Читать книгу: «Auslaufgebiet», страница 5

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»Worum geht’s denn?«

»Sexualdelikt, zumindest ist es das Dezernat.«

»Wurde die Leiche vergewaltigt?«

»Keine Ahnung.«

»Dann lassen Sie doch den Mann in Ruhe. Haben Sie nicht genug mit dem arabischen Rudel zu tun? Was ist denn nun mit der DNA? Wenn ich daran denke, was das den Steuerzahler kostet, und auch noch mal drei. Beten Sie, daß etwas rauskommt.«

»Ich bleibe dran.«

»Sie brauchen endlich einen neuen Partner, Blum. Sie können doch nicht ewig auf Hagedorn warten.«

»Kühn sagt, Sie wüßten, daß er nicht zurückkommt.«

»Das alte Waschweib quatscht zu viel und erfindet die Hälfte. Keiner kann der Entscheidung des Richters vorgreifen. Habe nur gesagt, wird schwer, ihn da rauszuhauen. Mal sehen, was ich mit meiner Zeugenaussage für ihn tun kann. War ja ein wirklich erfolgreicher Kollege.«

»Bei Ihrer Mitarbeiterführung kein Wunder, Herr Kriminalrat.«

»Wird schon, Blum.« Fockemeyer klopfte Oskar auf die Schulter. »Ich habe schließlich noch nie jemanden hängen lassen.«

»Aber sicher, Herr Kriminalrat.«

VII

Die Sonne stand tief, die Wölfe leuchteten in ihrem Widerschein. Sie suchte die alte Laika, die am anderen Ende des Geheges in einer Mulde lag. Trotzdem erwiderte sie Janines Blick als erste, stand mühsam auf, schwankte bei den ersten Schritten.

Erst jetzt hatten die anderen Janine bemerkt. Sprangen zum Zaun, schnürten an ihm entlang in der Spur, die sie tief in den Sand gelaufen hatten. Immer hin und her auf dem aufgezwungenen Rand der Welt.

Janine stellte die Fleischfässer neben sich und schloß das Tor zum Vorgehege auf. Das gesamte Gehege war zu klein, das wußte sie. Was waren schon fünf Hektar für wildlebende Wölfe. Ein Vorhof zur Hölle, kein Revier für die Könige des Auslaufgebiets Europa.

Aber es war schwer genug, wenigstens das hier zu verteidigen. Immer wieder gab es haßerfüllte Dörfler, die ihre Station abschaffen, die Wölfe töten wollten. Oder noch besser, sie auf Tierparks verteilen. Da würden sie von nur einem Hektar träumen. Sie zog die schweren Fleischfässer ins Gehege, die ersten Wölfe jaulten.

Niemand käme auf die Idee, entlaufene Hunde zu erschießen. Im Gegenteil, in ganz Europa leerten deutsche Tierschützer Tötungsstationen. Da gab es Spenden, Mitgefühl und öffentliche Aufmerksamkeit. Aber aufgefundene verletzte Wölfe? Angeschossen von durchgeknallten Jägern, angefahren von enthemmten nächtlichen Autofahrern.

Sie krempelte die Ärmel ihres Fließpullis auf, griff tief in das erste Faß und zog ein Rehfell heraus. Sie kippte Gedärm und Rippen hinterher. Hoffentlich würde die Jägerin ihr weiterhin treu bleiben, ohne sie wäre eine halbwegs artgerechte Fütterung unmöglich. Sie verteilte die einzelnen Stücke, warf Rehkopf, Schlund und Strossen in den Sand. Sie sah zu Laika, überlegte, sie einzeln zu füttern. Die anderen würden nichts für sie übrig lassen, sie brauchte einen Schutzraum. Sie kippte den Inhalt des zweiten Fasses an einer weiteren Stelle aus. Heute gab es Wildschweinfüße. Märkische Haxen, ein Festessen.

Sie verriet ihre Prinzipien. Laika war alt und krank. Leberkrebs, hatte der Tierarzt gesagt. Ein verbrauchtes Organ hatte genug und wuchs ins Unermeßliche. Ihre Zeit lief ab. Der Arzt wollte Medikamente dalassen, Janine hatte abgelehnt. Sie ließ der Natur ihren Lauf.

Sie wird sich quälen, hatte der Arzt gesagt, was dann? Janine hatte ihn vom Hof gescheucht, war zu der betäubten Laika gegangen und hatte sie im Arm gehalten. Ihr über den riesigen Bauch gestrichen, über das Unwesen in ihm. Geheult natürlich.

Laika war die erste gewesen damals, ihretwegen war die Auffangstation entstanden. Ein aufgegebener Hundesportplatz inmitten häßlichen, hügeligen Waldes. Eine Lichtung, ein Übungsplatz, ein paar Zwinger, nach Westen eine Anhöhe, die im Süden in einer großen Wiese auslief. Streichholzkiefern reihten sich aneinander, so weit das Auge reichte. Kein See in der Nähe, nicht mal Pfifferlinge hatten sich hierher verirrt. Eine vergessene sozialistische Nische.

Janine war, gegen den Willen ihrer Chefin vom Wolfszentrum, in das Vereinsheim gezogen. Unbeheizbare Pappe aus DDR-Zeiten. Immerhin gab es Wasser. Sie hatte einen Bollerofen gebaut und den Winter bei Kerzenlicht überstanden. Nichts vermißt, Laika gepflegt und jeden Tag Holz gehackt.

Als Laika gesund war, sollte sie ausgesetzt werden. Sie fuhren mit der betäubten Wölfin ins Lausitzer Tagebaurevier und legten sie geschützt an einen Waldrand.

Janine hatte die ganze Rückfahrt die Zähne zusammengebissen. Ihre Chefin setzte sie am Vereinsheim ab, zum Packen. Als sie allein war, heulte sie. In Strömen floß es ihr aus Augen, Nase, Mund. Sie kannte sich selbst nicht, hatte noch nie so geweint zuvor. Sie hackte Holz, verletzte sich die Hand, jetzt floß auch Blut, das war gut. Herzblut. Sie blieb im Vereinsheim wohnen, fuhr jeden Tag mit dem klapprigen Lada zum Wolfszentrum und machte ihre Arbeit. Ihre Chefin war sauer, wollte sie nicht allein im Wald leben lassen.

Nach zwei Wochen war Laika wieder da. Stand am Waldrand auf der Anhöhe im Westen, blickte auf die Station, auf Janine hinab und wartete.

Janine ignorierte sie. Laika war ein Wolf, kein Haushund. Laika verschwand, Janine heulte. Laika jagte, kehrte zurück mit ihrer Beute an den Wiesenrand und fraß dort. Nach einer Woche ließ Janine die Tür zum Gehege über Nacht offen, aus Versehen. Am nächsten Morgen lag die Wölfin eingerollt in ihrer alten Mulde.

Janine sah ihre wundgelaufenen Pfoten, die eiternde Wunde in ihrer Flanke, aber berührte sie nie wieder, es sei denn, das Betäubungsgewehr hatte sie schlafen gelegt. Damals, als sie sich kennenlernten, hatte Janine Laika gesundgepflegt. Sie gestreichelt, verbunden, mit ihr gesprochen. Sie hatte Laika an sich gebunden und ihr damit die Zukunft in Freiheit versperrt. Es blieb ihr einziger Fehler.

Laika stand jetzt abseits der anderen, ihre Beine zitterten. Janine nahm die leeren Fässer, verließ das Vorgehege und öffnete die Zwischentür von außen. Die Wölfe stürzten sich auf das Futter, sie hatten zwei Tage nichts bekommen. Auch Laika lief mit. Sie zog sich Gedärm hervor und verschwand mit ihrer Beute. Janine lächelte. Noch war es nicht so weit, ihre Laika war zäh.

»Zweiter Stock, dritte Tür links, Hauptkommissar Blum.« Der Diensthabende wendete sich wieder seiner Frühstücksstulle zu.

»Soll ich da allein hinauf?«

Er stellte das Kauen ein und sah den Mann an, der sachdienliche Hinweise zum Frauenmord im Grunewald zu haben vorgab. Sah auf ein teuerwollenes Jackett, einen butterweich sich schmiegenden Schal bei knapp zwanzig Grad Außentemperatur, sah hinunter zu schaufensterfrischen Schuhen. »Meinen Sie, Sie schaffen das nicht?«

Der Mann verfärbte sich, der Diensthabende legte bei der Aussicht auf etwas Unterhaltung die Stulle weg. »Na, bis drei werden Sie ja zählen können. Und falls Sie die Namensschildchen nicht lesen können, fragen Sie einfach oben noch mal nach. Ist ja hellerlichter Vormittag, da sollte Betrieb sein im zweiten Stock. Sonst noch was?«

Leider schluckte der Mann nur, drehte sich ab und suchte den Fahrstuhl. Der Diensthabende nahm seine Stulle zwischen die Finger und biß ab. Schade, vielleicht beim Nächsten.

Es klopfte schon zum dritten Mal, entsetzlich zaghaft. Oskar öffnete seine Zimmertür und wies auf das Telefon an seinem Ohr.

»Also, wenn ick richtig verstanden habe, hat die olle Tucke von gegenüber zwee Hunde zu viel.« Er zog einen Stuhl vor seinen Schreibtisch und wies den Besucher darauf, der sich setzte. »Oder viere, meinswegen. Aber, det is ja nu’ nich’ strafbar.«

Oskar ging zum Fenster und sah hinaus. »Seh’n Se, schlaue Hausverwaltung. Aber bevor wir uns hier verplaudern, guter Mann, Sie sind bei der Mordkommission und Sie wollen doch wohl nicht sagen, daß Ihre Nachbarin …« Er sortierte den Müll auf der Fensterbank nach Farben. »Das weiß keiner, ham Se recht. Aber sie sollten nicht alles glauben, was in der BZ steht. Und da Sie dankenswerter Weise mich angerufen haben statt der Journaille, nun mal ehrlich, welchen Grund sollten die Fiffis Ihrer Nachbarin haben, eine wildfremde Frau an der Krummen Lanke zu zerfleischen. Zumal der Weg ja schon sehr weit ist von Neukölln.«

Oskar hob einen Rest altes Brötchen mit spitzen Fingern an, roch daran und warf es in den Mülleimer neben seinem Schreibtisch. »Moabit, Entschuldigung. Ja, das ist ein Unterschied.«

Er füllte einen Kaffeebecher mit Wasser und goß die zwei tapferen Fensterbankblümchen. Jakobs Suspendierung verschärfte die Lebensbedingungen für alles Pflanzliche im Büro. Eigentlich für alles Lebendige. »Nee, Meister, nix da. Bloß, weil er fünf Hunde hält, besuche ich niemanden.« Oskar zog die Augenbrauen zusammen. »Wenn Sie das machen, sitzen Sie bald vor mir, aber nicht als Zeuge, sondern als Beschuldigter. Und das wollen wir doch beide nicht.« Sein Gast nestelte nervös in seiner Tasche. »Fragen Sie mich mal, was ich alles nicht mag. Geh’n Sie ihr halt aus dem Weg, wie den anderen Arschlöchern aus Ihrem Kiez.«

Oskar setzte sich hinter den Schreibtisch und musterte ihn. Feine Klamotten, kein Moabit. »Siebenunddreißig Jahre sind viel, das gebe ich zu. Aber nützt nüscht, mit den Zugezogenen müssen wir leben. Also Nachbar, Hände weg von der Frau und ihren Hunden.«

Oskar legte seufzend das Telefon beiseite. »Und was kann ich für Sie tun?« Oskar fragte sich, ob er den Mann auch der BZ-Kampagne verdankte. Nach der Serie fieser Photos von zähnefletschenden Hunden hatte das Blatt nun dazu aufgerufen, verdächtige Beobachtungen von Hundebesitzern an die Reviere zu melden. Was immer das hieß. »Lesen Sie die BZ?«, fragte Oskar.

»Ich wohne in Grunewald«, antwortete der Mann entrüstet.

»Na, das ist ja wenigstens etwas näher am Tatort«, sagte Oskar. »Falls es um die Frauenleiche im Auslaufgebiet geht.«

Der Mann nickte eifrig.

»Mein Kollege von der Pforte sagt, Sie haben sachdienliche Hinweise? Dann schießen Sie mal los.«

Jakob hatte recht gehabt mit seinem Verdacht gegen Gerhard Hacke. Eine Studentin der Forstwirtschaft hatte ihn angezeigt, er hätte während eines Praktikums beim Forstamt an ihr rumgefingert. Unschön für den Öffentlichen Dienst. Es wurde ein Verfahren eingeleitet wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung. Was immer dann geflossen war, Geld oder Drohungen, das Versprechen auf Kontakte und freigefegte künftige Berufswege, die Anzeige wurde zurückgezogen, das Verfahren eingestellt. Das konnte Hacke nicht allein, der Förster mußte ihn geschützt haben. Er würde sich das weitere Leben der Praktikantin ansehen, aber, auch ohne Bestätigung, Oskar vertraute Jakobs Instinkt und seiner eigenen Erfahrung beim Lesen unvollständiger Akten, da war etwas. Und wer einmal hinlangt, kann Finger und Hoseninhalt nicht stillhalten. Er mußte Cumloosen nach auftauendem Sperma fragen. Ein Unzüchtler mit wilddurchsiebender Knarre wäre so unvorsichtig, es zu hinterlassen.

»Also«, hob Oskars Besucher mit vollgepumpter Lunge an, »ich wohne seit drei Jahren in Berlin und man gewöhnt sich ja an so allerlei, was die hiesigen Sitten angeht.«

»Kommt jetzt eine Litanei wegen der Hundekacke? Davon hatte ich heute schon ein halbes Dutzend und auch wenn Sie in Grunewald wohnen, interessiert mich das nicht die Bohne.«

»Ich bin hier, weil ich eine Verdächtige ausfindig gemacht habe.«

»Ihre Nachbarin?«

»Nicht direkt, sie wohnt am Hertaplatz und ich in einer Nebenstraße. Also mir wäre das zu laut. Ist aber vermutlich billiger.«

Oskar seufzte.

»Ihre Zeit ist kostbar, ich weiß.« Der Mann lächelte schleimig. »Also, ich schlafe schlecht in letzter Zeit. Gegen drei Uhr stehe ich immer auf und sehe etwas aus dem Küchenfenster.«

»Was sich so tut, nachts in der Nebenstraße.«

»Das Fenster geht zum Hertaplatz. Dort ist ein Park, wissen Sie das?«

»Wo ich herkomme, gehen Küchenfenster nicht ins Grüne.«

»Ist hübsch, Rasenflächen, alter Baumbestand, gepflegte Wege.«

»Grunewald eben.«

»Etwas unschön ist natürlich, daß die Schüler des nahegelegenen Gymnasiums dort ihre Pausen verbringen, lärmen und Müll zurücklassen. Trotzdem, das ist doch kein Grund.«

Oskar wartete einigermaßen geduldig. »Grund wofür?«

»Sie hat einen Rhodesian Ridgeback. Ist über siebzig, die Dame, und dann so einen Hund.«

»Unerhört.« Oskar suchte in der Schublade nach etwas Eßbarem und warf einen halben Blick auf das im Mülleimer abgestürzte Brötchen von Weihnachten.

»Den hat sie natürlich überhaupt nicht im Griff. Läuft immer ohne Leine.«

»Das darf er«, sagte Oskar.

»Und unsereiner wechselt die Straßenseite.«

»Gehbehindert sehen Sie nicht aus. Und Zeit genug, in Schlangenlinien unterwegs zu sein, haben Sie auch. Sonst säßen Sie nicht …« Oskar sah auf die Uhr. »… um kurz vor elf vor meiner Nase.«

»Wollen Sie nun wissen, was die Frau gemacht hat?«

»Und was sie qualifiziert, eine andere im Auslaufgebiet zu ermorden? Ich brenne darauf.«

»Sie hat Tüten aus ihrem Pelzmantel gezogen und deren Inhalt auf der Liegewiese verteilt.«

»Und was war drin? Vogelfutter, Rasendünger?« Oskar linste auf den Papierberg der einseitigen Befragungen der drei Araber. Lauter Pünktchen alle paar Zeilen, das große Schweigen auch noch abgetippt, was für eine Verschwendung von Papier.

Der Mann beugte sich vor. »Hundekot«, sagte er, als müsse er auf ihm rumkauen. »Sie hat auf der ganzen Wiese Hundekot verteilt.«

»Nachts um drei?« Oskar gluckste.

Der Mann winkte unwirsch ab. »Sie wollte die Schüler vertreiben. Ihr Balkon ist genau über der Wiese.«

»Und deshalb killt sie eine Frau?«

»Wissen Sie, daß man Ridgebacks zur Löwenjagd eingesetzt hat in Afrika?«

»Ganz zu schweigen davon, daß sie schwarze Männer zerfleischen.« Oskar hatte es satt. Denunziantenzeit, da juchzt die deutsche Spießerseele. Gab etwas Entlastung für die Raucher, es sei denn, sie hielten Hunde. Berlin war eben zu struppig für Kleinstädter.

»So eine Rasse gehört nicht in die Stadt. Überhaupt gehört Hundehaltung nicht nach Berlin.«

»Das sehen 100.000 Berliner Hunde und ihre Angehörigen anders. Ganz zu schweigen von der Hundesteuerstelle, all den Tierärzten, Zoohandlungen, Ausführservicen, Hundetrainern, Hundesalons. Kann es sein, daß Sie die Wahl Ihres neuen Wohnortes überdenken sollten?«

»Was erlauben Sie sich!«

»Wenn Sie so weitermachen, gibt das fiesen hohen Blutdruck. Fragen Sie den Kollegen aus Moabit, der hat ihn schon.«

»Wie können Sie mich mit dem auf eine Stufe stellen!«

»Nur, weil ihr Küchenfenster ins Grüne geht, gibt’s von mir keine Sonderbehandlung. Und wenn Sie sonst nix zu den Ermittlungen beizutragen haben, sind Sie entlassen. Jetzt muß Onkel Blum sich um die richtig bösen Jungs kümmern.« Oskar sah in das dunkelrote Gesicht seines Gastes. »Falls es Ihrem Blutdruck hilft, sich über mich zu beschweren: im Hinterhaus, Souterrain finden Sie den zuständigen Kollegen. Der hört Ihnen zu und legt eine Akte an.«

Jakob stand inmitten von Iris’ riesigem Wohnzimmer. Seine ganze Wohnung hätte darin Platz gefunden. »Wir müssen Oskar Schlüssel und Paßwort bringen nachher.«

Dao zog eine Schublade auf. »Mein Auftraggeber will nicht, daß ich der Kripo helfe.« Sie war dem Charme des Kanadiers erlegen. Hatte seiner sonoren Stimme gelauscht, nach einem ebenso vorzüglichen wie schweren Wein auf ihre Valiums den Vertrag unterschrieben, die Nacht in einem himmlischen Bett bei weit geöffnetem Fenster traumlos schlafend verbracht, war im Morgengrauen von exotischen Vögeln geweckt worden, hatte inmitten mächtiger Rotzedernstämme allein und opulent gefrühstückt und war zurück nach Berlin geflogen worden. Auf Ihrem Konto waren tatsächlich einhunderttausend Dollar eingegangen, eine Summe, die sie beschäftigte. Was, wenn nicht sie den Mörder fand, sondern die Kripo?

»Aber was wir ermittelt haben, interessiert Dich doch sicher?« Jakob grinste. »Sie kam aus Ostberlin, Mutter Kindergärtnerin, Vater beleidigter Wendeverlierer mit Systemvergangenheit.«

Dao winkte ab. »Weiß ich schon. Von da aus ab zur internationalen Karriere bis ins Penthouse. Gibt’s schon Verdächtige?«

»Einen durchgeknallten Waldarbeiter, der seine Finger nicht vom Gewehr läßt und seinen Schwanz nicht einschließen mag.«

Dao zog eine Augenbraue hoch.

»Dann ist da noch eine Hundeausführerin, die nach Feierabend Berge von Spare Rips verdrückt.«

»Hunde was?«

»Zwanzig Jahre alt, ruppige Kindheit in Kreuzberg, Vater kiezbekannter Schläger. Zwei Geschwister aktenkundig drogensüchtig, einer vertickt geklaute Luxuskarossen nach Weißrussland …«

»Nette Sippe, da wendet man sich lieber Hunden zu.«

»… und sie selbst hat mit vierzehneinhalb eine Mitschülerin so vermöbelt, daß die drei Monate im Krankenhaus lag und auf AOK-Kosten einen ästhetischen Chirurgen bekam.«

»Hoppla.«

»Gab eine Jugendstrafe wegen schwerer Körperverletzung.«

»Und dann?«

»Stille. Anscheinend Richtungswechsel. Mittlere Reife mit Stolperschritten und ab achtzehn die Hunde.«

»Und was hatte sie mit Iris zu tun? Arbeitet sie in der Nähe des Leichenfundortes?«

Jakob nickte. »Sie hatten Zickenkrieg um die Nutzung öffentlicher Wege.«

»Und die Obduktion? Habt Ihr Spermaspuren vom Waldarbeiter oder Anhaftungen von der dreschenden Hundeamazone?«

»So weit ist Cumloosen noch nicht. Alles sehr aufwendig.«

»Die Beutetierchen, verstehe.«

»Er legt sofort auf, wenn Oskar ihn anruft.« Jakob wies um sich. »Dem sollten wir wenigstens sagen, was wir finden.«

»Vorausgesetzt, wir finden etwas.« Dao seufzte. »Sieht nicht aus, als sei sie oft hier gewesen.« Daß sie sich wohlfühlte, lag nur daran, mal wieder gemeinsam mit Jakob zu arbeiten. Sie sollte ihm endlich vorschlagen, bei ihr einzusteigen. Nguyen & Hagedorn, etwas hölzerner als Noble & Timber, aber allemal besser als sein albernes Polizeicorps mit Blaskapelle.

Sie folgte Jakobs Blick, der durch das Penthouse streifte. Von den verlorenen Möbeln zu den kahlen Wänden und der riesigen Fensterfront, die auf eine Dachterasse mit einsamem Liegestuhl hinausging, und Blick über die halbe Stadt bot. In der Ferne blinkte die Kuppel des Doms. Häusermeer ohne Seegang.

»Die Couchgarnitur kostet zwölf Mille«, sagte sie, »wollte ich auch mal.«

»Erinnert mich ohnehin an Deine Wohnung«, sagte Jakob.

»Nur gut vier mal so groß und abgesehen von den ostig geschmacklosen Regalen. Und den leeren Wänden, von Kunst hat sie wohl nicht viel gehalten.«

»Vielleicht hat ihr Arbeitgeber alles eingerichtet.«

»Würde so jemand nicht einen Innenarchitekten beauftragen?«

»Architekten sind auch nicht mehr, was sie mal waren.«

»Sieh mal, die Plastikstühle vor dem Eßtisch.«

Benutzt hatte Iris nur eine Ecke der antik geölten Tropenholzplatte. Dort lag ein Set, stand eine Müslischale und ein leeres Glas Latte mit angetrocknetem Milchschaum.

In der Küche fanden sie eine Saftpresse. Dao roch an den Resten. »Orange-Mango«, sagte sie, öffnete die Kühlschranktür und atmete aus, als sie die Leere gähnen sah. »Keine Spare Rips. Sie hat sich von Berliner Luft ernährt.«

»Oder auswärts«, sagte Jakob und deutete auf einen mit vietnamesischen Pappkartons und Sushischalen gefüllten Müllbeutel.

»Nicht mal Brot«, sagte Dao.

»Kohlenhydrate sind gerade aus der Mode.«

Dao schlug die Kühlschranktür zu und studierte das Gefrierfach. »Den Osten hatte sie hinter sich gelassen.«

»Was erwartest Du, Letscho und Soljanka?«

Dao sah sich um. »Vielleicht einfach ein bißchen Leben? Schmutzige Wäsche, zerlesene Bücher, ausgelatschte Schuhe. Etwas Staub täte es auch.« Sie ging in die Hocke und nahm die Bodenfliesen in Augenschein. »Hunde waren hier nicht zu Besuch. Nicht mal irgendwer mit Straßenschuhen.«

Jakob ging zum Schlafzimmer, öffnete den Schrank. Ein Fach für Socken, eines für Slips. An Bügeln hingen Blusen, Kostüme daneben, Hosen lagen rechts. Eine Schublade mit Nylons, ein zerwühltes Bett, Frotteebettwäsche mit roten Herzen. Er seufzte und ging ins angeschlossene Bad. Ein Damenrasierer, Duschgel, Zahnpasta, ordentlich aufgereiht. Er fuhr mit dem Finger über die Ablage, kein Staub. In der Dusche einige Haare, ein Rest Schaum am Ausguß, angetrocknet. Kalkränder an den Armaturen, Spritzer auf den Kacheln. Der Klodeckel war oben, das stehende Wasser braun. Ein plüschiger Badeteppich mit großen Blumenmustern lag vor der Dusche. Kein Fenster, Halogenstrahler unter der Decke. Ein Abluftgebläse ging flappend an. Jakob verließ das Bad und schloß die Tür.

»Wie im Hotel«, sagte Dao. »Wüßte nicht, was wir Oskar erzählen sollten.«

»Sagtest Du nicht, der Stifter ist ein großer Naturschützer?« Jakob sah zu den riesigen Fensterflächen. »Wenigstens ein paar Zimmerpflanzen könnte sie haben.«

»Oder Bilder von Wasserfällen, abstürzenden Kolibris.« Dao sinnierte vor den kahlen Wänden.

»Vielleicht war das Müsli wenigstens Bio«, sagte Jakob.

»Nee, amerikanisch und antiallergen.«

Sie gingen in den dritten Raum, auch er zur Terrasse hin ausgerichtet. Ein Schreibtisch mit einer Glasplatte stand an der Wand. Jakob nahm die Bücher aus dem kleinen Regal. Betriebswirtschaft, Steuerrecht. »Was für ein Typ ist denn ihr Chef?«, fragte er.

Dao untersuchte den Schreibtisch, kippte den Inhalt einer Schublade auf den Boden und wühlte in Zetteln, Belegen, Notizen. »Ein beeindruckender. Sehr sportlich, kraftvoll in jeder Beziehung, Ende Sechzig. Hat sein Geld mit einem Hedgefonds gemacht und beim Kontostand von 800 Millionen eine Sinnkrise entwickelt. Ist ausgestiegen und hat ein neues Betätigungfeld gesucht.«

»Mit 800 Millionen kann das nicht so schwer gewesen sein.«

»Wie man es nimmt.« Dao machte kleine Häufchen. Bankbelege der eine, Steuerbelege der andere, anscheinend Privates der dritte. »Er hat Firmen aufgekauft und sich als Unternehmer versucht. Wasserflugzeuge, die mit Solarenergie funktionieren sollten, Lehmbau für Hochhäuser, Schafzucht in Nordirland, alles Pleiten.«

»Er hätte es mit Yaks versuchen sollen, da habe ich Kontakte.« Jakob blätterte die Bücher durch. Nicht mal Anstreichungen.

»Das letzte war eine vegane Imbißkette in europäischen Großstädten. Danach waren von den 800 nur noch zwanzig übrig.«

»Nur noch.«

»Er ist zurück an die Börse, hat einen Haufen Leute übers Ohr gehauen, Firmen abgewickelt, sich an Bush rangeschmissen und …«

»Da waren es wieder 200.« Jakob schüttelte ein Buch aus, ein Lesezeichen trudelte auf den Boden. Er hob es auf, eine U-Bahnkarte vom vorletzten Jahr.

»Eins komma drei fünf Milliarden.«

Jakob pfiff. »Nächste Sinnkrise?«

»Er hat eine Stiftung gegründet.«

»Und bei der war Iris angestellt?«

»Sie war eine von denen, die Ziele für die schöne Kohle suchen sollten. In einem ersten Projekt hat er selbst endlose Landflächen in Südamerika gekauft und die Menschen vertrieben.«

»Warum das denn?«

»Damit die Natur ungestört ist.«

»Der kennt keine Berliner Spatzen.«

»Iris und Kollegen haben weltweit Orte gesucht, an denen man viel Gegend erwerben und sich selbst überlassen kann.«

»Sag’ nicht, er wollte Berlin aufkaufen und uns vertreiben.«

Dao sah auf ihre Häufchen: ein dicker Packen Bankbelege, Steuerbelege aus allen Weltregionen und ein dünner, flacher, traurig verlorener Miniberg mit Privatnotizen. Telefonnummern auf kleinen Zetteln mit Kommentaren. Herzchen, Ortsangaben, Vornamen. Viele endlose Vorwahlen, Männer und Frauen, Mailadressen. Alles mit Datum, teils Jahre zurückliegend.

»Wir sind ein Forschungsstandort«, sagte sie unkonzentriert. Eine Woge von Traurigkeit schwappte durch das leere Penthouse. So ein einsames Leben unter so vielen Menschen. »Sie hat Kontakt zur FU gehabt, irgendwas mit Urwald und CO2.«

Dao schob Bank- und Steuerbelege zusammen und warf sie zurück in die Schublade. Die Privatnotizen steckte sie in einen Umschlag und nahm ihn mit.

»Um die Uni soll ich mich kümmern«, sagte Jakob und schüttelte die letzten Bücher aus, aus denen als Lesezeichen mißbrauchte Karten, Zettel und Schriftstücke segelten. »Oskar traut sich die geballte Bildung nicht zu.«

»Wissen träfe es eher«, sagte Dao und hob einen der Segelbriefe auf. »Der Polizeipräsident in Berlin. Ist sie zu schnell gefahren mit ihrem schicken Cabrio? Kennst Du eine Marie Pachulke?«

Jakob nahm ihr den Brief aus der Hand. »Das ist die Hundeausführerin.« Er las. »Sie hat sie angezeigt. Wegen Beleidigung, Verletzung der Aufsichtspflicht und Nötigung.«

»Wer wen?«

»Iris hat die Hundefrau angezeigt.« Jakob schüttelte das letzte Buch aus. »Hier ist noch einer. Einen Nachbarn hat es auch erwischt. Wegen …«

»Laß mich raten«, sagte Dao, »Lärmbelästigung?«

»Er hätte zu viele Haustiere.«

»Gutverdienend und dann auch noch schlecht gelaunt.«

»Weißt Du, was für einen langen Weg sie zurückgelegt hat aus der piefigen Platte der Eltern in das hier?« Jakob wies um sich.

»Gut, dafür verdient sie Respekt, auch wenn ich nicht weiß, wie sie das erreicht hat.«

»Und jetzt ist sie tot, tiefgefroren, in ihre Einzelteile zerlegt und abgeknabbert wie Spare Rips. Egal, ob sie eine Schnepfe war und egal, wen sie auf dem Weg nach oben plattgetreten hat, das hat sie sicher nicht verdient.«

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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371 стр. 2 иллюстрации
ISBN:
9783945611050
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