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Читать книгу: «Lowlife», страница 3

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Dazu kam es zum Leidwesen aller Bediensteten tatsächlich… Einzig das Wiesel lebte regelrecht auf, nun da es seine Mitarbeiter zu jeder Zeit, in der es möglich war und auch wenn es, bedingt durch die Auslastung der Werkstatt, eigentlich nicht möglich war, beschäftigen konnte… Das ging zu wie auf der Großbaustelle. Unter dem Dach hämmerte es noch ärger als aus der Werkstatt und, sobald sich dort für bloß eine Minute lang keine Schraube mehr drehte, sollte man in Windeseile in der Wohnung aushelfen oder wurde unter sonst einem Vorwand in die Renovierungsarbeiten hineingezogen.

Überhaupt war dieser Mann… Nein, dieses Wiesel… Von einer krankhaften Arbeitswut besessen, die es nie zur Ruhe kommen ließ. Ständig fing es neue Baustellen an und nie konnte ihm eine Arbeit schnell genug verrichtet werden. Aus Zeitmangel wurden Projekte eingestellt, nur damit wenig später, bei gleichzeitiger oder versetzter Wiederaufnahme der eingestellten Vorhaben, wieder neue begonnen werden konnten… Ich fing ernsthaft damit an, ein System dahinter zu suchen, es aufdecken und erkennen zu wollen, bis zu einem gewissen Grad, ab dem man ins Unerklärliche stieß, zumindest… Sollte es unserer Arbeit auf mir unersichtliche Weise zuträglich sein, dass man wegen zahlreichen, überstürzt begonnenen und nur halb zu ende gebrachten Projekten bald völlig den Überblick verlor?… Oder war der Kerl einfach nur ein Sadist?… Masochist?… Psychopath?… Ständig wurde während der Renovierung Werkzeug aus den Schränken in der Werkstatt geplündert und bald flog es überall in der Wohnung herum. Dauernd mussten die Kollegen hinauf in den zweiten Stock rennen, um sich das Zeug wiederzubeschaffen… Oder sie schickten mich… Eine Strategie, die sie jedoch aufgeben mussten, denn sobald ich mich vor den Augen des Wiesels blicken ließ, brüllte es mir schon Anweisungen entgegen und ließ mich nicht mehr gehen… Bald wusste keiner mehr, welches Werkzeug wo zu finden war. Das Wiesel pflegte darauf zu reagieren wie ein großes, zorniges und dummes Kind, wenn man ihm das angeforderte, aber unauffindbare Utensil nicht schnell genug brachte… Oder, wenn man aus eigenen Belangen um eines der Spielzeuge bat, das es selbst gerade in den Krallen hatte… Meine schlimmste Befürchtung war es, wieder davonschleichend, selbst in den Wahnsinn getrieben zu werden.

Die vorgebliche Vergesslichkeit, welche aus der Selbstsucht resultierte, mit der das Wiesel uns für seine wertlosen Vorhaben einspannte, war brillant… Ohne je auch nur ein Wort des Dankes zu verlieren, hielt es uns im Trab. Ständig machten wir unbezahlte Überstunden und wurden dafür belohnt mit Wutausbrüchen und noch mehr Überstunden am Folgetag. Denke ich jetzt daran zurück, fällt mir ein, dass ich angesichts dieser Methoden nur selten richtig handelte… Ich sehe mich, zusammen mit ihm auf der Treppe stehend und den Werkzeuganreicher spielend. Es war schon dunkel geworden und das Wiesel installierte neue Türklingeln. Es kroch eine lähmende Wut in mir hoch, während ich, am Leben erhalten von dem dringenden Wunsch nach Hause zu gehen, wie ein Garderobenständer herumstand und mir das Zeug aus den Händen und Taschen reißen ließ… Und seine Arbeiten wollten kein Ende nehmen… Fast sah es so aus, als ob es sich mehr Zeit als gewöhnlich ließ, um mich bei sich zu behalten… Noch dazu hatte das alles nichts mit der Arbeit zu tun, die man erwartet, in einer Werkstatt tun zu müssen. Bis zum Bersten voll mit unterdrücktem Hass, platzte mir endlich nervös heraus, ich müsse nach Hause gehen… Dann legte ich von bösen Blicken verfolgt die Sachen ab und schleppte mich Heim. Von selbst wäre dem nie eingefallen, mich gehen zu lassen… Brillante Vergesslichkeit!

Nach und nach rissen wir die ganze verkommene Bude auseinander. Schweres Werkzeug wurde verwendet. Der gesamte Vorraum der Mietwohnung war mit splittrigem Holz getäfelt, das gute zwanzig bis dreißig Jahre zuvor von den Händen eines großartigen Stümpers an den alten Fachwerkbalken befestigt worden war… Wild zusammengepfuscht, mehrfach unterfüttert, mit Verstrebungen aus Kanthölzern und Wagenladungen rostiger Nägeln befestigt stand es uns wie das Bollwerk einer feindlichen Macht entgegen… Das Wiesel kauerte auf einer Leiter und wütete mit der Kettensäge auf dem schreienden und unnachgiebigen Material herum. Währenddessen eilte ich zwischen den geschossartig durch den Raum sausenden Holzsplittern umher, gab Unterstützung und erstickte in den Abgasen der Motorsäge und dem sich damit vermischenden Staub, als es obendrein das unterliegende Backsteingemäuer mit Hammer und Meißel bearbeitete… All das mit einer irrsinnigen Wut. Es schien seinen ganzen Frust und Jähzorn auf das Haus entladen zu wollen. Wie am Fließband schaffte ich haufenweise Schutt in Eimern die Treppe herunter und kehrte den Staub zusammen, während von oben neuer Dreck auf mich herabrieselte. Der ganze Eingangsbereich sollte neu verkleidet und die Elektrik neu verlegt werden.

Meine romantische Vorstellung vom Schrauben an Amischlitten, sank zusehends in sich zusammen… Stattdessen war ich zum Zimmermannsgehilfen geworden, strich die Wände, entfernte alte Tapeten, half beim Tapezieren, machte immer wieder sauber, schaffte ganze Mülldeponien füllende Berge von Schutt und Unrat weg, half beim Fliesenlegen, beim Makulieren der Balken, beim Verkleiden der Decken, schwang zwischen jedem Arbeitsgang den Staubsauger und atmete doch immer wieder Dreck ein… Schwitzte, fluchte und blutete, half beim Anbringen neuer Türrahmen und fuhr beinah jeden zweiten Tag mit in den Baumarkt, um neues Material zu beschaffen. Sehnlichst wünschte ich es mir, einen Führerschein zu haben, um wie die Kollegen, wenn sie zur Pannenhilfe fuhren, ab und an aus dieser Hölle herauszukommen.

Schmörgel war unterdessen die Entwicklung eines bescheidenen Verständnisses für die komplizierten Mechanismen des sich Drückens gelungen… Er verstand sich immer besser auf sein Versteckspiel in den Ecken, tauchte aber zumeist zum ungünstigsten Zeitpunkt wieder hervor oder wurde erwischt, wie er sich ungesehen glaubte und das aus Alibigründen mitgenommene Kehrblech in die Luft warf und wieder auffing. Damit ging er auch den Kollegen zusehends auf den Wecker und machte sich nicht viel beliebter. Sein Mangel an Intelligenz und seine Ungeschicklichkeit spielten da zusätzlich mit rein. Er wusste sich einfach nicht zu verhalten in dieser prekären Lage, konnte nicht die einfachsten Maßnahmen ergreifen, um Ärger zu vermeiden. Stattdessen verschlimmerte er die Wutausbrüche des Wiesels, indem er mehr im Weg stand, als dass er half. Die meisten der ihm aufgetragenen Arbeiten schaffte er nur mit Hilfe… Aber er bleib lange sorglos dabei… Man konnte sich kaum vorstellen, dass er sich seines Schicksals bewusst war.

Unsere verehrten Vorgesetzten befragten auch mich, was ich von der Sache hielte und schilderten mir ihre Sicht der Dinge. Erzählten mir es gäbe Probleme mit Stefan und er habe sich seit Ende seiner Probezeit sehr zum Schlechten geändert… Sei faul geworden und drücke sich vor der Arbeit. Bald darauf veranlassten sie ein Gespräch mit seinen Eltern. In der Zeit nach diesem Gespräch war der Junge auf einmal sehr verändert… Völlig panisch und verängstigt seinen Job zu verlieren. Er wand sich immer wieder an mich, da er offenbar bemerkt hatte, dass ich besser zurechtkam als er und sagte mir bei jeder Gelegenheit mit vor Demut wässriger Stimme, er müsse sich mehr Mühe geben. Aber was hatte ich denn damit zu schaffen? Ich war der neue Anwärter auf seine Stelle… Auch nur doof hereingefallen… Nach einer Weile ignorierte ich sein Gejammer. Schließlich musste ich ja irgendwie sehen, wie in diesem Irrenhaus zu überleben wäre… Sollten sie ihn doch rausschmeißen.

Hin und wieder überlegte ich zwar, die ganze Scheiße einfach hinzuschmeißen, fragte mich, ob es die Mühe überhaupt wert sei, sah aber auch keinen anderen Weg, aus meiner damaligen Misere herauszukommen… Hatte ganz plötzlich die meiste Zeit meines berufsvorbereitenden Jahres hinter mir… Verdammt noch mal, was war mir die Zeit weggelaufen!… Noch einmal von vorne anfangen kam nicht in Frage.

Es muss den Jungen sehr getroffen haben als er dann rausgeworfen wurde. Ich fragte mich wie sie seine Entlassung überhaupt erreicht hatten, denn seine Probezeit war ja schon vorüber. Sicher hatten sie Methoden. Man konnte alles erreichen, wenn man die verschlagensten Hinterfotzigkeiten im Petto hat, dachte ich mir… Jedenfalls stiegen so meine Chancen, den Ausbildungsplatz zu bekommen beträchtlich. Und ich sollte ihn auch bekommen.

Sascha befand sich damals bereits seit ein paar Monaten im ersten Jahr seiner Ausbildung. Er arbeitete im Lager einer Spedition und Lastwagenwerkstatt im Nachbarort. Ich hatte mich, genötigt von meinem Bildungsträger, während der ersten Wochen meines Praktikums selbst dort beworben, war nach Vorladung zum Einstellungstest gekommen und hatte die ganze Sache nach allen Regeln der Kunst und mit voller Absicht versiebt… Das war vielleicht was… Der Verein machte einen äußerst affektierten und selbstverherrlichenden Eindruck… Schlimm genug, einen Masseneinstellungstest zu veranstalten, mussten sie diesen in der schriftlichen Vorladung auch noch als »Assessement-Center« notdürftig zu verkleiden versuchen… Außerdem war das Schrauben an Lkws eine der dreckigsten und undankbarsten Arbeiten, die mir damals in den Sinn kamen… Alle Bewerber hatten in einem Nebengebäude der Firma eingefunden, sich in einem Stuhlkreis platziert und wurden daraufhin einzeln, jedoch so, dass jeder andere mithören konnte, von der versammelten Mannschaft aus Chefs, Juniorchefs und anderen Selbstdarstellern belauert und befragt. Wie Raubtiere auf Pirsch hatten die ihre potenzielle Arbeiterschaft eingekesselt und löcherten die nervösen Mägen mit Fragen… Warum man sich gerade bei diesem Betrieb beworben hätten, was einem an der Tätigkeit des Mechanikers anspreche, ob man bereit wäre, in Schichten zu arbeiten… Allein bei dem Gedanken stellten sich bei mir mit Schlafmangel verbundene Symptome ein… Sie wollten wissen was uns glauben ließe, wir brächten die nötigen Eigenschaften mit, für ihr prestigeträchtiges Unternehmen dienlich zu sein und all den anderen schwachsinnigen Mist, den man bei Vorstellungsgesprächen so zu hören bekommt… Als man mich fragte wie ich dazu käme, Mechaniker werden zu wollen, begründete ich damit, dass ich von Technik, Fahrzeugen und Motoren begeistert wäre… Standardantwort… Noch während ich mich fragte, ob das tatsächlich so wäre, forderte man mich urplötzlich auf, die Namen von ein paar Nutzfahrzeugherstellern aufzuzählen… Wer hätte mit einer derartigen Vorlage gerechnet? Man brauchte sich gar nicht anzustrengen, um sich zum Deppen zu machen… Also nutzte ich die Chance, indem ich nach einer kurzen Zeit des Grübelns antwortete, dass mir jetzt aus dem Stehgreif keine einfielen. Damit hatte ich die Sache auch schon hinter mich gebracht, war mit dieser Antwort sofort unten durch. Jedoch ließ ich guten Willens noch eineinhalb weitere Stunden von Tests und Gesprächen über mich ergehen. Als die Sache beendet war, fand ich mich draußen, in strömendem Regen, auf den Bus wartend und durfte zu guter Letzt eine Fahrt von zehn Minuten, über drei Haltestellen, für etwa drei Euro bezahlen… Na, dann Prost den zukünftigen Azubis der Firma.

Jedenfalls hörte ich nie wieder etwas von diesem unmöglichen Arbeitgeber. Allerdings bekam ich vieles über den Schuppen von Sascha zugetragen. Mit jeder seiner Geschichten wuchs meine Zufriedenheit, nicht dort angefangen zu haben, ein Stück mehr… Anscheinend wateten die Malocher anderswo annähernd genau so tief in der Scheiße wie an meinem Ausbildungsplatz.

Jeden Mittwoch, im Anschluss an seinen Besuch der Berufsschule, besorgte Sascha etwas Gras von einem seiner Klassenkameraden und kam anschließend zu mir. Es wurde zum Ritual… Die Treffen und die paar miteinander gerauchten Joints, während der Abend in die Nacht überging… So zelebrierten wir allwöchentlich das Bergfest… Dazwischen saßen wir herum und hatten, wie das so ist, wenn man mit dem Kiffen anfängt, viel zu Lachen und massenhaft Erzählstoff. Die Vorzüge der rauschbefeuerten Kommunikation waren entdeckt… Unsere Ansichten glichen sich immer mehr an. Vom Stoff auf eine gemeinsame Bewusstseinsebene gehoben… Oder gesenkt… Geblendet… Oder irgendwas, scheißegal… Wir gewöhnten uns bald an, immer genug Trinkbares griffbereit zu haben, um dem lästigen Pappmaul entgegenzuwirken. Das einzige was meinem Kumpan manchmal zu schaffen machte waren seine Augen. Wenn er geraucht hatte, überkam ihn ein Gefühl, dass er mir als ein Eintrocknen seiner Augen beschrieb. Ich ignorierte es zuerst, versuchte davon abzulenken, verspottete ihn bald aber zusehends und meinte das könne gar nicht sein… Irgendwann später hörte ich jemand anderen über die selben Beschwerden klagen und schlussfolgern, dass es an einer Gewöhnung des Auges an Kontaktlinsen zu liegen habe… Und die Droge würde nicht positiv zu dem ungewohnten Gefühl beitragen… Sachen gabs.

Wir ließen nichts aus… Auch die typischen Fressanfälle waren zunächst ein fester Teil unseres Programms. Nachdem wir uns eine Weile selbst unterhalten hatten, gingen wir dazu über den Fernseher oder die Konsole einzuschalten… Die Gespräche hörten auf… Es ließ sich immer seltener ein Thema finden, was wir nicht schon durchgekaut hatten.

Sobald man an die Droge etwas gewöhnt ist und man anfängt das Erleben des Rausches zu durchschauen, verkommt das, was man vorher als neu empfunden hat, zu einer Gewohnheit… Man kann zwei oder mehr routinierte Kiffer in einem Zimmer auf die Couch setzen, den Fernseher oder auch nur Musik laufen lassen und so lange sie etwas zu trinken haben, sie sich in einer wohligen Lage befinden, die nicht gestört wird, so werden sie kaum miteinander reden. Vorausgesetzt sie sind gerade wirklich hackebreit, von den klebrigen, aber zumindest Wärme heuchelnden Pranken der Droge umschlossen… Diese Erfahrungen sollten sich nach Ablauf eines längeren Zeitraumes einstellen… Zu der Zeit als ich mit der Arbeit begann, erschien mir das Kiffen noch ein gelegentlicher Zeitvertreib… Ich redete mir ein, es habe keinen großen Stellenwert… Selbst wenn… Wen interessiert es, solange man nicht in Scherereien geriet? Später versuchten wir Wege zu finden, die den Rausch wieder reizvoll machen sollten, indem wir uns einen anrauchten und Blödsinn innerhalb der Außenwelt trieben.

Aber mal ehrlich… Wir zählten gerade etwas über sechzehn Lenze und Discos waren noch nicht von allzu großem Interesse… Vor allem nicht für meine Person. Das wäre so gar nicht mein Ding, sagte ich mir immer wieder, mich für einen ruhigen Trinker, einen Liebhaber geselliger Runden in der Stube, allerhöchstens noch in einer Kneipe haltend und verbrachte daher die Wochenenden lieber damit, Trinkspiele zu spielen und altklug mit den Kumpanen zu schwadronieren… Unter der Woche war das Trinken kein guter Zeitvertreib, wenn man am nächsten Tag aus dem Bett kriechen sollte, um sich hastig aufzupolieren und blitzblank und mit ehrenhaft gespieltem Tatendrang, an der Arbeit zu erscheinen. Also haben wir ein wenig gekifft und fühlten uns am nächsten Tag blendend. Gras war sowieso eine wesentlich mildere Droge als Alkohol. Jeder Mensch brauchte eine Art Ventil, um abends mal runter zu kommen… Dampf abzulassen, der über den Tag Druck aufgebaut hatte… Besonders, wenn man den ganzen Tag mit einem tollwütigen Affen arbeiten musste. Ich malte mir aus wie viele von den Leuten, denen man tagtäglich über den Weg lief, sich abends angenervt vor den Flimmerkasten setzten und ihre drei bis vier Bier vernichteten… Wir trafen uns stattdessen und qualmten Joints… Und tranken unsere drei bis vier Bier.

An manchen Wochenenden suchten meine Freunde gezielt die Discos auf, in die man mit etwas Glück und Erlaubnis der Eltern hereingelassen wurde, nachweislich eines vorgefertigten Formulars, welches man sich aus dem Netz, nämlich auf der Präsenz des erwählten Veranstalters, besorgen konnte… Tatsächlich wurden mit diesem Formular meist ältere Geschwister zur Urkundenfälschung angestiftet… Man musste es schließlich an der Tür vorzeigen und eine gemäß den Eintragungen bevollmächtigte Person, hatte halbwegs nüchtern als Vormund aufzutreten… In der Praxis meist selbige ältere Geschwister, die die elterliche Unterschrift beherrschten… Klang nach einer Menge Spaß und Freiheit, nach Legenden schreibenden Ausschweifungen und phänomenaler Ausgelassenheit in der großen, zügellosen Welt des Nachtlebens… Nein! Außerdem hatte mir jemand mal erzählt, dass es durchaus normal sei, an einem solchen Abend fünfzig Euro loszuwerden… Ich wunderte mich sehr darüber, hielt das Ganze für eine Farce und wies alle Einladungen ab, es selbst einmal zu probieren. Beim Vortrinken jedoch war ich immer dabei.

Teen Creeps

I won't end up like them at all.

This town will take you kissing trees,

before you see the forest bleed.

Teen creeps I've tried to hold it back.

No Age, Teen Creeps

Fremd, groß und neuartig kamen mir die Umbrüche in meinem Leben vor… Die unmittelbare Abspaltung, das automatische Weggehen von den verschiedenen Freundeskreisen, nachdem ich die staatlichen Konformierungsanstalten hinter mir gelassen hatte und den Kontakt zu den Schulkameraden langsam verlor. Stattdessen musste ich mich nun mit den Spinnern an der Arbeit herumschlagen… In meinem naiven Argwohn betrachtete ich die Umstände als den Beginn einer fortwährenden Desillusionierung, die mit dem häufig in Gesprächen Älterer und Gleichaltriger, in Filmen, Büchern und sonstwo aufgeschnapptem Begriff »Erwachsenwerden« verbunden zu sein schien… Ich maß diesen Wandlungen erhebliche Bedeutung bei.

Es bleiben eine Gruppe länger bekannter Freunde übrig, die zu meiner Schulzeit und auch noch eine Weile danach feste Faktoren im pittoresken Vorstadtleben darstellten, und auch im örtlichen Vereinsleben hatten sie sich bereits seit der Grundschulzeit etabliert… Alles schien stur und einspurig in vorgelegten Gleisen zu fahren… Die Mehrheit unter ihnen spielte Handball bei der TSG. Diese sogenannte »Turn- und Sportgemeinschaft« wäre weniger euphemistisch betitelt gewesen mit einer Veräußerung des wahren Endzwecks der dortigen Zusammenkünfte, der sich meist erst nach den Hampeleien auf dem Spielfeld herausstellte… »Trink- und Saufgemeinschaft«… Schon von der Grundschule an, war mir die allübliche Vereinsmeierei zuwider… Die Leute dort in der Turnhalle waren alt und hässlich… Die konnten einen regelrecht in Schreckstarre versetzen. Sie verhielten sich nicht wie Erwachsene, tanzten, sprangen plötzlich auf und krakeelten herum und sie schrien die Kinder und Jugendlichen an, die, dieses Verhalten unterstützend, verbissen und schwitzend einem saublöden, schmutzigen und abgewetzten Ball hinterher hechelten… Ich wollte da nicht mitmachen… Gott sei Dank, versuchten meine Alten nicht mich dafür zu begeistern… Mussten wohl selber Muffensausen davon bekommen haben.

Später erkannte ich schließlich, dass einige meiner Freunde durch ihre Zugehörigkeit zu den verschiedenen Verbänden vor allem Kontakte zu knüpfen suchten und, was noch sehr viel besser war, Mädchen kennenlernen konnten… Bald verkehrten in reger Abwechslung die unterschiedlichsten Gören mit uns… Für mich immer wieder neue schöne Gesichter, die allen anderen bereits vertraut und verbunden waren. Zum ersten Mal verfluchte ich sie… Mitsamt ihrem Nutze der Angepasstheit.

Meistens hingen wir rum, bei mir im Kellerzimmer, in Saschas Kellerzimmer, in der Kellerbar des Großvaters eines anderen Freundes… Überhaupt mit frappierender Häufigkeit in Kellerräumen… Oder auf der Straße, gelegentlich verbunden mit Ausflügen in die umliegenden Dörfer, um die Mädels dort zu besuchen, die oft im Dachgeschoss ihre Herberge hatten. Wir tranken unterhielten uns, rauchten Shi-Sha… Die gruben die Mädchen an und flirteten mit ihnen… Wo hatten sie das gelernt? Was das Flirten anging, war ich total auf dem Holzweg… Mein Bild von den Mädchen beschränkte sich darauf, sie in zwei Kategorien einzuteilen… Engel oder Nutten… Meistens fingen sie als Nutten an, wandelten sich aber bei näherer Betrachtung und hoffnungslos romantischer Verklärung meinerseits bald zu Engeln… Wachsende, strahlende Begehrlichkeiten… Ich war stets höflich, nett und hörte brav zu, wenn sie von ihren kleinen Sorgen und ihrem pubertärem Mädchenzeug redeten… Angetrieben von der Hoffnung, ihnen auf diese Weise näher zu kommen und verschränkt auf den Glauben, sie würden sich bald für mich interessieren… Immer verrückter wurde ich nach ihnen, sah nichts mehr außer den Engel in ihnen. Eingeleitet von einem ungeschickt dahergestammelten Annäherungsversuch, indem ich sie in einer halbwegs von der Gruppe isolierten Situation zur Rede stellte, beendete ich die Sache für mich… Dann fielen sie wieder in den Rang der Nutte zurück… Ich begann zu beobachten, wie die anderen Jungs sich die größten Dreistigkeiten bei den Mädels erlaubten und wie sie dafür von ihnen belohnt wurden. Mit Zuwendung und neckischen Zärtlichkeiten… Ich kam aber nicht dahinter… Blieb nur ein Zuschauer bei dem Spiel, dessen Regeln ich nicht begriff.

Die Höhle war voll und ihr antiquierter Charme eingehüllt in Zigarettenqualm und dem Geruch von Bier und Schnaps und dem Hall unserer schwerer werdenden Zungen… Dem angetörnten, jugendlichen Gesprächsstoff… Ein kleiner Raum, in den man durch den provisorisch wirkenden Wintergarten des Hauses gelangen konnte, voll ausgerüstet mit einer Sitzbank in der einen Hälfte des Raums, zwei Tischen und ein paar Stühlen, gefliestem Boden, einer betagten Musikanlage, einem alten Fernseher und einer Bar in einer Nische neben der Tür, mit Kühlschrank, Eisfach, einer Zapfanlage aus fleckigem Messing, im Rücken eine Spüle und ein dunkler Eichenschrank für die zahlreichen Gläser. Knapp unter der Decke befanden sich Zierregale, an die Wände rings im Raum angebracht, auf denen Fläschchen mit Schnapssorten aus aller Herren Länder und längst vergessenen Tagen aufgereiht waren… Viele von diesen kleinen Schätzen wurden irgendwann später, von ungebetenen Besuchern, während einer Geburtstagsfeier, zerstört… Die komplette Einrichtung stammte wohl noch aus den Siebziger Jahren und es hatte etwas von einer verrauchten, schummrigen und würdelos gealterten Eckkaschemme… Wir fanden es gemütlich dort unten, wie wir an den Tischen saßen, in einer Versammlung von vielleicht zehn oder zwölf Leuten, und die Biergläser und das Hochprozentige vor uns aufgereiht sahen.

Ein Würfelbecher ging herum… Neben den Gesprächen in alle Richtungen über den Tisch hinweg, wendete man sich seinem Nachbar entgegen, wenn dieser einem die CD-Hülle mit dem Becher darauf anreichte und hatte meist schon wieder die Zahl vergessen, die man mit dem eigenen Wurf überbieten sollte.

Je mehr ich getrunken hatte, desto misstrauischer wurde ich meinem Nebenmann gegenüber.

»Was hast du?…« Und ich nahm, vorsichtig genug, die abgedeckten Würfel nicht umzuwerfen, die Fracht mit zwei Händen entgegen… »Fünfundsechzig…« Ich sah meiner Nachbarin in die Augen… »Fünfundsechszig?! Na klar, haste ja immer…« Ließ sie selbst noch einmal unter den Becher sehen… »Ganz sicher?…« Und versuchte weiter aus dem dunklen Blau ihrer Iris zu lesen… Sie wendete sich etwas ab… Zuckte mit den Schultern… Ich überlegte kurz, ob es ihr erster oder bereits ihr zweiter Wurf war. Das konnte entscheidend sein. Aber ich hatte es nicht mitbekommen… Ich hob auf… Fünfundsechzig.

»Hmm, ja… Noch einen für mich…« Es galt zwischen Bier und Schnaps zu wählen… Ich entschied mich einen Kurzen als Strafe für meine Fehleinschätzung zu trinken… Kopf in den Nacken… Schwupp… Kurz warten… Nicht das Gesicht verziehen… Einen Schluck Bier hinterher… Nur fürs gute Gewissen.

Bald gab ich mir immer weniger Mühe, die Vorgänge des Spiels zu verfolgen. Schnaps und Bier taten ihre Wirkung… Und drängten mir immer deutlicher das Gefühl des Verlangens auf, diesem gerade neben mir sitzenden Mädchen gegenüber, das so richtig schmutzig zu den Späßen Lachen konnte, die um mich herum geschahen… Eine Brünette mit blauen Augen, die wie die Jungs Handball spielte und meinem Empfinden nach schon in den Stand des Engels aufgestiegen war… Sie begleitete die Gruppe seit einer Weile.

Mit fortschreitender Zeit begann die Versammlung, sich langsam aufzulösen. In unregelmäßigen Abständen rückten die Gäste vom Tisch ab, sagten Ade und schlugen sich hinaus in die Nacht. Das Mädchen blieb. Wir hatten aufgehört zu spielen. Sie schwieg und schaute nachdenklich in ihr Glas, während die verbliebenen Freunde um den Gastgeber und mich keine Schwierigkeiten hatten, sich gegenseitig bei Laune zu halten… Man musste die Chance nutzen… Ich glaubte zu dieser Stunde fest daran, eine günstige Situation aufgefunden zu haben… Man musste es wagen… Jetzt oder nie. Also sagte ich zu ihr, ich müsse sie wegen etwas sprechen und bat sie mir nach draußen zu folgen… Vor der Tür fragte ich sie in naiver Erwartung, ob sie mit mir zusammen sein wolle… Einfach so gerade heraus… Haha! Sie wies mich natürlich ab. Wütend und enttäuscht, forderte ich sie auf mir zu sagen warum und verstand die Welt nicht mehr.

»Schau mal ich find dich ja voll nett und so«, sagte sie… »Aber du bist einfach nicht mein Typ.« Ich glaubte, dass sie mich sogar etwas mitleidig ansah… Wir standen auf der Straße und sie trat von einem Bein aufs andere… Rücklings schwang ich mich auf einen gemauerten Pfeiler, der den Eckpunkt eines Gartenzauns bildete.

»Aber wir sollten trotzdem Freunde bleiben.« Na, klar… Ich sah ihr kurz ins Gesicht, wie sie so dastand und sich nicht entscheiden konnte, ob es an der Zeit wäre wieder reinzugehen, zu den Anderen, oder den Heimweg anzutreten. Dann blickte ich über ihren Kopf hinweg dem geschwärzten Firmament entgegen… Zündete mir eine Zigarette an… Millionen von verwirrten Jungs wurden auf diese Weise abgespeist. Das machte einen noch wahnsinniger. Junge Männer wollten sich nicht damit z ufrieden geben immer nur der gute Freund zu sein. Sie wollten doch nur ein bisschen Vögeln, um dann damit vor den anderen angeben zu können. Sie wollten ihre Jugend auskosten. Doch wie zur Hölle nochmal stellte man das an?… Das zeigte einem doch niemand… Oder doch? Oder hatten sie nicht richtig hingesehen?… Man hatte ihnen immer nur eingehämmert, wie man sich zu verhalten hatte, wie man ein netter Junge wurde. Mädchen wurden ihnen als scheue, keusche Wesen erklärt, die man gefälligst auch so zu behandeln hatte. Wenn man fragte warum man noch nie eine Freundin gehabt habe, bekam man gesagt, dass sich irgendwann die Richtige finden würde… Wie ein zarter Engel gleich, würde sie an einem schicksalhaften Tag vom Himmel herabgleiten und sich einem in die Arme legen… Grenzenloser Schwachsinn!

Sie ging. Ich blieb mit meiner dumpfen Wut zurück.

Wieder drinnen und kaum die Türe zur Kellerbar hinter mir geschlossen, bei den erstaunt dreinblickenden Jungs und Sascha, der mich von seinem Stammplatz über das Bierglas hinweg anschaute und sofort zu wissen schien was vorgefallen war, wurde ich von gellenden Stimmen empfangen.

»Ey was war denn da jetzt los.« Und… »Na, haste Tanja im Gebüsch vergessen, oder was?«, plärrten diese Stimmen.

Sascha begleitet mich auf dem Heimweg. Der Marsch löschte nicht die Wirkung des Alkohols… Zumal wir vorher noch eine Literflasche, mehr als halb voll mit Mische als Proviant eingepackt hatten. Fast schon Zuhause angekommen, schaffte ich es meinen Begleiter dazu zu drängen sein letztes Gras in einem Joint zu verbauen, den er sich mit mir zu teilen habe… Ich sagte ihm das würde mich entspannen. Er riet mir davon ab, aber ich drängte ihn immer mehr dazu. Schließlich rauchten wir unseren Joint und der arme Junge war auch schon ziemlich betrunken, bekam gewaltig einen davon ab und musste fürchterlich kotzen. Ich gab mir die Schuld dafür und gewissermaßen war es ja auch so gewesen… Kaum, dass wir wieder im Zimmer gewesen waren ging das los. Zum Glück gab es im Keller ein Klo… Brachte ihn, nachdem er seinen Magen halbwegs beruhigt hatte nach Hause, sah im hinterher, wie er mit Gummibeinen zur Haustür wankte, die Treppen hinauf stakste, ging und verkroch mich danach selbst ins Bett.

Über die Arbeit und den ganzen anderen Blödsinn, der mich noch bedrängte vergaß ich das Mädchen… Sie tauchte ab und zu wieder auf… Es störte keinen… Nichts war geschehen, was der Rede wert gewesen wäre… Später legte sie sich einen Stecher zu, der wesentlich älter war als sie selbst. Sie wurde nicht glücklich mit ihm. Nachdem sie sich getrennt hatten ging sie auseinander wie ein Hefekloß… Ich fühlte mich plötzlich als Gewinner… Höhöhö!

So lief es jedenfalls eine ganze Weile bei uns. Die Mädchen kamen und gingen, ließen sich auf Flirts ein, wurden zu Freundinnen und verschwanden wieder aus unserem Leben. Die Konstante blieb mein engster Freundeskreis.

Ich habe die Richtung gefunden und bin eine Weile gelaufen… Jetzt befinde ich mich in dem Teil der Stadt, zu dem zurückzufinden ich vor Sonnenaufgang noch nicht geglaubt habe und in welchem sich das Appartmenthaus befindet, in dem ich ein Zimmer bezogen habe… Es ist eines von vielen und ich bin es müde die Stufen des an einen Wall gestützten Plattenbaus hinaufzusteigen… Fünfunddreißig Quadratmeter… Lauter Studenten nebenan, deren Behausungen sich um nicht ganz zehn Quadratmeter Flächenverringerung von der Meinen unterscheiden… Und ein paar alleinstehende Hartz-Vier Empfänger… Wand an Wand gemeinsam einsam… Haha!… Ein Witzfigurenkabinett… Ich gehe lieber weiter. Welche Richtung ist mir egal… Vielleicht aus der Stadt heraus… Ich greife in die Taschen meiner Hose, die vom Schweiß gestärkt ihre Ausbeulungen beibehalten, und fische mein Portemonnaie herbei, hole eine Münze aus dem Kleingeldfach und werfe sie in die Luft… Kopf… Ich werde weitergehen… Warum auch nicht? Währenddessen kann ich meine Reminiszenzen fortführen. Scheint mir leichtfällig, über die eigene Jugend hinwegzusehen. Die Erinnerungen sind heller als erwartet… Und heute… Ganz schön finster in meinem Schädel gegenüber der aufgehen wollenden Sonne… Mit gelber Zunge und schwarzem Atem lachender Rauch… Es scheint mir aber nicht wirklich komisch… Man könnte zwar… Aber… Schwefelbelag… Rußiger Atem… Staubiger Atem… Amen.

194,70 ₽
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0+
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720 стр.
ISBN:
9783750211179
Издатель:
Правообладатель:
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