promo_banner

Реклама

Читать книгу: «Lowlife», страница 2

Шрифт:

Mir versuchte sich die Zwischenfrage aufzudrängen, ob es nicht so wäre, dass man zuerst einmal am Zeitgeist teilhaben müsse, bevor man diesen verfluchen oder lobpreisen könne… Ob es nicht toll wäre, wenn man den vorherrschenden Zeitgeist und dessen Plagen plötzlich in sich selbst entdecken würde… Seltsam, dass Leute, die halbwegs bequem innerhalb eines Systems lebten, sich zum Gegenpol dieses Systems hochstilisierten… Doch das Gespräch rauschte nur so an mir vorbei und Einmischung wäre sicher nicht zielführend gewesen… Wenn alle eine Meinung hatten, war es wohl besser, selbst keine zu haben. Sie würden wohl noch eine ganze Weile so weiter machen… Jemand fing von der Korruption der Pharmaindustrie an, ein anderer klagte die nicht vorhandene Souveränität des deutschen Staates ein und wie man noch immer von den Amerikanern okkupiert sei, wie halb Europa unter deren neoimperialistischen Schirmherrschaft stünde. Themen wurden angeschnitten und starben ab… Ihre Stimmen würden mir eine Kreißsäge im Kopf bleiben… Irgendwer sprach von Eigennützigkeit.

»Aber ist dieser Eigennutz nicht ein menschlicher Wesenszug, der schon immer besteht? Haben wir nicht zuerst gelernt wie man die Hände aufhält und erst danach wie man danke oder bitte sagt? Ging es nicht schon immer ums nackte Überleben, koste es was es wolle? Und ist daraus unsere heutige Welt, ja unsere Gesamtsituation entstanden?…« Er aber möge glauben, dass der Mensch ein soziales Wesen sei, das Gefühle und Empathie empfinden könne, werde aber leider allzu oft vom Gegenteil überzeugt… »So wie der ewige Konkurrenzkampf, der Kampf um die bessere Stelle, mehr Geld oder überhaupt eine Stellung und ein bisschen Geld die Leute davon überzeugt, dass überall Feinde sind, dass jeder andere der Nagel im eigenen Sarg sein könnte. Wir leben in einer Leistungsorientierten Gesellschaft. Wir müssen alle unsere Leistungen bringen, haben aber bald selbst nur das nötigste Maß an Gegenleistungen zu erwarten. Wir müssen unsere Pflichten erfüllen und für unsere Rechte müssen wir erbittert und bis aufs Blut kämpfen. Für jedes einzelne… Jeder einzelne…«

Ja, ja… Friede den Hütten, Krieg den Palästen und der ganze Scheiß… Und am Ende haben sie dich doch wieder bei den Eiern, spalten dir das Arschloch und lassen dich bluten… Dann eben Marsch durch die Institutionen. Moderner Ansatz. Schön zivilisiert und ganz ohne Guerilla. Noble Ziele und noch um ein Vielfaches noblere Herangehensweise. Zu dumm nur, dass die Institutionen die Fähigkeiten der Amöben besitzen, Fremdorganismen zu assimilieren… Phagocytose… Und weg sind die noblen Ideale… Also tat ich nichts anderes als dasitzen und zuhören… Aber dann wurde es ständig anstrengender… Vielleicht ansteckend…. Vorsicht! Keine Chance, dass diese Spinner endlich aufhören würden… Ich fühlte mich indigniert. Sie saßen herum und verpesteten die Luft mit angestrengtem Denken und zwanghaften Beurteilungen… Versuchten ganz offensichtlich den Instinkt mit Logik auszutreiben. Und ich mittendrin… Haha! Mein domestizierter Instinkt sagte… Das alles hat keinen Zweck!… Nie hätte man diesen Leuten klarmachen können, dass Selbstmord sich wesentlich einfacher gestaltet, als jede Revolution… Oder auch nur das Gerede davon und das unvermeidliche Gemecker drumherum… Wesentlich konsequenter wäre er ohnehin… Das Obszöne an der ganzen Szene war, dass ein Großteil dieser Leute, die hier zusammen saßen und untereinander zwar intime, aber auch drogenbefeuerte Gedanken und Überzeugungen preisgaben, sich, wenn sie sich irgendwann einmal wieder nüchtern über den Weg laufen würden, gegenseitig nicht mehr erkennen oder zumindest so verhalten würden, als kännten sie sich nicht… Aber bei einer Sache hatten sie hoffentlich recht… Die ganze gottverdammte Menschheit ist krank… Genauer… Suchtkrank! Mehr psychisch denn physisch, dennoch, eine erkrankte Spezies… Erkrankt am Zeitgeist. Zeitgeisteskrank!… Ein pfeifendes, bis über den Kopf im eigenen Hirnsaft kochendes Wrack, mitsamt hypochondrischen Wutanfällen, gewollten Manien, Spasmen und Lähmungen. Keiner kann sagen wie lange sie es noch machen wird oder, ob sie sich mit einem kolossalen Taschenspielertrick noch retten kann… Explosion! Rauch! Verschwinden! Sicherheit… Haha! Letzteres scheint mir mehr denn unwahrscheinlich… Wer braucht sich schon von den Qualen des Entzugs zermürben lassen, wenn noch genug Stoff in Reichweite ist… Was hätte ich wohl vor Freude geweint, wenn die Menschheit in jenem Moment einfach verpufft wäre… Verschwunden… Was würde ich für ein dankbares, einsames Leben führen, mich von Konserven ernähren und durch Ruinen streifen… Wie wunderbar… Wie naiv. Wahrscheinlich wäre ich innerhalb eines Monats verhungert oder erfroren. Haha!… Ich bin übrigens genauso krank… Und das ist beinahe auch zum Lachen… Ich leide am Risus Sardonicus der Seele. Ich lache über alles, aber es ist selten ein gerührtes Lachen, selten ein echtes… Vielleicht nie!… Wie so viele verordne ich mir selbst meine Medizin, die zugleich ein Symptom der Erkrankung ist, von der ich nicht mehr genau weiß, aufgrund welcher primären oder sekundären Einwirkungen sie hervorgerufen wurde… Und wann es begonnen hat… Meine Medikation fand ich in allen möglichen Formen dieser halbgaren Exzesse. Aber deren Wirkung berührt mich kaum mehr. Eine ausschreitende Toleranz habe ich entwickelt, die mich von allem abschneidet… Und die Fragen bleiben. Wie bin ich überhaupt so krank geworden? Warum habe ich mich angesteckt? Und wo sollte man anfangen?… Wo soll man anfangen? Scheiße! Diese dummen, selbstverlorenen Vorstellungen… Der erste Indikator für ein drohendes Runterkommen.

Dass ich damit anfangen sollte, endlich die Wohnung zu verlassen, dachte ich also… Denke ich noch immer… Ich bin einfach zu lange hier gewesen… Seit dem Besuch der eigentlichen Party ist wieder ein Tag verstrichen… Irgendwann dazwischen bin ich hier hereingeraten… Irgendwie läuft hier eine Endlosschleife… Irgendwo fehlt mir ein Stück… Und das ist schon lange nichts Neues mehr… Die Sonne wird bald aufgehen… Und das ist schon seit Äonen nichts Neues… Und ich bin viel zu kaputt, als dass ich in der Lage dazu wäre, mir einzureden, dass alles in Ordnung sei… Ich will keinem mehr in die trüben Augen sehen oder auf die, so als hätte all das Gerede sie verätzt, grindig und aufgesprungen gewordenen Lippen und muss mich verabschieden. Mein Herz beginnt fürchterlich zu klopfen, denn ich merke, dass die Gastgeberin aufsteht… Irritiert sieht sie über den verkrusteten Tisch und wischt nervös ihre schweißstehenden Hände an der Jeans ab und nervös brüstet sie sich, um mir eine zaghafte Umarmung zu geben… Ich komme mal wieder runter… Unvermeidlich, trotz des Konsums… Ebenso hastig wie sie, bringe ich es hinter mich und presse dabei den, in diesem Moment geradezu unmöglichen, Wunsch nach baldiger Wiederholung des Ganzen aus den spröden Lippen… Und bin einer, der in die Situation geraten ist, jemanden belügen zu müssen, der bereits um die Wahrheit weiß. Alle sehen es mir an. Es wird unheimlich still für den Moment, in dem die allgemeine Wahrnehmung allein mir gilt… Und eigentlich weiß ich schon, dass ich es nach einer kurzen Zeit der Ruhe doch wieder tun werde… Oder nicht?… Sicher nicht mit diesen Anfängern… Ich brauche viel kaputteres Spielzeug, um mich zu unterhalten… Vielleicht gibt es ein solches nur in mir selbst.

Sobald ich die Tür hinter mir geschlossen habe, kümmert es keinen mehr. Endlich das Treppenhaus hinabgestiegen und vor die Tür getreten, erinnere ich mich nicht mehr, in welchem Teil der Stadt ich mich genau befinde… Alles was ich weiß ist, dass es Sommer ist… Mein Eindruck… Ein anderer… Unheimlich kalt… Und dass es im Leben von äußerster Wichtigkeit sein kann, sich zu erinnern… Sonst vergisst man ständig wer man ist… Wer man sein sollte… Und fängt an alles für voll zu nehmen, oder über alles herzuziehen. Muss die geordnete Stimme meiner Jugend wiederfinden… Auf einer kleinen Wanderung könnte sie mir doch über den Weg laufen… Erinnern ist eine verrücktere und gewagtere Aktivität als das Vergessen… Wie dem auch sei… Habe ich denn wirklich so viel falsch gemacht?

»Arbeit macht frei!«

deutsche Volksweisheit

Über ein paar Monate nach meinem Schulabschluss, lebte ich in meiner eigenen Zeitrechnung. Ich hatte den ganzen Sommer für mich allein, und jeder Tag schien ein Samstag zu sein. Im Gegensatz zu den meisten meiner Schulkameraden, mit denen ich mich herumtrieb, hatte ich keinen Ausbildungsplatz gefunden… Die Widrigkeiten des Regelprozesses… Nachdem ich bei dem Aufnahmetest an einer Fachoberschule, bei der ich mich halbherzig beworben hatte, durch das Raster gefallen war, erschien das Vorantreiben meiner schulischen Laufbahn auch nicht weiter sinnvoll… Ich hatte kein Geld, keinen Job und keinen Plan was ich aus mir machen sollte, nur viele, kostspielige, und darum unerfüllbare Interessen und schrecklich viel Zeit, die bis zum nächsten Treffen mit meinen Freunden totgeschlagen werden musste… Waren die unter der Woche eingespannt, so blieb mir der Müßiggang… Das Warten darauf, dass etwas geschehen würde. Häufig ging ich abends auf ausgedehnte Spaziergänge, raus ins Feld oder in die Nachbarschaft, besorgte mir im Vorneherein billige Zigaretten oder stahl gelegentlich eine Schachtel aus den Läden. So fing ich aus purer Langeweile mit dem Rauchen an. Meine ersten paar Joints hatte ich mit einem Slacker aus der Schule getestet… In der schier ewig zurückliegenden Vorsommerzeit, an deren Zenit die Prüfungen wie langsam aufbauende Kumuluswolken aufkreuzten… Konnte mich dabei aber kaum für die Wirkung des krautigen Zeugs begeistern… Doch ich kam darauf zurück, gab der Sache eine zweite Chance… Es half gegen die Langeweile an den Wochenenden, mit Freunden ein bisschen Gras zu rauchen… Und im selben Zug, noch die gängigsten Klischees zu erfüllen… Ich fand Gefallen an dem mich Treibenlassen. Zugleich sah meine Erziehung aber vor, dass dieser Zustand nur vorübergehend sein könne… Ich habe den Übergang verschnarcht und müsse baldigst aufholen… Da stellten sich unterschwellige Gewissensbisse ein und trieben dazu an, mich ohne jeglichen Erfolg auf einen Ausbildungsplatz, durch verschiedene Praktika zu schwindeln… Ich versuchte es zunächst als Steinmetz, aber bekam sehr schnell zu spüren, wie tot die Branche in meiner Umgebung war und welche hochgestochenen, mehr als befremdlichen Ansprüche an die potenziellen Azubis gestellt wurden… Und was sich mir dagegen an Erfolgen in Aussicht stellte, war höchstens kläglich und schien nicht der Mühen wert zu sein… Vielleicht nistete sich bereits in dieser Zeit zaghaft der Gedanke bei mir ein, dass jedes Streben nach etwas auch nur geringfügig Größerem oder vermeintlich Höherem Anstrengungen kostete, die ich vielleicht zwar in der Lage sein würde zu bewältigen, letztendlich aber doch nie die ersehnte Freiheit daraus erwuchs, und ließ sich dort, über die ganze Zeit des Erwachsenwerdens hinweg, ausbrüten. Vielleicht erwartete ich auch einfach zu viel vom Leben… Das war es was ich mir später häufig einredete… Ich legte noch bescheidene Hoffnungen in die Welt und die Menschen, die sie bevölkerten… Möglicherweise hatte ich eine vage Vorstellung von der Bedeutung des Leistungsprinzips… Wusste aber nicht wie ich ich damit umgehen sollte. So wie ein junger Bursche beim ersten Mal, insgeheim hoffend, dass ich es schon gut machen würde.

Die Umstände machten eine Korrespondenz mit dem Arbeitsamt nötig. Einhergehend kam es zu meiner Teilnahme an einer dieser sogenannten berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen, in die sie alle Drückeberger, die Idioten, die Verlotterten und die hoffnungslosen Fälle steckten, um sie vom Müßiggang abzuhalten. Sinn und Zweck dabei war es, einen Ausbildungsplatz zu finden, um hoffentlich möglichst schnell ein wertvoller, sinnvoll integrierter und Steuern zahlender Teil der Gesellschaft zu werden. Die ersten Wochen waren kaum eine Vorbereitung für das, was noch kommen sollte.

Die Lokalitäten des verantwortlichen Bildungsträgers, wie sich die Truppe staatlich angeheuerter Sozialpädagogen zu beschreiben versuchte, befand sich in einem ausgedienten Büro- und Verwaltungshaus auf dem ehemaligen Gelände eines in Kühlung und Hochspannungselektrik spezialisierten Unternehmens. Faulig olivgrau angestrichen kauerte es in den aufragenden Schatten leerstehender und umgenutzer Industriebauten… Irgendwo gab es noch eine Kantine, die ganz zusammengeschrumpft überlebt hatte und unmöglichen Fraß unter das Volk brachte… Drinnen ging es weiter… Die Räume ließen es sich von den Wänden ablesen, dass man sie notgedrungen bezogen hatte und das Provisorische wurde nur von einer einsamen, aber zumindest fest montierten Kreidetafel kontrastiert… Der Unterricht… Die reinsten Esoteriknummern spielten die mit uns durch… Neben simulierenden Trainingseinheiten für Vorstellungsgespräche, Bewerbungen schreiben in Theorie und Praxis, der Teilnahme an berufsvorbereitendem Unterricht, der aus unzähligen, scheinbar auf Förderung der Sozialkompetenz ausgelegten Aufgaben und Dialogen bestand und hunderten ähnlichen, von Soziopathen erdachten Psychospielchen, die uns allesamt wohl dazu bewegen sollten, uns mit der unbarmherzigen Berufswelt anzufreunden, war es eine der Aufgaben bei der Berufsvorbereitung, sich einen Praktikumsplatz zu besorgen… Es gab ein richtiges Rennen darum, wer zuerst einen ergatterte… Ich hatte den vagen Entschluss gefasst, Automechaniker werden zu wollen und fuhr zunächst ein gutes Dutzend über die Vororte und die Randbereiche der Stadt verteilten Werkstätten ab, viele weitere erbat ich schriftlich um eine Anstellung… Und wurde hier wie da abgewiesen… Endlich wurde ich pragmatisch und lief nach all den Rückschlägen die beiden Werkstätten in der näheren Umgebung meines Elternhauses an.

Es war ein kalter, aber sonniger Tag im November. Zur moralischen Unterstützung hatte ich einen Kumpel mitgenommen und wir liefen zuerst bei der nächstgelegenen Tankstelle vorbei. Dort gab es seit nicht allzu langer Zeit eine kleine Werkstatt mit nur einer Hebebühne, in einer vollgestopften Halle neben der Waschstraße. Ich hielt nicht viel von dem Laden. Es war einfach nur ein dunkler, muffiger Schuppen, in dem an alten Rostlauben herumgepfuscht wurde. Ich fragte dort auf Empfehlung von meinem Freund nach einem Praktikumsplatz… Etwas zurückhaltend, da er dort zuvor selbst als Praktikant diente, aber kein allzu versprechendes Talent aufzuweisen hatte und somit wenig Hoffnung darauf legte, einen Ausbildungsplatz zu bekommen… Man sagte mir zu… Ich fühlte mich schon fast als Gewinner, also ließ ich meinen Entschluss offen, die Stelle anzutreten und… Nur nicht voreilig entscheiden… Ging, gefolgt von meinem Beistand, ein paar Meter weiter zu einer alteingesessenen Werkstatt, die in dem Ort, wo ich wohnte, schon seit Ende der 1980er Jahre existierte. Mein alter Herr hatte mich schon ein paar Tage vorher gründlich, aber mehr oder weniger wirksam, über den Schuppen aufgeklärt. Er war dort selbst einmal Kunde gewesen und hatte mir seine Erfahrung mitgeteilt, dass der Chef dort ein harter Hund sei, bei dem sicher ein rauer Ton herrsche, nebenbei aber auch und ein Enthusiast für amerikanische Autos und überhaupt alles Amerikanische… Das weckte in mir wilde Hoffnungen, an wunderbaren, verführerisch aus acht Kesseln bollernden und mit Patina beseelten Amischlitten herumzuschrauben… Mein Alter Herr selbst ging zu dieser Zeit schon nicht mehr dort hin, da man ihn als Kunden schlecht behandelt hatte… Beiläufig erzählte er mir bei einem unserer Gespräche, wie es dazu gekommen war.

Ein Lkw hatte ihm die Seite seines Autos zu Klump gefahren. Nachdem er ihn zur Begutachtung abgegeben hatte stand der entstellte Wagen meines alten Herren eine Weile im Sicherstellungsbereich der Werkstatt… Solange bis das Gutachten gemacht wurde… Wirtschaftlicher Totalschaden. Der Chef der Firma wollte ihm das Auto abkaufen, doch mein alter Herr wusste, dass er mehr für den Wagen bekommen konnte, als ihm angeboten wurde. Also schlug er das Angebot aus, worauf der in seinem Geschäftsmannsstolz gekränkte Chef ihm unmissverständlich klarmachte, er solle den Schrott gefälligst vom Hof schaffen.

Also ging ich bei dieser Werkstatt vorbei. Eine der beiden Hallen war offen und man sah drei Mechaniker auf dem körnigen und von verschiedensten Farb- und Schmutzschichten geschecktem Boden vor einem Wagen knien. Ich betrat die Halle… Fragende Blicke wandten sich mir zu, und nachdem ich mich kurz vorgestellt hatte, erzählte ich von meinem Anliegen… Sie schickten mich ins Büro, welches im Wohnhaus neben der Werkstatt untergebracht war. Ein befremdlicher Eindruck bat sich mir dar. Der Chef befand sich gerade außer Haus… Zum Abschleppen ausgefahren sei er, hieß es… Seine Frau saß an dem vorderen, direkt der Tür gegenüberstehenden Schreibtisch, von denen sich zwei im Raum befanden und blies Zigarettenqualm von sich. Sie machte einen äußerst komischen Eindruck, wie sie da so in den bläulich in der Luft quirlenden Schwaden saß. Sie sah aus, als habe sie sich im Verlauf ihrer vielleicht fünfundvierzig Lebensjahre nicht recht entscheiden können, ob sie Mann oder Frau sein wollte. Ihr topfartiges Haupt krönte eine wasserstoffblonde Kurzhaarfrisur, umrahmte das maskuline und ausdruckslos schlaffe Bulldoggengesicht… Noch dazu… Besser… Wie ich noch feststellen würde, sah man sie immer mit den roten Werkstattklamotten bekleidet, mit formlosen und ausgewaschenen Oberteilen und Büstenhalter waren ihr wohl völlig fremd, so dass man unter dem Stoff auch ja sehen konnte wie ihre riesigen alten Titten bereits knapp über ihren Bauchnabel gesunken waren… Wobei es im Sommer noch scheußlicher wurde, wenn sie ihre langen Arbeitshosen gegen lederne Hotpants austauschte, die wohl schon vor zwanzig Jahren an ihr nichts Aufreizendes gehabt haben mochten.

Dem Ersten Eindruck zum Trotz kam die Erleichterung, nachdem ich auch ihr den Zweck meines Besuches vorgestammelt hatte, sie daraufhin endlich die Zigarette aus dem Mund nahm und ein paar überraschend freundliche Worte mit mir wechselte… Sie schien doch recht umgänglich zu sein, meinte ich und meine Zuversicht wuchs. Sie bat mich, mich einmal ganz ausführlich vorzustellen und ich betete die Sätze runter, die man mir in den vergangenen Wochen beigebracht hatte. Im weiteren Gespräch stellte sie mir die Firma ein wenig vor, wobei sie herausstellte, dass sie es war, die den Meistertitel und den Ausbilderschein ihr Eigen nannte, und somit dafür sorgte, dass dieser Betrieb den Titel Meisterwerkstatt tragen durfte… Ich nickte und kümmerte mich darum, möglichst interessiert, aber nicht aufdringlich zu wirken… Dann folgten die üblichen Sondierungen… Fragen ob ich mich für den Beruf interessiere, warum ich das tat, wie ich mit körperlicher Arbeit klarkäme und so weiter und so fort. Sie konnte wohl doch nicht so dumpf und geistlos sein wie es anfangs den Anschein erweckt hatte.

Noch auf dem Weg nach draußen ließ sie mich wissen, dass es bei ihnen im Betrieb auch mal ein wenig lauter zuginge und fragte mich, ob ich ein Problem damit hätte. Ich antwortete, dass mir das nichts ausmache, dass das ja ganz normal wäre und ich sicher damit klarkäme. Dann informierte ich darüber, wann ich anfangen könne, verabschiedete mich und ging mit einem Gefühl des Triumphs nach Hause. Noch sah ich nicht einmal die Ränder der vielen Abgründe, die bereits auf mich lauerten.

Drei Tage der Woche verbrachte ich von da an in der Werkstatt… Montag, Dienstag und Donnerstag… Jeden Mittwoch hatte ich Berufsschule und jeden Freitag saß ich meine Zeit beim Bildungsträger ab, bis um vier Uhr das Wochenende begann. Diese Einteilung hat mich über das erste halbe Jahr hinweggerettet, da ich ohne die rege Abwechslung der ganzen Sache wohl frühzeitig überdrüssig geworden wäre.

Meine ersten Tage an der Arbeit waren überschattet von nicht enden wollenden Wirrungen, die sich über meinem bescheidenen Verständnis für die Berufswelt aufbauten und mich zur Einnahme des untersten Platzes in der Nahrungskette zwangen… Wer hätte es gedacht?… Und die mich einiger, als solche anfänglich nur schwer zu erkennender, Willkür aussetzten… Ich hatte mich noch gar nicht richtig eingelebt und durfte bereits mitansehen, wie immer wieder, aus mir unverständlichen Gründen, Stress und Chaos ausbrachen, währenddessen ich durch die Werkstatt gehetzt wurde, um Werkzeug zu holen. Ich fand mich nur schwer zurecht und wusste am Anfang noch nicht einmal, was mit dem inflationär benutzten Ausspruch »Bring mir ma ne 17er Nuss!« gemeint war, geschweige denn, in welchen der unzähligen Schränke, Schubladen und Winkel sie das geforderte Werkzeug bunkerten… Um mich herum sprangen die Kollegen ein ziemlich verworrenes Himmel und Hölle, gedrillt von der Panikmache, die vom Chef ausging. Verzweifelt versuchten sie, noch mehr Stress zu vermeiden und schwitzten und rauchten Zigaretten und mühten sich mit zittrigen und verklebten Fingern ihre Handriffe ab. Es herrschte zu oft Ausnahmezustand. Irgendwie schaffte ich es, mich davon nicht völlig entmutigen zu lassen, indem ich mir einredete es könne nicht immer so schlimm sein… Und vielleicht war ich gerade in einer schwierigen, ungünstigen Phase hier gelandet… Viel Später erst bemerkte ich, dass sich der Wahnsinn auch in den vermeintlich ruhigeren Zeiten nur hinter den Fassaden versteckt hielt.

Mich mitgezählt, gab es von da an vier Mitarbeiter in der Firma… Ein Auszubildender, der damals am Ende des zweiten Lehrjahrs war und wie ich zuvor ein längeres Praktikum gemacht hatte… Er sollte noch für lange Zeit mein bemitleidenswerter Kollege bleiben… Und der auf den Namen Christoph hörte. Alles, was ich zu seiner Vorgeschichte in Erfahrung bringen konnte, war, dass er zuvor eine Ausbildung im Bereich der Industrie abgebrochen hatte, die er in jeder Hinsicht als abstumpfend, einseitig und schrecklich öde beschrieb, sobald man ihn danach fragte… Er rauchte stets sehr viel und stand nicht selten unter Strom, da man für meinen Eindruck recht hohe Erwartungen von ihm hatte… Da unsere Vorgesetzten diese Erwartungshaltung ihm gegenüber mit suggeriertem Vertrauen verstrickten, was sie ihm jedoch so gut wie nie offen, mit aufrichtigem Lobspruch gestanden hätten… Somit schufen sie eine moralische Verpflichtung zu ihren Gunsten, und es gelang ihnen tatsächlich, den guten Jungen dazu zu nötigen, dass er er sich erhebliche Mühe bei seinen Arbeiten gab und dass er sehr darauf eingeschossen war, seine Arbeiten allein zu erledigen, um sich und seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Auch deshalb hielt ich in der Regel ein gutes Stück Abstand von ihm. Zu Anfang kam er mir suspekt, auf sonderbare Weise reserviert, dienstbeflissen und vielleicht sogar eigenbrötlerisch vor… Als ob er sich auf einem Schlachtfeld befände und das seine Art war in diesem Krieg, der ihn ständig umgab, seine Haut zu retten… Es war außerdem sein zweiter Anlauf, es zu etwas zu bringen… Nun ja.

Außerdem war da noch ein Geselle, der noch nicht allzu lange in der Firma arbeitete… Alex, ein schlaksiger, Vollbart tragender Chaot, der Morgens mit seinem in die Jahre geratenen BMW Coupe zur Arbeit kam, aus dessen geöffneten Fenstern an wärmeren Tagen Rockmusik der härteren Gangart donnerte… Er war mir von Anfang an sympathisch. Man konnte sich gut mit ihm unterhalten und dumme Späße machen. Er schien mir der Lockerste im Betrieb und ließ sich am wenigsten schikanieren, was mitunter daran gelegen haben mochte, dass er noch nicht lange der Verrohung durch diese Tretmühle ausgesetzt war und den Job jederzeit hätte hinschmeißen können, wenn ihm danach gewesen wäre… Bei den wenigen Gelegenheiten, die sich mir boten, arbeitete bevorzugt mit ihm zusammen. Er ließ mich mit anpacken, erklärte mir nebenher ein wenig, was zu tun war und warum und schickte sich ohne Krampf und Mühen dabei an, mich nicht wie einen Idioten daneben stehen zu lassen. In meinen Augen war er ein guter Mechaniker und konnte außerdem prächtig schweißen. Eine Eigenschaft, die er in der Firma allen voraus hatte… Auch wenn unser Chef sich immer wieder mit seien Schweißerkünsten zu profilieren versuchte, gegen den Gesellen schnitt er mit seinem verkniffenen Herumgebruzel auf rostigen Auspuffanlagen eher schlecht ab.

Treudoof und bucklig auf seinem schrottreifen Mofa daherschleichend und alle zum Morgenappell Einkehrenden mit knatterndem Lärm und durchdringendem Zweitaktgestank begrüßend, sah man um kurz vor acht den zweiten Azubi aufschlagen, wenn er nicht gerade Berufsschule hatte oder sich verspätete… Scheppernd machte die Maschine einen Satz über den Bordstein, nebelte den Hof ein und fuhr einem fast über die Füße. Sobald der Junge seinen Ofen endlich ausgestellt hatte, war man schon fast vorbereitet für einen Wutausbruch des großen Mackers… Mann, was war das eine Wohltat für die Ohren!… Schmörgel stellte alles andere als eine geistige Leuchte dar… Eher eine armselige Funzel in einem dunklen, nassen Keller. Sein Dasein in der Firma fiel ihm folglich nicht leicht und er konnte einem zuweilen schon ein wenig leidtun, wie er sich so abmühte, aber nichts auf die Reihe bekam… Im Gegensatz zu mir, hatte er schon ein geschlagenes Jahr damit verbracht sich einzuleben, funktionierte aber noch immer nicht so, wie man es von ihm erwartete. Sein Spitzname kam von den Kollegen. Sie erzählten mir die Anekdote, wie er diesen bekam, während einer Mittagspause… Man erteile ihm die Aufgabe, die Schubladen der Werkzeugschränke mit Angaben über ihren Inhalt zu beschriften. Eine der Schubladen enthielt Schleifpapier und er beschriftete sie mit dem Wort Schmörgelpapier… Als die Kollegen sein Werk entdeckten, hatten sie augenblicklich nicht nur was zu lachen, sondern gleich eine willkommene Vorlage, ihn aufzuziehen… Wenn er etwas verbockte oder eine dumme Frage stellte… »Du bist aber auch ein trotteliger Schmörgel! Menschenskinders!…« Oder sie beobachteten ihn bei seinem Murks… »Na Schmörgel, bereitest du die nächste Katastrophe vor?…« Bei einer Bremsenreparatur drückten sie ihm einen der Beläge in die Hand, zeigten darauf und erklärten ihm die Ähnlichkeit, die zwischen der Funktion des Bremsbelages und seiner Rolle im Betrieb bestand… Ich durfte mir noch die eine oder andere Anekdote über ihn anhören… Doch erst als ich wirklich mit ihm zusammenarbeitete, wurde es unwiderlegbar, dass er hier wirklich am falschen Ort war.

Die Werkstatt war in einem geduckten, an das Wohnhaus des Mackers und seines Mannsweibes geklebten Anbau untergebracht… Das Haus selbst, eine alte, schiefe Fachwerbude, im Zuge weiß-nicht-wie-vieler Renovierungen verputzt, verbaut, verklinkert und derart verschandelt, dass es von außen nichts mehr von seiner Grundsubstanz erkennen ließ. Von der Werkstatt aus gelangte man in den Keller des Hauses, der nun Lagerräume für den Werkstattbedarf und allerlei Unrat, eine Waschküche und einen Umkleideraum beherbergte. Im ersten Stock befanden sich Büro und Wohnhaus, ein Stockwerk darüber hatte das Schrauberehepaar noch eine Wohnung, die vermietet wurde. Darüber lag dann noch ein verwahrloster und verdreckter Dachstuhl, wo wahllos unbrauchbare alte Sachen und Baumaterial gelagert wurden und Staub ansetzten, wohin sich also die muffige Vergangenheit des Hauses zum Sterben geflüchtet hatte… Aber nie ganz damit fertig geworden war… Alles in allem der blanke Irrsinn auf vier Ebenen, mit Anbau.

Insbesondere die Lagerräume, die sich im Keller befanden, waren nicht viel mehr als verdreckte Löcher. Alles war krumm, schief, uralt und verstaubte Spinnenweben hingen wie faules Segeltuch in den Ecken… Die Decken waren so niedrig, dass man als Mensch von normaler Statur ständig gebückt umherirren musste. Schon die architektonischen Gegebenheiten machten einem unterbewusst klar, dass man zu kriechen und sich den gegebenen Strukturen zu fügen hatte… Ebenso die Toilette, welche sich unter der zweiläufigen Treppe mit Zwischenpodest vor dem Wohnhaus befand. In der so eingeschachteten Bedürfniskammer waren die Bodenfliesen zersprungen und in den Rillen sammelte sich der Schmutz. Man stieß schon bei normaler Statur im Stehen mit dem Kopf an die Decke und konnte nie in Ruhe scheißen, denn ständig hörte man Schritte über sich, wenn jemand die Treppe rauf oder runter lief. Man sah körperhafte Schemen vor der Milchglasscheibe in der Tür vorbeihuschen und hörte derart oft Autotüren zuschlagen, dass man sich den Kopf des Schlagenden zwischen Tür und Einstieg wünschte… Irgendjemand keifte herum, der Lehrling rupfte Unkraut aus den Fugen des Pflasters oder schabte mit einem Messer darin… Irgendetwas war immer… In jeder Ecke der sogenannten Lagerräume flogen undefinierbare Gerätschaften, altes verklumptes Werkzeug und anderer Unrat herum, der mich allein schon durch seinen Anblick dazu brachte, mir auszumalen, wie man am besten all den Müll abfackeln könne. Mein Chef war aber beherrscht von krankhaften Trennungsängsten… Außer es ging um seine Mitarbeiter… Wie ein Hamster oder ein dickliches, gedrungenes Mauswiesel hortete er Dinge, deren Wert und Verwendung er selbst allerdings kaum bestimmen konnte… Vielleicht würde man sie ja nochmal brauchen, hieß es stets… Bei einer zukünftigen Gelegenheit. Sicher… Und solange verschwanden sie eben in den dunklen und verstopften Eingeweiden des Hauses… Trotzdem wurde benötigtes Material regelmäßig neu herangeschafft, da selten jemand den Überblick darüber behielt, was noch irgendwo in dem mit irrsinniger Effizienz errichteten Chaos lagerte.

Die Mietwohnung sollte, in den meiner Anstellung folgenden Wochen und Monaten, eine Großbaustelle werden, die die ganze Firma beanspruchte und für viel Stress sowie einen nicht endenden Schwall an Drecksarbeit sorgen würde. Man hatte sie nach langem wieder betreten und fand sie von der ehemaligen Mieterin in unfassbar verwahrlostem Zustand zurückgelassen. Ich selbst war nicht dabei gewesen, die Kollegen erzählten mir zur Veranschaulichung jedoch von dem, was sie vorgefunden hatten… Christoph habe sich beim Blick in die Küche und den Kühlschrank beinah übergeben müssen und sei sofort getürmt… Die gesamte Einrichtung, die Heizkörper und weitere Teile der Wohnung seien von der Mieterin in den verrücktesten Grüntönen gestrichen worden und eine Schaukel habe an den Holzbalken in einem der Zimmer gehangen… Es waren überall Nägel in die Balken des Fachwerkgerüstes geschlagen, die Tapeten waren völlig vergilbt und schälten sich bereits von den Wänden… Dahinter hockte fusseliger Schimmel… Auch das Badezimmer war von Schimmel und Dreck verwüstet, überall lag Müll herum und der Schmutz steckte sowieso in allen Poren der desolaten Wohnung… Meine Freude hielt sich in Grenzen, als sie mir sagten, das Wiesel habe vor, sobald etwas Zeit übrigbleibe, mit vereinten Kräften die Renovierung voranzutreiben.

194,70 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
720 стр.
ISBN:
9783750211179
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают