturen vor und nach ihrer Zeit galt das Teilen von gebratenem Fleisch auch bei den alten Griechen als der Gemeinschaftsakt schlechthin. Das Opferritual richtig zu vollziehen war aufwendig und nicht nur von spiritueller Bedeutung, man verfolgte damit auch drei weltliche Ziele, die jedem, der einmal ein Barbecue veranstaltet hat, bekannt vorkommen dürften:

Das potenziell unzivilisierte Gebaren beim Essen von Fleisch verhindern, Menschen zusammenbringen und die soziale Stellung der ausführenden Priester festigen und erhöhen.

Der Verzehr von Tieren ist, zumindest für uns Menschen, seit jeher etwas Besonderes. Da Fleisch begehrt und schwer zu bekommen ist, wurde es zwangsläufig zu einem Status- und Prestigeobjekt, das dafür notwendige Töten macht das Essen von Fleisch moralisch und ethisch ambivalent, und die Zubereitung ist obendrein kompliziert. Bevor man Fleisch auf einem Feuer briet, gab es »Mahlzeiten« – so wie wir sie heute kennen – noch nicht. Wer rohe Lebensmittel erbeutet oder gesammelt hatte, verschlang sie wie die Tiere allein an Ort und Stelle. Hatte man zu viel, wurde möglicherweise geteilt, aber prinzipiell gehörte die Nahrung dem Finder, und war man hungrig, aß man sie. Mit dem Auftreten von Kochfeuerstellen änderte sich das jedoch.

Laut der französischen Archäologin Catherine Perlès ist ein kulinarischer Akt zwangsläufig ein gemeinschaftliches Projekt. »Mit dem Kochen endet die individuelle Selbstversorgung.« Allein um das Feuer nicht ausgehen zu lassen, war Zusammenarbeit unerlässlich. Das Kochfeuer brachte die Menschen an einem Ort zusammen und führte die bis dahin unbekannte soziale und politische Komplexität einer gemeinsamen Mahlzeit ein. Den Menschen verlangte das eine neue Form der Selbstbeherrschung ab: Geduld, bis das Essen fertig gegart war, und Kooperationsfähigkeit, wenn es darum ging, es zu verteilen. Der Konkurrenzkampf um das gebratene Fleisch erfordert klare Regeln.

Das erklärt vielleicht auch, weshalb sowohl bei den alten Griechen als auch im Alten Testament ausschließlich im Rahmen einer streng geregelten religiösen Feierlichkeit Fleisch gegessen wurde. Entweder es gab Anlass für ein rituelles Opfer, oder man aß Nüsse und Beeren zum Abendessen. Obwohl die Regeln dieser Rituale von Kultur zu Kultur und von Anlass zu Anlass verschieden waren, gab es eine Gemeinsamkeit: Für das Kochen und Essen von Fleisch musste es Regeln geben, je mehr, desto besser. Sie waren für den Verzehr von Fleisch so wichtig wie Salz, da über allem stets die beängstigende Vorstellung von Tieren schwebte, die andere Tiere essen: ungebremste Gier, Verrohung, Anarchie und, am erschreckendsten, Kannibalismus.

Leon R. Kass, ein Ethikexperte und Philosoph, schreibt über die Kaschrut, die jüdischen Speisegesetze: »Nicht alles Fleisch ist verboten, aber alles was verboten ist, ist Fleisch.« Das Regelwerk legt fest, welche Tiere gar nicht und welche Teile zulässiger Tiere nicht gegessen werden dürfen sowie welche anderen Nahrungsmittel zusammen mit den erlaubten Stücken zum Verzehr erlaubt sind oder nicht. Natürlich gibt es auch Regeln für koschere pflanzliche Nahrungsmittel, aber keine dieser Regeln ist ein striktes Verbot. Die alten Griechen waren, was Fleisch anbelangt, mindestens genauso regeltreu und pedantisch wie die Juden. Für ein Opfer durften nur domestizierte Tiere ausgewählt werden, der Verzehr von Blut war verboten (genau wie in den Kaschrut), und das Portionieren des Fleischs musste nach einem ausgefeilten Protokoll erfolgen.

Die Regeln eines Opferrituals boten aber nicht nur Schutz vor diversen Formen der Verrohung, sondern förderten auch die Gemeinschaft. In Die Opferküche im alten Griechenland wird das griechische Ritual als »nährende Mahlgemeinschaft« beschrieben. Der gemeinsame Verzehr eines nach vereinbarten Regeln zubereiteten Tiers stärkt das Gemeinschaftsgefühl einer Gruppe.8 Und wie bei jedem anderen Opferritual steht auch beim Kochen das Teilen im Mittelpunkt.

Viele, wenn nicht gar die meisten Kommentare zum Alten Testament halten die Regeln der Kaschrut heute für mehr oder weniger willkürlich, auch die meisten Anthropologen sehen das so. Obwohl man mir in meiner Kindheit etwas anderes erzählt hatte, ist Schweinefleisch nicht weniger gesund als anderes Fleisch. Doch wie unbegründet solche Verbote auch sein mögen, sie schaffen ein Gefühl der Verbundenheit, eine kollektive Identität: Wir sind die, die kein Schweinefleisch essen. Viele Regeln für Opferrituale im dritten Buch Mose erscheinen unsinnig, betrachtet man sie nicht unter genau diesem Gesichtspunkt: als Ausdruck des sozialen Zusammenhalts. Eine Regel schreibt beispielsweise vor, dass das Fleisch vor Ende des zweiten Tages verzehrt werden muss. Damit wird sichergestellt, dass es nicht von einem Einzelnen gehortet, sondern unter der Gruppe aufgeteilt wird. Unter diesem Aspekt erscheinen auch die komplizierten Regelwerke der verschiedenen Schulen des Südstaaten-Barbecues in einem anderen Licht: Es sind Regeln für »Mahlgemeinschaften«, die das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe stärken und ihr helfen, sich zu definieren. Bei einem Barbecue, bei dem ein ganzes Schwein gegrillt wird, kommt dieser Gemeinschaftssinn besonders stark zum Ausdruck, denn das Fleisch wird unter den Essern nach einem streng demokratischen Prinzip verteilt: Jeder bekommt von allem etwas. Man teilt sich nicht nur das Tier, sondern selbst die Teile des Tiers werden geteilt, die erlesenen wie die nicht ganz so feinen. Die meisten Barbecue-Regeln, die festlegen, welche Tiere, Tierteile, Soßen, Brennmaterialien oder Feuer akzeptabel sind und welche nicht, sind jedoch im Grunde ebenso willkürlich wie die Kaschrut-Gesetze. Es sind Regeln um der Regel willen, die jeder rationalen Begründung entbehren und nur einem Zweck dienen: die eigene Gruppe zu definieren und sich von anderen abzugrenzen. Wir sind die, die nur Schultern auf Hickoryholz grillen und Senf in unsere Barbecue-Soße geben. Verbote wuchern da wie Unkraut. Kein Propangas, keine Holzkohle, keine Tomaten, keine Rippchen, kein Huhn, kein Rind.

»Also ist Barbecue eine Kaschrut für Gois«, stellte ein Freund lakonisch fest, als ich mich abmühte, ihm die feinen Unterschiede zwischen den einzelnen Glaubensgemeinschaften des Südstaaten-Barbecues zu erklären. Der häufigste Satz, den ich bei meinen Interviews mit Grillmeistern von den Carolinas bis hinunter nach Texas und Tennessee zu hören bekam, war der, den alle sofort brachten, wenn die Sprache auf die Grillrituale anderer Stämme kam: »Okay, aber ein Barbecue ist das nicht.« Ganz gleichgültig, um welches Grillgut oder seine Zubereitung es ging: Es entsprach nicht den traditionellen Regeln der eigenen Gruppe. Es war nicht koscher.

Der dritte Zweck eines rituellen Opfers besteht darin, die Stellung der Priester oder der Adelsklasse zu festigen und sie zu erhöhen. Insofern unterscheidet sich das Ritual nicht von jeder anderen politischen Institution: Es geht an erster Stelle um den eigenen Machterhalt. Männer, die ein rituelles Opfer ausführen – das Tier töten, es ausnehmen, braten und das Fleisch schließlich verteilen –, genießen hohes Ansehen. In der griechischen Antike kochten für gewöhnlich Frauen oder Sklaven, es sei denn, es gab Anlass für ein rituelles Mahl, den Beginn oder das Ende eines Feldzugs, die Ankunft eines hohen Gasts oder ein anderes, historisch bedeutendes Ereignis. Dann gebührte die Ehre des Kochens den Männern. Odysseus, Patroklos und Achilleus standen selbst am Feuer, und das schadete ihrem Ansehen in keinster Weise. Im Gegenteil, die Zubereitung eines Festmahls stärkte ihre Position. Auch im ersten Buch Mose dient das Regelwerk dazu, die Autorität des ausführenden Priesters zu untermauern. Es wird sogar genau festgelegt, welches Stück Fleisch dem Priester zusteht. Bibelforscher gehen davon aus, dass die Vorschrift, bei jedem Opferritual müsse Fleisch gegessen werden, die Stützung des Priesterstands durch die Gemeinschaft sicherte – indem sie ihn verpflegte.

Grillmeister, die am Hauklotzaltar ihr Barbecue würzen, selbst Familienväter, die im Garten ihren Kugelgrill bewachen, schöpfen aus den letzten Überresten dieses uralten kulturellen Kapitals. Es erscheint wie ein Wunder und auch ein wenig absurd, dass dieses Kapital schon mehr als zweitausend Jahre Bestand hat. Man muss es den modernen Herrschern über Feuer, Rauch, Fleisch und hungrige Mäuler schon lassen, mit ihren Barbecues halten sie diese uralte Show gekonnt am Leben.

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Mein Soloauftritt auf der großen Barbecue-Bühne in Wilson sollte am Abend bei der zweiten Runde stattfinden. Aubrey war nur für zwölf Stunden bezahlt worden, und als es auf sechs Uhr zuging, verschwand er einfach. Ich konnte mich nicht einmal von ihm verabschieden. Als Höhepunkt des Abends waren ein Vortrag über Barbecue nebst einer Vorführung durch den Lokalhelden Ed Mitchell geplant. Solange er am Mikrofon war, würde ich also alleine am Hauklotz stehen. Ed schien das nicht weiter zu beunruhigen, und da mir niemand gesagt hatte, dass Aubrey den Dienst frühzeitig quittieren würde, hatte ich kaum Zeit, nervös zu werden.

Das authentische – wenn ich dieses Wort denn benutzen darf – Grillen eines ganzen Schweins kann unmöglich stundenweise bezahlt werden. Dass sich diese Art zu kochen, die einem so viel mehr Zeit als Arbeit abverlangt, in einer Gesellschaft, in der Lohnarbeit die Regel ist, überhaupt durchsetzen konnte, ist eigentlich unbegreiflich. Der Arbeitstakt eines Barbecues scheint für eher vormoderne Wirtschaftsformen wie die Feudalgesellschaft oder die Sklaverei sehr viel besser geeignet. Die Sklaverei und die im Süden herrschende Hitze erzeugten eine gewisse Langsamkeit, die man (wie Schweinefleisch und Holzrauch) als Grundzutaten der Südstaatenküche und -kultur im Allgemeinen sehen kann. »Südstaatler sind dafür bekannt, dass sie bestimmte Dinge langsam angehen«, erklärte Sy Erskin, ein Grillmeister aus Alabama, einmal einem Journalisten. »Das gilt auch fürs Kochen. Anstatt alles Mögliche schnell übers Feuer zu ziehen, setzen sie sich gemütlich hin und lassen dem Fleisch Zeit zu garen. So macht man das nur im Süden.«

Inzwischen weiß ich genau, was er damit meinte. Ed und ich hatten einen der zwanglosesten und trägsten Nachmittage miteinander verbracht, an den ich mich erinnern kann. Wir hatten um die Grills herumgehockt und -gestanden und dabei so gut wie absolut nichts getan, obwohl wir ja anscheinend »grillten«. Wir »ließen dem Fleisch Zeit zu garen«, langsam und stetig, und dabei gab es nun wirklich nicht viel zu tun.

Aber jetzt, wo die Gäste da waren und Ed die Bühne betreten hatte, steigerte sich das Tempo erheblich. Man könnte auch sagen, es wurde hektisch. Vor mir auf dem Hauklotz lag eine dampfende Schweinehälfte, und während Ed seinem Publikum das Grillen erklärte und seine Ausführungen mit Anekdoten würzte, löste ich mit meinen karikaturhaften schwarzen Propylenfingern Rippen und andere Knochen aus und trennte das Fleisch von der Schwarte. Danach verarbeitete ich, ein Hackbeil in jeder Hand, meinem Berg aus Schweineteilen zu grob gehacktem Schweinefleisch. Etwas Bauchspeck behielt ich zurück, um den Anteil an Fett und Feuchtigkeit ausgleichen zu können. Die Hackbeile waren schwerer, als sie aussahen, und die monotone Bewegung ermüdete meine Unterarme. Aubreys Barbecue hatte ausgesehen wie Schweinehack, eine einheitlich feine Masse. Ich beschloss, das Ganze ein bisschen gröber zu belassen, einerseits, weil mir die grobe Konsistenz besser gefiel, und andererseits, weil mir die Arme fast abfielen. Ed kommentierte jetzt mein Tun, und die Menge beobachtete genau, wie ich den riesigen Haufen Fleisch würzte. Zuerst vier Liter Essig, dann händeweise Zucker, Salz, Pfeffer und Chili, ausgesät auf den Fleischteppich wie Samen aufs Feld.

Ein Stimme in der Menge brüllte: »Vergiss bloß nicht die Schwarte!« Eine andere: »Genau, wir möchten was von der leckeren Kruste!« Glücklicherweise hatte Ed, bevor er die Bühne betrat, schon eine halbe Schweineschwarte gegrillt. Die hungrige Meute schien nicht gewillt zu warten. Ich zertrümmerte die spröde Kruste mit meinem Hackbeil und schaufelte einige Hände voll auf den Schweinefleischberg. Den Rest häufte ich auf Tabletts und gab sie den Bedienungen zum Herumreichen. Die Leute waren verrückt nach dem Zeug. Die dunkelbraunen Splitter aus Schweineschwarte schienen wichtiger zu sein als all das Bier und der Wein, die jetzt in Strömen flossen. Ich mag gar nicht daran denken, was passiert wäre, hätte ich die Kruste vergessen oder – Gott bewahre! – verbrannt.

VI.
MANHATTAN, NEW YORK CITY

Ein paar Wochen nach meinem Starauftritt in Wilson bekam ich die Gelegenheit, bei dieser Barbecue Road Show noch ein letztes Mal dabei zu sein, doch nun auf einer sehr viel größeren Bühne. Ed, Aubrey und ihre Mannschaft aus dem Pit fuhren nach Manhattan zur achten Big Apple Barbecue Block Party. Ed hatte mich eingeladen, nach New York zu kommen und ihnen ein wenig zur Hand zu gehen. Nach Wilson, North Carolina, klang das für mich wie eine Premiere am Broadway.

Manhattan ist nie eine Barbecue-Stadt gewesen. Das musste vor einigen Jahren auch der Gastronom Danny Meyer feststellen, nachdem er seine Liste gut gehender Restaurants in Manhattan um ein gehobenes Barbecue-Restaurant namens Blue Smoke erweitert hatte. Den New Yorkern fehlte einfach der Sinn für so etwas, und diejenigen, die etwas von Barbecue verstanden, waren skeptisch, ob ein solches Lokal wirklich authentisch sein konnte. Das brachte Meyer und seinen Geschäftsführer Kenny Callaghan 2003 auf die Idee, Amerikas beste Grillmeister für ein Wochenende nach New York einzuladen. Die Veranstaltung sollte den New Yorkern, die das geringste Pro-Kopf-Aufkommen an Gartengrills in ganz Amerika haben, zeigen, was ein »authentisches Barbecue« ist, und gleichzeitig dem Grillmeister des Blue Smoke einen Auftritt in Gesellschaft von so schillernden Barbecue-Persönlichkeiten wie Chris Lilly (Decatur, Alabama), Jimmy Hagood (Charleston, South Carolina), Joe Duncan (Dallas, Texas), Skip Steele (St. Louis, Missouri) und Ed Mitchell (Raleigh, North Carolina) ermöglichen. Fürs Blue Smoke sollte dabei ein bisschen Authentizität abfallen, und im Gegenzug konnten die geladenen Grillmeister tonnenweise Barbecue verkaufen und sich der überregionalen Presse präsentieren. Sieben Jahre später hatte New York offenbar Geschmack am Barbecue gefunden. Im Madison Square Park wurden zur achten Veranstaltung jedenfalls 125 000 Besucher erwartet, die sich zwei Tage lang um die Grills scharen und Barbecue für acht Dollar pro Sandwich probieren würden.

Ich kam früh am Samstagmorgen in New York an. Ed und seine Mannschaft hatten ihre Zelte, Grills und Hauklötze schon am südlichen Ende der 26. Straße aufgebaut, und gleich um die Ecke parkte auf der halben Länge eines Häuserblocks direkt auf der Fifth Avenue ein weißer achtzehnrädriger Traktoranhänger, von dessen Plane Ed Mitchells plakatgroßes Gesicht lächelte. Am Vorabend hatte man acht riesige Grillfässer, sechzehn Schweine, mehrere Tische und Hauklötze, Hackbeile, Schaufeln, säckeweise Kingsford-Holzkohle sowie unzählige Liter vorgemischter Barbecue-Soße abgeladen. Die Schweine hatten Ed und Aubrey um sechs aufs Feuer gelegt, und ein paar Jungs aus dem Restaurant hatten sie die ganze Nacht über bewacht. Noch nie hat es im Madison Square Park so gut gerochen. In die laue Luft des Frühsommerabends mischten sich die Düfte aus fünfzehn verschiedenen Barbecue-Grills.

Die Jungs waren schon an zwei Hauklötzen gleichzeitig zugange, und Aubrey überließ mir einen neben Eds erwachsenem Sohn Ryan. Es war erst elf Uhr morgens, aber schon jetzt sammelten sich die Menschen um uns, angezogen vom vielversprechenden Rauch und Eds gutem Ruf. Seit der ersten Big Apple Barbecue Block Party 2003 war Ed Mitchell hier die Hauptattraktion, schließlich war er der einzige Grillmeister auf der gesamten Veranstaltung, der ganze Schweine briet, und auch der einzige schwarze. Man konnte die Denkblase, die über der Menge an Eds Ecke des Madison Square Parks schwebte, förmlich sehen: »echtes Barbecue«.

Inzwischen kannte ich die Maloche, dachte ich zumindest, und fing gleich damit an, aus der lecker gebräunten Schweinehälfte, die mir Aubrey auf meinen Hauklotz gelegt hatte, das Fleisch auszulösen. Der Anblick eines ganzen Schweins auf einem Grill in den Straßen von Manhattan hatte etwas Überwältigendes: Hier schienen Welten und Zeiten aufeinanderzuprallen. Aber gleichzeitig gibt es wohl nichts, das sich in Manhattan nicht ins Bild fügen würde, und so dauerte es nicht lange, bis die Szenerie schon fast normal wirkte. Ich hatte mir eingebildet zu wissen, was zu tun war, allerdings stellte sich schnell heraus: Das hier war nicht Wilson, North Carolina – und ich war der Aufgabe nicht gewachsen. Punkt elf Uhr begann die Mannschaft des Pit mit dem Verkauf der Sandwiches. Der erste Schwung war so schnell ausverkauft, dass die Gruppe, die die Sandwiches belegte, immer lauter nach immer mehr Schweinfleisch schrie. Ich hackte, so schnell ich konnte, aber es gab Grenzen. Meine Arme fühlten sich an wie aus Gummi, trotzdem wollte ich sichergehen, dass keine Knochen- oder Knorpelstückchen im Fleisch waren, bevor ich den nächsten Berg Barbecue den Bedienungen überließ. Was, wenn jemand sich an einem Knochensplitter einen Zahn ausgebissen hätte? Manhattan mochte zwar das geringste Pro-Kopf-Aufkommen an Gartengrills in ganz Amerika haben, dafür aber mit Sicherheit die höchste Anwaltsdichte. Das Geschrei der Sandwich-Mannschaft ließ nicht nach. »Mehr Fleisch bitte! Wir brauchen hier mehr Fleisch!« Ich hackte, so schnell es meine Arme erlaubten, goss literweise Soße über den Fleischberg und suchte ihn dabei permanent nach weißen Teilchen ab. Wenn ich ein mit Barbecue bepacktes Tablett an die Sandwich-Mannschaft übergeben hatte, legte mir Aubrey sofort die nächste dampfende Schweinehälfte auf den Hauklotz, und es ging wieder von vorne los.

(Was mit der Kruste war? Gute Frage. Unser Fließband lief inzwischen so schnell, dass schlicht keine Zeit blieb, um die Schwarte knusprig zu braten und unters Fleisch zu mischen. Aber zum Glück kannten sich nur wenig Leute gut genug aus, um danach zu fragen, und selbst die wollten nicht darauf warten. An diesem Tag also keine Kruste.)

In den kurzen Momenten, in denen mir Zeit blieb, von meinem Hauklotz aufzuschauen, konnte ich einen Blick auf den großen, runden, schwarz-weißen Kopf von Ed Mitchell erhaschen, der mit den Leuten plauderte. Die Menge schien glücklich, aber unersättlich. Hinter dem Absperrband, das sich die 26. Straße hinunterschlängelte, warteten mehrere Tausend Menschen auf ihr Barbecue-Sandwich, sehr viele mehr, als wir je würden verköstigen können. Ich verdoppelte meine Hackgeschwindigkeit und arbeitete in einem derart wahnsinnigen Tempo, dass meine Kleidung sich mit dem in alle Richtungen spritzenden heißen Fett vollsog (ganz zu schweigen von anderen Qualitätsproblemen, die allmählich auftraten). Und dann spürte ich plötzlich, dass sich ausgerechnet meine Füße nass und heiß zugleich anfühlten. Ein Blick nach unten machte mir klar, dass der siedend heiße Fleischsaft am Hauklotz hinunterlief und meine Turnschuhe und Socken durchtränkte. Aubreys Angebot, meinen Platz zu übernehmen, war die reinste Erlösung.

Dankbar zog ich mich von der Gluthitze der Grills zurück und brachte etwas kühle Luft zwischen mich, den Rauch, das spritzende Fett, die hungrige Meute und das Gebrüll der Sandwich-Mannschaft (»Mehr Barbecue! Wir brauchen hier mehr Barbecue!«). Ich sah Ed, wie er sich gelassen durch ein Meer von New Yorkern bewegte und Interviews gab, kam aber nicht nahe genug an ihn heran, um mich zu verabschieden. Eds Show, die nie glamouröser war als in Manhattan, verzauberte das Volk, und er hatte sichtlich Spaß daran, sich in New York City als Barbecue-Star feiern zu lassen. Diese unbeschwerte Szenerie hatte aber auch etwas Unheilvolles. Das Barbecue würde niemals für alle reichen. Was würde also geschehen, wenn der Menge die Enttäuschung schwante?

Später habe ich dann erfahren, dass wir schon um ein Uhr mittags ausverkauft waren: acht ganze Schweine und dreitausend Sandwiches in weniger als zwei Stunden. Ed hatte den Leuten für den nächsten Tag mehr Barbecue versprochen, noch einmal acht Schweine, und sie waren zu anderen Ständen abgewandert, um sich dort ein Sandwich zu holen. Da war ich aber längst weg, froh, der Menschenmenge und der Hitze entkommen zu sein.

Ich drehte eine gemütliche Runde durch den Madison Square Park und schaute mir die anderen Grills und Grillmeister an. Das hier waren die Vereinten Nationen des Barbecues, alle wichtigen Repräsentanten waren vertreten: South Carolina mit seiner exzentrischen Senfsoße, Memphis mit seinen Rippchen und Texas mit geräucherter Rinderbrust und Würstchen. Alle Grillmeister waren Männer, alle hatten markige Sprüche auf Lager, und viele hatten beeindruckende Ausrüstungen dabei. Jimmy Hagoods feuerwehrroter Doppeldecker-Barbecue-Grill auf Rädern aus Charleston war aber ganz besonders beeindruckend: Ebenerdig gab es eine voll ausgestattete Küche mit sechs Grills, und über eine Wendeltreppe kam man nach oben zu den Tischen. Von Jimmy erfuhr ich, dass er, bevor er sein Talent zum Grillmeister entdeckte, als Versicherungsvertreter in Charleston gearbeitet und sich in seinem Job zu Tode gelangweilt hatte. Seine neue Berufung war ihm aber offensichtlich noch nicht ganz in Fleisch und Blut übergegangen, denn die frühere Bürotätigkeit klang noch immer durch. »Man muss an seiner Persönlichkeit arbeiten«, erklärte er mir. »Man nennt das Marketing.«

Von der oberen Plattform auf Jimmy Hagoods Wagen hatte man einen fantastischen Blick über das ganze Festival. Ich holte mir ein kaltes Getränk, setzte mich und ruhte mich ein bisschen aus. Barbecue, so weit das Auge reichte, Zehntausende Menschen, die sich mit ihren Papptellern voll Schweinerippchen oder Barbecue-Sandwiches einen Weg durch duftende Schwaden von Hickoryrauch bahnten. Wie viele Jahre mag es wohl her sein, seit New York so viele Schweine gesehen hat – schätzungsweise wurden der Menge an diesem Wochenende mehr als dreihundert Schweine geopfert – oder so viele offene Holzfeuer?

Manhattan war heute eine gastronomische Weltstadt, doch die Art und Weise, wie sich diese Barbecue-Experten hier präsentierten, hätte der eines typischen New Yorker Küchenchefs nicht unähnlicher sein können. In einer Stadt, in der sich Köche als Künstler verstehen und Restaurantgäste nichts mehr lieben als neue Geschmackserfahrungen, erschien die unkomplizierte Welt der Grillmeister, die keine Ironie oder Finessen kannte, recht altmodisch, um nicht zu sagen monumental. Alles so zu machen, wie es sich gehörte, galt mehr, als etwas Neues zu kreieren. Das Konzept der Kreativität war diesen Männern völlig fremd. Wie hätte man ein Barbecue denn noch verbessern sollen? Ihre Welt war das Draußen, eine vollständig ins Freie verlagerte Welt. Hier war alles hell erleuchtet und in den Vordergrund gerückt. Es gab zwar jede Menge Rauch, sicher, aber keine Schatten, keinerlei Feinheiten oder Nuancen. Die Grillmeister erschufen ihre Werke ausschließlich aus Holz, Feuer, Rauch und Fleisch, den Grundfarben der Kochkunst. Ihnen ging es nicht um Originalität oder gar Perfektion, sondern um Werktreue. Im Vergleich zu modernen Küchenchefs inszenieren sich Grillmeister weniger als individuelle Künstler, sondern vielmehr als Priester, jeder mit seiner eigenen Gemeinde und Liturgie. Sie arbeiten penibel nach überlieferten Methoden und verschmähen Neuerungen. Einer der Lieblingssprüche von Samuel Jones in Ayden war: »Unser Barbecue ist wie die King-James-Bibel.« Welcher Koch würde sich je mit so einem Satz rühmen? Was ihre Arbeit, ihr Essen und ihre Sprüche angeht, sind Grillmeister genauso formelhaft wie Homer. Sie präsentieren sich als übermenschliche, heroische Gestalten: eher Angeber als Egozentriker. Aber ihnen ist das Angeben erlaubt, denn sie sprechen nicht nur für sich selbst, sondern vertreten auch ein Ideal, oder besser gesagt: einen Stamm, der sich über ihren Barbecue-Stil definiert. Gegenüber einem Historiker der Southern Foodways Alliance äußerte Ed Mitchell einmal folgende Sätze, in deren Diktion er mehr als nur ein klein wenig King-James-Bibel legte: »Ich bin der Herr über die Flammen, und keiner soll aus einem Schwein Würstchen machen, diese Würstchen grillen und sie dann Barbecue nennen, und keiner soll Rippchen aus dem Schwein nehmen und diese Barbecue nennen, und es soll auch keiner nur die Schweineschulter grillen und diese ein Barbecue nennen. Am Anfang steht das ganze gegrillte Schwein, und alles entsteht aus diesem Schwein.«

Das Image, das sich diese Männer zugelegt hatten, schien aus einer Zeit zu stammen, in der Romane noch nicht erfunden waren. Konnte es für diese überzeichneten Helden und die dramatische Inszenierung des Aufeinandertreffens von Schwein, Holzfeuer und Zeit eine bessere Bühne geben als Manhattan im 21. Jahrhundert? Von meinem Aussichtspunkt auf Jimmy Hagoods glänzend rotem Barbecue-Wagen ließ ich meinen Blick ein letztes Mal über den Madison Square Park gleiten und entdeckte dabei Ed Mitchells großen runden Kopf, der wie ein schwarz-weißer Mond über der Menge hing und das Meer der New Yorker Gesichter unter sich zum Leuchten brachte.

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