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1.3 Dänemark und die Juden in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts

In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts war Dänemark wirtschaftlich extrem geschwächt. In den Napoleonischen Kriegen hatte Dänemark auf französischer Seite gekämpft, 1807 war Kopenhagen von englischen Seestreitkräften bombardiert und in großen Teilen zerstört worden, tausende Zivilisten waren ums Leben gekommen, die dänische Flotte komplett verloren. Zu Beginn des Jahres 1813 war die finanzielle Lage Dänemark so desaströs, dass der Staat de facto als bankrott bezeichnet wurde. Der Kieler Frieden von 1814 nötigte außerdem den dänischen König Frederik VI.Frederik VI., das Gebiet Norwegen, das 400 Jahre lang der dänischen Krone unterstellt war, an Schweden abzutreten (vgl. z.B. Henningsen 2009: 127). Somit hatte das dänische Königreich innerhalb kurzer Zeit dramatisch an politischer Macht und geografischer Größe verloren. Gerade in dieser Zeit entwickelte sich ein vielfältiges Kulturleben, die Künste blühten auf, und die Literaturproduktion stieg enorm an. Für den Zeitraum zwischen 1800 und 1850 hat sich im ausgehenden 19.Jahrhundert in Dänemark der Begriff Guldalderen, also „das Goldene Zeitalter“, etabliert. Wenngleich das Verklärende dieses Begriffs unverkennbar ist,1 greife ich auf diese Epochenbezeichnung zurück, bezieht sie sich doch, mit Bernd Henningsen gesprochen, auf „ein goldenes Zeitalter in einer eisernen Zeit“ (2009: 137), das „[f]ür Dänemark […] in etwa die Bedeutung wie die ‚Weimarer Klassik‘ für Deutschland“ hat (2009: 138).

Goldenes und Eisernes verbinden sich in Dänemark auch bei der Emanzipation der Juden und Jüdinnen. Die rechtliche Gleichstellung wurde in jenem Zeitraum nicht nur kontrovers diskutiert und schließlich mit der Verankerung der Religionsfreiheit in der Verfassung vollzogen, sondern teilweise auch gewalttätig zu verhindern versucht. Einerseits wurden dänischen Juden und Jüdinnen 1814 Bürgerrechte gewährt. Dänemark war damit nach Frankreich eines der ersten Länder in Europa, die diese Gleichstellung weitestgehend vollzogen hatten. Andererseits kam es in den folgenden Jahren und Jahrzehnten seitens der nicht-jüdischen Bevölkerung wiederholt zu verbalen und physischen Angriffen gegen Juden und Jüdinnen. Darüber hinaus wurden das Recht auf freie Religionsausübung für Juden und alle anderen religiösen Minderheiten sowie das volle passive Wahlrecht zu den Ständeversammlungen für Juden erst mit der Einführung der neuen Verfassung, des Junigrundloven [Junigrundgesetz], 1849 festgeschrieben – und auch hier gegen erhebliche Widerstände von Emanzipationsgegnern (vgl. Schwarz Lausten 2005: 320–371, 2012: 161–195).

Die ersten Juden in Dänemark – zumindest die ersten, deren Aufenthalt dokumentiert ist – waren Sepharden, die zu Beginn des 17.Jahrhundert aus den Niederlanden nach Dänemark kamen. 1684 wurde in Kopenhagen die erste offizielle jüdische Gemeinde gegründet. Jüdisches Leben in Dänemark unterlag im 17. und 18.Jahrhundert zwar ähnlichen Beschränkungen, wie sie auch für die jüdische Bevölkerung in anderen Ländern Europas galten, diese waren jedoch weitaus weniger rigoros als zum Beispiel in Preußen. Ende des 18.Jahrhunderts begann der dänische Kronprinz und spätere König Frederik VI.Frederik VI., schrittweise Reformen zur Besserstellung der Juden umzusetzen. 1796 wurde unter Mitwirkung von Vertretern der jüdischen Gemeinde eine Agenda erarbeitet, deren Ziel eine grundsätzliche Erneuerung des geltenden Rechts war. Die Umsetzung dieser Agenda scheiterte zunächst am Widerstand aus der jüdischen Gemeinde selbst, da mit der rechtlichen Gleichstellung auch der Verlust der jüdischen Identität befürchtet wurde (vgl. hierzu Blüdnikow/Jørgensen 1984: 13–90 und Schwarz-Lausten 2012: 67–156). 1813, zur Zeit der Wirtschaftskrise, wurden vermehrt emanzipationskritische Stimmen dänischer Christen laut, die sich mit judenfeindlicher Rhetorik von der Idee der rechtlichen Gleichstellung distanzierten, vor allem aber wohl einen „syndebuck [Sündenbock]“ suchten, „for at afreagere al sin dumpe vrede [um all ihre dumpfen Rachegelüste abzureagieren]“ (Albertsen 1984: 30).2 Als Auslöser für den Streit, der gemeinhin als den litterære Jødefejden, „die literarische Judenfehde“, bezeichnet wird, gilt Friedrich BuchholzBuchholz, Friedrich’ Abhandlung Moses und Jesus, oder über das intellektuelle und moralische Verhältnis der Juden und Christen [1803] (1803). Buchholz wendet sich darin gegen die Kernaussagen von Christian DohmsDohm, Christian Wilhelm von vielfach rezipierter emanzipationsbefürwortender Schrift Ueber die bürgerliche Verbesserung der Juden [1781] (1781). Der Dichter Thomas ThaarupThaarup, Thomas übersetzte Buchholz’ Schrift 1813 aus dem Deutschen ins Dänische (1813). Dabei unternahm er nicht nur einige Modifikationen des Originals, sondern stellte der Übersetzung auch ein 60-seitiges, rhetorisch sogar deutlich schärferes Vorwort voran. Hierin behauptet er unter Berufung auf Beispiele aus dem Alten Testament und unter Anwendung etlicher judenfeindlicher Zerrbilder die moralische Unterlegenheit der Juden gegenüber den protestantischen Christen3 und also deren nachweisliche Unverbesserlichkeit. Infolge dieser Publikation entflammte in der kulturell und politisch gebildeten Öffentlichkeit eine heftige Debatte über die Frage, ob dänische Juden den Nicht-Juden rechtlich gleichgestellt werden sollten, dürften oder vielleicht gerade jetzt sogar müssten. Thaarups und Buchholz’ judenfeindliche Thesen fanden gleichermaßen Befürworter und Gegner, unter letzteren der Autor Steen Steensen BlicherBlicher, Steen Steensen, dessen Novelle Jøderne paa Hald [Die Juden auf Hald; 1828] in dieser Arbeit untersucht wird. Über Monate hinweg lieferten sich dänische Theologen, Autoren und Publizisten einen schriftlich ausgetragenen Streit für und wider die Gleichstellung der Juden. Zu Beginn des Jahres 1814 setzte Frederik VI.Frederik VI. der Diskussion ein vorläufiges Ende, indem er den dänischen Juden die Bürgerrechte erteilte und sie damit de facto in fast allen Punkten den christlichen Dänen gleichstellte.4 So war zwar die rechtliche Situation der Juden und Jüdinnen verbessert, doch die Judenfeindschaft war damit nicht überwunden. Thaarup und andere Autoren übersetzten und publizierten weiterhin judenfeindliche Schriften, und schließlich breiteten sich 1819 die sogenannten „Hep-Hep-Unruhen“ von Deutschland ausgehend bis nach Dänemark aus, wo es im Herbst und Winter 1819/1820 zu offenen Gewaltausbrüchen gegen Juden kam (vgl. Albertsen 1984; Katz 1994; Rohrbacher 2002: 23–42; Schwarz Lausten 2002: 341–374; Tudvad 2010: 17–54; Kjærgaard 2013: 74–99).5 1830 keimte in Folge der Julirevolte in Frankreich und Deutschland erneute Gewalt gegenüber der jüdischen Bevölkerung in Kopenhagen auf (vgl. Blüdnikow 1981–1983). Mit der Unterzeichnung des Danmarks Riges Grundlov [Grundgesetz des dänischen Reichs], dem sogenannten Junigrundlov , das 1849 das bis dahin geltende Kongelov [Königsgesetz] ablöste, wurden schließlich die Religionsfreiheit und das passive Wahlrecht in der Verfassung verankert. Jüdische Bürgerinnen und Bürger waren so rechtlich vollkommen den nicht-jüdischen gleichgestellt (vgl. Blüdnikow/Jørgensen 1984: 13–90; Haxen 2001: 487–494; Schwarz-Lausten 2015: 127–172).

Die Situation im dänischen Nachbarland Norwegen konnte verschiedener kaum sein. Hier war in der jungen Verfassung von 1814 direkt festgeschrieben worden, dass Juden das Land gar nicht erst betreten, geschweige denn sich niederlassen durften. Erst 1851 wurde, nach jahrelangen öffentlichen und parlamentarischen Debatten, der entsprechende Passus gestrichen, so dass Juden und Jüdinnen einreisen, sich niederlassen, ihre Religion ausüben und die gleichen Rechte wie Nicht-Juden genießen konnten (vgl. Bock 2020: 275–278; Haxen 2001: 494–496; Mendelsohn 1969; Sagmo 2000).

Die Situation der Juden und Jüdinnen in Schweden wiederum ähnelte der in Dänemark. Hier siedelten sich ab der zweiten Hälfte des 18.Jahrhundert Juden an und gründeten erste kleine Gemeinden. Unter strengen Auflagen war es ihnen gestattet, unternehmerisch tätig zu sein. Zu Beginn des 19.Jahrhunderts führten politische Spannungen zunächst zu einer Verschärfung der bereits geltenden Beschränkungen, dann wieder zu einer Lockerung, beides begründet vor allem mit wirtschaftlichen Interessen. Nach weitestgehender, jedoch nicht vollständiger Aufhebung der gesetzlichen Benachteiligung im Jahr 1838 erhielten schwedische Juden 1870 die vollen Staatsbürgerrechte (vgl. Haxen 2001: 496–499). Als prägnantester Unterschied zur dänischen Entwicklung kann wohl der Umstand ausgemacht werden, dass es 1819/1820, während es in Deutschland und Dänemark zu offener Gewalt gegen Juden und Jüdinnen kam, in Schweden keine solchen Pogrome gab. Und gerade diese Pogrome sind es, auf die die dänischen Texte sich immer wieder beziehen.

1.4 Jüdische Figuren in der dänischen Literatur
1.4.1 Vorläufer

In der dänischen Literatur hatten bis in die späten 1820er-Jahre Juden und Jüdinnen fast ausschließlich als dramatische Figuren einen festen Ort in der Literatur. Dabei war ihr Platz tatsächlich auf der Bühne und nicht etwa zwischen zwei Buchdeckeln, da die dänische Dramenliteratur ihre Rezeption ausschließlich im Theater und nicht als Lesedrama fand. Darin unterscheidet sie sich von LessingsLessing, Gotthold Ephraim Nathan der Weise und Shakespeares Kaufmann von Venedig, die in Dänemark bis dahin vor allem als Lesedramen rezipiert wurden (vgl. hierzu Räthel 2016: 18, 125, 150). Die „Bühnenjuden“ auf dem dänischen Theater des 18. und frühen 19.Jahrhunderts waren zuvorderst komische Figuren. Gleichwohl waren sie nicht zwangsläufig auch lächerlich, wie Clemens Räthel in seiner Monografie Wie viel Bart darf sein? Jüdische Figuren im skandinavischen Theater (2016) zeigt. Sie waren ambivalent und vielfältig, konnten Sympathieträger sein, Gewinner oder Verlierer, Entlarvende oder Schelme. Peter Andreas HeibergHeiberg, Peter Andreas (1758–1841) verlieh in seiner 1792 uraufgeführten Komödie Chinafarerne [Die Chinafahrer] (1806: 287–374) neben anderen, unsympathischen und auf finanziellen Vorteil bedachten jüdischen Figuren, erstmals in der dänischen Dramenliteratur auch einer edlen Judenfigur Körper und Stimme (vgl. Räthel 2016: 108–135).

Fast zur gleichen Zeit wie HeibergsHeiberg, Peter Andreas Chinafarerne, 1792/93, erschienen Jens BaggesensBaggesen, Jens (1764–1826) Reisebeschreibungen Labyrinten eller Reise gjennem Tydskland, Schweitz og Frankerig [Das Labyrinth oder Reise durch Deutschland, die Schweiz und Frankreich] (1965), in der er im Kapitel Jødegaden [Die Judengasse] (2007a) seine Eindrücke aus der Frankfurter Judengasse beschreibt. Eindringlich schildert er die armseligen Verhältnisse, in denen die Juden und Jüdinnen gezwungen sind zu leben und die existenzielle Not, in der ein jüdischer Kleiderhändler sich befindet, als er dem Verfasser und dessen Reisebegleitung schließlich zu einem viel zu niedrigen Preis eine Weste überlässt. Im Anschluss an diese Schilderungen fügt Baggesen ein weiteres Kapitel an, Det christne Fadermord [Der christliche Vatermord], in dem er die Ausgrenzung der Juden heftig kritisiert und dabei deren Ausschluss aus der „menschlichen Gesellschaft“ verurteilt:

Er det mueligt, at endu i vort Aarhundrede […] et heelt Folk i Generationers Generationer, med alle sine fødde og ufødde Individuer, kan ansees som uhenhørende til det menneskelige Selskab? Er det mueligt, at man endu i vor Tidsalder kan ansee en Nation, der har physisk og moralsk Existenz tilfælles med alle andre, som politisk uexisterende, som evig bestemt til Landflygtighed? (BaggesenBaggesen, Jens 2007b: 62)1

Ist es möglich, dass in unserem Jahrhundert noch immer ein ganzes Volk, Generation für Generation, mit all seinen geborenen und ungeborenen Individuen, als unzugehörig zur menschlichen Gemeinschaft angesehen wird? Ist es möglich, dass man noch in unserem Zeitalter eine Nation, die die physische und moralische Existenz mit allen anderen gemein hat, als politisch inexistent ansieht, als ewig bestimmt zur Landflucht?

Auf ThaarupsThaarup, Thomas judenfeindliche Publikation im Herbst 1813 reagierte BaggesenBaggesen, Jens mit einer Neuauflage dieser beiden Kapitel aus Labyrinten und unterstrich damit noch einmal die Forderung nach der bürgerlichen Gleichstellung der dänischen Juden. 1816 erschien eine Sammlung von Anekdoter om ædle og gode Jøder [Anekdoten über edle und gute Juden], herausgegeben von E. PetersenPetersen, E., der (oder die? – der Vorname ist nicht bekannt) außer mit dem Lustspiel De kristne Jøder [Die christlichen Juden] aus demselben Jahr literarisch weiter nicht in Erscheinung getreten ist. Während also 1813/1814 die verbalen und 1819/1820 die physischen Angriffe gegen Juden und Jüdinnen große Präsenz in der medialen Öffentlichkeit hatten, begann die literarische Auseinandersetzung mit den Ausschreitungen erst etwa ein Jahrzehnt später mit Bernhard Severin IngemannsIngemann, Bernhard Severin Novelle Den gamle Rabbin [Der alte Rabbiner; 1827]. Mit dieser Novelle finden die weiterhin aktuellen Fragen nach Emanzipation und Akkulturation wie auch die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung ihren thematischen Niederschlag in der Erzählliteratur.2

1.4.2 Textauswahl und Aufbau der Arbeit

Mit dieser Arbeit soll ein möglichst vollständiger Überblick über die belletristische Literatur des „Goldenen Zeitalters“ gegeben werden, in der von jüdischen Figuren erzählt wird.1 Diese Figuren sind auf eine Art und Weise gestaltet, die sich nur unzureichend mit Attributen wie ‚positiv‘, ‚negativ‘, ‚antisemitisch‘ oder eben auch ‚philosemitisch‘ beschreiben lassen. Warum es für diese Untersuchung unvermeidbar und schließlich sogar produktiv ist, dennoch den Begriff ‚Philosemitismus‘ zu verwenden, erläutere ich in Kapitel 1.6.

Der Hauptteil dieser Untersuchung ist in vier umfangreiche und drei kürzere Analysekapitel unterteilt. In den großen Kapiteln werde ich vier Erzähltexte analysieren, die für meine Fragestellung besonders ergiebig sind. Die übrigen Erzähltexte werden den ausgewählten Haupttexten in Form von Exkursen oder kürzeren Analysekapiteln gegenübergestellt. An den untersuchten Erzähltexten werde ich exemplarisch zeigen, wie sich der Philosemitismusbegriff für die Literaturwissenschaft fruchtbar machen lässt und wie vielfältig die Erzählmöglichkeiten sind, die sich durch die Präsenz jüdischer Figuren in den Texten ergeben. Die Anordnung der vier Haupttexte erfolgt im Prinzip chronologisch, diese Chronologie wird jedoch durch die Gegenüberstellung mit den anderen Texten wiederholt unterbrochen. Einerseits also folgt die Anordnung den Entstehungszeiten der Erzählungen und Romane, andererseits gehorcht sie thematischen Aspekten, indem Texte aus unterschiedlichen Erscheinungsjahren zueinander in Bezug gesetzt werden. Die Kapitel sind so konzipiert, dass sie thematisch aufeinander aufbauen, in sich aber geschlossen sind, so dass sie auch unabhängig voneinander gelesen und verstanden werden können. Kapitel 2 über Bernhard Severin IngemannsIngemann, Bernhard Severin Novelle Den gamle Rabbin von 1827 dient der Einführung der literarischen Topoi ‚edler Jude‘, ‚schöne Jüdin‘ und ‚Ahasverus‘ sowie des kunstreligiösen Diskurses. Ergänzend werden AndersensAndersen, Hans Christian Debütroman Fodreise fra Holmens Canal til Østpynten af Amager i Aarene 1828 og 1829 [Fußreise vom Holmenkanal zur Ostspitze von Amager in den Jahren 1828 und 1829; 1829] und sein Märchen Jødepigen [Das Judenmädchen; 1855] herangezogen. Dieses Kapitel dient vor allem dazu, die Leserin mit den philosemitischen Themen und Topoi vertraut zu machen, die in den folgenden Texten ebenfalls aufgenommen, dann aber gebrochen und modifiziert werden. Ein komplexerer Zugang zu ihnen wird bereits in Kapitel 3 an Steen Steensen BlichersBlicher, Steen Steensen Novelle Jøderne paa Hald deutlich. In dieser Novelle verbindet sich ein politisches Sendungsbewusstsein einerseits mit Elementen aus historischer und Schauerliteratur andererseits. Hierauf folgt das kürzere Kapitel 4 zu Thomasine GyllembourgsGyllembourg, Thomasine Novelle Jøden [Der Jude; 1836]. Zu dieser Novelle liegt bereits Forschungsliteratur vor, so dass ich mich hier nur auf einzelne, für meine Fragestellung relevante Aspekte konzentriere. Deutlich umfangreicher ist Kapitel 5, in dem der Roman Guldmageren [Der Goldmacher; 1836/1851] von Carsten HauchHauch, Carsten untersucht wird. In diesem historischen Roman werden zwei gegensätzlich gestaltete jüdische Figuren einander gleichgewichtet gegenübergestellt, was den Roman von den zuvor untersuchten Texten unterscheidet. Hierauf folgt mit Kapitel 6 erneut eine kürzere Untersuchung, denn in Frederik Christian SibbernsSibbern, Frederik Christian Briefroman Udaf Gabrielis’s Breve til og fra Hjemmet [Aus Gabrielis’ Briefen von und nach zu Hause; 1850] gibt es nur wenige, jedoch sehr markante Passagen, in denen die jüdische Figur auftritt. Kapitel 7 behandelt Hans Christian Andersens Roman Kun en Spillemand [Nur ein Spielmann; 1837]. Diese Analyse nimmt aufgrund der äußerst komplexen Romankonzeption und Figurengestaltung nicht nur am meisten Raum ein, sondern steht deshalb auch (fast) am Ende der Untersuchung. Das kurze Kapitel 8 zu Andersens späterem Roman At være eller ikke være [Sein oder Nichtsein; 1857] schließt die Arbeit ab. Somit ergibt sich eine umfassende Diskussion sämtlicher dänischer Erzähltexte nicht-jüdischer Autor*innen, in denen von jüdischen Figuren erzählt wird. Ein Überblick über den jeweils relevanten Forschungsstand sowie eine historische wie biografische Kontextualisierung werden in den jeweiligen Kapiteln gegeben.

Wer in der Reihe dänischer Autor*innen des frühen und mittleren 19.Jahrhunderts fehlt, ist Meïr Aron GoldschmidtGoldschmidt, Meïr Aron (1819–1887) mit seinem Debütroman En Jøde [Ein Jude] von 1845 (1927), schließlich fällt das Erscheinungsdatum in den hier untersuchten Zeitraum. Nicht allein die Tatsache, dass Goldschmidt literaturgeschichtlich in der Regel nicht mehr dem „Goldenen Zeitalter“ zugeordnet wird, da er wesentlich jünger ist als die anderen Autor*innen, ist für sein Fehlen in dieser Untersuchung ausschlaggebend – es ist in erster Linie sein Jüdischsein.2 Dieser Umstand fällt als extrem irritierend ins Auge, denn auf diese Weise reproduziert die Untersuchung paradoxerweise den Ausschluss dänischer Juden aus der nicht-jüdischen Gesellschaft. Dabei ist gerade dieser Ausschluss das Thema von Goldschmidts Roman En Jøde. Er erzählt aus einer jüdischen Innenperspektive vom „Lebensweg eines Juden, der aufgrund von Diskriminierungen an der Aufgabe der Akkulturation in der dänischen Gesellschaft scheitert“ (Schnurbein 2006: 118). Wäre nicht eine Einbeziehung dieser Perspektive lohnend? Ja, das wäre sie. Mit unterschiedlichen Fragestellungen sind Stefanie von Schnurbein (2004, 2006), Cecilie Speggers Schrøder Simonsen (2012a, 2012b) und Florian Brandenburg (2014) an Goldschmidt und En Jøde herangetreten. Mogens Brøndsted hat bereits 1967 mit Goldschmidts Fortællekunst [Goldschmidts Erzählkunst] eine Untersuchung von Goldschmidts Hauptwerken herausgegeben. Und 2016 erschien die Monografie Meïr Aron Goldschmidt and the Poetics of Jewish Fiction von David Gantt Gurley, der im Kapitel „Midrash and Metaphor“ En Jøde als Exegese der Hebräischen Bibel liest (2016: 60–102). Der Roman kann mir jedoch bei der Bearbeitung meiner Fragestellung nicht behilflich sein. Tatsächlich wurde GoldschmidtGoldschmidt, Meïr Aron von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde sogar dafür kritisiert, dass er, so formulierte es Georg Brandes, „serverer sin bestemor i skarp sovs [seine Großmutter mit scharfer Soße serviert]“ (zitiert nach Brøndsted 2007b: 25), also eine allzu intime Darstellung jüdischen Lebens aus der Innenperspektive vorgenommen habe. Philosemitismus ist aber ein nicht-jüdischer, in diesem Fall sogar ein dezidiert christlicher Diskurs (vgl. Kapitel 1.6), und dieser Diskurs ist Gegenstand meiner Analyse. Die jüdischen Figuren in den Romanen und Novellen, die ich hier als philosemitisch charakterisiere, sind weder zufällig oder beiläufig dort, noch sind sie Teil einer möglichst realistischen Darstellung dänischer Lebenswirklichkeiten. Sie dienen nicht einmal vornehmlich dazu, die politische Haltung der Autor*innen literarisch verarbeitet zu verbreiten. Die jüdischen Figuren haben als Außenseiter (vgl. Mayer 1981) und ‚Andere‘ (vgl. Polaschegg 2005: 41–49)3 vielmehr eine literarische Funktion für den Text selbst, die es zu erforschen gilt.

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9783772001352
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