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Definition: Extrakteffizienz

Alle Mengenangaben in den Rezepten in diesem Buch sind nominelle Proforma-Werte. Sie basieren auf einer hypothetischen Extraktausbeute von 75 Prozent. Die Gleichung zur Berechnung der Sudhauseffizienz ist:

%E = (°P × OG × Vol)/M

Wobei:

%E = Sudhaus Extraktausbeute

°P = Stammwürze in Plato = Prozent Stammwürze

(z. B. 12 °P = 12 % Stammwürze)

OG = „Original Gravity“ = Stammwürze als Dichte (z. B. 1,048)

Vol = Netto-Ausschlagvolumen (der Sudpfanne nach dem Kochen) in Litern

M = Gesamtgewicht des Schrotes in Kilogramm

Diese Formel bezieht sich nur auf die Ausbeute eines konkreten Sudhauses, nicht auf den potenziellen, im Labor erzielbaren Extraktwert einer Schüttung. Die mit dieser Formel definierte Ausbeute ist ein Nominalwert, dessen echte Größe auch von verschiedenen örtlichen Faktoren abhängt. Zu denen gehören u. a. die Sudhauskonfiguration, das Verhältnis von Durchmesser zu Höhe des Läuterbottiches, die Feinheit des Schrotes, die Tiefe der Maische und die Perforierung des Senkbodens. Deshalb sind manche Sudhäuser bei identischem Schüttungsgewicht wesentlich effizienter als andere. Anders ausgedrückt, um ein bestimmtes Würzevolumen mit einer bestimmten Stammwürze zu erzielen, brauchen manche Sudhäuser wesentlich größere Schüttungsmengen als andere. Dieser Tatbestand hat natürlich Auswirkungen auf die Bierfarbe, den Endvergärungsgrad und den Alkoholgehalt. Auch sollte berücksichtigt werden, dass die Malz- und Hopfenspezifikationen von einer Lieferung zur nächsten selbst vom gleichen Lieferanten variieren können.

Definitionen: Würzefarbe und Bierfarbe

Es gibt eine Vielzahl von Methoden und Formeln zur Berechnung der Würze- und Bierfarben. Die hier verwendete Formel für die Würzefarbe wurde von Daniel Morey in der Einheit SRM (Standard Reference Method) entwickelt und ausführlich in How To Brew: Everything You Need to Know to Brew Great Beer Every Time (John Palmer, 4. ergänzte Ausgabe, 2017) beschrieben.

SRM ist ein mit einem Spektralphotometer gemessener Nominalwert, der von der American Society of Brewing Chemists (ASBC) im Jahre 1950 entwickelt wurde. Er erfasst die Verringerung (Absorption) der Intensität eines tiefblauen Lichtstrahls mit einer Wellenlänge von 430 Nanometern, wenn er durch eine genormte Küvette durch 0,5 Zoll (1,27 cm) Bier oder Würze geschickt wird. Die für solche Messungen verwendete Bier- oder Würzeprobe wird normalerweise filtriert, um Verfälschungen durch Trübungen zu vermeiden. Je dunkler das Bier oder die Bierwürze, desto größer ist der numerische SRM-Wert. Die SRM Formel zur Bierfarbenstimmung lautet:

Würzefarbe = 1,4922 × MCU0,6859 SRM

In dieser Formel ist 1,4922 eine Berechnungskonstante. Die Abkürzung MCU steht für Malt Color Unit und 0,6859 ist der konstante Exponent (Hochzahl) für den MCU-Wert. Die Malzfarbeinheit MCU ist die Summe der relativen Farbbeiträge (je nach Gewicht) der verschiedenen Malze in der Maische, wobei jeder einzelne Farbwert in Lovibond-Graden (°L) ausgedrückt wird.

Erklärung von °L: Diese Malzfarbeneinheit wurde im Jahre 1893 vom britischen Brauer Joseph William Lovibond entwickelt. Sie beruht auf einem Vergleich der zu messenden Bierfarbe mit einem Satz standardisierter farbiger Glasscheiben. Am unteren Ende der Lovibond-Skala sind die Werte in °L und SRM ziemlich ähnlich. Am oberen Ende weichen sie jedoch aufgrund des nichtlinearen Effekts, nach Gewicht, von Malzen unterschiedlicher Farbe auf die Gesamtbierfarbe erheblich voneinander ab. Mit anderen Worten, eine geringe Menge von tiefdunklem Malz hat einen proportional viel größeren Einfluss auf die Bierfarbe als eine gleiche Menge eines hellen oder bernsteinfarbenen Malzes.

Die Beziehung zwischen °L und SRM wird durch folgende Formeln ausgedrückt:

SRM = (1,3546 × °L) - 0,76

Eine andere Methode der Bierfarbmessung wurde von der European Brewery Convention entwickelt. Die Einheit dieser Farbmessung ist EBC. Sie wird praktisch auf der ganzen Welt, mit Ausnahme von Nordamerika, benutzt. Die EBC-Methode basiert auf einer Küvette mit einem Durchmesser von 1 cm. Jedoch ist das Testlicht das Gleiche wie in der SRM-Methode. Es hat ebenfalls eine Wellenlänge von 430 Nanometern. Da die SRM- und EBC-Methoden eng miteinander verwandt sind und sich nur im Küvettendurchmesser unterscheiden, können ihre Werte in beide Richtungen umgerechnet werden. Ein EBC-Farbwert beträgt ungefähr das 1,97-fache des SRM-Farbwerts. Daraus ergeben sich folgende Umrechnungsformeln:

EBC = 1,97 × SRM

SRM = 0,508 × EBC (oder SRM = EBC:1,97)

In der deutschen Version dieses Buches werden alle Bierfarbwerte ausschließlich in EBC-Einheiten wiedergegeben.

Definition: Bittere

Die in diesem Buch verwendeten Hopfenmengen basieren auf den Alphasäureangaben der Hopfenverarbeiter in der Einheit IBU (International Bitter Unit) für den Gehalt an Iso-Alphasäure im fertigen Bier. Dabei entspricht 1 IBU 1 Milligramm Alphasäure pro Liter Bier (mg/l). Alle in den Testsuden für dieses Buch verwendeten Hopfengaben bestanden aus T90 (statt T45) Pellets und nicht aus Dolden. Daher sollten die angegebenen Hopfenmengen beim Gebrauch von Dolden um etwa 10 Prozent erhöht werden.

Für die Iso-Alpha-Ausbeute pro Kochlänge benutzen verschiedene Quellen unterschiedliche nominale Referenzwerte. In diesem Buch (siehe Tabelle) wird eine nominale Isomerisierungsrate von 30 Prozent des vom Hopfenhersteller angegebenen Alphasäurewertes bei einer Kochlänge von 60 Minuten angenommen. Bei einer Hopfengabe zum Kochende bzw. im Whirlpool wird eine Isomerisierungsrate von 6 Prozent angenommen.

Daraus ergibt sich für jede Hopfengabe folgende Formel:

IBU = (H x AA% x AB%)/(WV x 10)

Wobei:

H = Hopfenmenge in Gramm (g)

AA% = der vom Hopfenverarbeiter angegebene Prozent an Alphasäure pro Gewicht

AB% = Ausbeute (in Prozent; aus der Tabelle) in Abhängigkeit von der Kochlänge

WV = Würzevolumen in der Sudpfanne in Liter (l)

10 = eine Kalkulationskonstante

Die Bitterwerte mehrerer Hopfengaben summieren sich zur Gesamtbittermenge in IBU, wobei in diesem Buch die relativ geringen Bitterwerte durch Hopfenstopfen (Dry-Hopping) im Kaltbereich ignoriert werden. Da die in der Brauerpraxis von Fall zu Fall erzielten Echtwerte der Bittere unterschiedlich ausfallen, gelten die in den Rezepten angegebenen Hopfenmengen pro Gabe nur als Leitfaden; und die Gaben sollten für jeden Sud, je nach den aktuellen Spezifikationen sowie auch nach dem Alter und den Lagerbedingungen des verwendeten Hopfens neu berechnet werden.


Kochlänge in Minuten Alphasäuren-Ausbeute (%)
≥60 0,30
55 0,29
50 0,28
45 0,27
40 0,25
35 0,23
30 0,21
25 0,19
20 0,17
15 0,14
10 0,10
5 0,06

Umrechnungstabelle

Viele Rezepte, besonders im Craft-Bier-Bereich, werden heutzutage auf Englisch auf der Grundlage amerikanischer Maßeinheiten statt des international gebräuchlichen Dezimalsystems Système international d'unités (SI) veröffentlicht. Brauer, die es vorziehen, ausschließlich mit Einheiten im Dezimalsystem zu arbeiten (oder umgekehrt), können mit folgenden Umrechnungskonstanten die relevanten Mengen errechnen:

1 kg = 2,2 amerikanische Pounds (lbs.)

1 Ounce (oz.) = 28 g

1 Quart (qt.) = 0,95 Liter

1 Barrel (bbl.) = 1,173 hl

1 Pound (lb.) = 0,45 kg

1 Fluid Ounce (fl. oz.) = 30 ml

1 Liter = 34 fl. oz.

1 hl = 0,85 bbl.

Alphabetische Liste der Rezepte in den Kapiteln 7 bis 9

1.American Imperial Hoppy Dunkel (Rezept 41)

2.Baltic Porter (Baltisches Porter: Rezept 16)

3.Bamberger Hofbräu Exquisator Dunkeldoppelbockbier (Rezept 12)

4.Bamberger Hofbräu Schwarzbier (Rezept 7)

5.Bamberger Rauchbier (Rezept 13)

6.Barke® Dunkles Wiener Lager (Rezept 20)

7.Barke® Sinamar® Dunkel (Rezept 25)

8.Bayerisch-fränkisches Dessert Dunkel (Rezept 18)

9.Bayerisch-fränkisches dunkles Landbier (Rezept 3)

10.Bayerisch-fränkisches trockenes Dunkel (Rezept 17)

11.Bayerischer Dunkeldoppelbock I (Rezept 10)

12.Bayerischer Dunkeldoppelbock II (Rezept 11)

13.Bayerisches Dunkelbockbier (Rezept 9)

14.Bayerisches Dunkelkellerbier (Rezept 14)

15.Bayerisches/Münchner Dunkel I (Rezept 1)

16.Bayerisches/Münchner Dunkel II (Rezept 2)

17.Bayerisches Schwarzbier I (Rezept 5)

18.Bayerisches Schwarzbier II (Rezept 6)

19.Birra Rossa (Rezept 23)

20.Deutsches Porter (Rezept 15)

21.Dunkelmärzen (Rezept 21)

22.Dunkelrauchdoppelbock (Rezept 28)

23.Dunkles California „Un-Common“ Lagerbier (Rezept 38)

24.Dunkles „Negra“ Wiener Lager (Rezept 19)

25.Dunkles Bauernlagerbier (Dark Farmhouse Lager; Rezept 22)

26.Dunkles Lagerbier mit gerösteter Gerste, Kakao und Vanille (Rezept 31)

27.Dunkles Montmorency-Sauerkirschen-Lagerbier (Rezept 37)

28.Dunkles Sauergut-Lagerbier (Rezept 36)

29.Estländisches Baltisches Porter (Estonian Baltic Porter; Rezept 27)

30.„Hildegard von Bingen“-Bier aus dem Mittelalter (Rezept 40)

31.„Imperial“ Barrique Rauchbock (Rezept 34)

32.„Imperial“ Fünf-Korn „Dinkel-Dunkel“ (Rezept 30)

33.„Imperial“ Hafer-Schwarzbier (Rezept 35)

34.Schlotfegerla® Bamberger Rauchbier (Rezept 26)

35.Spätrenaissance Bayerisches Dunkel (Rezept 39)

36.Süffiges Dunkel („Session“ Dunkel; Rezept 24)

37.„Schwarz-ator“-Triplebock (Rezept 29)

38.Schwarzes Kaffee-Lagerbier (Rezept 32)

39.Thüringer Schwarzbier (Rezept 8)

40.Tmavý Ležák (Böhmisches Dunkel; Rezept 4)

41.Untergäriges Gersten-Weizen-Rauch-Starkbier (Rezept 33)



Als das Bier dunkel wurde … 1

Heutzutage macht sich kaum ein Brauer oder Biertrinker darüber Gedanken, dass es nicht nur helle, sondern auch dunkle Biere gibt sowie Biere jeder Farbe dazwischen. Aber die Existenz dunkler Biere ist viel weniger „natürlich“ als deren weite Verbreitung heutzutage vermuten lässt. Man bedenke nur, dass die wichtigsten Bierrohstoffe, nämlich Gerste und Hopfen, im natürlichen Zustand eigentlich eher hell als dunkel sind, denn die reifen Gerstenähren wogen goldgelb und nicht dunkel auf den Feldern im Wind und die Hopfendolden sind alle gelblich bis hellgrün. Gleichsam ist ein Hefebrei grau-weiß bis elfenbein-gelb und reines Wasser ist natürlich farblos. Selbst Getreidearten, die seltener zum Brauen verwendet werden wie Weizen, Roggen, Hafer, Dinkel und Einkorn verdienen kaum das Attribut „dunkel“. Trotzdem findet man heutzutage rabenschwarze, sepia-braune, rötliche und bernsteinfarbene Biere in fast allen bedeutenden Bierkulturen der Welt. Um nur einige Beispiele zu nennen: Es gibt das bayerische Dunkel; das fränkische Rotbier; das dunkelgoldene, kupferrote oder mahagonibraune Festbier; den Dunkelbock; das Dunkelweizen; das dunkelbraune, belgische Trappisten-Dubbel; und die mokkabraunen bis tiefschwarzen englischen Porters und Stouts. Mit anderen Worten, Dunkelheit im Bier ist nicht ein Produkt der Natur, sondern das Ergebnis von Herstellungsverfahren in der Mälzerei und der Brauerei … aber warum?

Die Geschichtlichkeit dunkler Biere

Um das Aufkommen dunkler Biere zu verstehen, ist es aufschlussreich, einen Blick auf die tiefe Vergangenheit des Brauens seit dem Beginn der Zivilisation, also auf eine Zeit vor etwa acht- bis zehntausend Jahren, zu werfen, als noch alle Biere hell oder bernsteinfarben waren. Damals waren sie höchstwahrscheinlich auch alle obergärig. Dieser Rückblick mag in einem Buch, welches sich ausschließlich mit dem Brauen dunkler, untergäriger Biere befasst, unorthodox erscheinen, jedoch basiert dieser scheinbare Widerspruch auf einer schlüssigen Logik: Aus der Entstehungsgeschichte und Weiterentwicklung dieser alten Biere können wir – wenn nicht mit Sicherheit lernen – so doch erahnen, warum dunkle Biere, einschließlich dunkle untergärige Biere, überhaupt entstanden sind und auch heute noch einen festen Platz im Biersortiment der Welt einnehmen.

Die Biergeschichte lehrt uns, dass sowohl die Dunkelheit im Bier als auch die untergärige Brauweise historische Anfänge haben. Irgendwann und irgendwo wurde wohl zum ersten Mal dunkel gebraut; und irgendwann und irgendwo wurde auch zum erst Mal untergärig gebraut. Auch wissen wir heute, dass diese beiden Übergänge – von hell auf dunkel und von ober- auf untergärig – nicht zeitgleich stattfanden, sondern dass die Dunkelheit im Bier etwa ein Jahrtausend vor dem Wechsel von ober- auf untergärige Hefe kam. Damit gab es also auch irgendwann und irgendwo einen ersten Sud, der nicht nur dunkel war, sondern auch untergärig vergoren wurde. Folgerichtig schickt uns das erste Kapitel dieses Buches auf die Spuren der ersten, wahrscheinlich obergärigen, dunklen Biere, während wir im zweiten Kapitel versuchen, das Erscheinen der ersten, wohl ebenfalls dunklen Lagerbiere zu entschlüsseln. Dieser Forschungspfad führt dann automatisch im Kapitel 3 zu einer Analyse der – wie sich herausstellt – mysteriösen, mikrobiologischen Revolution, welche die Transformation obergäriger in untergärige Biere überhaupt erst ermöglichte. Schließlich verbleibt noch die Darlegung in den Kapiteln 4 bis 6 der historischen Entwicklung der Rohstoffe und Braumethoden vom ersten Erscheinen dunkler Lagerbiere bis zur heutigen Vielfalt dieser Biergattung. Danach enthalten Kapitel 7 bis 9 mehr als drei Dutzend speziell für dieses Buch entwickelte, weltweit getestete und sensorisch bewertete Rezepte für das Brauen klassischer, innovativer und experimenteller untergäriger Dunkelbiere. Letztlich bietet Kapitel 10 eine Exkursion in die Küche, wo 18 Gerichte vorgestellt werden, die man mit dunklen Lagerbieren kochen kann.

Bei den Recherchen für dieses Buch zeigte sich, dass die Fahndung nach den komplizierten historischen und brautechnischen Hintergründen der etappenmäßigen Transformation der blonden Obergärigen der Antike in die dunklen Untergärigen der Moderne eine überraschend breit gestreute und recht fantasievolle Detektivarbeit verlangte. Die Aufzeichnungen dieser Untersuchungen lesen sich daher fast wie ein echter Krimi!

Blonde, obergärige Biere an der Wiege der Zivilisation

Die meisten Archäologen und Anthropologen sind sich einig, dass die ersten Biere der Geschichte der Menschheit in der Jungsteinzeit in einer Region ungefähr zwischen den Flüssen Tigris und Euphrat, also im Zweistromland des Fruchtbaren Halbmonds des Nahen Ostens (im Wesentlichen im heutigen Irak), gebraut wurden. Sie behaupten dies aufgrund von Ausgrabungen, in denen sie bis zu 9000 Jahre alte Körner aus gemälztem Getreide gefunden haben! Die Zivilisation, die diese Errungenschaft der Weltkultur vollbracht hat, nennen wir heute die Sumerer. Sie sind die ersten nachweisbaren Einwohner des Zweistromlandes. Ursprünglich waren die Sumerer nomadische Jäger und Sammler; und es ist unklar, wann genau oder von woher sie damals in ihre neue Heimat wanderten, aber viele Experten halten es für wahrscheinlich, dass sie aus Westasien oder gar aus dem heutigen Indien in die fruchtbare Ebene zwischen Tigris und Euphrat gezogen sind. Es waren die Griechen, die dem Land der Sumerer den Namen Mesopotamien gaben, was „zwischen den Flüssen“ – also Zweistromland – bedeutet. Das geschah im Jahre 331 v. Chr., als sie unter Alexander dem Großen Babylon, die damals bedeutendste Stadt im Nahen Osten, eroberten.

In diesem Zusammenhang sollte noch kurz erwähnt werden, dass einige Forscher auch die Chinesen als zeitgenössische Bierhersteller der Sumerer aufführen. Allerdings hat sich die frühe, meist auf Reis aufgebaute, chinesische Braukunst nicht in der weiten Welt verbreitet. Im Gegensatz dazu wurde die sumerische Braukunst in Abwandlungen zunächst von den alten Ägyptern übernommen und breitete sich dann spätestens im ersten Millennium v. Chr. (wahrscheinlich jedoch schon früher) entlang der Levante und quer durch den Balkan bis ins keltische und germanische Mitteleuropa aus, von wo sie sich schließlich ab dem Zeitalter der Entdeckungen in der Renaissance weltweit durchsetzte.

Wichtig für unsere Biergeschichte ist, dass die Sumerer die ersten Menschen waren, die ihre urzeitliche, nomadische Existenz aufgaben, um in ihrer neuen Heimat sesshaft zu werden und dort Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Mit diesem monumentalen Schritt wurden die Sumerer das erste Volk, welches aus dem Nebel der Vorgeschichte in das helle Licht der Zivilisation trat! Wir nennen diesen Schritt heute die neolithische Revolution. Einer der Hauptvorteile dieser epochalen Transformation unserer Art, Homo sapiens, von Nomaden im Naturzustand zu Siedlern im Zivilisationszustand war der Übergang vom permanenten, allgegenwärtigen, zufallsbedingten und damit auch potenziell lebensbedrohenden Nahrungsmangel zu einer relativ gesicherten landwirtschaftlichen Ernährungsgrundlage und schließlich sogar zu Agrarüberschüssen. Einige anthropologisch orientierte Ernährungswissenschaftler sehen in dieser Revolution im Neolithikum nicht nur eine neue Form der Lebensmittelproduktion, sondern auch den Anfang dessen, was wir heute als Freizeit bezeichnen; und sie betrachten die Befreiung vom konstanten Sachzwang der Nahrungssuche als die wichtigste und notwendige Voraussetzung für die Entstehung von Zivilisation.

Einer dieser Forscher ist Michael Pollan, Autor des wegweisenden Buches zu diesem Thema, Cooked: A Natural History of Transformation. In diesem Werk vertritt er die fundamentale These, dass Kochen eine Form der Vorverdauung außerhalb des Körpers ist, welche dem Menschen – anders als allen anderen Kreaturen – Zeit und Energie gewährt, sich anderen Aktivitäten als nur der Nahrungssicherung, der Verdauung und dem Schlaf zu widmen. Für Pollan ist die Fähigkeit, Lebensmittel auf Vorrat zu halten und sie zu kochen, statt sie roh essen zu müssen, was eine längere Verdauung erfordert, der wohl größte evolutionäre Schritt vom Menschenaffen zur Gattung Homo. Die Sumerer als vormalige Nomaden waren damit die ersten, die von diesem kolossalen Luxus der Überschusszeit und -energie ausgiebig Gebrauch machten und Kultur produzierten. Hing das kollektive Wohlergehen der Sumerer in deren früheren Dasein im Naturzustand noch primär vom Glück bei der Jagd und der Suche nach wilden Früchten und Cerealien ab, so genossen sie in ihrer Sesshaftigkeit wohl als erstes Volk der Menschheitsgeschichte eine Art von Wohlstand.

Eine Zeichnung mesopotamischer Biertrinker auf einer Amphore von ca. 2600 v. Chr. ist offenbar die älteste Darstellung von Biertrinken in der Welt. Sie zeigt zwei Personen, die aus einer gemeinschaftlichen Amphore Bier — möglicherweise in einer Kneipe — durch Strohhalme saugen. Die Halme dienen dazu, die im Bier suspendierten Partikel herauszufiltern.

Ein anderer Wissenschaftler, der Biologe und Professor für angewandte Ökologie an der North Carolina State University in den Vereinigten Staaten, Robert Dunn, geht sogar noch einen Schritt weiter. In seinem Essay „The internal, external and extended microbiomes of hominins“, welcher 2020 in der Fachzeitschrift Frontiers in Ecology and Evolution erschien, vertritt er die These, dass primär adaptive Mikrobiota in unserem Verdauungssystem dafür verantwortlich sind, dass die Menschheit sich verbreiten und unter unterschiedlichen geografischen Bedingungen überleben konnte. Sein Hauptargument dafür ist, dass „Homo erectus die Intelligenz und die Werkzeuge entwickelte, sowohl Fleisch als auch Alkohol zu vergären.“ Man darf wohl davon ausgehen, dass diese These, nach der sozial kooperierende Menschen überlebensfördernde Mikroben über vergorene Nahrungsmittel miteinander teilen können, nicht nur auf Homo erectus, wie Neandertaler, sondern auch auf uns, Homo sapiens, anwendbar ist.

Aus dieser anthropologischen Perspektive war die neolithische Revolution speziell eine kulinarische Revolution, denn die Sumerer konnten mit zunehmender Erfahrung im Ackerbau schließlich sogar mehr Getreide anpflanzen, als sie für ihre eigene Ernährung und für die Verpflegung ihres Viehs benötigten. Historiker und Archäologen versichern uns, dass die Sumerer in manchen Jahren in der Tat doppelt so viel Getreide ernteten, als sie konsumieren konnten. Somit standen die Sumerer zum ersten Mal vor einem Problem, welches den Nomaden in der Urzeit vollkommen unbekannt war, nämlich der Frage, wie man überschüssige Körner als Rücklage gegen Missernten aufbewahren kann, ohne dass sie verderben. Diese neue Problematik führte schließlich zu zwei umwerfenden neuen Errungenschaften in der Lebensmittelverarbeitung, dem Backen und dem Brauen! Diese beiden Künste der Haltbarmachung von Getreide gelten heute als wichtige Triebkräfte der menschlichen Evolution, denn sie trugen damals dazu bei, uns als kulturelle Kreaturen zu definieren.

2 105,74 ₽
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9783418009278
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