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I. Erläuterung
1. Grundsätzliche Irrelevanz der Substanzwerte

Bei der Gesamtbewertung ermittelt der Unternehmensbewerter den Ertragswert des Unternehmens, indem er die zukünftigen Nettocashflows des Unternehmens auf den Bilanzstichtag diskontiert. Der Substanzwert an sich ist irrelevant.49 Der Wert der betriebsnotwendigen (oder genauer: zur Erzielung der Cashflows notwendigen) Vermögensgegenstände (z.B. Grundstücke und Know-how) schlägt sich vollständig im Ertragswert des Gesamtunternehmens nieder. Denn ein Unternehmen, dem ein betriebsnotwendiges Produktionsgebäude gehört, spart Mietausgaben. Diese Einsparung führt c.p. zu höheren Nettocashflows und – bei gleichbleibendem Zinssatz – zu einem höheren Ertragswert. Würde der Bewerter den Marktwert des Gebäudes zusätzlich zum Ertragswert erfassen, so muss er unterstellen, dass der Unternehmer das Gebäude zu diesem Preis verkauft und einen zusätzlichen Netto-Verkaufs-Cashflow erzielt. Allerdings muss der Bewerter dann in einem zweiten Schritt prüfen, welche Zusatzausgaben (Miete oder Kaufpreis) dem Unternehmen dadurch entstehen, dass es kein eigenes Produktionsgebäude mehr besitzt, das es ja dringend benötigt, und den Ertragswert entsprechend verringern.

2. Relevanz der Substanz bei unzureichender Ausstattung mit Anlage- und Nettoumlaufvermögen

Die Irrelevanz der Substanz hat jedoch ihre Grenzen. Wird z.B. über den Kauf eines Unternehmens nachgedacht, ist es von besonderem Interesse, welchen Nutzen die schon vorhandene Substanz für den Käufer hat. Die indirekte Bedeutung des Substanzwerts kommt in seiner Interpretation „als vorgeleistete Ausgaben“50 insofern zum Ausdruck, als „dem Investor durch das Vorhandensein von Vermögensteilen entweder künftige Ausgaben ganz erspart bleiben oder doch zumindest ihr Anfall zeitlich hinausgezögert wird: Substanz substituiert künftige Ausgaben“51 und ermöglicht die Vornahme von zukünftig höheren oder zumindest vorgezogenen Ausschüttungen, da entsprechende Beträge nicht mehr (zeitnah) zum Erwerb von betriebsnotwendigem Vermögen eingesetzt werden müssen, sondern an die Unternehmenseigner verteilbar sind.

Der Unternehmensbewerter muss demzufolge danach fragen, ob die am Bewertungsstichtag vorhandene Substanz ausreicht, um die geplanten Nettocashflows in der Prognosephase auch zu ermöglichen. Sind bestimmte Anlagegegenstände zwar betriebsnotwendig, aber nicht (in ausreichendem Umfang) im Unternehmen vorhanden, so verringern deren Wiederbeschaffungskosten den Ertragswert des Unternehmens.

Kalkuliert z.B. der Bewerter eines Fuhrunternehmens mit einem gleichbleibenden jährlichen Nettocashflow von 500 000 Euro (langfristiger Auftrag eines Kunden) und einem Zinssatz von 10 %, so beträgt der Ertragswert der ewigen Rente 5 Mio. Euro. Ist jedoch für die Erzielung des Nettocashflow ein funktionstüchtiger Lkw im Wert von 200 000 Euro erforderlich, und stellt der Unternehmensbewerter fest, dass der dafür vorgesehene Lkw des Fuhrunternehmens vor dem Bewertungsstichtag zerstört wurde, so ist der Unternehmenswert zu korrigieren. Diese (wertmindernde) Korrektur ist vorzunehmen, indem der Ertragswert (5 Mio. Euro) um die Wiederbeschaffungskosten des Lkw (200 000 Euro) vermindert wird. In diesem (Ausnahme-)Fall wird die Substanz neben der Ertragskraft des Unternehmens separat bewertet.

Die Mindestausstattung mit Kapital betrifft auch das betriebsnotwendige Netto-Umlaufvermögen (Working Capital). Zum Working Capital zählen auf der Aktivseite der Bilanz klassischerweise folgende Positionen:

 – Mindestbestand an liquiden Mitteln,

 – Vorratsbestand,

 – Bestand an Forderungen aus Lieferungen und Leistungen,

 – Aktive Rechnungsabgrenzungsposten und geleistete Lieferantenanzahlungen.

Auf der Passivseite der Bilanz zählen als Abzugspositionen vom Working Capital u.a.:

 – Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen,

 – Operative Rückstellungen,

 – Passive Rechnungsabgrenzungsposten und erhaltene Kundenanzahlungen.

Die einzelnen Positionen des Working Capital zeichnen sich durch drei wesentliche Charakteristika aus:

 1. Die Positionen des Working Capital sind zur Erzielung des Cashflow notwendig. Sie entstehen auf natürliche Weise aus dem operativen Geschäft. So hat z.B. ein auf Ziel verkaufendes Unternehmen am Bilanzstichtag regelmäßig Forderungen aus Lieferungen und Leistungen, die schlicht daraus resultieren, dass einige Tage zwischen dem Erbringen der Leistung und ihrer Bezahlung liegen. Verkauft z.B. ein Unternehmen an 360 Tagen im Jahr Waren und Dienstleistungen für 1 000 Euro pro Tag und bezahlen die Kunden im Durchschnitt zehn Tage nach Lieferung, so bestehen am Bilanzstichtag Forderungen aus Lieferungen und Leistungen von 10 000 Euro.

 2. Die Positionen des Working Capital werden zwar im Einzelnen mehr oder weniger schnell umgesetzt, ihr Gesamtbestand bleibt aber langfristig – bei gleichen Umsätzen – weitgehend unverändert. Sie haben daher dieselbe (Kapital-)Bindungswirkung wie das Anlagevermögen. Im vorstehenden Beispiel bezahlen die Kunden ihre Forderungen zwar nach zehn Tagen. Am gleichen Tag beziehen sie (oder andere Kunden) aber vom Unternehmen wieder Leistungen in vergleichbarer Höhe, die wiederum erst in zehn Tagen bezahlt werden. Dadurch bleibt c.p. der Gesamtbestand an Forderungen der Höhe nach erhalten und lediglich seine Zusammensetzung variiert.

 3. Die Positionen des Working Capital sind – wie das Sachanlagevermögen – langfristig unverzinslich. Im vorhergehenden Beispiel erhalten die Kunden für zehn Tage ein unverzinsliches Kurzdarlehen. Da sich aber im Bezahlungszeitpunkt sofort ein neuer Kurzkredit in gleicher Höhe anschließt, kann finanzmathematisch davon ausgegangen werden, dass die Kunden ihre erste Warenlieferung immer noch nicht bezahlt haben, dafür aber die Ware der zweiten Lieferung in bar entrichten. Im Ergebnis prolongiert das Unternehmen der Gemeinschaft der Kunden das zunächst nur für zehn Tage gewährte Kundendarlehen immerwährend, so dass es erst bei Auflösung des Unternehmens in ferner Zukunft fällig gestellt wird und bis dahin den Kunden unverzinslich zur Verfügung steht.

Ähnlich wie beim Anlagevermögen muss der Bewerter fehlendes oder überzähliges Working Capital bei der Berechnung des Ertragswerts berücksichtigen. Wird z.B. angenommen, dass ein Lebensmitteleinzelhändler einen prognosefähigen jährlichen Nettocashflow von 40 000 Euro erwirtschaftet, so beträgt der Ertragswert bei einem Zinssatz von 10 % und der Annahme einer ewigen Rente 400 000 Euro. Der Nettocashflow setzt aber voraus, dass der Händler einen bestimmten Bestand an Lebensmitteln in seinen Regalen vorrätig hat (z.B. im Einkaufswert von 30 000 Euro), denn ohne Angebot kaufen die Kunden nicht. Hat der Händler nun kurz vor dem Bilanzstichtag sämtliche Waren verkauft (z.B. Großauftrag der Gemeinde), so dass die Regale leer sind, wird dies ein potenzieller Käufer des Unternehmens berücksichtigen müssen. Der Käufer weiß, dass er die Nettocashflows nur dann dauerhaft erzielen kann, wenn die Regale ordnungsgemäß bestückt sind; dies kostet ihn aber einmalig (kurz nach Erwerb) 30 000 Euro. Deshalb wird er die zusätzlichen (einmaligen) Auffüllungskosten von 30 000 Euro kaufpreismindernd berücksichtigen und den Ertragswert des Unternehmens aufgrund der fehlenden betriebsnotwendigen Substanz mit 370 000 Euro (= 400 000 Euro abzgl. 30 000 Euro) veranschlagen.

3. Relevanz des Liquidationswerts bei nicht zur Erzielung des Cashflow notwendigem Vermögen

Vermögenswerte, die das Unternehmen nicht benötigt, um die prognostizierten operativen Nettocashflows zu erzielen (z.B. spekulativ gehaltene Aktien), erhöhen den Ertragswert, wenn das Verbleiben dieser Objekte im Unternehmen nicht zu einem höheren Wert führt als ihr Verkauf. In diesem Fall ermittelt der Bewerter den Liquidationserlös dieser Objekte und rechnet ihn dem Ertragswert hinzu. Er muss jedoch dann bei der Bestimmung des Ertragswerts darauf achten, dass die aus dem Objekt anfallenden Einzahlungen (z.B. Dividendenerträge) und Auszahlungen (z.B. Depotgebühren) nicht mehr in die Plancashflow-Berechnung des Ertragswerts einbezogen werden. Sie sind aus der Plan-GuV und der daraus abgeleiteten Plan-Cashflow-Rechnung zu eliminieren.

II. Anwendung auf den Fall: Substanz der Kanzlei „Tippe“

Der Ertragswert der Kanzlei „Tippe“ wurde mit der ewigen Rentenformel mit 500 000 Euro (= 25 000 Euro / 0,05) berechnet (vgl. Fall 2). Die Analyse der einzelnen Bilanzpositionen führt zu folgendem Ergebnis:


Kundenstamm:Ohne den Kundenstamm lassen sich die Cashflows nicht in der kalkulierten Größenordnung erzielen. Damit spiegelt sich die Ertragskraft des Kundenstamms bereits im Ertragswert vollständig wider. Seine Erhöhung um den Marktwert des Kundenstamms (80 000 Euro) würde zu einer unzulässigen Doppelberücksichtigung des mit ihr verbundenen Nettocashflow führen.
Software, Lizenzen:Auch die Software ist zur Erzielung der Cashflows notwendig. Tippe kann sie nicht verkaufen, ohne seine Leistungsfähigkeit zu gefährden. Steigende Marktpreise erwecken häufig den fatalen Eindruck, dass das Unternehmen wertvoller geworden ist. Oft ist jedoch das Gegenteil der Fall, denn bei abnutzbaren Vermögensgegenständen indizieren höhere Marktpreise höhere zukünftige Ersatzinvestitionen und damit einhergehende geringere Nettocashflows.
Grundstück Neudorf:
Betriebsausstattung:Die Betriebsausstattung gehört zum betriebs- oder genauer: cashflownotwendigen Vermögen und ist gemäß Sachverhalt richtig dimensioniert. Regelmäßige Ersatzinvestitionen sind in der Ertragswertberechnung berücksichtigt. Würde Tippe z.B. den Pkw für seinen aktuellen Marktwert von 50 000 Euro verkaufen, so könnte er seine Mandanten nicht mehr aufsuchen. Er müsste sich dann entweder einen neuen Pkw (möglicherweise für ebenfalls 50 000 Euro) kaufen, oder er muss zukünftig mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder Taxis fahren. Die damit verbundenen permanenten (Mehr-)Ausgaben wären zu diskontieren und würden in Höhe ihres aktuellen Barwerts den um den Verkaufserlös des Pkw erhöhten Ertragswert wieder mindern. Geht der Bewerter also davon aus, dass der Eigenbetrieb des Pkw günstiger ist als die Alternativen (öffentliche Verkehrsmittel/Taxi) und ist der Pkw nicht überdimensioniert, so bleibt kein Raum, seinen Marktwert dem Ertragswert hinzuzurechnen.
Forderungen aus LuL:Die Forderungen aus Lieferungen und Leistungen gehören zu dem betriebsnotwendigen Working Capital. Sie lassen sich nicht vermeiden und fallen im Rahmen des betriebsgewöhnlichen Geschäfts an.
Bank und Kasse:Der Mindestbestand an Bank- und Kassenguthaben wird benötigt, um gegen außerplanmäßige Zahlungen und die damit verbundenen Zahlungsengpässe gewappnet zu sein. Allerdings genügt Tippe ein Bank- und Kassenbestand von 2 000 Euro. Er kann also den Überbestand von 13 000 Euro ausschütten, ohne die betriebswirtschaftliche Funktion, die der Kassen- und Bankbestand erfüllt (Sicherung der Liquidität), zu gefährden. Deshalb stellt der Bank- und Kassenbestand i.H.v. 13 000 Euro nicht zur
Erzielung des Cashflow notwendiges Vermögen dar und ist dem Ertragswert hinzuzurechnen.
Eigenkapital:Das Eigenkapital ist für die Unternehmensbewertung irrelevant, denn es ist eine reine Rechengröße. Mit dem Ertragswert bestimmt der Bewerter den Zeitwert des Eigenkapitals durch Gesamtbewertung. Deshalb darf das Eigenkapital nicht noch einmal zusätzlich ertragswerterhöhend berücksichtigt werden.
Jahresüberschuss:Der Jahresüberschuss hat keinen Einfluss auf die Höhe des durch Gesamtbewertung errechneten Unternehmenswerts. Diskontiert werden nicht Erträge/Aufwendungen, sondern Nettocashflows.Der Jahresüberschuss wäre allerdings – aus Sicht des Käufers – bewertungsrelevant, wenn im Verkaufsvertrag vereinbart wurde, dass der Verkäufer den Jahresüberschuss noch behalten und an sich auszahlen darf. Entnimmt aber Tippe vor dem Verkauf der Kanzlei den Jahresüberschuss aus dem Unternehmen, so fällt der Bank- und Kassenbestand auf –10 000 Euro. Der Käufer (Neumeier) müsste nicht nur den Fehlbetrag unverzüglich ausgleichen, er würde auch den berechneten Überbestand von 13 000 Euro verlieren. Deshalb stellt in diesem (Ausnahme-)Fall der Jahresüberschuss für den Käufer eine Verbindlichkeit dar, die zu einem einmaligen Cashflow-Abfluss führt, so dass er in voller Höhe den auf Basis der ewigen Rente ermittelten Ertragswert verringert.
Rückstellung:Die Schadenersatzrückstellung ist kein Bestandteil des Working Capital, sondern das Resultat einmaliger negativer Umstände. Ihre Höhe variiert nicht mit dem Umsatz. Wenn Tippe diese Verpflichtung erfüllt hat, wird die Bilanzposition verschwinden. Die in der Rückstellung gebundenen finanziellen Mittel führen zu einer einmaligen finanziellen Belastung (Cashflow-Minderung) des Unternehmens. Hat der Bewerter dies bisher fälschlicherweise in der Plan-Cashflowrechnung nicht als einmaligen Vorgang berücksichtigt, da er den Ertragswert auf Basis der ewigen Rente berechnete, muss die Verpflichtung in Höhe des Barwerts ihres voraussichtlichen Erfüllungsbetrags den Ertragswert mindern.
Verbindlichkeiten LuL:Die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen gehören als Bestandteil des Working Capital zum Vermögen, das zur Erzielung des Cashflow notwendig ist, und belasten den Nettocashflow des Unternehmers in absehba-
rer Zeit nicht, denn es ist in einem Umfang vorhanden, der geschäftstypisch ist. Abgehende Verbindlichkeiten werden durch neu hinzukommende revolvierend ersetzt, so dass per Summe keine Cashflow-Belastung eintritt.
Bankdarlehen:Die Rückzahlung des Bankdarlehens hat zwar einmaligen Auszahlungscharakter. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Tippe das Bankdarlehen durch ein neues Darlehen in gleicher Höhe ersetzen kann. Der Cash-Abfluss aus der Darlehenstilgung wird dann aber exakt durch den Cash-Zufluss aus der Neuaufnahme kompensiert. Ist keine Neuaufnahme eines Folgedarlehens geplant, so belastet die Darlehenstilgung als einmaliger Vorgang den Nettocashflow des Unternehmens und ist wertmindernd zu berücksichtigen. Gleichzeitig entfallen dann aber für die Zukunft die Darlehenszinsen, so dass sich durch die Zinsersparnis der Ertragswert des Unternehmens erhöht. Ist das Darlehen risikogerecht verzinst, so entspricht unter den restriktiven Annahmen des Sachverhalts der mit der Darlehenstilgung verbundene Rückgang des Unternehmenswerts exakt der mit der dauerhaften Zinsersparnis verbundenen Ertragswertsteigerung.

Weiterführende Literatur


Zwirner, Christian/Zimny, Gregor,Relevanz von Einzelbewertungsverfahren (Substanz-/Liquidationswert), in: Karl Petersen/Christian Zwirner (Hrsg.), Handbuch Unternehmensbewertung, Köln 2017, S. 1033–1051
Sieben, Günter,Neue Aspekte der Unternehmensbewertung, ZfB, 33. Jg. (1963), S. 37–46
ders.,Wesen, Ermittlung und Funktionen des Substanzwertes als „vorgeleistete Ausgaben“, in: Walther Busse von Colbe/Adolf G. Coenenberg (Hrsg.), Unternehmensakquisition und Unternehmensbewertung, Stuttgart 1992, S. 67–88
Sieben, Günter/Maltry, Helmut,Der Substanzwert der Unternehmung, in: Volker H. Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung, 7. Aufl., Herne 2019, S. 815–839

49 Vgl. Zwirner/Zimny, Relevanz von Einzelbewertungsverfahren (Substanz-/Liquidationswert), in: Petersen/Zwirner (Hrsg.), Handbuch Unternehmensbewertung (2017), S. 1033 (S. 1038–1039). 50 Sieben, Neue Aspekte der Unternehmensbewertung, ZfB 1963, S. 37 (S. 43). Vgl. ebenfalls Sieben/Maltry, Der Substanzwert der Unternehmung, in: Peemöller (Hrsg.), Praxishandbuch der Unternehmensbewertung (2019), S. 815 (S. 817–818). 51 Sieben, Wesen, Ermittlung und Funktionen des Substanzwertes als „vorgeleistete Ausgaben“, in: Busse von Colbe/Coenenberg (Hrsg.), Unternehmensakquisition und Unternehmensbewertung (1992), S. 67 (S. 68–69).

Fall 4: Objektivierter Unternehmenswert gemäß IDW S 1

Sachverhalt:

Heinrich Tippe verhandelt mit Carlo Neumeier über den Verkauf seiner Steuerberaterkanzlei. Die Rahmenbedingungen entnehmen Sie bitte aus dem vorhergehenden Fall 3. Allerdings sind Heinrich Tippe und Carlo Neumeier nicht die einzigen (potenziellen) Eigentümer des Unternehmens. An der Kanzlei „Tippe“ sind neben Heinrich Tippe selbst acht Kinder, vierzehn Enkel und zwanzig Urenkel beteiligt, und Neumeier möchte die Kanzlei nicht allein erwerben, sondern gemeinsam mit zehn Freunden und Bekannten.

Aufgabenstellung:

Welche Probleme ergeben sich bei der Wertfindung, und welche Lösung hält IDW S 1 für diesen Fall bereit? Wie hoch ist der objektivierte Unternehmenswert der Kanzlei „Tippe“?

I. Erläuterung: Objektivierungsdominanz des IDW S 1

Das Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW) veröffentlicht Standards, die von den Wirtschaftsprüfern, die dem Institut angeschlossen sind, zu beachten sind. Im Rahmen der Unternehmensbewertung ist der Standard IDW S 1 i.d.F. 2008 relevant.52 Obwohl dem Standard keine rechtliche Bindungswirkung zukommt, stellt er doch ein Regelungswerk dar, das auch von nicht dem IDW angeschlossenen Wirtschaftsprüfern bzw. nicht dem Berufsstand der Wirtschaftsprüfer angehörenden Beratern als Grundkonsens für die Unternehmensbewertung anerkannt wird.

Das IDW vertritt in IDW S 1 eine phasenorientierte Funktionenlehre. Danach kann der Wirtschaftsprüfer im Rahmen der Unternehmensbewertung als Berater, als Schiedsgutachter oder als neutraler Gutachter tätig sein.53 In Abhängigkeit von seiner Funktion ergeben sich unterschiedliche Basisprinzipien, die es bei der Bewertung vorrangig zu beachten gilt.

Die Bewertungsgrundsätze des IDW gehen im Wesentlichen auf die Kölner Schule (Fall 2) zurück und weisen starke Parallelen zu ihr auf. Wird der Bewerter als beratender Gutachter für den Käufer oder den Verkäufer tätig, so ermittelt er die Grenzpreise für seinen Mandanten. In seiner Funktion als Schiedsgutachter steht der faire Interessenausgleich im Vordergrund.54 Darüber hinaus erkennt IDW S 1 aber auch an, dass es zahlreiche Sachzwänge gibt, in denen eine individuelle Ermittlung von Grenzpreisen und eine darauf basierende Ableitung eines Schiedspreises aufgrund der damit verbundenen Kosten-Nutzenrelation unökonomisch oder schlicht nicht durchführbar ist. Dann ist der Unternehmensbewerter gezwungen zu vereinfachen und zu typisieren.

Ergänzend zur Kölner Schule nennt IDW S 1 daher die Funktion des Wirtschaftsprüfers als neutraler Gutachter, der „einen von den individuellen Wertvorstellungen betroffener Parteien unabhängigen Wert des Unternehmens – den objektivierten Unternehmenswert“55 ermitteln soll. Dabei meint der Begriff „neutral“ nicht etwa eine Wertermittlung, wie sie in der unvoreingenommenen Abwägung der subjektiven Grenzpreise von Käufer und Verkäufer im Rahmen der Schiedspreisermittlung zum Ausdruck kommt. Die „Neutralität“ bezieht sich hier auf die Neutralisierung der individuellen Besonderheiten. Der objektivierte Unternehmenswert zielt auf die Ermittlung eines Werts, der sich gegenüber den individuellen Besonderheiten von Käufer und Verkäufer neutral verhält, indem er sie ignoriert. An ihre Stelle treten marktorientierte Typisierungen und Objektivierungen.

Die Notwendigkeit, ein neutrales Gutachten zu erstellen, kann sich u.a. in folgenden Situationen ergeben:

 – Die Unternehmensbewertung dient dazu, den Fremdkapitalgebern (z.B. Banken) eine grobe Einschätzung über den Marktwert des Unternehmens zu geben, den dieses im Verwertungsfall besitzt. Hier können die individuellen Besonderheiten des Käufers nicht eingepreist werden, weil dieser noch gar nicht existiert, und die subjektiven Tatbestände des Verkäufers sind irrelevant, wenn er aus einer Notsituation heraus verkaufen muss, um seine Schulden zu begleichen.

 – Die Unternehmensbewertung dient der externen Rechnungslegung (z.B. dem Werthaltigkeitstest von immateriellen Vermögenswerten im Rahmen der IFRS-Rechnungslegung), so dass der Unternehmens(teil)wert möglichst kostengünstig und transparent ermittelt werden muss.

 – Die Unternehmensbewertung dient dazu, einen ersten Anhaltspunkt über den möglichen Wert des Unternehmens zu erlangen, damit der Eigentümer eine erste (grobe) Vermutung über dessen Wert erhält, um sich danach zu entscheiden, ob ein Verkauf (und die Durchführung eines teuren Wertgutachtens) für ihn überhaupt in Frage kommt.

 – Der Hauptaktionär hält mehr als 95 % der Aktien einer AG und möchte die zahlreichen Minderheitsaktionäre (ggf. gegen ihren Willen) abfinden und aus dem Unternehmen drängen (squeeze out gemäß § 327a AktG). Der beauftragte Unternehmensbewerter soll einen fairen Abfindungspreis bestimmen, kennt aber nicht die individuellen Besonderheiten jedes einzelnen Kleinaktionärs.

 – Die Verfahrensbeteiligten wünschen ausdrücklich (z.B. aus Kostengründen) eine vereinfachte Unternehmensbewertung und erwarten, dass die Inputfaktoren der Bewertung möglichst justiziabel und frei von Beurteilungen seitens des Käufers und/oder Verkäufers sind. Oder es sind so viele Käufer und/oder Verkäufer an der Unternehmenstransaktion beteiligt, dass die Kosten einer individuellen Unternehmensbewertung in keinem Verhältnis mehr zu der dadurch erzielbaren Mehrinformation stehen.

In seiner Funktion als neutraler Gutachter ermittelt der Bewerter „einen intersubjektiv nachprüfbaren Zukunftserfolgswert“56, den das Unternehmen für einen durchschnittlichen Investor ohne besondere Eigenschaften und herausgehobene Fähigkeiten hat. Die Typisierungen führen zu folgenden, grundlegenden Anpassungen:

 – Die Cashflows werden auf Basis der aktuellen Unternehmenssituation ermittelt. Es wird unterstellt, dass der Verkäufer bereits die optimale Unternehmensstrategie gewählt hat. Mögliche Strategieänderungen sind irrelevant, wenn sie am Bilanzstichtag noch keinen objektivierten Niederschlag (z.B. Kaufverträge über andere Unternehmen oder Kündigungen von Mietverträgen) gefunden haben.57

 – Auch höchst persönliche Vorteile, die in der Person des bisherigen Unternehmenseigentümers begründet liegen, sind irrelevant. So ist es z.B. denkbar, dass der Verkäufer ein hohes Ansehen in der Gemeinde besitzt und eine Vorzugsbehandlung bei den örtlichen Banken (z.B. niedrige Kreditzinsen) erhält. Da dieser personenbezogene Vorteil nicht „losgelöst vom bisherigen Eigentümer [...] realisiert werden“58 kann, ist er bei der Ermittlung des objektivierten Unternehmenswerts zu eliminieren.

 – Echte Synergieeffekte sind unbeachtlich.59 Sie entstehen dadurch, dass der (potenzielle) Erwerber des Unternehmens dieses so geschickt mit seinem Rest-Vermögen verknüpfen kann, dass dadurch ein Mehrwert durch Kostenersparnisse und/oder Erlössteigerungen entsteht („1 + 1 = 3“60-Effekt). Typische Synergien bestehen z.B. darin, dass der Erwerber durch den Hinzuerwerb seine Marktmacht stärken und die Einkaufspreise für Waren drücken kann, die das erworbene und die bereits in seinem Eigentum befindlichen Unternehmen zur Produktion benötigen. Diese Synergieeffekte stehen dem durchschnittlichen Marktteilnehmer nicht offen. Sie sind untypisch.

 – Unechte Synergieeffekte sind zu berücksichtigen. Diese entstehen auf der Erwerberseite dadurch, dass der Erwerber bestimmte (offensichtliche) Fehlallokationen im Unternehmen entdeckt und behebt – sofern sie auch von den meisten anderen Marktteilnehmern aufgespürt und beseitigt würden. Ein Beispiel für solche unechten Synergien wäre das unorganisierte Zahlungswesen des Unternehmens, das dazu führt, dass zahlreiche Kundenrechnungen verschlampt und nicht nachverfolgt und Lieferantenrechnungen nur mit erhöhten Säumnis- und Verspätungszuschlägen bezahlt werden. IDW S 1 i.d.F. 2008 fordert jedoch objektivierungsverschärfend, dass unechte Synergien nur dann zu berücksichtigen sind, wenn „die Synergie stiftenden Maßnahmen bereits eingeleitet oder im Unternehmenskonzept dokumentiert sind.“61

 – Hinsichtlich der besten Alternativrendite geht das IDW davon aus, dass die Mehrheit der Staatsbürger Geld gespart hat und nicht verschuldet ist. Kommt es deshalb zur Unternehmenstransaktion, so wird der Käufer den Kaufpreis von seinem Ersparten nehmen und der Verkäufer den bezogenen Kaufpreis anlegen. Hinsichtlich der (aufzulösenden bzw. vorzunehmenden) Geldanlage ist davon auszugehen, dass die Mehrheit der Sparer ihr Geld in einer Mischung aus festverzinslichen Wertpapieren und Aktien investiert. Es ist deshalb eine Mischrendite heranzuziehen. Zwar spricht IDW S 1 i.d.F. 2008 von der Alternativrendite als der „Rendite einer Anlage in Unternehmensanteile“62, zugleich soll zur Ermittlung dieser Rendite jedoch das Capital Asset Pricing Model (CAPM) herangezogen werden,63 das letztlich auf der Annahme beruht, dass risikoscheue Investoren ihre Anlage in das effiziente Aktienportfolio (Marktportfolio) mit festverzinslichen Wertpapieren höchstmöglicher Bonität (Staatsanleihen) kombinieren.64

 – Der Unternehmenscashflow ist für den Investor nur insoweit relevant, als er ihn auch konsumieren kann. Da die darauf zu zahlende Einkommensteuer den für den Konsum zur Verfügung stehenden Betrag mindert, ist der Nettocashflow sowohl des zu bewertenden Unternehmens als auch der der Alternativanlage um die Einkommensteuerbelastung zu vermindern.65 Im Rahmen der Ermittlung eines objektivierten Unternehmenswerts typisiert IDW S 1 i.d.F. 2008 die zu berücksichtigende Einkommensteuerlast in Abhängigkeit vom Bewertungszweck:– Wird der Wirtschaftsprüfer als neutraler Gutachter aufgrund „unternehmerischer Initiativen tätig“66 (z.B. für Kreditwürdigkeitsprüfungen und fairness opinions), so wird der ermittelte Wert (noch) nicht unmittelbar zahlungsrelevant. Der Bewerter kann dann aus Vereinfachungsgründen auf eine Berücksichtigung der Einkommensteuer verzichten (mittelbare Typisierung der Einkommensteuerlast).67– Muss der Unternehmenswert einer Kapitalgesellschaft dagegen aufgrund gesellschaftsrechtlicher oder vertraglicher Anlässe ermittelt werden und wird seine Höhe zahlungsrelevant (z.B. squeeze out), darf der Bewerter typisierend unterstellen, dass die (potenziellen) Investoren als natürliche Personen dem deutschen Einkommensteuerrecht unterliegen und unbeschränkt steuerpflichtig sind,68 so dass grundsätzlich die Nettocashflows in Form von Dividenden und Zinseinnahmen dem Abgeltungsteuersatz von 25 % zzgl. Solidaritätszuschlag69 unterliegen – während auf eine Berücksichtigung der Kirchensteuer verzichtet wird, weil ihre Entstehung vom individuellen Einzelfall abhängt (unmittelbare Typisierung der Einkommensteuerlast70). Allerdings sind für die Bestimmung der „Effektivbesteuerung von Dividenden und Veräußerungsgewinnen zusätzliche Annahmen“71 (z.B. über die Länge der Haltedauer und die Höhe der Wiederanlagerendite im Unternehmen) zu treffen.– Die Typisierung ist grundsätzlich unzulässig, wenn ein Einzelunternehmen oder eine Personengesellschaft zu bewerten ist. Dann müssen die persönlichen Ertragsteuern stets individuell ermittelt und berücksichtigt werden.72

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9783800593606
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