Читать книгу: «Love's Direction», страница 3

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Sie rührte sich nicht.

Noch ein Klaps.

Weiterhin keine Reaktion.

Er gedachte, sie zum Krankenwagen zu bringen, da hob sie zögerlich die Lider.

Und seine in Schatten und Kälte liegende Welt blieb abrupt stehen.

Durch die grellen Strahlen der Sonne mutete das Dunkelblau regelrecht zu glühen an. Es erinnerte ihn an die Farbe des Ozeans: tief, beruhigend, umschließend, hypnotisierend. Er tauchte in sie ein, sank tiefer und tiefer … bis zum Grund – in des Mädchens Seele, empfing dessen wirbelnde Emotionen … Aufgebrachtheit, Unsicherheit, Geborgenheit, Angekommensein.

Es war unbeschreiblich. Unvergleichlich. Unheimlich.

Der tollpatschige Versuch des zierlichen Geschöpfs, sich aus seinen Armen zu befreien, riss ihn aus seiner Trance.

Die empfundenen Emotionen verschwanden allerdings nicht. Weiterhin krallten sie sich an seinen Seelenwänden fest, trübten seine Wahrnehmung.

»Lassen … Sie mich los«, nuschelte die junge Frau mit einer ungesund klingenden dünnen, aber vor allem eingeschüchterten Stimmlage.

Gegangen war das vorhin noch überschäumende Temperament – verschwunden alle Kraft und jeglicher Widerstand.

Sie wirkte gebrochen.

Es tat ihm im Herzen weh.

»Lassen … lassen … Sie mich los.«

»Nein. Nicht so schnell.« Zärtlich schloss er seinen linken Arm um ihre schlanke Taille. »Du warst eben ohnmächtig. Stündest du nun auf, wirst du garantiert nochmals zusammenbrechen.« Seine rechte Hand glitt unter ihre Kniekehlen. »Ich werde dich hochheben, in Ordnung? Im Anschluss daran trage ich dich zum Krankenwagen, um dir eine Infusion zu setzen, die dir deinen Kreislauf stabilisiert. Schling deine Arme um meinen Hals.«

»Einen Scheißdreck … werde ich tun.« Irgendwie gelang es dieser sturen Pute tatsächlich, sich aus seiner Umarmung zu drehen.

Sichtlich zittrig, nichtsdestoweniger stolz und erhaben erhob sie sich.

Und vor ihm tauchten sofort allerlei frisch-vergnügte Horrorszenarien auf, die ihm seinen Herzschlag in die Höhe trieben.

»Verdammt noch einmal! Wieso seid ihr Weiber andauernd solchermaßen verbissen?! Willst du dir deinen Kopf aufschlagen? Bist du scharf drauf, auf den Asphalt zu knallen und dir eine Gehirnerschütterung zuzuziehen?«

»Niemand fasst mich an!«, bildete ihre raubauzige Antwort.

Taumelnd stakste sie zu ihrem grässlichen Wagen, öffnete die von Rostblasen verzierte Fahrertür, ließ sich auf den Sitz plumpsen, drehte sich zur Beifahrerseite und griff nach ihrer Tasche. Falls er es richtig erkannte, kramte sie etwas herum. Plötzlich zog sie ein Handy hervor – und machte ein Foto. Erst von ihm, darauffolgend vom Krankentransportfahrzeug.

Na noch besser!

»Was soll der Scheiß?«

Allmählich füllten sich ihre Augen mit dieser bekannten Eiseskälte. »Sie wollten auf mich eindreschen! Das bringe ich zur Anzeige. Ich lasse mich nicht mehr runtermachen! Von keinem mehr!« Lautstark knallte sie die Tür zu, startete den Motor und fuhr los.

Gänsehaut und schneidend-stechende Panik nahmen ihm kurzzeitig die Luft.

Tausendmal verdammt!

3. Rückblicke

Es konnte immer schlimmer kommen.

So geschehen in den darauffolgenden Tagen.

Alsbald die Anzeige herein trudelte, wurde er von seinem Chef beurlaubt. Ein psychisch instabiler Mann war trivialerweise nicht diensttauglich.

Psychisch instabil.

Das musste man sich auf der Zunge zergehen lassen!

Er und ein Psycho?!

Noch nie hatte er sich etwas zu Schulden kommen lassen. Grundsätzlich war er es, der Schichten übernahm, wenn niemand sonst Zeit erübrigen konnte. Er war es, der seinen Urlaub verschob, wenn Kollegen durch private Krisen nicht in der Lage waren, ihren Dienst anzutreten. Und er war es, der sich nie darüber beschwerte.

Bestenfalls in seinen Gedanken.

Dann platzte ihm einmal der Kragen – lediglich ein Gott verdammtes Mal –, und zack, wurde er als psychisch instabil abgestempelt!

Tracey atmete tief durch.

Mit dem rechten Unterarm gegen die schneeweiß verflieste, kühle Wand gelehnt, schloss er die Lider und versuchte sich auf das heiße, dampfende Wasser zu konzentrieren: Wie es auf sein Haupt prasselte, weiter über Rücken, Hintern, Ober- und Unterschenkeln floss.

Es fühlte sich gut an – beruhigend, entspannend, reinigend.

Wasser – sein Element. Obschon er nicht gerne schwamm, liebte er es zu duschen und zu baden.

Tracey fuhr sich durchs nasse Haar. Es war weich und dicht. Er mochte dieses Gefühl. Genauso wie das langer weicher seine Haut kitzelnder Frauenhaare …

Es erregte ihn ungemein, wenn Frauenhände behutsam durch sein Haar glitten, es zärtlichst kraulten und streichelten …

Er seufzte.

Wie sehr sehnte er sich nun nach etwas Geborgenheit. Nach jemandem, der ihn in den Arm nahm … hinter ihm stand … ihm Trost und Liebe spendete.

Doch da war niemand.

Wie immer.

Nun, zumindest etwas Gutes lag in seiner beschissenen Situation: Endlich hatte er seinen wohlverdienten Urlaub erhalten.

Erschöpft lenkte er seine Aufmerksamkeit zurück zum wohltuenden Wasser, und wie dieses jeden einzelnen seiner verspannten Muskeln auflockerte. Es umarmte und verwöhnte ihn, verbannte seine trüben Gedanken. Dessen Wärme erinnerte an die Umarmung seiner ersten großen Liebe, die – wie alles im Leben – nicht einmal richtig begonnen, wieder beendet war.

Zu sehr hatte er ihre Umarmungen genossen … die Küsse und Berührungen, das Fallenlassen, das Vereinigen ihrer Körper – eins werden, nichts mehr um sich herum wahrnehmen außer den Herzschlag und die glühende Hitze des jeweils anderen.

Es war Poesie. Es war Liebe – jedenfalls hatte er es angenommen. Die gepackten Koffer vollgestopft mit seinen Habseligkeiten im Vorzimmer ihrer gemeinsamen Wohnung hatten ihm einen anderen Sachverhalt dargelegt. Sie hatten ihm verdeutlichten, wie blind und pueril er gewesen war.

Bedingungslose Liebe … grenzenloses Vertrauen …

Pah!

An solche stumpfsinnigen Ideale festgehalten zu haben, war längst peinlich genug gewesen! Dann allerdings aufgrund eines aufgepumpten Machos von der Frau rausgeworfen und verlassen zu werden, welche er mehr geliebt hatte als sich selbst, war der Gipfel der Blöße!

Verzweifelt hatte er sie nach einem Grund gefragt. Die Antwort kam klatschend und rauborstig: »Du bist einfach nicht mein Typ. Ich steh auf Südländer.«

Wo waren wir denn, im Kindergarten?!

Selbst nach all den Jahren konnte er es nicht fassen.

Weshalb waren sie zusammengezogen? Weshalb war sie mit ihm in die Kiste gesprungen? Weshalb hatte sie ihm süße Worte der Liebe ins Ohr gesäuselt?

Er stand knapp davor, in Tränen auszubrechen.

Unvermittelt und ihm zage Hitzewallungen entfesselnd sah er die Frau des Pussywagon vor sich.

Die strahlenden Augen, ihre stolze Selbstsicherheit – und ihre plötzliche Gehemmtheit.

Wie wirkte sie doch verloren in seinen Armen! Er musste sich eingestehen, er hätte sie am liebsten nicht mehr losgelassen.

Dabei wollte er sie kurz zuvor noch verprügeln!

Er schüttelte den Kopf.

In solch einer aggressiven Verfassung hatte er sich noch nie zuvor befunden. Emotional aufgewühlt: sicher, oft genug. Derart instabil: niemals.

Welche Ahndung erwartete ihn? Haft? Schmerzensgeld? Oder eine fünfjährige Bewährungsstrafe?

Wie auch immer es ausgehen möge, seinen Job konnte er an den Nagel hängen – gleichermaßen wie eine erfolgversprechende, rosige Zukunft.

Diese kalte ihn übermannende Gewissheit wand sich um seine Seele und sein Herz, drückte erbarmungslos zu, raubte ihm sämtliche Kraft, lähmte seine Muskeln und trieb ihm letztendlich heiße Tränen aus seinem gebrochenen Innersten empor.

Er hatte sein Leben weggeworfen – aufgrund der Provokation einer blöden Schnepfe!



Erwärmt und mäßig entspannt verkroch er sich ins Bett. Weder wollte er sich einen Film zu Gemüte führen noch etwas essen oder die Wohnung verlassen. Alles, was er sich herbeisehnte, war ein tiefer, angenehmer, ihn für die nächsten acht oder neun Stunden seiner Sorgen beraubender Schlaf.

Stattdessen wurde er von ebendiesen nagenden Sorgen gequält. Wie die letzten Tage drehte Tracey sich gefühlte tausendmal von einer Seite zur anderen. Und tausendmal spielte sein Gehirn dieselben Gedankengänge und Erinnerungen ab: das Aufeinandertreffen mit der Schnepfe, seine verfickten Ex-Freundinnen, die traumatisierten Erfahrungen und Schicksalsschlägen seiner Kindheit, die Panik vor einer jahrelangen unbedingten Haftstrafe …

Irgendwann zeigte Gevatter Schlaf dann doch erbarmen und legte sich halbherzig über ihn – und wie jedes Mal träumte Tracey wirres Zeugs, durch welches sein ohnehin bröckeliger Gefühlszustand stärker ins Wanken geriet.

Es war eine einzige Tortur.



Des Morgens erwachte er – wie konnte es anders sein? – erschöpfter, als er sich die Abende zuvor gefühlt hatte.

Wie in den vergangenen Tagen versuchte er sein emotionales Gleichgewicht zurückzuerlangen, indem er eine Stunde lang durch Klagenfurt joggte, dabei die Sonne beobachtete, wie diese sich träge über die von Raureif überzogenen Dächer und qualmenden Kamine der Altbauwohnungen und zu Tode renovierten Vorkriegsvillen emporschob. Er beobachtete die Futter suchenden und von jungen Mietern unbarmherzig verscheucht werdenden Tauben, atmete den Geruch von Verbrennungsmotoren ein, fühlte den schneidenden Wind – ein letztes trotziges Aufbegehren, ein Sich-am-Leben-Festklammern des unweigerlich dahinsterbenden Winters … Ein Äquivalent zum Lebenswillen des menschlichen Greises. Selbst im Anblick des Todes sah Tracey ihn in ihren bleichen Gesichtern: den Unglauben, den Schock, die Verdrängung, die Leugnung.

Wenn die Kraft nachließ, das Atmen und die Augenlider schwerer wurden, der Körper gnadenlos verfiel – gleichgültig eines wachen, steten Geistes.

Irgendwann kam der Augenblick, dann musste man loslassen. Loslassen von all dem Irdischen, dem Fleischlichen, dem Bedeutungslosen. Dann, in dieser letzten Stunde des Todes, begannen viele zu bereuen – die unversuchten Dinge, die unversöhnten Streitigkeiten, die nicht genutzten Chancen.

Ich will leben – in zweierlei Hinsicht –, dies wurde ihm immer wieder geklagt.

Aber was bedeutete zu leben?

Highlife? Über die Stränge zu schlagen, zu prassen, zu feiern? Jede freie Sekunde außer Haus zu verbringen, um ja nichts zu verpassen?

Bullshit!

Ein bewusstes Leben gab dir mehr, als tausend Partys oder falsche Freunde und Luxuskarossen. Ein bewusstes Leben im Sinne von Genuss, Akzeptanz, Dankbarkeit, Demütigkeit und Understatement. Kein iPhone der Welt, kein Bentley, keine Rolex, kein Maßanzug schenkte dir Liebe, Zufriedenheit, Gesundheit und Geborgenheit. Erst wenn das Gewöhnliche, das Alltägliche, das Selbstverständliche zu etwas Besonderem, Schätzbarem wurde, lebte man.

Geschmeidig sprang Tracey über fünf Steinstufen hinab zum Lendkanal, zapfte sämtliche Energien an und sprintete die letzten zwei Kilometer Richtung Wohnung zurück. Anschließend genehmigte er sich eine kurze heiße Dusche und ein englisches Frühstück. Doch kein Moment verging, und die ihm in die Knie zwingenden Fragen begannen ihn abermalig zu geißeln, zu unterdrücken, zu zermalmen: Verliere ich meine Arbeit? Muss ich in den Knast? Wie viel Strafe werde ich zahlen müssen? Wenn die Gerichtsverhandlung vorüber ist, wird noch irgendjemand etwas mit mir zu tun haben wollen?

Und ebenso oft geisterte der Anblick der Pussywagon-Fahrerin durch seinen kruden Verstand.

War seine Wut in den ersten drei Tagen noch grenzenlos gewesen, schlug dieser Umstand allmählich in Neugier um. Wer war diese Frau, die einerseits bewundernswerte Selbstsicherheit an den Tag legte, andererseits völlig hilflos und unischer wirken konnte?

Solch harte Gegensätze – vereint in einer Persönlichkeit.

Er trank sein Glas mit Orangensaft aus, packte seine dunkelblaue Trainingstasche, zog sich Turnschuhe an und machte sich auf den Weg zum Fitnesscenter.

Zwei Stunden gelang es ihm, seinen Kopf abzuschalten und sich auszupowern. Jedoch bedurfte es bloß einen Schritt aus dem quadratischen Objekt mit der überheblichen ›Fitness for all! – gestalte dein Leben vitaler!‹-Aufschrift und die wunderhübsche rothaarige Frau mit den intensiven blauen Augen schlich sich zurück in sein Bewusstsein.

Wenngleich er es absolut nicht wollte, entwickelt er Sympathie für sie. Und zwei Tage später musste er sich eingestehen: Sie lag im Recht.

Er hatte auf sie einschlagen wollen, er hatte sein Ego über die StVO erheben wollen, er hatte die Nerven verloren.

Was war da mit ihm los gewesen?

Nahezu pausenlos grübelte er über diesen Vorfall, seinen Aussetzer und die daraus resultierende Begegnung. Und zu welchem Stolz ankratzenden Ergebnis brachte es ihn? Niemals hätte er auf diese beschämende, asoziale Weise reagiert, hätte das Mädchen nicht eine derart große äußerliche Ähnlichkeit zu seiner verschissenen Ex aufgewiesen! Dies wiederum verdeutlichte ihm: Sein Chef hatte ebenfalls recht. Er hatte vollumfänglich und über die Maßen irrational und gemeingefährdend gehandelt.

Aber was brachte es schon zu grübeln und sich schuldig zu fühlen? Weder konnte er seine Tat gutmachen noch die Zeit zurückdrehen.

Es war geschehen.

Genauso wie es geschah, dass er sich immer öfter fragte, wie das Zusammentreffen mit dieser rothaarigen Schönheit vonstattengegangen wäre, hätten sie sich in einem Lokal, bei einem Spaziergang, im Kino oder im Fitnessklub begegnet.

Zum Teufel!

Wohin drifteten seine ziellosen Gedanken ab?

Außer Atem erhob er sich vom dunklen Parkettboden seiner Zwei-Zimmer-Wohnung.

Sein Herz raste, seine Muskeln schmerzten.

Wie viele Push-ups hatte er absolviert?

Er war sich nicht mehr sicher. Lediglich eines wusste er: nicht genug, um sein verfluchtes rastloses Gehirn abzuschalten und Ruhe zu finden! Und diese vermaledeite Frau zu vergessen, ihren betörenden Blick zu vergessen, dieses Gefühl zu vergessen, diese Einigkeit zu vergessen …

Verfickt noch einmal!

Er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, von einer fremden Frau jemals auf eine solche intensive Weise angesehen worden zu sein. Freilich, in der Vergangenheit hatte er einige selbstbewusste und ebensoviele schüchterne Damen kennengelernt – sie dagegen spielte in einer völlig anderen Liga.

Tracey atmete stoßweise tief durch, dann fing er mit Kniebeugen an. Sein Blick aus dem Fenster gerichtet, welches ihm die ewig deprimierende Aussicht auf die angrenzenden Wohnblöcke zeigte, deren abblätternden ockerfarbenen Außenfassaden eher an eine russische Siedlung aus den Achtzigern erinnerten als an einen modernen Vorort Klagenfurts des einundzwanzigsten Jahrhunderts, zogen seine Gedanken weitaus größere Kreise.

Läge diese Frau in seinen Armen, würde sie ihn auf dieselbe verbindende Weise betrachten?

Wie sähe sie ihn an, wenn sie sich ihm hingäbe?

Seine letzte Freundin hatte einen unaussprechlich erregenden Gesichtsausdruck gezeigt, wenn sie miteinander intim geworden waren. Insbesondere, wenn er sie mit seinen Händen verwöhnt hatte.

Im Augenblick der höchsten Lust, würde sie ihre Augenbrauen wölben oder senken, die Lider schließen oder minimal angehoben halten?

Welch Wunder läge in ihren tiefblauen Augen, wenn er in sie eindrang – Zentimeter um Zentimeter, ihr zierliches Becken fest in seinen Händen haltend, ihre schlanken Beine um seine Hüften geschlossen?

Wie fühlte sie sich an?

Ihr ekstatischer, glühender, nasser Unterleib … ihre Brüste, deren Knospen sich ihm hart entgegenstreckten?

Harmonische Stöße … seelenverschmelzende Küsse … ihr nackter Oberkörper an seinen gepresst …

Er hielt inne.

Himmel, Arsch! Verfickt noch einmal!

Sie hatte ihn angezeigt!

Vermutlich würde er sie allerhöchstens in der Gerichtsverhandlung antreffen – und er dachte an ungezügelten Sex mit ihr?!

Es wurde tagtäglich schlimmer mit ihm!

Wohin würde sein Geisteszustand ihn noch führen?

4. Der Apfel der Erkenntnis

Tracey hatte sich eben an die auf Hochglanz polierte dunkle Bar seines Stammlokals gesetzt und ein aromatisiertes Mineralwasser – in diesem Fall Johannisbeergeschmack – bestellt, da tauchte ein ihm zu vertrautes Gesicht auf.

»Na, wen sehen meine entzündeten Augen da?«, posaunte eine, wie üblich, gut gelaunte Steffi quer durch den stickig-vernebelten Raum.

»Ich bin nicht in Stimmung«, wehrte er prophylaktisch ab. »Versuch es erst gar nicht.«

Was auch immer du versuchen willst, vervollständigte er gedanklich und nahm einen großen Schluck.

»Hast du Probleme?«

Er schielte sie aus zusammengezogenen Augenbrauen an. »Was glaubst du wohl?«

Seine beste Freundin schnippte mit den Fingern. »Ach natürlich! Die Sache mit der Körperverletzung, Nötigung und … was war da noch?«

»Gefährdung der körperlichen Sicherheit«, vervollständigte er ihren Bericht deprimiert, verzweifelt und gefrustet.

»Ganz genau.« Fröhlich-beschwingt setzte sie sich zu ihm, bestellte einen weißen Spritzer und plapperte munter weiter. »Wie, zur Hölle, kannst du derart ausflippen?«

Tracey wandte sich den unzähligen Whiskeyflaschen zu und begann diese im Geiste abzuzählen. »Ich hatte einen schlechten Tag.«

»Du hast keine schlechten Tage.«

»Na, wenn du das sagst.«

»Ja, das sage ich!« Die Vehemenz in ihrer besserwisserischen Stimmlage feuerte sein wankelmütiges Temperament unverhältnismäßig heftig an. »Schließlich kenne ich dich länger als irgendjemanden sonst.«

Was sehr einfach ist, dachte er zähneknirschend. Weil du durch deine anstrengende Art Menschen fortwährend vergraulst und letztendlich verjagst.

Anstatt diese Tatsache laut auszusprechen, erwiderte er gezwungen ruhig: »Ich fühlte mich geehrt.«

»Ich weiß, das ist gelogen. Aber trotzdem, Danke.«

Tracey zählte weiter, suchte nach innerer Kraft und einer scheiß Ausgeglichenheit.

Seine Nervenstärke hatte in den vergangenen Tagen kontinuierlich abgebaut, seine Zukunft war ein einziger Scherbenhaufen und seine Einsamkeit brachte ihn sukzessiv um. Eine ihn bequasselnde Steffi stellte somit nicht unbedingt den idealen Gesprächspartner dar. Zumal er bloß nach etwas Abwechslung und Zerstreuung gesucht hatte – und keinen Weibertratsch-Perioden-Depressionstage-Jammergeschichten lauschen wollte.

»Also, alter Griesgram! Was geht sonst so ab?«

Tracey reagierte nicht.

Es war besser, ruhig zu bleiben und den kauzigen Eremiten zu mimen, wollte er sie schnell wieder loswerden. Denn eines war gewiss: Was immer Steffi hier tat, es verhieß hundertprozentig nichts Gutes. Für ihn wiederum bedeutete es ungleich mehr Strapazen und Hindernisse, um etwas Lockerheit und Positivität in seinen Alltag zu bringen.

»Wie schmeckt dein Kindergetränk?«, stichelte sie und beugte sich zu ihm, um überheblich in sein Glas schauen zu können. »Hat das Bier letztens nicht gemundet?«

Er schob das Wasser zur Seite und musterte ihre zugekleisterte Visage. »Was willst du hier?«

»Besser gesagt«, konterte sie einschließlich unheilvollen Grinsens, »was will ich von dir.«

Er vollführte eine schwach-gelangweilte Handgeste. »Und was willst du von mir?« Das letzte Wort betonte er übermäßig gereizt, gleichzeitig lehnte er sich zu ihr.

»Ich habe nach dir gesucht. Die letzten Tage nach unserem Telefonat warst du wie vom Erdboden verschluckt.«

Ja, weshalb wohl?!

»Ich brauchte meine Ruhe.«

»Aber jetzt scheint das anders zu sein.«

Super deduziert, Sherlock!

Er zuckte die Achseln. »Ja, und?«

Sie klopfte ihm auf die rechte Schulter. »Ich habe eine Einladung für dich.«

»Einladung? Welche Einladung?«

Der alternde Kellner brachte Steffi ihr Wunschgetränk, welches sie sofort ergriff und davon einen großen Schluck nahm. »Zu einem romantischen Blind-Date.«

Eiseskälte und mit Stromschlägen gleichzusetzende Adrenalinausstöße brachten ihn ins Schwitzen.

O mein Gott …

Das war nicht mehr schlecht – das war der Horror schlechthin!

Er stöhnte. »Fängst du neuerlich damit an?«

Soweit er sich zurückerinnern konnte, hatte sie ihn zu verkuppeln versucht, alsbald er solo durch die Welt wanderte.

Weshalb?

Er wusste es nicht. Jedenfalls drangsalierte sie ihn in solchen Lebensphasen solange, bis er nachgab.

Wie vor drei Jahren.

Da hatte er sich kurzerhand zu einem derartigen verfluchten Blind-Date überreden lassen. Und wie erwartet, hatte es in einem Desaster, einer Katastrophe und einem Armageddon geendet. Um genauer zu sein: Mit einer Schlägerei und einer Anzeige – allerdings nicht gegen ihn, sondern gegen den Kerl, der seine Verabredung bedrängt hatte. Erst im Nachhinein hatte Tracey erfahren, dass es sich hierbei um den Ex-Lover seines Dates gehandelt hatte.

»Ich habe keinen Bock auf eine weitere Schlägerei. Außerdem würde eine solche in meiner nunmehrigen Situation kein besonders gutes Licht auf mich werfen.«

Mit dem zugegebenermaßen hübschen Mädchen war letzten Endes zwar nichts geworden, doch wenigstens würde dieses zukünftig nicht mehr von dem Schlägertypen belästigt werden. Dafür hatte Tracey gesorgt. Auf ausgesprochen subtile, erinnerungswürdige, schmerzhafte Weise.

Steffis Gegrinse wuchs besorgniserregend in die Breite. »Die Süße meinte, sie hätte schon seit acht Jahren keine Beziehung. Somit brauchst du dir wegen möglicher Ex-Freunde keine Gedanken zu machen.«

»Ach wirklich? Dann wird sie wohl zu wählerisch sein. Sonst hätte sie längst jemanden gefunden.«

Wozu gab es Online-Partnerbörsen und Singletreffs? Irgendwelche On-off-Beziehungen konnte man sich schnell aufgabeln, und One-Night-Stands beträchtlich leichter.

»Nein, die eierlosen Macker getrauen sich bloß nicht, sie anzusprechen.«

Er beäugte Steffi eingehend. »Noch eine Emanze, oder was? Glaub mir, die Letzte reichte mir definitiv.«

»Nein! Sie ist total nett, liebenswürdig, ehrlich, vernünftig und umgänglich.«

Ja klar!

Und er war der Präsident der Vereinigten Staaten!

»Natürlich, deshalb spricht sie keiner an.«

»Zudem ist sie bildhübsch. Eine einzige Augenweise. Schlank und natürlich – genau dein Typ.«

»Deshalb spricht sie keiner an«, wiederholte er.

»Man kann sich wunderbar und ausgelassen mit ihr unterhalten. Sie hat Köpfchen und ist schlagfertig.«

»Ja sicher!«, antwortete er bissig. »Exakt deshalb spricht ja niemand mit ihr!«

Steffi wollte ihn wohl für blöd verkaufen! Wäre dieses Traumweib ernsthaft solcherweise hübsch, klug und wundertoll, wäre sie längst nicht mehr single, womit dies nur eines bedeuten konnte: Diese Frau war ein einziger Hausdrachen, hässlich, unfreundlich, berechnend, durchtrieben und sowieso beziehungsunfähig!

Schleppend und seufzend richtete er sich auf. »Ernsthaft Steffi, hör mir bitte endlich auf mit dem Mist. Ich brauche keine weitere emanzipierte Scheiß-Schnepfe, die mir einen weiteren belanglosen Tag in meinem erbärmlichen, desaströsen Leben versaut. Es ist längst schlimm genug, lass gut sein.«

»Das Essen ist kostenlos«, fuhr sie ungehindert fort. »Obendrauf gibt es Kuchen und Torten.«

Allmählich reichte ihm Steffis Herumgeturne auf seinen zum Zerreißen angespannten Nerven.

Bemerkte sie es nicht, wann es genug war, oder wollte sie es schlichtweg nicht bemerken?

»Hörst du mir nicht zu, oder was?! Ich habe kein Interesse an einer weiteren Katastrophe, okay? Ich habe genügend verschissene Probleme!«

Eine unvermutete Milde huschte über ihre Züge. »Es würde dir guttun. Ein wenig Abwechslung schadet nie, Tracey.«

Falls du unter Abwechslung ein zertrümmertes Kniegelenk verstehst, dachte er. Ist das natürlich völlig legitim.

Er wunderte sich, weshalb er damals nicht ebenfalls angeklagt worden war. Vermutlich war der Versuch des Arschlochs, ihn mit einer zerschlagenen Bierflasche niederzustechen, doch etwas schwerer ins Gewicht gefallen als Traceys darauffolgender Tritt gegen das rechte Knie dieses Wahnsinnigen.

Er nippte an seinem Johannisbeerwasser. »Ich hab keinen Bock, verdammt.«

»Du weißt genau, es wird nicht derart ablaufen wie letztens.« Blitzschnell streckte sich ihre Hand zu seinem Haar – und unbekümmert zerraufte sie es. »Das Treffen wird lustig. Ich verspreche es dir!«

Schmerz zuckte durch ihn hindurch, sämtliche feine Härchen seines Körpers stellten sich auf.

Wie er es hasste, wenn sie dies tat!

Er schlug ihre verkackte Hand zur Seite, wich zurück und taxierte sie giftig. »Fass gefälligst mein verschissenes Haar nicht an! Das tut weh, du grober Klotz!«

Sie schürzte die Lippen. »Aber sie sind wahnsinnig kuschelig.« Dies gesprochen sekkierte sie sein Haupt mit beiden Händen, woraufhin er vom Barhocker glitt, drei Schritte nach hinten stolperte und die Arme in einer abwehrenden Geste von sich streckte. »Steffi, hör auf, oder bei Gott, ich vergesse mich.«

Seine Kopfhaut war ausgesprochen empfindlich – eine erogene Zone, die von keinem Menschen außer seiner Partnerin berührt werden durfte!

»Mann! Du Spaßbremse!« Seine fläzige Freundin zog eine beleidigte Schnute, welche große Ähnlichkeiten mit der eines ungezogenen Hosenscheißers aufwies. »Komm einfach vorbei. Es haben sich viele Leute angemeldet. Außerdem habe ich mich mordsmäßig gequält, um der Süßen das Date schmackhaft zu machen.«

O Gott!

Steffi hatte sie ebenfalls genötigt?

»Wie lange hast du sie terrorisiert?«

Mit dem rechten Zeigefinger malte sie Kreise auf den Holztresen – unschuldiger Dackelblick mit eingeschlossen. »Gefühlte hundertmal.«

»Und tatsächlich?«

Sie zuckte die Schultern. »Zwanzig?«

»Himmel! Steffi!« Zögerlich setzte er sich wieder zu ihr. »Weshalb willst du andauernd Singles zusammenbringen?«

Etwas ihn Hühnerhaut Auslösendes huschte über ihre Make-up beladenen Züge. »Ich ertrage es schlichtweg nicht, wenn Menschen einsam sind. Darum beiße in den sauren Apfel – womöglich ist er doch süßer als vermutet.«

Er atmete hörbar durch.

Warum durchwegs er? Wann würde seine verfickte Unglückssträhne ein Ende finden?

Andersrum hatte Steffi nicht ganz unrecht. Ein wenig Abwechslung schadete grundsätzlich nie – sofern es dadurch keine durchgeknallten Ex-Lover auf ihn abzusehen begannen.

»Saurer Apfel, ja?«

Hoffnung ließ sie erstrahlen. »Glaub mir, sie wird dir bestimmt gefallen.«

Was sie nicht sagte!

Eine abrupt über ihn hereinbrechende böse Vorahnung ließ ihn unweigerlich erzittern. »Das hat aber hoffentlich nichts mit unserem letzten intimen Gespräch zu tun?«

Sie winkte ab. »Überhaupt nicht. Außerdem hatte sie vor acht Jahren eine Beziehung – wie vorhin erwähnt. Jungfrau kann sie somit nicht mehr sein, oder?«

Na, wenigstens etwas … andersrum gesehen wäre eine Jungfrau wesentlich besser als eine weitere Dorfmatratze …

Ach verdammt!

»Und das Essen ist wirklich kostenlos?«

Er musste auf seine Finanzen achten. Sollte er eine Haftstrafe abbüßen müssen, zählte jeder Cent, um die Wohnung weiterhin halten zu können sowie keine Schulden anzubauen.

»Ja. Alles gratis.«

»Wer finanziert das?«

»Ein Freund eines Freundes, dessen Freund ein Jubiläum zu feiern hat.«

Tracey zog die Augenbrauen hoch. »Welches Jubiläum?«

»Der Gasthof von dem Freund eines Freundes dessen Freund … wird zehn.«

»Aha« Er blickte zu den Whiskeyflaschen zurück. »Wie schön für ihn.«

Noch ein erfolgreicher Drecksack, dem offenkundig alles in die Wiege gelegt wurde …

»Komm schon!«, quengelte sie. »Sag Ja. Ich bin mir tausendprozentig sicher, es wird ein lustiger Abend werden.«

Er stieß einen lauten, resignierten Seufzer aus.

Wahrscheinlich würde Steffi ihn noch drei weitere Stunden quälen … da war es wohl besser, dem Blind-Date zuzustimmen. Ein einmaliges Gespräch mit einer hübschen Frau konnte niemals dergestalt nervenaufreibend sein, wie das Gejammer einer gefrusteten Steffi. Zumindest hoffte er dies, währenddessen er seiner penetranten Freundin zögerlich zustimmte.

»Super!« Sie verpasste ihn noch einen Klaps auf die Schulter und trank ihren Spritzer mit einem Zug aus. »Du wirst garantiert viel Spaß haben!« Sie rutschte vom Barhocker, verabschiedete sich herzlich bis besorgniserregend einschleimend und zog glücklich strahlend von dannen.

Und Tracey fühlte sich sekündlich unwohler.

Hoffentlich hatte er sich nicht eben einen Apfel vom Baum der Erkenntnis andrehen lassen.

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9783752923940
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