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Wir sprachen über Schlachthäuser, weil wir den Highway gerade Richtung Sims verlassen hatten, um bei George Flowers & Sons, einem kleinen fleischverarbeitenden Betrieb, unsere Schweine abzuholen. Als wir vorfuhren, saß Mr. Flowers persönlich draußen unter einem Baum und gönnte sich eine Zigarette. Er war ein drahtiger alter Weißer mit der ungewöhnlichsten Gesichtsbehaarung, die ich je gesehen habe. Wenn es denn überhaupt Gesichtsbehaarung war, das war nicht mit abschließender Sicherheit festzustellen. Denn Mr. Flowers’ beachtlicher, einst weißer, inzwischen vom Tabakrauch gelblich verfärbter Backenbart ging direkt über in seine ebenso beachtliche gelblich-weiße Brustbehaarung. Ich wollte ihn eigentlich nicht so anstarren, aber beides schien eine geschlossene Einheit zu bilden, eine wahrlich kühne Formation menschlicher Haartracht.

Mr. Flowers begrüßte Ed herzlich und zeigte uns anschließend seinen Betrieb, der nicht viel größer war als eine alte Tankstelle mit Werkstatt. Auf der Verladerampe stand ein Schild mit den Serviceangeboten und Preisen: Hirsch zerteilen 100 Dollar, Kuh zerlegen 150 Dollar, Barbecue-Schwein ausnehmen 18 Dollar. Im Inneren machten Flowers’ Söhne gerade sauber. Das Schlachten war für heute erledigt, und sie schoben das Blut mit Besen in die Abflüsse im Boden. In einem Behälter neben der Tür stapelten sich die abgetrennten Köpfe von Schweinen, Schafen und Rindern. Die Flowers-Jungs legten sich unsere Schweine über die Schulter, trugen sie nach draußen und warfen sie hinten in unseren Transporter.

Manchmal frage ich mich, wann der Prozess des Kochens eigentlich beginnt. Wenn man die Zutaten aus dem Kühlschrank nimmt und sie klein schnippelt? Oder bereits wenn man die Zutaten einkauft? Oder vielleicht sogar noch früher, nämlich wenn ein Tier eigens zum Essen gezüchtet, ins Schlachthaus gebracht und dort getötet wird? Im alten Griechenland war die Bezeichnung für Koch, Metzger und Schlachter die gleiche – magieros –, denn sie alle waren Teil eines Rituals. (Etymologisch hat das Wort dieselben Wurzeln wie der deutsche Begriff »Magie«.) Für Ed Mitchell jedenfalls begann das Kochen schon auf dem Bauernhof. Er war der Ansicht, bei einem wirklich authentischen Barbecue verdiene das Schwein mindestens genauso viel Aufmerksamkeit wie die Gewürze oder die Soße.

V.
WILSON, NORTH CAROLINA

Wir hielten vor dem Hintereingang des ehemaligen Mitchell’s Ribs, Chicken & Barbecue7 an der Ecke Singletary und 301 Highway South im schwarzen Teil Wilsons, wo uns Mitchells jüngerer Bruder Aubrey schon ungeduldig erwartete. »Aubrey ist immer zu früh dran«, erklärte mir Ed, »für ihn heißt pünktlich zu früh.« Er war ungefähr zehn Jahre jünger als Ed und eher untersetzt, ein lebhafter Mann, auf dessen breiter Brust ein schimmerndes Goldkreuz prangte. Ed stellte ihn mir als seinen unverzichtbaren zweiten Mann vor, als den Strippenzieher im Hintergrund und Vizepräsidenten des Unternehmens. »Er ist für mich das Gleiche wie Scottie Pippen für Michael Jordan.« Aubrey nahm diese Komplimente, die er ganz offensichtlich öfter hörte, gelassen.

Es war Zeit, mit dem Grillen anzufangen. Ed überwachte, wie Aubrey und ich die Schweine auf große Platten legten und sie wie auf einer Bahre in die Küche trugen. Das Waschbecken dort war groß genug für ein komplettes Schwein. Wir wuschen die Tiere mit Wasser ab und entfernten die Blutspuren und das überschüssige Fett. »Das Blut isst man einfach nicht«, erklärte Ed. Eine biblische Vorschrift: Blut ist die Seele des Tiers, und die gehört nur Gott allein. Die Schweine waren schwer, eine Hälfte wog ungefähr vierunddreißig Kilo, und nass extrem glitschig. Beim ersten Versuch, meine Seite nach dem Waschen aus dem Becken zu hieven, rutschte mir das Schwein aus den Händen, fiel auf den Boden, und wir mussten es noch einmal waschen. Ein etwas peinlicher Start meiner Barbecue-Karriere.

Die vier Grills nahmen die gesamte Länge der Küchenwand ein und sahen aus wie die Backsteingrills in Ayden, nur dass die Abdeckungen aus glänzendem Edelstahl und mit einem ausgefeilten Ventilationssystem für den Rauch versehen waren. Ed war sehr stolz auf seine Küchenausstattung. Mit einem zusätzlichen Belüftungssystem und einer Sprinkleranlage konnte er seine mit Holz befeuerten Barbecue-Grills sicher und legal auch in einer Restaurantküche betreiben – was, wie Ed behauptete, in North Carolina noch nie zuvor jemand getan hätte.

Ed genoss es, Anweisungen zu erteilen, und ließ mich machen. Ich habe nie herausgefunden, ob er tatsächlich das Potenzial zum Grillmeister in mir vermutete oder nur froh war, dass ihm jemand die schweren körperlichen Arbeiten abnahm. Er gab mir eine Schaufel und wies mich an, die Asche aus den Grills zu schippen. Wahrscheinlich stammte sie noch vom allerletzten Barbecue vor Schließung des Lokals 2004. Eds nächste Anweisung, in die Mitte jedes Grills zwei 10-Kilo-Säcke Holzkohle zu schütten, überraschte und enttäuschte mich. Er grillte mit Kingsford-Kohlen! – kleinen rechteckigen Kohleklötzchen, die aus Sägemehl und wer weiß noch was zusammengepresst wurden. Das sollte authentisch sein? Ed erklärte mir, Kingsford-Kohle brenne lange und langsam, und so könne er nachts ein bisschen schlafen. Aber sie hatte doch kein Aroma! Was war mit dem Holzfeuerrauch? »Wart’s ab.«

Nachdem ich die Briketts in der Mitte der Grills aufgehäuft hatte, schüttete Aubrey reichlich Brennflüssigkeit darüber, wartete kurz, bis sich die Kohlen vollgesaugt hatten, und warf dann ein Streichholz dazu, das augenblicklich eine imposante Feuersbrunst entfachte. Das war nun nicht gerade das ursprüngliche, naturwüchsige Feuer, nach dem ich hier auf der Suche war. Vielmehr musste ich an die vorstädtischen Gartengrillinfernos meiner Kindheit denken. Offensichtlich macht jeder so seine Kompromisse, sei es nun aus Kostengründen oder aus Bequemlichkeit. Wobei die Kompromisse der anderen natürlich in jedem Fall inakzeptabel und verabscheuungswürdig sind. In den jeweiligen Ansichten der Barbecue-Experten lassen sich gewisse Parallelen erkennen: Die Jones-Männer bezeichnen Mitchells Fertigholzkohle als einen traurigen Traditionsverfall, während Mitchell die Verwendung herkömmlichen Schweinefleischs als einen solchen bezeichnet. »Damit liegen die Jones-Männer wirklich zu achtzig Prozent daneben«, erklärte er mir.

Bis die Briketts richtig brannten und eine Glut entstand, führte mich Ed durch das Gebäude, das inzwischen teilweise an eine Frau mit einem Schnellrestaurant vermietet war. Es war ein verwirrendes Labyrinth aus Räumen, die nach und nach an den ehemaligen kleinen Laden angebaut worden waren. Der ziemlich kleine Ladenraum war jetzt das fensterlose Zentrum eines ausufernden Betonkomplexes. Stolz zeigte mir Ed im zweiten Stock einen Seminarraum, in dem er Barbecue-Seminare für angehende Grillmeister hatte abhalten wollen, die »Pig Bar«, in der Gäste einen Drink nehmen und dabei Ed oder Aubrey beim Zerkleinern der Schweine hatten zuschauen können, und den Speiseraum. Diesen zierte ein beachtliches Wandgemälde, auf dem die Geschichte des Barbecues in den Südstaaten dargestellt war: ein ambitioniertes Stück Volkskunst von mindestens fünfzehn Metern Länge, an dem eine autistische Küchenhilfe mehrere Jahre gemalt hatte. »Er wollte es für zehn Dollar machen«, erzählte mir Ed, »aber das schien mir zu wenig, also gab ich ihm zwanzig und bezahlte die Farbe.«

Ed war es sehr wichtig, dass ich mir alle Szenen genau ansah. Das Wandgemälde stellte einen Mythos zu den Ursprüngen des Barbecues in der traditionellen Tabakernte dar, sein übergreifendes Thema war die Gemeinschaft. Man sah mit Tabak beladene Wagen, Männer, die die großen Blätter abpflückten, Frauen, die sie auf lange Stangen zogen und zum Aufhängen in der Trockenscheune wieder an die Männer zurückreichten, und Hütten, in denen die Blätter über Holzfeuern geräuchert wurden. Weitere Szenen zeigten Männer, die im Freien Schweine schlachteten und die toten Tiere an Bäume hängten, Frauen, die aus Schmalz Würste und Seife herstellten, oder Männer, die an frische Gräber erinnernde Erdöfen aushoben und dabei Krüge mit schwarzgebranntem Schnaps herumreichten. Und schließlich die Schlüsselszene: Auf einer ausgedehnten Rasenfläche vor einem großen weißen Herrenhaus erstreckte sich im Schatten einer mächtigen Eiche eine unglaublich lange Festtafel, an der das Ende der Ernte gefeiert wurde. »Schau dir die Gesichter der Menschen an, die hier am Tisch sitzen: schwarz und weiß. Gemeinsam. Damals war die Tabakernte praktisch der einzige Zeitpunkt, zu dem das vorkam. Wir haben uns gegenseitig gebraucht, und alle wussten das, auch wenn danach wieder jeder seiner eigenen Wege ging. Egal ob man Baumwolle pflückte oder den Tabak einbrachte, es wurde gemeinsam gearbeitet und danach bei einem Barbecue gemeinsam gefeiert.«

Ed sprach von der Tabakernte, als hätte er sie in seiner Kindheit noch erlebt. Dabei galten seine nostalgischen Schilderungen einer Zeit, die bereits zur Legende verblasste, als er noch ein Junge war. Und seine Eltern waren 1946, kurz nach Eds Geburt, vom Land in die Stadt gezogen. Aber derlei Erinnerungen müssen nicht zwingend eigene Erlebnisse zugrunde liegen, um unser Leben zu prägen. Für Ed stellte das Wandbild den Inbegriff all dessen dar, was früher bei einem Barbecue wichtig war: Es verband die Menschen zu einer Gemeinschaft und überwand, wenn auch nur für kurze Zeit, die Rassenfrage. Und nach Eds Überzeugung tut es das auch heute noch.

»Ein ganzes Tier zu braten macht die Leute irgendwie glücklich. Gewöhnlich gibt es einen besonderen Anlass dafür, einen Grund zu feiern, es funktioniert jedenfalls immer. Ein Barbecue bringt die Menschen zusammen. Das hat es schon immer getan und wird es immer tun. Selbst in den Sechzigerjahren, während der Rassenunruhen, war ein Barbecue ein Ereignis, bei dem die Spannungen unwichtig wurden. Es spielte keine Rolle, wer man war.

In meinem Leben gab es nur zwei Dinge, die mich die Rassengrenzen vergessen ließen: Vietnam und Barbecue. Kein anderes Essen könnte so etwas leisten. Frag mich aber nicht, warum das so ist. Ich habe keine Ahnung.«

Ed wurde ein bisschen wehmütig, als er mich durch das Gebäude führte. Vieles sah aus, als habe man es in aller Eile zurückgelassen. Ich bat ihn, zu erzählen, wie es dazu gekommen war, dass er Mitchell’s Ribs, Chicken & Barbecue aufgeben musste.

Ed war fest davon überzeugt, dass seine offen geäußerten Ansichten zur industriellen Schweinezucht die Ursachen für seine Schwierigkeiten waren, auch wenn er es nicht beweisen konnte.

»2004 gaben wir hier in Wilson eine Pressekonferenz, und John T. war hergekommen, um auf ihr zu sprechen. Wir erzählten von dem A&T-Projekt mit den Farmern und auch von meinen Plänen, das von ihnen erzeugte biologische Schweinefleisch wieder ins Barbecue zurückzubringen. Damals dachte ich mir nichts dabei, aber zwei Männer, die ich nicht kannte, standen auf und fragten: ›Wollen Sie hier Ärger machen?‹ – ›Aber nein, ich will keinen Ärger machen.‹ – ›Und ob. Sie erzählen den Leuten gerade, dass sie meine Produkte nicht mehr kaufen sollen, und das ist nicht in Ordnung.‹«

Damit begannen Eds »inszenierte« Probleme. Nur wenige Wochen nach der Pressekonferenz ordnete der Bundesstaat eine Überprüfung seiner Bücher an, woraus sehr schnell offizielle Ermittlungen wurden. Es folgte eine Anklage wegen Veruntreuung, und die Bank kündigte wie aus heiterem Himmel eine Zwangsvollstreckung an. Ed war mit seinen Zahlungen tatsächlich im Rückstand, sowohl der Bank wie dem Staat gegenüber, doch das Tempo und die Härte, mit denen man gegen ihn vorging, wirkten verdächtig.

»In weniger als dreißig Tagen nach meiner Pressekonferenz war mein Laden dicht und ich war wegen Veruntreuung angeklagt. Die Anklageerhebung stand in jeder Zeitung und kam sogar im Fernsehen. Ich kann mir nur vorstellen, dass das alles inszeniert worden war, um Ed Mitchells Ruf zu ruinieren. Weil ich zum einflussreichen Fürsprecher eines alternativen Produkts geworden war.« Ed Mitchell war für den mächtigsten Industriezweig der Region, die industrielle Schweinezucht, zu einer Bedrohung geworden, und er stellte unbequeme Fragen, Fragen nach der Authentizität einer der stolzesten Traditionen der Südstaaten, dem Grillen ganzer Schweine.

Aber stimmte das wirklich? In Raleigh hatte ich auch mit Leuten gesprochen, die Ed seine Version nicht abkauften und die der Ansicht waren, er habe seine Schwierigkeiten einzig und allein seinen Zahlungsversäumnissen zu verdanken. Andere wiederum waren sich da nicht so sicher. John T. Edge beispielsweise hielt es für sehr wahrscheinlich, dass Ed das Opfer einer Kampagne geworden war, die ihn in Verruf bringen sollte. »Wir haben es hier mit einem schwarzen Bewohner North Carolinas zu tun, der behauptete, das beste Barbecue im ganzen Bundestaat zu machen, und obendrein auch noch für eine Alternative zur kommerziellen Schweinezucht warb. Ich bin mir sicher, in North Carolina gab es einige Leute, denen Ed Mitchell zu selbstbewusst geworden war und die ihm einen Dämpfer verpassen wollten.«

Seit dieser Zeit ist Ed jedenfalls bemüht, seine Rhetorik etwas abzumildern, wenn es um die Massentierhaltung geht. Er spricht lieber von seinem »bevorzugten Fleisch« als von den Missständen in der Agrarindustrie. Einen kleinen Sieg konnte er aber dennoch erringen: Ein Richter hat entschieden, die Bank habe bei der vorschnellen Kündigung des Kredits Fristen nicht eingehalten, und das Vorgehen sei »nicht ganz sauber« gewesen. Dieses Urteil half Ed allerdings auch nichts mehr. Mitchell’s Ribs, Chicken & Barbecue war Geschichte, und Eds Schwierigkeiten bilden wohl die traurige Ausnahme von der großartigen Regel, dass ein Barbecue Menschen immer vereint.

Zurück in der Küche waren die Kohlen fertig zum Grillen: rot glühend und mit einer weißen Ascheschicht überzogen. Ed drückte mir wieder die Schaufel in die Hand und zeigte mir, wie ich sie richtig aufschichten musste: Man legt unten im Grill eine ungefähr fünfzehn Zentimeter breite Linie, die grob entlang dem Umriss des Schweins verläuft. Nur unter der Schulter und der Keule, wo das Fleisch dicker ist und etwas mehr Hitze braucht, sollte die Kohlespur etwa doppelt so breit sein. Dann nahm Ed ein in Essig getränktes Stück Eichenholz und warf es auf die Kohlen. Dieses eine Holzscheit genügte, um für den Rauch zu sorgen, den das Schwein zur Aromatisierung benötigte. Audrey und ich packten die Roste, legten sie auf die Grills und hievten dann, Schwarte nach oben, die Schweine auf die Gitter. Umdrehen würden wir sie erst am nächsten Morgen. Ich wollte gerade die Abdeckungen über die Grills klappen, als Ed meine Hand festhielt.

»An dieser Stelle erweise ich den Schweinen immer Ehre. Sie haben sich geopfert, damit wir Menschen sie essen können, und das sollten wir würdigen.« Er gab jedem der Schweine einen liebevollen Klaps auf den Hinterschinken, in der Art, wie sich auch Sportler gegenseitig anerkennend auf den Hintern klopfen, senkte dann die Stahldeckel über die Schweine, verschloss die Belüftungslöcher, und das war’s. Für heute waren wir fertig.

Im Verlauf unserer Gespräche war Ed immer wieder auf die Feinheiten und Geheimnisse seiner Kunst zu sprechen gekommen. Mehr als einmal hatte er verschwörerisch auf »Geschäftsgeheimnisse« angespielt, um dies etwas später wieder zu bestreiten. »Es ist zwar harte Arbeit, aber wirklich kompliziert ist es nicht, ein gutes Barbecue zu machen.« Was wohl das größte und dunkelste Geheimnis von allem ist.

••••••••••

Am nächsten Morgen trafen wir uns um sieben wieder in der Küche. Man merkte sofort, dass sich hier etwas seit dem Tag zuvor verändert hatte. Der chemische Geruch der Brennflüssigkeit war verflogen und hatte dem verführerischen Aroma gebratenen Fleisches Platz gemacht. Unter den rostfreien Stahldeckeln war offensichtlich etwas sehr Angenehmes geschehen. Ich hob einen an und staunte ob der wundersamen Wandlung: Aus dem vormals schwabbelig-weißen, toten Tier war ein beträchtlich kleineres Stück Schweinefleisch geworden, mit einer kräftig dunklen Färbung und einem gewissen Muskeltonus. Die Schwarte war ein Traum: glänzend braun wie starker Schwarztee. Das Tier fühlte sich zwar noch etwas ledrig an, aber das Fleisch gab nicht mehr so leicht nach. Ich konnte es kaum erwarten, davon zu probieren, aber es war noch nicht ganz durch.

Was war über Nacht geschehen, dass sich diese mehr oder weniger geruchlosen, schlaffen Schweineklumpen in ansehnliches, köstlich duftendes Fleisch verwandelt hatten? Wie konnten ein paar brennende Kohlen und ein einziger Eichenholzscheit etwas, das man niemals essen würde – totes Schwein nämlich –, in etwas verwandeln, bei dem einem das Wasser im Munde zusammenlief?

Bei genauerem Hinsehen war einiges geschehen, sowohl chemisch als auch physikalisch. Ein Großteil des Wassers im Fleisch war durch die Hitze verdunstet, wodurch sich seine Konsistenz verändert und seine Aromen konzentriert hatten. Ein beachtlicher Teil der dicken Fettschicht unter der Haut war geschmolzen, auf die heißen Kohlen getropft und verdampft. Das gesamte Aromaspektrum dieses aufsteigenden Rauchs hatte sich auf die Fleischoberfläche gelegt und ihr weitere Aromaschichten hinzugefügt. Aufgrund der niedrigen Gartemperatur hatte hingegen ein Teil des Rückenfetts langsam das Fleisch durchdrungen. Dabei hatte es sowohl seinen vollen Geschmack an das ohne Fett recht geschmacksarme Muskelfleisch abgegeben als auch dessen Saftigkeit bewahrt. Auch die Muskelfasern selbst hatten sich verändert, indem die Hitze das sie zusammenhaltende Kollagen in Gallertmasse verwandelt hatte, was das Fleisch zusätzlich saftiger und zarter machte.

Aus chemischer Sicht hatte das Feuer einfache Strukturen in komplexe umgewandelt. Laut einem Lebensmittelchemiker, den ich zu diesem Thema befragte, verwandeln sich die im Fleisch enthaltenen Proteine, Zucker und Fette, sobald sie Feuer und Rauch ausgesetzt werden, in zwischen drei- und viertausend vollkommen neue chemische Komponenten. Es entstehen dabei komplexe, meist aromatische Moleküle, die sich aus einfachen Zucker- und Aminosäurebausteinen zusammensetzen. »Und das sind nur die bekannten Komponenten. Wahrscheinlich gibt es noch Hunderte mehr, die noch nicht identifiziert sind.« Insofern ist das Kochen, auch wenn es mit dem Aufbrechen von Strukturen beginnt, das Gegenteil von Entropie: Aus einfachen Gebilden entstehen neue, komplexe Molekularstrukturen.

Ursache hierfür sind verschiedene chemische Reaktionen, wobei die 1912 vom französischen Chemiker und Physiker Louis Camille Maillard entdeckte und nach ihm benannte Maillard-Reaktion eine der bedeutendsten ist. Maillard hatte herausgefunden, dass beim gemeinsamen Erhitzen von in Proteinen enthaltenen Aminosäuren und Zucker Hunderte neue Zusammensetzungen von Molekülen entstehen, die Aussehen und Geruch gegarter Lebensmittel verändern. Die Maillard-Reaktion ist verantwortlich für die Aromen von geröstetem Kaffee, frisch gebackenem Brot, Schokolade, Bier, Sojasoße und gebratenem Fleisch – eine unglaubliche chemische, aber auch geschmackliche Vielfalt, wenn man bedenkt, dass sie nur auf einer Handvoll Aminosäuren und ein wenig einfachem Zucker basiert.

Ein weiterer wichtiger chemischer Prozess, dem unsere Schweine über Nacht ausgesetzt waren, ist das Karamellisieren. Erhitzt man geruchlose Saccharose, bis sie braun wird, entstehen dabei über hundert neue aromatische Komponenten, die nicht nur nach Karamell duften, sondern auch an Nüsse, Früchte, Alkohol, Laub, Sherry und Essig erinnern.

Gemeinsam lassen diese beiden chemischen Reaktionen eine enorme Palette an Düften und Aromen entstehen. Es stellt sich jedoch die Frage, weshalb wir diese Vielfalt dem eher eintönigen Geschmack von rohem Fleisch vorziehen. Richard Wrangham meint, weil Menschen, denen die komplexen Aromen gekochter Nahrung zufällig lieber waren, evolutionär im Vorteil waren; sie haben mehr gegessen und daher auch mehr Nachwuchs gezeugt. Harold McGee, ein Autor, der sich unter anderem mit Ernährungswissenschaften befasst, hat dazu eine andere, ebenfalls interessante Theorie. In seinem 1990 erschienenen Buch The Curious Cook argumentiert er, viele der beim Bräunungsprozess entstehenden Aromen glichen oder ähnelten solchen aus der Pflanzenwelt, sie erinnerten an Blätter oder Gemüse, seien nussig, erdig, blumig oder fruchtig. Dass karamellisierender Zucker einige der gleichen Komponenten produziert, die man in reifen Früchten findet, ist kaum überraschend, da auch diese Zucker enthalten. Es ist jedoch erstaunlich, dass in etwas wie gebratenem Fleisch so viele Phytochemikalien – chemische Inhaltsstoffe von Pflanzen – enthalten sind.

»Diese scheinbar zufällige Durchmischung von Tierischem und Pflanzlichem, Rohem und Gekochtem ist hochinteressant«, schreibt McGee, und das ist sie tatsächlich. Andererseits ist es aber auch naheliegend, dass uns gerade diese Mischung anspricht. Die Aromen essbarer Pflanzen sind uns aus einer Zeit vertraut, in der wir noch nicht gelernt hatten zu kochen. Diese besonderen aromatischen Komponenten bilden eine Art universelle Sprache, in der sich die Spezies untereinander verständigen, ein wichtiges Kommunikationsmittel zwischen Pflanzen und Tieren. Auf bereits bekannte pflanzliche Aromen und Gerüche zu achten, war auch für uns Menschen ratsam, weil sie uns zu Essbarem lenkten und uns von Ungenießbarem fernhielten.

In der Natur entwickelten sich die Pflanzen zwangsläufig zu Meistern der Biochemie. Fest verwurzelt an einem Standort, entwickelten sie die Fähigkeit, mittels chemischer Prozesse diese Aromastoffe herzustellen, die sie zu den gleichen Zwecken einsetzen wie Tiere ihre Stimme, Bewegungsfähigkeit oder Sinne. Pflanzen produzieren Moleküle, mit denen sie andere Lebewesen warnen, abstoßen, vergiften oder auch anlocken – Bestäuber beispielsweise, die ihnen bei der Fortpflanzung beziehungsweise Vermehrung helfen, oder Säugetiere und Vögel, die ihre Samen über weite Strecken verbreiten. Sobald die Samen ausgereift und transportfähig sind, locken Pflanzen mit dem intensiven Geruch und Geschmack ihrer reifen Früchte Säugetiere an: Signale, auf die unsere Sinne besonders stark reagieren, da sie ein Hinweis auf Energie – Zucker – und andere lebenswichtige pflanzliche Stoffe wie beispielsweise Vitamin C sind. Die Tierarten haben gelernt, sich in der Informationsfülle der Pflanzenwelt zurechtzufinden, und bevor wir den Ackerbau erfunden haben und unsere Ernährung sich auf eine Handvoll domestizierter Pflanzen beschränkte, war es auch für uns Menschen extrem wichtig, die chemische Sprache der Pflanzen zu verstehen. Wir ernährten uns damals von unzähligen Pflanzenarten, und in dieser sehr viel komplizierteren Nahrungswelt mussten wir uns auf unseren Geruchs- und Geschmackssinn verlassen können.

Kein Wunder also, dass Kochtechniken – wie das Grillen von Fleisch –, bei denen Düfte und Aromen freigesetzt werden, die wir schon aus dem umfangreichen Repertoire der Pflanzenwelt und insbesondere von reifen Früchten her kennen, unsere Sinne ansprechen. Sie erinnern uns an die Zeit vor dem Ackerbau, als unsere Ernährung noch sehr viel abwechslungsreicher, interessanter und gesünder war.

McGee schreibt, die instinktive Reaktion auf derlei Düfte könne auch ein Erbe aus prähistorischen Zeiten sein. Tieren helfe ihr Geruchssinn, sich an Erfahrungen zu erinnern und aus ihnen zu lernen. Es sei daher kein Zufall, dass auch wir auf die pflanzlichen Düfte und Aromen, die gekochte Nahrung freisetzt, reagierten. Gekochtes Essen ist eine durch und durch sinnliche, eine Proust’sche Erfahrung. Es weckt eine immense Vielfalt sinnlicher Erinnerungen, die uns über die Grenzen der Gegenwart hinaus zurück in die Vergangenheit tragen können, in unsere individuelle Vergangenheit, aber auch in die unserer Spezies. »In einem Schluck Kaffee oder einem Stückchen Bratenkruste finden sich Spuren von Blumen und Blättern, Früchten und Erde. Es ist, als rekapituliere der Geschmack Momente eines langen Dialogs zwischen Pflanzen und Tieren.« Aber vielleicht sind wir auch deshalb so empfänglich für die komplexen Düfte und Aromen der Nahrung, weil wir Allesfresser sind. Um gesund zu bleiben, brauchen wir viele verschiedene Substanzen, und komplexe Düfte signalisieren uns biochemische Vielfalt.

Doch vielleicht kann man die konkreten Assoziationen, die beim Verzehr einzelner Nahrungsmittel entstehen, auch völlig außer Acht lassen, und es ist schon allein das Suggestive, Metaphorische, das gekochte Nahrung für uns so anziehend macht, in gleicher Weise wie Poesie, Musik oder bildende Kunst. Der Mensch scheint eine Neigung zu Komplexität und Metaphorik zu haben, und indem wir Fleisch dem Feuer aussetzen oder Obst und Körner vergären, erhalten wir beides: neue Sinneseindrücke, von denen viele metaphorischer Natur sind und über das Hier und Jetzt hinausweisen. Diese sinnliche Metapher – etwas steht für etwas anderes – ist einer der wichtigsten Verwandlungseffekte eines Naturprodukts beim Kochen. Ein Stückchen knusprige Schweineschwarte wird zu einem Gedicht, gespickt mit aromatischen Anspielungen: Kaffee, Schokolade, Rauch, Scotch, überreife Früchte und dazu dieser süßlich-salzig-waldige Geschmack nach Ahornsirup auf gegrilltem Speck, den ich als Kind so geliebt habe. Wie so vieles mögen wir Menschen auch unser Essen anscheinend am liebsten überladen.

••••••••••

Unsere Schweine konnten aber durchaus noch etwas mehr Komplexität vertragen. Dafür sollten sie auf dem Parkplatz eines alten Varieté-Theaters, für das bei diesem Barbecue gesammelt wurde, zu Ende gegrillt werden. Also wälzten Aubrey und ich die Schweinehälften auf große Gastronomiepfannen – jetzt, nachdem das meiste Wasser verdampft und das Fett zusammengeschmolzen war, waren sie erheblich leichter – und trugen sie nach draußen zu einem Pritschenwagen. Auf der Ladefläche standen bereits drei festgekettete große Schweinegrills vom gleichen Typ wie jene, die bei den Grillmeistern in Oxford, Mississippi, Hohn und Spott geerntet hatten: einfache auf die Seite gelegte 1000-Liter-Stahlfässer, in der Mitte durchgesägt und mit Scharnieren versehen. Oben ragte ein kurzer Kamin heraus, unten hatte man an einer Seite eine Achse mit zwei Rädern angeschweißt und an der anderen eine Anhängerkupplung, sodass man den Grill ziehen konnte.

Das Geschäftsviertel im Zentrum Wilsons bestand aus ein paar hübschen Straßen, deren Fronten von einer Handvoll restaurierter Beaux-Arts-Häuser beherrscht wurden, solide Bank- und Bürogebäude aus Kalkstein, die in der Blütezeit der Stadt Anfang des 20. Jahrhunderts gebaut worden waren. Wilson war einmal einer der größten Tabakumschlagplätze der Region, heute war das Stadtzentrum jedoch nur mäßig belebt, zumindest für einen Samstag, und unser Barbecue störte niemanden. Auf dem leeren Parkplatz hatte man ein großes weißes Zelt aufgestellt. Wir rollten die Grills von der Pritsche und stellten sie entlang einer Zeltwand auf.

Ich war etwas überrascht, als ich Propangasflaschen hinter den Anhängerkupplungen der Grills entdeckte. Ed zündete die Gasgrills an, und wir legten die Schweine auf die Roste, um sie fertig zu grillen. Offensichtlich war Propangas über Nacht vom Barbecue-Frevel zu einer akzeptablen Annehmlichkeit geworden. Als ich ihn darauf ansprach, verteidigte sich Ed damit, dass er die Schweine mit dem Gas ja nicht grille, sondern nur warm halte.

Bis zum Barbecue würde es noch ein paar Stunden dauern, aber die großen Grills und die Düfte, die ihnen entströmten, zogen die Leute schon jetzt an. Wie aus dem Nichts tauchten sie plötzlich von überall her auf. Allein der Anblick von Big Ed und seinen Grills genügte, um Wilsons Bevölkerung in außergewöhnlich gute Laune zu versetzen. Es war Samstag, und es würde ein Barbecue geben.

Genau genommen sogar zwei: eines zur Mittagszeit und ein zweites am Abend. Barbecue, Krautsalat, ein Brötchen und süßen Tee bekam man für fünfzehn Dollar, und zur ersten Runde am Mittag waren schon ungefähr zweihundert Leute da. Vor den Augen der zahlreichen kritischen Esser, die inzwischen den Weg hierher gefunden hatten, öffneten Aubrey und ich mit dicken, schwarzen, feuerfesten Handschuhen die Grills, nahmen das erste Schwein heraus und trugen es zum Hauklotz. Ed plauderte mit der Menge, die sich um uns versammelt hatte. Die Kochshow hatte begonnen.

Aubrey überließ mir die hintere Schweinehälfte, während er sich an der vorderen zu schaffen machte. Als Erstes mussten wir das Fleisch von der Schwarte trennen, die später zurück auf den Grill sollte, damit sie noch knuspriger wurde. Mit unseren plumpen Handschuhfingern konnten wir nur grobmotorisch ans Werk gehen: Wir zogen große Fleischlappen von Schulterblättern und Knochen, lösten Rippen und Knorpelstücke aus, entfernten schlauchähnliches Gewebe und andere anatomische Absonderlichkeiten, die wir im Fleisch fanden. Das dampfende Schweinefleisch war so heiß, dass ich trotz der dicken Handschuhe eine Pause einlegen musste, um sie auszuziehen und meine Hände abzukühlen. Das Fleisch löste sich größtenteils sehr leicht vom Knochen, und bald hatten wir einen großen Haufen unterschiedlicher Fleischstücke vor uns liegen: Schinken, Lende, Schulter, Bauch.

In jeder Hand ein großes Hackbeil schwingend, begann Aubrey mit dem Kleinhacken. Das Tock-tock-tock der Stahlbeile auf dem Holz lockte noch mehr Zuschauer an. Wenn Aubrey der Fleischberg, den er gerade zerhackte, ein bisschen zu trocken erschien, wies er mich an, noch ein Stück Schulter oder Bauch dazuzuwerfen, war er ihm zu fett, wollte er mehr Schinken oder Lende, bis die Mischung stimmte. Als Nächstes war das Würzen an der Reihe. Während Aubrey mit seinen Handschuhen unablässig das Schweinefleisch durchmischte, gab ich die angeforderten Gewürze dazu: zuerst rund vier Liter Apfelessig, dann händeweise Zucker, Salz, schwarzen Pfeffer und Chili. Genau wie Ed es mir beigebracht hatte, streute ich die trockenen Zutaten mit einer lockeren Bewegung aus dem Handgelenk über das Fleisch, etwa so, wie man Samen aussät. Aubrey knetete die Gewürze in die Fleischmasse. Immer wieder zog er den Fleischberg nach hinten und wälzte ihn nach vorne um, bis er mich schließlich mit einem Nicken anwies zu probieren. Es schmeckte ein bisschen fade, also fehlte noch Essig. Ich kippte noch ungefähr einen Liter dazu und streute auch gleich eine weitere Handvoll Chiliflocken darüber. Das konnte nicht schaden. Ed mochte es, wenn sein Barbecue gut würzig war. Ja, genau das hatte gefehlt.

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9783888979897
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