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Die Rückkehr von Malz ohne Dunkelheit

Als nächstes kam eine Erfindung von Patrick Stead, einem schottischen Mälzer, der im Jahre 1842 ein sogenanntes „pneumatisches“ Malzverfahren patentierte. Dieses Patent kann man auch heute noch unter dem Titel Patent No. 9475, 1842, Specification of Patrick Stead, Manufacture of Malt beim britischen Patentamt einsehen. „Steads Patent“, erklärt die Historikerin Rachel Lawrence (siehe Referenzen für Kapitel 1), „war sehr umgreifend. Es basierte auf der Verwendung von Dampf und von mit Dampf erzeugter Wärme, sowohl während das Getreide auf dem Boden keimt und schwellt als auch während des Darrvorgangs. Anstelle der damals üblichen Ein-Horden-Darren sprach Stead sich für eine Vier-Horden-Darre aus. Jede Horde hatte eine Falltür durch die das Malz von einer Horde auf die nächsttiefere fallen konnte. Die oberen Horden wurden mit Dampf beheizt, welcher mit Hilfe eines [mechanischen] Gebläses von unten durch die Böden und durch das Malz getrieben wurde.“

Entwurf eines pneumatischen Galland-Keimkastens, welcher 1899 bei der Firma Weyermann® installiert wurde.

Im pneumatischen Verfahren wird das gekeimte Getreide ausschließlich heißluftgetrocknet. Das Blasen der sauberen, mit Dampf erwärmten, rauchfreien Luft erfordert natürlich mechanische Kraft, die zu Steads Zeiten dank der Erfindung einer praktischen Dampfmaschine von James Watt, der diese mechanische Energiequelle im Jahre 1781 patentiert hatte, verfügbar war. Das pneumatische Mälzen war ein großer Fortschritt, denn es ermöglichte den Mälzern den Malzprozess kontrolliert zu steuern und ihn damit auf einen reproduzierbaren Sieben-Tage-Rhythmus zu standardisieren. Mit anderen Worten, Steads Methode der mechanischen Belüftung ersetzte das Tennenmälzen; und seine „mit Dampf erzeugte Wärme“ ersetzte direkt befeuerte Darren. Diese einfachen Prinzipien werden selbst heute noch in Varianten in nahezu jeder modernen Mälzerei eingesetzt.

Das Schema einer pneumatischen Galland-Keimtrommel.

Die Weiterentwicklung der Malztechnologie

Der französische Ingenieur Nicolas Josef Galland ließ sich im Jahre 1874 einen neuen Malz-Keimkasten als Verbesserung des Stead-Systems patentieren. Er entwickelte diesen Kasten mit seinem Assistenten und Landsmann Jules Saladin, der selbst ein fleißiger Erfinder war und sich primär mit pneumatischen Keimkästen befasste (siehe Kapitel 5). Die Weiterentwicklung des Galland-Keimkastens bestand darin, dass das grüne Malz auf einem perforierten und belüfteten Eisenboden in Reihen von Zellen deponiert wurde und das Malz während des Keimens mechanisch von einer Zelle auf die benachbarte Zelle gewendet wurde. Einer der ersten Galland-Keimkästen wurde 1899 in der Weyermann® Malzfabrik installiert (siehe Abbildung). Galland verwendete wassergesättigte Kaltluft, um die beim Keimen anfallende Wärme sowie das bei der Atmung der Gerste produzierte CO2 aus der Getreideschicht zu treiben. Anschließend entwickelte Galland eine pneumatische Keimtrommel, die aus einem über ihr installierten Weichbottich mit Gerste gespeist wurde. Die Belüftung erfolgte durch Luftkanäle in der Keimtrommel. Die Trommel selbst lag auf sich langsam drehenden Rollen, deren Antrieb über Schneckengetriebe erfolgte (siehe Abbildung). Dieses System wurde erstmals 1883 in einer Berliner Brauerei installiert. Langfristig setzte es sich jedoch nicht durch, da das Konstruktionsprinzip eines rotierenden Stahlzylinders einer Größenbeschränkung unterlag, welche die Wirtschaftlichkeit dieser Keimtrommel einschränkte, als Mälzer versuchten, immer größere Chargen auf einmal zu verarbeiten.

Diese Werbung ist für eine handgekurbelte Malzrösttrommel aus dem frühen 20. Jahrhundert. Sie wurde von der Emmericher Maschinenfabrik & Eisengießerei GmbH in Emmerich am Niederrhein entwickelt.

Eine moderne Malzrösttrommel.

Auch die Rösttrommel wurde nach den Prinzipien der Wheeler-Trommel weiterentwickelt. So baute am Anfang des 20. Jahrhunderts ein kleines Unternehmen in Emmerich am Rhein, die Emmericher Maschinenfabrik & Eisengießerei GmbH, nahe der niederländischen Grenze, eine aus zwei ineinander gefügten Trommeln bestehende Röstvorrichtung. Die innere, hermetisch verschließbare Trommel wurde zunächst handgekurbelt, aber später mechanisch angetrieben. Wurde die Luft zwischen den beiden Trommeln erhitzt, so verkleisterte und verzuckerte sich die Stärke in den Grünmalzkörnern in der inneren Trommel. Danach wurde die Heißluft durch die innere Trommel geleitet, um gleichzeitig verschiedenen Zwecken zu dienen, nämlich die Feuchtigkeit zu entfernen; die Temperatur für die Bildung von Melanoidinen zu erhöhen; typische Röstmalzaromen zu entwickeln; und dem Malz den gewünschten dunklen Farbton zu verleihen.

Bierfreiheit!

Mit diesen neuen Keim- und Darrmethoden konnten die Mälzer schließlich die Charakteristiken ihrer Malze in Bezug auf Farbe, Feuchtigkeit, Lösung, Diastase, Geschmack und vielen anderen Variablen gezielt regulieren. Malz konnte endlich ein breites Spektrum von Farben annehmen, von hell über tiefbraun bis dunkel und schwarz. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden insbesondere die Malzfarbe und der Malzgeschmack – und damit die Bierfarbe und der Biergeschmack – nicht mehr durch die begrenzten Mittel des Mälzers bestimmt, sondern sie konnten vom Brauer frei gewählt werden. Bier brauchte also nicht länger dunkel und rauchig zu sein, es sei denn, es war die Absicht des Brauers, ein solches Bier zu brauen. Diese Flexibilität wiederum brachte eine Vielzahl neuer Bierstile hervor, die das 19. Jahrhundert in eine veritable Belle Époque der Bierstil-Innovationen verwandelte. Brauer konnten jetzt nicht nur zuverlässig hell oder dunkel brauen; und selbst für dunkle Biere konnten sie nun mit einem hellen Grundmalz einmaischen und viele verschiedene Karamell-, Schokoladen- und Röstmalze für eine große optische und geschmackliche Vielfalt hinzufügen. Im Wesentlichen bedeutete dies die Wiedergeburt der Dunkelheit im Bier, aber diesmal als schöpferisches Ergebnis der Braukreativität statt, wie in der Vergangenheit, aus Notwendigkeit.

Auf den britischen Inseln führte die Anwendung der pneumatischen Malzmethode natürlich zur Entwicklung der klassischen Pale Ales, Bitters und India Pale Ales. Auf dem Kontinent ermöglichte es derweil die Transformation der klassischen Untergärigen vom dunklen Lagerbier zum blonden Hellen (siehe Kapitel 2); und rauchige Biere, die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts noch die Norm waren, machen heute nur noch einen winzigen Prozentanteil der globalen Bierproduktion aus. Rauchmalze werden heutzutage hauptsächlich in der Scotch-Whiskey-Produktion oder als kleine Zugaben in einigen Biermaischen verwendet, wo sie dem fertigen Bier eine gewisse Geschmackstiefe verleihen. Andere Verwendungen von Rauchmalzen findet man noch in gewissen Terroir-Landbier-Spezialitäten wie dem finnischen Sahti und dem schwedische Gotlandsdricka, zwei Ales also, deren Malze durch phenolische Aromen bestechen, die über harzige Birkenscheite gedarrt werden. Traditionell wurden solche Malze in Skandinavien in rauchigen Saunen getrocknet.

Das vielleicht berühmteste moderne Rauchbier ist das dunkle, untergärige Bamberger Märzen-Rauchbier mit einem leicht speckigen Geschmack, der von einem Malz stammt, welches in einer mit gut abgelagerten Buchenscheiten beheizten Darre getrocknet wird. Ein weiteres Rauchbier-Beispiel ist ein alter Bierstil aus der polnischen Stadt Grodzisk Wielkopolski (früher Grätz). Das obergärige Piwo Grodziskie (Grätzer Bier auf Deutsch) dieser Stadt wird ausschließlich aus einem hellen Eichenrauch-Weizenmalz hergestellt.

Die dunkle Brauweise heute

Waren bis etwa zur Industriellen Revolution helle Biere aus teurem, luftgetrocknetem Malz noch die Ausnahme, so ist die Situation heute eher umgekehrt. Helle Biere sind heute die Norm. Das ist zum Teil das Ergebnis zweier Erfindungen, die der hellen Brauweise noch zusätzlichen Auftrieb gaben. Zunächst erfand der bayerische Ingenieur Lorenz Adalbert Enzinger im Jahre 1878 den Bierfilter; danach machten Fortschritte in der Glasverarbeitung die Produktion relativ preiswerter Trinkgefäße aus Glas als Ersatz für die traditionellen Steingutkrüge möglich. Daher konnten Biertrinker nun ihre partikel- und trübungsfreien, hellen Biere in ihrer ganzen goldenen Brillanz auch optisch genießen.

Das bedeutete aber nicht das komplette Ende der dunklen Brauweise. Sie hielt sich zunächst in Marktnischen, wurde aber schließlich in den letzten Jahrzehnten besonders von den modernen Craft-Brauern wiederentdeckt. Mit ihrem Innovationsdrang entwickelten diese Braurevolutionäre unzählige Permutationen zum Thema dunkles Bier, besonders im obergärigen Bereich. Nur die Wiederentdeckung des Brauens untergäriger dunkler Biere kam relativ langsamer in Gang. Daher hoffen die Autoren dieses Buches, dass die 41 getesteten und sensorisch bewerteten Rezepte für dunkle Lagerbiere (Kapitel 7 bis 9) viele Brauer dazu inspirieren werden, ihre Kreativität nun auch in dieser immer noch leicht vernachlässigten Bierkategorie walten zu lassen.

Ein sehr dunkles Baltic Porter (Rezept 16), welches in der Samuel Adams Boston Brewery in Boston, Massachusetts, speziell für dieses Buch gebraut wurde.


Als das Bier untergärig wurde … 2

Das vorige Kapitel erläutert, warum Biere in den verschiedenen Epochen der Biergeschichte vorwiegend heller oder dunkler sowie auch mehr oder weniger rauchig waren und warum diese Unterschiede aus den gebräuchlichen Verfahren der Malzherstellung, besonders aus der Befeuerung der Darren, herrührten. Dabei war die historische Entwicklung dieser beiden Variablen, Bierfarbe und Geschmack, vollkommen unabhängig von der Gärführung. Mit anderen Worten, sowohl ober- als auch untergärige Biere wurden (und werden auch heute noch) von den gleichen Faktoren farblich und geschmacklich geprägt.

Damit kommen wir in diesem zweiten Kapitel zur Frage, wann und wo Biere, die einige Jahrtausende lang obergärig waren, auf einmal untergärig wurden. Die Suche nach Antworten in der einschlägigen Literatur ist jedoch überraschend verwirrend, da viele Autoren den Anfang der untergärigen Brauweise in ein breites Zeitspektrum irgendwann zwischen dem 14. und 18. Jahrhundert einordnen, und zwar meistens ohne schlüssige Argumente für deren Einstufung. Daraus darf man getrost ableiten, dass es objektiv schwierig ist, den ersten Gärbottich, in dem untergärige Hefen gezielt oder rein zufällig zum Einsatz kamen, zu identifizieren. Dennoch lassen es die Recherchen für dieses Buch wahrscheinlich erscheinen, dass der Zeitpunkt des Übergangs von der obergärigen zur untergärigen Brauweise in eine wesentlich kürzere Epoche, nämlich in die Spätrenaissance, fiel und dass der wahrscheinlichste Ort dieser Transformation irgendwo im heutigen Bayern lag. Der vielleicht ungewöhnlichste Kern dieser Argumentation besteht aus einem einmaligen Zusammenfluss von zwei klar definierbaren historischen, geografischen, politischen und klimatologischen Ereignissen (siehe weiter unten). Auch stellt sich heraus, dass eine notwendige Voraussetzung für das Aufkommen untergäriger Hefen in Mitteleuropa eine mysteriöse und unwahrscheinliche genetisch-mikrobiologische Entwicklung war, welche in Kapitel 3 behandelt wird.

Die Zeit der skrupellosen Bierpanscher

Wie in Kapitel 1 dargelegt, stellten die Menschen wahrscheinlich mindestens seit der Jungsteinzeit Bier her. Auch wissen wir, dass diese frühen Brauer bewusst Gärungen initiiert haben, obwohl sie praktisch nichts von der Hefe als Ursprung der alkoholischen Gärung wussten. Selbst die simple Erkenntnis, dass die Hefe ein biologischer Organismus ist, wurde von vielen Wissenschaftlern noch bis ins 19. Jahrhundert angezweifelt! Stattdessen galt bis zu den Anfängen der Mikrobiologie vor knapp 200 Jahren der im Gärbottich am Ende der Bierherstellung zurückbleibende Hefebrei praktisch als eine tote organische Substanz, d. h. als Produkt statt als Initiator der Gärung. Die gleiche mikrobiologische Unkenntnis erstreckte sich auch auf die bierverderbenden Bakterien. Bis vor kurzem hatten Brauer also kaum Ahnung, wie man sauberes, nicht infiziertes Bier kontrolliert herstellt. Folglich wussten sie auch nur wenig von der Rolle der Hygiene bei der Bierherstellung sowie von den Bedingungen, unter denen der Metabolismus und der Fortpflanzungszyklus von Mikroben, einschließlich der Hefe, begünstigt oder gestört werden kann.

Als Mittel gegen den Bierverderb zogen Brauer in der Vergangenheit – und auch die politischen Herrscher, die sich um die Gesundheit ihrer Untertanen sorgten – oft drastische, aber meistens wirkungslose Abhilfen heran. Manchmal richteten diese Maßnahmen sogar mehr Schaden als Nutzen an. Aus vielen historischen Quellen wissen wir zum Beispiel, dass besonders in der Renaissance im Sommer die Bierqualität in Bayern viel zu wünschen übrig ließ. Da Biere damals oft sauer oder anderweitig infiziert waren, verfielen viele Brauer auf fragwürdige Lösungen, um ihre schlecht schmeckenden Biere doch noch genießbar zu machen. Ein besonderer Trick war die Zugabe von allen möglichen, stark aromatischen Geschmackszutaten mit welchen sie versuchten, ihre verdorbenen Biere zu „verfeinern“. Unter den gängigen „Biergewürzen“ benutzten sie oft, neben harmlosen Kräutern wie Gagel und Myrte, auch Stechapfelsamen, Baumrinde, Ruß, Kreide, Hühnerblut, Ochsengalle und selbst giftige Pilze sowie das narkotisch wirkende Binsenkraut und die Alkaloid-halluzinogene Alraunwurzel.

Eines der berüchtigtsten, auf jene Art präparierten Biere im Mittelalter war das sogenannte Antonius-Bier, welches hauptsächlich aus Roggenmalz hergestellt wurde. Es enthielt Giftstoffe, die wir heute mit dem Mutterkornpilz (Claviceps purpurea) in Verbindung bringen. Dieser Pilz kann alle Getreidearten befallen, gedeiht aber besonders gut auf Roggen. Er produziert LSD-ähnliche Alkaloide, die bei Menschen schwerwiegende Nebenwirkungen hervorrufen können. Einige dieser Störungen sind Darmkrämpfe, Halluzinationen, Atemlähmungen, Verengungen der Blutgefäße, Durchblutungsstörungen, Herz-Kreislauf-Versagen und Nierenversagen. Diese Krankheitssymptome der Mutterkornvergiftung werden heute unter dem Begriff Ergotismus zusammengefasst. Zu seiner Zeit war Ergotismus als Antoniusfeuer bekannt. Dieser Name stammt vom Mönchsorden der Antoniter, welcher 1095 als Zweig des Augustiner Ordens gegründet wurde. Die Antoniter spezialisierten sich damals auf die Pflege von an Antoniusfeuer erkrankten Menschen. Obwohl die Gefahren des Antoniusfeuers bekannt waren, widmeten sich einige skrupellose Brauer trotzdem der Herstellung des Antonius-Biers für Kunden, die die psychoaktive Wirkung dieses Bieres suchten.

Dunkel: Der erste „echte“ Bierstil der Welt

Für die damaligen bayerischen Feudalherren war Bier nicht nur ein fester Bestandteil der Ernährung ihrer Untertanen, sondern auch ein wichtiges Element des Brauchtums und der Volkskultur. Dies ist der Grund, weshalb die damalige Obrigkeit in Bayern die „Verbesserungspraktiken“ ihrer Brauer, welche die Menschen oft krank oder verrückt machten, kritisch betrachteten. In dem Maße, in dem verdorbenes und verpanschtes Bier zum Problem der öffentlichen Gesundheit wurde, wurde es zwangsläufig auch zum Anliegen der Politik auf höchster Ebene. Im feudalen Gesellschaftssystem, in dem alle adeligen Herrscher – vom einfachsten Grafen bis zum höchstwohlgeborenen Kaiser – mit absoluter Macht und Legitimität ausgestattet waren und daher von Gottes Gnaden regierten, sollte es eigentlich kein Problem auf Erden geben, welches die gottesbeauftragten Statthalter der niedrigen Stände nicht lösen konnten. Ein einfacher Erlass sollte doch dazu ausreichen, die Welt wieder heil zu machen!

Das wachsende Interesse der Obrigkeit an der Arbeit ihrer Brauer fand daher in vielen, oft nutzlosen Verordnungen ihren Niederschlag, mit denen die Herrscher glaubten, die Bierqualität in ihren Landen sicherstellen und so die Gesundheit ihrer Untertan schützen zu können. Einer der frühesten Eingriffe der Obrigkeit ins deutsche Braugewerbe war die Justitia Civitatis Augustensis, eine Verordnung des Kaisers Friedrich „Barbarossa“ des Heiligen Römischen Reiches (1122–1190), in der er im Jahre 1156 der Stadt Augsburg vorschrieb, dass ein „Brauer, der schlechtes Bier macht …, bestraft wird und sein Bier umsonst unter den Armen verteilen oder es vernichten muss.“ Spezifischer war der Stadtrat von Nürnberg, der im Jahre 1293 eine Verordnung verabschiedete, nach der in allen innerhalb der Stadtmauern gebrauten Bieren nur Gerste verwendet werden durfte. In Regensburg, wo die Römer bereits in der Spätantike Bier gebraut hatten (siehe Kapitel 1), fiel es den Brauern ebenfalls schwer, einer Steigerung ihrer Gewinne durch Senkung ihrer Bierqualität zu widerstehen. So verbot der Stadtarzt Konrad Megenwart, der dort auch als offizieller Bierinspektor fungierte, im Jahre 1453 kurzerhand den Brauern, innerhalb der Stadtmauern „Samen, Gewürze oder Binsen“ als Bieraromen zu verwenden.

Dieses Gemälde von Hans Wertinger zeigt Herzog Wilhelm IV. von Bayern (1493-1550), den Hauptautor des Reinheitsgebots von 1516.

Auch in München war die Regulierung der Brauer und ihres Handwerks für den zwölfköpfigen Stadtrat offensichtlich ein ständiges Anliegen. So übernahm 1363 der Rat selbst die Aufgabe, die gesamte Bierproduktion der Stadt zu überwachen, statt sich auf beamtete Bierkieser zu verlassen. Im Jahre 1447 erließ der Rat dann eine Verordnung, in der er den Brauern befahl, ausschließlich Gerste, Hopfen und Wasser in ihren Bieren zu verwenden. Vierzig Jahre später, im Jahre 1487, zwang der bayerische Herzog Albrecht IV. alle Brauer in München, einen öffentlichen Eid auf die Verordnung von 1447 zu schwören; und schließlich weitete Herzog Georg der Reiche im Jahre 1493 diesen Münchner Eid auf das gesamte Herzogtum Landshut in Mittelbayern aus. Aus diesen Verordnungen kann man ablesen, dass eine behördliche „Säuberung“ des bayerischen Volksgetränks Bier ein heißes und beständiges politisches Problem war.


Das Original des Reinheitsgebots von 1516.

Diejenigen Leser, die sich mit dem modernen deutschen Reinheitsgebot auskennen, werden in diesen frühen Vorschriften bestimmt die Vorläufer der berühmten Bierverordnung wiedererkennen, welche Herzog Wilhelm IV., Oberhaupt des Geschlechts der Wittelsbacher, im Jahre 1516 für ganz Bayern verkündete und welche heute als wahrer Ursprung der aktuellen Biergesetzgebung in Deutschland gefeiert wird. Die Verordnung von 1516 wurde am 23. April auf einer Ständeversammlung in Ingolstadt, knapp 100 km nördlich von München, verkündet. In der hochtrabenden und heute ulkig klingenden Sprache der Jurisprudenz des 16. Jahrhunderts lautet der relevante Abschnitt des Dekrets von 1516 wie folgt: „Ganz besonders wollen wir, dass forthin allenthalben in unseren Städten, Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden sollen.“ Das gesamte Dekret ist 315 Wörter lang, doch nur die obigen 31 Wörter befassen sich mit Bierzutaten. Der Rest befasst sich mit Bierpreiskontrollen und mit Strafen für Verstöße.

Die meisten Bierhistoriker sind sich einig, dass Herzog Wilhelm in der Verkündung seines Edikts zwei Ziele verfolgte: Zum einen wollte er abscheuliche und schädliche Zutaten aus den Bieren des Volkes verbannen. Zum anderen wollte er auch den Weizen nur zum Backen bewahren, denn Weizen galt zu jener Zeit als wesentlich wertvoller als Gerste. In Bayern gab es damals oft Missernten. Um eventuellen Hungersnöten vorzubeugen, wollte der Herzog dafür sorgen, dass die immer durstigen Bayern in schlechten Zeiten ihren kostbaren Weizen besser als Brot verzehrten statt ihn als Bier zu trinken.

Aufmerksame Leser werden auch bemerkt haben, dass die Begriffe Hefe, Malz und Reinheit sowie die Unterscheidung zwischen ober- und untergärigen Bieren im Originaltext des Reinheitsgebotes nicht vorkommen, obwohl sie alle im Wortlaut des modernen deutschen Gesetzestextes eine Schlüsselstellung einnehmen. Zum Beispiel darf Weizen heutzutage nach dem Reinheitsgebot nur in obergärigen Bieren verwendet werden. Auch spezifizierte Wilhelm nur Gerste, also nicht Gerstenmalz, was, strikt interpretiert, die Tür zur Verwendung von ungemälzter Gerste öffnet. Im heutigen Reinheitsgebot sind jedoch alle Cerealien-Rohfrüchte strikt verboten. Auch schweigt sich der Herzog ganz über die Hefe als erlaubte Bierzutat aus. Der Grund dafür ist die simple Tatsache, dass Hefen und andere luftgetragene Mikroben, die bestimmt ebenfalls in den damaligen bayerischen Gärbottichen hausten, als Initiatoren der Gärung im frühen 16. Jahrhundert noch vollkommen unbekannt waren (aber darüber mehr weiter unten und in Kapitel 3).

Die vielleicht wichtigste, langfristige Errungenschaft der Verordnung von 1516 ist nicht die heute so gern zitierte „Reinheit“ des deutschen Bieres, sondern dessen Vereinheitlichung in Bayern. Da nun „forthin allenthalben“ alle Brauer in Wilhelms Herrschaftsgebiet „zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser“ verwenden durften, und da das Gerstenmalz der damaligen Zeit aufgrund der Malztechnologie (siehe Kapitel 1) überwiegend dunkelbraun und leicht rauchig war, so können wir die Biere, welche nach 1516 überall in Bayern gebraut und getrunken wurden als echte Rauchbier-artige Vorläufer des heutigen Dunkel bezeichnen, was diese Biere wohl mit einem gewissen Recht zur ersten echten Biersorte bzw. dem ersten echten Bierstil der Welt macht!

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9783418009278
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