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Die manifesten und latenten Konsequenzen eines Feudaledikts

Natürlich hatte Herzog Wilhelm gehofft, dass seine heute so berühmte Verordnung für Bierinhaltsstoffe das Problem der Fehlgeschmacke in den bayerischen Bieren seiner Zeit – welche wir heute wohl auf bierverderbende Mikroben zurückführen dürfen – lösen würde. Zu seinem Leidwesen war dies jedoch nicht der Fall, denn besonders die Sommerbiere schmeckten selbst nach 1516 oft weiterhin scheußlich. Offensichtlich waren wesentlich drakonischere Maßnahmen erforderlich, um die bayerische Bierqualität zu retten. Und genau das geschah 37 Jahre später, im Jahre 1553, nachdem Wilhelms Sohn Albrecht V. das Amt des Herzogs von Bayern übernommen hatte. Im Gegensatz zu seinem Vater hatte Albrecht eine wichtige Tatsache bemerkt, nämlich das saisonal zyklische Auftreten der Fehlgeschmacke. Im kontinentalen Klima im Voralpengebiet Bayerns, wo die Sommer generell sehr heiß und die Winter sehr kalt waren (und auch heute noch sind), schmeckten die Biere, die im Mittelalter und in der Renaissance in der heißen Jahreszeit dort gebraut wurden, wesentlich öfter wesentlich schlechter als die, die in der kalten Jahreszeit gebraut wurden. Heute verstehen wir natürlich, dass luftgetragene Mikroben bei gemäßigten Temperaturen gut gedeihen, jedoch in der Kälte entweder absterben oder zumindest in den Zustand der Winterruhe eintreten.

Für einen „vor-mikrobiologischen“ Herrscher wie Albrecht lag daher der nächste Schritt zur Regulierung des Bieres klar auf der Hand. Im Jahre 1553 erließ er ein komplettes Sommerbrauverbot, eine Verordnung also, wonach Brauer in Bayern nur noch zwischen dem 29. September und dem 23. April (dem Geburtstag der ursprünglichen Verordnung von 1516) brauen durften. Dieses Edikt blieb in Bayern fast drei Jahrhunderte lang bis 1850 in Kraft. Es legte die Brauereien in Bayern für fünf Monate im Jahr still, weshalb die Brauer im Sommer, also während der Zeit der schlechten Biere, andere Beschäftigungen suchen mussten. Auch veränderte das Verbot drastisch die Arbeitsbedingungen der Gärungsmikroben während der Zeit, als das Brauen erlaubt war. Die Kälte zwang die Mikroben dazu, sich anzupassen. Albrechts weitreichende Verordnung hatte endlich das gewünschte Ergebnis: Die Wintertemperaturen in Bayern beendeten oder verlangsamten tatsächlich die Aktivitäten der Bierverderber, was rein zufällig Albrechts Ziel der Verbesserung der Bierqualität in Bayern diente. Allerdings trugen sie auch zu einer Änderung in einer anderen kritischen Eigenschaft der bayerischen Biere bei, offenbar ohne dass Albrecht oder seine Brauer diese Entwicklung anfänglich bemerkten. Die niedrigen Temperaturen in Bayern beeinträchtigten die Arbeit der wärmeliebenden (und den Menschen der Renaissance vollkommen unbekannten) Hefe, S. cerevisiae, weshalb die Gärung pro Sud und damit die gesamte Bierherstellung nach dem Sommerbrauverbot eigentlich hätte wesentlich langsamer werden sollen. Jedoch sind uns keine Quellen überliefert, nach denen der Bierausstoß in Bayern nach 1553 rückläufig war. Ganz im Gegenteil, die Brauer brauten einfach im März und April Überschussvolumen an Bier, welches sie dann für den Sommerverbrauch abgefüllt in Kellern einlagerten. Das ist übrigens auch der Anfang der Bezeichnung „Märzenbier“ für diese Art von stärker eingebrauten und besonders gut gereiften Spätwinterbieren.

Im Jahre 1553 proklamierte Albrecht V. das Sommerbrauverbot für ganz Bayern.

Irgendetwas war offenbar in den Gärbottichen Bayerns um die Zeit des Albrechtschen Sommerbrauverbots geschehen, welches es den Brauern erlaubte, den ganzen Winter im gleichen Rhythmus wie vorher ihre Kunst auszuüben. Heute können wir nur davon ausgehen, dass sich nach dem Sommerbrauverbot eine neue, kältetolerante Hefe in den bayerischen Gärkellern ansiedelte, die die Alkoholproduktion übernahm, als S. cerevisiae träge wurde. Dieser neue Saccharomyces Organismus hatte offenbar die Fähigkeit, selbst dann Zucker zu metabolisieren, wenn S. cerevisiae aufgrund der Kälte fast ganz inaktiv war. Sobald es dann wieder wärmer wurde und S. cerevisiae „aufwachte“ (bei >10 °C), hatte der neue Organismus jedoch bereits alle verfügbaren Nährstoffe in der Würze aufgebraucht, was ihm auch einen Vorteil bei der Vermehrung einräumte. Da Hefen allgemein recht leicht mutieren, können wir davon ausgehen, dass diese neue Hefeart in Bayern nach einiger Zeit unter den neuen Bedingungen genetisch stabil und metabolisch dominant wurde, was dazu führte, dass S. cerevisiae in allen Bieren verdrängt wurde – mit Ausnahme in Weizenbieren, welche im 16. Jahrhundert in Bayern weder dem Reinheitsgebot noch dem Sommerbrauverbot unterlagen.

Moderne Brauer wissen natürlich, dass es einen solchen, mit S. cerevisiae konkurrierenden Organismus gibt. Wir nennen ihn heute Saccharomyces pastorianus. Diese Hefe arbeitet untergärig, im Vergleich zur obergärigen S. cerevisiae. Der Ernährungsvorteil von S. pastorianus gegenüber S. cerevisiae in kalten Gärkellern liegt darin, dass die bevorzugte „Betriebstemperatur“ von S. pastorianus weit unter der von S. cerevisiae liegt. Zur Not kann ein kältetoleranter S. pastorianus-Hefestamm sogar bis zu Temperaturen von etwa 3,5 °C – wenn auch nur sehr langsam – Zucker metabolisieren, während sich S. cerevisiae bei dieser Temperatur definitiv im tiefsten Dornröschenschlaf befindet.

Eiszeit in der Renaissance und der Anfang einer neuen Bierkultur

Neben Albrechts Sommerbrauverbot gab es einen weiteren, bisher in der Literatur kaum beachteten Faktor, der offenbar dazu beitrug, S. pastorianus gegenüber S. cerevisiae in bayerischen Gärkellern Vorteile zu verschaffen. Dieser Faktor ist ein plötzlicher Klimawandel, den wir heute als „Kleine Eiszeit“ bezeichnen. Diese Klimaänderung, in der die Temperaturen, besonders auf der Nordhalbkugel der Erde, drastisch abnahmen, erstreckte sich über Jahrhunderte. Die meisten Klimawissenschaftler gehen davon aus, dass diese Abkühlung von einer ungewöhnlich starken vulkanischen Aktivität irgendwo auf der Welt ausgelöst wurde, die viel Staub in die Atmosphäre wirbelte, was wiederum die wärmenden Strahlen der Sonne zurück in den Weltraum reflektierten, statt sie bis zur Erdoberfläche durchdringen zu lassen. Den Anfang der Kleinen Eiszeit verlegen viele Klimatologen spätestens auf das Jahr 1550 – also rein zufällig nur drei Jahre vor der Verkündigung des Albrechtschen Sommerbrauverbots – während andere Experten glauben, die Anfänge der Kleinen Eiszeit bereits in der Mitte des 14. Jahrhunderts wahrnehmen zu können. Der Endpunkt der Kleinen Eiszeit wird jedoch generell als das Jahr 1850 angesehen, welches rein zufällig auch das Jahr der Aufhebung des Sommerbrauverbots war. Es dauerte bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, bis die Temperaturen auf der Nordhalbkugel wieder vollkommen normal wurden.

Der Mechanismus der Erdabkühlung als Folge von Vulkanausbrüchen scheint unbestritten zu sein: Vulkanische Eruptionen katapultieren Tephra (Partikel und Gestein) sowie giftiges Schwefeldioxid (SO2) in die Atmosphäre. Die Stärke solcher Ausbrüche wird mit Hilfe einer logarithmischen Skala, dem Volcanic Explosivity Index (VEI), gemessen. Zum Beispiel wird ein Ausbruch mit weniger als 10.000 m3 ausgeworfener Tephra als VEI 0 eingestuft. Die weltweit stärksten Eruptionen erreichen auf der VEI-Skala einen Wert von 8. Solche starken Ausbrüche können bis zu 1012 m3 Tephra und eine Wolkensäule von mehr als 20 km Höhe ausstoßen. Für Leser, die sich an den Vulkanausbruch des Mount St. Helen im US-Bundesstaat Washington am 18. Mai 1980 erinnern können, dessen Stärke war VEI 5.

Während Vulkanologen zwischen den Jahren 930 und 1450 AD auf der ganzen Erde nur fünf Ausbrüche mit einem VEI von 6 oder 7 nachweisen können, so gibt es Hinweise auf 12 solcher Ausbrüche zwischen 1450 und 1900. Dieses Zeitintervall deckt sich damit in etwa mit der Periode der Kleinen Eiszeit auf der nördlichen Halbkugel. Zu diesen Ausbrüchen gehört u. a. ein massiver und länger anhaltender Ausbruch auf Niveau VEI 6 auf den Neuen Hebriden im Südpazifik. Dieser Vulkan war von 1452 bis 1453 aktiv und erzeugte etwa 36 bis 96 km3 Tephra. Aus diesem Grund sehen einige Klimatologen (aber nicht alle!) das Jahr 1452 als das Startjahr der Kleinen Eiszeit an. Ein weiterer bemerkenswerter Ausbruch ereignete sich zwischen Juni 1783 und Februar 1784 im Nordosten Islands, als zwei Vulkane, Laki und Grimsvotn, genug Asche und SO2 in die Luft spuckten, um einen sogenannten „vulkanischen Winter“ auf der Nordhalbkugel zu verursachen, welcher dazu beitrug, die Kleine Eiszeit bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zu verlängern. Schließlich „explodierte“ am 10. April 1815 Mount Tambora in Indonesien mit einem VEI Wert von 7 und schickte 150 km3 Tephra und 200 Millionen Tonnen SO2 in die Atmosphäre. Deshalb ist 1815 weltweit auch als das „Jahr ohne Sommer“ bekannt.

Viele Klimatologen sind sich jedoch einig, dass Europa im Jahre 1550 definitiv kälter wurde. In jenem Jahr waren die Temperaturen in weiten Teilen der nördlichen Halbkugel ungefähr 0,6 °C niedriger als heute. Das hört sich nicht umwerfend an, war aber ausreichend, um eine Eisdecke auf der Themse in London und auf Teilen der Ostsee zu formen. Keines dieser Ereignisse hat sich seitdem wiederholt. In Bayern wirkte sich dieser Kälteeinbruch in der Form eines um mehrere Wochen längeren und viel kälteren Winters aus. Entsprechend wurde die Vegetationsperiode viel kürzer.

Wir wissen nicht, ob in Bayern vor Albrechts Regierungszeit, die von 1550 bis zu seinem Tod im Jahre 1579 dauerte, untergärige Hefen aktiv waren. Offensichtlich hatte es in Bayern lange vor der Kleinen Eiszeit kalte Winter gegeben. Es gibt auch einige kryptische Hinweise, einschließlich einer Nürnberger Brauverordnungen vom Anfang des 14. Jahrhunderts, in welcher „fallende“ Hefen vage und unspezifisch erwähnt werden. Das hat zu Spekulationen geführt, dass es in Bayern möglicherweise vor Mitte des 16. Jahrhunderts untergärige Hefen gegeben hat. Einige Autoren führen sogar die Herkunft des Begriffs „untergärig“ auf die Beschreibung der Hefen als „fallend“ zurück.

Unabhängig von diesen unterschiedlichen Meinungen über den wahren Anfang von Lagerbieren in Bayern steht fest, dass die außergewöhnliche Kombination vom Sommerbrauverbot und dem Beginn der Kleinen Eiszeit ideale – vielleicht sogar einzigartige – Voraussetzungen dafür schuf, dass die meisten bayerischen Biere sich dauerhaft zu Lagerbieren entwickelten. Selbst wenn wir nicht genau nachvollziehen können, warum dem so war, so wissen wir doch, dass es so war, denn die Umweltbedingungen zu jener Zeit erwiesen sich als dauerhaft. Da Hefezellen sich hauptsächlich durch Knospenbildung oder Zellteilung vermehren, konnten untergärige Hefen im 16. Jahrhundert eine gewisse Chromosomen-Stabilität entwickeln. Da wir auch wissen, dass die meisten Biere in Bayern in der Spätrenaissance dunkel waren (siehe Kapitel 1), können wir die kaum anzuzweifelnde historische Hypothese aufstellen – Trommelwirbel bitte! – dass Bayern der wahrscheinlichste Ort und die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts der wahrscheinlichste Zeitpunkt der Entstehung dunkler Lagerbiere sind und dass sich damit die gesamte bayerische Lagerbierkultur erst in der Spätrenaissance fest etablieren konnte. Diese Theorie wird auch von jüngsten mikrobiologischen Erkenntnissen unterstützt, die in Kapitel 3 ausführlich behandelt werden.

Weizenbier: Die merkwürdige Ausnahme zur bayerischen Lagerbier Revolution


Das Wappen des Hauses Degenberg.

Im Bayern der Spätrenaissance gab es nur eine Ausnahme zu Herzog Wilhelms drakonischem Nur-Gersten-Edikt von 1516 sowie zu Albrechts Sommerbrauverbot von 1553 – eine Ausnahme, die ohne Zweifel gegen den Strich der damaligen bayerischen Bierkultur ging. Der Grund dafür liegt in einem Problem, welches der Reinheitsgebot-Herzog Wilhelm sich und seinen Nachfolgern im Jahr 1529 scheinbar unnötig aufgehalst hat. In dem Jahr gewährte Wilhelm unerklärlicherweise einem seiner treuen Vasallen, dem Herzog Hans VI. von Degenberg, das exklusive Privileg, das ganze Jahr über Weißbier zu brauen. Hans war das Oberhaupt des Geschlechts der Degenberger, einer Adelsdynastie in Schwarzach, einem kleinen Dorf am Rande des Bayerischen Waldes. Rückblickend ist dieses Degenberger Bier, also der Gegenstand der herzoglichen Ausnahme, der Vorläufer dessen, was wir heute als bayerisches Weißbier oder Hefeweizen bezeichnen. Seltsamerweise verlieh Wilhelm den Degenbergern diese Ehre nur 13 Jahre nach seiner Verkündung eines allgemeinen Brauverbots für Biere mit Weizen. Im Jahre 1548 erweiterte Wilhelm aus unerfindlichen Gründen das Weißbierprivileg der Degenberger von Hans auf dessen gesamte männliche Nachkommen. So verwandelte er die Weißbierherstellung der Degenberger in ein scheinbar ewiges Erbmonopol einer einzigen Familie. Da Weizenbiere auch vom Sommerbrauverbot ausgenommen waren, führte das Degenberger Privileg wohl unbeabsichtigt dazu, dass Weißbiere die einzigen Biere waren, in welchen sich die obergärige Hefe, S. cerevisiae, in Bayern selbst nach 1553 noch behaupten konnte … und selbst heute schreibt das deutsche Reinheitsgebot noch vor, dass alle Weizenbiere nur obergärig und nie untergärig gebraut werden dürfen.

Die Degenberger zogen spektakulären Nutzen aus ihrem Weißbiermonopol, denn in kurzer Zeit schuf Hans ein Vermögen aus dem Verkauf des ansonsten verbotenen Gebräus. Das führte allerdings zu einem Meinungswandel des nun eifersüchtigen Wittelsbacher Herzogs, dem es schwerfiel, zu akzeptieren, dass trotz seines Dekrets von 1516 nun viel Weizen statt in die Backöfen des Volkes in die Sudpfannen der Degenberger wanderte. Die Schizophrenie eines allgemeinen Verbots der Herstellung von Weißbier in ganz Bayern und eines Monopols nur einer Familie für die Herstellung von Weißbier ebenfalls in ganz Bayern endete daher in einer erbitterten Fehde zwischen den Häusern der Wittelsbacher und der Degenberger, welche über Generationen dauerte.

Als Herzog Albrecht V. an der Reihe war, sich mit den Degenbergern um die Profite aus dem Weißbierhandel zu streiten, hatte er im Jahre 1567 endlich die Nase voll: Nach einer schlechten Ernte kam es in Bayern erneut zu einem Weizenmangel und Albrecht erklärte, dass Weizenbier „ein nutzloses Getränk ist, dass weder nährt noch stärkt, sondern nur zur Trunkenheit anregt“, und – in typischer Feudalherren-Manier – machte er die Tat seines Vaters rückgängig und verbot das Brauen von Weißbier kategorisch in seinem ganzen Reich. Nur hatte Albrecht dabei vergessen, dass selbst ein Herzog die Regeln der feudalen Etikette nicht missachten konnte. So stellten die Degenberger auch weiterhin im Hinterland ihr Weißbier her; und die einzige Revisionsinstanz für die Wittelsbacher wäre der Kaiser selbst gewesen, was, wie jedem klar war, keine Aussicht auf Erfolg hatte. Mit anderen Worten, Albrechts Weißbierverbot von 1567 war in der Praxis einfach nicht durchsetzbar!

Jedoch hatten die Wittelsbacher im Jahre 1602 plötzlich ein Schweineglück, denn der zu der Zeit dem Degenberger Geschlecht vorstehende Herzog Hans Sigmund verstarb, ohne einen männlichen Erben zu hinterlassen. Vielleicht war Hans Sigmund mit seiner Fehde mit den Wittelsbachern zu beschäftigt, so dass er es einfach verpasste, seinen Pflichten in der dynastischen Schlafkammer nachzukommen. Das gab Albrechts Sohn, Herzog Maximilian I., endlich die lang ersehnte Gelegenheit, das Weißbierrecht zurückzufordern, was er auch umgehend tat. Er beschlagnahmte sofort alle 28 Degenbergischen Weißbierbrauereien in Bayern und gewährte sich selbst das gleiche Weißbiermonopol, welches die Degenberger mehr als sieben Jahrzehnte lang genossen hatten.

Herzog Maximilian I. von Bayern gibt sich selbst ein Weißbiermonopol, was zu einer Rieseneinnahmequelle für den bayerischen Staatshaushalt wurde.

Maximilian gebot bald allen Gastwirten in seinem Reich, dass sie neben dem dunklen Standard-Gerstenbier auch Weißbier ausschenken mussten, welches sie nur von den nun staatlichen Wittelsbacher Brauereien kaufen konnten. Kneipenbesitzer, die sich weigerten, verloren kurzerhand ihre Lizenzen. Diese neue Bierpolitik des bayerischen Herrscherhauses entwickelte sich genauso wie vorher das Degenberger Monopol zu einem äußerst ertragreichen Geschäft, denn in den Sommermonaten, in denen es kein Bier auf Gerstenbasis gab, blieb das Weißbier weiterhin ohne Konkurrenz. Es wird gemunkelt, dass die Gewinne aus dem Wittelsbacher Weißbiermonopol bald die Größe des gesamten Militärhaushalts des Freistaates Bayern übertrafen.

Das Wittelsbacher Weißbiermonopol hielt sich für ungefähr zwei Jahrhunderte, bis Herzog Karl Theodor von Bayern im Jahre 1798 mehreren Klöstern und Bürgerbrauereien die Erlaubnis erteilte, ebenfalls Weißbier zu brauen. Er machte dieses Zugeständnis nur, weil Weißbier zu jenem Zeitpunkt aus der Mode gekommen war und die Wittelsbacher mit ihren Weißbierbrauereien Verluste erwirtschafteten. In der Folge bot das Wittelsbacher Haus die Weißbierrechte verschiedenen Brauereien zum Verkauf oder zur Pachtung an, aber es fanden sich keine Abnehmer, da die Nachfrage nach Weißbier im Laufe des 19. Jahrhunderts weiter zugunsten der dunklen, auf Gerstenbasis gebrauten Lagerbiere ständig zurückging. Ein wichtiger Grund für den steigenden Absatz der dunklen Gerstenbiere war die erhebliche Verbesserung der Malz- und Brauverfahren und der damit verbundenen Bierqualität (siehe dazu Kapitel 1).

Im Jahre 1872 gaben die Wittelsbacher endlich jede Hoffnung auf Rettung ihrer vormaligen, goldenen Weißbier-Gans auf und sie verkauften ihr Weißbierrezept an einen „zivilen“ Braumeister namens Georg Schneider. Die Private Weißbierbrauerei G. Schneider & Sohn GmbH braut ihr Weißbier auch heute noch nach diesem Rezept … und alle bayerischen Weißbiere sind immer noch ausschließlich obergärig!

Bayerische Bierkultur: Ein zeitloses Erbe

Wie bisher ausgeführt, sind die Wurzeln der modernen bayerischen Bierkultur tief in einer Reihe herzoglicher Verordnungen und Handlungen aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert verankert. Das Ergebnis dieser Entwicklungen ist die Vervollkommnung zweier breiter, einzigartiger und im Wesentlichen hefebedingter Bierkategorien. Auf der einen Seite stehen die sauber vergorenen, süffigen, bayerischen Lagerbiere. Auf der anderen Seite stehen die fruchtigen, leicht nach Nelken und Bananen schmeckenden, oft hefetrüben, bayerischen Weißbiere. Während bayerische Lagerhefen die ihnen vorgesetzten Würzen aus Gerstenmalz kühl und langsam vergären und dabei relativ wenige fruchtige Ester und wenig butteriges Diacetyl produzieren, vergären bayerische obergärigen Hefen ihre Würzen aus Weizenmalz relativ warm und schnell, wobei sie auch relativ viel bananenartiges Isoamylacetat und nelkenartiges 4-Vinylguaiacol produzieren.

Traditionell werden die bayerischen Hefen mit einheimischem bayerischen Malz und bayerischem Hopfen vereint, was den bayerischen Bieren eine unverwechselbare Identität verleiht. Damit rangiert die bayerische Bierkultur auf der gleichen Ebene wie die beiden anderen klassischen Bierkulturen der Welt, die belgische und die britische. Während die Brauereien auf den britischen Inseln den Weltmaßstab für geschmacksintensive und komplexe obergärige Gerstenbiere gesetzt haben – vom London Porter bis zum Burton Pale Ale, vom Scottish Ale und zum Irish Stout – haben die Brauereien in Belgien den Weltmaßstab für viele ungewöhnliche Biere gesetzt. Dazu gehören Biere mit phenolischen Hefenoten, saure Biere mit Lactobacillus, Holzfass-gereifte Biere mit Fruchtzusätzen, sowie Biere mit Brettanomyces-Aromen, die oft als „Pferdeschweiß“, „Stallgeruch“ oder „nasser Hund“ beschrieben werden. Zu den klassischen belgischen Bierstilen gehören Lambic, Gueuze, Witbier/Bière blanche, Bière blonde, Bière de saison, Trappisten Triple, Flämisches Rot-Ale, und Goldene Starkbiere. Heute gesellt sich zu diesen drei Traditions-Bierkulturen auch die amerikanische Craft-Braukultur als vierte große Weltbierkraft. Sie nimmt ihre Inspiration von den klassischen europäischen Bierkulturen und verwandelt diese mit Kreativität und Fantasie in neue Bierstile mit ausgesprochen amerikanischen Noten, besonders in der Hopfung.

Der Beitrag des Dunkels zum Aufstieg der bayerischen Bierkultur war kritisch. Das Dunkel leitete im 16. Jahrhundert den Wandel von einer durchweg obergärigen in eine primär untergärige Bierkultur ein und behauptete sich als der dominante Bierstil Bayerns für etwa drei Jahrhunderte. Heute ist das Dunkel immer noch einer von vielen weltweit gebrauten Lagerbierstilen. Die erste Herausforderung für das Quasi-Monopol des Dunkels auf seinem einheimischen Biermarkt kam im 19. Jahrhundert mit der zeitgleichen Einführung des bernsteinfarbenen Märzenbiers der Spaten Brauerei in München und des Wiener Lagers der Dreher Brauerei in Schwechat bei Wien im Jahre 1841. Ein Jahr später folgte das erste goldblonde Pilsener aus dem benachbarten Böhmen.

Weitere Konkurrenz für das Dunkel gab es 1872 auf dem Münchner Oktoberfest, als die Münchner Franziskaner-Leist-Brauerei ein goldgelbes Gebräu mit der Bezeichnung „Märzen-Bier“ präsentierte, für das sie mit der Aufschrift „gebraut nach Wiener Art“ Werbung betrieb. Franziskaner-Leist fusionierte übrigens im Jahre 1922 mit der Spaten Brauerei und das heutige Spaten-Oktoberfestbier wird immer noch nach dem Rezept von 1872 hergestellt. Danach war der Trend zu helleren Lagerbieren nicht nur in Bayern, sondern praktisch überall auf der Welt nicht mehr aufzuhalten, was auch den Münchner Bierbaronen nicht entging. Die zunehmende Bewegung der Biertrinker weg vom Dunkel zwang auch die Münchner Brauereien, ihr langjähriges, fast exklusives Engagement für das traditionelle Dunkel zu überdenken. Das war keine leichte Sache, denn das Dunkel hatte ihnen seit unendlichen Zeiten die Taschen brechend vollgemacht.

Die erste Münchner Brauerei, die sich dazu durchrang, ein echt helles Lagerbier zu brauen war die Hackerbrauerei, die 1893 ein blondes Lager auf den Markt brachte, welches sie „Münchner Gold“ nannte. Dieses Bier verschwand jedoch innerhalb von ein oder zwei Jahren vom Markt, ohne dass wir wissen warum. Danach ließ das erste beständige blonde Münchner Lager nicht lange auf sich warten. Es kam von der fortschrittlich denkenden Spaten Brauerei. Sie braute Ende 1893 den ersten Sud eines neuen, hellen Lagerbiers und verfrachtet dieses Bier im darauffolgenden Jahr zu einem Markttest ins ferne Hamburg. Dieses Bier gilt jetzt als der wahre Vorläufer des heutigen bayerischen Helles. An der Waterkant war es so erfolgreich, dass Spaten es wagte, das Bier im Juni 1895 endlich auch auf den heimischen Markt in München zu bringen.

Dieses „Helle LagerBier“ der Spaten Brauerei von 1894 ist das erste echte Münchner Helles im deutschen Biermarkt. Die verwaschene Abbildung hier zeigt eine Kopie des Etiketts, welche in den späten 1890er Jahren auf einem Patentdokument für dieses Bier abgedruckt war. Es existiert heute kein einziges Originaletikett mehr aus der historischen, ersten Flaschenabfüllung des Münchner Helles.

Dieser scheinbar waghalsige Akt erweckte offenbar die Opposition der anderen Münchner Großbrauereien, wie aus einer heftigen Debatte bei einem Treffen des Vereins Münchner Brauereien am 7. November 1895 hervorgeht. Eine Aufzeichnung dieser Debatte wurde 1994 von der Spaten-Franziskaner-Bräu KGaA veröffentlicht. Zum Zeitpunkt jenes Treffens hatte auch eine zweite Brauerei, die Thomas Brauerei, begonnen, ein helles Lagerbier herzustellen. Die Traditionalisten unter den Münchner Brauereibonzen, angeführt von Joseph Wagner, dem Inhaber der Augustiner-Brauerei, sahen die Forderung der Öffentlichkeit nach hellen Lagerbieren als eine nur vorübergehende Modeerscheinung. Viele Münchner Brauereien hielten daher jedwede Investition in Produktions- und Lagerkapazitäten für eine zweite, helle Bierkategorie für zu riskant und klammerten sich an eine exklusive Zukunft ihrer bisher unangefochtenen, auf dem Dunkel aufgebauten Marktposition. Einige wollten sogar die Uhr mit einem Kartell zurückstellen. Sie schlugen vor, dass es jeder Münchner Brauerei grundsätzlich untersagt werden solle, helles Lagerbier herzustellen. Diese Kartellvereinbarung sah auch vor, dass Brauereien, die bereits angefangen hatten, helles Bier zu brauen, diese Produktion sofort einstellten.

Herr Wagner argumentierte: „Ich bin der Ansicht, dass der Ruf der Münchner (dunklen) Biere durch das Brauen von hellen Bieren stark geschädigt wird, da es nichts anderes als eine unnötige Werbung für Pilsener Biere ist.“ Die Spaten Brauerei wollte jedoch nicht mitspielen. So konterte der Spaten Chef Carl Sedlmayr: „Pilsener Biere werden immer beliebter… Hätten wir kein Helles gebraut, so hätte eine konkurrierende Brauerei dieses Geschäft an sich gerissen. Ich glaube, wir haben keinen Fehler gemacht, sondern sind den Wünschen eines großen Teils der Öffentlichkeit nachgekommen. Wir leben jetzt in einem Zeitalter des freien Wettbewerbs und müssen dementsprechend handeln. Daher können wir nicht aufhören, helles Bier zu brauen.“

Georg Theodor Pschorr, Inhaber der Pschorr-Brauerei, drückte das Dilemma, mit dem die Münchner Brauereien konfrontiert waren, so aus: „Wenn wir sie (die hellen Lagerbiere) nicht brauen, werden wir viele Vorteile verlieren. Was ist jetzt die beste Vorgehensweise: Helles brauen oder nicht?“ Das Ergebnis des Treffens war Uneinigkeit. Die Brauereien, die helle Lagerbiere herstellen wollten, machten einfach weiter, während diejenigen, die versuchten, sich dem Trend zu widersetzen, zunächst Marktanteile verloren, und schließlich eine nach der anderen nachgab. Als das Helles in der Popularität in München und überall immer weiter anstieg, konnte das klassische Dunkel nur noch eine kleine Nische im Markt verteidigen, obwohl es diesen Markt jahrhundertelang regiert hatte.

Seit etwa dem Beginn des gegenwärtigen Millenniums findet jedoch eine Art Renaissance des Dunkels statt. Die handwerklich orientierten Craft-Brauer der Welt wenden sich nämlich zunehmend diesem Bierstil (und auch dem Schwarzbier) zu. Auch dieses Buch möchte daher mit 41 klassischen, innovativen und experimentellen dunklen Lagerbier-Rezepten einen Beitrag zur Wiederbelebung dieser einzigartigen Bierstilgruppe leisten.

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